08.10.2013 Aufrufe

Er hat so Heimweh gehabt - Welcker-online.de

Er hat so Heimweh gehabt - Welcker-online.de

Er hat so Heimweh gehabt - Welcker-online.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

sind, ist eine <strong>de</strong>rart schwachsinnige Lüge, daß <strong>de</strong>r Versuch, mit einer handschriftlichen<br />

Reproduktion die Wahrheit zu beweisen, <strong>de</strong>n analogen Schwachsinn<br />

auch beim Publikum voraussetzt. Was immerhin selbst <strong>de</strong>r Österreicher<br />

verstand, war, daß <strong>de</strong>r von ahnungslosen Regierungstölpeln, die <strong>so</strong>lche Konstruktion<br />

für möglich hielten, aber auch bereit waren, mit ihren eigenen Lügen<br />

die ihres Kaisers zu <strong>de</strong>cken, daß <strong>de</strong>r von <strong>so</strong>lchen Polemikern gereizte Clemenceau<br />

einen Anschauungsunterricht versprach, und daß sich überhaupt etwas<br />

begeben <strong>hat</strong>te, was sich noch nie begeben <strong>hat</strong>te, nie nicht begeben durfte<br />

und was gar net zu ignorieren <strong>so</strong> unmöglich war wie das Ding selbst. Mit <strong>de</strong>m<br />

Mantel jener Ehrfurcht, die eine Untersuchung darüber, ob Karl gelogen <strong>hat</strong>te,<br />

selbst dann ausschließt, wenn sie zu seinen Gunsten ausfiele, um<strong>so</strong>mehr<br />

dann, wenn sie offenbar zu seinen Ungunsten ausfällt, war die Majestät gefallen;<br />

war <strong>de</strong>r Höchstkommandieren<strong>de</strong> abgetan, <strong>de</strong>r auf je<strong>de</strong>r niedrigeren Stufe<br />

<strong>de</strong>r militärischen Karriere <strong>de</strong>m Ehrenrat nicht entgangen wäre. Wenns auch<br />

kein Mensch in Österreich—Ungarn damals gewußt o<strong>de</strong>r geglaubt <strong>hat</strong>, gespürt<br />

<strong>hat</strong> doch je<strong>de</strong>r, daß Karl Habsburg ein Privatmann gewor<strong>de</strong>n war, <strong>de</strong>r<br />

eine Zeitlang noch eine Wür<strong>de</strong> beklei<strong>de</strong>te, für die das Futter nicht mehr langte,<br />

und daß mit Rücksicht auf <strong>de</strong>n Umstand, daß es auch <strong>so</strong>nst ausging, je<strong>de</strong>r<br />

Tag dieser hingefristeten Glorie das wahre Majestätsverbrechen war, jenes,<br />

das nur ein Monarch an seinen Völkern begehen kann. Und um<strong>so</strong> enthüllter<br />

stand »dieser Herr« lange vor <strong>de</strong>r Agnoszierung durch <strong>de</strong>n italienischen Ministerpräsi<strong>de</strong>nten<br />

da, als ihm sichtlich die Kraft fehlte, in einem Moment, <strong>de</strong>r<br />

ihm einen menschlichen Abgang zu gewähren schien, auf einen Thron zu verzichten,<br />

<strong>de</strong>ssen blutbesu<strong>de</strong>lte Sitzgelegenheit er in einem heroischeren Augenblicke<br />

nicht ausgeschlagen <strong>hat</strong>te, da er in weit eindrucksvollerer Art als<br />

durch eine Verständigung mit <strong>de</strong>m Feind hätte beweisen können, daß er die<br />

Eigenschaft habe, die er mit Millionen Kriegsgeschädigter geteilt <strong>hat</strong> und die<br />

ihm jene nachrühmen, die bis zum letzten Hauch von Mann und Roß speichellecken:<br />

<strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n gewollt zu haben. Was tat er statt <strong>de</strong>ssen, um ihn herbeizuführen?<br />

Einen Brief schreiben, die Nibelungentreue, die für ihn zu halten<br />

seine Leibeigenen mit Maschinengewehren in die <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s gejagt wur<strong>de</strong>n,<br />

an eben diesen verraten, sich selbst vor Verlust bewahren wollen, in<strong>de</strong>m man<br />

<strong>de</strong>n Besitz <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sgenossen verschenkt, behaupten, daß man das Gegenteil<br />

geschrieben habe, <strong>de</strong>n Feind Lügner nennen, <strong>de</strong>n Freund um Verzeihung<br />

bitten mit <strong>de</strong>m Versprechen, es nie wie<strong>de</strong>r zu tun, tränen<strong>de</strong>n Auges, dankbar<br />

für die Nachsicht seines obersten Kriegsherrn, <strong>de</strong>r auf Prügel verzichtete und<br />

es bei <strong>de</strong>r Verachtung bewen<strong>de</strong>n ließ, aus <strong>de</strong>ssen Hauptquartier — er <strong>hat</strong> <strong>so</strong><br />

<strong>Heimweh</strong> <strong>gehabt</strong> — zurückkehren, selbst kleinlaut gewor<strong>de</strong>n seine Kanonen<br />

an <strong>de</strong>r Westfront sprechen lassen, sie am nächsten Tag wie<strong>de</strong>r zum Schweigen<br />

bringen und <strong>so</strong> sich in einem Netz von Lügen, <strong>de</strong>ren Not nur die seiner<br />

Völker vermehrt <strong>hat</strong>, verzappelnd von Schlinge zu Schlinge treten, bis er sich<br />

gar nicht mehr an<strong>de</strong>rs helfen konnte als weiterzuherrschen und <strong>de</strong>n Oberbefehl<br />

bis zur Übergabe an einen für das gigantischeste Debakel <strong>de</strong>s laufen<strong>de</strong>n<br />

Jahrtausends verantwortlichen Stellvertreter auszuüben, nicht ohne noch vorher<br />

durch die dreimalige Willensän<strong>de</strong>rung über <strong>de</strong>n Waffenstillstand für die<br />

Gefangennahme von 400.000 Menschen und einen Verlust von Milliar<strong>de</strong>nwerten<br />

die persönliche Verantwortung zu übernehmen. Es kann, nehmt alles nur<br />

in allem, ich hoffe nimmer seinesgleichen zu sehn, gar kein Zweifel obwalten,<br />

daß die Monarchisten ganz recht haben, wenn sie die Dummheit, die für die<br />

Kriegsfolgen sich selbst nicht verantwortlich machen kann, mit <strong>de</strong>m Bonmot<br />

zu kö<strong>de</strong>rn suchen, daß die Front von hinten erdolcht wor<strong>de</strong>n sei. Von hinten<br />

ist sie allerdings erdolcht wor<strong>de</strong>n, aber von oben: durch die pure Möglichkeit,<br />

10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!