Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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124 Hellmut Seier<br />
öffentliche, da zwar die Behörde, nicht jedoch die Universität zur Aufschlüsselung<br />
des Ergebnisses gelangte. Die Struktur der Minderheit, das Gesicht der Gegner<br />
mußte dem „Führer der Universität" und bei genauer Befolgung der Vorschriften<br />
auch den Parteiorganen der Hochschule verborgen bleiben. Die Ausdehnung der<br />
Vorschlagsberechtigung auf die gesamte Dozentenschaft, gedacht als Begünstigung<br />
des nationalsozialistischen Nachwuchses und als Sprengsatz gegen die Ordinarienoligarchie,<br />
konnte auf eine formelle Demokratisierung des Wahlrechts hinauslaufen,<br />
falls Uneinigkeit und Gruppenbildung bestand.<br />
Wurde hier ein heikler, im Licht des Führerprinzips problematischer Weg beschritten,<br />
so bewies ein zweiter Erlaß, hastig konzipiert und zwei Tage vor dem<br />
„Wahltag" hinterhergeschickt, wie unbehaglich dem Ministerium zumute war.<br />
Dreierlei wurde zur Interpretation herausgestellt: 1. Der Rektorvorschlag sei keine<br />
Wahl, denn die Voten würden „nicht gezählt, sondern gewogen"; 2. Niemand sei<br />
bei seinem Votum an „Weisungen irgendwelcher Stellen innerhalb und außerhalb<br />
der Hochschule gebunden"; 3. „Mit dem angeordneten Vorschlagsverfahren ist eine<br />
Aufstellung von ,Kandidaten' ebenso unverträglich wie eine Verabredung zur<br />
grundsätzlichen Ablehnung bestimmter an sich vorschlagbarer Hochschullehrer." 88<br />
Das REM be<strong>für</strong>chtete demnach nicht bloß die prinzipielle Mißdeutung, sondern<br />
überdies eine Art getarnter Fraktionsbildung, wobei es besonders den Druck von<br />
außen (d. h. doch wohl den Einfluß der Partei) auszuschließen wünschte. Unterdessen<br />
kamen von allen Seiten Hinweise, daß die feine Unterscheidung zwischen<br />
„Vorschlag" und „Wahl" entweder von niemandem verstanden wurde, oder daß<br />
jedermann einen Vorwand darin sah, ihn zu ignorieren. Das Kultusministerium<br />
in Karlsruhe gab den Erlaß mit einem Begleitschreiben weiter, in dem unentwegt<br />
von der bevorstehenden „Wahl" (Wählbarkeit, Wahlberechtigung, Wahlhandlung)<br />
die Rede war. Der Universitätsrat in Tübingen, bis dahin wahlberechtigt und jetzt<br />
vom Vorschlagsverfahren ausgeschlossen, beschwerte sich und pochte auf seine<br />
„wohlerworbenen Rechte". Nach dem 15. 2. meldete eine Hochschulkorrespondenz<br />
aus Erlangen, der dortige Rektor sei „mit 95% der Stimmen wiedergewählt", und<br />
die bürgerliche „Deutsche Allgemeine Zeitung" riskierte die Formulierung, bei<br />
der „Rektoratswahl" in Berlin habe der vorgeschlagene Anglist „Stimmenmehrheit<br />
erhalten" und es sei „zu erwarten, daß die Wahl vorn Reichsministerium bestätigt<br />
wird". 89<br />
Nun legte das REM Wert auf den Nachweis, daß an eine bloß formelle „Bestätigung"<br />
im Sinne der akademischen Tradition nicht zu denken sei. So wurde in Jena<br />
88 RdErl. W Ia 391 vom 13. 2. 1935 (HAB-REM 14, Konz.).<br />
89 HAB-REM 8 ff., D. Min. d. Kultus u. Unterr., Karlsruhe, an die Rektoren der Landeshochschulen,<br />
1. 2. 1935 (Kopie); REM an Kult. Min. Württemberg, 14. 2. 1935 (Konz.);<br />
Zeitungsausschnitte; REM an Rektor d. Univ. Berlin, 8. 3. 1935 (Konz.). - Das REM sah in<br />
der Information der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" über das Vorschlagsergebnis in Berlin<br />
eine „Amtspflichtverletzung" und wies in einem RdErl. vom 8. 3. 1935 „auf die Notwendigkeit<br />
der Geheimhaltung solcher Universitätsangelegenheiten, die nicht <strong>für</strong> die Öffentlichkeit<br />
bestimmt sind, nachdrücklichst hin" (HAB-REM 29).