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<strong>Jahresgabe</strong>/<strong>Juli</strong> <strong>2011</strong>
KUNSTHANDWERK<br />
DER TOUAREG:<br />
LEDER UND SCHMUCK<br />
Die Qualität<br />
des Roh-Leders<br />
wird geprüft<br />
Frisch gefärbtes<br />
Leder trocknet<br />
neben der<br />
Färbetrommel<br />
Die Lederschatulle<br />
ist fast fertig<br />
Beim<br />
Aufziehen<br />
des Leders<br />
auf Holz<br />
Frisch aus der<br />
Schuh-Produktion:<br />
individuell<br />
und bequem<br />
Wüstenvölker haben ihre spezifi sche Formensprache,<br />
die sich in den Verzierungen<br />
ihrer Gebrauchsgegenstände zeigt. Ob es<br />
eine Kalebassenschale, der Knauf eines<br />
Messers oder der Sattel des Reitkamels ist<br />
– alles, was im täglichen Leben benutzt<br />
wird, soll auch schön sein.<br />
Die wenigen Gerätschaften, die ein nomadischer<br />
Haushalt braucht, werden<br />
pfl eglich behandelt und mit Achtsamkeit<br />
eingesetzt.<br />
Diese Philosophie kennen auch die Benediktiner<br />
von Münsterschwarzach sehr<br />
gut, ist Kapitel 31 der Regel des heiligen<br />
Benedikt genau diesem Thema, dem<br />
pfl eglichen Umgang mit Werkzeug, Gerätschaften<br />
und Kleidung, gewidmet.<br />
Nun sind die Tuareg in den Sahelländern<br />
am Südrand der großen Wüste Sahara<br />
schon längst keine Nomaden mehr,<br />
sondern haben sich zum größten Teil in<br />
Städten und Dörfern angesiedelt. Die<br />
Achtsamkeit im Umgang mit ihren Werkzeugen<br />
und bei der Herstellung kunsthandwerklicher<br />
Produkte haben sie jedoch<br />
beibehalten.<br />
Diese Sorgfalt, die für die Touareg in der<br />
Wüste überlebensnotwendig war – denn<br />
was nützt ein lederner Wassersack am<br />
Brunnen, wenn er schlampig genäht ist<br />
und das Wasser unterwegs verliert? –<br />
diese Sorgfalt bleibt bis heute sichtbar in<br />
der Verarbeitung der modern gestalteten<br />
Taschen, Schuhe und Schlüsselanhänger,<br />
welche von Handwerkskooperativen in<br />
Burkina Faso und Niger für den fairen<br />
Handel produziert werden.<br />
Mâitre Cissé Abala Mme Cissé<br />
Neben der Lederverarbeitung sind die<br />
Touareg vor allem für ihre hohe Kunst als<br />
Silberschmiede bekannt.<br />
Die Künstler lernen die Kunst des Silberschmiedens<br />
in einer Designschule, die –<br />
ausgehend von traditionellen Touareg-<br />
Schmuckstücken wie z.B. dem Kreuz von<br />
Agadez oder der Chat-Chat-Kette – eine<br />
Vielzahl von edelsten Modellen hervorgebracht<br />
hat. Der Spagat zwischen „Identität<br />
wahren“ und der Fähigkeit, den Kundengeschmack<br />
zu treffen, glückt den Silberschmieden<br />
auf eine hervorragende Weise.<br />
Jedes Schmuckstück ist ein individuell gefertigtes<br />
Kunstwerk mit der Signatur des<br />
jeweiligen Silberschmieds in der vom Verschwinden<br />
bedrohten Schrift der Touareg:<br />
Tifi nak. Moussa (Moses) Ouhmoudou<br />
ist ein junger, moderner Targi und Silberschmied,<br />
der in Ouagadougou einen kleinen<br />
Laden hat.<br />
Hier verkauft Moussa Schmuck<br />
aus kleinen Werkstätten Burkina<br />
Fasos und Niger. Von April<br />
bis <strong>Juli</strong> dieses Jahres konnte<br />
der Fair-Handel Moussa<br />
Ouhmoudou einladen, seine<br />
Arbeiten den mainfränkischen<br />
Weltläden vorzustellen.<br />
Eine reiche Auswahl des original Touareg-Schmuckes fi nden Sie im Fairhandel<br />
der Abtei, Schweinfurter Str. 40, 97359 Münsterschwarzach<br />
Tel: 09324-202-73, FAX: 09324-20493 oder per e-mail: info@fair-handel-gmbh.de<br />
Beispiele davon im Internet: www.fair-handel-gmbh.de
EDITORIAL<br />
INHALT<br />
Seite<br />
Br. Stephan Veith OSB<br />
Vorwort ................................................................... 3<br />
P. Anselm Grün OSB<br />
Idole in der Kirche – gibt es sie noch? ....................... 4<br />
P. Jonathan Düring OSB<br />
Idole wirken blendend ................................................ 6<br />
Dr. Reinhard Klos<br />
Eine Spurensuche – Man muss kein Megastar dafür sein . 8<br />
P. Silvanus Kessy OSB<br />
„Gott“ geht auch ohne Mobiltelefon .......................... 10<br />
P. Edgar Friedmann OSB<br />
Idole und Anti-Idole ................................................ 12<br />
Orlando Vasquez<br />
Gottheit, repräsentiert durch ein Objekt .................... 14<br />
Anja Legge<br />
Von leuchtenden Fixsternen und falschen Feuern ....... 16<br />
Fr. Karl v. Ö. Pemsl OT<br />
Heilige als Idole ...................................................... 18<br />
Br. Thomas Morus Bertram OSB<br />
Mein Idol – mein Name ............................................ 20<br />
Br. Stephan Veith OSB<br />
Vorbilder von Mitbrüdern .......................................... 22<br />
Hendrik Weingärtner<br />
Wie hätte ich mich verhalten? .................................. 24<br />
Interview: Abt Michael Reepen OSB ........................... 26<br />
Projekt: Handwerkerausbildung in Peramiho ............... 28<br />
Werbung Prokura: .................................................... 29<br />
Werbung VT-GmbH .................................................... 30<br />
Namen/Nachrichten .................................................. 32<br />
Serie/Dank ............................................................. 37<br />
Br. Thomas Morus Bertram OSB<br />
Aus dem Nähkästchen geplaudert ............................ 39<br />
Hinter den Fans der Idole steckt eine Sehnsucht nach Freiheit.<br />
Und manchmal hängt neben den Bildern ihrer Stars der, der<br />
die Freiheit verkörpert – Jesus Christus.<br />
Portrait:<br />
P. Aurelian Weiß OSB<br />
IMPRESSuM<br />
Ruf in die Zeit<br />
AUSGABE JULI <strong>2011</strong>, NR. 3/11<br />
MISSIONSBENEDIKTINER<br />
MÜNSTERSCHWARZACH<br />
Das Magazin für Freunde, Förderer und Interessenten der Missionsarbeit<br />
der Abtei Münsterschwarzach<br />
Abonnement<br />
Bestellung an prokura@abteimuensterschwarzach.de<br />
oder Telefon 09324/20287 vierteljährlich, kostenfrei<br />
Redaktion<br />
Br. Stephan Veith (verantw.), Br. Thomas Morus Bertram (verantw.),<br />
Br. Alfred Engert, P. Jonathan Düring, Br. Joachim Witt, Br. Manuel Witt<br />
Herausgeber<br />
Missionsprokura der Abtei Münsterschwarzach<br />
97359 Münsterschwarzach Abtei<br />
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Bildnachweis<br />
J. Rogosch (S. 1), FairHandel (S. 2, 14, 15), Diözese Limburg<br />
(S. 4), DAHW (S. 5), P. Jonathan (S. 7), T. Lurz (S. 8), dpa (S. 12,<br />
16, 17, 39), KNA (S. 19, 27), Fr. Karl (S. 18), W. Nigg (S. 20), Br.<br />
Thomas Morus (S. 9, 28, 36, 37, 40), P. Silvanus (S. 10, 11), E. Müller<br />
(S. 24, 25), F. Bertele (S. 29), Goldschmiede (S. 30, 31), A. Legge<br />
(S. 26, 32, 33, 34, 35), Br. Robert (S. 38)<br />
Gesamtherstellung:<br />
Benedict Press, VierTürme GmbH, 97359 Münsterschwarzach Abtei<br />
Konzeption: Klaus Gold<br />
BR. STEPHAN VEITH OSB<br />
Missionsprokurator<br />
Liebe<br />
Leserinnen<br />
Leser...<br />
... das Wort „Idol“ verbinden wir meist mit der Jugend. Hat sie die richtigen Idole?<br />
Hat sie überhaupt noch welche? Eltern schütteln den Kopf, wenn sie sich die Poster<br />
von Fußballstars und vermeintlichen Popgrößen in den Zimmern ihrer Kinder<br />
genauer anschauen. Geben Jugendliche allerdings an, dass sie keine Idole haben,<br />
dann empfinden wir das als bedenklichen Mangel an Idealismus.<br />
Woher kommt dieses gespaltene Verhältnis zum Umgang mit Idolen? Es rührt wohl<br />
aus der doppelten Bedeutung des Begriffs. Wir verstehen darunter Götzenbilder<br />
und Vorbilder zugleich. „Idole der Jugend“ können Michael Jackson und Johannes<br />
Paul II. sein; Albert Schweitzer und die Beatles, Mutter Teresa und Messi, John<br />
F. Kennedy oder Mick Jagger oder Lena oder der heilige Franziskus. Manchmal<br />
sogar alle zusammen.<br />
Welche Idole heute in Afrika oder Lateinamerika, in Asien oder konkret in unseren<br />
Schulen verehrt werden, das ist Thema dieses „Rufs in die Zeit“. Und wie<br />
wir richtig mit diesen Idolen umgehen. Und wer die wahren Helden sind. Das<br />
können nämlich Menschen sein, von denen es gar keine Poster zu kaufen gibt.<br />
Man muss nur richtig hinschauen.<br />
Es grüßt Sie herzlich<br />
3
ZuM THEMA<br />
Idole in der Kirche<br />
– gibt es sie noch?<br />
von P. Anselm Grün OSB<br />
Wenn ich ältere Menschen geistlich begleite,<br />
erzählen sie mir oft, dass sie von ihrem<br />
Heimatpfarrer oder ihrem Heimatkaplan<br />
begeis tert waren. Oft war die Begeisterung<br />
für den Pfarrer der Grund, dass sie selbst<br />
den Priesterberuf gewählt haben. Heute<br />
beklagen sich viele Christen, dass sie keine<br />
Vorbilder mehr in der Kirche erleben. Lange<br />
Zeit waren Roger Schutz oder Mutter<br />
Teresa solche Vorbilder. Aber wo sind diese<br />
Vorbilder heute?<br />
Was sind Idole?<br />
Bevor ich von Vorbildern, Idealbildern und<br />
Idolen spreche, möchte ich eine kurze Begriffserklärung<br />
geben. Idole sind von ihrem<br />
Ursprung her Götterbilder. Die christliche<br />
Tradition hat die „Idololatrie“, die Verehrung<br />
von Götzenbildern verboten. Stattdessen<br />
hat sie die Menschen hingelenkt zum<br />
wahren Bild Gottes, zu Jesus Christus, in<br />
dem Gott für uns sichtbar und anschaubar<br />
geworden ist. Heute denken wir bei Idolen<br />
nicht an Götzenbilder, sondern an Filmschauspieler,<br />
Sportler oder Musiker. Junge<br />
Menschen lassen sich von Idolen leiten.<br />
Dabei hat ihr Schwärmen für ihre Idole<br />
durchaus etwas mit Götzenverehrung zu<br />
tun. Die Idole werden in den Himmel hinauf<br />
gehoben. Ihnen wird gleichsam göttliche<br />
Verehrung zuteil. Man verehrt die Idole, um<br />
in ihrem Glanz den eigenen Wert zu erahnen.<br />
Doch dies führt in der persönlichen<br />
Entwicklung nicht weiter. Den Idolen fehlt<br />
der Aufforderungscharakter, den Vorbilder<br />
haben. Sie wirken oft genug als Ersatz dafür,<br />
selber zu reifen und an sich zu arbeiten. Man<br />
schwärmt für ein Idol und erwartet sich davon,<br />
dass man Anteil hat an seinem Glanz.<br />
Doch man sonnt sich in fremdem Glanz,<br />
statt sich auf den Weg zu machen und den<br />
Glanz der eigenen Seele zu entdecken.<br />
Idealbilder verwandeln<br />
den Menschen<br />
Gegenüber den Idolen ihrer Umgebung hat<br />
die frühe Kirche auf Jesus Christus verwiesen,<br />
der das wahre Ebenbild des Vaters ist.<br />
Und man hat auf die Heiligen verwiesen, die<br />
etwas vom Glanz Jesu Christi in ihrem eigenen<br />
Antlitz widerspiegelten. Weder Christus<br />
noch die Heiligen waren Idole. Sie waren<br />
vielmehr Idealbilder. Und diese Idealbilder<br />
sollten sich in die Menschen einbilden und<br />
sie in Berührung bringen mit den eigenen<br />
Kräften, die in ihrer Seele bereit lagen. Die<br />
Idealbilder verwandeln den Menschen. Sie<br />
ziehen ihn nach vorne. Sie helfen, dass die<br />
Menschen all das in sich entdecken, was<br />
auch das Idealbild des Heiligen darstellt.<br />
Bischof Dr. Franz Kamphaus<br />
Geboren 1932 in Lüdinghausen/Münsterland.<br />
Priesterweihe 1959.<br />
Bischof von Limburg 1982–2007.<br />
Für die Erziehung vieler Generationen waren<br />
die Idealbilder eine große Hilfe, um gute<br />
Christen zu formen, um immer wieder auch<br />
Heilige hervorzubringen, die sich von anderen<br />
Heiligen herausfordern ließen, sich ganz<br />
und gar für Gott und für die Menschen einzusetzen.<br />
Idealbilder und Vorbilder haben<br />
die Aufgabe, den Menschen aufzufordern,<br />
diesen Bildern ähnlich zu werden. Sie wollen<br />
etwas im Menschen in Bewegung bringen,<br />
während Idole oft nur zum Ersatz für das<br />
eigene ungelebte Leben werden.<br />
Gefahren von Idealen<br />
In der Psychologie ist man den Idealbildern<br />
gegenüber heute vorsichtig geworden. Denn<br />
man sieht die Gefahr, dass jemand sich mit<br />
einem hohen Idealbild identifi ziert und dabei<br />
seine eigenen Grenzen überspringt. Er<br />
hält sich selbst für ideal und verdrängt dabei<br />
seine negativen Seiten. Die werden dann zu<br />
Schattenseiten. Wer meint, er könne nur die<br />
Liebe des hl. Franziskus leben, der verdrängt<br />
seine Aggressionen. Und diese Aggressionen<br />
werden sich dann vom Unbewussten<br />
– vom Schatten aus, wie C.G. Jung sagt –<br />
destruktiv auf den Menschen auswirken. Die<br />
Liebe hat dann als Schatten das harte Urteilen<br />
über andere, die nicht so gläubig sind.<br />
Oder bei anderen werden die hohen Ideale<br />
ausgeglichen durch das ständige Reden<br />
vom Teufel. Weil man sich selbst ganz ideal<br />
sieht, sieht man sich ständig vom Teufel angefochten.<br />
Man wittert überall den Teufel.<br />
Letztlich ist es der Teufel im eigenen Herzen,<br />
den man an die Wand malt, weil man ihn<br />
bei sich lieber nicht wahrnehmen möchte.<br />
Richtiger Umgang<br />
mit Idealbildern<br />
Es braucht daher einen richtigen Umgang<br />
mit den Idealbildern. Idealbilder fordern uns<br />
4
heraus, locken die guten und starken und<br />
frommen Seiten in uns hervor. Sie sind Antrieb,<br />
an uns zu arbeiten, uns nicht zufrieden<br />
zu geben mit einem oberfl ächlichen Leben.<br />
Aber die Idealbilder brauchen als Ausgleich<br />
die Tugend, die der hl. Benedikt so sehr<br />
geschätzt hat: die Demut. Die Demut ist<br />
der Mut, hinabzusteigen in die Tiefen der<br />
eigenen Seele, auch in die dunklen Schattenseiten<br />
der Seele. Demut ist verwandt mit<br />
humilitas, was Erdverbundenheit, mit beiden<br />
Beinen auf dem Boden stehen, meint.<br />
Idealbilder, die uns begeistern, können uns<br />
verlocken, so wie sie den Ikarus im griechi<br />
Dr. Ruth Pfau<br />
Geboren 1929 in Leipzig.<br />
Studium der Medizin in Mainz und Marburg.<br />
Seit 50 Jahren als Lepra- und<br />
Tuberkulose-Ärztin in Pakistan tätig.<br />
schen Mythos verlockt haben. Ikarus war<br />
so fasziniert vom Licht der Sonne, der er<br />
entgegen fl og, dass er nicht merkte, wie<br />
die Sonnenstrahlen das Wachs an seinen<br />
Flügeln schmolz. So stürzte er jählings<br />
ab. Wir sollen keine Himmelsstürmer sein,<br />
sondern mit beiden Beinen auf der Erde<br />
stehen. Dann können wir uns herauslocken<br />
lassen von Idealbildern. Dann werden<br />
wir Schritte der Entwicklung machen,<br />
Schritte auf Gott zu. Wir werden unsere<br />
Wahrheit immer mehr vom Licht Christi erhellen<br />
und verwandeln lassen.<br />
Heilende Wirkung von Idealen<br />
Idealbilder wollen sich in uns einbilden,<br />
damit wir mit dem ursprünglichen Bild in<br />
Berührung kommen, das Gott sich von jedem<br />
von uns gemacht hat. Wenn wir mit<br />
dem einmaligen Bild Gottes in Berührung<br />
sind, dann empfi nden wir inneren Frieden,<br />
Freiheit, Liebe und Lebendigkeit. Wenn wir<br />
uns mit zu großen Bildern identifi zieren, werden<br />
wir blind für die eigenen Bedürfnisse<br />
und Schattenseiten. Daher geht es darum,<br />
sich von den Bildern der Ideale und Idole<br />
anregen zu lassen, ohne sich mit ihnen zu<br />
identifi zieren. Dann haben sie eine heilende<br />
Wirkung auf uns.<br />
Der Schweizer Psychologe C.G. Jung spricht<br />
von archetypischen Bildern, wie sie etwa<br />
im Bild des Heiligen uns begegnen. Diese<br />
archetypischen Bilder haben die Wirkung,<br />
uns zu zentrieren, uns in die eigene Mitte<br />
zu führen, zu unserem wahren Selbst. Sie<br />
sind Quellen innerer Kraft und Lebendigkeit.<br />
Und sie sind notwendig für unsere innere<br />
Heilung. Aber wenn sich jemand mit<br />
archetypischen Bildern identifi ziert, etwa<br />
mit dem Bild des Heilers oder Helfers, dann<br />
wird er bei seinem Helfenwollen blind für<br />
die eigenen Bedürfnisse, die er unter dem<br />
Deckmantel des Helfens ausagiert.<br />
Idealbilder unserer Zeit<br />
Die Menschen sehnen sich heute nicht nur<br />
nach den Idealbildern der Vergangenheit.<br />
Sie schauen aus, ob sie heute in der Kirche<br />
solche Idealbilder und Lichtgestalten<br />
sehen. Da bieten sich durchaus auch heute<br />
noch Menschen an, die überzeugen,<br />
wie etwa Bischof Kamphaus oder Sr. Lea<br />
Ackermann oder Dr. Ruth Pfau, die in Pakistan<br />
als christliche Ärztin und Ordensfrau<br />
wirkt. Allerdings gibt es nicht viele lebendige<br />
Vorbilder. In der Vergangenheit sehen<br />
wir mehr Ideale: Mutter Teresa, Thomas<br />
Merton, Roger Schutz, Erzbischof Helder<br />
Camara, Erzbischof Romero, der den Märtyrertod<br />
starb. Es ist eine Herausforderung<br />
an uns, authentisch unser Christsein zu<br />
leben. Wir können nicht mit dem Vorsatz<br />
antreten, für andere Vorbilder zu sein. Das<br />
wird nur zu einer IchAufblähung führen.<br />
Aber wir sollen unserer Verantwortung gerecht<br />
werden, uns vom Geist Jesu durchdringen<br />
zu lassen. Dann dürfen wir vertrauen,<br />
dass die Menschen auch in uns<br />
Bilder Jesu Christi erkennen, Ikonen, die<br />
etwas ausstrahlen von der Liebe und Freiheit<br />
Jesu C hristi. Nicht indem wir uns den<br />
jungen Menschen gegenüber als Vorbilder<br />
darstellen, wirken wir als Vorbilder, sondern<br />
wenn wir in aller Demut unser Leben<br />
authentisch leben, wenn wir immer durchlässiger<br />
