Download
Download
Download
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
eitsschritt ein „scharfsinniger Leser“ der Tabellen gewiss „Ordnung und Uebereinstimmung“<br />
114 finden wird.<br />
So scheint es kein einziges Element in der Aeronautik zu geben, das nicht<br />
in eine experimentelle Wissenschaft eingebunden wäre, dessen spezifisches<br />
Wissen nicht an eine experimentelle Form gebunden bleibt. Da ist erstens das<br />
spezifische Gewicht der Gas- oder Luftfüllung des Ballons, das im Rahmen<br />
einer experimentellen Chemie entdeckt wird. Da ist zweitens die den Ballon<br />
umgebende Atmosphäre, deren Eigenschaften von einer experimentellen Meteorologie<br />
erkundet werden. Da sind drittens die Winde, von denen es, mit<br />
Cavallo gesprochen, nur ein sicheres experimentelles und ein ungewisses theoretisches<br />
Wissen geben kann. Da sind viertens die Ballonfahrten, die in der<br />
aeronautischen Literatur – und auch von Kleist – immer wieder als Experimente<br />
bezeichnet werden. Und da sind schließlich die wissenschaftlichen Versuche,<br />
die im Verlauf von Ballonfahrten über die chemische Beschaffenheit<br />
der Luft angestellt werden. 115 Die Aeronautik ist von ihrem Beginn an experimentell<br />
durchwirkt. In dieser experimentallogischen Kontur ist sie für Kleist<br />
von Interesse. Dabei lässt sich schon in seinem Schreiben aus Berlin vom 15.<br />
Oktober nachvollziehen, welche Stellung er dem Experiment für das Wissen<br />
zuschreibt, demonstriert er doch ein deutliches Wohlwollen gegenüber einem<br />
Wissen, das auf einen bereits durchgeführten Versuch aufruht, und eine scharfe<br />
Skepsis gegenüber einem Wissen, das durch einen geplanten Versuch erst<br />
noch bestätigt werden soll. Aus der Perspektive einer Wissensgeschichte der<br />
Experimentalkulturen plädiert Kleist damit für eine Wissenschaft, die das Experiment<br />
nicht nur als Bestätigung, sondern als Produktionsform ihres Wissens<br />
begreift; er plädiert für die experimentallogische Orientierung eines Faujas<br />
de Saint-Fond und wendet sich gegen die spekulative Orientierung, wie sie<br />
sich etwa in Kramps Geschichte der Aerostatik artikuliert.<br />
Kramps Geschichte der Aerostatik ist ein Paradebeispiel dafür, wie begründet<br />
Kleists experimentallogischer Zweifel an einer spekulativen, theoretischen<br />
Aeronautik erscheinen muss. Kramp präsentiert, darauf hatte ich schon verwiesen,<br />
eine Lösung des Steuerungsproblems; für ihn ist die „ganz willkührliche<br />
Direktion einer aerostatischen Maschine nicht mehr weit entfernt“. 116<br />
Doch kann sich seine Lösung keineswegs auf bereits vollzogene Versuche beziehen,<br />
sie geht auch nicht aus den schon angestellten aeronautischen Experimenten<br />
hervor; vielmehr gründet sie sich auf „lauter ernsthafte Theoreme der<br />
114 Ebd.<br />
115 Vgl. z.B. ebd., S. 255-258 („Brief an Garnerin über die Analyse der atmosphärischen Luft<br />
welche in der Höhe von 669 Toisen, durch einen Luftballon geschöpft wurde“); Anonym,<br />
Abbildungen und Geschichte derer Luft-Maschinen (wie Anm. 72), unpaginiert: „allein wieviel<br />
Licht werden uns nicht wiederholte Versuche in der Natur Lehre [...] geben können“; Joseph-Louis<br />
Gay-Lussac, Relation d’un voyage aérostatique [Paris. An XIII].<br />
116 Kramp, Geschichte der Aerostatik (wie Anm. 10), S. 348.<br />
26