Referat Prof. Dr. F. Nieslony (PDF, 302.2 KB) - Jena
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FACHTAGUNG Schulsozialarbeit<br />
JENA 18./19. März 2010<br />
Fachhochschule <strong>Jena</strong><br />
________________________________________________________________<br />
Zentrale Entwicklungsfelder der Schulsozialarbeit<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Frank <strong>Nieslony</strong><br />
Ev. Fachhochschule Darmstadt
VORBEMERKUNG/Agenda<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
ich begrüße Sie herzlich und bedanke mich für die Einladung.<br />
Im Folgenden werde ich Ihnen einen powerpoint-gestützten VORTRAG anbieten können – also<br />
einen Audio-Mix zwischen Hören und Sehen. Das schärft die Sinne und lässt Sie durchhalten.<br />
Viel ist schon zur ganzheitlichen Bildung, der Notwendigkeit eines reformierten Schulsystems,<br />
besonders aber dem dieser Fachtagung zugrunde liegendem Thema, nämlich der Schulsozialarbeit<br />
als ein zentrales Element der Bildungsdebatte, gesagt und geschrieben worden. Es<br />
wurde auch viel geforscht – auf Landes-, Kreis- und kommunaler Ebene. Und die Beziehungen<br />
zwischen Jugendhilfe und Schule waren Gegenstand vieler Bundes- und Fachtagungen.<br />
Im Verhältnis dazu und zur Bedeutung des Themas fasse mich sehr kurz – allerdings müssen<br />
Sie mir laut Programmgestaltung 90 Minuten zuhören, das sieht auch mein Vertrag vor.<br />
Ich möchte folgendermaßen vorgehen: Der Argumentationshintergrund meiner Ausführungen<br />
wird aus den THESEN ersichtlich, die ich Verlauf der Präsentation ins Blickfeld bringe. Hier<br />
habe ich mich bemüht, einen "roten Faden" zu konstruieren. In der dieser Tagung folgenden<br />
DOKUMENTATION werden sie u.a. darüber verfügen können.<br />
Die VORLAGE der thesenartigen Formulierungen bildet quasi das "Gerüst" meiner Argumentation.<br />
Ich denke, dass sie so meiner Argumentation strukturierter folgen können. In ihrem<br />
Verlauf werde ich SCHWERPUNKTE setzen, die inhaltlich unterschiedlich ausgeführt werden.<br />
Vieles wird Ihnen bekannt sein und bedarf kaum noch eines empirischen Beweises. Versuchen<br />
werde ich daher nicht, meine Thesen zu verifizieren bzw. ihnen den "Glorienschein" einer<br />
theoretischen Basis zu geben. Das sollen diejenigen tun, die "berühmt" werden wollen – und die<br />
in der Praxis Tätigen unter Ihnen interessiert das i.d.R. sowieso relativ wenig.<br />
Die SCHWERPUNKTE meines Vortrags sind also schlaglichtartig folgende. Nach einer kurzen<br />
EINLEITUNG gehe ich ein auf …<br />
1. (strukturelle) HINTERGRÜNDE – These 1<br />
(Hier werde ich – sehr verkürzt – auf den Funktionsverlust der "Integration" von Schule<br />
hinweisen. Das ist notwendig, um schulische Allmachtsphantasien (Stichwort: "Wir sind die<br />
Fachleute, erziehen können wir alleine!"), um diese Meinungen in strukturell-objektive<br />
Gegebenheiten einzubetten.)<br />
2. (bildungspolitische) MÄNGELLAGE – These 2<br />
(Diese strukturell-objektiven Gegebenheiten werden hier in die Notwendigkeit, andere<br />
Lernformen zu praktizieren, eingebettet.)<br />
3. (schulische) ERFORDERNISSE – These 3<br />
(An dieser Stelle beabsichtige ich – auf der Grundlage moderner Erziehungsformen – das<br />
Erfordernis einer interdisziplinären Gestaltung am Beispiel der schulbezogenen<br />
Sozialarbeit zu diskutieren.)<br />
4. (sozialpädagogische) OFFENSIVE – These 4<br />
(Hier müssen die notwendigen Voraussetzungen für eine moderne Schulsozialarbeit und<br />
ihrer zu entwickelnden Handlungsfelder angesprochen werden.<br />
5. (schulsozialarbeiterische) NOTWENDIGKEITEN – These 5<br />
(Schließlich werde ich auf die zu implementierenden Rahmenbedingungen dieser modernen<br />
Schulsozialarbeit eingehen müssen.) 1<br />
1 Die Thesen sind im ANHANG beigefügt.
Mein ZIEL ist herauszustellen, dass für eine umfassende und wirkungsvolle, am Kind orientierte<br />
moderne BILDUNG immer noch bedeutende strukturelle PROBLEME existieren. Das betrifft<br />
auch die derzeitige Praxis schulformbezogener Sozialer Arbeit, obwohl im Rahmen der<br />
Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule vielerorts die RAHMENBEDINGUNGEN für<br />
andere Lern- und Lebensverhältnisse einer Veränderung unterliegen. Dabei habe ich versucht<br />
zu berücksichtigen, dass in Ihrem Bundesland geforscht und – wie meine sicher<br />
unvollständigen Recherchen ergeben haben – auch speziell in Ihrer Stadt im Bereich der<br />
Zusammenarbeit dieser bedeutenden Erziehungsfelder vieles von dem schon innovativ<br />
eingerichtet wurde, was in anderen Bundesländern und Städten der BRD aus unterschiedlichen<br />
Gründen noch zur Diskussion steht.<br />
Auf dieser Grundlage können weitere AUFGABEN UND ENTWICKLUNGSFELDER der<br />
Schulsozialarbeit strategisch identifiziert werden. Erwarten Sie aber bitte nicht, dass ich Ihnen<br />
sage, was Sie wo tun müssen. Dazu sind Sie aufgrund Ihrer Kenntnis der speziellen Vor-Ort-<br />
Lage prädestinierter als ich. Berücksichtigen Sie jedoch: Eine gute Schulsozialarbeit macht aus<br />
einer schlechten Schule noch keine gute!<br />
Würde ich also meine ABSICHT in eine zentrale THESE fassen wollen, so müsste formuliert<br />
werden: "Schulsozialarbeit muss sich verändern!" Warum, wie und wohin – das werde ich im<br />
Verlauf meiner Ausführungen versuchen zu erläutern.<br />
Gestatten Sie mir jedoch vorab eine – kurze – einleitende Positionierung unseres Themenkomplexes.<br />
Sie soll die schulbezogene Soziale Arbeit aus einem historischen in einen<br />
modernen Kontext stellen.
EINLEITUNG<br />
Wenn Sie sich einmal die Mühe machen und heute die Literatur, die Forschungsergebnisse,<br />
Tagungs- und Kongressberichte allein der letzten Jahre recherchieren, dann<br />
stoßen Sie beim Lesen – oft schon einleitend – auf Sätze wie: "Die Notwendigkeit von<br />
Schulsozialarbeit ist unumstritten." Und: "Schulsozialarbeit hat sich (…) zu einem sehr<br />
wichtigen Aufgabenfeld der Jugendhilfe (…) entwickelt". 2 Oder etwas salopper formuliert:<br />
"Schulsozialarbeit ist ´en vogue`." 3<br />
Sobald also eine fachliche Zusammenschau der bundesweiten PRAXIS der Schulsozialarbeit<br />
einerseits und den heute bestehenden unterschiedlichen Kooperationsformen zwischen<br />
der Jugendhilfe und den beteiligten Schulen andererseits vorgenommen wird,<br />
entsteht folgendes BILD:<br />
Auf der einen Seite hat es lange gedauert, bis die Anerkennung der Schulsozialarbeit wie<br />
in den Zitaten so formuliert werden konnte. Auf der anderen Seite entsteht immer noch der<br />
Eindruck, den schon der Pädagoge BITTNER in seiner Darstellung der "Schule als<br />
sozialpädagogisches Feld" in der bildungspolitischen Reformphase der frühen 1970er<br />
Jahre zum Verhältnis Schule und Jugendhilfe formulierte: "Schulpädagogik und Sozialpädagogik<br />
wissen nichts voneinander. Und noch schlimmer als das: sie stehen einander<br />
vielfach mit Reserve, ja mit Misstrauen gegenüber". 4<br />
BITTNER würde das heute sicher anders formulieren. Aber dieses BILD entsteht nach<br />
meiner Erfahrung bei denjenigen Studenten, die ihr erstes Praktikum in einer Schule<br />
