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Die Juden und das Dritte Reich

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PAUL RASSINIER<br />

WAS IST WAHRHEIT?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Juden</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Dritte</strong> <strong>Reich</strong><br />

7. Auflage 1981<br />

ISBN 3 8061 09117<br />

Landsberger Verlagsanstalt Martin Neumeyer, Museumsstraße 14,<br />

Landsberg a. Lech<br />

Hinweis:<br />

<strong>Die</strong> Anmerkungen des Verfassers sind mit Nummern, die des Übersetzers<br />

mit * bezeichnet. Zitate nach den Protokollbänden des Internationalen<br />

Militär Tribunals Nürnberg sind mit den abgekürzten Quellenvermerk<br />

IMT versehen. <strong>Die</strong> angegebenen F<strong>und</strong>stellen beziehen sich auf die<br />

deutsche Ausgabe der IMT - Veröffentlichung.<br />

2


INHALTSVERZEICHNIS<br />

ZWEI BRIEFE DES VERLAGES........................................................................ 4<br />

VORWORT........................................................................................................... 7<br />

TEIL 1: NÜRNBERG ......................................................................................... 13<br />

1. VON STALINGRAD NACH NÜRNBERG............................................... 13<br />

2. DER NÜRNBERGER PROZESS ............................................................... 28<br />

A. Definition des Verbrechens <strong>und</strong> des Verbrechers ................................... 28<br />

B. <strong>Die</strong> Kriegsverbrechen .............................................................................. 40<br />

C. <strong>Die</strong> Verbrechen gegen den Frieden ......................................................... 56<br />

D. Verbrechen gegen die Menschlichkeit .................................................... 78<br />

E. ... <strong>und</strong> andere Kleinigkeiten ................................................................... 115<br />

3. DER EICHMANN-PROZESS .................................................................. 123<br />

A. Wer ist Adolf Eichmann!....................................................................... 124<br />

B. <strong>Die</strong> Umstände des Prozesses ................................................................. 126<br />

C. <strong>Die</strong> Anklage <strong>und</strong> ihr politischer Rahmen .............................................. 127<br />

D. Schlusswort............................................................................................ 133<br />

TEIL II: VERSAILLES..................................................................................... 140<br />

4. VOM KRIEGSEINTRITT DER VEREINIGTEN STAATEN BIS ZUM<br />

WAFFENSTILLSTAND 1918...................................................................... 140<br />

5. DIE VERTRÄGE VON VERSAILLES.................................................... 164<br />

6. DAS PROBLEM........................................................................................ 198<br />

ANHANG.......................................................................................................... 219<br />

Anlage l - EINGABE DER GESAMTVERTEIDIGUNG AN DAS<br />

INTERNATIONALE MILITÄRTRIBUNAL IN NÜRNBERG, 19.<br />

NOVEMBER 1945 115 ................................................................................... 219<br />

Anlage 2 - ZUM "DOKUMENT GERSTEIN" ............................................. 221<br />

Anlage 3 - DAS DOKUMENT KASZTNER................................................ 227<br />

Anlage 4 - "GERMANY MUST PERISH!" - "DEUTSCHLAND MUSS<br />

STERBEN"!................................................................................................... 231<br />

Anlage 5 - "ARZT IN AUSCHWITZ" .......................................................... 233<br />

Anlage 6 - DOKUMENTATION .................................................................. 237<br />

Anlage 7 - JUDEN KÄMPFEN FÜR DIE DEMOKRATIEN...................... 240<br />

Anlage 8 - ANZAHL ..................................................................................... 242<br />

Anlage 9 - RÜCKSCHLUSS......................................................................... 243<br />

Anlage 10 - DIE JUDEN UND DIE KONZENTRATIONSLAGER ........... 266<br />

ZUSATZ ZUM ARTIKEL IN "LE CHARIVARI".......................................... 273<br />

NAMENSVERZEICHNIS................................................................................ 274<br />

3


ZWEI BRIEFE DES VERLAGES<br />

<strong>Die</strong> beiden nachstehend wiedergegebenen Briefe des Verlages unterrichten den<br />

Leser über die Vorgeschichte der deutschen Ausgabe des vorliegenden Buches:<br />

