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müssen. Mehr noch: Kein einziger aerostatischer Zielflug kann sich seines Erfolges<br />

schon im Voraus sicher sein, bewegt er sich doch ganz grundsätzlich in<br />

einem experimentellen Raum, in einem Raum des radikalen „vielleicht“. So<br />

bleibt der Steuerungsoptimismus von Kleist und Kratzenstein – anders, als<br />

dies beim theoriegeleiteten Optimismus eines Kramp der Fall ist – im radikalexperimentellen<br />

Rahmen der zeitgenössischen aeronautischen Wissenschaften.<br />

In diesen experimentallogischen Rahmen lässt sich auch die Dissonanz integrieren<br />

(nicht auflösen!), die sich aus dem theoretisch implizierten Gewitter<br />

und dem praktisch geforderten Wetter ergeben hat. Auf die Behauptung heterogener<br />

Windschichten kommt Kleist, wie gesehen, zweimal und zudem in<br />

zwei aufeinander folgenden Absätzen zu sprechen; der erste Absatz liefert die<br />

chemische Erklärung, der zweite Absatz liefert mit dem „Luftballon des Hrn<br />

Claudius“ die experimentelle Beschreibung des Geschehens. Für den experimentellen<br />

Aeronauten ist das im ersten Absatz Verhandelte, sind die Ursachen<br />

der Winde von keinerlei Bedeutung; das im zweiten Absatz Verhandelte, die<br />

Existenz und die experimentelle Kenntnis der Winde hingegen sind für Kleist<br />

die unabdingbare Voraussetzung eines jeden aeronautischen Steuerungsversuchs.<br />

Zwischen Theorie und Praxis darf eine inhaltliche Dissonanz erklingen,<br />

weil die Bedingungen einer Experimentalkultur zwischen ihnen eine unhintergehbare<br />

epistemologische Differenz einführen.<br />

Damit ist die Luftschifffahrt dank der experimentellen Praxis vor jeder theoretisch<br />

implizierten Gefährdung gesichert. Denn das Gewitter ist in Kleists<br />

experimenteller Aeronautik nicht in seinen realen Auswirkungen, sondern ausschließlich<br />

in seinem metaphorischen Potential gegenwärtig. Der real experimentierende<br />

Luftschiffer hat, das zeigt im Kleinen schon der am zu heftigen<br />

Wind gescheiterte Aufstiegsversuch des Herrn Claudius, das Gewitter, den<br />

Sturm zu fürchten. Der literarische experimentierende Luftschiffer hingegen<br />

kann sich der Gewalt der Gewitterwinde zielfördernd unterwerfen. Das gilt<br />

nicht nur für den kühnen Luftschiffer Jean Paul, sondern auch für den nicht<br />

minder kühnen Kleist.<br />

5. Literatur, Aeronautik, Politik<br />

Kleists Programm einer experimentellen Aeronautik habe ich auf zwei Ebenen<br />

analysiert: Zum einen mit Blick auf die Inhalte des Wissens, hier ging es um<br />

Steuerung durch Selbstunterwerfung und deren wissensgeschichtlich rekonstruierbare,<br />

für die aeronautische Praktik bedenkliche Kopplung an die chemische<br />

Erklärung der Gewitterwinde; zum anderen mit Blick auf die Form dieses<br />

Wissens, Thema war hier die Entstehung des Wissens aus der Praxis des Experiments.<br />

Es ist bemerkenswert, wie eng im Falle der experimentellen Aeronautik<br />

diese beiden Ebenen des Wissens aus Kleists Perspektive miteinander<br />

verzahnt sind. Denn jeder aerostatische Zielflug hat die Form eines erneuten<br />

Experiments über die Windschichtungen; und jedes aerostatische Experiment<br />

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