absolviert haben und die sich der Schulsozialarbeit später zuwenden wollen. Sollten deren<br />
Erkenntnisse immer noch zutreffen, hätten wir Anlass zu der Frage, ob sich denn<br />
überhaupt nichts geändert habe.<br />
Ich wage zu behaupten: Wir sind dabei, das Verhältnis "Jugendhilfe und Schule" fachlich<br />
neu zu sondieren, viele Kooperationsformen weisen zumindest darauf hin. Sie gehören<br />
allerdings immer noch nicht zum Schulalltag. Auch bildungspolitisch bin ich eher skeptisch.<br />
Denn schon einmal waren Schulreformen (gemeint ist die Gesamtschulreform des Deutschen<br />
Bildungsrates 1969) mit "sozialpädagogischer Blindheit" (Tillmann 1982) belastet.<br />
Noch zu Beginn der 1980er Jahre hieß es: "Schulsozialarbeit ist keine Institution, die exakt<br />
beschrieben, amtlich dokumentiert oder systematisch erfaßt ist; ebenfalls ist<br />
´Schulsozialarbeit´ kein Begriff, der in der erziehungswissen- und sozialwissenschaftlichen<br />
Diskussion schon feste Konturen gewonnen hat", wie Klaus-Jürgen Tillmann damals<br />
formulierte. 5<br />
Und Hans Thiersch schrieb noch 1992 etwas zweideutig, jedoch zutreffend: "Schulsozialarbeit<br />
erscheint noch immer weithin in der Rolle jenes traditionellen Dienstmädchens,<br />
das ganz den Interessen der Herrschaft verpflichtet ist, allseits verfüglich und diskret sein<br />
muß und schlecht bezahlt wird". 6<br />
Die zweite Hälfte der 90er Jahre ist geprägt von der Fragestellung: "Wie kann die Kooperation<br />
zwischen Jugendhilfe und Schule über Modelle hinaus auf den Weg gebracht<br />
werden, welche Rahmenbedingungen, Strukturen müssen geschaffen, verändert, welche<br />
2 So Johannes Horn, Jugendamtsleiter, Düsseldorf, Fachtagung der AWO "Wieviel Schulsozialarbeit<br />
braucht die Schule?", Düsseldorf, 5.11.2008.<br />
3 Bassarak, H. (2008): Aufgaben und Konzepte der Schulsozialarbeit/Jugendsozialarbeit an Schulen<br />
im neuen sozial- und bildungspolitischen Rahmen, Düsseldorf, S. 13.<br />
4 Bittner 1970, in: Tillmann, K.-J. (1976): Sozialpädagogik in der Schule. Neue Ansätze und Modelle,<br />
München, S. 7)<br />
5 Tillmann, Ebenda 1976, S. 12.<br />
6 Thiersch, H. (1992): Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, Weinheim und München, S. 150
Anstöße und Anreize gegeben werden?“. 7<br />
Eine im Verlauf reformerischer Absichten wiederkehrende Erkenntnis – auch vor dem<br />
Hintergrund jetzt vielfach realisierter Praxisforschungen – bestimmt in dieser Zeit immer<br />
zunehmender die schulpolitische Diskussion. In der Konsequenz dieses modernen<br />
Diskurses wird schließlich die FRAGE formuliert: Wie kann die ´Öffnung von Schule´ unter<br />
Einbeziehung der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen gestaltet werden?<br />
Bundeslandbezogene Forschungen, kommunale und landkreisgerichtete Erhebungen zu<br />
Akzeptanz, Effizienz und möglichen Perspektiven einer wie auch immer gearteten<br />
stärkeren Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule verweisen in den 90er<br />
Jahren auf Veränderungen im Beziehungsgeflecht zwischen schul- und sozialpädagogischen<br />
Feldern.<br />
In dieser Zeit lesen wir auch – zum ersten Mal in einer hochoffiziellen Veröffentlichung,<br />
nämlich 1998 im 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, einen Bezug zur<br />
Notwendigkeit interdisziplinärer Gestaltung im Eingeständnis schulsystemimmanenter<br />
Schwachstellen: "…Schulsozialarbeit (ist) Teil professionellen Handelns in der Institution<br />
Schule, die unter den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit ihrem<br />
Fachpersonal alleine ihren Auftrag von Bildung und Erziehung nicht mehr erfüllen kann<br />
und sich deshalb zusätzlicher Fachkompetenz versichern muß ..." 8<br />
Dieses zitierfähige "Sahneteilchen" aus regierungsamtlicher <strong>Dr</strong>uckerpresse hat dann wohl<br />
auch alle diejenigen erfreut, die sich seit Jahrzehnten für ein reformiertes Schulwesen in<br />
multiprofessioneller Gestaltung, wie es in den europäischen Nachbarländern üblich ist,<br />
fachlich einsetzen und eine sozialpädagogisch orientierte Schule favorisieren.<br />
Vor diesem Hintergrund kann dann auch in der Fachliteratur etwas später formuliert<br />
werden: "Seit einigen Jahren ist eine Intensivierung der Beziehungen zwischen Jugendhilfe<br />
und Schule zu beobachten." Aber: "Hinsichtlich der Perspektiven einer Kooperation<br />
von Jugendhilfe und Schule ist (immer noch, FN) … vorsichtiger Optimismus<br />
angebracht". 9<br />
In der zeitlichen "Nach-PISA-Periode" muss schließlich die Notwendigkeit einer<br />
"schulbezogenen Jugendsozialarbeit" festgestellt werden, wie es der 12. Kinder- und<br />
Jugendbericht (2005) dann auch formuliert, indem er "… die konkrete Verortung des<br />
Arbeitsplatzes der sozialen Fachkräfte an der Einzelschule" 10 befürwortet.<br />
Eine bemerkenswerte Zeitspanne, welche die Beziehungen zwischen den pädagogischen<br />
Feldern Jugendhilfe und Schule zeitgeschichtlich widerspiegelt.<br />
Wir wissen heute, dass das Verhältnis beider Einrichtungen zueinander immer noch einer<br />
speziellen Qualität unterliegt, dass die eine beansprucht, zu erziehen und zu lehren – was<br />
gesellschaftlich hoch im Kurs steht; die andere hilft ihr dabei, was gesellschaftlich nicht so<br />
stark anerkannt wird. Damit wäre – zugegebenermaßen etwas undifferenziert – das klassische<br />
Verhältnis zwischen Schule und Jugendhilfe umschrieben.<br />
Man kann es auch so formulieren: Aus historischer Sicht war das Verhältnis der Sozialpädagogik<br />
zur Schulpädagogik immer ein nachrangiges. Das war in Deutschland so<br />
gewollt und gesetzlich reglementiert. Immer dort, wo beide pädagogischen Organisationsformen<br />
zusammentrafen, hatte die Sozialpädagogik eine fakultative Funktion: Sie<br />
sorgte für reibungsloses Geschehen in Unterricht und Schule, und kompensierte – oft<br />
auch durch die Schule verursachte – Probleme und Schwierigkeiten junger Menschen.<br />
7 Deinet, U., Hg., (2001): Kooperation von Jugendhilfe und Schule. Ein Handbuch für die Praxis,<br />
Opladen, S. 8.<br />
8<br />
10. Jugendbericht, BLMFSFJ 1998, 213, in: Olk, Th./Bathke, G.-W./Hartnuß, B. (2000): Jugendhilfe<br />
und Schule. Empirische Befunde und theoretische Reflexionen zur Schulsozialarbeit, München, S. 179.<br />
9 Olk/Bathke/Hartnuß 2000, S. 7.<br />
10 BMFSFJ 2005, S. 265.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in der zweiten Nachkriegsphase der Bildungsreformen<br />
– wenn sie so wollen. Wurde in den 60er und 70er Jahren noch befürchtet,<br />
dass die Gesamtschulreform in den westlichen Bundesländern mit "sozialpädagogischer<br />
Blindheit" behaftet ist, so ist heute anzunehmen, dass die bundesdeutsche<br />
Bildungslandschaft ein schulorganisatorischer Flickenteppich bleibt und ein erneuter Torso<br />
– diesmal die Ganztagsschulen – sich zu etablieren beginnt. Ob wir tatsächlich zu einer<br />
notwendigen und vielfach postulierten "Ganztagsbildung" kommen und hier den<br />
Stellenwert der Jugendhilfe, insbesondere der schulbezogenen Sozialarbeit, definieren<br />
können, soll ja der Verlauf der Tagung dokumentieren.