werden für den Geist Jesu Christi.<br />
Dann wird dieser Geist Jesu auch heute<br />
durch Menschen hindurch die Menschen<br />
berühren und sie zu ihrem eigentlichen<br />
Bild hinführen, das Gott sich von ihnen<br />
gemacht hat.<br />
P. Anselm Grün OSB<br />
Geboren 1945 in Junkershausen •<br />
Profess 1965 • Priester 1971 • Seit<br />
1977 Cellerar der Abtei Münsterschwarzach<br />
• Geistlicher Begleiter<br />
und Bestsellerautor christ licher<br />
Spiritualität<br />
5
ZuM THEMA<br />
Idole wirken blendend<br />
von P. Jonathan Düring OSB<br />
Im Buch Exodus des Alten Testamentes<br />
steht das Gotteswort: Du sollst Dir kein Bild<br />
von mir machen!<br />
Ein Gottesbild – und sei es das frömmste<br />
– das sich beim genauen Betrachten nicht<br />
wieder aufl öst, ist immer eine Verzerrung<br />
der Wirklichkeit. Das gleiche gilt auch für<br />
das Bild, das wir uns von einem Menschen<br />
machen können. Kein Bild erfasst das ganze<br />
Geheimnis der menschlichen Person. Bilder<br />
(auch Worte und Begriffe) erzeugen allzu<br />
schnell die Illusion der Verfügbarkeit (für<br />
eigene Interessen und Zwecke). Um eine<br />
solche – meist geschäftsmäßige – Verfügbarkeit<br />
aber geht es bei allen Idolen. Nach<br />
außen hin stehen sie da als die von allen<br />
bewunderten strahlenden Gewinner, aber<br />
wie es ihnen nach innen hin geht, darf sogar<br />
sie selber nicht mehr interessieren – es<br />
könnte ihre Wirkung auf die Bewunderer<br />
beeinträchtigen.<br />
Idol – ein abgöttisch<br />
verehrter Mensch<br />
Jemand, der in der Öffentlichkeit als Idol<br />
gilt oder von den Medien dazu gemacht<br />
wird, ist laut Duden zunächst einmal nur ein<br />
"abgöttisch verehrter Mensch". Der Preis für<br />
ein Leben als Idol ist hoch. Die Scheinwerfer<br />
der Medien werden ganz schnell zu Richt<br />
Scheinwerfern, die dann ein Ziel beleuchten,<br />
das dadurch nur umso besser abgeschossen<br />
werden kann. Der Aufwand, um immer im<br />
rechten Licht zu erscheinen, ist gewaltig.<br />
Dabei geht es nicht nur um die Zeit, die<br />
dafür aufgewendet werden muss oder um<br />
die Schminke, die auch noch die kleinsten<br />
Fältchen zu überdecken hat, damit durch<br />
die Bestrahler ja keine ungewollten dunklen<br />
Stellen sichtbar werden. Idole müssen immer<br />
blendend aussehen. Es hat ihnen auch immer<br />
blendend zu gehen. Dass dies nicht gerade<br />
wahrhaftigkeitsfördernd wirkt, ist verständlich.<br />
Idole sehen dabei zwar gut aus,<br />
sehen selber aber meistens gar nicht viel, da<br />
sie von dem auf sie gerichteten (Blitz)<br />
Licht geblendet sind. Sie sollen wohl<br />
auch gar nicht (mehr) so viel sehen und<br />
hören von den Menschen, denn sie stehen<br />
im Dienst derer, die sie über die reine<br />
Menschlichkeit hinaus heben und in<br />
göttliche Nähe rücken. Ihr eigentlicher<br />
Lohn sind die verzückten Gesichter, das<br />
enthemmte Kreischen, der tosende Applaus<br />
und der rhythmische Jubel der<br />
unüberschaubaren Menge.<br />
Was nennst<br />
Du mich gut?<br />
Obwohl er wirklich Möglich keit und<br />
Grund genug dazu gehabt hätte, die<br />
sich immer wieder um ihn drängenden<br />
Menschenmengen als Beweis seiner<br />
Größe und Genialität anzusehen, wies<br />
Jesus seine Bewunderer immer wieder<br />
zurück. Oft auch schroff (vgl. Mk 10,17f<br />
und Lk 18,18f). Die – wohl sogar ehrlich<br />
gemeinte – Frage: „Guter Meister,<br />
was muss ich tun, um das ewige Leben<br />
zu gewinnen?" beantwortete Jesus mit<br />
der schroffen Feststellung: „Warum<br />
nennst du mich gut? Niemand ist gut<br />
außer Gott, dem Einen". Auch als eine<br />
Frau aus der Menge seine Mutter seligpries,<br />
weil sie ihn zur Welt gebracht<br />
und an ihrer Brust gestillt hatte, ließ<br />
er diese im Grunde schroff abblitzen.<br />
Die Reaktion Jesu auf solch bewundernde<br />
Äußerungen hörte sich eher<br />
nach „Hört auf mit dem Quatsch!" an,<br />
als nach Freude über die Hochachtung,<br />
die er oder seine Mutter durch die anderen<br />
Menschen erfahren haben.<br />
Wer andere bewundert,<br />
wertet sich selber ab<br />
Es darf nicht darum gehen, einen<br />
Menschen auf den Sockel zu stellen,<br />
weil wir ihn bewundern wollen (oder<br />
sollen). Bewunderung führt in die Irre.<br />
6
Wer bewundert wird, gerät in die Gefahr des<br />
Hochmuts. Wer andere bewundert, wertet<br />
sich selber ab. Wer sich selber abwertet, ist<br />
in der Gefahr, vom – natürlich heimlichen –<br />
Neid vergiftet zu werden. Innerlich vergiftete<br />
Menschen sind ungenießbar. Nicht selten<br />
sogar gemeinschaftszerstörend – sosehr wie<br />
es auch hochmütige Menschen sind.<br />
So wie Höfl ichkeit in manchen Fällen lediglich<br />
als galante Form der Verachtung praktiziert<br />
wird, ist Bewunderung nicht selten<br />
eine Form der Reduzierung auf das Unwesentliche.<br />
Wer das Bad in der bewundernden<br />
Menge braucht oder sucht, braucht sich<br />
nicht zu wundern, wenn er statt in der Fülle<br />
des Lebens in der Gülle des Lebens landet.<br />
Es gibt genügend aktuelle Beispiele dafür,<br />
dass dies nicht nur ein schönes Wortspiel<br />
ist, sondern sehr wohl die Realität unserer<br />
Mediengesellschaft beschreibt.<br />
Hochwürden klingt merkwürdig<br />
Wie irritierend eine plötzliche Hervorhebung<br />
aus der Menge wirken kann wurde mir<br />
deutlich anlässlich meiner Primiz in meiner<br />
Heimatgemeinde. Bis dahin galt für mich<br />
auf die Frage, wie man mich denn nun –<br />
nach meinem Klostereintritt – ansprechen<br />
solle, immer der Grundsatz: „Als den, den<br />
Ihr kennengelernt habt". Für zuhause hieß<br />
das einfach: „Als Johannes".<br />
Nun kam ich als „Frischgeweihter" zurück.<br />
Die Begrüßung begann schon vor dem<br />
berühmtesten Tor der Stadt. Von dort aus<br />
wurde ich von Vertretern der Gemeinde, von<br />
Freunden und Bekannten vor das historische<br />
Rathaus begleitet, wo mich der in Amtskette<br />
erschienene Bürgermeister offi ziell und<br />
festlich empfi ng. Ich stand etwas unbeholfen<br />
in der Situation. Gott sei Dank wusste<br />
ich um den Rückhalt der alten Freunde, die<br />
mitten in der Menge dabei waren. Bis dahin<br />
hatte mich, wenn wir uns begegneten auch<br />
der Bürgermeister immer als „Johannes“<br />
angesprochen. Jetzt aber begrüßte er mich<br />
feierlich mit den Worten „Hochwürden Pater<br />
Jonathan". Ich errötete. Jedes weitere Mal,<br />
wenn der Titel „Hochwürden" mich traf, errötete<br />
ich noch mehr. Als ich dann auch noch<br />
die Gesichter meiner verschmitzt grinsenden<br />
alten Kumpels sah, wünschte ich mir ein<br />
tiefes Loch, in das ich verschwinden könnte.<br />
Zu merkwürdig klang dieses „Hochwürden"<br />
in mir nach – ich wusste, dass ich das so<br />
nicht bin.<br />
Willst Du bewundert<br />
oder geliebt werden?<br />
Am Tag der Primiz selbst nahm mich eine<br />
alte Iphöferin, die wohl meine Unsicherheit<br />
gespürt hat, kurz beiseite, legte die Hand<br />
auf meine Schulter, schaute mir in die Augen<br />
und gab mir einen von Herzen kommenden<br />
Rat: „Du musst Dir nur klar sein, was<br />
Du möchtest, Johannes. Möchtest Du, dass<br />
Dich die Leute bewundern, oder möchtest<br />
Du, dass die Menschen Dich lieben? Wenn<br />
Du bewundert werden willst, musst Du immer<br />
perfekt sein und kannst Dir keine Fehler<br />
erlauben. Wenn Du geliebt werden möchtest,<br />
darfst Du ruhig auch mal einen Fehler<br />
machen – Du musst dann nur dazu stehen.<br />
Das macht Dich menschlich." – Dafür bin<br />
ich ihr von Herzen immer wieder dankbar.<br />
Das schönste Kompliment und die größte<br />
Würdigung ist es, wenn uns jemand in unserer<br />
Menschlichkeit erkennt und uns dies<br />
spüren lässt. Und wenn wir die Botschaft<br />
des Neuen Testamentes ernst nehmen, wissen<br />
wir, dass diese Würde auch Gott liebend<br />
gern von uns erfahren würde.<br />
P. Jonathan Düring OSB<br />
Geboren 1960 in Iphofen • Profess<br />
1984 • Priesterweihe 1989<br />
• Seit Oktober 2008 im Priorat<br />
Damme als Subprior und Seelsorger<br />
tätig<br />
7
ZuM THEMA<br />
Eine Spurensuche<br />
– Man muss kein Megastar dafür sein<br />
von Dr. Reinhard Klos<br />
„Er ist einer, der viel kann.“ – „Er rettet<br />
Menschen und bekämpft das Böse.“ – „Er<br />
ist ganz groß und ganz stark.“ So stellen<br />
sich Kinder einen Helden vor. Der Radio<br />
Kurs von Kollegiaten des Münsterschwarzacher<br />
EgbertGymnasiums hat Helden und<br />
Heldenbilder gesucht. Im Kindergarten, in<br />
Schulen, im Sport, in der Literatur, in der<br />
Kirche. Gibt es das noch heute: Helden?<br />
Ein Jahr lang beschäftigte sich der Radio<br />
Kurs der Klosterschule mit dem Thema<br />
„Helden und Vorbilder“ in umfangreichen<br />
Recherchen und Auswertungen. Die Fragestellung<br />
war: Gibt es in einer immer unübersichtlicher<br />
werdenden Welt noch Menschen,<br />
die uns Halt und Orientierung bieten? Gibt<br />
es heute noch Helden? Die Schüler suchten<br />
Thomas Lurz aus Würzburg<br />
Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart,<br />
Kriegshelden und Friedensaktivisten,<br />
real existierende und Romanhelden und<br />
nicht zuletzt Vorbilder des Glaubens.<br />
Beispiel 1: Sport.<br />
Der Schwimmer Thomas Lurz aus Würzburg<br />
hat viel erreicht. Er wurde Weltmeister und<br />
Bronzemedaillengewinner bei den Olympischen<br />
Spielen. Wenn er siegt, jubelt ihm<br />
das Stadion zu. Er hält sich für ehrgeizig,<br />
trainiert über 30 Stunden pro Woche und<br />
schwimmt dabei bis zu 110 Kilometer. Als<br />
Held möchte er dennoch nicht bezeichnet<br />
werden. „Zu einem Helden gehört auch,<br />
jemand anderem in irgendeiner Form geholfen<br />
zu haben, und das ist bei mir im<br />
Sport eigentlich nicht der Fall.“<br />
Beispiel 2: Jugendliteratur.<br />
Eine Umfrage bei Fünftklässlern ergab,<br />
dass „Charlie Bone“ dort hoch im Kurs<br />
steht. Wenn er Bilder sieht, kann er in sie<br />
hineingehen und mit den abgebildeten<br />
Menschen reden. Diese magischen Kräfte<br />
helfen ihm, die „Bösen“ zu bekämpfen. Er<br />
hilft damit den „Guten“, ganz so wie sich<br />
Thomas Lurz das vorstellt. Charlie Bone als<br />
Titelheld der Reihe „Die Kinder des roten<br />
Königs“ der britischen Autorin Jenny Nimmo<br />
wird so zum Vorbild.<br />
8
Beispiel 3: Kriegshelden.<br />
Ein Wort, das uns heute nur schwer über<br />
die Lippen geht. Die Schüler befragten Veteranen<br />
des Zweiten Weltkriegs über ihre<br />
Erlebnisse. Bei den Erzählungen stand<br />
meist nicht das Töten des Feindes, sondern<br />
die Rettung der eigenen Kameraden<br />
im Mittelpunkt. Ein ehemaliger Unteroffi<br />
zier erinnerte sich etwa, dass er seine<br />
Soldaten noch rechtzeitig aus ihrem Zelt<br />
gejagt hatte, bevor die Granate einschlug.<br />
Die Berichte sind ein weiterer Beleg dafür,<br />
dass praktizierte Nächstenliebe offenbar<br />
als Wesenszug des Heldentums verstanden<br />
wird.<br />
Beispiel 4: Glaubenszeugen.<br />
Die angehenden Journalisten befragten<br />
Missionare der Abtei Münsterschwarzach<br />
nach ihren Erfahrungen. Von Bruder Thomas<br />
Morus Bertram erfuhren sie: Er hatte<br />
siebenmal Malaria, er hat zwei Mitarbeiter<br />
wegen Aids verloren und einen Großteil<br />
seines Gehörs eingebüßt. In einer Nacht<br />
fuhr er vier vergiftete Kinder sechs Stunden<br />
lang auf einer Schlammstraße durch strömenden<br />
Regen ins Krankenhaus. Drei von<br />
ihnen überlebten. Ein Held? Bruder Thomas<br />
Morus wiegelt ab. Auch er will nicht<br />
als Held da stehen: „Manchmal sind es<br />
die kleinen Dinge, die viel wichtiger sind.<br />
Etwas, das im Verborgenen geschieht, aber<br />
Gott sieht es.“<br />
Feindesliebe Bruder Thomas Morus Bertram OSB<br />
Beispiel 5: Helden des Alltags.<br />
Die Recherchen führten die Oberstüfl er<br />
ins AntoniaWerrZentrum Wipfeld, das<br />
etwa 100 Mädchen und ihre Familien in<br />
prekären Lebensverhältnissen betreut. Der<br />
stellvertretende Leiter der Einrichtung, Dr.<br />
Alfred Hußlein, erzählte von einer jungen<br />
Auszubildenden, die er am Vortag entlassen<br />
durfte: „Sie hatte überhaupt keine Eltern.<br />
Da gab es so viele Rückschläge und<br />
Tiefschläge. Niemand hätte ihr zugetraut,<br />
dass sie ihr Leben in den Griff bekommt,<br />
und trotzdem hat sie jetzt eine Ausbildung<br />
zur Gärtnerin abgeschlossen. Das ist für<br />
mich eine Heldin.“<br />
Dr. Reinhard Klos<br />
geboren 1974 • Studium der<br />
Germanistik, Sozialkunde und Geschichte<br />
in Bamberg und Würzburg<br />
• seit 2005 Lehrer am Egbert<br />
Gymnasium der BenediktinerAbtei<br />
Münsterschwarzach.<br />
9<br />
Die Kandidaten auf der Tatfunk Preisverleihung
ZuM THEMA<br />
„Gott“ geht auch<br />
ohne Mobiltelefon<br />
Die junge Generation Tansanias und ihre Idole<br />
von Fr. Silvanus Kessy OSB<br />
Jedes Alter hat seine eigenen Idole. Für<br />
den Menschen als Wesen mit Verstand und<br />
Dynamik gibt es in den verschiedenen Lebensabschnitten<br />
auch verschiedene Idole.<br />
Es ist interessant, dass die unterschiedlichen<br />
Generationen auch verschiedene<br />
Dinge als Idole ansehen. Die Menschen<br />
fi nden so großen Gefallen an den unterschiedlichsten<br />
Dingen, dass diese zum Idol<br />
erkoren werden.<br />
Noch vor zwei Jahren konnte man hier in<br />
Tansania nicht über wirkliche Idole sprechen.<br />
Bei den meisten Leuten, besonders<br />
Das Mobiltelefon ist ständig dabei<br />
bei den Jugendlichen, ging es eher um<br />
Hobbies. Das Interesse lag bei Musik und<br />
Fußball. Gegenwärtig stehen für die jungen<br />
Leute in Tansania MobilTelefone und Motorräder<br />
an erster Stelle. Das sind ihre Idole.<br />
Die meisten jungen Menschen in Tansania<br />
haben kein geregeltes Einkommen. Weder<br />
Ausbildung noch einen Arbeitsplatz.<br />
Sie sind arm. Umso mehr überrascht es<br />
mich, dass die meisten jungen Männer und<br />
Frauen ein MobilTelefon besitzen. Manchmal<br />
haben sie sogar mehrere. In Tansania<br />
gibt es vier große Telefongesellschaften:<br />
Airtel, Vodacom, Zantel und Tigo. Es ist<br />
ganz und gar nicht ungewöhnlich, dass<br />
so mancher junge Mensch für jede dieser<br />
Telefongesellschaften ein Handy und eine<br />
Sim Card hat. Wenn man die Leute fragt,<br />
warum sie so viele Handys haben, so lautet<br />
die Antwort: um erreichbar zu sein.<br />
Traurig ohne Handy<br />
P. Severin vom Zakeo Zentrum hat einmal<br />
geschrieben: „Wenn Du jederzeit und<br />
überall erreichbar sein möchtest, kannst<br />
Du keine wichtige Person sein. Gott ist die<br />
wichtigste Person, aber ihn kann man auch<br />
ohne MobilTelefon erreichen“. Ein junger<br />
Mann erzählte mir, dass er ohne Mobil<br />
Telefon nicht mehr leben kann. Wenn er<br />
sein Handy verlieren würde, wäre es, als ob<br />
er etwas sehr Wichtiges in seinem Leben<br />
verloren hätte.<br />
Ein Oberer einer religiösen Gemeinschaft<br />
startete ein Experiment. Er bat alle Mitglieder<br />
der Gemeinschaft, die Handys bei ihm<br />
abzugeben. Alle folgten dieser Bitte. Der<br />
Obere bemerkte jedoch später, dass alle<br />
sehr traurig waren. Es gab keine Lebendigkeit,<br />
keine Gespräche, keine Zufriedenheit,<br />
keinen Frieden und keine Entspannung<br />
mehr. Alle waren trübselig, weil man ihnen<br />
ein wichtiges Idol weggenommen hatte.<br />
Die anderen haben’s auch<br />
Ein weiteres Idol in Tansania sind Motorräder.<br />
Aus China werden viele günstige Motorräder<br />
importiert. Schon für rund 850<br />
Euro kann man ein Motorrad erwerben. Es<br />
ist schon verrückt, manche jungen Männer<br />
haben keine Wohnung, kein Essen, nicht<br />
genügend Kleidung oder Geld für Arztbesuche,<br />
aber sie müssen sich unbedingt ein<br />
Motorrad kaufen, denn die anderen haben<br />
auch eines. Natürlich setzen die jungen<br />
Leute diese Motorräder auch zum Transport<br />
von Personen – wie ein Taxi – ein.<br />
10
Motorräder sind nicht nur Transportmittel, sondern vor allem ein Statussymbol<br />
Es gibt nicht nur schöne Seiten am Motorradfahren, wie die Hospitalstation II in Ndanda belegt<br />
Aber für manche Menschen ist es nur<br />
Show. Es wird schnell gefahren und bis<br />
zur Höchstgeschwindigkeit beschleunigt,<br />
um Krach zu machen und die Aufmerksamkeit<br />
auf sich zu lenken. Die meisten haben<br />
noch nicht einmal einen Führerschein.<br />
Wegen zu hoher Geschwindigkeit passieren<br />
oft Unfälle, so dass viele junge<br />
Männer verunglücken und sich dabei ihre<br />
Knochen brechen. Sehr anschaulich ist das<br />
in unserem Hospital auf Station II zu sehen.<br />
Dort liegen die jungen Männer nach<br />
Motorradunfällen und müssen verarztet<br />
werden.<br />
Als Pfarrer wurde ich wegen der Handys<br />
bereits mit Besorgnis erregenden Fällen<br />
konfrontiert. So haben viele Ehepaare<br />
Probleme oder sich sogar schon getrennt.<br />
Grund: das Handy. Manche Männer und<br />
Frauen verabreden sich über das Handy<br />
mit ihren ZweitFreunden oder Freundinnen<br />
und das gibt Ärger…<br />
Ein Mann beklagte sich bei mir, dass seine<br />