Leoni, den 31. Januar 1963<br />

An den Verlag<br />

"Les Sept Couleurs"<br />

Paris 6<br />

Sehr geehrte Herren!<br />

Durch zollamtliche Behandlung verzögert, erreichte uns Ihre Einschreibsendung<br />

vom 25. Januar: "Le veritable proces Eichmann ou les vainqueurs incorrigibles"<br />

von Professor Paul Rassinier.<br />

Da uns ein Lektor für die französische Sprache nicht zur Verfügung steht,<br />

können wir uns zunächst mit dem Inhalt der übersandten Schrift nicht vertraut<br />

machen. <strong>Die</strong> flüchtige Durchsicht zeigt jedoch, <strong>das</strong>s der Autor mit offenbar<br />

starker Eindringlichkeit einen Themenkreis behandelt, der uns Deutsche in<br />

besonderer Weise angeht <strong>und</strong> beschäftigt.<br />

Wenn Professor Rassinier als französischer Publizist, der einst wegen seiner<br />

ablehnenden Einstellung gegenüber der damaligen Besatzungsmacht lange Zeit<br />

in einem deutschen Konzentrationslager interniert war, zu so wichtigen <strong>und</strong><br />

tragischen Angelegenheiten Stellung nimmt, so scheint es angezeigt, <strong>das</strong>s seine<br />

Darlegungen der deutschen Öffentlichkeit jedenfalls übermittelt werden - <strong>und</strong><br />

sei es nur, um eine Diskussion zu ermöglichen.<br />

Sie appellieren an uns, nachdem Ihre anderweitigen Bemühungen eine<br />

deutschsprachige Ausgabe der Schrift zu veranlassen, gescheitert sind. Wir<br />

müssen anerkennen, <strong>das</strong>s in diesem Fall für einen deutschen Verlag eine Art<br />

Verpflichtung vorliegt - gleichgültig, ob wir mit Professor Rassiniers Thesen<br />

<strong>und</strong> Ansichten übereinstimmen.<br />

Wir werden uns also um eine Übersetzung der Schrift bemühen <strong>und</strong> sie dem<br />

gegenüber diesem Thema gewiß besonders kritischen Leserpublikum des<br />

deutschen Sprachraumes vorlegen - ohne Zutat oder Kürzung an der in Ihrem<br />

Verlag erschienenen Originalausgabe. Als selbstverständlich setzen wir voraus,<br />

<strong>das</strong>s die Texte zu den in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland geltenden gesetzlichen<br />

Vorschriften für die Verbreitung von Druckschriften nicht in Widerspruch<br />

stehen.<br />

Mit verbindlicher Empfehlung<br />

DRUFFEL-VERLAG<br />

4


*<br />

Herrn<br />

Professor Paul Rassinier<br />

Asnieres / Seine<br />

Leoni, den 7. März 1963<br />

5


Sehr geehrter Herr Professor!<br />

Der Verlag "Les Sept Couleurs" wird Sie vom Inhalt unseres Schreibens vom<br />

31.01. unterrichtet haben. Inzwischen liegt uns nun eine Übersetzung Ihrer<br />

Schrift vor. Wenn sie auch noch nicht in allen Einzelheiten ausgefeilt ist, so<br />

konnten wir uns nun doch eine genauere Vorstellung vom Inhalt verschaffen.<br />

Wir mussten dabei feststellen, <strong>das</strong>s Sie an zahlreichen Stellen Ihrer Schrift<br />

Erwägungen <strong>und</strong> Argumente vorbringen, die wir von unserer Seite aus weder so<br />

noch ähnlich anführen oder ausdrücken würden. Wir vermuten, <strong>das</strong>s Ihre<br />

Ausführungen manchen ernsten Widerspruch hervorrufen werden. Andererseits<br />

konnten wir nicht unberührt bleiben von der inneren Leidenschaft ehrenhafter<br />

Wahrheitssuche, mit der Sie Ihre oft verblüffenden Thesen dem Leser vor<br />

Augen führen. Textstellen, die mit den in der B<strong>und</strong>esrepublik geltenden<br />

gesetzlichen Vorschriften in Widerspruch stünden, waren nicht festzustellen.<br />

Es bleibt also bei unserer Stellungnahme vom 31. Januar - wir werden Ihre<br />

Schrift der deutschen Öffentlichkeit übermitteln, wobei wir uns allerdings fast<br />

versucht fühlen, an <strong>das</strong> berühmte Wort Ihres Landsmannes Voltaire zu erinnern:<br />

"Ich denke nicht wie Du, aber ich verteidige Dein Recht, zu sagen, was Du<br />

denkst ..."<br />

Mit aufrichtiger Empfehlung<br />

Ihr DRUFFEL-VERLAG<br />

________________<br />

P.S.: Der Haupttitel Ihrer Schrift hat sich als schwer übersetzbar erwiesen. Wir erbitten Ihr Einverständnis, die<br />

deutsche Ausgabe unter einem Titel herauszubringen, der an die Pilatus Frage erinnert: "Zum Fall Eichmann - was Ist<br />