(strukturelle) Hintergründe: THESE 1<br />
Zur Einlösung individueller Voraussetzungen an der schulischen Teilhabe gibt es – wie in jeder<br />
Kulturgemeinschaft – Hindernisse und Hürden. Und der Zugang zu einer bildungspolitischen<br />
Problemdarstellung beginnt meistens mit einer Analyse der Zugangsvoraussetzungen für die<br />
Teilhabe an Bildungsgütern. Damit möchte ich Sie allerdings verschonen. Wir können jedoch<br />
andererseits die Augen nicht vor individuellen und strukturellen Gegebenheiten verschließen,<br />
denen sich junge Menschen ausgesetzt sehen. Es sind "andere" Kinder einer "anderen"<br />
Generation in einer "anderen" Schule, mit denen sich die Soziale Arbeit auseinander zu setzen<br />
hat:<br />
Die gesellschaftlichen Arrangements und mit ihnen die Schülergenerationen haben sich verändert.<br />
Individuelle, moderne Lebensbedingungen konfligieren nicht selten mit den Voraussetzungen<br />
an den gesellschaftlichen Errungenschaften teilhaben zu können. Was aber sind das für<br />
Veränderungen, mit denen junge Menschen heute konfrontiert sind, die sie von anderen<br />
Generationen unterscheiden und die als Rahmenbedingungen das individuelle Lernen<br />
manifestieren?<br />
Es geht bei dieser Auseinandersetzung also um die strukturellen Bedingungen des Lernens, die<br />
eine umfassende BILDUNG zu beeinflussen in der Lage sind.<br />
"Wandel der Normalitätsvorstellungen"<br />
Das, was früher oft unvorstellbar war, ist heute "normal". Aufgabe von Sozialpolitik, also auch von<br />
Jugendhilfe, ist es, "Normalität" zu sichern. Das Verständnis von Normalität orientiert sich immer<br />
weniger an gemeinsamen Werten, religiösen Bindungen oder kulturellen Traditionen. Die Lebenslagen<br />
junger Menschen sind in hohem Maße von deren Pluralisierung gekennzeichnet, wie sie schon der 8.<br />
Jugendbericht sehr differenziert beschreibt. Diese Vervielfältigung von Möglichkeiten bietet Chancen,<br />
setzt Jugend aber auch unter <strong>Dr</strong>uck. Vor dem Hintergrund dieser breiten Möglichkeiten muss sich<br />
Jugend nämlich auch entscheiden. Mit Individualisierung wird dieser Zuwachs an Selbstverantwortung<br />
beschrieben, der zugleich mehr Handlungs- und Wahlfreiheit als früher einräumt und zu Entscheidungen<br />
von weit reichender Bedeutung zwingt, ohne dass Jugend häufig weiß, woraufhin sie sich<br />
entscheiden soll. Der Verlust der alten Sicherheiten und Werte wie des schützenden Milieus führt zu<br />
Unsicherheit, Ohnmacht, Orientierungslosigkeit und Vereinsamung.<br />
"Wandel der familialen Verhältnisse"<br />
Die Familie ist immer weniger die Basis für die eigene Zukunft. Familie verändert sich, zerfällt, formiert<br />
sich in wechselnden Zusammensetzungen neu. Dazu gehören Phänomene der Vereinzelung,<br />
Verinselung und Vereinsamung von Kindern durch Geschwisterlosigkeit, des Fehlens mehrerer<br />
Bezugspersonen und der Verlust ganzheitlicher Erfahrungen. Die Erlebnisse von psychischer,<br />
physischer und sexueller Gewalt gegen Kinder kennzeichnen ebenso die Situation vieler Familien heute<br />
wie die wachsende Armut, insbesondere in kinderreichen Familien.<br />
"Wandel der Erwerbssituation"<br />
Arbeit ist das zentrale Medium der sozialen Integration und Grundlage der wesentlichen sozialen Sicherungssysteme<br />
unserer Gesellschaft. Normalität und Erwerbstätigkeit wären also synonym zu sehen.<br />
Mit dem Steigen der Arbeitslosigkeit, dem Anwachsen von Armut, der Unsicherheit des Übergangs vom<br />
Jugend- ins Erwachsenenleben sinkt die sozialintegrative Kraft der traditionellen Berufsbiographie. Der<br />
<strong>Dr</strong>uck in der Schule wächst. Mit "Qualifikationsparadox" wird eine Situation beschrieben, in der auf die<br />
Entwertung von schulischen Qualifikationen mit vermehrten Qualifikationsanstrengungen reagiert wird,<br />
die immer weniger Garantien geben.<br />
"Wandel der institutionellen Bedingungen"<br />
Mit dem Bild der "Risikogesellschaft" werden die vielfältigen gesellschaftlichen Bedrohungen bezeichnet,<br />
die Kinder und Jugendliche heute ängstigen: kriegerische Auseinandersetzungen, terroristische<br />
Bedrohungen, ökologische Katastrophen usw. Untersuchungen einschlägiger Jugendforschungsinstitute<br />
weisen nach, dass die Zukunftsängste von Kindern enorm gestiegen sind und ihr Heranwachsen
entscheidend prägen. Die Enttäuschung über die schwindende Lösungskompetenz von Politikern führt<br />
zu der wachsenden Entfremdung von den politischen Institutionen, die sich in einer immer stärkeren<br />
Abnahme von der Teilnahme an Wahlen und der Abwendung von den demokratischen Parteien<br />
ausdrückt.<br />
"Wandel der Umwelt"<br />
Unter dieser Überschrift soll nur angedeutet werden, welche vielfältigen sozialen Wandlungsprozesse<br />
weiterhin Kinder und Jugend prägen: die räumliche Umwelt wird zerstört, verbaut, betoniert und<br />
verregelt. Wirklichkeitserfahrung wird zunehmend medialisiert, Freizeit kommerzialisiert, Fremdheit<br />
durch falsch verstandene Multikulturalität ängstigt.<br />
Nach diesen beeinflussenden, zugleich verkürzten Hinweisen individueller Lernbedingungen<br />
möchte ich auf die allgemeinen Rahmenbedingungen von Leben und Lernen, also den<br />
strukturellen Bedingungen des Lernens zu sprechen kommen. Sie konstituieren schließlich die<br />
Teilhabe an BILDUNG und kultureller PARTIZIPATION. Dabei gehe ich davon aus, dass das<br />
traditionelle Schulwesen allein aus seiner objektiven Funktion heraus den Ansprüchen einer<br />
umfassenden – im modernen Sinne verstandenen – Bildung nicht entsprechen kann. Ich will<br />
das kurz verdeutlichen: Aus der bildungssoziologischen Perspektive wissen wir seit geraumer<br />
Zeit, dass dem Schulwesen folgende Funktionen immanent sind:<br />
Funktionen von Schule (nach Helmut Fend, 1980):<br />
6. Qualifikationsfunktion<br />
7. Selektions- und Allokationsfunktion<br />
8. Integrations- und Legitimationsfunktion<br />
Über die Selektions- und Qualifikationsfunktion verweist Schule die jungen Menschen auf gesellschaftliche<br />
Positionen. Das ist ihre objektive Funktion.<br />
Offensichtlich und empirisch belegbar ist, dass der europäische Bildungswettbewerb seit PISA<br />
die Schulen zwingt, verstärkt zu qualifizieren, für einen größeren output zu sorgen: Turbo-Abi,<br />
Verdichtung des Lernens, neue Studiengänge etc. sind nur einige Beispiele. Das aber bedeutet,<br />
dass Schule ihre Integrationsfunktion nicht mehr realisieren kann: Störenfriede und Abweichler<br />
werden früh diagnostiziert und ausgeschlossen, Stützkurse und Fördermaßnahmen<br />
unzureichend ausgestattet oder – nicht selten – bestehenden Hilfesystemen überantwortet.<br />
Schule kann heute die ihr zugeschriebenen Funktionen nicht mehr allein erfüllen –<br />
insbesondere nicht ihre integrative Funktion.<br />
Die hier betroffenen Schülerinnen und Schüler sind aber die Klientel der Sozialen Arbeit – in der<br />
Schule sind sie es im Rahmen der Schulsozialarbeit. Damit kommen wir zu meiner zweiten<br />
Behauptung.
(bildungspolitische) Mängellage: THESE 2<br />
Formulieren wir es einmal pointiert: Allein die schulische SELEKTION scheint bei uns zu<br />
funktionieren – wie uns die vergleichenden internationalen und nationalen Studien gezeigt<br />
haben. Zur Realisierung übergeordneter Qualifikations- und Erziehungsziele in unserer<br />
WISSENSGESELLSCHAFT bedarf es jedoch grundsätzlicher struktureller Veränderungen und<br />
Innovationen. Um es zu positionieren: Ohne radikale Überwindung des dreigliedrigen,<br />
hochselektiven Schulsystems in deutschen Landen perpetuieren wir die institutionalisierte<br />
Chancen-Ungleichheit, schöpfen so die Begabungsreserven über Generationen nicht aus und<br />
schreiben die tendenziellen Verarmungsprozesse weiter fort.<br />
In diesem Diskussionsprozess befinden wir uns derzeit. Ob es zu mehr als schulischem<br />
Flickwerk kommen wird, muss sich vielerorts noch zeigen. Es ist – verfolgt man die Debatten<br />
um die Einführung der Ganztagsschule – allerdings zu vermuten. Einige Stadtstaaten und<br />
Bundesländer experimentieren – teils offen-, meistens halbherzig. Der jüngste Schulstreit in der<br />
Hamburger Bürgerschaft ist ein drastisches Beispiel. Und in NRW streitet man um die Verlängerung<br />
zum Abitur. Deutlich wird bei alldem: BILDUNG für alle in einer Schule für alle – übrigens<br />