Ehefrau ihm einen großen Verlust bereitet<br />
hat. Ich fragte nach der Art des Verlusts.<br />
Nachdem seine Ehefrau eine Nachricht von<br />
der Nachbarsfrau auf seinem Handy gelesen<br />
hatte, zerschmetterte sie das teure<br />
MobilTelefon auf dem Boden. Dieser Verlust<br />
war für ihn so groß, dass er nicht mehr<br />
bereit war, weiterhin mit seiner Ehefrau<br />
zu leben.<br />
So zeigt es sich, dass diese Idole Unheil<br />
gebracht haben!<br />
11<br />
Fr. Sylvanus Kessy OSB<br />
Geboren 1966 in Kishumandu/<br />
Tansania • Profess 1996 • Priesterweihe<br />
2001 • Prior der Abtei<br />
Ndanda seit 2010
ZuM THEMA<br />
ZuM THEMA<br />
Idole und Anti-Idole<br />
Einzelpersönlichkeiten bestimmen auf den Philippinen über den Lauf der Politik<br />
von P. Edgar Friedmann OSB<br />
Nicht Sachfragen, sondern Persönlichkeitsprofi<br />
le stehen auf den Philippinen in<br />
der Politik im Vordergrund. Präsidenten<br />
werden zu angehimmelten Idolen oder zu<br />
Symbolen der Unterdrückung. Für die Entwicklung<br />
des Landes ist dies eher hinderlich.<br />
Die Philippinen waren fast 400 Jahr lang<br />
unter spanischer Herrschaft, bevor sie im<br />
Jahr 1898 die einzige Kolonie der USA wurden.<br />
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gab<br />
Plakatwände für die Präsidentenwahlkämpfe<br />
Amerika seine Kolonie auf und half dem<br />
Land beim Auf und Ausbau eines demokratischen<br />
Staatswesens. Die Verfassung des<br />
Staates ist der der Vereinigten Staaten von<br />
Amerika ähnlich. Damit geht eine starke<br />
Stellung des jeweiligen Präsidenten einher.<br />
Der Diktator Ferdinand Marcos<br />
Nicht Idol, sondern eher Symbol, nämlich<br />
für Unterdrückung, Ausbeutung und Korruption<br />
war seither vor allem Ferdinand<br />
Marcos. Von den Präsidenten nach der<br />
amerikanischen Zeit regierte er am längsten,<br />
von 1965 bis 1986. Er verhängte von<br />
1972 bis 1981 das Kriegsrecht über das<br />
Land, um gegen kommunistische und andere<br />
Aufständische vorgehen zu können.<br />
Nach und nach schaffte er die demokratischen<br />
Institutionen ab und regierte nur<br />
noch durch Dekrete. Über seine „Cronies“<br />
– das sind „Spezis“ – beherrschte er die<br />
gesamte Wirtschaft des Landes und entwickelte<br />
sich auf diese Weise zum steinreichen<br />
Diktator. Der Reichtum von Fer<br />
12
dinand Marcos und seiner Frau Imelda, die<br />
heute noch am Leben ist, nahm geradezu<br />
sagenhafte Ausmaße an. Die Philippinos<br />
fühlten sich von Marcos mehr unterdrückt<br />
als von den ehemaligen Kolonialmächten.<br />
Corazon Aquino<br />
Auf Marcos folgte Corazon Aquino. Sie<br />
wurde sehr schnell zum Idol für Demokratie<br />
und Freiheit. Dies lag schon an den dramatischen<br />
Geschehnissen, die zum Sturz<br />
des Diktators führten.<br />
1983 wollte Oppositionsführer Benigno<br />
Aquino aus dem Exil in den USA in seine<br />
Heimat zurückkehren. Als er in Manila aus<br />
dem Flugzeug stieg, wurde er angeblich<br />
von einem kommunistischen Rebellen erschossen.<br />
Das Volk aber wusste instinktiv,<br />
wer die Drahtzieher des Mordes waren.<br />
Von diesem Zeitpunkt an kam der Thron<br />
des alternden Diktators ins Wanken und<br />
er musste schließlich einer vorgezogenen<br />
Neuwahl zustimmen. Die Opposition einigte<br />
sich auf Corazon Aquino, die Witwe<br />
ihres ermordeten Führers, als Kandidatin<br />
gegen Marcos. Nachdem Marcos und seine<br />
Anhänger das Wahlergebnis offensichtlich<br />
massiv gefälscht hatten und Frau Aquino<br />
zur Präsidentin erklärt worden war, kam<br />
es zur berühmt gewordenen unblutigen<br />
RosenkranzRevolution, bei der die katholische<br />
Kirche entscheidend mitwirkte.<br />
Denn der Erzbischof von Manila, Kardinal<br />
Sin, mobilisierte Hunderte von Ordensfrauen,<br />
die sich den anrückenden Panzern<br />
auf den Straßen von Makati entgegenstellten.<br />
Damit ließ das schon gespaltene Militär<br />
den Präsidenten vollends im Stich und<br />
Marcos fl oh innerhalb weniger Stunden<br />
aus dem Land. Am Ende der aufregenden<br />
Tage wurde Cory Aquino am 25. Februar<br />
1986 als Präsidentin der Philippinen gefeiert<br />
und ihr dramatischer Sieg machte sie<br />
noch mehr zum Idol der Freiheit.<br />
Als solches blieb sie bis zum Ende ihrer<br />
sechsjährigen Amtszeit und später bis zu<br />
ihrem Tod bei der Mehrheit der Philippinos<br />
unumstritten. Den enormen Problemen<br />
des Landes nach der langen MarcosZeit<br />
war die politisch unerfahrene Frau jedoch<br />
wenig gewachsen. Zu ihrem Nachfolger<br />
als Präsident wurde der frühere Generalstabschef<br />
Fidel V. Ramos gewählt. Dieser<br />
erfahrene und nüchterne Mann führte das<br />
Land in solider Weise, aber auch er konnte<br />
die strukturellen Probleme der Gesellschaft<br />
nicht lösen und die Tatsache nicht ändern,<br />
dass ein hoher Prozentsatz der Philippinos<br />
unter der Armutsgrenze lebte.<br />
Ein Schauspieler als Präsident<br />
So konnte sich zur nächsten Wahl ein Kandidat<br />
zum neuen Idol für soziale Gerechtigkeit<br />
aufschwingen, der vor allem bei den<br />
einfachen Philippinos beliebte Filmschauspieler<br />
Joseph Estrada. Er versprach, die<br />
Armut nachhaltig zu bekämpfen, und wurde<br />
trotz Warnungen zum Beispiel seitens<br />
der Kirche auf Anhieb mit großer Mehrheit<br />
zum Präsidenten gewählt.<br />
Doch bereits nach zwei Jahren kam es<br />
zu einer zweiten Revolution und Estrada<br />
musste in Schmach und Schande der gewählten<br />
Vizepräsidentin Gloria MacapagalArroyo,<br />
der Tochter eines vor Marcos<br />
beliebten Präsidenten, Platz machen.<br />
Idol nach Vorbild seiner Eltern<br />
– Präsident Benigno Aquino Jr.<br />
Die recht lange und nicht allzu glückliche<br />
Amtszeit von Frau Arroyo ist wohl ein<br />
Grund dafür, dass schließlich im Jahr 2010<br />
der Sohn von Benigno und Corazon Aquino<br />
mit Leichtigkeit die Wahl zum Präsidenten<br />
gewann. Benigno Aquino Jr. – genannt<br />
Noynoy oder PNoy – ist gewiss für das<br />
höchste Staatsamt qualifi ziert, aber selbst<br />
seine Anhänger geben zu, dass andere<br />
Kandidaten bessere Führungsqualitäten<br />
besitzen.<br />
Der Tod seiner überaus beliebten Mutter<br />
Corazon während der Wahlkampagne<br />
brachte Noynoy Aquino ohne Zweifel einen<br />
zusätzlichen Bonus als Idol für Freiheit<br />
und Demokratie ein.<br />
Idol der Männlichkeit<br />
Nach meinen Beobachtungen in 28 Jahren<br />
geht es in der Politik der Philippinos<br />
überwiegend um Ehre und Ansehen von<br />
Personen. Das jüngste Beispiel dafür ist der<br />
Boxer Mani Pacquiao. Er wurde nach seinen<br />
vielen internationalen Siegen als Idol<br />
für Stärke und Männlichkeit im vergangenen<br />
Jahr ins Parlament gewählt.<br />
Sachfragen stehen demgegenüber eher<br />
im Hintergrund. Gemeinsame Einsichten<br />
zu gewinnen und sie demokratisch in die<br />
Tat umzusetzen, fällt sehr schwer. Auch<br />
deshalb wird der durchaus vorhandene<br />
Reichtum des Landes wenig erschlossen<br />
und die noch weithin arme Bevölkerung<br />
kann sich kaum entwickeln.<br />
13<br />
P. Prior Edgar Friedmann OSB<br />
Geboren 1940 in Bamberg • Profess<br />
1961 • 1983 Missionsaussendung<br />
• 1983 – 2002 Novizenmeister<br />
und Studienpräfekt<br />
• Seit 2002 Prior von Digos.
ZuM THEMA<br />
Gottheit, repräsentiert<br />
durch ein Objekt<br />
Idole in Südamerika<br />
Regenbogenkreuz<br />
von Orlando Vasquez<br />
In Lateinamerika gibt es die Angewohnheit,<br />
Mitmenschen aus dem einen oder<br />
anderen Grund zu idealisieren. Getragen<br />
durch ein Massenpublikum, schaffte es<br />
schon mancher zum Superstar. Nehmen wir wir<br />
beispielsweise Pelé oder oder Maradona: Maradona: Aus Aus<br />
einfachen einfachen Verhältnissen stammend, haben<br />
es es beide über den den Fußball geschafft, geschafft, zu<br />
Idolen zu werden. werden.<br />
Pelé hatte das das Glück, dass dass er er mit mit 16 Jahren Jahren<br />
bereits zum zum ersten Mal bei bei einer Weltmeisterschaft<br />
dabei sein durfte. Aber trotz seines<br />
Ruhmes bevorzugte er er ein einfaches<br />
und bescheidenes Leben. Vielleicht, weil<br />
er als Schwarzer beweisen beweisen wollte, wollte, dass<br />
man erfolgreich sein kann, ohne dabei das<br />
Gleichgewicht Gleichgewicht seiner Seele zu zu verlieren.<br />
Vergötterte Stars<br />
Auch Juan Diego Maradona wurde in jungen<br />
Jahren zum Idol. Aufgewachsen in<br />
einem Elendsviertel, konnte er auf einmal<br />
all all das haben, was was das Leben ihm zuvor<br />
versagt hatte, all all das, das, wovon wovon er als Kind Kind<br />
nur geträumt hatte. Er kaufte seinen Eltern Eltern<br />
und und Geschwistern Geschwistern ein ein Haus. Haus. Bis hin zu seinennen<br />
Freunden profi tierten alle alle um um ihn herum<br />
von seinem Erfolg. Dieser Erfolg Erfolg blendete<br />
aber sein sein weiteres weiteres Leben, Leben, da die Menschenschen<br />
ihn wie eine eine Gottheit behandelten.<br />
Im religiösen Bereich Bereich gibt es viele Erfahrungen<br />
in verschiedenen verschiedenen Teilen Südamerikas.rikas.<br />
Mit der Ankunft Ankunft der spanischen spanischen<br />
„Conquistadores“ begann eine Etappe<br />
der Kriege, des Hungers und auch der<br />
neuen Idole, die zwar zwar mitgebracht, aber<br />
nicht als eigen angenommen angenommen wurden. Lassen<br />
Sie mich dies anhand eines Beispiels<br />
veranschaulichen:<br />
14
Einer der wichtigsten Bräuche der Inkazeit<br />
war die Prozession der Mumien während<br />
der Sommersonnwende. Die Inkas glaubten,<br />
dass die mumifi zierten Körper eine<br />
gewisse Energie verwahren und dass diese<br />
zur Lösung drängender Probleme beitragen.<br />
Die Mumien bildeten das Fundament<br />
der verschiedenen Orakel, deren Tempel<br />
überall im großen „Tahuantinsuyo“ (Inkareich)<br />
zu fi nden waren.<br />
Verkörperung Gottes<br />
Der Volksmund sagt, dass der damals zuständige<br />
Bischof von Cusco die InkaPriester<br />
konsultierte, ob es möglich sei, die<br />
Energie, die diese Mumien verwahrten,<br />
in die Heiligenbilder einer katholischen<br />
Prozession aus Barcelona zu übertragen.<br />
Die InkaPriester antworteten, dass dies<br />
möglich sei, und so begann der erste<br />
Retablo, religiöse Volkskunst aus Peru<br />
große Prozess des Synkretismus. Für mich<br />
bestätigt sich hiermit, dass das Thema der<br />
Idole mehr ein externes Thema war als<br />
eines der Inkas, da in der religiösen Mystik<br />
nicht nur das Idol verehrt wurde, sondern<br />
die Verkörperung Gottes im eigenen<br />
Leben.<br />
Gemäß der Defi nition „ein Idol ist ein Objekt,<br />
das eine Gottheit repräsentiert“, hat<br />
es mich berührt zu beobachten, wie in der<br />
Volkskunst Heiligenbilder gestaltet werden.<br />
In der peruanischen Kunst wird Gott<br />
sehr oft als alter, weiser Mann dargestellt,<br />
der in den Bergen lebt und sich mittels<br />
einer Energie offenbart, die ihm aus den<br />
Wolken zufl ießt. Damit wird verdeutlicht,<br />
dass er ebenso im Überirdischen wie auch<br />
im irdischen Bereich gegenwärtig ist. Auf<br />
manchen Retablos (Altarbildern) begleitet<br />
ihn ein Regenbogen, in welchem sich die<br />
stärkste Form von Energie offenbart. Ihm<br />
zur Seite fi nden sich zumeist die Sonne<br />
und der Mond, die für die Inkas Bilder der<br />
lebendigen Natur schlechthin sind.<br />
Jesus wird oft als sozialer Kämpfer dargestellt,<br />
als ein gekreuzigter Revolutionär, als<br />
großer Heiler und als Mann, dessen Wort<br />
zu Fleisch geworden ist. So bekundet die<br />
Volkskunst in der Vielzahl ihrer Idole die<br />
grenzenlosvielfältige Energie der Schöpfertätigkeit<br />
Gottes.<br />
Orlando Vasquez<br />
Geboren 1953 in Lima/Peru •<br />
Initiator und Präsident der Organisation<br />
Inti Raymi • Präsident<br />
verschiedener Handwerkskomi tees<br />
sowie Mitglied im Beratungsausschuss<br />
der peruanischen Regierung zur Förderung<br />
des peruanischen Handwerks.<br />
15
ZuM THEMA<br />
Von leuchtenden Fixsternen<br />
und falschen Feuern<br />
oder: Was der Heilige dem Star voraus hat<br />
von Anja Legge<br />
Wer erinnert sich nicht an die messianisch<br />
anmutenden Auftritte von Michael Jackson,<br />
an die engelsgleichlaszive Marilyn<br />
Monroe, an kreischende RobbieWilliams<br />
Fans oder das Blumenmeer für die tödlich<br />
verunglückte Lady Diana? Stars und<br />
Sternchen gibt es in unserer multimedialen<br />
Gesellschaft zuhauf. Sie werden in den<br />
Himmel gejubelt, wie Heilige verehrt und<br />
nach ihrem Tod wie Märtyrer glorifi ziert.<br />
Doch wer sind diese „modernen Heiligen“?<br />
Warum spielen sie heute eine so große<br />
Rolle, dass sie gar die Seligen und Heiligen<br />
der Kirche zu verdrängen drohen? Und:<br />
Hat der Medienstar dem Heiligen wirklich<br />
so viel voraus?<br />
Kritische Erwachsene werden<br />
Dass Idole und Vorbilder für die Persönlichkeitsentwicklung<br />
junger Menschen unerlässlich<br />
sind, steht außer Frage. Sie sind<br />
notwendige Orientierungshilfen, damit aus<br />
Kindern reife und (selbst) kritische Erwachsene<br />
werden können. Das sieht auch Dr.<br />
Wunibald Müller so, Leiter des Recollectio<br />
Hauses in Münsterschwarzach. Der Prozess<br />
der Identitätsfi ndung beginne damit, dass<br />
sich Heranwachsende zunächst einmal an<br />
Vorbildern aus dem direkten Umfeld orientieren.<br />
„Das können die Eltern, der Pfarrer<br />
oder der Lehrer sein, Menschen, deren<br />
Verhaltens und Sichtweisen wir übernehmen<br />
und relativ unrefl ektiert nachahmen“,<br />
erläutert der Theologe, Psychologe und<br />
Psychotherapeut. Doch von ihren ersten<br />
Vorbildern müssen sich Jugendliche im<br />
Alter von 16 bis 23 Jahren wieder lösen.<br />
Dieses Loslassen bringt oft eine Phase der<br />
Unsicherheit, ja der Krise mit sich, ist aber<br />
immens wichtig. „Erst dann kann sich der<br />
Blumenmeer beim Tod von Prinzessin Diana.<br />
16
Blick nach innen richten, kann ich mich<br />
selber fragen: Was ist MEIN Lebenstraum?<br />
Was sind MEINE Überzeugungen?“ Bei der<br />
Beantwortung dieser Fragen können wiederum<br />
andere Menschen helfen, Vorbilder,<br />
die jetzt bewusst ausgewählt werden, weil<br />
sie dem eigenen Inneren entsprechen.<br />
„Mich haben beispielsweise der Theologe<br />
Karl Rahner und der Psychotherapeut<br />
Carl Ransom Rogers unheimlich fasziniert.<br />
Die haben mich angesprochen, zu denen<br />
habe ich aufgeschaut...“, erinnert sich<br />
Wunibald Müller.<br />
Wenn „Fan-Kult“<br />
ins Negative umschlägt<br />
Eine übersteigerte Orientierung am Vorbild<br />
kann jedoch auch ernste Gefahren bergen.<br />
„Der FanKult schlägt dann ins Negative<br />
um, wenn ich ein Stück meiner eigenen<br />
Identität abtrete, mich hinter einem Idol<br />
verstecke und es zum Ersatz für meine eigene<br />
Identität mache“, warnt der Theologe<br />
und Therapeut. Und doch brauchen wir<br />
Idole. Sie begleiten uns ein Leben lang.<br />
„In uns Menschen ist das Bedürfnis verankert,<br />
dass wir zu jemandem aufschauen<br />
wollen, der größer ist als wir selbst“, präzisiert<br />
Müller.<br />
Diese „Sehnsucht nach dem Numinosen“,<br />
wie es Rudolf Otto nannte, will gestillt<br />
werden. Früher waren dafür Religion und<br />
kirchliche Vorbilder zuständig. Heute, in<br />
einer säkularisierten Gesellschaft übernehmen<br />
zunehmend mediale Kultfi guren aus<br />
der Gesellschaft diese Funktion.<br />
Letztlich gibt man sich jedoch hier mit<br />
einem billigen Abklatsch zufrieden. MedienStars<br />
– und seien sie noch so strahlend<br />
und berühmt – können die in sie gesetzten<br />
Erwartungen meist einfach nicht<br />
erfüllen. Auch sie sind begrenzt, können<br />
nicht halten, was sie versprechen.<br />
Ein Heiliger sieht immer<br />
zuerst den anderen<br />
Anders bei den Heiligen. In ihnen sieht<br />
Wunibald Müller einen tragfähigen Gegenentwurf,<br />
ein Leitbild, das weiterbringt und<br />
nicht zurückwirft. „Ein Heiliger sieht immer<br />
zuerst den anderen, er erkennt die Heilig<br />
Edith Stein<br />
(Ordensname: Teresia Benedicta vom Kreuz).<br />
Philosophin, Nonne,<br />
Märtyrerin der katholischen Kirche.<br />
Geboren 12.10.1891 in Breslau.<br />
Gestorben 09.08.1942<br />
im KZ-Auschwitz-Birkenau.<br />
1987 selig gesprochen, 1998 heilig gesprochen.<br />
keit im anderen, nimmt aber auch dessen<br />
Schwächen wahr. Ein Star jedoch will gesehen<br />
und bewundert werden. Er ist narzistisch<br />
und selbstverliebt, für andere ist da<br />
kein Raum…“, defi niert Müller. Ein zweiter<br />
wichtiger Aspekt ist für Müller, dass ein<br />
Heiliger stets Gott die Ehre geben will:<br />
„Seine Hingabe, sein SichVerschwenden<br />
führt ihn zu den Menschen und zu Gott.<br />
Die an ihn gerichtete Bewunderung gibt<br />
der Heilige weiter. Auf diese Weise können<br />
wir über Heilige auch mit der göttlichen<br />
Energie in Kontakt treten.“<br />
Ein Star hingegen gibt nichts weiter:<br />
„Flüchtiger Ruhm und falscher Glanz bleiben<br />
an ihm haften und blähen ihn auf…“<br />
Früher oder später kommt es zur Explosion,<br />
