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Spion des Herzens

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„So?“ Verity nahm auf der Bettkante Platz. „Gibt es etwas Wichtiges,<br />

worüber wir sprechen müssen?“<br />

„Aber nein, ich dachte nur, dass es nett wäre, ein bisschen mit dir zu<br />

plaudern.“ Da Lady Billington mit ihrer Frisur zufrieden war, schickte sie<br />

ihre Zofe weg. „Was hast du heute gemacht?“ fragte sie, nachdem Dodd<br />

die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Hoffentlich hast du dich nicht gelangweilt.“<br />

„Nicht im Min<strong>des</strong>ten, Tante. Ich habe hier auf Ravenhurst eine sehr<br />

angenehme Zeit verbracht. Wie war dein Tag?“<br />

Lady Billingtons Lippen verzogen sich zu einem geheimnisvollen Lächeln.<br />

„Sehr interessant und auch sehr aufschlussreich.“<br />

„So?“<br />

„Ja, Liebes. Je besser ich Major Carter kennen lerne, <strong>des</strong>to sympathischer<br />

finde ich ihn.“<br />

„Nun, er besitzt die Gabe, Menschen für sich zu gewinnen.“ Verity inspizierte<br />

angelegentlich ihre Fingernägel. „Und wie hat dir die Gesellschaft<br />

der anderen Damen gefallen? Hat Lady Caroline in ihrer gebieterischen<br />

Art mit einem ‘Wir gehen dorthin’ Anweisungen erteilt?“<br />

Ihre Tante schüttelte indigniert den Kopf. „Dass ihre Mutter nicht zumin<strong>des</strong>t<br />

versucht, sie zu dämpfen, begreife ich nicht. Eines steht jedenfalls<br />

fest --- Major Carter ist kein Mann, der solchen Unsinn toleriert. Sie<br />

wollte mit ihm in seinem Curricle zurückfahren, doch er machte ihr unmissverständlich<br />

klar, dass er das schon Clarissa Fenner versprochen<br />

habe. Als er Lady Caroline aufforderte, in die Barouche zu steigen, gehorchte<br />

sie ohne Widerrede.“ Bei der Erinnerung daran kicherte Lady Billington<br />

und stand auf. „Offenbar ist das die richtige Art, mit der Tochter<br />

<strong>des</strong> Earl umzugehen.“<br />

Brin hatte also von Lady Caroline genug gehabt und für die Rückfahrt<br />

Clarissa Fenner als Begleiterin gewählt. Das ist also die Erklärung für<br />

Hilarys durchsichtige Szene von vorhin, überlegte Verity, während sie mit<br />

ihrer Tante die Treppe hinunterging. Als Einzige, die nicht mit dem Major<br />

in seinem Wagen gefahren war, hatte sie sich ausgeschlossen gefühlt und<br />

versucht, sich auf andere Weise seine Aufmerksamkeit zu sichern. Ob<br />

eine vorgetäuschte Ohnmacht allerdings die richtige Taktik war, blieb<br />

in<strong>des</strong> fraglich, zumal sich Brin keinen Augenblick lang hatte in die Irre<br />

führen lassen. Auch wenn er früher für weibliche Listen empfänglich gewesen<br />

