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Ich erhielt aber eine Gutschrift für<br />
nächstes Jahr. Dann halt 2006. Aber<br />
nun ging es auf nach Eisenach.<br />
20. Mai 2005:<br />
Die Nacht schlief ich schlecht. Ich war<br />
gespannt wie ein Flitzebogen. 73 km<br />
Laufen. Nur Laufen. Kein Rad und nix.<br />
Ich war mir schon zwei Tage vor dem<br />
Start sicher, dass ich mein Rad vermissen<br />
würde. Vor allem den Berg runter ....<br />
meine armen Radfahrerschenkel ... Ich<br />
ging von einem sicheren Finish in ca. 9<br />
Stunden (eher weniger) aus. Obwohl ich<br />
fast ausschließlich in flachem Gelände<br />
trainiere, müssten mir zumindest die<br />
Bergaufpassagen liegen (ausreichend<br />
Kraft und Athletik - sonst ist das ja hinderlich<br />
beim Laufen, bei einem Ultra<br />
durch den Thüringer Wald dürfte das<br />
aber ein Vorteil sein).<br />
Ich musste noch arbeiten und war ziemlich<br />
müde, als ich das Auto packte.<br />
Nachdem meine Frau auch von der Arbeit<br />
kam, fuhren wir los, immer mal wieder<br />
in kleine Staus und volle Autobahnabschnitte.<br />
Gegen 20.00 Uhr waren wir<br />
in Eisenach, das mir nun besser gefiel<br />
als beim Fleche Allemagne, wo wir mit<br />
unseren Rädern ständig angehupt wurden.<br />
Die Ausgabe der Startunterlagen<br />
war sehr entspannt und fast familiär.<br />
Unser Hotel war voll mit Rennsteigläufern.<br />
Ich schlief erstaunlich gut, und<br />
beim Frühstück um 04.30 Uhr war schon<br />
das halbe Hotel auf den Beinen. Der<br />
Gedanke, lange (ca. 9 Stunden) unterwegs<br />
zu sein, machte mir nichts aus.<br />
Das war ich vom Langstreckenradfahren<br />
gewohnt. Da geht nichts unter 8 Stunden.<br />
Ich aß eine ideale Läufermahlzeit,<br />
nämlich Bratkartoffeln und Rührei.<br />
21. Mai 2005 - Start 06.00 Uhr<br />
Der Marktplatz in Eisenach war voll, die<br />
Atmosphäre sehr entspannt. Ich sah<br />
Werner Sonntag, braungebrannt und<br />
durchtrainiert. Er war der älteste <strong>Teil</strong><br />
. nehmer mit 79 Jahren. Ich schaute, ich<br />
sah sie ihm aber nicht an, die 79 Lenze.<br />
Nun war ich doch nervös. Kurz vor dem<br />
Start endlich Nervosität. Ich freute mich<br />
aufs Loslaufen, auf die Hügel und den<br />
Haferbrei. Den berühmten. Und<br />
Schmalzbrote. und vieles mehr sollte es<br />
ja auch geben. Natürlich auch Bier. Ein<br />
Hubschrauber kreiste über dem Marktplatz,<br />
und es ging auch schon los. Winke,<br />
winke, tschüss Ruth. Ruth stand mitten<br />
in der Menge, nur ca. 30 m von der<br />
Startlinie entfernt. Wie gesagt, sehr entspannte<br />
Atmosphäre.<br />
Wir trabten locker durch Eisenach, und<br />
nach 300 m ging es auch schon gut<br />
bergauf. Sehr gut, da konnte ich wenigstens<br />
pinkeln. Es entstand sowieso ein<br />
Stau. Auf den ersten 15 km war teilweise<br />
viel Betrieb - wenn irgendwo einer<br />
stehen blieb oder hinfiel, entstand gleich<br />
wie auf der Autobahn ein Stau. Ich wollte<br />
Energie sparen und beteiligte mich<br />