weil er den enormen Druck nicht mehr aushalten<br />
kann. Es folgt die Flucht in Drogen,<br />
Alkoholexzesse, Gewalt oder Depression.<br />
„Heilige wie Mutter Theresa, Bischof Oscar<br />
Romero oder Edith Stein sind für mich<br />
Fixsterne, an denen ich mich ausrichten<br />
kann. Ihre durch harte Arbeit erworbene<br />
Heiligkeit erlebe ich als echte, handgreifliche<br />
und konstante Orientierungshilfe, auf<br />
die ich mich jederzeit verlassen kann. Stars<br />
sind hingegen manchmal wie das ignis fatuus,<br />
das falsche Feuer, die Halluzination<br />
in der Wüste…“, resümiert Müller.<br />
Wozu führt es?<br />
Dennoch ist es Müller wichtig, auch hier<br />
genau hinzusehen. „Ich möchte nicht von<br />
vornherein sagen: Hier sind die Heiligen<br />
der katholischen Kirche und dort die bösen<br />
Stars. Es gibt sicherlich auch im weltlichen<br />
Bereich Figuren, von denen etwas Positives<br />
ausgeht… Die Grundfrage ist immer: Wozu<br />
führt es? Macht es mich glücklicher?“ Zudem<br />
verwischen durch das Vordringen<br />
medialer Phänomene in die Religion die<br />
ehemals scharfen Grenzen immer mehr.<br />
So ist der künftige Selige Papst Johannes<br />
Paul II. für Müller eine „Mischform mit<br />
allen Sonnen und Schattenseiten“: „Johannes<br />
Paul II. war ein zutiefst religiöser<br />
und spiritueller Mensch, hat sein Bild durch<br />
die Anpassung an heutige Bedürfnisse<br />
aber auch gefährdet. Sein Beispiel zeigt,<br />
dass es gar nicht so einfach ist, das richtige<br />
Maß zu fi nden.“<br />
Wir sind alle<br />
zur Heiligkeit berufen<br />
Wichtig erscheint am Ende für Wunibald<br />
Müller dreierlei: „Gerade junge Menschen<br />
brauchen konkrete Begegnungen mit Menschen,<br />
die ihnen die befreiende Botschaft<br />
des Christentums vorleben.“ Das können<br />
die Brüder der Communauté de Taizé ebenso<br />
sein wie Pater Anselm Grün. Darüber<br />
hinaus dürfe man das HeiligSein nicht zu<br />
stark überhöhen, „denn auch ein Heiliger<br />
ist ein Sünder“.<br />
Drittens und letztens jedoch „sollten wir<br />
erkennen, dass auch wir dazu berufen sind,<br />
heilig zu werden“. „Heiligkeit bedeutet der<br />
zu werden, der zu werden Du berufen und<br />
bestimmt bist“, zitiert Müller den Mystiker<br />
Thomas Merton: „Und da habe ich ein Leben<br />
lang mit mir selbst zu tun!“<br />
17
ZuM THEMA<br />
Heilige als Idole<br />
Junge Menschen brauchen Leitbilder<br />
von Fr. Karl v. Ö. Pemsl OT<br />
Schon seit den frühesten Anfängen des<br />
Christentums nahmen Frauen und Männer<br />
in der Kirche eine besondere Stellung<br />
ein, die durch ihr Leben und Handeln, ihre<br />
Werke und Worte Zeugnis für den Glauben<br />
ablegten. Oft führte sie diese konsequente<br />
Lebensführung und das entschiedene Eintreten<br />
für ihren Glauben bis in den Tod,<br />
ins Martyrium. Diese Vorbilder oder Idole<br />
erfahren bis heute eine Verehrung, die regional<br />
begrenzt ist (Selige) oder die gesamte<br />
Weltkirche umspannt (Heilige).<br />
Persönliche Begegnung<br />
mit der Kaiserin<br />
Da ich selber einige Jahre lang regelmäßig<br />
der letzten Kaiserin von Österreich in<br />
ihrem Schweizer Exil begegnen durfte, war<br />
die Seligsprechung ihres Mannes 2004 in<br />
Reliquiar seliger Karl v. Österreich<br />
Rom für mich ein ganz besonderes Ereignis.<br />
Als 1. Ordensmann durfte ich ihn als<br />
Namenspatron wählen! So war es natürlich<br />
für mich eine sehr große Freude als ich<br />
eine Reliquie des neuen Seligen erhielt,<br />
die durch unseren Weihbischof in einem<br />
festlichen Pontifi kalamt in unserer Pfarrkirche<br />
feierlich zur öffentlichen Verehrung<br />
ausgesetzt wurde.<br />
Es freute mich sehr, dass wenige Tage danach<br />
Papst Benedikt XVI. in einer Generalaudienz<br />
in Castel Gandolfo auf dieses<br />
Thema zu sprechen kam, wie Radio Vatikan<br />
berichtete. Er sagte vor einer großen<br />
Menschenmenge: „Jeder sollte einige<br />
Heilige haben, die ihm besonders nahe<br />
sind“ und er führte dann weiter aus: „Mir<br />
selber ist durch meine Studien der hl. Augustinus<br />
ein ganz persönlicher Freund und<br />
Gefährte geworden. Sein Leben war erfüllt<br />
von der Suche nach Wahrheit. Die Unruhe<br />
der Suche habe sein Leben bestimmt, alles<br />
andere habe ihm keine Ruhe gegeben.<br />
Zuletzt sei ihm klar geworden, dass nicht<br />
er die Wahrheit fi ndet, sondern dass die<br />
Wahrheit, die er suchte, ihn gefunden hat.<br />
Wir sollten sicher sein, dass unsere Nähe<br />
zu solchen Heiligen uns wachsen lasse als<br />
Menschen und als Christen. Jeder braucht<br />
in seinem Leben andere Menschen die ihm<br />
nahe sind, Freunde etwa und Familie. Jeder<br />
Mensch braucht aber in seinem Leben<br />
auch Begleiter auf dem Glaubensweg“,<br />
betonte der Papst. „Solche Begleiter auf<br />
dem Glaubensweg könnten geistliche Begleiter<br />
oder Beichtväter sein, es könnten<br />
aber auch einige Heilige sein“.<br />
Junge Menschen<br />
brauchen Leitbilder<br />
Wir alle sind nicht als Einzelwesen auf<br />
diese Welt gekommen, wir sind in eine<br />
Gemeinschaft hineingeboren worden und<br />
brauchten gerade als junge heranwach<br />
sende Menschen Leitbilder, an denen wir<br />
uns selbst orientieren, unser Leben und<br />
Denken ausrichten konnten. Und hier<br />
kommt es nun darauf an, wo wir unsere<br />
Idole suchen und fi nden, die uns persönlich<br />
beeindrucken und zur Nachahmung anregen.<br />
Junge Menschen ohne religiöse Ausrichtung<br />
fi nden dann wohl eher ihre Idole<br />
in der Musik oder Sportszene, in der Politik,<br />
im Film oder Fernsehen. Da kann man<br />
bisweilen eigenartige Identifi kationen mit<br />
ihren Idolen feststellen, die bis zur Wahl<br />
der Kleidung, der Redewendungen, der Gestik<br />
und Mimik führen können und es gibt<br />
oft kuriose Auswüchse dieses Starkults. Da<br />
liegt dann oft das Idol nahe beim Abgott:<br />
der Star, der vergöttert, abgöttisch geliebt<br />
wird, und so erhielt das Idol seinen Negativtouch<br />
in monotheistischen Religionen.<br />
Gerade beim Sport sieht man häufi g, wie<br />
weit eine Nähe zu einem Club oder Verein<br />
gesucht wird, wie viel man bereit ist auf<br />
sich zu nehmen, um ein Idol zu sehen, ein<br />
Spiel oder Konzert mitzuerleben, bei dem<br />
viele in unglaubliche Begeisterungsstürme<br />
bis zur Ekstase ausbrechen können. Dabei<br />
denke ich mir oft, warum solche junge<br />
Menschen sich nicht für einen Heiligen,<br />
ein christliches Vorbild in derartiger Weise<br />
begeistern können?<br />
Absolute Friedensliebe<br />
Aber es gibt sie ja auch, junge Leute, deren<br />
Leben eine Wendung nimmt durch eine<br />
Person wie etwa Mutter Theresa, die schon<br />
zu Lebzeiten so viele junge Frauen in ihren<br />
Orden zog oder Adolf Kolping, der jungen<br />
Männern eine Richtung zeigte und sie in<br />
den Kolpingvereinen oder häusern eine<br />
Ausrichtung ihres Glaubens fi nden ließ<br />
und bis heute läßt oder der neue Selige<br />
Papst Johannes Paul II., der so viele junge<br />
Menschen begeisterte bis ins hohe Alter.<br />
Für mich war es der letzte Kaiser und Kö<br />
18
Junge Teilnehmer bei der Seligsprechung von Mutter Teresa Mutter Teresa<br />
Geboren 1910 in Skopje.<br />
nig von ÖsterreichUngarn, Karl aus dem<br />
Hause Habsburg, der in seiner absoluten<br />
Friedensliebe aus dem 1. Weltkrieg auszusteigen<br />
versuchte, in den er durch den<br />
Tod des Kaisers FranzJosef 1916 als sein<br />
Nachfolger mitten hineingezogen wurde<br />
und der in einer vorbildlichen Weise alle<br />
seine Handlungen in seinem tiefen Glauben<br />
durchbetete und als treuer Familienvater<br />
vielen Männern heute ein Vorbild sein<br />
könnte!<br />
Solche Selige und Heilige können junge<br />
Menschen ebenso begeistern und in ihren<br />
Bann ziehen, dass sie bereit sind alles aufzugeben<br />
und mit ihrem Leben ihnen nachzufolgen,<br />
letztlich in der großen Nachfolge<br />
Jesu Christi, wenn sie etwa in einen Orden<br />
eintreten, den ihr Idol gegründet hat oder<br />
sich engagieren für den Frieden in ihrem Umfeld<br />
oder durch einen Einsatz in der 3. Welt.<br />
Was macht Idole<br />
so unwiderstehlich?<br />
Idole sind also für mich Menschen, die zu<br />
Archetypen wurden – Synonym für ein<br />
ganzes Genre oder eine Zeit. Man fragt<br />
sich, was macht Idole bis heute so unwiderstehlich?<br />
Wieviel hat das Bild, das<br />
wir von ihnen haben, mit der Wirklichkeit<br />
zu tun? Dieses Problem oder diese Diskrepanz<br />
ergibt sich nicht bei den Heiligen,<br />
die mit beiden Beinen auf der Erde stan<br />
den und durch ihr Leben ein sprechendes<br />
Zeugnis gaben von dem, was sie umtrieb!<br />
Sie haben ihr Leben gemeistert, den guten<br />
Kampf gekämpft. Es lohnt sich ihnen nachzufolgen,<br />
sie zu Vorbildern für mein Leben<br />
zu erwählen, sie haben mir ein gelungenes<br />
Leben vorgeführt, warum also soll ich das<br />
Bewährte nicht nachahmen: Soll etwa das<br />
Rad neu erfunden werden?<br />
Unsere Zeit<br />
braucht Lichtgestalten<br />
Für mich ist es Kaiserin und Königin Zita<br />
von ÖsterreichUngarn, die mich wie kein<br />
anderer Mensch beeindruckt hat durch ihren<br />
tiefen Glauben, ihr enormes Gebetsleben<br />
und ihre menschliche Güte, aus deren<br />
Mund ich nie ein böses Wort hörte, auch<br />
nicht über jene, die ihr übel mitgespielt hatten,<br />
als sie und ihr Mann 1918 abgesetzt<br />
wurden, die Heimat verlassen mussten, im<br />
Exil mittellos mit 35 Jahren den Kaiser auf<br />
Madeira 1922 zu Grabe tragen musste,<br />
gefolgt von ihren 7 Kindern, das 8. war<br />
erst im Monat nach dem Tode des Vaters<br />
geboren. In den Wirren der Zwischenkriegsjahre<br />
und im 2. Weltkrieg wurden sie ruhelos<br />
umhergetrieben, nach Portugal und<br />
Belgien, in die USA und schließlich 1962<br />
in die Schweiz, wo sie dann 1989 starb. Ihr<br />
Einreiseverbot nach Österreich wurde erst<br />
1982 auf Intervention des Königs von Spanien<br />
aufgehoben, als sie schon 90 Jahre<br />
Kath. Ordensschwester.<br />
Friedensnobelpreis 1979<br />
Gestorben 1997 in Kalkutta/Indien.<br />
Seligsprechung 2003.<br />
alt war, nachdem man sie 10 Jahre zuvor<br />
nicht einmal zum Begräbnis ihrer ältesten<br />
Tochter hatte einreisen lassen!<br />
So möchte ich meinen kleinen Beitrag<br />
leisten zur Verehrung des letzten apostolischen<br />
Königpaares von Ungarn und erhoffe<br />
auch die Seligsprechung der Kaiserin<br />
Zita, die der neue Selige Papst Johannes<br />
Paul II. wohl schon prophetisch voraussah,<br />
als er bei der Seligsprechung von Kaiser<br />
Karl nicht seinen Todestag als Festtag –<br />
wie sonst üblich – bestimmte, sondern den<br />
Hochzeitstag der beiden, denn diesen haben<br />
sie ja gemeinsam!<br />
Unsere heutige oft dunkle Zeit braucht<br />
solche Lichtgestalten, die unser Leben erhellen<br />
können, denen wir treu im Glauben<br />
nachfolgen können!<br />
Fr. Karl v. Ö. Pemsl OT<br />
Geboren 1944 in der Oberpfalz<br />
• Professe im Deutschen Orden,<br />
im Seelsorgeteam der Deutsch<br />
OrdensWerke, Mitarbeit in den<br />
Behinderten und Altenhilfeeinrichtungen des<br />
Deutschen Ordens• Vizepostulator im Seligsprechungsprozeß<br />
der Kaiserin und Königin Zita<br />
von ÖsterreichUngarn.<br />
19
ZuM THEMA<br />
Mein Idol<br />
– mein Name<br />
von Br. Thomas Morus<br />
Bertram OSB<br />
Nomen est omen<br />
‚Nomen est omen’ – diese lateinische Redensart<br />
kann man frei mit „Der Name ist<br />
Programm“ übersetzen.<br />
Ein Name, den ich trage, oder der mir gegeben<br />
ist, macht etwas mit mir. Sei es nun<br />
ein Spitzname, z. B. ‚Fuzzi’ und ‚Blümchen“,<br />
oder mein Taufname.<br />
Einige Beispiele dafür habe ich aus meiner<br />
Patenklasse vom EgbertGymnasium<br />
genommen. Da gibt es Johannes, Florian,<br />
Anna, Joshua, Hannah, Eva, Marie, Sebastian<br />
und Benedikt. Ich erinnere mich,<br />
wie wichtig mir als Kind die Lebensbeschreibung<br />
meines Namenspatrons, des<br />
heiligen Günter, war. Umso mehr wurde<br />
später mein Ordensname für mich zum<br />
Programm.<br />
„Dann ist es halt<br />
ein Doppelname“<br />
Zu meinem Ordensnamen ‚Thomas Morus’<br />
kam ich über krumme Linien, auf denen<br />
Gott bekanntlich gerade schreibt. Wochenlang<br />
war ich auf der Suche nach einem<br />
geeigneten Namen.<br />
Dann passierte es mir während eines<br />
Filmes über unsere Mission in Südafrika,<br />
dass darin eine Pfarrei in der Stadt Vryheid<br />
beschrieben wurde, deren Patron Thomas<br />
Morus ist. Als dann das Gemälde von ihm<br />
kurz im Film erschien, war mir klar: Das ist<br />
mein Name!<br />
Aber ich kannte ihn nicht und er war wie<br />
ein leeres Blatt für mich. So ging ich erst<br />
in die Bibliothek und las seine Lebensbeschreibung.<br />
Je mehr ich über ihn in Erfahrung<br />
brachte, umso deutlicher nahm er in<br />
mir Gestalt an.<br />
Zum Schluss ging ich zu Abt Fidelis und<br />
sagte ihm, dass ich statt drei Namensvorschlägen<br />
nur einen Namenswunsch hätte.<br />
Nach kurzer Bedenkzeit meinte er: „Hast<br />
Du Dir überlegt, dass Du einen Doppelnamen<br />
willst?“ Darauf ich: „Dann ist es halt<br />
ein Doppelname!“<br />
Ein Mann zu jeder Jahreszeit<br />
Wer war Thomas Morus, der Mann, dessen<br />
Heiligsprechung 1935 als ein Zeichen<br />
zum religiösen Widerstand totalitärer Herrschaftsansprüche<br />
angesehen wurde. Viele<br />
Attribute kann man ihm hinzufügen.<br />
Er, der heiliggesprochene Blutzeuge aus<br />
Gewissensgründen. Denn er weigerte<br />
sich, vor einem Unrecht die Augen zu verschließen<br />
und wurde deshalb 1535 enthauptet.<br />
Er hatte es gewagte, der Macht<br />
des Königs von England zu trotzen. Dieser<br />
brillante Humanist und Schriftsteller<br />
(Utopia), der fürsorgliche Familienvater,<br />
der Rechtsgelehrte und Staatsphilosoph,<br />
der Lordkanzler König Heinrichs<br />
VIII und zu guter letzt der Gefangene im<br />
Tower.<br />
Heute ist Thomas Morus der Patron der<br />
KJG (Kath. Junge Gemeinde), der Studenten<br />
und der Politiker, die von seiner<br />
Gradlinigkeit und Wahrheitsliebe viel lernen<br />
können.<br />
Zwei Filme wurden über sein Leben gedreht.<br />
Einer davon trug den Titel: „Ein Mann zu<br />
jeder Jahreszeit“ und wurde mit 6 Oscars<br />
ausgezeichnet. Das Gebet um Humor, ihm<br />
zugeschrieben, ist wie ein Sonnenstrahl in<br />
der Dunkelheit unseres Lebens:<br />
20
Gebet um Humor<br />
Schenke mir eine gute<br />
Verdauung, Herr, und auch<br />
etwas zum Verdauen.<br />
Schenke mir Gesundheit<br />
des Leibes, mit dem nötigen<br />
Sinn dafür, ihn möglichst gut<br />
zu erhalten. Schenke mir eine<br />
heilige Seele, Herr, die das<br />
im Auge behält, was gut ist<br />
und rein, damit sie im Anblick<br />
der Sünde nicht erschrecke,<br />
sondern das Mittel finde,<br />
die Dinge wieder<br />
in Ordnung zu bringen.<br />
Schenke mir eine Seele,<br />
der die Langeweile fremd ist,<br />
die kein Murren kennt und<br />
kein Seufzen und Klagen,<br />
und lass nicht zu, dass ich mir<br />
allzu viel Sorgen mache<br />
um dieses sich breit machende<br />
Etwas, das sich „Ich“ nennt.<br />
Herr, schenke mir Sinn für<br />
Humor, gib mir die Gnade,<br />
einen Scherz zu verstehen,<br />
damit ich ein wenig Glück<br />
kenne im Leben und<br />
anderen davon mitteile.<br />
21<br />
Br. Thomas Morus Bertram OSB<br />
Geboren 1954 in Göttingen •<br />
Profess 1985 • Diplomagraringenieur<br />
• Tansania 1981 – 1984 und<br />
1987 – 2001. Seit 2001 Mitarbeit<br />
in der Missionsprokura
ZuM THEMA<br />
Befragung Befragung Befragung Befragung Befragung der der der der der Mönche Mönche Mönche Mönche Mönche<br />
der Abtei Münsterschwarzach<br />
nach ihren (persönlichen) Vorbildern<br />
Dom Erwin Kräutler<br />
Geboren 1939 in<br />
Koblach/Österreich.<br />
Kath. Ordensgeistlicher.<br />
Seit 1980 Bischof und<br />
Prälat von Xingu/Brasilien.<br />
Im Jahr 2010<br />
Alternativer Nobelpreis.<br />
Br. Bernhard Zeh OSB<br />
Geboren 1898 in Wiesau<br />
Gestorben 1972<br />
in Münsterschwarzach.<br />
Ordensmann und Steinmetz<br />
Andre Agassi<br />
Geboren 1970 in Las Vegas.<br />
Ehemaliger US-amerikanischer<br />
Tennisspieler und Olympiasieger.<br />
Seit 2001 mit der deutschen<br />
Tennisspielerin Steffi Graf verheiratet.<br />
Die beiden haben zwei Kinder.<br />
Mahatma Mahatma Mahatma Mahatma Gandhi Gandhi Gandhi Gandhi<br />
Friedensaktivist, geb. 1869<br />
in Porbandar/Indien,<br />
gestorben 1948 in<br />
Neu Delhi/Indien.<br />
22<br />
Abt Abt Abt Abt Bonifaz Bonifaz Bonifaz Bonifaz Vogel Vogel Vogel Vogel OSB OSB OSB OSB<br />
Evagrius Ponticus<br />
Geboren 1912 in Rehau.<br />
Gestorben 2004<br />
in Münsterschwarzach.<br />
Abt von Münster schwarzach<br />
1959–1982.<br />
Charles de Foucauld<br />
Geboren 1858 in Straßburg.<br />
Ermordet 1919 in Algerien.<br />
Ordensgründer von den<br />
„Kleinen Brüdern und Schwestern“.<br />
Seligsprechung 2005.<br />
Geboren 345 in Ibora/Ägypten.<br />
Gestorben 399 in Ägypten.<br />
Christlicher Mönch („Wüstenvater“),<br />
Asket und Schriftsteller.