war, so hatte sich das inzwischen offenbar grundlegend geändert.<br />

„Es klingt, als wären weitere Gäste eingetroffen“, meinte Lady Billington,<br />

als sie die Halle erreichten.<br />

Verity hatte völlig vergessen, dass Sarah erwähnt hatte, sie habe einige<br />

männliche Nachbarn zum Dinner eingeladen, damit Brin sich in der ansonsten<br />

rein weiblichen Tischrunde nicht zu einsam fühlte. Dabei bezweifelte<br />

Verity, dass sich Sarah seinetwegen Sorgen machen musste. Er war<br />

durchaus imstande, sich in jeder Gesellschaft zurechtzufinden, ob sie<br />

nun weiblich, männlich oder gemischt war. Das ist mehr, als ich von mir<br />

selbst sagen kann, dachte Verity, die sich an die unbehaglichen Momente<br />

im Garten erinnerte, als ihr unter seinem Blick die Knie weich geworden<br />

waren. Es war vermutlich besser, wenn auch noch andere Gentlemen<br />

anwesend waren --- nicht nur seinet-, sondern auch ihretwegen.<br />

In ihrer Verwirrung war es wohl unvermeidlich, dass sie beim Betreten<br />

<strong>des</strong> Salons als Erstes Brin bemerkte, der am Fenster stand und sich mit<br />

einem jovialen Herrn unterhielt, <strong>des</strong>sen rote Gesichtsfarbe eine Vorliebe<br />

für Portwein verriet. Dann näherte sich ihr auch schon ihre Gastgeberin<br />

in Begleitung eines mittelgroßen jungen Gentleman, den sie als den Honourable<br />

Mr. Claud Castleford vorstellte.<br />

Der Name Castleford genügte, dass Verity die Ohren spitzte und dem<br />

jungen Mann ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte. Abgesehen von blauen<br />

Augen, deren Ausdruck Intelligenz und Humor verriet, war an Lord<br />

Castlefords Sohn äußerlich nichts Bemerkenswertes. Obwohl er nicht<br />

besonders gut aussah und seine Gestalt wenig beeindruckend wirkte,<br />

fand Verity ihn schon nach wenigen Minuten sehr sympathisch. Er benahm<br />

sich offen und freundlich, ohne aufdringlich zu sein, sodass sich<br />

Verity freute, ihn beim Dinner als Tischnachbarn zu haben.<br />

„In London habe ich Mr. Lawrence Castleford kennen gelernt --- Ihr<br />

Cousin, wenn ich recht informiert bin“, sagte sie, während sie sich von<br />

den geschmorten Pilzen in würziger Sauce bediente.<br />

„O ja, Lawrence liebt es, in der Gesellschaft zu glänzen. Ein attraktiver<br />

Bursche, nicht wahr?“<br />

„Ja, er sieht gut aus“, bestätigte sie in einem Ton, der deutlich verriet,<br />

dass sie nicht sonderlich beeindruckt gewesen war.<br />

„Wie erfrischend, eine junge Dame zu treffen, die von dem Adonis in<br />

unserer Familie nicht bezaubert ist. Es ist wie ein Dorn im Fleische meines<br />

Vaters, dass ich meinem geistreichen Cousin so gar nicht gleiche. Ich<br />

bevorzuge ein ruhige Leben und bin damit zufrieden, mich hier um die<br />

Verwaltung <strong>des</strong> Gutes zu kümmern.“<br />

Verity erinnerte sich an die Behauptung ihrer Tante, dass Lord Castleford<br />

die Gesellschaft seines Neffen der seines Sohnes vorziehen würde. In<br />

Clauds angenehmer Stimme schwang weder Ärger noch Bitterkeit mit,<br />

und dennoch war sie überzeugt, dass der junge Mann unter der Ungerechtigkeit<br />

seines Vaters litt.<br />

„Das ist doch kein Verbrechen, Mr. Castleford. Ein Gut verwaltet sich<br />

schließlich nicht selbst. Und was Sie mit Ihrer Zeit anfangen, ist wesentlich<br />

sinnvoller, als in der Gesellschaft zu glänzen.“<br />

„So denke ich auch, Miss Harcourt.“ Er lächelte plötzlich. „Dabei ist es<br />

ja nicht so, dass ich nicht versucht hätte, den eleganten Gentleman zu<br />

spielen. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit einen Curricle und ein Paar<br />

schöner Grauschimmel erstanden. Das war ziemlich dumm von mir. Wo<br />

soll ich mich in mit einer so kostspieligen Aufmachung sehen lassen? Nur<br />

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