eine Forderung der Französischen Revolutionspädagogik – war immer eine Machtfrage und ist<br />
immer noch vielfach von Traditionsinteressen geleitet. Hierzu historische Belege anzuführen,<br />
würde beim Studium der deutschen Schulgeschichte nicht schwer fallen. Diesen Pfad möchte<br />
ich aber nicht weiter beschreiten.<br />
Für uns thematisch bedeutsamer ist vielmehr, die "bildungspolitische Mängellage" – wie ich es<br />
nenne – als FOLIE für unsere weitere Argumentation zu nehmen: "Fördern" statt "Auslese" – so<br />
hat es der Deutsche Bildungsrat bereits 1968 bei der Einführung der integrierten Gesamtschule<br />
genannt – "Integration" statt "Selektion" – so oder ähnlich nennen es viele fachliche und<br />
fachpolitische Stellungnahmen und Beschlüsse (u.a. der GEW-Hauptvorstand bereits 1994; die<br />
Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe, AGJ, 1999; der Deutsche Verein, 2000; KMK und JMK in<br />
der Reaktion auf die PISA-Studie in den sog. "Leipziger Thesen", 2002 usw. – die Aufzählung ist<br />
willkürlich und unvollständig!).<br />
Aus der sozialpädagogischen Perspektive ist es besonders die INTEGRATIONSFUNKTION der<br />
Schule, die hier interessiert. So kann nach all den Diskussionen, die nach TIMSS, PISA, IGLU<br />
usw. folgten, aus der sozialpädagogischen Ecke gefragt werden: Kann denn eine Schule – die<br />
im internationalen Wettbewerb staatlicherseits neuerdings hoch subventioniert wird und um<br />
Spitzenplätze in der Leistung kämpft – überhaupt noch erziehen, fördern, integrieren?<br />
Vor diesem – zugegebener Maßen nur angedeuteten – Hintergrund vertrete ich die Meinung,<br />
dass eine moderne Schule heute nur noch multiprofessionell arbeiten kann, will sie<br />
erzieherische, qualifikatorische fördernde und integrative Ansprüche glaubwürdig einlösen. Um<br />
es einmal bildhaft und ebenfalls verkürzt zu formulieren: "INTERDISZIPLINÄR" (oder:<br />
"MULTIPROFESSIONELL") in der Schule zu arbeiten würde im IDEALFALL bedeuten, dass<br />
Lehrkräfte mit Psychologen, Logopäden, Ergo- und anderen Therapeuten und – nicht zuletzt –<br />
mit Sozialpädagogen, also Schulsozialarbeitern, unter einem Dach zusammenwirken. Jawohl –<br />
"unter einem Dach"! Und nicht in einem Netzwerk fakultativer Unzulänglichkeiten, in dem<br />
unterschiedliche <strong>Prof</strong>essionen für mehrere Schulen zuständig sind und in denen die<br />
Schülerinnen und Schüler nur minutenweise gefördert werden können.<br />
Dass so etwas möglich ist, erfahren wir – bis jetzt – nur, wenn wir über unsere nationalen<br />
Grenzen schauen – wenn wir sehen, wie andere Länder ihren Schulalltag gestalten.<br />
Wenn ich mit Skepsis von der "Halbherzigkeit" länderbezogener Schulreformen gesprochen<br />
habe, dann ist – neben der ideologischen Behauptung, dass sich die gegliederten Schulformen<br />
über Jahrzehnte bewährt haben – ein Blick auf die Bildungsinvestitionen interessant. Die
leitende FRAGE ist also: Was wird gefördert, was wird vernachlässigt? Gestatten Sie mir also<br />
einen kurzen HINWEIS zur Veranschaulichung dessen, was uns das Schulwesen geldwert ist.<br />
Kurz nach den PISA-Erhebungen sah es folgendermaßen aus:<br />
Bildungsausgaben in % des BIP 2001<br />
Sie alle kennen das Bundesprogramm "Investition ´Zukunft Bildung und Betreuung´, IZBB", das<br />
zwischen 2003 – 2007 eine Gesamt-Bildungsinvestition von rd. = 4 Mrd. EURO vorsah (= hier<br />
gab es eine kostenneutrale Verlängerung bis anno 2009). Sie sehen aber auch an den realisierten<br />
Förderungen, dass beispielsweise im Land HESSEN relativ geringe Anteile realisiert<br />
wurden.<br />
"Hessen. Realisierte Förderungen seit 2003 …"<br />
Hintergründe oder: Individuelle und strukturelle Gegebenheiten<br />
Zeigen kann ich Ihnen auch, wo die Mittel hingeflossen sind:<br />
(c) <strong>Nieslony</strong><br />
"Hessen. Verteilung der Förderung auf Schulformen seit 2003 …"<br />
(c) <strong>Nieslony</strong>
(c) <strong>Nieslony</strong><br />
Gymnasien und Gesamtschulen – also die Schulen, die einen höheren Bildungsabschluss realisieren<br />
sollen, die potenziell zum Abitur führen – stehen im bildungspolitischen Diskurs an<br />
höchster Stelle.<br />
In THÜRINGEN sieht es etwas anders aus. Hier der Vollständigkeit halber:<br />
"Thüringen: Verteilung der Förderung auf Schulformen seit 2003 …"<br />
(c) <strong>Nieslony</strong><br />
Bringen wir die zuvor geschilderten Lebensverhältnisse als Strukturbedingungen des Lernens in<br />
den bildungsökonomischen Zusammenhang müssen wir uns weiter fragen, wie denn dieses<br />
gegliederte und hoch selektive Schulwesen die genannte Befähigung zu einer befriedigenden<br />
und gleichermaßen verantwortungsvollen Lebensgestaltung vermitteln will. Das wird schon<br />
schwieriger! Ich möchte das am Beispiel einer weiteren Behauptung diskutieren.
(schulische) Erfordernisse: THESE 3<br />
Die Ganztagsschullandschaft in Deutschland bietet kein einheitliches Bild. Auch<br />
meine folgenden Ausführungen berücksichtigen keine länderspezifischen<br />
Entwicklungen und Eigenheiten.<br />
Die Einrichtung von Ganztagsschulen in Deutschland scheiterte – historisch<br />
gesehen – bisher immer an der ablehnenden Haltung der westdeutschen Bildungspolitik.<br />
Und das, obwohl der Deutsche Bildungsrat bereits 1973 empfohlen<br />
hatte, den Anteil von Ganztagsschulen in Deutschland schrittweise auf bis zu 30%<br />
zu steigern und sich die Nachfrage der Eltern nach Ganztagsplätzen schon Ende<br />
der 80er bis Mitte der 90er Jahre auf 20 bis 40% belief.<br />
Hinzu kommen – wie Sie selbst am besten wissen – die unterschiedlichen Traditionen<br />
in Ost- und Westdeutschland, die sich in der Flächendeckung hinsichtlich<br />
der ganztägigen Betreuung von Kindern und Jugendlichen vehement<br />
unterschieden. Diese Tatsachen ließen Ihnen hier in Thüringen die Möglichkeit, die<br />
Schullandschaft bedürfnisorientierter zu gestalten und eine an modernen<br />
Erfordernissen ausgerichtete Schulentwicklung zu fördern.<br />
Ich denke, insbesondere die Einführung der "Thüringer Gemeinschaftsschule"<br />
geht in meine Argumentationsrichtung, die einiges von dem realisiert, was ich<br />
noch erwähnen werde. Von daher kennen Sie auch viele Argumente des Für und<br />
Wider zur Einrichtung des Ganztagsschulsystems, was ich hier nicht wiederholen<br />
brauche.<br />
Gestatten Sie mir jedoch, eine STUDIE zur Entwicklung der Ganztagsschulen kurz<br />
zu erwähnen, die bereits anno 2008 vorgestellt wurde und interessante<br />
Ergebnisse auch für unseren Zusammenhang erbringt. 11 An dieser BEFRAGUNG<br />
waren alle großen Forschungsinstitutionen im Bildungswesen beteiligt. Sie hatten<br />
zur Aufgabe, die Einführung der Ganztagsschulen zu begleiten und haben dazu<br />
eine erste Befragung anno 2005 und eine zweite anno 2007 durchgeführt.<br />
"Insgesamt haben 373 Schulen an dieser Befragung aus 14 Bundesländern teilgenommen.<br />
Über 18.000 Eltern sind befragt worden, über 26.000 Schülerinnen und<br />
Schüler, 313 Schulleitungen, etwas mehr als 6.700 Lehrer und Lehrerinnen, 820<br />
Kooperationspartner, also die, die auch hier heute sitzen und 1.665 pädagogisch<br />
tätige Personen, das sind die, die Schulsozialarbeit und außerschulische<br />
Angebote in Ganztagsschulen machen". 12<br />
Über die zentralen Ergebnisse hinaus, dass es z.B. wesentlich mehr Ganztagsschulen<br />
als noch 2005 gibt, dass, wenn eine Schule Ganztagsschule ist, weit<br />
über 50% der Schüler über alle Jahrgangsstufen hinweg die Angebote nutzen, hat<br />
sich auch herausgestellt, "dass Ganztagsangebote und Unterricht nur sehr selten<br />
miteinander verknüpft sind". 13<br />
Das aber genau ist der Punkt, an dem deutlich wird, dass die Lebens- und<br />
Lernwelten der Kinder und Jugendlichen noch nicht in Übereinstimmung gebracht<br />
wurden – dass eine schulpädagogische und sozialpädagogische Verzahnung in<br />
vielen Ganztagsschulen noch nicht realisiert ist.<br />
Für die Diskussion meiner Behauptung setze ich voraus, dass sie die verschiedenen<br />
FORMEN des Ganztagsbetriebs kennen und wissen, dass die "offene"<br />
gegenüber der "gebundenen" Form das preiswertere und zumeist praktiziertere<br />
Modell ist – also in der bundesweiten Gesamtschau der finanzpolitische Favorit.<br />
11 Vgl. hz. das Grundsatzreferat von <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Karin Böllert, Universität Münster, auf der<br />