Meine Großmutter<br />
Wurde Wurde öfters öfters genannt. genannt.<br />
Henri Nouwen<br />
Geboren 1932 in Nijkerk/Niederlande.<br />
1957 Priesterweihe.<br />
Kath. Priester, Theologe, Psychologe,<br />
geistlicher Schriftsteller.<br />
Richard Richard Richard Richard von von von von Weizsäcker<br />
Weizsäcker<br />
Weizsäcker<br />
Weizsäcker<br />
Geboren 1920 in Stuttgart. 1981–1984<br />
Regierender Bürgermeister von Berlin.<br />
1984–1994 Bundespräsident<br />
der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Richard von Weizsäcker ist seit 1953 mit<br />
Ehefrau Marianne verheiratet.<br />
Das Ehepaar hat 4 Kinder.<br />
Johann Sebastian Bach<br />
Geboren 1685 in Eisenach.<br />
Gestorben 1750 in Leipzig.<br />
Komponist, Orgel- und<br />
Klaviervirtuose des Barock.<br />
Loriot (Vicco von Bülow)<br />
Humorist, geb. 1923 in Brandenburg.<br />
Joachim Gauck<br />
Geboren 1940 in Rostock.<br />
Evangelischer Pastor und Bürgerrechtler in der DDR.<br />
1990–2000 Leiter der Gauck-Behörde.<br />
2010 Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten.<br />
Meine Mutter<br />
Wurde öfters genannt.<br />
Oskar Romero<br />
Geboren 1917 in El Salvador,<br />
kath. Erzbischof.<br />
Ermordet 1980 in San Salvador.<br />
Reinhard Mey<br />
Musiker/Liedermacher, geb. 1942 in Berlin.<br />
Die Die Redakteure Redakteure der der<br />
Missionszeitschrift RUF<br />
IN DIE ZEIT haben in den<br />
letzten Wochen bei ihren<br />
Mitbrüdern nachgefragt,<br />
welche persönlichen Vorbilder<br />
sie haben. Natürlich stehen<br />
dabei Jesus Christus und<br />
Heilige wie Maria, Elisabeth,<br />
Benedikt und viele andere<br />
aus dem religiösen Bereich<br />
an erster Stelle.<br />
Darüber hinaus wurden<br />
jedoch auch folgende<br />
Persönlichkeiten aus dem<br />
öffentlichen und privaten<br />
Leben genannt…<br />
23
ZuM THEMA<br />
Wie hätte ich mich verhalten?<br />
Was Schüler des Egbert-Gymnasiums am Oratorium für den neuen<br />
Seligen Pfarrer Häfner bewegt / Vorbild mit Ecken und Kanten<br />
von Hendrik Weingärtner<br />
Wenn Vertreter der Diözese Würzburg danach<br />
gefragt werden, was sie an dem neuen<br />
Seligen der Diözese, Pfarrer Georg Häfner,<br />
bewegt, dann erhält man oft folgende<br />
Eigenschaften als Antwort: „Authentizität,<br />
Standhaftigkeit und Tiefgläubigkeit“. Wie<br />
stehen die Schüler des EgbertGymnasiums<br />
der Abtei Münsterschwarzach (EGM) zu<br />
diesen Attributen? Was bewegt gerade die<br />
130 Jugendlichen aller Jahrgangsstufen an<br />
dem Märtyrerpriester des 20. Jahrhunderts,<br />
die sich seit September 2010 im Rahmen<br />
eines szenischen Oratoriums mit dessen<br />
Leben und Sterben auseinandersetzen?<br />
Kann überhaupt eine solche Persönlichkeit<br />
Jugendlichen der heutigen Zeit etwas<br />
auf ihren künftigen Lebensweg mitgeben?<br />
Das Oratorium „Häfner – eine Entscheidung“<br />
wurde im März uraufgeführt. Zum<br />
Inhalt: Georg Häfner wird zusammen mit<br />
anderen Priestern in das KZ Dachau eingeliefert<br />
und muss dabei erste entwürdigende<br />
Schikanen über sich ergehen lassen.<br />
In der Kapelle in Dachau erfährt er,<br />
dass es den Priestern dort gestattet ist,<br />
Eucharistie zu feiern: Ein Rettungsanker.<br />
Häfner trifft auf Blockführer Reinhard, der<br />
von ihm verlangt, dass er ihm kurz vor<br />
seinem nahen Tode die Sterbesakramente<br />
spenden soll – genau nach einer solchen<br />
Handlung in seiner Pfarrei war Häfner ins<br />
KZ gebracht worden! Reinhard verspricht<br />
ihm dafür, dass er dann das Lager unversehrt<br />
verlassen dürfe. Häfner befi ndet sich<br />
in einem Zwiespalt: Auf der einen Seite<br />
die Chance, in Freiheit wieder Dienst in<br />
seiner Gemeinde tun zu können, die aber<br />
verbunden ist mit der besonderen Herausforderung,<br />
einem wenig reuigen Sünder<br />
die Absolution zu erteilen, auf der anderen<br />
Seite das menschenunwürdige Leben und<br />
wahrscheinliche Sterben im Lager Dachau<br />
(siehe auch www.georghaefner.de).<br />
Die Form des Oratoriums, die vom Komponisten<br />
Markus Binzenhöfer bewusst gewählt<br />
wurde, ist etwas Neues, für Schüler<br />
bisher Unbekanntes, etwas anderes eben<br />
als die bisher bekannten Bühnentheater.<br />
Neben Formen der alten Musik, Rezitativ<br />
und Fuge, fi nden sich auch moderne<br />
Klangbilder in der Komposition wieder.<br />
Als Leitmotiv für die gottferne Welt im<br />
KZ Dachau zieht sich beispielsweise der<br />
PassionsChoral „O Haupt voll Blut und<br />
Wunden“ durch die Musik. Dies fasziniert<br />
Chor, Orchester und Solisten, stellt Herausforderungen<br />
an alle, die es gemeinsam zu<br />
meistern gilt, macht „die Welt ohne Gott“<br />
gegenwärtig. Kein leichtes Unterfangen.<br />
Aber eine Sache gibt es doch, die wirklich<br />
alle Beteiligten, Lehrer, Mönche, Eltern und<br />
Schüler, gemeinsam bewegt: Das Erleben<br />
von Gemeinschaft!<br />
Spuren, die sich nicht<br />
verwischen lassen<br />
Welche Schlüsse jeder für sich selber aus<br />
dem Werk zieht, bleibt offen. Auf jeden<br />
Fall lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
sagen, dass die Beschäftigung mit dem<br />
neuen Seligen Spuren hinterlassen hat, die<br />
sich nicht so leicht verwischen lassen. Viele<br />
Fragen tauchen da auf: Wie hätte ich mich<br />
in dieser Situation verhalten? Wäre auch<br />
ich so standhaft für meine Überzeugungen<br />
eingestanden?<br />
Gerade in seiner geradlinigen Konsequenz<br />
zeigt sich für die Teilnehmer der Vorbildcharakter<br />
Häfners. „Für mich ist Georg<br />
Häfner ein Vorbild, weil er auch unter den<br />
Qualen im KZ für seine Überzeugung eingestanden<br />
ist – bis zuletzt“, sagt Haupt<br />
24
darsteller Matthias Miersch. Im Oratorium<br />
ruft der neue Selige die Jugendlichen auf,<br />
für ihre Überzeugungen in der heutigen<br />
Gesellschaft einzutreten und diese so mitzugestalten,<br />
anstatt sich wie ein Fähnchen<br />
im Wind biegen zu lassen.<br />
Beispiel für Geradlinigkeit<br />
„Er ist wohl das Paradebeispiel für Geradlinigkeit.<br />
Die Konsequenzen, die er zieht<br />
und die entstehen, kann man sich ansehen<br />
und fragen, ob diese Geradlinigkeit<br />
der Weg ist, den man selbst gehen wollte<br />
oder will“, sagt Achim von Wietersheim,<br />
der einen SSSchergen verkörpert. Für<br />
andere Schüler hingegen ist es nicht die<br />
Person Häfner, die bewegt. „Am Oratorium<br />
bewegen mich eher die Prinzipien, die<br />
vermittelt werden, als die Person Häfner“,<br />
gibt Marius Mülhaupt zur Antwort. Viele<br />
der Mitwirkenden sehen dies ähnlich. Die<br />
vermittelten Inhalte des Stückes sind es,<br />
die Bedeutung haben, die ins Gewicht fallen,<br />
die mehr ansprechen als der Märtyrer.<br />
Der Mensch dahinter, der ohne Zweifel<br />
auch Ecken und Kanten hatte, scheint<br />
vielen in gewisser Weise unsympathisch<br />
zu sein, scheint viele nicht ansprechen zu<br />
können. Da berichten beispielsweise Zeitgenossen<br />
des Priesters aus Oberschwarzach<br />
von Schlägen in der Schule, was eine<br />
solche Haltung ihm gegenüber verständlich<br />
macht. „Ich bin mir nicht sicher, ob<br />
ich ihm vertrauen könnte“ oder „Georg<br />
Häfner ist mir in gewisser Weise unsympathisch“<br />
zitiert eine Ausstellung „Engagierte<br />
Bürger leisten Widerstand“ Schüler<br />
des Gymnasiums. Zeugt das nicht auch<br />
von einer Unnahbarkeit des Priesters für<br />
die Jugend? Doch wenn auch nicht Häfner<br />
selbst, so sind es zumindest die durch das<br />
Oratorium vermittelten Ideale, die Spuren<br />
hinterlassen.<br />
25<br />
Hendrik Weingärtner<br />
Geboren 1993 • Schüler der 11.<br />
Klasse des EgbertGymnasiums<br />
• spielt einen SSSchergen im<br />
Oratorium
INTERVIEW<br />
„Ich wollte nie ein Vorbild sein!“<br />
Abt Michael Reepen über Idole, Vorbilder und<br />
den göttlichen Kern in jedem Menschen<br />
Abt Michael Reepen OSB<br />
Welche Assoziationen haben Sie zu den<br />
Begriffen Idol und Vorbild?<br />
Ehrlich gesagt habe ich mit beiden Begriffen<br />
meine Schwierigkeiten. Der Begriff<br />
„Idol“ verweist mich auf den Abgott, also<br />
etwas, was Gott gleich oder an seine Stelle<br />
gesetzt wird. Man könnte hier zum Beispiel<br />
an das Goldene Kalb im Alten Testament<br />
denken, das die Menschen zu einem Abgott,<br />
einem Götzenbild erhoben haben.<br />
Zum Begriff „Vorbild“ habe ich als Novizenmeister<br />
einmal ganz unverschämt gesagt,<br />
dass ich nie ein Vorbild sein möchte.<br />
Der Grund dafür lag darin, dass ich nicht<br />
ständig vor meinem Bild herlaufen möchte.<br />
Ich möchte vielmehr ich selbst sein, der, der<br />
ich wirklich bin und nicht jemand, zu dem<br />
andere aufschauen. Für mich ist die Frage<br />
wichtig: Wie fi nde ich zu dem, den Gott<br />
eigentlich mit mir gemeint hat?<br />
Ganz ohne Vorbilder geht es aber dennoch<br />
nicht, oder? Gerade für Heranwachsende,<br />
die mitten in der Persönlichkeitsentwicklung<br />
stecken, sind Vorbilder unerlässliche<br />
Orientierungs hilfen…<br />
Natürlich gibt es im Leben jedes Menschen<br />
Personen, die für die eigene Entwicklung<br />
wichtig sind. Dies beginnt schon bei der<br />
Geburt: Die Eltern sind das erste Vorbild<br />
jedes Menschen. Das setzt sich fort mit<br />
Freunden, Lehrern, in der Pubertät rücken<br />
dann Stars in den Vordergrund und so fort.<br />
Richtig verstanden sind Vorbilder für mich<br />
Menschen, an denen ich reifen und wachsen,<br />
von denen ich etwas lernen kann. Es<br />
sind Menschen, die mir helfen, mein ureigenes<br />
Potential zu entwickeln.<br />
Welche Vorbilder waren (und sind) für Sie<br />
persönlich wichtig?<br />
Da sind zunächst mal meine Eltern und die<br />
Art, wie sie mich erzogen haben. Meine<br />
Eltern haben mir immer eine große Freiheit<br />
gelassen, damit ich mich entwickeln konnte.<br />
Sie standen mir stets offen gegenüber,<br />
haben mich nie gedrängt. Diese Freiheit<br />
hat mir Raum gegeben, meinen eigenen<br />
Weg zu fi nden. Später gab es für mich nie<br />
EIN großes Vorbild, vielmehr bin in den<br />
verschiedenen Lebensphasen immer den<br />
richtigen Menschen begegnet; Menschen,<br />
die mich ein Stück begleitet haben und<br />
die mir geholfen haben, meine geistliche<br />
Seite zu entwickeln. Ich denke da an einen<br />
Erzieher in meiner Schulzeit, der für mich<br />
wichtig war, an den einen oder anderen<br />
Mitbruder.<br />
Welche Rolle spielen Vorbilder in der<br />
Kirche?<br />
Die kirchlichen Vorbilder par excellence<br />
sind ja die Heiligen. Und die sind zweifellos<br />
wichtig. Das Problem ist nur, dass wir<br />
die Heiligen zu hoch auf die Altäre gesetzt<br />
und zu sehr vergoldet haben. Auf diese<br />
Weise wurden sie schlichtweg unerreichbar!<br />
Deshalb fi nde ich es sehr schön, dass<br />
in unserer Abteikirche die Heiligen auf der<br />
Ebene des Volkes stehen. Sie sind mitten<br />
unter uns, sie sind Menschen, die so gelebt<br />
haben wie wir und deren Leben gelungen<br />
26
ist. Und da kann ich mich anschließen.<br />
Da begeistert mich Benedikt ebenso wie<br />
Charles de Foucault, Mutter Teresa oder<br />
Abt Egbert. Das sind Menschen, die vom<br />
lieben Gott die Gnade bekommen haben,<br />
etwas zu leben, was für sie und die Welt<br />
heilsam war. Nicht vergessen sollte man<br />
dabei, dass ja wir alle zur Heiligkeit berufen<br />
sind. Dabei können uns die Heiligen<br />
eine große Hilfe sein. Sie können durch ihre<br />
Qualität etwas in mir selbst wecken. So<br />
kann zum Beispiel die Weite des Herzens<br />
des heiligen Benedikt auch mein Herz weiten.<br />
Oder die Bereitschaft zur Erneuerung<br />
von Abt Egbert erwacht auch in mir. Die<br />
Heiligen können also eine Hilfe sein, dass<br />
sich auftut, was in mir angelegt ist.<br />
In den Heiligen wird schließlich auch etwas<br />
von Gott sichtbar. Und weil sie Menschen<br />
waren wie du und ich, erfahre ich hier: Etwas<br />
von diesem dreifaltigen Gott ist auch<br />
in mir! Christus will auch in mir lebendig<br />
werden. Seine Kraft und seine Liebe wollen<br />
auch in mir geweckt werden.<br />
Papst Johannes Paul II<br />
(Karol Jozef Wojtyla)<br />
geboren 1920 in Wadowice, Polen.<br />
Gestorben 2005 in Vatikanstadt.<br />
Papst 1978–2005.<br />
Welche Vorbilder würden Sie jungen<br />
Menschen von heute ans Herz legen?<br />
Ein ganz eigenartiges Phänomen war für<br />
mich die Verehrung von Papst Johannes<br />
Paul II. In seinen letzten Jahren war er ein<br />
alter, gebrechlicher Mann, und die Lehren,<br />
die er verkündet hat, waren alles andere<br />
als jugendlich. Und doch haben ihn gerade<br />
die Jugendlichen über alles geliebt. Das<br />
Anziehende an ihm war wohl seine totale<br />
Menschenzugewandtheit, sein tiefes Verständnis<br />
und seine Liebe.<br />
Wenn ich Jugendlichen darüber hinaus<br />
eine Empfehlung geben sollte, würde ich<br />
ihnen solche Menschen ans Herz legen, die<br />
sich für andere eingesetzt haben, die dafür<br />
gesorgt haben, dass etwas mehr Frieden<br />
und Liebe in die Welt kommen. Ich denke<br />
da zum Beispiel an Mahatma Gandhi, an<br />
alle, die dem allgemeinen Trend nach Egoismus,<br />
Geld, Macht und Glitzerglanz zumindest<br />
ein bisschen entgegengewirkt und<br />
die Welt verändert haben. Denn das birgt<br />
die Chance, dass sich auch etwas in ihnen<br />
selbst verändert.<br />
Auch wenn Sie das nie so wollten – als<br />
Abt sind Sie heute selbst ein Vorbild.<br />
Welche Botschaft möchten Sie vermitteln?<br />
Was ist Ihr Anliegen?<br />
Mir ist es ein Anliegen, jeden Menschen<br />
so zu nehmen und anzunehmen, wie er<br />
ist. Ohne über ihn zu urteilen. Ich möchte<br />
versuchen, ihn in seiner innersten Klarheit<br />
zu sehen. Ich möchte keine vorgefertigten<br />
Bilder sehen, sondern offen sein für den<br />
eigentlichen Kern. Das war mir schon bei<br />
meiner Arbeit als Novizenmeister und im<br />
Lehrlingsseminar wichtig. Natürlich ist das<br />
manchmal schwierig. Wir denken viel zu<br />
oft in Schwarz und Weiß, verfrachten einen<br />
Menschen vorschnell in eine bestimmte<br />
Schublade. Aber es gibt auch einen anderen<br />
Blick für den Menschen! Ich habe da<br />
ein unverschämtes Vertrauen, dass Gott<br />
in jedem, aber auch jedem Menschen ist.<br />
Das kann total verdeckt und im Innersten<br />
verschüttet sein. Aber daran glaube ich.<br />
An dieses Grundvertrauen knüpft in gewisser<br />
Weise auch mein Wahlspruch „cum<br />
gaudio sancti spiritus“ (in der Freude des<br />
Heiligen Geistes) an. Das lateinische Wort<br />
gaudium meint nicht das aufgesetzte Fröhlichsein,<br />
sondern die innere Freude, den<br />
göttlichen Kern, der in jedem Menschen<br />
leuchtet.<br />
Zu ihren Aufgaben gehört es auch, die<br />
Ordensnamen für die Neuprofessen auszusuchen.<br />
Haben diese Namen Aufforde-<br />
rungscharakter?<br />
Die Novizen machen drei Namensvorschläge,<br />
über die wir dann gemeinsam sprechen.<br />
Mir ist es wichtig, dass der Name stimmt!<br />
Dass jemand zum Beispiel den heiligen<br />
Franziskus toll fi ndet, reicht einfach nicht.<br />
Es muss eine innere Verwandtschaft, ein<br />
innerer Widerhall da sein. Der gewählte<br />
Name muss etwas in seinem Träger anklingen<br />
lassen, so dass er im Laufe seines<br />
Lebens immer mehr in seinen Namen hineinwächst<br />
und die Kraft dieses Heiligen<br />
in ihm lebendig werden kann. Später ist<br />
es dann oft verblüffend zu sehen, welche<br />
