Referat Prof. Dr. F. Nieslony (PDF, 302.2 KB) - Jena

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Meine Damen und Herren, wir befinden uns in der zweiten Nachkriegsphase der Bildungsreformen – wenn sie so wollen. Wurde in den 60er und 70er Jahren noch befürchtet, dass die Gesamtschulreform in den westlichen Bundesländern mit "sozialpädagogischer Blindheit" behaftet ist, so ist heute anzunehmen, dass die bundesdeutsche Bildungslandschaft ein schulorganisatorischer Flickenteppich bleibt und ein erneuter Torso – diesmal die Ganztagsschulen – sich zu etablieren beginnt. Ob wir tatsächlich zu einer notwendigen und vielfach postulierten "Ganztagsbildung" kommen und hier den Stellenwert der Jugendhilfe, insbesondere der schulbezogenen Sozialarbeit, definieren können, soll ja der Verlauf der Tagung dokumentieren.
(strukturelle) Hintergründe: THESE 1 Zur Einlösung individueller Voraussetzungen an der schulischen Teilhabe gibt es – wie in jeder Kulturgemeinschaft – Hindernisse und Hürden. Und der Zugang zu einer bildungspolitischen Problemdarstellung beginnt meistens mit einer Analyse der Zugangsvoraussetzungen für die Teilhabe an Bildungsgütern. Damit möchte ich Sie allerdings verschonen. Wir können jedoch andererseits die Augen nicht vor individuellen und strukturellen Gegebenheiten verschließen, denen sich junge Menschen ausgesetzt sehen. Es sind "andere" Kinder einer "anderen" Generation in einer "anderen" Schule, mit denen sich die Soziale Arbeit auseinander zu setzen hat: Die gesellschaftlichen Arrangements und mit ihnen die Schülergenerationen haben sich verändert. Individuelle, moderne Lebensbedingungen konfligieren nicht selten mit den Voraussetzungen an den gesellschaftlichen Errungenschaften teilhaben zu können. Was aber sind das für Veränderungen, mit denen junge Menschen heute konfrontiert sind, die sie von anderen Generationen unterscheiden und die als Rahmenbedingungen das individuelle Lernen manifestieren? Es geht bei dieser Auseinandersetzung also um die strukturellen Bedingungen des Lernens, die eine umfassende BILDUNG zu beeinflussen in der Lage sind. "Wandel der Normalitätsvorstellungen" Das, was früher oft unvorstellbar war, ist heute "normal". Aufgabe von Sozialpolitik, also auch von Jugendhilfe, ist es, "Normalität" zu sichern. Das Verständnis von Normalität orientiert sich immer weniger an gemeinsamen Werten, religiösen Bindungen oder kulturellen Traditionen. Die Lebenslagen junger Menschen sind in hohem Maße von deren Pluralisierung gekennzeichnet, wie sie schon der 8. Jugendbericht sehr differenziert beschreibt. Diese Vervielfältigung von Möglichkeiten bietet Chancen, setzt Jugend aber auch unter <strong>Dr</strong>uck. Vor dem Hintergrund dieser breiten Möglichkeiten muss sich Jugend nämlich auch entscheiden. Mit Individualisierung wird dieser Zuwachs an Selbstverantwortung beschrieben, der zugleich mehr Handlungs- und Wahlfreiheit als früher einräumt und zu Entscheidungen von weit reichender Bedeutung zwingt, ohne dass Jugend häufig weiß, woraufhin sie sich entscheiden soll. Der Verlust der alten Sicherheiten und Werte wie des schützenden Milieus führt zu Unsicherheit, Ohnmacht, Orientierungslosigkeit und Vereinsamung. "Wandel der familialen Verhältnisse" Die Familie ist immer weniger die Basis für die eigene Zukunft. Familie verändert sich, zerfällt, formiert sich in wechselnden Zusammensetzungen neu. Dazu gehören Phänomene der Vereinzelung, Verinselung und Vereinsamung von Kindern durch Geschwisterlosigkeit, des Fehlens mehrerer Bezugspersonen und der Verlust ganzheitlicher Erfahrungen. Die Erlebnisse von psychischer, physischer und sexueller Gewalt gegen Kinder kennzeichnen ebenso die Situation vieler Familien heute wie die wachsende Armut, insbesondere in kinderreichen Familien. "Wandel der Erwerbssituation" Arbeit ist das zentrale Medium der sozialen Integration und Grundlage der wesentlichen sozialen Sicherungssysteme unserer Gesellschaft. Normalität und Erwerbstätigkeit wären also synonym zu sehen. Mit dem Steigen der Arbeitslosigkeit, dem Anwachsen von Armut, der Unsicherheit des Übergangs vom Jugend- ins Erwachsenenleben sinkt die sozialintegrative Kraft der traditionellen Berufsbiographie. Der <strong>Dr</strong>uck in der Schule wächst. Mit "Qualifikationsparadox" wird eine Situation beschrieben, in der auf die Entwertung von schulischen Qualifikationen mit vermehrten Qualifikationsanstrengungen reagiert wird, die immer weniger Garantien geben. "Wandel der institutionellen Bedingungen" Mit dem Bild der "Risikogesellschaft" werden die vielfältigen gesellschaftlichen Bedrohungen bezeichnet, die Kinder und Jugendliche heute ängstigen: kriegerische Auseinandersetzungen, terroristische Bedrohungen, ökologische Katastrophen usw. Untersuchungen einschlägiger Jugendforschungsinstitute weisen nach, dass die Zukunftsängste von Kindern enorm gestiegen sind und ihr Heranwachsen
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Seite 23: verstärkt in diesen Prozess zu int

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