Wahrheit?."<br />

6


VORWORT<br />

Bankrott der Links-Intellektuellen<br />

1867: <strong>Die</strong> europäischen Staatsmänner streben nach Europa <strong>und</strong> hoffen es<br />

dadurch zu verwirklichen, <strong>das</strong>s sie jedem Volk sein eigenes Wohngebiet<br />

innerhalb klarer natürlicher Grenzen zuerkennen; auf der anderen Seite strebt die<br />

sozialistische Bewegung nach Europa <strong>und</strong> hofft es auf dem Wege der<br />

Internationale zu erreichen. Für die Intellektuellen ist Europa eine der<br />

wesentlichsten Aufgaben des Humanismus. Für die Kaufleute ist es die Frage<br />

der Geschäftsbeziehungen über die Grenzen hinweg, ob es nun natürliche oder<br />

nichtnatürliche sind.<br />

Bei den Kaufleuten ist der Sinn für <strong>das</strong> Praktische am besten entwickelt: wenn<br />

die Völker ihre industriellen <strong>und</strong> ihre künstlerischen Leistungen vergleichen,<br />

können sie nicht umhin, sich kennen <strong>und</strong> schätzen zu lernen. <strong>Die</strong> Staatsmänner<br />

fördern diese Entwicklung, weil sie ihren Einfluss vergrößern möchten, die<br />

Intellektuellen aus Prinzip. Seit 1850 werden zu diesem Zweck<br />

Weltausstellungen organisiert1: 1851 in London, 1855 in Paris, 1862 wieder in<br />

London ... <strong>Die</strong> Achse London-Paris.<br />

1867 ist Paris wieder an der Reihe. Und damit die ausländischen Besucher noch<br />

etwas mehr sehen können als <strong>das</strong>, was innerhalb der Umzäunungen auf dem<br />

Camp de Mars <strong>und</strong> der Insel von Billancourt an Sehenswertem gesammelt ist -<br />

kurz, damit Paris den Gästen einen viel ausgedehnteren Kontakt mit Frankreich<br />

vermitteln könnte, veröffentlichten die Organisatoren der Ausstellung eine Liste<br />

von allem, was es in Paris zu sehen gab - oder wenigstens von allem, was sie<br />

zeigen möchten: 'Paris-Guide', den Führer durch Paris. Da man Victor Hugo<br />

beauftragt hatte, <strong>das</strong> Vorwort zu schreiben zu dieser Inventur aller Schätze, die<br />

Paris zu bieten hatte, möchte ich dieses Vorwort hier anführen, denn es gibt die<br />

Idee hinter dem ganzen Unternehmen so gut wieder:<br />

"Das Zwanzigste Jahrh<strong>und</strong>ert wird die Geburt einer außergewöhnlichen Nation<br />

erleben. Sie wird groß sein aber trotzdem frei. Sie wird herrlich, reich,<br />

intelligent, friedlich <strong>und</strong> liebenswert der übrigen Menschheit begegnen. Sie wird<br />

mit dem milden Ernst einer älteren Schwester auftreten. (...)<br />

________________<br />

1 In Wirklichkeit war die Idee schon älter: <strong>das</strong> erste Ereignis dieser Art - obwohl in bescheidendem Rahmen - hatte<br />

1791 in Prag stattgef<strong>und</strong>en. Aber infolge der napoleonischen Kriege <strong>und</strong> ihrer Nachwirkungen wurde der Gedanke erst<br />

1851 wieder aufgenommen.<br />

Eine Schlacht zwischen Italienern <strong>und</strong> Deutschen, zwischen Engländern <strong>und</strong><br />

Russen, zwischen Preußen <strong>und</strong> Franzosen wird in ihren Augen <strong>das</strong> gleiche sein<br />

wie für uns eine Schlacht zwischen den Einwohnern französischer Provinzen -<br />

zwischen Pikarden <strong>und</strong> Burg<strong>und</strong>ern. Sie sieht nicht ein, wozu man<br />

Menschenblut vergeuden sollte. Sie hält die Bew<strong>und</strong>erung angesichts einer<br />

7


großen Zahl getöteter Männer für eine recht primitive Regung. So wie wir die<br />

Schultern zucken, wenn von der Inquisition die Rede ist, macht sie es wenn vom<br />

