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Revolutionstheorie heute ? 90 Jahre Oktoberrevolution ...

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42 Uwe-Jens Heuer: Die <strong>Oktoberrevolution</strong> und der Kommune-Entwurf<br />

dieser Frage konfrontiert, als es um die 5-Prozent-Klausel<br />

für das gesamte Wahlgebiet ging.<br />

Richard Schröder (SPD/DDR) erklärte, das<br />

Parlament sei „kein Repräsentantenhaus, das<br />

möglichst das politische Spektrum des Landes<br />

vollständig widerspiegeln soll. Das ist Aufgabe<br />

der Medien“ und dem dann von Hans-Jochen<br />

Vogel (SPD-BRD) mit den Worten sekundiert<br />

wurde, „Die Parteienzersplitterung war mit<br />

eine der Ursachen und der Schwierigkeiten<br />

des Endes der Weimarer Republik“. Gleichzeitig<br />

sinkt die Effizienz der Parlamente und<br />

das Ansehen der Parlamentarier. „Die ‚weiche’<br />

Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts<br />

wird durch das freundliche Zugeständnis kompensiert,<br />

sich in regelmäßigen Abständen<br />

durch Wahlen zu legitimieren“ (S. 312). Das<br />

Ziel besteht darin, „die radikalen Minderheiten<br />

in den ‚Überflussgesellschaften’ daran<br />

zu hindern, in diesem System mitzureden und<br />

es zu stören“ (S. 315). Es siegt eine gemischte<br />

Verfassung, in der im Zentrum nur die<br />

Reichen zählen. „Und der Rest der Welt wird<br />

mit der Waffe in der Hand in Reih und Glied<br />

gebracht“ (S. 324).<br />

Canfora schließt dann mit einem Hinweis<br />

auf Aristoteles, der den Begriff der Demokratie<br />

„von der Vorstellung der einfachen<br />

numerischen Mehrheit befreit“. Benedetto<br />

Croce war gegen Demokratie, weil sie, um mit<br />

Aristoteles zu sprechen, die Klassenbeziehungen<br />

„mit einem tendenziellen ‚Übergewicht<br />

des demos’ verband“. Toqueville verfocht die<br />

Freiheit gegen die Demokratie (S. 354 f.). Im<br />

20. Jahrhundert wurde sie dann zum positiven<br />

Gegenpol des „Sozialismus“ oder „Kommunismus“.<br />

Arthur Rosenberg habe mit Recht<br />

darauf hingewiesen, „dass man ‚Demokratie’<br />

nicht auf ein Synonym für ‚parlamentarisches<br />

System’ reduzieren kann und dass Russland im<br />

Jahr eins der Revolution eine ‚Demokratie’,<br />

die zeitgenössische französische Dritte Republik<br />

aber eine ‚Oligarchie’ war“(S. 355).<br />

„Was am Ende – oder besser: beim gegenwärtigen<br />

Stand der Dinge – die Oberhand gewonnen<br />

hat, ist die ‚Freiheit’. Sie ist im Begriff,<br />

die Demokratie zu besiegen. Wohlgemerkt<br />

nicht die Freiheit aller, sondern die Freiheit<br />

derjenigen, die aus dem Konkurrenzkampf als<br />

die ‚Stärkeren’ hervorgehen (seien es Staaten,<br />

Regionen oder Individuen).“ Die Freiheit aber<br />

herrsche entweder total oder gar nicht „und<br />

jede Begrenzung zugunsten der weniger<br />

‚Starken’ wäre eine Einschränkung der anderen“<br />

(S. 256). Die Freiheit hat in den reichen<br />

Ländern gesiegt. „Die Demokratie ist auf andere<br />

Epochen verschoben und wird von anderen<br />

Menschen neu konzipiert werden. Vielleicht<br />

nicht mehr von Europäern.“ (S. 357)<br />

Mit diesem Schluss ist ein ganz anderes<br />

Gegensatzpaar entwickelt, oligarchischer Liberalismus<br />

(verbunden mit (Neo-)Kolonialismus)<br />

oder Demokratismus. Im Interesse der<br />

Demokratisierung kann es allerdings auch liegen,<br />

Gewalt anzuwenden, Freiheiten einzuschränken.<br />

Die Behauptung, dass jeder Schritt<br />

demokratisch sein muss, ist eben nichts anderes<br />

als eine Phrase. Bertolt Brecht schrieb zum<br />

Aufstand der „vollkommen Ehrlichen“: Diese<br />

„Geschichte zeigt, wie ein Unternehmen zur<br />

Einführung der Demokratie durch (vorzeitige)<br />

Demokratie verunglückt. Die Erarbeitung<br />

einer Grundlage für Demokratie kann in den<br />

seltensten Fällen auf demokratische Weise<br />

erfolgen.“ Demokratisches Verhalten sei „ein<br />

solches Verhalten, das Demokratie ermöglicht,<br />

nicht eines, das Demokratie zeigt.“ 8 Gewalt<br />

kann diesen Prozess behindern, aber auch<br />

befördern. Dialog gehört zur Demokratie.<br />

Aber totale Freiheit aller auf jeder Entwicklungsstufe<br />

dürfte für absehbare Zeit unmöglich<br />

sein.<br />

1 Lenin, Werke, Berlin 1955 ff., hinfort als LeW zitiert, Bd.<br />

23 S. 372.<br />

2 L. Trotzki, Mein Leben, Berlin 19<strong>90</strong>, S. 297 f.<br />

3 Vgl. dazu die bei U.-J. Heuer, Marxismus und Demokratie,<br />

Berlin bzw. Baden-Baden 1989, S. 363-367 angeführten<br />

Autoren.<br />

4 W. I. Lenin, Staat und Revolution 1917, W. I. Lenin, Werke<br />

Bd. 25, Berlin 1960, S. 475, W.I. Lenin, Thesen und Referat<br />

auf dem I. Kongress der Kommunistischen Internationale,<br />

1919, W.I. Lenin, Werke Bd. 28, Berlin 1959, S. 481.<br />

5 D. Losurdo, Der Marxismus Antonio Gramscis, Hamburg<br />

2000, S. 95-97, S. 109, S. 97.<br />

6 D. Losurdo, „Die Demokratie als universeller Wert“,<br />

Marxistische Blätter 2001, H. 1, S. 23, 22.<br />

7 R. Dahrendorf, An der Schwelle zum autoritären<br />

Jahrhundert, DIE ZEIT 14.11.1997.<br />

8 B. Brecht Tui-Geschichten 1933 Große kommentierte<br />

Berliner und Frankfurter Ausgabe XVII 1989 S. 105.

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