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ten gemacht werden, ehe über diesen Gegenstand das hinreichende Licht kann<br />

verbreitet werden. 99<br />

Im Experimentalwissen, wie Cavallo es hier positioniert und wie es für<br />

Scheuchzer offenbar noch nicht denkbar ist, sind Gewissheit und Nicht-<br />

Wissen aufeinander bezogen wie die zwei Seiten eines einzigen Blattes. Einerseits<br />

verschafft das Experiment Gewissheit und führen „wirkliche Versuche“<br />

zu wirklichen Wahrheiten, zu einem sicheren und abgesicherten Wissen. Andererseits<br />

lässt sich jede allgemeine Theorie nur noch unter dem radikalen<br />

Vorbehalt formulieren, dass sie sich grundsätzlich außerhalb des experimentell<br />

Gesicherten bewegt, dass sie nur spekulativ ersetzt, was sich empirisch nicht<br />

wissen lässt, dass sie, um eine Formulierung des Experimentalphysiologen<br />

Albrecht von Haller aufzunehmen, das „Wahrscheinliche“ als „Nothmünze“<br />

für das sich grundsätzlich entziehende „Wahre“ nutzt. 100 Deshalb, so betont<br />

etwa Christoph Heinrich Pfaff in seinen Aphorismen über die Experimentalphysik,<br />

gehören „metaphysische Untersuchungen und Erörterungen [...] nicht<br />

in das Gebiet der Experimentalphysik“; 101 als zulässige Ausgangspunkte wissenschaftlichen<br />

Arbeitens, als mögliche „Quellen der Naturlehre“ gelten nur<br />

noch „Erfahrungen, die theils Beobachtungen, theils Versuche sind“; 102 dagegen<br />

werden „Schlüsse“, „Folgerungen“ und „Hypothesen“ 103 diesen Quellen<br />

grundsätzlich nachgeordnet. Damit bleibt das Wissen aber auch grundsätzlich<br />

an seine experimentelle Herkunft, an seine experimentelle Form gebunden; es<br />

ist im strengen Sinn ein Experimental-Wissen. Dieses Experimental-Wissen<br />

beschränkt sich darauf, Abläufe zu beschreiben und kalkulierbar zu machen;<br />

es verzichtet weitgehend darauf, diese Abläufe in ihren letzten Ursachen zu<br />

erklären. Gewiss ist das experimentell gezeugte empirische Wissen; ungewiss<br />

bleibt, als die Kehrseite dieses Wissens, alle Theorie; in einer Formulierung<br />

aus Johann Christian Wieglebs Chemischen Versuchen über die alkalische<br />

Salze aus dem Jahr 1774: „Es ist gewiß, daß der menschliche Verstand nicht in<br />

allen Stücken zur vollkommenen Gewißheit kommen wird“. 104 Wissenschaftler<br />

wie Pfaff, Wiegleb oder Cavallo verbuchen nun nicht die Rückstände des<br />

Nicht-Wissens als Verlust, sondern das an die Experimentalsituation gekoppelte<br />

Wissen als Gewinn. Experimentalwissenschaften um 1800 haben ein ent-<br />

99 Ebd., S. 297f. Zu einer ähnlichen Skepsis hinsichtlich einer Theorie der Winde vgl. auch Achard,<br />

Vorlesungen über die Experimentalphysik (wie Anm. 18), S. 96.<br />

100 Albrecht von Haller, Vom Nutzen der Hypothesen (Vorrede zu der deutschen Uebersetzung<br />

von Buffons Naturgeschichte. Hamb. 1751). In: ders, Tagebuch seiner Beobachtungen über<br />

Schriftsteller und über sich selbst, hg. v. Johann Georg Heinzmann, Bern 1787, Bd. 2., S. 95-<br />

118, S. 104.<br />

101 Christoph Heinrich Pfaff, Aphorismen über die Experimentalphysik. Zum Gebrauche bey<br />

Vorlesungen, Kopenhagen 1800, S. 2.<br />

102 Ebd., S. 4.<br />

103 Ebd.<br />

104 Johann Christian Wiegleb, Chemische Versuche über die alkalische Salze, Berlin und Stettin<br />

1774, S. 4.<br />

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