Revolutionstheorie heute ? 90 Jahre Oktoberrevolution ...
Revolutionstheorie heute ? 90 Jahre Oktoberrevolution ...
Revolutionstheorie heute ? 90 Jahre Oktoberrevolution ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
20<br />
Margret Johannsen: Palästina: Zwei Regierungen und kein Staat<br />
Abbas seinen Anspruch auf die Konzentration<br />
der Staatsgewalt beim Präsidialamt zunächst<br />
durch. Dass er ausgerechnet Dahlan mit dieser<br />
Funktion betraut hatte, dürfte das Ende der<br />
Einheitsregierung beschleunigt haben. Als<br />
Chef der Präventiven Sicherheit, einer Art Geheimer<br />
Staatspolizei der PA, betrieb Dahlan in<br />
den 19<strong>90</strong>er <strong>Jahre</strong>n die gnadenlose Verfolgung<br />
der Hamas. Später galt er als Kopf der Pro-<br />
Fatah-Milizen im Gazastreifen. In Israel wie in<br />
der US-Administration genoss Dahlan große<br />
Sympathien 7 – vor allem in Washington galt<br />
der 46-jährige als Repräsentant der „jungen<br />
Garde“ der Fatah und Hoffnungsträger nach<br />
einem Generationswechsel in der Führung der<br />
säkularen Nationalbewegung. Die Hamas<br />
hatte also gute Gründe, ihren alten Widersacher<br />
auch in seinem neuen Amt zu fürchten.<br />
Dass Abbas’ Präsidentengarde mit Geld und<br />
Ausbildungshilfe aus Washington verstärkt<br />
wurde, dass eine neue Fatah-Miliz unter Führung<br />
Dahlans für den Einsatz im Gazastreifen<br />
entstand, dass Fatah-Kämpfer in Ägypten trainiert<br />
und mit Billigung Israels in den<br />
Gazastreifen geschleust wurde, verschärfte die<br />
Spannungen zwischen den bewaffneten Kräften<br />
der rivalisierenden Koalitionspartner. Am<br />
12. Juni kamen die Exekutivkräfte der Hamas,<br />
eine von ihr als Gegengewicht zu den Fatahdominierten<br />
Polizeikräften aufgebaute Truppe,<br />
dem befürchteten Putsch der Fatah zuvor<br />
und brachten den Sicherheitsapparat in einem<br />
generalstabsmäßig geplanten Feldzug in ihre<br />
Gewalt. Ihr militärischer Sieg kostete Dahlan<br />
den Job.<br />
Seit der Machtübernahme der Hamas im<br />
Gazastreifen sind die palästinensischen Autonomiegebiete<br />
nicht nur territorial, sondern<br />
auch politisch zweigeteilt. Die Regierung Fayyads,<br />
die ihre Basis in der Westbank hat, erhielt<br />
umgehend die Anerkennung Israels, der USA<br />
und der EU und die Zusage, sie mit Geld und<br />
Gesten guten Willens zu stärken. Die<br />
Regierung Haniyehs, die im Gazastreifen<br />
herrscht, wird weiterhin in der Erwartung boykottiert,<br />
dass die Palästinenser unter dem<br />
Druck von Not und Hoffnungslosigkeit ihren<br />
Irrtum vom Januar 2006 korrigieren, sich von<br />
der geächteten Hamas abwenden und der abgewählten<br />
Fatah eine neue Chance geben.<br />
Nach der Absetzung der Einheitsregierung<br />
regierte Abbas zunächst per Dekret, erhielt<br />
allerdings die Unterstützung des PLO-Zentralrats.<br />
Die von der Fatah dominierte PLO<br />
und ihre Organe besitzen nach der Lesart des<br />
Präsidenten eine höhere Legitimität als der<br />
Legislativrat, weil sie nicht nur die Palästinenser<br />
in den besetzten Gebieten, sondern auch<br />
die in der Diaspora lebenden repräsentieren.<br />
Während das Machtteilungsarrangement von<br />
Mekka noch vorgesehen hatte, dass die Hamas<br />
der PLO beitritt, ist hiervon unter den neuen<br />
Bedingungen der vertieften politischen Spaltung<br />
vorerst nicht mehr die Rede. Richtet man<br />
den Blick über Palästina hinaus auf die gesamte<br />
Region, so könnte noch mehr auf der<br />
Strecke geblieben sein: Das Experiment einer<br />
zur Integration in die Politik bereiten Variante<br />
des politischen Islam, durch freie Wahlen in<br />
Regierungsverantwortung zu gelangen, sich<br />
den demokratischen Spielregeln zu unterwerfen<br />
und trotz Wahlsieg die Macht mit den<br />
Verlierern zu teilen, ist vorerst gescheitert.<br />
Wird sich der „Bruderkrieg“ in der Westbank<br />
wiederholen? Vermutlich nicht. Zwar ist<br />
die Hamas auch in der Westbank populär.<br />
Aber sie ist politisch geschwächt, weil ein Teil<br />
ihrer zivilen Führungspersönlichkeiten (Minister,<br />
Abgeordnete, Bürgermeister) in Haft ist;<br />
ihr militärischer Flügel kann zudem angesichts<br />
der israelischen Militärpräsenz nur im Untergrund<br />
operieren. Für ein Show-down mit der<br />
Fatah sind dies schlechte Voraussetzungen.<br />
Auch umgekehrt kann bezweifelt werden, dass<br />
die Fatah den offenen Kampf mit der Hamas<br />
sucht. Zwar ist die Fatah in der Westbank besser<br />
verankert als im Gazastreifen, aber eine<br />
kohärente Bewegung ist sie nicht – weder an<br />
der Basis noch im Zentralkomitee ist die<br />
Entscheidung der Führung, im Gazastreifen<br />
die militärische Machtprobe mit der Hamas zu<br />
wagen, unumstritten. 8 Schließlich besteht die<br />
Krise der Fatah fort, die zu ihrer Wahlniederlage<br />
geführt hat; in weiten Teilen der Bevölkerung<br />
wirft man ihr Verknöcherung, Lagerkämpfe,<br />
Nepotismus, Korruption und Inef-