Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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120 Hellmut Seier<br />
einheitliche Führung der Hochschulen" setze voraus, daß die Ernennungen „allein<br />
durch den Reichswissenschaftsminister vollzogen" würden. Zudem lägen über<br />
künftige Rektoren neben „wissenschaftlichen Eignungsberichten" in der Regel<br />
„bereits ausführliche Gutachten der zuständigen Parteidienststellen (Gauleitung,<br />
NSLB, NS-Dozentenbund usw.) vor, so daß sich ein erneutes Einholen von Gutachten<br />
dieser Art erübrigt". Ausnahmen wollte das REM nur in „Zweifelsfällen"<br />
zulassen 67 . Die Taktik ging im übrigen dahin, den Konflikt als Streitfrage zwischen<br />
Reich und Ländern aufzufassen und mit den Länderverwaltungen direkt zu verhandeln.<br />
Selbst die Korrespondenz mit Murr wurde bis zu dessen Protest über das<br />
Württembergische Kultusministerium geleitet 68 , und bei dem Tübinger Rektoratswechsel<br />
im Frühjahr 1935 ignorierte das REM die Partei vollständig: es konnte, als<br />
der Reichsstatthalter die politische Integrität des neuen Rektors (Prof. Dr. phil.<br />
Friedrich Focke) bezweifelte, lediglich einen „persönlichen Brief" von Kultusminister<br />
Mergenthaler zu Fockes Gunsten vorweisen 69 . Murr seinerseits legte den<br />
Akzent von vornherein auf den Gegensatz von Partei und Staat und fühlte sich<br />
durch diesen Vorfall darin bestätigt 70 . So zog sich der Streit hartnäckig hin, und<br />
die Wende trat erst ein, nachdem Hitler den generellen Primat der Partei auf dem<br />
Reichsparteitag von 1935 bestätigt hatte und als durch den Erlaß vom 24. 9. 1935<br />
der Stellvertreter des Führers ein Mitwirkungsrecht bei der Ernennung von höheren<br />
Beamten erhielt 71 . Denn obgleich es „formell gesehen durchaus nicht zutreffend"<br />
war, wenn sich Murr nunmehr auf die Analogie zum Beamtenrecht berief 72 , trat<br />
das REM allmählich den Rückzug an. „Es kommt nicht auf formale Erwägungen<br />
an", bedeutete der Amtschef seinem Referenten, „sondern darauf, ob es nicht<br />
zweckmäßig ist, eine ,Bitte' zu erfüllen, was uns zu nichts verpflichtet." 73 Der<br />
Reichsstatthalter erhielt im Mai 1936 endlich die Zusicherung, es werde vor der<br />
Ernennung württembergischer Rektoren künftig seine „Stellungnahme" eingeholt<br />
werden 74 .<br />
Daß die Konzession „zu nichts " verpflichte, erwies sich schnell als irrig. Ein Jahr<br />
später schon war das Mitwirkungsrecht der Gauleiter fest etabliert. Es hatte sich<br />
67<br />
HAB-REM 53, REM an Murr (Konz.), 14. 8. 1935. Vgl. ebd. 48, Vermerk von MinDir.<br />
Vahlen, 22. 7. 1935: „Die Vorschläge beim Reichsstatthalter durchlaufen zu lassen, evtl. zur<br />
Stellungnahme, wäre das Äußerste. Die Ernennung muß unabhängig von der Zustimmung<br />
des Reichsstatthalters von hier erfolgen."<br />
68<br />
HAB-REM 60, Murr an REM, 18. 9. 1935.<br />
69<br />
HAB-REM 60ff., Murr an REM, 18. 9. 1935 und 23. 12. 1935; REM an Murr, 21. 11.<br />
1935 (Konz.). - Zur Rivalität Murr-Mergenthaler vgl. Bracher, Sauer, Schulz, a.a.O., S. 142f.<br />
70<br />
HAB-REM 79, Murr an REM, 23. 12. 1935.<br />
71<br />
Vgl. E. R. Huber, a.a.O., S. 276; G. Neeße, Staat und Partei (D. dt. Staat d. Gegenw.,<br />
20) Hamburg 1936, S. 47.<br />
72<br />
HAB-REM 80, Vermerk von MinR. Bacher, 9. 1. 1936: weil die Berufung eines Rektors<br />
keine Beamtenernennung sei, sondern ein „reiner Verwaltungsakt", der „Herrn Minister in<br />
eigener Zuständigkeit zukommt", wie ja denn die Partei auch nicht beteiligt sei, wenn ein<br />
Landgerichtspräsident etwa zum Vorsitzenden eines Schwurgerichts bestellt werde.<br />
73<br />
HAB-REM 80, Vermerk von MinDir. Vahlen, 3. 4. 1936.<br />
74 HAB-REM 81, REM an Murr, 12. 5. 1956 (Konz.).