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Spion des Herzens

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nicht ein Fenster ohne zerbrochene Scheibe.<br />

Verity hatte sich nicht überlegt, wie sie nun vorgehen sollte. Sie scheute<br />

davor zurück, das Haus zu betreten. Elizabeth hatte sie nicht umsonst<br />

während der vergangenen Tage mehrfach beschworen, vorsichtig zu sein.<br />

Verity konnte also bestenfalls darauf hoffen, zu beobachten, wer zu dem<br />

Treffen erschien, und Onkel Charles eine genaue Beschreibung der Männer<br />

liefern.<br />

Sie saß ab und führte das Pferd in den Stall, der in einem etwas besseren<br />

Zustand war als die Taverne. Zu ihrem Erstaunen entdeckte sie ein<br />

perfekt zusammenpassen<strong>des</strong> Grauschimmelpaar, das noch vor einen<br />

sportlichen Curricle gespannt war. Eines der wunderbaren Pferde wieherte,<br />

und als sie mit der Hand über seinen Hals strich, ertastete sie unter<br />

der Mähne ein rautenförmiges Mal.<br />

„Was machst du da?“ Verity fuhr erschrocken herum und entdeckte<br />

einen grobschlächtigen Mann, der am Ende <strong>des</strong> Stalles auf einem Hocker<br />

saß. Er war damit beschäftigt, mit einem gefährlich aussehenden Messer<br />

an einem Stück Holz herumzuschnitzen, und blickte sie misstrauisch an.<br />

„Gar nichts“, versicherte sie mit etwas tieferer Stimme, weil sie sich im<br />

letzten Augenblick an ihre Rolle als Junge erinnerte.<br />

„Geh von den Pferden weg. Ich werde dafür bezahlt, auf sie aufzupassen.“<br />

Der Mann nahm seine Schnitzerei wieder auf. „Was hast du überhaupt<br />

hier zu suchen?“ fragte er. „Du bist doch nicht aus dieser Gegend.“<br />

„Nein, aber ich soll hier jemand treffen.“<br />

„Wen denn?“<br />

„Meinen Onkel.“<br />

„Ach ja, und wie heißt er?“<br />

„Septimus Watts.“ Verity hoffte, Lady Billingtons pedantischer Butler<br />

möge ihr verzeihen, dass sie sich seines Namens bediente.<br />

„Ich habe noch nie von ihm gehört.“<br />

„Mag sein, aber trotzdem hat er mich gebeten, ihn hier vor dem Gasthof<br />

in Little Frampington zu treffen.“<br />

„Er lachte schallend. „Dann machst du dich am besten schnell auf den<br />

Weg, Du Dummkopf. Little Frampington liegt eine Meile weiter die Straße<br />

hinunter.“<br />

Verity starrte ihn fassungslos an. „Aber ich habe doch das Schild an<br />

der Kreuzung gesehen.“<br />

„Nein, dies ist Frampington. Ich sollte es wissen. Schließlich lebe ich<br />

schon mein ganzes Leben lang hier.“<br />

Verity hatte keinen Grund, an seiner Aussage zu zweifeln. Warum hätte<br />

der Mann sie belügen sollen? Ohne sich zu verabschieden --- vermutlich<br />

legte er darauf ohnehin keinen Wert ---, führte sie ihr Pferd aus dem<br />

Stall. Sie hätte schwören mögen, dass auf Elizabeths Karte keine zwei<br />

Frampington verzeichnet gewesen waren. Anscheinend war dieser Ort zu<br />

unbedeutend, um erwähnt zu werden.<br />

Um keine weitere Zeit zu verlieren, lenkte sie sofort ihr Pferd aus dem<br />

Hof auf die schmale Straße. Sie hatte London für den Fall, sie könnte irgendwo<br />

einen falschen Weg wählen, früh verlassen. Da sie annahm, dass<br />

es inzwischen fast acht Uhr sein musste, bohrte sie ihrem Pferd die Hacken<br />

in die Flanken, jedoch ohne Erfolg. Der Wallach war zwar ruhig und<br />

verlässlich, hielt aber nichts von einem schnellen Tempo. Die Kirchturmuhr<br />

hatte gerade die volle Stunde geschlagen, als sie Little Frampington<br />

erreichte --- das im Gegensatz zu seinem Namen um einiges größer war<br />

als das Dorf, das sie gerade hinter sich gelassen hatte.<br />

Nachdem sie den Gasthof, der gegenüber der Kirche lag, ohne Schwierigkeiten<br />

gefunden hatte, saß sie ab, führte das Pferd in den Stall und<br />

seufzte erleichtert auf, als sie einen mächtigen Rotbraunen entdeckte, der<br />

zufrieden an einem Haufen Heu zupfte. Falls der <strong>Spion</strong> und seine Kumpane<br />

nicht zu Fuß gekommen waren, waren sie noch nicht eingetroffen.<br />

Der Gasthof mit den weiß getünchten Mauern und dem sauber gedeckten<br />

Dach wirkte gepflegt; genau wie die Innenräume, wie Verity beim Betreten<br />

der Schankstube feststellte. Im Kamin brannte ein helles Feuer,<br />

und der graue Steinboden war sauber geputzt.<br />

Sie ging zur Theke, hinter der eine junge Frau in einer fleckenlosen<br />

weißen Schürze stand, und betrachtete die anderen Gäste an den Tischen.<br />

Alle erweckten den Eindruck, Arbeiter zu sein, die sich nach einem<br />

harten Tage etwas Erholung gönnten. Man konnte sich schwer vorstellen,<br />

dass es sich bei einem von ihnen um den Komplizen <strong>des</strong> <strong>Spion</strong>s handelte.<br />

Andererseits stammte ein Gast, dem Pferd im Stall nach zu schließen,<br />

nicht aus dieser Gegend.<br />

„Was kann ich Ihnen bringen, junger Herr?“<br />

Verity, die ihr wahres Geschlecht beinahe verraten hätte, indem sie ein<br />

Glas Limonade bestellte, verlangte einen Krug Ale. Tapfer trank sie einen<br />

Schluck von dem, wie sie fand, widerwärtigen Gebräu und lehnte sich<br />

lächelnd gegen den Tresen.<br />

„Sie haben einen schönen Gasthof“, stellte sie fest.<br />

„Vielen Dank, Sir, meine Ma und mein Pa achten darauf, dass alles<br />

sauber und ordentlich ist.“<br />

Sie ist also die Tochter <strong>des</strong> Gastwirts, dachte Verity. „Ja, es ist hier<br />

schöner als in den meisten anderen Poststationen, die ich gesehen habe“,<br />

erwiderte sie. „Vermieten Sie auch Zimmer?“<br />

„Ja, Sir, aber sie werden selten benutzt. Da wir nicht an der Hauptstraße<br />

liegen, kommen hier kaum je Reisende vorbei.“ Sie ließ den Blick<br />

über die Gäste schweifen. „Ein Gentleman hat vorhin nach einem Zimmer<br />

gefragt. Ich sehe ihn jetzt nicht. Hat wohl sein Dinner beendet und ist<br />

nach oben gegangen.“<br />

Verity riskierte einen zweiten Schluck Ale. Das war interessant. War<br />

das nun ein harmloser Reisender oder der verräterische Bursche, der sich<br />

mit dem <strong>Spion</strong> verabredet hatte? „Meine Tante reist sehr viel über Land“,<br />

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