Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Der Rektor als Führer 113<br />
die Tendenz der SA zur „zweiten Revolution", deren hochschulpolitische Lesart auf<br />
die volle Verwirklichung des politischen Führerprinzips auch im Hörsaal und im<br />
<strong>Institut</strong> hinauslief.<br />
Weder die Diskriminierung des Gelehrten noch die Bedrohung der Einheit von<br />
Forschung und Lehre vertrug sich mit den Interessen der Hochschullehrer selbst,<br />
einschließlich derjenigen, die dem Nationalsozialismus zuneigten. Eine vermittelnde<br />
Richtung begünstigte daher eine Rektoratsreform, die der Wissenschaft den Anspruch<br />
auf politisches Führungsformat bestätigte und die Brücken zur Vergangenheit<br />
nicht gänzlich abbrach. Sie vermochte den Leiter der Reichsfachschaft Hochschullehrer<br />
und Wissenschafter im NSLB, Erich Seidl, zu gewinnen, der im September<br />
1933 einen auf dieser Basis entwickelten Reformplan vorlegte. „Die Organisation<br />
der Hochschule", hieß es darin, „beruht auf der Verknüpfung von Führertum<br />
mit Selbstverwaltung und akademischer Freiheit." Der Führer der Universität<br />
habe „Recht und Pflicht zum verantwortlichen Handeln aus eigenem Entschluß",<br />
solle aber zugleich verpflichtet sein, „den Rat der zuständigen und verantwortlichen<br />
Sachverständigen ... zu hören" 37 . Und zwar bestach auf der Suche nach einer<br />
kraftvoll ordnenden und dennoch überschaubar kontrollierten Führung das Muster<br />
des militärischen Stabes, wie denn das Offiziersideal mit den Elementen der kämpferisch-aristokratischen<br />
Auslese und der gemeinschaftsbildenden Menschenführung<br />
in verschiedener Hinsicht auf die Universitätsreform eingewirkt hat 38 . Als wesentliches<br />
Organ der „Raterteilung" wurde die „aus der Armee übernommene" Instanz<br />
eines „Zweitführers" konzipiert, welcher - halb Stabschef, halb Kanzler - „zwar<br />
keine Kontrollfunktion, aber die Pflicht zu kritisch fördernden Vorschlägen" haben<br />
sollte, verbunden mit einer „Berichtspflicht", wenn „der Rektor gegen seine Warnung<br />
entscheidet" 39 . Dieser Zweitführer (auch „Zwieführer") entstammte einer<br />
Anregung aus Gießen und hatte in die dortige Universitätsverfassung Eingang<br />
gefunden 40 . Seidls Entwurf klammerte sich an die Hoffnung, den Zwiespalt zwischen<br />
Führung und Freiheit durch zentralistische Aufsicht zu überbrücken, und gipfelte<br />
dementsprechend in dem Ruf nach einem reichseinheitlichen Hochschulrecht.<br />
Kein Zweifel, daß die Vorstellung einer straff kontrollierten politischen Führung,<br />
durch die die Wissenschaft sich selbst erzieht und an deren Spitze der Minister<br />
steht, auch die Reformideen des REM inspirierte. Rust selbst, ohne Einfluß und<br />
durch Herkunft und Blickfeld eher zur Schulpolitik gedrängt, hat der Hochschulreform<br />
kaum selbständige Impulse gegeben. Immerhin verbanden sich Ressort-<br />
37<br />
E. Seidl, Entwurf einer Hochschulreform, in: Nationalsozialistische Erziehung 2 (1933),<br />
S. 325-27.<br />
38<br />
„Truppenkörper sollen die Universitäten sein", die Professoren sollten sich zu „truppmäßiger<br />
Zusammenarbeit" finden (E. Anrieh, Universitäten als geistige Grenzfestungen,<br />
Stuttgart, Berlin 1936, S. 10, 17). „Jeder hat heute zu wissen, was ein Stab ist und wie ein Stab<br />
arbeitet, auch wenn er nicht Soldat war" (Fr. Neumann, Das politische Rektorat, a. a. O., S. 20).<br />
39<br />
Wissenschaft-Ehre-Einigkeit, Kundgebung der Hochschullehrer, Studenten und Wissenschafter<br />
zur Hochschulreform, in: Nationalsozialistische Erziehung 2 (1933), S. 402—05 (Rede<br />
Seidls vom 27. 10. 1933 in Berlin); E. Seidl, Entwurf, a.a.O., S. 326.<br />
40<br />
Wissenschaft-Ehre-Einigkeit, a.a.O., S. 404.