Judas-Kulturmagazin Juni 2008
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Eine<br />
„Wissenschaft der Angst“<br />
In seinem Buch "Der ewig währende Untergang“<br />
stellt Thomas Etzemüller fest, wie oft sich Demografen<br />
schon geirrt haben, die ein Volk schrumpfen<br />
sahen.<br />
Erfolgreicher Katastrophendiskurs: Schon 1930 wurde<br />
vor Überalterung gewarnt. Die Deutschen kriegen<br />
zu wenig Kinder, das Land vergreist. Schon bald, so<br />
die sattsam bekannte Warnung, werden die Jungen<br />
von der Altersfürsorge für die Rentner überfordert<br />
sein und kinderfreudige Fremde das Ruder übernehmen,<br />
ergo: das Volk kollabiert. Diese Befürchtung<br />
formulieren Bevölkerungsexperten nicht nur gegenwärtig,<br />
sondern auch schon im Jahre 1930 oder 1950.<br />
Jeweils sagten sie voraus, dass sich die Bevölkerung<br />
in den nächsten 50 Jahren um die Hälfte oder ein<br />
Drittel dezimieren und sich von dieser Schrumpfung<br />
nicht erholen werde.<br />
Geschrumpft wird nicht - und das ist wichtig - aufgrund<br />
von Kriegen, Natur- oder Umweltkatastrophen,<br />
sondern aufgrund eines spezifischen sozialen<br />
Verhaltens, das der Moderne, also einer Entfernung<br />
von der Natur geschuldet war beziehungsweise ist.<br />
Immer behielten die Experten unrecht. Die Demografie<br />
ist, konstatiert Thomas Etzemüller, seines<br />
Zeichens Professor für Zeitgeschichte in Oldenburg,<br />
eine "Wissenschaft der Angst“. Warum aber, so fragt<br />
er in seiner Studie "Ein ewigwährender Untergang“<br />
ist dieser Katastrophendiskurs so erfolgreich? Was<br />
macht ihn so realitätsresistent?<br />
Nun bestreitet die Studie nicht, dass Geburten zurückgehen.<br />
Doch weder sind die Datenerhebung<br />
oder die daraus gezogenen Schlussfolgerungen unschuldig<br />
noch ist es die für die Demografie grundlegende<br />
Verknüpfung von Volk und Raum. Die erst<br />
jüngst vorgenommene Korrektur in Sachen kinderlose<br />
Akademikerinnen illustriert das auf ihre Weise:<br />
Bislang wurden in Deutschland Frauen, deren Kinder<br />
nicht (mehr) mit ihnen in einem Haushalt lebten,<br />
oder Mütter, die älter als 39 Jahre waren, als kinderlos<br />
erfasst.<br />
Nicht weniger ideologisch ist die Darstellung der<br />
Bevölkerung und ihrer Entwicklung in eigens entwickelten<br />
Grafiken. Die Demografie, so Etzemüller, ist<br />
eine zutiefst moralische "Schule des Sehens“. Das bis<br />
heute gängige Triptychon etwa von der Pyramide als<br />
Ausdruck einer gesunden Gesellschaft (die Jungen<br />
bilden die breite Basis, die Alten nur die Spitze) über<br />
die Glocke, die heute in Zeiten des Waldsterbens "zerzauste<br />
Tanne“ heißt (die Basis verschmälert und die<br />
Schicht der 40-Jährigen bläht sich), bis hin zur Urne<br />
(die 60-Jährigen stellen die Mehrheit), sind ihm wesentliche<br />
Bestandteile eines suggestiven Diskurses,<br />
der das, was er objektiv abzubilden vorgibt, allererst in<br />
einer großen Abstraktionsleistung herstellen muss.<br />
DAS COMEBACK DES FÜHRERS IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII