Spion des Herzens
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dem Mann, den ich am meisten von allen Menschen bewundert habe, um<br />
einen Bauerntölpel und Sohn einer Hure handelte, darf ich dir versichern,<br />
mir ist Lady Morlands Familie herzlich gleichgültig.“<br />
Lady Billington erschauerte. „Ich wünsche, du wür<strong>des</strong>t dich in deiner<br />
Ausdrucksweise mäßigen, Liebes.“<br />
„Ich habe gehört, wie man Arthur Brinley mit weit schlimmeren Ausdrücken<br />
belegt hat.“ Verity schüttelte den Kopf. „Dabei sollte man einen<br />
Mann doch bewundern, der aus der Gosse stammt und als einer der<br />
reichsten Männer Yorkshires gestorben ist. Ein Mann, der jede Stunde<br />
seines Lebens damit verbracht hat, sich zu vervollkommnen. Ich hege<br />
allerdings wenig Sympathie für diejenigen, die nur heiraten, um eine gesellschaftliche<br />
Stellung zu erlangen.“<br />
„Ich verstehe.“ Lady Billington spähte noch einmal zu Lady Morland<br />
hinüber, bevor ihr Blick auf der ziemlich korpulenten Gestalt ihres Gastgebers<br />
verweilte. „Du denkst also, dass sie ihn nur wegen seines Vermögens<br />
geehelicht hat.“<br />
„Nein, das glaube ich nicht“, erwiderte Verity. „Wenn es nur um Geld<br />
gegangen wäre, hätte sie Arthur Brinleys Enkel geheiratet. Als ich in Yorkshire<br />
lebte, wurden sie und Brin bereits als Paar betrachtet. Angela<br />
war kaum älter als sechzehn und Brin achtzehn oder neunzehn. In der<br />
Nachbarschaft waren alle überzeugt, dass die beiden irgendwann heiraten<br />
würden. Damals wurde darüber geredet --- und es würde mich nicht<br />
wundern, wenn Angela dieses Gerücht selbst in die Welt gesetzt hätte ---,<br />
dass ihre Eltern erst in die Hochzeit einwilligen würden, wenn sie ihre<br />
Volljährigkeit erreicht hätte. Brin zog in den Krieg auf der Iberischen<br />
Halbinsel, und innerhalb von drei Monaten heiratete Angela ihren beleibten<br />
Baronet, und das ein Jahr bevor sie volljährig war.“<br />
„Du meinst also, dass es ihr um einen Titel ging?“<br />
„Jawohl. Doch wie sich die Dinge entwickelt haben, wäre sie klüger<br />
gewesen, den Spross eines Webers zu heiraten. Dann könnte sie jetzt damit<br />
rechnen, eine Viscountess zu werden.“ Verity brach so plötzlich in<br />
Gelächter aus, dass sich einige Köpfe ihr zuwandten. „Wenn man vom<br />
Teufel spricht ...“<br />
Als Lady Billington dem amüsierten Blick der Nichte folgte, bemerkte<br />
sie an der Tür eine große kräftige Gestalt. „Gütiger Himmel, Liebes, ist<br />
dieser beeindruckende Gentleman etwa Arthur Brinleys Enkelsohn?“<br />
„Das ist er, in der Tat.“ Verity war erneut außerstande, ein boshaftes<br />
Kichern zu unterdrücken. „Schau dir Brin Carter an --- ein in jeder Hinsicht<br />
attraktiver Mann mit einer guten Figur --- und dann dieses Fass,<br />
das Angela geheiratet hat. Wenn du danach immer noch glaubst, dass es<br />
ihr nicht um den Titel gegangen sei, bist du nicht ganz bei Verstand.“<br />
„Nun ja“, murmelte Lady Billington. Im Gegensatz zu ihrer Nichte, die<br />
sich niemals scheute, offen und direkt alles auszusprechen, fand sie es<br />
meistens klüger, ihre Meinung für sich zu behalten. In diesem Fall hatte<br />
Verity jedoch vermutlich Recht.<br />
Während der Major in aufrechter Haltung den Raum durchquerte, beobachtete<br />
sie ihn aufmerksam. Die Natur hatte es, Gesicht und Figur<br />
betreffend, gut mit ihm gemeint. Seine Züge waren gut geschnitten, und<br />
obwohl sie wenig Ähnlichkeit mit der Carterschen Linie entdecken konnte,<br />
ging etwas von ihm aus, das auf eine makellose Herkunft hinwies.<br />
Lady Billington vermochte sich daher nicht zu erklären, worauf die Antipathie<br />
beruhte, mit der ihre Nichte den Major betrachtete. Denn dass<br />
diese Abneigung bestand, <strong>des</strong>sen war sie sicher. Da sie an seinem Auftreten<br />
nichts erkennen konnte, was einen derartigen Widerwillen begründet<br />
hätte, nahm sie sich vor, die Ursache dieses seltsamen Sachverhaltes zu<br />
erkunden. Auch ließ in seinem Benehmen, als er der Gastgeberin gegenübertrat,<br />
nichts darauf schließen, dass er und Lady Morland einander früher<br />
einmal nahe gestanden hatten.<br />
Er ergriff ihre ausgestreckte Hand für einen kurzen Augenblick. Falls<br />
die Lady geglaubt hatte, er würde den galanten Ritter spielen und ihre<br />
Fingerspitzen küssen, wurde sie allerdings enttäuscht. Er beugte sich nur<br />
höflich darüber, bevor er ihre Hand wieder losließ.<br />
„Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind, Brin. Es ist<br />
wunderbar, Sie nach all den Jahren wieder zu sehen.“<br />
„Ich wäre um nichts in der Welt ferngeblieben. Endlich bietet sich mir<br />
die Gelegenheit, Ihnen für die Freundlichkeit zu danken, die Sie meinem<br />
Großvater erwiesen haben, indem Sie ihn während meiner Abwesenheit so<br />
oft besuchten.“ Da er ihr leichtes Stirnrunzeln als Widerstreben missdeutete,<br />
über ihre Güte zu reden, wechselte er rasch das Thema. „Sie sehen<br />
sehr gut aus, Lady Morland. Die Zeit ist freundlich mit Ihnen umgegangen.“<br />
Sie verzog schmollend den Mund, was an einem Mädchen von sechzehn<br />
hübsch ausgesehen hätte, an einer Frau Mitte der zwanzig jedoch<br />
eher lächerlich wirkte. „So reserviert, Sir? Soll ich Sie jetzt mit Major<br />
Carter anreden?“<br />
„Wenn Sie das wünschen, Madam. Ich finde jedoch, unsere frühere<br />
Freundschaft würde ein bisschen weniger Formalität erlauben.“<br />
„Wir waren mehr als nur Freunde, Brin“, erinnerte sie ihn, hob den<br />
Kopf und schaute ihn flehend an. „Haben Sie mir immer noch nicht vergeben?“<br />
Der Ausdruck in seinen Augen war schwer zu deuten. „Ich trage Ihnen<br />
nichts nach, meine Liebe“, sagte er. „Während der vergangenen Jahre<br />
habe ich gelegentlich über den glücklichen Umstand nachgedacht, dass<br />
junge Damen schneller erwachsen werden als junge Männer. Am Ende<br />
war ich dankbar, dass Sie zu viel Verstand hatten, um unsere Freundschaft<br />
für ein tieferes Gefühl zu halten. Allein dafür werde ich immer in<br />
Ihrer Schuld stehen.“<br />
Das war nicht die Antwort, die sie erhofft hatte. Zuerst hatte sie ver-<br />
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