Parallelitäten sich da auftun: Im Denken,<br />
im Verhalten, manchmal sogar bis hin zur<br />
Wortwahl! Ich entdecke bei meinen Mitbrüdern<br />
immer wieder einzelne Qualitäten<br />
ihrer Namenspatrone. Und deshalb ist es<br />
nicht egal, welchen Namen man wählt.<br />
Ihr eigener Professname lautet Michael.<br />
Was ist der Hintergrund?<br />
Ich habe meinen Namen nicht gewechselt.<br />
Mein Taufname ist auch mein Ordensname.<br />
Natürlich hatte auch ich drei Vorschläge<br />
und habe mir ernsthaft überlegt, meinen<br />
Namen zu wechseln. Doch dann wurde mir<br />
plötzlich klar, dass der liebe Gott mit dem<br />
Michael schon so viel gemacht hat und<br />
dass er mich unter diesem Schutz auch<br />
weiter führen wird.<br />
Was bedeutet Ihnen der Name Michael?<br />
Michael – „Wer ist wie Gott?“ – hat sehr<br />
viel mit Licht und Dunkel zu tun, mit der<br />
Notwendigkeit zu erkennen, was Licht und<br />
Dunkel, was Gut und Böse ist. Auch in<br />
meinem Leben gibt es viele Punkte, an<br />
denen diese Unterscheidungsgabe wichtig<br />
war, an denen ich erkennen musste: Riecht<br />
es nach Weihrauch oder Schwefel? Außerdem<br />
spielt für mich auch der Aspekt des<br />
streitbaren Engels eine wichtige Rolle: Der<br />
heilige Michael ist stark, er schützt. Und<br />
deshalb stelle auch ich mir manchmal vor,<br />
wie er seine schützenden Flügel um mich<br />
legt, wenn es zu hart wird.<br />
Herzlichen Dank, Abt Michael!<br />
Das Interview führte Anja Legge<br />
27
PROJEKT<br />
Mehr als eine gute Handwerkerausbildung<br />
Helfen Sie jungen Menschen in Tansania<br />
Von Anfang an haben die Mönche und<br />
Schwestern von Peramiho großen Wert auf<br />
die Ausbildung von einheimischen Handwerkern<br />
gelegt. Die Ausbildungswerkstätten<br />
sind seit 1928 in der Trade School –<br />
Berufsschule – zusammengefasst. Die jungen<br />
Menschen bekommen mehr als eine<br />
gute Handwerkerausbildung. Sie werden in<br />
ihren Gaben und Talenten gefördert und<br />
erfahren eine christliche Prägung.<br />
Die als Internat geführte Schule wird zur<br />
Zeit von 90 Jungen und Mädchen besucht,<br />
die in den Berufen Automechaniker, Dreher,<br />
Spengler, Drucker, Buchbinder, Schreiner,<br />
Elektriker und Schneider ausgebildet<br />
werden. Manche haben zuvor nur die siebenjährige<br />
Grundschule besucht, andere<br />
haben zusätzlich vier Jahre Sekundarschule<br />
absolviert. Die Ausbildung mit staatlicher<br />
Abschlussprüfung dauert 4 Jahre. Pro<br />
Jahr müssen die Schüler ein Schulgeld von<br />
ca. 180 Euro bezahlen.<br />
Seit 2006 gibt es auch eine Computerklasse.<br />
Mit Hilfe von Spendern aus<br />
Deutschland konnten wir in Dar es Salaam<br />
20 Computer kaufen. Der Siegeszug dieser<br />
Technologie macht auch vor Afrika nicht<br />
halt und verändert das Leben der Menschen.<br />
Nur wer in die Geheimnisse der<br />
Computerwelt eingeführt ist, hat später<br />
auf dem Arbeitsmarkt Chancen und kann<br />
erfolgreich sein. Außerhalb der Schulzeit<br />
wird der Computerraum für Fortbildungskurse<br />
für jedermann genutzt.<br />
Vielen jungen Menschen ist es nicht möglich<br />
unsere Handwerkerschule zu besuchen,<br />
da die Eltern nicht genug Geld haben, um<br />
das jährliche Schulgeld zu bezahlen. Helfen<br />
Sie bitte mit, dass vielen begabten<br />
Menschen die Ausbildung in Peramiho<br />
ermöglicht wird.<br />
Spendenaufruf<br />
Schulgeld für einen Tag 50 Cent<br />
für einen Monat 15 Euro<br />
für ein Jahr 180 Euro<br />
Liga Bank eG<br />
KontoNr. 3015033, BLZ 750 903 00<br />
Kennwort: Handwerker<br />
Herzlichen Dank für Ihre Hilfe<br />
Abt Anastasius Reiser OSB<br />
und die jungen Menschen von der<br />
Handwerkerschule Peramiho<br />
28
Symbole in der sakralen Kunst.<br />
Alle Handwerker, die in der Abtei Münsterschwarzach<br />
tätig sind, kommen mit christlichen<br />
Symbolen tagtäglich in Berührung.<br />
Ob es nun der Bäcker ist, der das Kreuz<br />
in den Brotlaib ritzt, der Gärtner, der die<br />
Palmzweige schneidet oder den Christbaum<br />
fällt, der Schmied, der ein „Ewiges<br />
Licht“ schmiedet oder der Schreiner, der<br />
ein Holzkreuz fertigt.<br />
Besonders tief mit der Symbolik christlicher<br />
Motive befassen sich die Gold & Silberschmiede<br />
in ihrer Aufgabe der Herstellung<br />
sakraler Geräte.<br />
Das Wein & Wasserkännchen, die Taufkanne,<br />
der Weihwasserkessel oder gar das<br />
Taufbecken. Das alles sind Geräte, die eine<br />
Primizkelch mit Hostienschale<br />
kostbare Flüssigkeit fassen und durch Symbole<br />
zusätzlich gekennzeichnet werden.<br />
Weitere Beispiele sind Patene oder Hostienschale<br />
als Gabenteller, das Ciborium und<br />
auch der Tabernakel als Schutzraum für<br />
das Allerheiligste oder der Leuchter für die<br />
Oster kerze. Dieser ist erst mal nur der Träger<br />
für das Licht, kann jedoch durch seine<br />
Gestaltung selbst zu einem Zeichen werden.<br />
In der christlichen Symbolsprache natürlich<br />
allgegenwärtig ist das Kreuz. Als kleines<br />
Zeichen auf der Patene oder als großes,<br />
an der Wand. Das Kreuz mit einem Korpus<br />
versehen oder schlicht in der Form, mal nur<br />
die Wundmale zitierend oder die Krone des<br />
Christkönigs.<br />
Bischofsstab<br />
Der Krummstab<br />
ist schon seit<br />
den Ägyptern<br />
ab ca. 2707 v.Chr.<br />
(Altes Reich)<br />
als Herrschafts -<br />
symbol bekannt
Die Trauringe symbolisieren den Bund der Ehe, der Diamant die Ewigkeit<br />
Ein weiteres häufi g verwendetes Motiv ist<br />
das des Heiligen Geistes, meist als Taube<br />
dargestellt.<br />
Wodurch entstanden jedoch z. B. die<br />
vielen Symbole Biblischer Gestalten<br />
oder Ereignisse?<br />
Vermutlich,<br />
damit es nur<br />
eingeweih te<br />
Personen erkennen wie der Fisch (ICH<br />
THYS) und auch, um den vielen Gläubigen,<br />
die nicht lesen und schreiben konnten,<br />
die Heilige Schrift näher zu bringen.<br />
Oftmals ergibt sich erst im persönlichen<br />
Gespräch mit dem Auftraggeber, auf was<br />
es dem Kunden besonders ankommt.<br />
Das Kreuz als Bekenntnis zum Glauben<br />
Beispielsweise der Primizkelch, der den<br />
Priester sein Leben lang begleitet. Vielfach<br />
werden in dieses heilige Altargerät auch<br />
persönliche Symbole mit eingebracht. Ein<br />
Stück Holz aus dem elterlichen Garten<br />
oder ein Stein aus der Heimatpfarrei, die<br />
Ringe der Eltern, das Bild eines Heiligen,<br />
der besondere Bedeutung für den Primizianten<br />
hat und vieles mehr. Vielleicht ist<br />
das eine oder andere Symbol dabei für den<br />
Außenstehenden nicht von Bedeutung, für<br />
den Besitzer jedoch verbirgt sich in diesem<br />
Sinneszeichen etwas ganz besonderes,<br />
kostbares, Kraft und Halt gebendes.<br />
Somit hat jedes sakrale Gerät, das in der<br />
Gold & Silberschmiede der Abtei Münsterschwarzach<br />
gefertigt wird, einen kreativen<br />
und symbolischen Hintergrund.<br />
Das Bild zeigt einen Osterleuchter mit<br />
7 Segmenten. Diese stehen für die Schöpfung.<br />
Das 8. Segment, die Osterkerze,<br />
symbolisiert das Licht, die Auferstehung.
NAMEN/NAcHRIcHTEN<br />
Ort des Rückzugs und geistliche Tankstelle<br />
„Wir alle sind ein Leben lang reparaturbedürftig!“<br />
Das Recollectio-Haus in Münsterschwarzach feiert 20-jähriges Bestehen<br />
Als „Oase, geistliche Tankstelle, Intensivstation<br />
mit großer Aussicht auf Heilung,<br />
Sauerstofffl asche, Ort des Rückzugs und<br />
der Ich-Stärke, als bunter Garten, in dem<br />
alles wachsen darf“ bezeichneten Ehemalige<br />
und Freunde das Recollectio-Haus<br />
in Münsterschwarzach bei einem Symposium<br />
zum 20-jährigen Bestehen des<br />
Hauses. Rund 150 Gäste kamen zur Jubiläumsveranstaltung;<br />
unter ihnen viele<br />
ehemalige KursteilnehmerInnen sowie<br />
Menschen, die sich dem Haus und der<br />
Abtei verbunden fühlen.<br />
Das RecollectioHaus ist ein Angebot<br />
für Priester, Ordensleute und kirchliche<br />
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die<br />
im spirituellen Ambiente der geistlichen<br />
Gemeinschaft der Benediktiner von Münsterschwarzach<br />
innehalten, über ihr Leben<br />
nachdenken, einer Krise nachspüren oder<br />
neue Kraft für ihr berufl iches und persönliches<br />
Leben schöpfen wollen. So heißt es<br />
auf der Homepage des Hauses im Internet.<br />
Gründer ist der Psychotherapeut und Theologe<br />
Dr. Wunibald Müller, der das Haus<br />
gemeinsam mit dem Benediktinerpater,<br />
geistlichen Autor und Cellerar der Abtei<br />
Dr. Anselm Grün leitet. Müllers Intention<br />
war es, „einen Ort der Kraft zu schaffen,<br />
an dem Therapie und geistliche Dimension<br />
miteinander verknüpft werden – getreu<br />
dem Motto: Du hast viel mehr Möglichkeiten,<br />
als du denkst. Ganz zu schweigen<br />
von den ungeahnten Möglichkeiten Gottes<br />
mit dir.“<br />
Beim zweiten Anlauf glückte es<br />
Dass die Durchführung eines so wagemutigen<br />
Projekts alles andere als leicht war,<br />
daran erinnerte der damalige Abt von Münsterschwarzach<br />
Pater Fidelis Ruppert. Auf<br />
einen ersten Brief an die Bischofskonferenz<br />
in den 80er Jahren habe man eine „nicht<br />
sehr ermutigende Antwort“ erhalten. Besser<br />
glückte hingegen der zweite Anlauf mit<br />
Unterstützung durch die Diözesen Würzburg,<br />
Freiburg und RottenburgStuttgart,<br />
so dass man das Haus 1991 eröffnen konnte.<br />
Heute wird die Einrichtung der Benedik<br />
v.l.n.r. P. Anselm Grün OSB, Generalvikar Karl Hillenbrand, Abt Michael Reepen OSB; Wunibald<br />
Müller, P. Fidelis Ruppert OSB, P. Meinrad Duffner OSB<br />
tinerabtei Münsterschwarzach, die bis dato<br />
einzigartig im deutschsprachigen Raum ist,<br />
von acht Diözesen fi nanziell mitgetragen,<br />
nämlich Augsburg, Freiburg im Breisgau,<br />
Limburg, Mainz, MünchenFreising, Paderborn,<br />
RottenburgStuttgart und Würzburg.<br />
Rund 1200 kirchliche Mitarbeiter, Priester<br />
und Ordensleute aus ganz Europa haben<br />
in den vergangenen zwanzig Jahren das<br />
Angebot des RecollectioHauses genutzt.<br />
In Kursen von neun bis zwölf Wochen und<br />
in fachkundiger Begleitung durch ein Team<br />
aus Psychotherapeuten, geistlichen Begleitern<br />
und Ärzten durften sie hier „heilen<br />
und gesund werden, Freiheit und menschliche<br />
Weite spüren, sich zum Leben(digen)<br />
wenden, aus Last und Trauer auferstehen“.<br />
Sie haben „gewagt unbequem zu sein, den<br />
Mut zum Leben wieder gefunden, aus ihrer<br />
Angst herausgefunden“, erzählen viele.<br />
„Geschützter Ort,<br />
an dem man auftanken kann“<br />
Ganz in diesem Sinne bezeichnete auch<br />
Abt Michael Reepen das RecoHaus, wie<br />
es die Mönche liebevoll nennen, als „geschützten<br />
Ort, an dem man auftanken, an<br />
den man sich in einer Krise wenden und<br />
Erneuerung fi nden kann“. Die Besonderheit<br />
liegt seiner Ansicht nach darin, dass<br />
man das Haus nicht auf der grünen Wiese<br />
ansiedelte, sondern im Schatten des<br />
Klosters. Seiner Erfahrung nach tut der<br />
Herzschlag des Klosters den Gästen gut,<br />
ebenso wie die Mitarbeit in den Klosterbetrieben<br />
und der Kontakt mit den Mönchen.<br />
Umgekehrt habe man selbst vom Reco<br />
Haus und seinen Menschen gelernt, dass<br />
„Krisen zum Leben dazugehören“ und dass<br />
es „keine Schande ist, Hilfe anzunehmen.“<br />
Der Blick auf das RecoHaus ermutige<br />
die Klostergemeinschaft, „hinzuschauen<br />
und TabuThemen wie Sexualität, Ehelosigkeit,<br />
Missbrauch und Sucht offen anzu<br />
32
Teilnehmer schreiben, was ihnen das Recol lec tio-Haus bedeutet<br />
sprechen.“ Die Bischöfe anderer Bistümer<br />
zeigten sich dankbar für die Arbeit, die<br />
hier geleistet wird, berichtete Abt Michael<br />
weiter. Zugleich sprach er aber auch unverhohlen<br />
die Sorge anderer kirchlicher Organe<br />
an, ob das Haus nicht zu liberal sei.<br />
Dem entgegnen sowohl Abt Michael wie<br />
auch sein Vorgänger Pater Fidelis einhellig:<br />
„Auch wenn manche den Orden verlassen<br />
oder das Priesteramt niederlegen… Alle<br />
gehen versöhnt mit sich selbst, mit Gott<br />
und der Kirche, und alle wissen, wie es<br />
weitergeht.“ In solchen Situationen spüre<br />
man eine befreiende Weite.<br />
Eigene Wahrheit fi nden<br />
Der Gründer des Hauses, Dr. Wunibald<br />
Müller, sieht im RecollectioHaus eine Reparaturwerkstätte,<br />
denn: „Wir alle sind ein<br />
Leben lang reparaturbedürftig“, betonte<br />
er. Ziel sei es, Menschen bei ihrem Ringen,<br />
die eigene Wahrheit zu fi nden, zu begleiten:<br />
„Hier können sie herausfi nden, was sie<br />
im Innersten bewegt und wozu Gott sie<br />
bestimmt hat – sei es, dass sie die neue<br />
Lust und Leidenschaft als Priester entdecken,<br />
sei es, dass sie einen neuen Weg<br />
beschreiten.“ Souverän ging Müller mit den<br />
kritischen, ja zuweilen bissigen Stimmen<br />
um. Für ihn ist eine derartige Reaktion<br />
verständlich, denn „wer von hier fort geht,<br />
ist in seiner IchStärke gewachsen und<br />
deshalb eben nicht mehr so pfl egeleicht“.<br />
Ungeachtet mancher Widerstände blieb<br />
das RecoTeam unbeirrt auf seinem Weg<br />
– ja, wurde gerade mit Blick auf die aktuellen<br />
Erschütterungen noch gestärkt. Am<br />
Ende des gleichermaßen unterhaltsamen<br />
wie gehaltvollen Festvortrags stand die<br />
Mit Unfertigkeiten<br />
und Wunden leben<br />
selbstbewusste Schlussfolgerung,<br />
dass wohl<br />
Gott selbst die Idee zum<br />
RecoHaus gehabt haben<br />
müsse, „weil er sich<br />
in Münsterschwarzach<br />
besonders wohl fühlt“.<br />
Interessante Einblicke trug auch der ehemalige<br />
Personalreferent der Diözese MünchenFreising<br />
Dr. Wolfgang Schwab bei,<br />
der 1995 erstmals im RecollectioHaus<br />
war. Sein einseitiges Bild von einem „Haus<br />
für angeschlagene Priester, die mit dem<br />
Zölibat haderten“ wich hoher Wertschätzung:<br />
„Hier lernen Menschen, mit ihren<br />
Unfertigkeiten und Wunden zu leben, hier<br />
erfahren sie wirklich Hilfe. Hier habe ich<br />
gelernt: Nichts ist so vielfältig wie Menschen<br />
auf dem Weg zu Gott!“ Gerade vor<br />
dem Hintergrund neuer Strukturpläne und<br />
der Schaffung riesiger Seelsorgeeinheiten,<br />
die Menschen „mit Wucht in tiefe Nöte treiben“,<br />
sei ihm um die Zukunft des Hauses<br />
nicht bang. Von evangelischer Seite gratulierte<br />
Hartmut Stoll, ehemaliger Leiter des<br />
Hauses Respiratio auf dem Schwanberg.<br />
Das Haus der evangelischen Landeskirchen<br />
in Bayern, Baden und Württemberg<br />
für ausgebrannte kirchliche Mitarbeiter<br />
habe viel gelernt von der älteren Schwester<br />
Recollectio.<br />
Bei der Posiumsdiskussion<br />
Mensch werden<br />
und Mensch bleiben<br />
Nach dem Mittagessen und der Möglichkeit<br />
zu persönlicher Begegnung lud Dr.<br />
Ruthard Ott zu einer Podiumsdiskussion<br />
zum Thema „Mensch werden und Mensch<br />
bleiben im Unternehmen Kirche“. Abt<br />
Michael Reepen, Dr. Karl Hillenbrand (Generalvikar<br />
der Diözese Würzburg), Ursula<br />
Schieler (Diözesanreferentin für pastorale<br />
Mitarbeiter der Diözese RottenburgStuttgart)<br />
und Dr. Bernd Deininger (Chefarzt<br />
im Bereich Psychosomatik am Nürnberger<br />
MarthaMariaKrankenhaus) umrissen die<br />
Bedingungen, die kirchliche Mitarbeiter<br />
für ein gelungenes Menschsein benötigen.<br />
Rasch rückte der Zwiespalt zwischen<br />
(kirchlichem) Anspruch und (menschlicher)<br />
Wirklichkeit in den Mittelpunkt.<br />
