Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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108 Hellmut Seier<br />
sehen Tributpflicht zwang. Dem gleichen Zweck diente die Gleichschaltung der<br />
Studentenschaft, bewirkt durch die Erfassung in der vom NSDStB beherrschten<br />
DSt 14 , die Lager und Kameradschaftshäuser einrichtete und den Korporationen<br />
jeden Einfluß entzog. Gleichwohl sind Erscheinungen der Kontinuität unüberseh<br />
bar. Ließ doch die Säuberungswelle, die den Aderlaß der Emigration auslöste,<br />
mehr als 85% der deutschen Hochschullehrer im Amt 16 . Wohl wurden Rektoren,<br />
Dekane und Senatoren im Frühjahr 1933 durch außerordentliche Neuwahlen ge<br />
wechselt, und die Wahl fiel in der Regel auf Professoren, die seit langem der Partei<br />
angehörten oder sich mit ihren Zielen identifiziert hatten. Und doch reizten die<br />
Universitäten, ihre akademischen Traditionen und <strong>Institut</strong>ionen, als Relikte der<br />
Vergangenheit bleibend den revolutionären Argwohn 16 . Die Gleichschaltung der<br />
Studentenschaft aber fand ihre kaum überschreitbare Grenze in der Unmöglichkeit,<br />
den Lehreffekt von Kolleg und Seminar durch politische Erziehung im Rahmen der<br />
studentischen Fachschaftsarbeit zu ersetzen 17 . So vollzog sich das Experiment der<br />
14 NSDStB = Nat. soz. Dtsch. Studentenbund; DSt = Dtsch. Studentenschaft. Weitere<br />
Abkürzungen: REM = Reichsministerium <strong>für</strong> Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung;<br />
NSDDozB = Nat. soz. Dtsch. Dozentenbund.; NSLB = Nat. soz. Lehrerbund.<br />
15 Nach Bracher, Sauer, Schulz, a. a. O., S. 321, wurden in der Machtergreifungsphase 14,34%<br />
der im Wintersemester 1932/33 amtierenden Hochschullehrer (11% der ordentlichen Professoren)<br />
entfernt, vgl. E. Y. Hartshorne, a.a.O., S. 93. In der Angabe von H. Huber, Der Aufbau<br />
des deutschen Hochschulwesens, Gräfenhainichen [1939], S. 7t., wonach bis 1938<br />
„durchschnittlich 45% aller beamteten wissenschaftlichen Stellen innerhalb der deutschen<br />
Hochschulen neu besetzt worden" seien, sind Versetzungen und Berufungen offenbar mitberücksichtigt.<br />
16 Zahlreiche, zum Teil groteske Belege <strong>für</strong> das tiefverwurzelte Mißtrauen der NSDAP<br />
gegenüber der Wissenschaft und ihren Trägern enthält eine Denkschrift „Schweigen hieße<br />
Verrat" (Bundesarchiv Koblenz, Reichskanzlei, R 43 II/940b; künftig zitiert: BA-R), die<br />
von dem Direktor des wehrpolitischen <strong>Institut</strong>s der Universität Berlin, Oberst Prof. Oskar<br />
Ritter von Niedermayer, und Mitarbeitern stammte und im Mai 1940 durch Vermittlung<br />
Keitels in die Reichskanzlei gelangte. In der Denkschrift (November 1939) heißt es: „Die<br />
Autorität der Universität, im weiteren Sinne der Wissenschaft ist zerstört, der Wissenschaftler,<br />
der Professor gilt, indem man ihn einfach zum intellektuellen' stempelt, geradezu als grundsätzlich<br />
anfechtbare Erscheinung .... Gauleiter Streicher hielt 1938 in der Berliner Universität<br />
eine Rede, die von Anfang bis zum Ende eine Herausforderung, ja Beschimpfung der<br />
Professoren, die man eingeladen hatte, war . . . ,Wenn man', so sagte er ungefähr, ,die<br />
Gehirne sämtlicher Universitätsprofessoren in die eine Waagschale legte und das Gehirn des<br />
Führers in die andere, welche Waagschale, glauben Sie, wird sich senken?' . . .". Kritik an<br />
der Rektorenkonferenz: E. K[rieck], Von den Hochschulen, in: Volk im Werden 1 (1933),<br />
H. 3, S. 62.<br />
17 Auf das verbreitete Bestreben der Studentenschaft, sich außerwissenschaftlichen Aufgaben<br />
und politischem Dienst nach Möglichkeit zu entziehen, wies das Sicherheitshauptamt<br />
in seinen Lageberichten (Document Center Berlin-Zehlendorf, künftig zitiert: DC-SHA)<br />
mehrfach hin, vgl. Jahreslagebericht 1938, II, S. 108: „Insgesamt ist bei den jungen Studenten<br />
die Tendenz zu beobachten, sich möglichst von jeder Art der politischen Betätigung fernzuhalten<br />
und . . . schnellstens den Abschluß des Studiums zu erreichen". - Für den Hinweis auf<br />
die Lageberichte bin ich Herrn Dr. Friedrich Zipfel, Berlin, zu freundschaftlichem Dank<br />
verbunden.