Judas-Kulturmagazin Juni 2008
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Ein Ländervergleich enthüllt weitere Konstruktionsprinzipien.<br />
Gegenübergestellt werden Aussagen von<br />
schwedischen und von deutschen WissenschaftlerInnen.<br />
In beiden Ländern entfachte die Feststellung<br />
eines Geburtenrückgangs eine breite Diskussion.<br />
Schweden besitzt keine nationalsozialistische<br />
Vergangenheit, und auch die jeweils mit einem Nobelpreis<br />
ausgezeichneten Vorzeige-Intellektuellen<br />
Alvar und Gunnar Myrdal sind keiner Sympathien<br />
verdächtig. Das der Sozialdemokratie verpflichtete<br />
Paar Myrdal veröffentlichte 1934 ein weithin beachtetes<br />
Buch zur vermeintlich katastrophalen Reproduktionsunwilligkeit<br />
und unterbreitete radikale<br />
Lösungsvorschläge. Es ging ihnen um die Durchsetzung<br />
eines neuen, nämlich modernen Menschen.<br />
Die Ökono-mie sollte umstrukturiert und die von<br />
der Erwerbs-tätigkeit und der Erziehung notwendig<br />
überlasteten Frauen durch Kinderkrippen und ein<br />
Schulsystem unterstützt werden, das die Sprösslinge<br />
unter der ständigen Aufsicht von Lehren zu Kollektivisten<br />
mit rationaler Lebensführung erzieht. Kinder,<br />
zumal die der gebildeten Schichten, waren für die<br />
Myrdals eine zentrale Ressource zur Erneuerung der<br />
Gesellschaft. Im Gegensatz zu den Älteren schienen<br />
sie ihnen leichter formbar, außerdem würden sie<br />
die neue Werteordnung in die Familien hineintragen.<br />
Aber auch sie waren der Ansicht, dass mit dem<br />
Geburtenrückgang "minderwertiges Volksmaterial“<br />
ins Land gesogen würde. Dieses wiederum gefährde<br />
die Löhne und die allgemeine Stabilität. Die selbstverständliche<br />
Verkettung von Geburtenrückgang mit<br />
Überfremdung und Erschütterung gesellschaftlicher<br />
Errungenschaften, also die Unterscheidung zwischen<br />
gewünschten, nämlich schwedischen und gut<br />
erzogenen Kindern und den unerwünschten, näm-<br />
lich ausländischen Kindern, findet sich also auch<br />
hier. Sie ist bis heute ein Grundelement des Bevölkerungsdiskurses<br />
- und eben nicht nur desjenigen Teils,<br />
der die Eugenik befürwortet.<br />
Das mindestens fremdenfeindliche und immer klassen-spezifische<br />
Moment in dem ansonsten aufgeklärten<br />
Lager der Demografen und ihrer Multiplikatoren<br />
herauszuarbeiten, ist das Verdienst der Studie.<br />
Der Vergleich mit Schweden ist daher ein cleverer<br />
Schachzug. So fügt die aufgrund des Humors des<br />
Autors auch unterhaltsame Studie der Kritik an der<br />
stets wiederkehrenden Rede vom Kinderkriegen<br />
als Allroundlösungspaket etwas Wichtiges hinzu:<br />
Nicht erst die Eugenik disqualifiziert die Demografie<br />
als Wissenschaft. Das Problem beginnt weit früher.<br />
Denn die Demografie repräsentiert - und dies<br />
über die Epochen hinweg - im Wesentlichen eine<br />
bürgerlich-akademische Schicht, die "ihren Lebensraum<br />
und ihre Lebensweise“ bedroht sieht und ihre<br />
Interessen in der Rede von einer unnatürlichen Entwicklung<br />
naturalisiert. Auch ohne Option für eine<br />
Rassenhygiene formuliert sie einen Klassendiskurs.<br />
Frank Schirrmacher und Ursula von der Leyen sind<br />
hierfür beredte Beispiele.<br />
Aktuell ist wiederum der Blick nach Schweden erhellend.<br />
Denn heute ist dort der Umstand, dass sich<br />
hier die niedrigste Geburtenrate Nordeuropas findet,<br />
kein Indiz mehr für den Niedergang. Die Akademiker<br />
bekommen relativ gesehen viele Kinder, die<br />
Überalterung gilt nicht mehr als desaströs, sind die<br />
Alten doch gesünder und arbeiten länger. Da sich<br />
auch die Akzeptanz von Migranten verbessert hat,<br />
fehlt in Schweden gegenwärtig der Humus für den<br />
DAS COMEBACK DES FÜHRERS IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII<br />
hierzulande noch so beliebten demografischen Alarmismus.<br />
14.08.2007 TAZ Ines Kappert