Fachtagung der AWO am 5.11.2008 in Düsseldorf, a.a.O., S. 6 f.<br />
12 Ebenda, S. 13.<br />
13 Ebenda, Herv. FN.
Das heißt aber: Alles bleibt beim Alten, in der Mittagspause essen wir gemeinsam<br />
und dann kommt "die Tante" (pardon: oder "der Onkel") vom Förderverein, spielt<br />
mit den Kindern "Mensch ärgere dich nicht", und nach dem gemeinsamen<br />
Fußballspiel können wir nach Hause gehen. Mutti freut sich, weil ich meine<br />
Schulaufgaben schon mit sozialpädagogischer Betreuung gemacht habe.<br />
Hier mutiert die Ganztagsschule zur Betreuungsschule – so etwas wollen und<br />
brauchen wir nicht.<br />
In der FACHDISKUSSION stand bei der Unterscheidung der verschiedenen<br />
FORMEN der Ganztagsschule immer die Orientierung am Lebens- und Lernrhythmus<br />
der Kinder im Vordergrund. Bereits 2001 formulierte die Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft (GEW):<br />
"Ganztägige Öffnung bedeutet nicht die Ausdehnung des Vormittagsunterrichts auf<br />
den ganzen Tag. Ganztagsschulen sollen Lern- und Lebensorte sein, die den<br />
starren Vormittagsunterricht im 45-Minuten-Takt überwinden, Lernprozesse<br />
rhythmisieren, außerschulische Lernorte und Freizeitaktivitäten einbeziehen,<br />
alternative Lernformen wie Projektlernen und altersgemischte Lern- und<br />
Freizeitgruppen ermöglichen, selbstständige und eigenverantwortliche<br />
Lernprozesse fördern, zusätzliche Interessensgebiete erschließen sowie Stütz-<br />
und Fördermaßnahmen anbieten. Zusatzangebote von Eltern, Vereinen, Kirchen<br />
und Betrieben sind Teil des pädagogischen Konzepts. Ganztagsschulen brauchen<br />
eine klare auf Integration, Chancengleichheit und Vielfalt zielende pädagogische<br />
Ausrichtung. Sie dürfen nicht zur Vertiefung von Aussonderung und zu sozialer<br />
Entmischung führen". 14<br />
Damit habe ich – verkürzt – deutlich gemacht, was ich unter einer modernen<br />
Schule verstehe. In der "gebundenen" FORM steht diese Ganztagsschule zur<br />
Debatte: Ohne einen multiprofessionellen Ansatz ist sie nicht zu verwirklichen!<br />
SCHULSOZIALARBEIT ist ein hier strukturell verankertes "eigenständiges<br />
Dienstleistungsangebot der Jugendhilfe am Ort Schule" (Frankfurter Kommentar<br />
2009, SGB VIII). Sie ist integrierter Bestandteil des gesamten Schullebens.<br />
SCHULSOZIALARBEIT wird damit zu einem zentralen Element der Bildungsdebatte.<br />
Im Kontext eines modernen umfassenden Bildungsverständnisses – der<br />
GANZTAGSBILDUNG – wird davon ausgegangen, dass sowohl die formelle und<br />
nichtformelle wie auch die informelle Bildung von gleicher Bedeutung sind.<br />
BILDUNG hat also viele ORTE; sie findet nicht exklusiv nur in der Schule statt.<br />
Hier hat der 12. Kinder- und Jugendbericht eine Weichenstellung vorgenommen,<br />
die nach der 1. Bildungskatastrophe in den 60er Jahren uns heute in der 2.<br />
Bildungsreformphase die Chance eröffnet, ein altes Schulwesen einem modernen<br />
Bildungsverständnis anzupassen.<br />
GANZTAGSBILDUNG geht davon aus – folgt man dem Handbuch der Ganztagsbildung<br />
von Hans-Uwe Otto und Thomas Coelen 15 –, dass dieses Bildungsverständnis<br />
von gleichberechtigten Institutionen – der Jugendhilfe und Schule –<br />
gemeinsam verwirklicht werden wird. Gemeinsam heißt also hier: etwas NEUES<br />
schaffen!<br />
Vor diesem Hintergrund beziehe ich mich im Weiteren auf den BEREICH der<br />
Jugendhilfe – insbesondere der SCHULSOZIALARBEIT, verlasse also argumentativ<br />
den schulischen Bereich und seine institutionellen und organisatorischen<br />
Voraussetzungen zur Realisierung dieses modernen Bildungsverständnisses.<br />
14 Ausbau des Ganztagsangebotes – Vorrangige Aufgabe. Beschluss des Hauptvorstandes<br />
der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vom 23. Juni 2001, S. 2/3.<br />
15 Coelen, Th./Otto, H.-U. (Hg), 2008: Grundbegriffe Ganztagsbildung. Das Handbuch (VS<br />
Verlag für Sozialwissenschaften), Wiesbaden.
(sozialpädagogische) Offensive: THESE 4<br />
Im Rahmen meiner Sozialarbeiter-Ausbildung vor rd. 40 Jahren habe ich als<br />
Schulsozialarbeiter u.a. auch eine kurze Zeit an einer integrierten Gesamtschule in<br />
NRW gearbeitet. Wir hatten damals viele Fragen, kaum Unterstützung und keine<br />
Lobby. Unsere arbeitsfeldspezifischen, fachlichen und fachpolitischen<br />
Ungewissheiten wurden erstmalig 1987 in einer Darstellung zur Schulsozialarbeit<br />
veröffentlicht. Dem waren projektbezogene Erhebungen des dji´s (1979-1985)<br />
vorausgegangen, die die bundesweiten/westdeutschen Erfahrungen in dem neuen<br />
Handlungsfeld der Jugendhilfe beschrieben. 16 Seitdem sind viele Publikationen zur<br />
Schulsozialarbeit erschienen, und die zahlreichen Veröffentlichungen zu diesem<br />
Thema verängstigen heute viele Studierende, die ihre Bachelor-Arbeiten<br />
verfassen müssen. Beruhigend ist allenfalls, dass mittlerweile eindrucksvolle<br />
Biografien eine zusammenfassende Gesamtschau zum Handlungsfeld "Schulsozialarbeit"<br />
bzw. zur "Kooperation Jugendhilfe und Schule" geben.<br />
Seit etwa Mitte der 90er Jahre liegen umfangreiche empirische Erhebungen und<br />
Befunde zur Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule vor. "Ausschlaggebend<br />
für diese Entwicklung sind vor allem Landesprogramme zur Schulsozialarbeit bzw.<br />
zur Schuljugendarbeit in den ostdeutschen Bundesländern, die mit umfassenden<br />
wissenschaftlichen Begleitforschungen verknüpft waren (…)." 17 Auch hier in<br />
Thüringen ist eindrucksvolle Forschung betrieben worden.<br />
Es entsteht aber auch der EINDRUCK, dass insgesamt eine forschungsbezogene<br />
"Konjunktur" betrieben wurde, wie das so oft in Handlungsfeldern der Sozialen<br />
Arbeit geschieht. Auch die Forschungen zur Schulsozialarbeit in West- wie in<br />
Ostdeutschland hinterlassen oft den Anschein, dass auf diesen "Konjunkturzug"<br />
der persönlichen Qualifikation willen oder zugunsten der Akquirierung von<br />
Forschungsgeldern aufgesprungen wird. Das ist zwar legitim – und ich will hier<br />
niemandem zu nahe treten. Aber die Praktikerinnen in der SCHULSOZIALARBEIT<br />
haben da recht wenig von. Vor allem dann nicht, wenn sie immer wieder davon<br />
hören oder lesen, dass in ihrem Handlungsfeld die gleichen PROBLEME bestehen<br />
wie vor 40 Jahren (Das ist eine ähnliche Erkenntnis wie die der PISA-Studie, dass<br />
eine hohe Signifikanz zwischen möglichem Schulabschluss und sozialer Herkunft<br />
besteht – das wussten wir auch schon vor 40 Jahren!).<br />
In der GESAMTSCHAU vieler Untersuchungen zur SCHULSOZIALARBEIT, eben<br />
diese Forschungsberichte, die ich gerade ansprach, ob länderspezifisch oder<br />
städtebezogen, ergeben sich – nur mit geringen Abweichungen – fast immer die<br />
gleichen PROBLEMFELDER, die additiv folgendermaßen aussehen:<br />
Schulsozialarbeit heute:<br />
9. Schulsozialarbeit als ein Handlungsfeld der Jugendhilfe ist an den meisten<br />
Schulen mit unterschiedlicher Ausstattung vertreten.<br />
10.Die unbefriedigende personelle und materielle Ausstattung, die "Trägerlandschaft"<br />
und die konzeptionellen Grundlagen der Schulsozialarbeit gleichen<br />
einem "Flickenteppich".<br />
11. Der Aufgabenbereich der Schulsozialarbeit ist den meisten Lehrkräften<br />
unbekannt.<br />
16 Gemeint ist: Raab, E./Rademacker, H./Winzen, G. (1987): Handbuch Schulsozialarbeit.<br />
Konzeption und Praxis sozialpädagogischer Förderung von Schülern, München).<br />
17 Olk, Th. (2005): Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule, in:<br />
Sachverständigenkommission Zwölfter Kinder- und Jugendbericht (Hg), Kooperationen<br />
zwischen Jugendhilfe und Schule, München, S. 55.
12.Schulsozialarbeit wird überwiegend als Entlastungsfunktion des Unterrichts<br />
und Schulbetriebs angesehen (hier und in der projektbezogenen Arbeit<br />
findet die höchste Akzeptanz statt).<br />
13.Die Kooperation zwischen Sozial- und Schulpädagogik auf "gleicher Augenhöhe"<br />
findet nur in seltenen Fällen statt.<br />
Ohne auf die recherchierten Untersuchungen 18 im Detail einzugehen, grenzt es<br />
beim Lesen dieser Erhebungen und Untersuchungen oft an "defensiver Traurigkeit",<br />
weil das meiste eben doch bekannt ist.<br />
Mit "defensiv" meine ich, dass sich viele Schulsozialarbeiter-KollegInnen angesichts<br />
ihrer Arbeitsbedingungen auch so verhalten und entsprechend wahrgenommen<br />
werden. Und das macht "traurig", weil eine modern sich verstehende<br />
Jugendhilfe es nicht nötig hat, sich "empor zu hangeln", um quasi "von unten" auf<br />
das Niveau einer "gleichen Augenhöhe" zu kommen, um wahr- und<br />
erstgenommen zu werden. Die moderne, sich offensiv und präventiv definierende<br />
Soziale Arbeit braucht sich nicht mit dem "Mantel der professionellen Bedürftigkeit"<br />
umhüllen!<br />
Das mag vor 30 Jahren im Rahmen der bezugswissenschaftlichen "Hilfestellung"<br />
bei der Entwicklung zur SOZIALARBEITSWISSENSCHAFT noch der Fall<br />
gewesen sein. In der Ausdifferenzierung und Spezialisierung der erziehungswissenschaftlichen,<br />
lernpädagogischen und sozialpädagogischen Arbeitsfelder<br />
zeigt sich jedoch die Notwendigkeit der "multiprofessionellen Klammer"<br />
– auch und gerade im Hinblick auf die gleichen Zielgruppen.<br />
Das aber – so habe ich oft den Eindruck bei den Anleitertreffen unserer Studenten<br />
im Praxisfeld – muss aber auch vielen Schulsozialarbeiter-KollegInnen gesagt<br />
werden: Viele arbeiten noch ohne Arbeitsplatzbeschreibung, in vielen Schulen gibt<br />
es keine Konzeption für die Schulsozialarbeit, vielerorts werden<br />
Schulsozialarbeiter zur Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs eingesetzt und einige<br />
fühlen sich "gebauchpinselt", wenn sie Vertretungsunterricht oder Pausenaufsicht<br />
machen "dürfen". Das meine ich beispielhaft, wenn ich eingangs davon<br />
gesprochen habe, dass die Schulsozialarbeit sich ändern muss. Und genau das<br />
wird unser letztes Thema.<br />
Die moderne bildungspolitische Entwicklung ist auf eine moderne Soziale Arbeit<br />
angewiesen. Diese ist jedoch nur zu realisieren, wenn wir uns unserer eigenen<br />
PROFESSIONALITÄT auch bewusst sind – wenn wir mit geradem Rückgrat über<br />
den Schulhof gehen und die Frage nach unserem Tun jedem Schulleiter und<br />
Lehrerkollegen unmissverständlich verdeutlichen können.<br />
Mit zahlreichen Veröffentlichungen und Publikationen haben wir uns "eingemischt"<br />
und gezeigt, wie über die bestehenden Kooperationen zwischen Jugendhilfe und<br />
Schule hinaus eine von Freundlichkeit und Zuwendung geprägte kindgerechte<br />
Schule aussehen kann. Und diese Schulen gibt es ja vielerorts auch schon. Glaubt<br />
man den angesprochenen Untersuchungen, dann meistens dort, wo sich<br />
Schulsozialarbeiter aufhalten.<br />
18 Einbezogen wurde auch die letzte Untersuchung betreffend die Länder Bayern, Berlin und<br />
Sachsen: Bassarak, H. (2008), Aufgaben und Konzepte der Schulsozialarbeit, a.a.O., die die<br />
hier getroffenen Feststellungen lediglich bestätigt.