60<br />
nur wenig an den sehr angeregten Gesprächen.<br />
Wenn die sich bei Kilometer<br />
50 sich auch noch so angeregt unterhalten,<br />
dann habe ich wohl was falsch gemacht<br />
im Training. Aber schon bei Kilometer<br />
25 wurde es deutlich ruhiger, vor<br />
allem nach einer steilen Bergabpassage<br />
auf die Grenzwiese. Zum ersten Mal<br />
vermisste ich mein Rad. Meine Oberschenkelmuskulatur<br />
grüßte mich freundlich.<br />
Ich nahm ihren Gruß zur Kenntnis<br />
und spürte eine leichte Neigung zu einem<br />
Krampf in der Hüftbeugemuskulatur.<br />
Alles was recht ist, aber da bitte keinen<br />
Krampf. Ich trabte vor mich hin, traf<br />
Ruth zum ersten Mal in einer Flachpasage<br />
und war noch erstaunlich gut<br />
drauf. In den Flachpassagen erholte ich<br />
mich immer wieder sehr schnell.<br />
Ab ca. Kilometer 35 signalisierte meine<br />
Muskulatur keine Bereitschaft mehr zu<br />
krampfen. Sehr schön. Dafür signalisierten<br />
meine Oberschenkel den Wunsch,<br />
etwas anderes zu machen. Sorry, liebe<br />
Oberschenkel, aber das ist eindeutig zu<br />
früh. So geht's nicht. Ihr müsst euch<br />
schon ein bisschen anstrengen. Ihr<br />
wusstet doch vorher, auf was ihr euch<br />
da einlasst. Ihr hättet euch ja nicht anmelden<br />
brauchen. Alles was recht ist, so<br />
geht's ja auch nicht. Ich näherte mich<br />
dem Kilometer 40 und irgendwann nach<br />
langer Zeit dem Kilometer 45. Jaaa! Ab<br />
jetzt war ich zufrieden. Der Lauf war<br />
jetzt schon ein voller Erfolg. So weit bin<br />
ich noch nie gelaufen! Ich lief in einem<br />
subjektiv sehr angenehmen Tempo.<br />
Tempomäßig war das viel leichter, als<br />
zu versuchen, im Marathon Bestzeit zu<br />
laufen. Zu diesem Zeitpunkt war der limitierende<br />
Faktor immer noch die Muskulatur<br />
und das Wissen, dass ich noch<br />
30 km zu laufen habe, also meine Kräfte<br />
einteilen musste.<br />
Erst gegen Kilometer 65 ging mein Puls<br />
hoch und höher, ich merkte es in den<br />
Anstiegen, ich lief ja ohne Pulsmesser.<br />
Ich trabte so vor mich hin und schaute<br />
immer schön auf den Boden, bis ich allmählich<br />
registrierte, was ich da schon<br />
eine Weile sah: Ein Paar Sandalen. In<br />
diesen Sandalen steckten durchtrainierte,<br />
ältere Lauffüße und -beine. (Da, wo<br />
ich herkomme, sind Füße Beine und<br />
umgekehrt). Da lief also einer in Sandalen.<br />
Er trabte, ich trabte. Ich schaute<br />
noch einmal - man weiß ja nie - aber es<br />
blieb so: Der ältere Herr lief diesen Ultra<br />
souverän in Sandalen. Das musste ich<br />
dann doch kommentieren. Ich: "Interessante<br />
Schuhe!"! Er: "Deine?" Innerlich<br />
musste ich lachen, äußerlich auch, ließ<br />
es aber bald bleiben, da er es ernst<br />
meinte und ich das Lachen anstrengend<br />
fand. Da läuft einer mit Sandalen 73 km<br />
durch den Thüringer Wald - der Untergrund<br />
ist uneben, die Steine sind<br />
manchmal sehr spitz; teilweise liegt viel<br />
