Rezensionen durch Michael Sturm-Berger seit 1991 - Sturm-berger.de
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dass „progressiv“ - egal ob in Gemeinschaften o<strong>de</strong>r in Einzelnen - <strong>durch</strong>aus keine negative,<br />
weil religiös und ethisch vermeintlich rückschrittliche Be<strong>de</strong>utung haben muss, wie sie <strong>de</strong>r<br />
Autor vorauszusetzen scheint. Umgekehrt kann man angesichts <strong>de</strong>r bekannten<br />
Religionsgeschichte doch wohl kaum vom „Traditionsbewussten“ als <strong>de</strong>m ethisch-religiösen<br />
„Guten“ sprechen, auch weil gera<strong>de</strong> darin sehr viel Nachahmung und zu wenig eigenes<br />
Erkennen enthalten sein können.<br />
Trotz<strong>de</strong>m möchte ich insgesamt meinen, dass es <strong>de</strong>m Autor gelang, recht gute Bil<strong>de</strong>r vom<br />
vorbildlichen spirituellen Leben zu zeichnen, wobei stets eine Art <strong>de</strong>r Meditation als<br />
grundlegend angesehen wur<strong>de</strong>. Ebenso arbeitete er immer wie<strong>de</strong>r die Verbindung von<br />
Gottesverehrung und Menschenliebe (Philanthropie) heraus.<br />
Der Autor überrascht allerdings mit einer problematische Beziehung zur Rolle <strong>de</strong>s Wortes als<br />
Ursprung <strong>de</strong>r Erkenntnis – übrigens ganz unbiblisch, <strong>de</strong>nn „Am Anfang war das Wort ...“, wie<br />
es im Johannes-Evangelium 1,1 heißt. Zwar lässt er <strong>de</strong>n „Erstmenschen“ auch die ersten<br />
Worte fin<strong>de</strong>n, was aber angesichts <strong>de</strong>r komplexen Kommunikation schon bei Tieren<br />
zumin<strong>de</strong>st fragwürdig erscheint. Noch merkwürdiger ist, dass er <strong>de</strong>m Phänomen<br />
Prophetentum, das heißt <strong>de</strong>m <strong>durch</strong> Wortempfang begrün<strong>de</strong>ten Berufen-Sein <strong>durch</strong> die<br />
allmächtige Gottheit, <strong>de</strong>r daraus resultieren<strong>de</strong>n Berufungs-Gewissheit und <strong>de</strong>m nachfolgen<strong>de</strong>n<br />
Auftrag zu lehren (Mission), für die Urzeit keinerlei Be<strong>de</strong>utung zuzumessen scheint. Dem<br />
wi<strong>de</strong>rspricht, dass alle Religionen, <strong>de</strong>ren historischen Ursprung wir (noch) kennen,<br />
ursprünglich auf solchem Wortempfang (Offenbarung) beruht haben!<br />
Müller-Karpe schrieb (S. 52) über die seiner Ansicht nach bereits vom Frühmenschen<br />
gepflegte Vorstellung vom Leben nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>: „Demnach war sein Sterben im Grun<strong>de</strong><br />
eine Vollendung, im Sinn eines vollen Eingehens in die Ewigkeit, von <strong>de</strong>r ihm zu seinen<br />
Lebzeiten bereits (bzw. nur) ein Schimmer zuteil gewor<strong>de</strong>n war.“ Kurz davor erwähnte er die<br />
Wahrnehmung einer „Gottesewigkeit, die sich als Wahrheit je<strong>de</strong>r ‚Vorstellung’ entzog.“<br />
Zu ergänzen wären hierzu Vorstellungsmo<strong>de</strong>lle, welche von Mystikern und Propheten<br />
verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m sie das Verhältnis <strong>de</strong>s inneren menschlichen Selbstes zur<br />
„Gottesewigkeit“ gelegentlich als Tropfen in einem Meer o<strong>de</strong>r als Funken aus einem Feuer<br />
versinnbildlichten, woraus dann <strong>de</strong>r Rückschluss auf die Unsterblichkeit <strong>de</strong>r Seele gezogen<br />
wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Ein hoch interessantes, wenngleich unauffällig benanntes „Nachwort“ schloss <strong>de</strong>r Autor<br />
diesen Lebensbil<strong>de</strong>rn an (S. 57-71). Es enthält die bei<strong>de</strong>n Abschnitte<br />
„Geschichtswissenschaftliches Bild vom paläolithischen Menschen“ und „Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />
Urmenschenbil<strong>de</strong>s für unsere Gegenwart“. Darin zog H. Müller-Karpe alle Register seiner<br />
umfassen<strong>de</strong>n Kenntnisse über die frühe Menschheits-Entwicklung, wo<strong>durch</strong> dieses Nachwort<br />
meiner Ansicht nach <strong>de</strong>n wissenschaftlichen Höhepunkt <strong>de</strong>s Büchleins darstellt.<br />
Auch vom Umfang her etwa die zweite Hälfte <strong>de</strong>s Gesamttextes stellt die Autobiographie H.<br />
Müller-Karpes dar (S. 72-140). Diese Biographie erleichtert das Verständnis auch für alle<br />
an<strong>de</strong>ren zahlreichen Werke <strong>de</strong>s Autors beträchtlich, da er nun seinen persönlichen Weg zur<br />
Archäologie ausführlich beschrieb, <strong>de</strong>r beständig von religiöser Suche begleitet war und<br />
letztlich zur Religion als Zielvorstellung geführt hat:<br />
Seine Kindheit verbrachte <strong>de</strong>r bereits als Kleinkind schwer Erkrankte in seinem evangelischen<br />
Elternhaus im hessischen Hanau und begann 1936, im Alter von 11 Jahren, mit <strong>de</strong>m Sammeln<br />
von Münzen, was er „noch lange als seinen ‚geistigen Geburtstag’“ wertete (75). Sein<br />
Interesse und Geschichtsbewusstsein entfalteten sich allmählich. Es folgten erste<br />
Publikationen bereits im Jugendalter (76) und archäologische Arbeiten im Rahmen eines<br />
stu<strong>de</strong>ntischen Ausgleichsdienstes in Österreich (76f.). Der Autor war wegen seiner<br />
Erkrankung nicht zur Kriegsteilnahme gezwungen wor<strong>de</strong>n, nahm jedoch trotz<strong>de</strong>m freiwillig<br />
teil, obwohl er <strong>de</strong>n Grund für diesen seinen inneren Antrieb noch nicht gekannt habe (77f.).<br />
Diesen fand er in <strong>de</strong>r Kriegsgefangenschaft im belgischen Stenay, wo er anscheinend<br />
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