Er hat so Heimweh gehabt - Welcker-online.de
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Daß Kraus, <strong>de</strong>r Künstler <strong>de</strong>r Satire, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r unmittelbare Weg<br />
nicht offen liegt, <strong>so</strong>weit gelangen konnte, daß er, wiewohl <strong>de</strong>n intellektuellsten<br />
Kreisen <strong>de</strong>r Großstadt entsprossen, <strong>de</strong>r Presse unmittelbar<br />
nahe gerückt, und <strong>so</strong> in allernächster Nähe <strong>de</strong>n geistigen<br />
Betrug erlebend, <strong>de</strong>nnoch zu seinem Selbst fand und als<br />
Künstler sich von aller weltlichen Rücksicht losmachte, noch im<br />
Sichlosmachen beständig <strong>de</strong>r Gefahr ausgesetzt, für gut zu halten,<br />
das Leben in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r Kunst zu stellen, weil doch auch das<br />
ein Hohes gewesen wäre im Vergleich zu <strong>de</strong>r Selbstentwürdigung,<br />
die er im Sold verkommener Mächte die Kunst betreiben sah —<br />
daß er ungeachtet alles <strong>de</strong>ssen heute seinem ganzen Schaffen und<br />
Wirken nach dasteht als einer, <strong>de</strong>r offenkundig bestrebt ist, die<br />
Menschen einem Höhern untertan zu machen: das alles bringt mir<br />
die Gewißheit, daß Karl Kraus ein geistiger und religiöser Mensch<br />
ist, <strong>de</strong>ssen Auffassung in Bezug auf das Christentum hier nicht<br />
ohne weiteres übergangen wer<strong>de</strong>n kann.<br />
— — Und wenn Pascals Satz. »Die wahren Ju<strong>de</strong>n und die wahren<br />
Christen haben dieselbe Religion« auf einen Ju<strong>de</strong>n von heute bezogen<br />
wer<strong>de</strong>n darf, <strong>so</strong> sicher auf Kraus. <strong>Er</strong> erscheint wirklich als<br />
»<strong>de</strong>r wahre Ju<strong>de</strong>«, treu <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r großen Väter, die noch nicht<br />
<strong>de</strong>n Glauben an Gott für <strong>de</strong>n Glauben an Presse und Börse dahingegeben<br />
<strong>hat</strong>ten. An diese großen Glaubensmenschen <strong>de</strong>s Alten<br />
Testaments erinnert auch sein »Gebet an die Sonne von Gibeon«.<br />
Als sicher darf auch gelten: daß, wenn Christus, wie er einst leibte<br />
und lebte, heute wie<strong>de</strong>r auf <strong>Er</strong><strong>de</strong>n wan<strong>de</strong>lte, ihm keinesfalls ein<br />
Mensch wie Kraus, wohl aber die Kirche feind wäre.<br />
Doch ich habe auf Kraus noch zu verweisen als auf einen, <strong>de</strong>r<br />
während <strong>de</strong>s Weltkriegs das Christliche existenziell dargetan <strong>hat</strong>,<br />
<strong>so</strong>weit er es, seinen be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>ren Fähigkeiten entsprechend, dartun<br />
konnte. <strong>Er</strong> <strong>hat</strong> es je<strong>de</strong>nfalls im Sinne jener Mahnung <strong>de</strong>s von jeher<br />
Geistigen und Religiösen getan, die sich im Taoteking 1 al<strong>so</strong> verlautbart:<br />
»Mit Gewalt herrschen <strong>hat</strong> schlimme Rückwirkung.<br />
Wo Krieg war, wächst aus <strong>de</strong>m Schutt <strong>de</strong>r Dorn.<br />
Großen Heeren folgt sicher kümmerliche Zeit.«<br />
Und heute, da die Menschheit die volle Richtigkeit dieses fernöstlichen<br />
Lehrsatzes erlebt <strong>hat</strong> (<strong>de</strong>r Bauernstand, <strong>de</strong>r seinen Besitz<br />
im Kriegsgebiet <strong>hat</strong>te, mehr als je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, weshalb er auch <strong>de</strong>n<br />
Krieg aufs tiefste verabscheuen mußte), heute bringt eine unqualifizierbare<br />
Hor<strong>de</strong> von bauernfängerischen Presse— und Kirchenleuten,<br />
eifrigst unterstützt vom <strong>de</strong>utschen Freisinn, in unserem<br />
»heiligen« Land Tirol es noch fertig, über einen, <strong>de</strong>r gegen <strong>de</strong>n<br />
Krieg war und ist, um von <strong>de</strong>n Völkern abzuwen<strong>de</strong>n, was die zitierte<br />
Warnung enthält, allen Unflat einer bis auf <strong>de</strong>n Grund verlogenen<br />
moralischen Entrüstung auszuschütten und ihn, <strong>de</strong>r sich<br />
über diejenigen, welche das <strong>de</strong>utsche Volk ins Ver<strong>de</strong>rben geführt<br />
haben, ehrlich entrüstete, <strong>de</strong>r Beschimpfung eben dieses Volkes<br />
zu zeihen. Wahrlich, wenn man sich die Hetzjagd vergegenwärtigt,<br />
die gegen Kraus anläßlich seiner letzten Vorlesung in Innsbruck<br />
inszeniert wur<strong>de</strong>, dann muß man staunen, wie sehr jüdische<br />
Verkommenheit in die Presse und Kirche <strong>de</strong>r »Christen« einge-<br />
1 Dao<strong>de</strong>jing, chinesische Schrift unklarer Entstehungszeit<br />
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