Revolutionstheorie heute ? 90 Jahre Oktoberrevolution ...
Revolutionstheorie heute ? 90 Jahre Oktoberrevolution ...
Revolutionstheorie heute ? 90 Jahre Oktoberrevolution ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
38<br />
Uwe-Jens Heuer: Die <strong>Oktoberrevolution</strong> und der Kommune-Entwurf<br />
charakterisiert wurde. 3 Es erwies sich, dass das<br />
sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln<br />
eine staatliche Wirtschaftsplanung in<br />
mehr oder weniger dirigistischer Form erforderte,<br />
dass die Verteilung nach der Leistung<br />
der staatlich sanktionierten rechtlichen Regelung<br />
bedurfte, dass bei fortbestehenden Ausbeuterklassen<br />
Repression notwendig blieb,<br />
aber auch nach deren Enteignung fortbestand,<br />
dass vornehmlich die äußere Auseinandersetzung<br />
mit den bürgerlichen Nachbarn ohne<br />
Staat nicht auskam bis hin zum Extrem der<br />
Errichtung der Mauer an der Westgrenze der<br />
DDR. Die Repression nahm sicherlich im<br />
Laufe der <strong>Jahre</strong> ab, blieb aber bestehen. Der<br />
Staat fiel keineswegs von selbst. Er ist nicht<br />
minder zählebig als die Gesetze des Marktes.<br />
Die damalige Gleichsetzung von Diktatur<br />
des Proletariats und Demokratie als Macht des<br />
Volkes negierte ein spezifisches Demokratieproblem,<br />
da ohnehin das Volk herrsche. Lenin<br />
hatte demgegenüber immer zwischen diktatorischer<br />
Unterdrückung und Demokratie unterschieden.<br />
Dort, wo es Unterdrückung, wo es<br />
Gewalt gäbe, gäbe es keine Freiheit, keine<br />
Demokratie. Ohne Aufhebung der Staatsmacht<br />
sei „der wahre Demokratismus, d. h.<br />
Gleichheit und Freiheit, nicht erreichbar.“ 4<br />
Solange der Staat als Zwangsinstrument besteht,<br />
ist vollständige Demokratie nicht möglich.<br />
Insofern konnte sinnvoll nicht von der<br />
vollständigen Volksherrschaft gesprochen werden,<br />
sondern „nur“ von der Demokratisierung<br />
des bestehenden Staates. Demokratisierung<br />
bedeutet nicht Herrschaft oder Macht des Volkes,<br />
sondern Erhöhung seines Einflusses auf<br />
den „eigenen Staat“.<br />
Nun könnte man den Einwand erheben,<br />
dass sich das alles aus der Tatsache ergäbe,<br />
dass sich der Sozialismus nur in einem Teil der<br />
Welt entwickelt hat. Ich will deshalb noch<br />
einen Schritt weitergehen und die Behauptung<br />
aufstellen, dass wir uns für die absehbare<br />
Zukunft von dem Ziel einer Gesellschaft ohne<br />
Macht und Herrschaft verabschieden sollten.<br />
Es war ausgedrückt im Marxschen Entwurf<br />
der Pariser Kommune und wurde dann kurze<br />
Zeit (1917) von Lenin aufgenommen. Es wur-<br />
de dann in der DDR als bereits verwirklicht<br />
charakterisiert (DDR kein Staat im eigentlichen<br />
Sinne mehr). Demokratie wurde nicht<br />
als Entwicklungsprozess gesehen, sondern als<br />
ein für allemal erreicht.<br />
Domenico Losurdo bezeichnete die Überlegungen<br />
von Marx und Engels zum Absterben<br />
des Staates als anfechtbar. Sie hätten<br />
sich aus den historischen Erfahrungen mit den<br />
Militärdiktaturen in Frankreich einerseits und<br />
der für notwendig gehaltenen Abweisung<br />
anarchistischer Kritik andererseits ergeben. Es<br />
ging um den Versuch, „der drohenden Anklage<br />
des Etatismus zu entgehen“. Lenin hätte<br />
1917 in „Staat und Revolution“ in der notwendigen<br />
Abrechnung mit dem Sozialchauvinismus<br />
den Marxismus auf den Anarchismus heruntergebracht.<br />
5 Ich denke <strong>heute</strong>, dass für den<br />
in der Schweiz, einem entwickelten kapitalistischen<br />
Land, lebenden Lenin sein Kommune-<br />
Entwurf in erster Linie für das Vorantreiben<br />
der Revolution, nicht aber für den neuen Staat<br />
gedacht war. Nur so ist wohl der rasche Paradigmenwechsel<br />
zu erklären.<br />
Es gibt viele Ursachen für die Fortexistenz<br />
des Staates für alle absehbare Zukunft. Allein<br />
solange es Knappheit gibt, wird es einen Staat<br />
geben müssen. Eine durchgreifende Lösung<br />
zur Rettung der Umwelt ist wohl erst recht<br />
ohne Einsatz des Staates unmöglich.<br />
Widerlegt ist zweitens gleichermaßen die<br />
Annahme von Marx und Engels von der sich<br />
ständig verstärkenden Zentralisierung des<br />
bürgerlichen Staates und die damit verbundene<br />
Aufassung, dass es keine demokratischen<br />
Verbesserungen geben könne, die in der kommunistischen<br />
Bewegung fortwirkte, aber auch<br />
die Vorstellung von Bernstein und Kautsky<br />
und der sich auf sie stützenden Sozialdemokraten<br />
von der ständigen Entwicklung der<br />
Demokratie.<br />
Marx hatte dem Ausbau des Staatsapparats<br />
Napoleons des III. die Revolution kontrapunktisch<br />
gegenübergestellt. Diese Zentralisation<br />
der Macht trug dazu bei, eine entsprechende<br />
Zentralisation der Gegenmacht zu fordern,<br />
eben in Gestalt der Diktatur des Proletariats.<br />
Der erste Weltkrieg mit seiner massi-