(schulsozialarbeiterische) Notwendigkeiten: THESE 5<br />
Mit meinen bisherigen Ausführungen habe ich versucht, die gesellschafts-<br />
und jugendpolitischen Hintergründe, die bildungspolitische Umwälzung und<br />
das Verständnis einer modernen Sozialen Arbeit in Schulen zu<br />
umschreiben, um auf dieser Folie die Notwendigkeit einer Angleichung der<br />
Schulsozialarbeit an diese Herausforderungen, nämlich der Realisierung<br />
eines zukunftsorientierten Bildungsverständnisses, diskutieren zu können.<br />
Es musste notgedrungen skizzenhaft bleiben.<br />
Ich möchte im Weiteren – vor dem Hintergrund der derzeitigen<br />
fachpolitischen Diskussion – diese Aufforderung an die Schulsozialarbeit<br />
anhand dreier THEMENSCHWERPUNKTE besprechen:<br />
"SCHULSOZIALARBEIT heute - Notwendigkeiten"<br />
1. "schulbezogene" vs. "sozialraumbezogene" Schulsozialarbeit?<br />
2. "Übergänge" – das sozialpädagogische Gerüst<br />
3. Stabilisierung der <strong>Prof</strong>essionalität<br />
Zu 1. "schulbezogene" vs. "sozialraumbezogene" Schulsozialarbeit?<br />
Diese Positionen werden vornehmlich in der Praxis – hier insbesondere auf<br />
Trägerseite der Schulsozialarbeit – noch kontrovers diskutiert. Ich zeige<br />
Ihnen zuerst beispielhaft einige Argumente, die, FÜR die Schulsozialarbeit<br />
an der Einzelschule sprechen:<br />
"Sozialraum- vs. (schulstandortbezogener) Einzelschulorientierung"<br />
hoher Bekanntheitsgrad der Schulsozialarbeit<br />
persönlicher Bezug zu den Fachkräften der Schulsozialarbeit seitens aller<br />
Beteiligten gegeben<br />
hoher Problem- und Unterrichtsbezug<br />
Einzelförderung und erzieherische Hilfen stehen im Vordergrund<br />
Dienst- und Fachaufsicht sind der Schule zugeordnet<br />
Festhalten möchte ich diesen Eindruck mit der Bemerkung, dass über diese<br />
Fürsprache hinaus einer schulstandortbezogenen Schulsozialarbeit hier<br />
nicht das "Wasser abgegraben" werden soll (kurze Begründung):<br />
1. An vielen Einzelschulen ist Schulsozialarbeit über einen längeren<br />
Zeitraum notwendig.<br />
2. Nicht alle Einzelschulen eignen sich für eine sozialraumorientierte<br />
Schulsozialarbeit (z.B. Schulen "auf dem Land", Schulen mit einem<br />
großen Einzugsbereich).<br />
3. Es gibt Schulen, bei denen die Schulsozialarbeit fest in die
"Schulplangestaltung" und in das Kollegium eingebunden ist: Hier<br />
agiert Schulsozialarbeit von der Schule aus in den Sozialraum.<br />
4. Die Trägeranbindung beruht auf traditionellen Bindungen und<br />
Erfahrungen.<br />
Jetzt zeige Ich Ihnen, was FÜR die Schulsozialarbeit im Sozialraum spricht:<br />
"Sozialraum- vs. (schulstandortbezogener) Einzelschulorientierung"<br />
moderne Schulsozialarbeit orientiert sich am Konzept der Lebenswelt<br />
Familie, Wohnen, Schule und Freizeit sind untrennbare Bestandteile dieses<br />
Lebensweltkonzepts<br />
elementare Erziehung, familienstützende und -ergänzende Angebote flankieren<br />
den schulischen Erziehungsauftrag<br />
Schule (als Ort des Lernens und Förderns) und Jugendhilfe (als Ort des Förderns<br />
und Lernens) kooperieren in lebensweltbezogenen Netzwerken<br />
gemeinsame Sozial-, Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung<br />
Auch hier gibt es unterschiedliche Argumente, die in der Konkretisierung<br />
sich auf den eigenen Sozialraum beziehen müssen. Dies bedarf<br />
unterschiedlicher Voraussetzungen und kommunalpolitischer<br />
BESCHLÜSSE. Neben dieser politischen WILLENSBILDUNG nenne ich<br />
hier beispielhaft die einzurichtende STEUERUNGSINSTANZ und die<br />
Zusammenführung der SOZIAL- und JUGENDHILFEPLANUNG mit der<br />
SCHULENTWICKLUNGSPLANUNG als die bedeutendsten<br />
Voraussetzungen.<br />
In einem – verkürzten – FAZIT zur Gegenüberstellung der "schulstandortbezogenen<br />
Einzelorientierung" und der "sozialraumbezogenen<br />
Schulsozialarbeit" möchte ich festhalten:<br />
14. Es wird noch über eine längere Zeit beide Formen der<br />
Schulsozialarbeit geben.<br />
15. Auf der Grundlage eindeutiger Fachplanungen werden<br />
regionale und kommunale Besonderheiten wie auch die Beteiligung<br />
der Träger weiterhin die Gestaltung der strukturellen Form der<br />
Schulsozialarbeit bestimmen.<br />
16. Die Entwicklung zu einer regionalen Bildungslandschaft ist ein<br />
langfristiger Prozess und abhängig von unterschiedlichen Struktur-<br />
und Prozessvariablen (u.a. Stadt/Land/Einzugsgebiete; politische<br />
Machverhältnisse; schulischer Reformwille).<br />
17. Die modernen Jugendhilfe- und Bildungslandschaften sind eher in<br />
städtischen als in ländlichen Regionen zu verwirklichen.<br />
Zu 2. "Übergänge" – das sozialpädagogische Gerüst
Schulsozialarbeit – so schreiben Sie für die Stadt JENA – hat die "Phase<br />
der Etablierung" beendet, es gehe jetzt um die "Phase der Spezifizierung".<br />
Es geht also nicht mehr um das "Ob", sondern um das "Wie weiter".<br />
Betrachtet man die website "thueringen.de", kommt man beim Stichwort<br />
"Schule und Jugendhilfe" auf 27 Nennungen, beim Stichwort "Schulsozialarbeit"<br />
auf 32 Nennungen – relativ viele Erfahrungen also in einer vergleichsweise<br />
mit der westdeutschen Geschichte der Schulsozialarbeit kurzen Zeitspanne.<br />
Vor diesem Hintergrund müssen meiner Ansicht nach strategische<br />
Perspektiven diskutiert werden, die Feinjustierung kann nur vor Ort erfolgen.<br />
Mit dieser Berücksichtigung vertrete ich folgende MEINUNG:<br />
1. Auf der Basis meiner bisherigen Ausführungen halte ich den DIS-<br />
KURS hinsichtlich einer STRUKTURGESTALTUNG der Schulsozialarbeit<br />
für notwendig: "schulstandortbezogene Einzelorientierung"<br />
und/oder "sozialraumbezogene Schulsozialarbeit" wird auch<br />
perspektivisch die weitere Fachdiskussion bestimmen. Im Rahmen<br />
der Neuorientierung der schulischen Bildung und schulischer Strukturprozesse<br />
wird es auch zu einer Neuordnung von<br />
Bildungslandschaften kommen.<br />
Zum Einen wird Schulsozialarbeit also weiterhin in kommunalen oder<br />
landkreisbezogenen Verbundsystemen zwischen Jugendhilfe und<br />
Schule in diejenigen Schulen implementiert, die auf der Grundlage<br />
einer integrierten Bildungsplanung (Schulentwicklungs- und<br />
Sozial-/Jugendhilfeplanung) Bedarfe entwickeln und sie an die<br />
Jugendhilfe melden. Zum Zweiten ist Soziale Arbeit für Schulen<br />
bedeutender Teil des Dienstleistungsangebots in den jeweiligen Sozialräumen.<br />
Hier wirkt Schulsozialarbeit in bedarfsorientierter<br />
Abhängigkeit moderner Organisationssteuerung oder als eigenverantwortliche<br />
<strong>Prof</strong>ession in einem interdisziplinären Team in eigener<br />
Trägerschaft.<br />
Bei dieser Gestaltung ist die professionelle SOZIALE AR-<br />
BEIT/Jugendhilfe nicht wegzudenken. Und ohne eine Neuordnung der<br />
Trägerlandschaft unter deren Mitwirkung kann keine qualitativ hohe<br />
Lebenswelt im Rahmen der notwendigen Ganztagsbildung für die<br />
Zielgruppen von Jugendhilfe und Schule entstehen.<br />
2. Daraus wird ersichtlich, dass es hier nicht darum gehen kann<br />
schulstandortbezogene Vorschläge zur Verbesserung der quantitativen und<br />
qualitativen Schulsozialarbeit zu machen (Ich kann mich auch z.B. schlecht<br />
der Vorstellung des "Kooperationsverbundes Schulsozialarbeit"<br />
anschließen, der für je 150 Schüler eine/n SchulsozialarbeiterIn fordert: Das
macht bei einer mittleren Schulgröße von 1.500 Schülern = 10<br />
SchulsozialarbeiterInnen. Finanzpolitisch brauchen wir hier nicht weiter zu<br />
diskutieren!). 19<br />
Wenn Sie im Rahmen Ihrer Schulgestaltung hier in JENA davon<br />