Aus dem Publikum wurden ebenso nachdenkliche<br />
wie kritische Stimmen laut und<br />
verwiesen auf die Barmherzigkeit Gottes<br />
statt unbarmherziger Regelungen und die<br />
befreiende Weite der Botschaft Gottes statt<br />
kirchlicher Enge. Abt Michael wünschte sich<br />
für die Zukunft „Freiheit, die dem Heiligen<br />
Geist eine Chance gibt“. Generalvikar Hillenbrand<br />
ermutigte dazu, jeden einzelnen<br />
Mitarbeiter als „Geschenk Gottes“ zu sehen<br />
und dankte dem Haus für seinen Beitrag zu<br />
geistlichen Menschen und menschlichen<br />
Geistlichen. „Ich wünsche mir, dass der Energievorrat<br />
dieser geistlichen Tankstelle nie<br />
ausgeht!“<br />
33
NAMEN/NAcHRIcHTEN<br />
Ein offenes Haus für alle Menschen<br />
Mit der Schließung von Haus Benedikt in Würzburg zum 31. Dezember 2010<br />
ist eine ära zu Ende gegangen – ein Rückblick auf 92 bewegte Jahre<br />
von Anja Legge<br />
Knapp 100 Jahre haben die Benediktiner<br />
aus Münsterschwarzach das Haus Benedikt<br />
als Kolleg, Internat und Bildungshaus<br />
genutzt. Viele Ordensstudenten und<br />
Schüler sind von hier aus ihren Studien<br />
nachgegangen. Und kaum überschaubar<br />
ist die Zahl jener Menschen, die im Haus<br />
Benedikt wertvolle Impulse und Orientierung<br />
für ihren berufl ichen wie privaten<br />
Alltag gefunden haben. Zum Jahresende<br />
2010 wurde das renommierte Haus nun<br />
geschlossen und die Bildungsarbeit nach<br />
Münsterschwarzach verlagert. Ein Anlass<br />
zurückzublicken auf viele facettenreiche<br />
Jahre mönchischen Lebens in der Stadt.<br />
Bereits wenige Jahre nach der Wiederbesiedelung<br />
der Abtei Münsterschwarzach<br />
war es Abt Placidus Vogel ein Anliegen,<br />
in Würzburg ein Studienkolleg für die Ordensstudenten<br />
zu errichten. Deshalb erwarb<br />
man 1918 die Villa Noell, ein Haus<br />
mit Garten und Nebengebäuden zwischen<br />
Platz’schem Garten und Alleestraße (heute<br />
St. Benedikt Straße). Vom neu eingerichteten<br />
Kolleg St. Josef konnten studierende<br />
Mitbrüder nun bequem ihre Vorlesungen<br />
an der Universität Würzburg besuchen. Zu<br />
gleich war das Haus Internat für Schüler<br />
des EgbertGymnasiums, die die Oberstufe<br />
an den Würzburger Gymnasien absolvieren<br />
konnten. Da die Gemeinschaft rasch<br />
wuchs, reichte bald der Platz nicht mehr<br />
aus und man machte sich an die Planung<br />
eines Neubaus mit Seminar und Kirche.<br />
1928 wurde die nach Plänen von Albert<br />
Boßlet erbaute Kirche von Bischof Matthias<br />
Ehrenfried eingeweiht und das Haus in<br />
„St. Benedikt“ umbenannt.<br />
Nacht- und Nebelaktion<br />
Mit dem Aufstieg des NaziRegimes begann<br />
auch die Katastrophe für das Haus<br />
St. Benedikt. Tapfer versuchte man sich<br />
gegen das drohende Unheil zu wehren: In<br />
einer Nacht und Nebelaktion vervielfältigte<br />
Pater Sales Hess mit einigen Studenten<br />
10.000 Briefe und verschickte diese an die<br />
Wohltäter der Abtei. Mit den Worten „Tante<br />
Felizitas liegt im Sterben“ kündigte er<br />
die Schließung der Abtei Münsterschwarzach<br />
an. Pater Sales kam für diese mutige<br />
Aktion ins Konzentrationslager Dachau,<br />
das Studienkolleg wurde im Mai 1941<br />
aufgehoben. Während man im Haus eine<br />
Lehrerfortbildungsanstalt unterbrachte,<br />
v.l.n.r.: Br. Sturmius<br />
Stöcklein OSB,<br />
Br. Isaak Grünberger<br />
OSB,<br />
P. Cornelius Hörnig<br />
OSB<br />
wurde der benachbarte Platz’sche Garten,<br />
bis dato Tanzlokal und Variété, Schauplatz<br />
für ein düsteres Kapitel in der Würzburger<br />
Geschichte: Der Ort wurde zum Sammelplatz<br />
für die jüdischen Mitbürgerinnen und<br />
Bürger, von dem aus sie zum Verladebahnhof<br />
Aumühle marschieren mussten; dort<br />
starteten dann die DeportationsZüge in<br />
die Konzentrationslager. Zur Erinnerung an<br />
die Opfer wurde im November 2010 ein<br />
eindringliches Mahnmal an der Treppe zum<br />
Platz’schen Garten errichtet.<br />
Zeichen der Hoffnung<br />
Beim Bombenangriff auf Würzburg am 16.<br />
März 1945 brannte auch St. Benedikt völlig<br />
aus. Doch bereits im Oktober war das<br />
Kolleg das erste Haus Würzburgs, das dank<br />
der Werkstätten der Abtei wieder neu mit<br />
Ziegeln gedeckt war. Für die Bevölkerung<br />
ein Zeichen der Hoffnung, Studenten und<br />
Internatsschüler konnten wieder einziehen.<br />
Als das Münsterschwarzacher Gymnasium<br />
1982 zu einem Vollgymnasium ausgebaut<br />
wurde, schloss man den Internatsbereich<br />
und entschied sich 1983 zur Eröffnung<br />
eines Meditationszentrums. Die Leitung<br />
wurde Pater Willigis Jäger übertragen, der<br />
den Schwerpunkt auf fernöstliche ZenMeditation<br />
und Kontemplation legte. Doch<br />
sein Ansinnen, kontemplatives Gebet und<br />
Mystik in der Kirche neu zu beleben, wurde<br />
zunehmend kritisch beäugt. Im Jahr 2000<br />
erteilte die Römische Glaubenskongregation<br />
dem weltoffenen Pater ein Rede und<br />
Auftrittsverbot. Jäger bat daraufhin um<br />
Exklaustrierung von der Abtei Münsterschwarzach<br />
und zog sich nach Holzkirchen<br />
zurück, wo er im Benediktushof ein „Zentrum<br />
für spirituelle Wege“ aufbaute. „Bis<br />
heute haben wir ein brüderliches Verhältnis<br />
zu Pater Willigis“, berichtet Bruder Isaak<br />
Grünberger, seit 2002 Leiter des Hauses<br />
Benedikt. „Er ist weiterhin Mitglied unserer<br />
34
Klostergemeinschaft und kommt zu den<br />
Festivitäten.“ Das Verdienst Pater Willigis’<br />
lag seiner Ansicht nach im Wagnis, über<br />
den Tellerrand zu schauen. „Willigis sucht<br />
den Frieden unter den Religionen. Und dies<br />
ist auch die Sehnsucht vieler anderer.“<br />
Gastfreundschaft für alle<br />
Für das Haus St. Benedikt wagte man<br />
trotz aller Vorbehalte 2002 einen Neustart.<br />
Neuer Superior und Hausleiter<br />
wurde Bruder Isaak Grünberger, der damit<br />
ein schweres Erbe antrat. „Die ersten<br />
drei Jahre waren hart“, erinnert sich der<br />
Sozialpädagoge und Diakon (Jahrgang<br />
1964). Doch mit großem Einfühlungsvermögen<br />
und Aufmerksamkeit für die Zeichen<br />
der Zeit arbeitete Bruder Isaak ein<br />
völlig neues Konzept aus. „Wichtig war<br />
mir zunächst einmal die Anknüpfung an<br />
die alte Mönchs tradition“, erzählt er: „Wir<br />
wollten mitten in der Stadt mönchisch leben<br />
und für die Menschen einfach nur da<br />
sein.“ Wichtig war es Bruder Isaak zudem,<br />
dass das neue Haus Benedikt „offen für jeden“<br />
ist: „Gastfreundschaft sollte an oberster<br />
Stelle stehen!“ Dass dieses Bemühen<br />
mehr als erfolgreich war, zeigen die vielen<br />
positiven Rückmeldungen. „Zu uns kamen<br />
die unterschiedlichsten Menschen. Viele<br />
hegten eine tiefe und echte Treue zu uns,<br />
für die ich sehr dankbar bin.“ Ganz im Sinne<br />
des leidenschaftlichen Seelsorgers war das<br />
Haus auch für jene Menschen eine Anlauf<br />
stelle, die verletzt oder enttäuscht von der<br />
Kirche waren. „Viele haben mir gesagt: Bei<br />
euch durfte ich Kirche ganz neu kennen<br />
lernen“, berichtet Bruder Isaak. Darüber<br />
hinaus lebten Ordensstudenten aus aller<br />
Herren Länder im Haus Benedikt. „Wir<br />
hatten immer Multikulti“, schwärmt Isaak,<br />
fügt aber sogleich hinzu, dass dies nicht<br />
immer nur Gaudi und Spaß sei, sondern<br />
„viel Achtsamkeit“ erfordere. „Wir mussten<br />
immer wieder umdenken, um die kulturellen<br />
Eigenarten an einen Tisch zu bringen.<br />
Das war eine große Herausforderung!“<br />
Entscheidung war goldrichtig<br />
Vor allem aber sollte das Haus auch künftig<br />
Bildungs und Gästehaus sein – aber<br />
mit völlig neuem Profi l. Bewusst reduzierte<br />
Bruder Isaak die ZENKurse und stellte im<br />
Gelben Programm einen bunten Strauß<br />
verschiedenster Angebote zusammen:<br />
Kurse zu Kontemplation, Leibarbeit und<br />
Yoga fanden sich hier ebenso wie solche<br />
zu Schriftlesung, Lebensorientierung<br />
und Pilgerwanderungen. Ganz neue Perspektiven<br />
eröffneten sich 2004, als Pater<br />
Anselm Grün und Dr. Friedrich Assländer<br />
anfragten, ob man nicht ein spezielles<br />
Kurs programm für Menschen in berufl icher<br />
Verantwortung entwickeln wolle. So entstand<br />
das Grüne Programm „Führen und<br />
geführt werden“ mit zuletzt 56 Kursen im<br />
Jahr. Berufl iche Kompetenzerweiterung<br />
und Persönlichkeitsentwicklung wurden<br />
Das Haus Benedikt in Würzburg<br />
mit Spiritualität und benediktinische Tradition<br />
verknüpft. „Diese Entscheidung<br />
war goldrichtig“, resümiert Isaak: „Damit<br />
übersetzen wir die benediktinische Spiritualität<br />
in den Alltag.“ In internationalen<br />
Wirtschaftskreisen riefen die Coaching<br />
Kurse Begeisterung hervor. Das Haus war<br />
gut besucht, im November 2009 wurde es<br />
sogar von der Stiftung Warentest zum Testsieger<br />
unter den FührungsKursen gekürt.<br />
Wie geht es weiter?<br />
Vor diesem Hintergrund mag die Entscheidung,<br />
Haus Benedikt Ende 2010 zu schließen,<br />
wie ein Blitz aus heiterem Himmel<br />
gewirkt haben. „Dennoch war es die einzig<br />
richtige Entscheidung“, sagt Bruder Isaak.<br />
Nachdem der Pachtvertrag für die Katholische<br />
Landvolkshochschule Klaus von Flüe<br />
in Münsterschwarzach auslief, bot es sich<br />
an, dieses Gebäude auf dem Abteigelände<br />
zu übernehmen. „Mit Blick auf die personelle<br />
und fi nanzielle Situation war jedoch<br />
klar, dass der Unterhalt beider Häuser nicht<br />
zu leisten ist“, erläutert er. Fast zeitgleich<br />
erreichte die Abtei eine Anfrage der Universität<br />
Würzburg nach einem Haus für die<br />
Katholische Fakultät. Spruchreif sind diese<br />
Überlegungen allerdings noch nicht, die Verhandlungen<br />
mit der Universität laufen noch.<br />
Tiefe Dankbarkeit<br />
Ihre Bildungsarbeit konzentrieren die Benediktiner<br />
nun seit dem 1.1.<strong>2011</strong> auf Münsterschwarzach.<br />
Im Haus Benedikt ist es<br />
indes still geworden. Bis ein neuer Mieter<br />
gefunden ist, halten noch drei Benediktiner<br />
die Stellung. Dann gehen auch sie: Pater<br />
Cornelius Hörnig, Krankenhausseelsorger<br />
in der Missionsärztlichen Klinik, bezieht ein<br />
Zimmer bei den Missionaren von Mariannhill,<br />
und Bruder Isaak Grünberger macht<br />
sich gemeinsam mit Bruder Sturmius Stöcklein<br />
auf den Jakobsweg in Spanien, ehe er<br />
sich neuen Aufgaben zuwendet. Obwohl<br />
der Abschied vom Haus Benedikt auch<br />
Trauer weckt, überwiegt für Bruder Isaak<br />
die Dankbarkeit: „Ich bin zutiefst dankbar<br />
für die vielen wertvollen Erfahrungen und<br />
menschlichen Begegnungen, die ich in diesem<br />
Haus machen durfte. Denn auch ich<br />
wurde hier reich beschenkt!“<br />
35
NAMEN/NAcHRIcHTEN<br />
Ältester Missionsbenediktiner der Welt<br />
– P. Heribert (Franz) Ruf OSB – gestorben<br />
Gott, der Schöpfer und Herr<br />
unseres Lebens rief am Mittwoch,<br />
den 18. Mai <strong>2011</strong> unseren<br />
lieben Mitbruder und<br />
Senior der Kongregation<br />
zu sich in sein himmlisches<br />
Reich.<br />
Am 11. April 1913 erblickte<br />
P. Heribert als jüngstes von<br />
neun Geschwistern das Licht<br />
der Welt und erhielt in der<br />
Taufe den hl. Franz von Sales<br />
als Patron.<br />
Von 1919 bis 1927 besuchte<br />
Franz die Volksschule im Heimatort. Dann<br />
wechselte er in die damalige Missionsschule<br />
unserer Abtei nach St. Ludwig. Den<br />
zweiten Teil der Gymnasialzeit in Würzburg<br />
beendete er dort mit dem Abitur. Eine Zäsur<br />
war die Zeit beim Reichsarbeitsdienst<br />
1936. Danach meldete er sich in Münsterschwarzach<br />
und wurde am 15. Oktober<br />
des Jahres ins Noviziat. Am 21. Oktober<br />
1937 legte er die zeitlichen Gelübde ab.<br />
Das folgende PhilosophieStudium an der<br />
Gott, der Schöpfer und Vollender unseres<br />
Lebens, rief am Samstag, den 4. Juni <strong>2011</strong>,<br />
unseren lieben Mitbruder zu sich in sein<br />
himmlisches Reich:<br />
Br. Kilian (Stephan) Iff OSB<br />
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte<br />
Br. Kilian auf unserer Infirmerie. Br. Kilian<br />
kam in Retzstadt (Kreis MainSpessart) am<br />
17. März 1929 zur Welt; seine Eltern waren<br />
der Landwirt Johann Iff und seine Ehefrau<br />
Johanna, geb. Mai. Als die Mutter bereits<br />
1936 nach langer schwerer Krankheit verstarb,<br />
war es ein schwerer Schicksalsschlag<br />
für die ganze Familie. Eine entbehrungsreiche<br />
Kindheit prägte Br. Kilian für sein ganzes<br />
Leben: er konnte es nicht hinnehmen,<br />
wenn Lebensmittel weggeworfen oder<br />
auch nur Wasser verschwendet wurde.<br />
Von 1935 bis 1943 besuchte er die Volksschule<br />
in Retzstadt und 1948/49 die<br />
Landwirtschaftsschule in Würzburg. Am<br />
Universität Würzburg endete<br />
mit der Einberufung zur<br />
Wehrmacht im Dezember<br />
1939. Die Nachricht von<br />
der Aufhebung der Abtei<br />
im Mai 1941 erreichte ihn<br />
als Sanitäter in Jugoslawien.<br />
Umgehend richtete er ein<br />
Schreiben an den NSGauleiter<br />
von Mainfranken und äußerte<br />
darin sein Unverständnis<br />
und seine Betroffenheit<br />
über diese WillkürMaßnahme.<br />
In den Augen der braunen<br />
Machthaber war dies ein unerhörter<br />
Vorgang, der Verhöre, DisziplinarStrafen,<br />
öffentliche Maßregelungen vor der Truppe;<br />
schließlich ein KriegsgerichtsVerfahren in<br />
Marburg zur Folge hatte.<br />
Nach der Entlassung aus amerikanischer<br />
Gefangenschaft kehrte er 1945 zurück<br />
nach Münsterschwarzach und konnte in<br />
Würzburg das Studium der Theologie aufnehmen.<br />
Am 06. <strong>Juli</strong> 1947 empfing Frater<br />
Heribert durch Bischof Matthias Ehrenfried<br />
26.4.1953 kam Br. Kilian<br />
nach Münsterschwarzach,<br />
weitere bedeutende klösterliche<br />
Akzente seines Lebens<br />
waren die Noviziatsaufnahme<br />
am 6.5.1954, die zeitliche<br />
(10.5.1955) und die<br />
ewige Profess am 15.5.1958.<br />
Schon am Tag nach seinem<br />
Eintritt arbeitete Br. Kilian<br />
im Kuhstall und dies wurde<br />
seine Lebensaufgabe, mehr<br />
noch: seine große Liebe – bis<br />
zum Tag vor seinem Heimgang zu Gott. Ob<br />
in Münsterschwarzach, auf dem Gutshof<br />
Kaltenhof bei Schweinfurt (1958 bis 1969)<br />
oder in unserer Filiale Kemphausen/Oldenburg<br />
(1975 bis 1983), stets sorgte er<br />
mit seiner ihm eigenen Ruhe für das liebe<br />
Vieh und verwöhnte es mit speziellen Lekkerbissen.<br />
Hingabe und eine unglaubliche, tägliche<br />
Treue über ein halbes Jahrhundert hin war<br />
für ihn schlicht eine Selbstverständlichkeit.<br />
die Priesterweihe. Am 26. März 1950<br />
brachte die Sendung zur Missionsarbeit<br />
in Südafrika eine entscheidende Wende.<br />
Seine erste Stelle im Zululand trat er in<br />
Mahlabatini an. Ab 1955 war er Pfarrer<br />
in Cassino. Bis 1992 betreute er verschiedene<br />
Stationen.<br />
Er zog sich in die Abtei Inkamana zurück.<br />
Zehn Jahre später entschloss er sich sein<br />
geliebtes Südafrika für immer zu verlassen.<br />
Am 03. Dezember 2004 traf er in<br />
seinem Heimatkloster Münsterschwarzach<br />
ein. Er blieb der begeisterte Mönch und<br />
Missionar der Schwung und Optimismus<br />
ausstrahlte. Pater Heribert war mit einer<br />
nicht alltäglichen Energie begnadet und<br />
nahm in dieser Haltung auch die Hürden<br />
die Alter und Krankheit mit sich brachten.<br />
Großen Wert legte er auf die Verbundenheit<br />
mit den Mitbrüdern und seinen Verwandten.<br />
