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formulieren etwa C. G. Kratzensteins Vorlesungen über die Experimentalphysik<br />
gegen Ende des 18. Jahrhunderts, in expliziter Abkehr von „einer speculativen<br />
oder bloß theoretischen Physik. So war die Naturlehre der Alten.“ 78 Auf<br />
diese Weise wendet sich, dank der experimentellen Ausrichtung des eigenen<br />
Arbeitens, der traditionelle Vorrang der Theorie vor der Praxis in den modernen<br />
Vorrang der Praxis vor die Theorie. Diesen Aspekt betont mit expliziten<br />
Verweis auf Bacon auch Georg Adams in seinen Vorlesungen über die Experimental-Physik:<br />
„Nachdem die Menschheit beinahe 2000 Jahre lang die<br />
Wahrheit durch Syllogismen zu entdecken gesucht hatte, schlug Lord Bacon<br />
die Induktion [...] als ein wirksamers Hülfsmittel zu dieser Absicht vor.“ 79<br />
Wissenschaftliche Wahrheit beginnt nicht im spekulativen Raum der Theorie,<br />
wie es in der „Naturlehre der Alten“ vorausgesetzt wurde; sie beginnt mit der<br />
empirischen Härte der gegebenen Gegenstände. Die neue wissenschaftliche<br />
Praxis, die Naturwissenschaftler wie Kratzenstein und Adams der alten, deduktiv<br />
verfahrenden, spekulativen Physik entgegensetzen, ist eine dezidiert<br />
experimentelle Praxis. Deshalb lässt sich die methodische Distanz der neuen<br />
von der alten Wissenschaft auch mit Blick auf die Empirie formulieren, so etwa<br />
von Marcus Herz in der Grundlage zu meinen Vorlesungen über die Experimentalphysik<br />
aus dem Jahr 1787: „Die alten hielten sich am Beobachten;<br />
Versuche machen ist größtentheils das Werk neuerer Zeiten.“ 80 In diesem Sinne<br />
stellt auch der 1810 publizierte Grundriss der Experimentalphysik des Heidelberger<br />
Chemieprofessors C. W. G. Kastner der „Beobachtung (Observatio)“<br />
und den „Erfahrungen (Experientiae)“ genau „solche Erscheinungen“<br />
entgegen, „die der Mensch durch eigenmächtige Veränderungen der Natur zu<br />
Gunsten seiner Beobachtungen veranlaßt, und die man Versuche oder Experimente<br />
(Experimenta) zu nennen pflegt.“ 81 Das Experiment erscheint als fundamentales<br />
Element der Naturwissenschaften.<br />
Entsprechend präsentiert sich auch die Aerostatik stets als eine experimentelle<br />
Wissenschaft. Darauf verweist schon der Titel des Luftfahrtklassikers<br />
von Faujas de Saint-Fond: Beschreibung der Versuche mit der Luftkugel.<br />
Auch die Überschriften, mit denen Faujas de Saint-Fond die einzelnen Kapitel<br />
78 C. G. Kratzenstein, Vorlesungen über die Experimentalphysik. Sechste und vermehrte Auflage,<br />
Copenhagen 1787, S. 4. Zu einer kurzen Geschichte des naturwissenschaftlichen Experiments<br />
vgl. z.B. G. Frey, Experiment. In: Joachim Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der<br />
Philosophie, Bd. 2, Basel, Stuttgart 1972, Sp. 868-870; R. Kuhlen, U. Schneider, Experimentalphilosophie.<br />
In: ebd., Sp. 870-875; Jürgen Daiber, Experimentalphysik des Geistes. Novalis<br />
und das romantische Experiment, Göttingen 2001, S. 263-301.<br />
79 Georg Adams, Vorlesungen über die Experimental-Physik nach ihrem gegenwärtigen Zustande<br />
in unterhaltenden und faßlichen Erklärungen der vornehmsten Erscheinungen in der Natur.<br />
Aus dem Englischen mit einigen Anmerkungen übersetzt von J. G. Geißler. 2 Bde., Leipzig<br />
1799, Bd. 2, S. 146.<br />
80 Marcus Herz, Grundlage zu meinen Vorlesungen über die Experimentalphysik, Berlin 1787,<br />
S. 4.<br />
81 C. W. G. Kastner, Grundriss der Experimentalphysik. 2 Bde., Heidelberg 1810, Bd. 1, S. 22f.<br />
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