ausgehen, dass an jeder Schulform zwei Schulsozialarbeiter/innen 20<br />
eingesetzt werden sollten, dann ist das Ihre Entscheidung auf der<br />
Grundlage einer integrierten Sozial- und Schulentwicklungsplanung.<br />
Und das ist eine gute Entscheidung. Ob Sie aber die Grund-,<br />
Gesamt-, die Berufsbildenden Schulen oder die Gymnasien im<br />
Rahmen der sozialpädagogischen Begleitung fördern, wird immer<br />
eine quantitativ-schulversorgende – nie eine qualitativstrukturverbessernde<br />
Frage bleiben. Und die wird im Rahmen der<br />
finanzpolitischen Haushaltsplanungen jährlich neu – und aus der<br />
Erfahrung mit kommunaler Schulsozialarbeit unbefriedigend – gestellt.<br />
3. Andererseits – wenn wir hier strategisch diskutieren – muss betont<br />
werden, dass im Rahmen einer bildungsplanerischen Gestaltung von<br />
Sozialräumen die "Übergänge" in Lebensphasen an Bedeutung auch<br />
für die hier zu entwerfende "Soziale Arbeit als Dienstleistung im<br />
Sozialraum" an Bedeutung gewinnen. Erwähnen möchte ich nur<br />
(a) den weiterhin zu gestaltenden Ausbau des Zusammenwirkens<br />
zwischen vorschulischem und Grundschulbereich mit dem Ziel<br />
der integrierten Schuleingangsphase und verlängertem<br />
gemeinsamen Lernen;<br />
(b) die Übergänge von der schulischen zur studentischen bzw.<br />
beruflichen Lebensphase mit dem Ziel der Beratung und<br />
Qualifizierung in sozialraumbezogenen<br />
Dienstleistungseinrichtungen (Familien- und Beratungszentren,<br />
schulischen Begleitungsdiensten etc.);<br />
(c) die Übergänge von der "aktiven" in die (mögliche) eher "passive", altersbedingte,<br />
Lebensphase – der sogenannte dritte Lebensabschnitt. Auch<br />
hier wird "Soziale Arbeit als Dienstleistung im Sozialraum" einen Bezug zur<br />
Schule herstellen, nämlich in der – eher ehrenamtlichen – Einbeziehung bei<br />
der Beschäftigung qualifizierter Fachkräfte. Hier ist eine gut funktionierende<br />
Elternarbeit gefragt, die ältere Menschen in die soziale Versorgung der<br />
Schulen mit einbezieht.<br />
Kommen wir zum Schluss:<br />
19 Vgl. hz. Kooperationsverbund Schulsozialarbeit (2009): Berufsbild und Anforderungsprofil<br />
der Schulsozialarbeit, in: Pötter, N./Segel, G. (Hg), <strong>Prof</strong>ession Schulsozialarbeit. Beiträge zur<br />
Qualifikation und Praxis der sozialpädagogischen Arbeit an Schulen, Wiesbaden, S. 33 f.<br />
20 Siehe "Rahmenkonzeption Schulsozialarbeit <strong>Jena</strong>", Stand: 2008.
Zu 3. Stabilisierung der <strong>Prof</strong>essionalität<br />
Die Entwicklung des Schulwesens und der Schulsozialarbeit sind nach der<br />
sog. "Wende" im Vergleich zu vielen westdeutschen in den ostdeutschen<br />
Bundesländern unterschiedlich verlaufen. Eine gute Voraussetzung für die<br />
Etablierung schulbezogener Sozialarbeit waren sicher die frühen<br />
Erfahrungen, die noch zu DDR-Zeiten im Rahmen der Ganztagsangebote<br />
für Schüler gemacht wurden. Hierzu zählt auch die vergleichsweise immer<br />
noch hohe Bedarfsdeckungsquote im vorschulischen Bereich. "So<br />
entstanden in allen neuen Bundesländern Programme zur Ergänzung des<br />
schulischen Angebots durch sozialpädagogische Leistungen (…)", die durch<br />
"erste größere Begleit- und Evaluationsforschung zur Zusammenarbeit von<br />
Jugendhilfe und Schule (…) verknüpft waren." 21 Beispielhaft seien genannt:<br />
Grit Elsner 1996, Sachsen; Mechthild Seithe 1998, Thüringen; Thomas<br />
Olk/Gustav Bahtke/Birger Hartnuß 2000, Sachsen-Anhalt; Petra Bauer u.a.<br />
2005, Thüringen. Sie alle haben zur Erhellung des Handlungsfeldes<br />
Schulsozialarbeit auf unterschiedliche Art und Weise beigetragen.<br />
Deutlich wurden bei diesen Forschungen immer wieder – wie auch bei<br />
vielen westdeutschen Untersuchungen – die schon vorhin angesprochenen<br />
Problemfelder. Hieraus ergibt sich für die FACHKRÄFTE der<br />
Schulsozialarbeit eine Situation, die ich als<br />
"<strong>Prof</strong>essionalisierungsparadoxon" etwas überzeichnen möchte: Entweder<br />
es wird weiter schulabhängig, trägerbezogen, personell und materiell,<br />
akzeptanzmäßig und unterbezahlt als Einzelkämpfer oder höchstens im<br />
Tandem weiter bis zur Rente "gewerkelt" – oder SchulsozialarbeiterInnen<br />
qualifizieren sich und ihr Arbeitsfeld im Bewusstsein einer offensiv sich<br />
verstehenden Schulsozialarbeit fachlich und fachpolitisch, wissend, dass<br />
jede reformbereite und offene Schule von der Qualität ihrer <strong>Prof</strong>ession<br />
abhängig ist.<br />
Die Chance der Steigerung der Qualität der Schulsozialarbeit für die<br />
kommenden Bildungsprozesse ergibt sich für mich auf der Grundlage<br />
folgender Einstellungen und Ereignisse:<br />
1. Es gehört mittlerweile zum Standard, dass nur ausgebildete<br />
SozialarbeiterInnen/SozialpädagogInnen Schulsozialarbeit betreiben<br />
sollten. Das sollten keine BerufsanfängerInnen sein. Sie haben einen<br />
Diplom- oder Bachelor-Abschluss und im Rahmen ihres Studiums den<br />
Schwerpunkt "Schulsozialarbeit" gewählt. Praktika in der Schule sind<br />
hier oft ein Bestandteil des Studiums.<br />
2. Zukünftige SchulsozialarbeiterInnen können darüber hinaus in naher<br />
21 Rademacker, H. (2009): Schulsozialarbeit – Begriff und Entwicklung, in: Pötter, N./Segel,<br />
G.(Hg), <strong>Prof</strong>ession Schulsozialarbeit, a.a.O., S. 28.
Zukunft im Rahmen eines Master-Studiengangs an einigen FH-<br />
Standorten die Qualifikation zur Schulsozialarbeit erwerben (z.B. in<br />
Frankfurt/Main, Eichstädt-Ingolstadt, München, Regensburg,<br />
Nürnberg). Weiter werden mehrtägige Weiterbildungs- und<br />
Zertifikatskurse zur Schulsozialarbeit angeboten (in Bayern: Georg-<br />
Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg). Hierzu hat der Fachbereichstag<br />
Soziale Arbeit einen "Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit" erarbeitet<br />
und im Mai 2006 beschlossen. 22<br />
3. Den fachlichen Rahmen für eine moderne Schulsozialarbeit hat die<br />
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) bereits 2009 formuliert:<br />
"Qualifikationsrahmen könnten künftig ein angemessenes, wichtiges<br />
Instrument für moderne Hochschulorganisation darstellen. Sie<br />
erlauben es, die Lernergebnisse von hochschulischer Forschung und<br />
Lehre so abzubilden, dass sie mit den Anforderung des<br />
Arbeitsmarktes abgeglichen werden können … " 23 Auf das Studium<br />
der Sozialen Arbeit bezogen wird in einem Sammelband des<br />
Deutschen Vereins hervorgehoben: "Mit der Einführung von Bachelor-<br />
und Masterstudiengängen besteht historisch erstmalig die Chance,<br />
eine berufsfeldbezogene und wissenschaftsbasierte Grundausbildung<br />
zu garantieren." 24<br />
Dieser "Qualifikationsrahmen Schulsozialarbeit" liegt jetzt vor. Er<br />
wurde von Ulrich Bartosch u.a. in Verbindung mit dem<br />
"Kooperationsverbund Schulsozialarbeit" erarbeitet. Er gibt einen<br />
detaillierten Einblick zu den Voraussetzungen und Befähigungen, die<br />
an die Berufsrollenträger in der Schulsozialarbeit zukünftig gestellt<br />
werden.<br />
Erwähnenswert ist schließlich noch die auf dem Fachbereichstag hier<br />
in JENA (16. Juni 2009) beschlossene Einrichtung einer<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Schulsozialarbeit. Sie tagte zum<br />
ersten Mal am 11. März 2010 in Nürnberg.<br />
Mit diesen letzten Hinweisen für eine erforderliche Qualifizierung der<br />
Schulsozialarbeit im Rahmen der modernen Bildungsoffensive möchte ich<br />
schließen.<br />
Ich habe mich bemüht, die Problemfelder, Schwerpunkte und künftigen Notwendigkeiten<br />
