Spion des Herzens
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Spion des Herzens
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Der Mann betrachtete angewidert das feuchte Knäuel. „Nein behalten<br />
Sie das Tuch. Es soll Sie daran erinnern, nie wieder etwas so Törichtes zu<br />
tun.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie glauben doch wohl<br />
nicht, dass diese Verkleidung irgendjemand täuschen kann. Für einen<br />
Jungen sind Sie viel zu hübsch.“<br />
Ohne das Kompliment zu beachten, warf sie ihm unter den feuchten<br />
Wimpern einen wütenden Blick zu. „Was hätte ich sonst tun sollen?<br />
Schließlich konnte ich nicht im Unterrock herkommen.“<br />
„Sie sollten gar nicht hier sein.“<br />
„Das wäre ich auch nicht, wenn ich geglaubt hätte, mein Onkel würde<br />
auf Grund meiner Informationen handeln.“ Sie stand auf und entfernte<br />
sich ein paar Schritte. „Und was tun Sie hier?“ Ihre Neugier hatte über<br />
den Ärger gesiegt. „Haben Sie lediglich den Kutscher gespielt, um ein Auge<br />
auf den Schweizer zu haben?“<br />
„Ja, nur dass er kein Schweizer ist, Mädchen, sondern Franzose und<br />
zudem einer von Napoleons besten Agenten.“<br />
„Arbeiten Sie für Lord Charles?“<br />
„Sagen wir lieber, ich arbeite momentan mit ihm zusammen. Und es<br />
hilft unserem Fall, wenn die Informationen, die wir erhalten, genau sind.<br />
Dieses Treffen findet übrigens um neun und nicht um acht statt, wie Sie<br />
behauptet haben. Das hat mir die Wirtin freundlicherweise mitgeteilt.“<br />
Verity runzelte die Stirn. Sie hätte schwören mögen, dass es acht Uhr<br />
geheißen hatte. „Ich habe auch etwas erfahren“, berichtete sie, um zu<br />
beweisen, dass ihre Anwesenheit keine Zeitverschwendung war. „Die Leute<br />
haben sich schon öfter hier verabredet. Es wäre vielleicht sinnvoll, eine<br />
Wache aufzustellen.“ Sie bückte sich und hob ihre Kappe auf, die er auf<br />
den Boden geworfen hatte. „Da Sie jetzt hier sind, kann ich ja wieder nach<br />
London zurückreiten.“<br />
„O nein, Mädchen.“ Er versperrte ihr den Weg zur Tür. „Sie bleiben bei<br />
mir. Ich werde Sie in die Stadt zurückbegleiten, sobald unsere Freunde<br />
gegangen sind.“ Er klopfte neben sich auf das Bett. „Setzen Sie sich, und<br />
machen Sie es sich bequem. Vielleicht müssen wir lange warten.“<br />
„Bequem sitzen?“ Der vernichtende Blick, den sie ihm zuwarf, hätte jeden<br />
anderen eingeschüchtert. „Sie haben doch dafür gesorgt, dass ich<br />
dazu geraume Zeit nicht in der Lage sein werde.“<br />
„Das hatten Sie verdient“, lautete seine lakonischen Antwort. „Sie sind<br />
ein halsstarriges und verwöhntes Mädchen, das stets seinen Willen<br />
durchsetzen will und das leider meistens auch schafft. Wenn Redmond<br />
Sie vor Jahren besser erzogen hätte, wären mir diese Schwierigkeiten erspart<br />
geblieben.“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Und ich bezweifle,<br />
dass es damit ein Ende hat.“<br />
Verity unterdrückte die ärgerliche Erwiderung, die ihr schon auf der<br />
Zunge lag, als ihr ein neuer Gedanke kam. „Sie kennen meinen Onkel<br />
Lucius, nicht wahr? Und wir haben uns schon früher getroffen. Wer sind<br />
Sie?“<br />
„Ja, ich kenne ihn, und Sie habe ich in Yorkshire gesehen. Wer ich<br />
bin? Es ist besser, wenn Sie das zur Zeit noch nicht wissen, Mädchen. Ich<br />
bin einfach ... der Kutscher.“<br />
Verity war damit keineswegs zufrieden. Bevor sie jedoch weiter in ihn<br />
dringen konnte, hörte sie vom Treppenabsatz her Geräusche, gefolgt vom<br />
Klang jovialer Stimmen. Der Kutscher legte warnend einen Finger vor den<br />
Mund, als er sich vom Bett erhob. Trotz seiner Größe bewegte er sich ungeheuer<br />
leichtfüßig. Er wartete einen Moment und lauschte, bevor er die<br />
Tür ein wenig öffnete und hinausspähte. Die Stimmen waren jetzt deutlich<br />
zu hören, doch in keiner schwang ein ausländischer Akzent mit.<br />
Nachdem sich die Tür <strong>des</strong> Privatsalons geschlossen hatte, blickte der Kutscher<br />
Verity mit einem seltsamen Funkeln in den Augen an.<br />
„Falls Sie mich den ganzen Weg umsonst hier herausgeschleppt haben,<br />
Mädchen, werde ich ...“<br />
„Was stimmt denn nicht?“ unterbrach sie ihn. „War der Franzose nicht<br />
dabei?“<br />
„Nein, das war er nicht. Ich gehe jetzt dort hinein. Und nur für den<br />
Fall, dass Sie daran denken, zu verschwinden, schließe ich Sie jetzt ein“,<br />
setzte er hinzu. Bevor sie protestieren konnte, war er schon draußen, und<br />
der Schlüssel drehte sich im Schloss.<br />
Verity kochte vor Zorn. Am liebsten hätte sie mit den Fäusten gegen<br />
die Tür gehämmert und aus Leibeskräften geschrien, doch dadurch hätte<br />
sie womöglich die Männer im Zimmer gegenüber gewarnt. Außerdem traute<br />
sie dem Kutscher zu, dass er zurückkehren und sie erneut so brutal<br />
behandeln würde wie vorhin.<br />
Sie wollte sich gerade wieder auf das Bett setzen, als ihr Blick auf die<br />
geblümten Vorhänge fiel. Sie zog die Gardinen zurück und sah, dass das<br />
Fenster groß genug war, um hinauszuklettern. Zum Glück ließ sich der<br />
einzelne Flügel, unter dem sich direkt das abfallende Dach befand, leicht<br />
öffnen. Sie stopfte die Haare unter die Kappe und kletterte auf den Sims.<br />
Nachdem sie vorsichtig über die Ziegel gelaufen war, ließ sie sich an der<br />
Dachkante hinunter und landete dank eines unter der Regentraufe stehenden<br />
Fasses mühelos auf dem Boden.<br />
Sie war erst ein paar Schritte in Richtung Stall gelaufen, als hinter ihr<br />
eine Tür geöffnet wurde. Beim Anblick er Person, die aus dem Haus kam,<br />
atmete Verity erleichtert auf.<br />
„Sie sind es, junger Herr. Ich dachte, Sie wären schon fort“, sagte die<br />
Wirtstochter und schloss sich ihr an. „Ich bin auf dem Weg zu einer alten<br />
Frau, der ich einen Korb mit Esswaren bringe.“<br />
„Und ich bin im Begriff wegzureiten“, erwiderte Verity. „Ich habe einen<br />
kleinen Spaziergang durch Ihr Dorf unternommen und bin sicher, dass<br />
meine Tante hier gern einmal übernachten wird.“<br />
„Ja, unser Haus ist hübsch ruhig, Sir. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen<br />
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