Geröll auf dem Weg - und fragt mich,<br />
der ich normale Laufschuhe an den Fü<br />
ßen habe, wo sowieso die meisten<br />
Menschen Wanderschuhe anziehen, ob<br />
meine Laufschuhe interessant sind.<br />
Ich: "Nein, deine!"<br />
Eigentlich traute ich mich nicht, ihn zu<br />
duzen, aber er duzte mich mehrfach,<br />
und anscheinend duzen sich ja alle<br />
Sportler. Er: "Musst du auch mal ausprobieren;<br />
ich laufe fast nur in Sandalen.<br />
Aber die muss man vorne abschneiden,<br />
sonst schnabeln sie." A ja, schnabeln.<br />
Alles klar. Es dauerte eine Weile, bis ich<br />
verstand: Das Fußbett der Sandalen ist<br />
im Normalfall länger als der Fuß, und<br />
wenn man mit dieser überlangen Spitze<br />
an z.B. einem Stein hängen bleibt,<br />
gleichzeitig aber weiter läuft, bewegt<br />
sich der Fuß nach oben, wobei gleichzeitig<br />
die Sandale hängen bleibt, d.h.<br />
schnabelt.<br />
Jetzt müssten wir nur noch das mit der<br />
Frau klären, die eigentlich ein Mann ist,<br />
aber zunächst trabte ich weiter und erreichte<br />
Oberhof bzw. den Grenzadler<br />
über einen ruppigen Abstieg im Gras.<br />
Kurz vorher hat es auch noch gut gegossen,<br />
aber ich trabte einfach weiter<br />
und befolgte meine Lauftaktik: An der<br />
Verpflegung kurz stoppen, 2 oder 3 Becher<br />
nehmen und weitergehen Richtung<br />
Ziel. Alles schön konsumieren, wobei<br />
die Laufrichtung das Entscheidende ist:<br />
immer nur Richtung Ziel.<br />
Der Abstieg Richtung Grenzadler war in<br />
Wahrheit kein Abstieg. Es ging schlicht<br />
und ergreifend leicht abwärts auf einem<br />
Grashügel. Meine Oberschenkel empfanden<br />
diese leichte Neigung aber<br />
durchaus als Abstieg. Ich traf mich mit<br />
Ruth, sie fotografierte mich, als ich mit<br />
einem Becher Haferschleim winkte. Ich<br />
trabte weiter, und es kamen noch zwei<br />
wirkliche Anstiege, sonst nur Bodenwellen.<br />
Und direkt in einem Anstieg lief vor<br />
mir eine durchtrainierte, athletische<br />
Blonde mit Kampfhaarfrisur. Sie sah aus<br />
wie Grit Breuer, nur langsamer. Aber<br />
sonst: Genau so. Vielleicht war es ihre<br />
Schwester. Ich trabte hinauf - sie trabte<br />
hinauf. Sie trabte - ich trabte. Dann beschleunigte<br />
sie (fast wie Grit Breuer in<br />
ihren besten Tagen), um in die Büsche<br />
zu verschwinden und zu pinkeln. Sie<br />
stellte sich genau so hin, wie ein Mann<br />
pinkelt und pinkelte wie ein Mann. Ich<br />
schaute dann nicht so genau nach, aber<br />
ich nehme einfach an, sie war ein er. Sie<br />
war ein er, und ich lief ihr hinterher, da<br />
wurde aus ihr ein er.<br />
Natürlich kann man darüber streiten, wie<br />
weiblich Grit Breuer aussieht. Kein<br />
Thema. Aber wenn ich hinter Grit Breuer<br />
herlaufe, würde ich doch sagen, das ist<br />
eine Frau. Aber ich lief hinter dieser<br />
Schwester von G.B. her, und es war mir<br />
klar: Das ist eine Frau. Gut, viel Zeit war<br />
inzwischen vergangen (7 Stunden), dies<br />
forderte Tribut, zunächst am Oberschen