für eine fortschrittliche, offensive und strategische<br />
Schulsozialarbeit zu diskutieren. Dass dies notgedrungen lückenhaft<br />
geschehen ist, mögen Sie mir – hoffentlich – verzeihen.<br />
22 Vgl. Eibeck (2009): Strukturen für eine Sudium der Schulsozialarbeit, in: Pötter, N./Segel,<br />
G.(Hg), <strong>Prof</strong>ession Schulsozialarbeit, a.a.O., S. 97.<br />
23 Ebenda, S. 101.<br />
24 Ebenda.
Anhang<br />
THESEN zum Vortrag " Zentrale Entwicklungsfelder der Schulsozialarbeit"<br />
1. Die historisch-traditionellen Funktionen von Schule, zu qualifizieren und zu integrieren,<br />
können durch die Schule allein nicht mehr wahrgenommen werden.<br />
Offensichtlich und empirisch belegbar ist, dass der europäische Bildungswettbewerb seit PISA die<br />
Schulen zwingt, verstärkt zu qualifizieren. Die objektiven Funktionen der Schule (Fend 1980),<br />
insbesondere die Qualifikationsfunktion, stehen seitdem im Vordergrund bildungspolitischer<br />
Bemühungen (Turbo-Abi, Verdichtung des Lernens, neue Studiengänge etc.). Selektions- und<br />
Qualifikationsfunktion verweisen die jungen Menschen über das Schulwesen auf gesellschaftliche<br />
Positionen. In Vernachlässigung ihrer Integrationsfunktion werden Störenfriede und Abweichler früh<br />
diagnostiziert und ausgeschlossen. Schule kann heute die ihr zugeschriebenen Funktionen nicht<br />
mehr allein erfüllen – insbesondere nicht ihre integrative Funktion.<br />
2. Die Schule der Zukunft wird ohne Implementierung anderer Berufsdisziplinen in ihre<br />
Organisation, ohne strukturelles und interdisziplinäres Zusammenwirken, die an sie herangetragenen<br />
Erwartungen nicht erfüllen können. Von daher muss sie heute multiprofessionell<br />
arbeiten, will sie erzieherische, qualifikatorische, fördernde und integrative Ansprüche<br />
glaubwürdig einlösen.<br />
Allein die schulische Selektion scheint bei uns zu funktionieren – wie uns die vergleichenden<br />
internationalen und nationalen Studien gezeigt haben. Zur Realisierung übergeordneter Qualifikations-<br />
und Erziehungsziele in unserer Wissensgesellschaft bedarf es jedoch grundsätzlicher<br />
struktureller Veränderungen und Innovationen – kurz: Es bedarf der Überwindung des dreigliedrigen<br />
Schulsystems! Aus der sozialpädagogischen Perspektive ist es besonders die INTEGRATI-<br />
ONSFUNKTION der Schule, die in diesem Reformprozess interessiert. So muss nach TIMSS, PISA,<br />
IGLU usw. gefragt werden: Wie kann eine moderne Schule erziehen, fördern, integrieren?<br />
3. Moderne Erziehungsformen, orientiert am Lebens- und Lernrhythmus der Kinder und<br />
Jugendlichen, unter Berücksichtigung eines erweiterten Bildungsverständnisses (informelle<br />
Bildungsprozesse), sind nur in einer veränderten (Ganztags-)Schulform zu realisieren.<br />
Orientiert am wissenschaftlichen und internationalen Erkenntnisstand bezieht diese Schule<br />
multiprofessionelle Standards und teamgerichtete Lehrformen in Erziehung und Unterricht<br />
mit ein.<br />
Schulsozialarbeit ist ein hier strukturell verankertes "eigenständiges Dienstleistungsangebot der<br />
Jugendhilfe am Ort Schule" (SGB VIII, Kommentar). Sie ist integrierter Bestandteil des gesamten<br />
Schullebens. Als schulbezogene Sozialarbeit arbeitet sie auf vertraglicher Grundlage trägerverbunden<br />
in der Schule. Dabei orientiert sich ihre konzeptionelle und methodische Gestaltung an dem<br />
jeweils schulformbezogenen Handlungsfeld. Eine sozialraumbezogene Schulsozialarbeit ist das<br />
Produkt moderner Bildungslandschaften in Kommunen und Kreisen. Die quantitativen und<br />
qualitativen Beziehungen zu den jeweiligen Schulen sind das Ergebnis eines planerischen und<br />
abgestimmten Bedarfs hier involvierter Einrichtungen. Diese moderne Form der Schulsozialarbeit<br />
bedarf der Entwicklung von Standards als Bestandteil ihrer professionellen Gestaltung.<br />
4. Vor dem Hintergrund der bildungsföderalistischen Gestaltung des deutschen Schulwesens,<br />
den jahrzehntelangen Erfahrungen der Schulsozialarbeit in den unterschiedlichen Schulen<br />
und mit Blick auf die (notwendigen) Reformen des Schulsystems gilt es, Schulsozialarbeit
verstärkt in diesen Prozess zu integrieren und zu qualifizieren.<br />
Fachkräfte der Schulsozialarbeit machen an den verschiedenen Schulformen derzeit noch sehr<br />
differierende Erfahrungen hinsichtlich der Akzeptanz ihrer Tätigkeiten. Die Gründe hierfür sind<br />
vielfältig. Zum Einen ist u.a. die Unkenntnis unterschiedlicher Handlungsfelder (Schule, Soziale<br />
Arbeit) auf ungleiche Ausbildungen der hier beteiligten <strong>Prof</strong>essionen zurück zu führen. Daraus<br />
resultierende zielgruppenbezogene Handlungsaufträge sind selten kongruent und erschweren<br />
aufgrund oft fehlender Transparenz notwendige Kooperationen. Zum Anderen tragen nur selten<br />
vorhandene schulstrukturelle Verankerungen, defizitäre Personal- und Materialausstattungen,<br />
unbefriedigende Trägerbegleitungen, fehlende Arbeitsplatzbeschreibungen und Konzeptionen u.a.m.<br />
zu einer defensiven Schulsozialarbeit bei. Die Gefahr einer tendenziellen Verschulung der<br />
Schulsozialarbeit ist evident. Gefragt ist jedoch eine offensive Vertretung bildungs-, sozial- und<br />
fachpolitischer Themen und Aufgaben, deren Unkenntnis seitens der schulsozialarbeiterischen<br />
Fachkräfte oft aus fehlenden Anbindungen an Berufsorganisationen, Fachvertretungen und<br />
Netzwerkbeziehungen resultieren. In der Konsequenz sämtlicher Erfahrungen und Beobachtungen<br />
entsteht zunehmend die Notwendigkeit, die Qualität der Schulsozialarbeit weiter zu entwickeln, um<br />
mit einem stabilen professionellen Selbstbewusstsein die schulischen Reformprozesse begleiten zu<br />
können.<br />
5. Schulsozialarbeit muss sich in der fachpolitischen Landschaft offensiver positionieren. Das<br />
bildungspolitische Ziel muss sein, unverzichtbarer Bestandteil multiprofessioneller<br />
Schulreformprozesse zu sein.<br />
Diese fach- und berufspolitische Forderung geht über die derzeit favorisierten Kooperationsbeziehungen<br />
zwischen Schule und Jugendhilfe hinaus. Sie berücksichtigt einerseits die bestehenden<br />
schulformbezogenen Handlungsfelder und Kooperationsformen, qualifiziert sich jedoch andererseits<br />
auf die Option hin, sozialpädagogischer Bestandteil einer kommunalen und regionalen<br />
Bildungslandschaft zu sein. Zum Einen wird Schulsozialarbeit also weiterhin in kommunalen oder<br />
landkreisbezogenen Verbundsystemen zwischen Jugendhilfe und Schule in diejenigen Schulen<br />
implementiert, die auf der Grundlage einer integrierten Bildungsplanung (Schulentwicklungs- und<br />
Sozial-/Jugendhilfeplanung) Bedarfe entwickeln. Zum Zweiten ist Soziale Arbeit für Schulen bedeutender<br />
Teil des Dienstleistungsangebots in den jeweiligen Sozialräumen. Hier wirkt Schulsozialarbeit<br />
in bedarfsorientierter Abhängigkeit moderner Organisationssteuerung oder als eigenverantwortliche<br />
<strong>Prof</strong>ession in einem interdisziplinären Team in eigener Trägerschaft.<br />
Ohne das sozialpädagogische Gerüst ist der Um- und Neubau des Schulsystems nur eine halbherzige<br />
Variante notwendiger Reformen im europäischen Bildungskontext. Auf diese neue Stufe der<br />
Qualität schulbezogener Sozialer Arbeit muss Schulsozialarbeit als <strong>Prof</strong>ession vorbereitet sein.<br />
Derzeitige Bestrebungen zur Aus- und Fortbildung zukünftiger und tätiger Fachkräfte lassen<br />
erkennen, dass die moderne Schulsozialarbeit ein fachpolitisches <strong>Prof</strong>il zu entwickeln in der Lage ist,<br />
dass aus reformbereiten Schulen nicht wegzudenken ist.