Wir danken Gott, dass er so lange zu uns<br />
gehörte und bis zuletzt aufmerksam am<br />
Geschehen in und außerhalb der Abtei<br />
teilnahm. R.I.P.<br />
Er war ein Mensch, der ohne<br />
viel Aufhebens einfach „da“<br />
war.<br />
Br. Kilian war ein äußerst<br />
anspruchsloser und genügsamer<br />
Mensch. Im ersten Augenschein<br />
wirkte er schlicht,<br />
doch besaß er ein phänomenales<br />
Gedächtnis sowie<br />
die sprichwörtliche Bauernschläue,<br />
was ihn zum angenehmen<br />
Gesprächspartner<br />
machte. Mit seinem trockenen fränkischen<br />
Humor bereicherte er uns immer wieder.<br />
Geistig rege und vielseitig interessiert<br />
nahm er bis zuletzt alles wahr, was sich im<br />
Kloster, in der Heimat, in Politik und Weltgeschehen<br />
ereignete.<br />
Wir danken Br. Kilian für all die Jahre, die er<br />
mit uns gelebt, gearbeitet und gebetet hat.<br />
R.I.P.<br />
36
DANK/SERIE<br />
Die St. Benedict’s Clinic<br />
bedankt sich für 44.444,44 Euro<br />
Unsere Bitte um Hilfe für vier Euro hat ein<br />
starkes Echo ausgelöst und ein großartiges<br />
Ergebnis gebracht. Br. Stephan konnte uns für<br />
die St. Benedict’s Clinic den „wundersamen“<br />
Betrag von 44.444,44 Euro überweisen.<br />
Wenn Ihre Spenden, liebe Freunde und<br />
Wohltäter, ganz genau diese Summe erbracht<br />
hätten, dann wäre das nicht ein<br />
kleines, sondern schon ein größeres Wunder,<br />
und daran braucht niemand zu glauben.<br />
Natürlich hat da Br. Stephan mitgewirkt<br />
und den Betrag durch eine kleine<br />
Aufstockung ein bisschen verschönert, um<br />
damit die Bedeutung der Zahl Vier noch<br />
einmal hervorzuheben. Ich aber möchte<br />
mich bei Ihnen mit einem aufrichtigen<br />
„Vergelt’s Gott!“ ganz herzlich bedanken.<br />
Ihre Gaben machen es uns möglich, unseren<br />
vielen armen Patienten, wie ich sie<br />
im „Ruf“ vom Februar beschrieben habe,<br />
wieder eine Zeit lang zu helfen.<br />
Unser Mann aus Afrika berichtet<br />
Verkehr in Tanzania ist eine ganz spezielle<br />
Sache, an die sich ein Westeuropäer erst<br />
mal gewöhnen muss. Bei meiner Ankunft in<br />
Dar es Salaam habe ich den tanzanischen<br />
Verkehr gleich von seiner „dicken Seite“<br />
kennen gelernt. Obwohl wir lange im Voraus<br />
angekündigt waren,<br />
wurden wir am Flughafen<br />
nicht von unseren<br />
Mitbrüdern in Empfang<br />
genommen… Die waren<br />
nämlich hoffnungslos im<br />
Stau stecken geblieben.<br />
So entschieden wir uns für<br />
ein Taxi und durften den<br />
üblichen GroßstadtStau<br />
einer 3MillionenMetropole<br />
miterleben. Ein ganz<br />
spezielles Erlebnis auf den<br />
Straßen von Dar es Salaam<br />
sind die MotorradTaxen.<br />
Diese SlangMaschinen<br />
chinesischer Produktion<br />
sind eine wahre Plage.<br />
BR. JONA ScHäFER OSB<br />
Geboren 1954 in Lohr a. Main<br />
Profess 1986,<br />
Bürokaufmann und Buchhändler<br />
von 1993–2009 im Buchladen<br />
der Abtei Münsterschwarzach.<br />
Seit Dezember 2009<br />
als Missionar auf Zeit in Peramiho<br />
(Buchladen) tätig.<br />
Anfang März machte Br. Dr. Ansgar Stüfe<br />
einen kurzen Besuch bei uns. Der Direktor<br />
unserer Clinic, Br. Bernhard Pasacas, nahm<br />
die Gelegenheit wahr, Br. Ansgar die Liste<br />
seiner Bestellungen bei AKTION MEDEOR<br />
für das laufende Jahr vorzulegen und nach<br />
Deutschland mitzugeben.<br />
Ich selber habe die besagte Liste nicht<br />
gesehen, aber die Medikamente, die in<br />
zwei bis drei Monaten eintreffen werden,<br />
kosten erfahrungsgemäß 30.000,00 bis<br />
35.000,00 Euro. AKTION MEDEOR schickt<br />
uns die Pakete nach Davao. Dort werden<br />
sie zur Inspektion geöffnet, bevor wir sie<br />
hierher zum Kloster transportieren dürfen.<br />
Für Br. Bernhard ist das immer eine schwere<br />
Arbeit, aber auch ein Festtag wie Weihnachten.<br />
Auch für mich wird die Freude<br />
dieses Mal besonders groß sein, denn die<br />
Medikamente sind durch Ihre großherzigen<br />
Spenden ja schon bezahlt. Und es bleibt<br />
Zwei, manchmal auch drei Personen auf<br />
einem Rad sind völlig normal, ganz zu<br />
schweigen vom Gepäck: Zwei Leute und<br />
ein Schwein auf einem Motorrad sind hier<br />
durchaus möglich. Auf dem Land ist der<br />
Individualverkehr eher gering. Was sich hier<br />
Landstraße nennt, würde<br />
bei uns gerade noch als<br />
Feldweg durchgehen. Einmal<br />
durfte ich die 600 Kilometer<br />
östlich gelegene<br />
Abtei Ndanda besuchen;<br />
die Piste dorthin war stellenweise<br />
so schlecht, dass<br />
wir nicht flotter als mit<br />
30 km/h vorankamen.<br />
Manchmal wunderte ich<br />
mich, wenn der Fahrer<br />
plötzlich bremste… und<br />
merkte erst hinterher, dass<br />
er das nächste Schlagloch<br />
bereits vorausgeahnt hatte.<br />
Eigentlich beträgt die<br />
erlaubte Höchstgeschwin<br />
auch noch eine schöne Summe übrig, mit<br />
der Br. Bernhard hier im Land Spritzen, Tabletten,<br />
Hustensaft und manches andere<br />
kaufen kann.<br />
In der Vorfreude auf die große Sendung<br />
grüße ich Sie alle herzlich und dankbar.<br />
Ihr P. Edgar Friedmann in Digos<br />
digkeit 80 km/h. Wer sich am wenigsten<br />
daran hält, sind die Fernreisebusse. Die<br />
schaffen die knapp 1000 Kilometer von<br />
Dar es Salaam bis Songea in etwa 12<br />
Stunden. Wenn man Verkehrskontrollen<br />
und Pausen einkalkuliert, kann man sich<br />
ausrechnen, wie flott die Busse unterwegs<br />
sind. Dass das nicht immer ohne Unfall<br />
abgeht, ist klar. So ist beispielsweise vor<br />
Weihnachten nicht weit von Njombe ein<br />
Bus in den Graben gefahren; drei Tote waren<br />
zu beklagen. Zwei Mitbrüder aus Hanga<br />
waren auch mit im Bus. Der Gurt hat<br />
ihnen das Leben gerettet und so kamen sie<br />
mit einigen Hautabschürfungen und einem<br />
Schrecken davon. Als sehr wirksame Geschwindigkeitsbremse<br />
erweisen sich aber<br />
kleine Huckel in der Straße, „speed bams“,<br />
die am Beginn dichter besiedelter Gebiete<br />
eingebaut werden. Was die Vorfahrtsregelung<br />
betrifft, gilt: Der Stärkere hat Vorfahrt.<br />
Mit diesem Bericht verabschiede ich<br />
mich als ihr Mann aus Afrika.<br />
37
SERIE<br />
Unser Mann aus Kuba<br />
Wovon leben die Kubaner?<br />
Wovon leben die Kubaner eigentlich?, fragen<br />
wir uns oft. Neulich konnte ich in der<br />
Schlange am Postschalter mitzählen, wie<br />
der Rentnerin vor mir ihre monatliche Rente<br />
von 260 Peso ausgezahlt wurde. Kubaner<br />
sind in solchen Dingen recht indiskret,<br />
und so gibt es in der Schalterschlange auch<br />
gar keine Möglichkeit, Abstand zu halten.<br />
260 Peso, das ist die normale Rente hier,<br />
10,40 USDollar bzw.7,38 Euro. Der Lohn<br />
eines einfachen Arbeiters beträgt etwas<br />
über 300 Peso, ein Facharzt kommt auf<br />
knapp 900 Peso, gerade einmal 26<br />
Euro im Monat.<br />
Manche Grundleistungen sind kostenlos:<br />
Schule, Gesundheitsversorgung<br />
und eine gewisse Menge Lebensmittel,<br />
für die die Kubaner eine Lebensmittelkarte<br />
haben. Aber diese Lebensmittel<br />
reichen für vielleicht 10 Tage, den Rest<br />
des Monats über müssen die Kubaner<br />
ihre Lebensmittel auf dem Markt kaufen.<br />
Auch wir kaufen dort ein und geben<br />
pro Monat und Person ungefähr<br />
28 Euro aus. Das ließe sich natürlich reduzieren:<br />
Verzicht auf Fleisch (Schweinefl<br />
eisch 1 Euro das Pfund, Hammelfl eisch<br />
etwas mehr, Rindfl eisch gibt es nur für Devisen),<br />
Verzicht auf die guten, tropischen,<br />
frischen Ananas (0,50 Euro die ganze<br />
Frucht), jeden Tag nur Reis und Bohnen.<br />
Manche sind härter getroffen, etwa die<br />
alte Mutter einer Bekannten, der vom Arzt<br />
abwechslungsreiche Ernährung verordnet<br />
wurde. Oder der Obdachlose, der alle paar<br />
Tage zu uns in die Messe kommt. Er bittet<br />
nie um etwas, trotzdem geben wir ihm natürlich<br />
von Zeit zu Zeit ein bisschen. Ohne<br />
Heim und Herd hat er weniger Möglichkeiten<br />
zum Sparen als andere.<br />
Seit Jahresanfang sind viele Arbeiter der<br />
staatlichen Betriebe entlassen worden,<br />
die Rationen der Lebensmittelkarten sind<br />
gekürzt worden. Im April fi ndet der Parteitag<br />
der Kommunistischen Partei statt, ein<br />
Ereignis, das nur ungefähr alle acht Jahre<br />
wiederkehrt, und dem daher große Bedeutung<br />
für die weitere Entwicklung beige<br />
messen wird. Allgemein wird befürchtet,<br />
dass der Staat weiterhin Arbeiter entlässt.<br />
Gleichzeitig aber bezweifelt man, dass die<br />
kleinen selbständigen Betriebe genug Freiheiten<br />
bekommen, um hinreichend neue<br />
Arbeitsplätze zu schaffen.<br />
Der Pfarrer, in dessen Pfarrbezirk wir wohnen,<br />
Padre Juan, ist Spanier; lange Zeit war<br />
er auf seiner Heimatinsel Mallorca tätig.<br />
Nach seiner Pensionierung vor drei Jahren<br />
fühlte er sich noch nicht reif für den Ruhestand<br />
und beschloss, seine Kräfte der<br />
Kirche Kubas, der Heimat seiner Mutter,<br />
zu widmen.<br />
P. Juan mit seinen Vorräten<br />
In diesem März konnte er endlich den<br />
Startschuss für sein neues Projekt "Cesto<br />
básico, BasisKorb" geben. Die Caritas<br />
Gruppe der Pfarrei, die die Situation der<br />
einzelnen Familien genauestens kennt, hat<br />
50 Haushalte benannt, die wirkliche Not<br />
leiden. Jeder Haushalt bekommt nun einen<br />
"BasisKorb", genauer: eine Plastiktüte. Darin<br />
enthalten: 500 ml SojaÖl, ungefähr<br />
1½ kg Reis und Erbsen, 1 Tüte Milchpulver<br />
und eine Tüte Kakaopulver (je 500<br />
g), 2 Stück Seife, 1 Putzlappen und 500<br />
g Zucker. Das notwendige Geld (ungefähr<br />
10 USDollar pro Tüte, also 500 Dollar im<br />
Monat) stellen wir Benediktiner zur Verfügung,<br />
um auf diese Art den Menschen<br />
hier zu helfen, während wir weiterhin auf<br />
die Zuteilung eines Grundstücks warten.<br />
Nicht allen Kubanern geht es so schlecht.<br />
Wer Arbeit hat, genießt oft Vergünstigungen<br />
wie zum Beispiel freies Mittagessen<br />
in der Kantine. Vor allem aber hat<br />
er die Möglichkeit, illegal an ein Zusatz<br />
einkommen zu kommen, indem er in seinem<br />
Betrieb stiehlt und die Ware auf dem<br />
Schwarzmarkt verkauft.<br />
Ein Bekannter, der sich auskennt, informierte<br />
uns über die Zusatzeinkünfte von Lehrern:<br />
Wenn der Schüler den Stoff der halbjährlichen<br />
Prüfung nicht beherrscht, muss er<br />
5 Dollar bezahlen, das Abitur kostet pro<br />
Fach 10 Dollar. Immerhin: Wer den Stoff<br />
beherrscht, besteht die Prüfung kostenlos.<br />
Ein besonders unsympathisches Beispiel<br />
konnten wir neulich an einem Imbissstand<br />
beobachten: Drei Polizisten kamen mit<br />
Motorrädern angefahren, stiegen ab,<br />
bestellten freundlich jeder ein „Pan<br />
con lechón" (Brötchen mit Schweinefl<br />
eisch) und eine Dose Cola, aßen<br />
und fuhren weiter. Leider ohne zu<br />
bezahlen.<br />
Viele Kubaner haben noch eine andere<br />
Einnahmequelle: Die Verwandten<br />
im Ausland, vor allem in Miami in Florida,<br />
nehmen zum Teil große Opfer auf<br />
sich, um ihre Familien in der Heimat<br />
zu unterstützen.<br />
„Ich habe zwei Tanten in den USA, die<br />
schicken jeden Monat 200 Dollar", sagte<br />
ein kubanischer Freund. Er lebt mit seiner<br />
Mutter, seiner Schwester und deren Sohn<br />
in einem Haushalt. Für jeden bleiben also<br />
50 Dollar im Monat – deutlich mehr als<br />
sein Monatsverdienst als Lehrer. Die Mutter<br />
ist übrigens streng, der Sohn – immerhin<br />
31 Jahre alt – muss sein ganzes Gehalt<br />
bei ihr abgeben. Auch das trägt natürlich<br />
zum Sparen bei.<br />
So leben und überleben die Kubaner, manche<br />
recht gut, andere gerade am Rande des<br />
Existenzminimums oder sogar darunter.<br />
Br. Robert Sandrock OSB<br />
Geboren 1966 in Geesthacht<br />
• Profess 1987 • Mathematik<br />
und Physiklehrer • Missionseinsatz<br />
Peramiho 2007–2009 • Seit April 2009 Cellerar<br />
der Gemeinschaft Monasterio Benedictino<br />
de la Epifania del Señor in Havanna/Cuba<br />
38
An der Tür zum Nähkästchenzimmer<br />
prangte ein knallrotes Plakat<br />
mit der Aufschrift: „Heute Tag<br />
unserer Super-Idole”.<br />
Tom schaute verständnislos auf<br />
das Plakat und murmelte: „Was soll<br />
denn das jetzt schon wieder?“ Das<br />
Erste, was er sah, als er die Tür öffnete,<br />
war ein völlig durchgedrehter<br />
Matata. Er sah aus, wie ein Bayern-<br />
München Fan mit Schal und allem<br />
Brimborium, trug ein Pappschild<br />
vor sich her und sang mit einer<br />
irren Lautstärke den Schildtext:<br />
„Schweini vor – noch ein Tor!“ Dabei<br />
trampelte er über das Nähkästchen<br />
und die zwei armen Mädchen.<br />
Die erste, die das Ganze kommentierte,<br />
war Kati: „Du ge hörst nicht<br />
auf die Fanmeile, son dern in die<br />
Klappsmühle mit Deinem Schweini-<br />
Schweinsteiger. So ein Fanterror ist<br />
ja nicht zum Aushalten. Da haben<br />
wir Mädels doch ganz andere Idole.“<br />
Sprach’s, und setzte sich mitten ins<br />
Nähkästchen. „Darf ich bitte mal<br />
wissen, was hier los ist?“ – „Na,<br />
heute ist doch unser Fan-Idoltag,<br />
an dem wir unsere Idole zur Schau<br />
stellen,“ sagte Matata mit seinem<br />
Pappschild. „Und darf ich mal die<br />
Damen fragen, wen sie so bevorzugen,“<br />
fragte Tom.<br />
Da ging aber die Post ab. Kati holte ein<br />
Poster von einem jungen Mann hervor,<br />
auf das sie lauter rote Herzen<br />
gemalt hatte. „Das ist Justin<br />
Bieber, mein Schatz. Ist er nicht<br />
süß?“ Dann begann sie seinen Song<br />
‚Never say never’ zu schmettern,<br />
so dass die anderen sich die Ohren<br />
zuhielten.<br />
Irgendwann ging ihr die Luft aus<br />
und Bahati nutzte die Gelegenheit<br />
für ihren Auftritt. Auch sie hatte<br />
ein Plakat mit einer jungen Frau<br />
Oh happy day?<br />
im Skianzug. „Ich fi nde es super,<br />
wenn Frauen mal ganz oben auf dem<br />
Treppchen stehen, so wie Magdalena<br />
Neuner, und nicht nur Wischtücher<br />
in der Hand halten!“<br />
Dann blickte sie Tom von unten an.<br />
„Und Du, wer ist denn Dein Idol?“<br />
Ohne lange zu überlegen meinte<br />
Tom: „Ich habe ein ganz tolles, aber<br />
leider ist mein Idol schon fast 500<br />
Jahre tot, für mich aber ganz wirklich.<br />
Ich hab’ sogar ein kleines Bild<br />
von ihm, hier,“ und damit fasste<br />
er in seine Brusttasche und zog<br />
einen Zettel mit einem Bildnis heraus.<br />
„Das ist Thomas Morus, mein<br />
Namenspatron.“<br />
Dann setzte er sich und erzählte<br />
lange von diesem Mann und warum<br />
er sein Idol wurde. Unsere drei<br />
Kleinen kuschelten sich an Tom und<br />
hörten gespannt zu, denn es war ein<br />
spannender Lebenslauf.
DAS PORTRAIT<br />
STECKBRIEF:<br />
Name: P. Aurelian Weiß OSB<br />
Geboren: 1928 in Löffelstelzen<br />
1950: Abitur, Eintritt ins Noviziat<br />
1951: Zeitliche Profess<br />
1951 – 1957: Philosophie und Theologiestudium<br />
in St. Ottilien und Würzburg<br />
1956: Priesterweihe<br />
1958 – 1968: Als Zelator für die Ausbildung der Novizen mitverantwortlich.<br />
1962 – 1974: Geistlicher Begleiter<br />
in der Kath. Landvolkshochschule<br />
1974 – 1989: Kaplan in Stadtschwarzach<br />
1989 – 2003: Pfarrer in Sommerach und Nordheim<br />
2003 – 2006: Seelsorgstätigkeit in der Abtei<br />
Seit 2006: Mitarbeit im Priorat in Damme<br />
Meine Meinung zum Thema dieser Ruf-Ausgabe:<br />
Wer ein Idol braucht, verliert schnell Gott aus dem Blick.<br />
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