Krieg gesprochen wird. Sie wird die Schlacht von Sadowa mit denselben Augen<br />

betrachten wie wir die Quemadero von Sevilla. Sie wird es nur als einen<br />

Ausdruck des menschlichen Stumpfsinns betrachten können, <strong>das</strong>s jeder Sieg,<br />

kaum errungen, wieder infrage gestellt wird - <strong>das</strong>s dann nach kurzer Zeit<br />

unweigerlich <strong>das</strong> Gleichgewicht wiederhergestellt wird <strong>und</strong> zwar mit den<br />

traurigsten Mitteln: <strong>das</strong>s auf den Sieg von Austerlitz immer die Niederlage von<br />

Waterloo folgen muss.<br />

<strong>Die</strong>se Nation wird für die Autorität etwa den gleichen Respekt empfinden wie<br />

wir für die Orthodoxie: ein Prozess gegen ein Presseorgan wird für sie so etwas<br />

sein wie für uns ein Prozess gegen einen Ketzer - <strong>und</strong> sie wird ebenso wenig<br />

verstehen, warum der patriotische Dichter Beranger eingesperrt werden sollte,<br />

wie, warum Galilei ins Gefängnis geworfen werden musste . . Eine gemeinsame<br />

Sprache, eine gemeinsame Währung, ein gemeinsames System der Maße <strong>und</strong><br />

Gewichte, ein Meridian, ein gemeinsames Gesetzbuch, der Geldumlauf auf dem<br />

Höhepunkt: der Wert des Sozialprodukts in unvorstellbarem Maße gestiegen<br />

durch die Ausschaltung allen Schmarotzertums; niemand wird mehr untätig sein<br />

müssen, weil er seine Waffe festzuhalten habe, gewaltige Summen werden<br />

eingespart, weil niemand mehr Posten stehen muss; die vier Milliarden, die der<br />

Bürger jetzt für die stehenden Heere opfern muss, bleiben dann in seiner Tasche,<br />

die vier Millionen junger Arbeitskräfte, die jetzt Uniform tragen <strong>und</strong> sich so in<br />

ehrenwerter Weise dem Handel, der Landwirtschaft <strong>und</strong> der Industrie entzogen<br />

sehen, werden dann wieder mitarbeiten können. Überall werden die Schwerter<br />

<strong>und</strong> die Ketten zu Pflügen umgeschmiedet sein. Der Friede, jene Göttin mit acht<br />

Brüsten, wird ihre erhabene Herrschaft über die Menschen errichtet haben.<br />

Statt des Krieges gibt es den friedlichen Wettkampf. <strong>Die</strong> denkenden Menschen<br />

werden aufgebrochen sein <strong>und</strong> schreiten dem Sonnenaufgang entgegen. <strong>Die</strong><br />

ungeduldige Sehnsucht nach dem Guten wird alle Irrtümer, jegliche schüchterne<br />

Zurückhaltung überw<strong>und</strong>en haben. Jedes andere Eifern wird verschw<strong>und</strong>en sein.<br />

Ein Volk wird die Grenzen der Nacht erforschen <strong>und</strong> dabei zum Nutzen der<br />

ganzen Menschenart einen unermesslichen Schatz von Licht hervorstrahlen<br />

lassen. So wird sie sein, die kommende Nation. Und diese Nation wird Europa<br />

heißen."<br />

Dass Europa in Wirklichkeit, zu Anfang der zweiten Hälfte dieses Zwanzigsten<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, viel mehr erfüllt ist von der Angst vor einer Slawisierung - <strong>und</strong><br />

einer Sowjetisierung - als von einer Hoffnung auf solche Errungenschaften, <strong>das</strong><br />

besagt deutlich genug, wie wenig Glück Victor Hugo beschieden war, als er eine<br />

Prophezeiung wagte. Wir brauchen daher nicht weiter darauf einzugehen.<br />

Von der großen Hoffnung, die der Dichter in Worte kleidet, brauchen wir nur<br />

den edlen Willen zu behalten <strong>und</strong> den erhabenen Standpunkt, den er einnimmt.<br />

Vor allem die Höhe seines Standpunktes, wie weit er schaute: wenn man ihm<br />

8


gesagt hätte, <strong>das</strong>s er die Nationalitäten, die natürlichen Grenzen, die deutsche<br />

Einheit, die italienische Einheit usw... unerwähnt gelassen hätte, so könnte ich<br />

mir vorstellen, <strong>das</strong>s Hugo mit dem gleichen Schulterzucken geantwortet hätte<br />

wie auf den Vorschlag hin, er möchte doch den Streit zwischen den Wellen <strong>und</strong><br />

Ghibellinen, den Provinzen Armagnac <strong>und</strong> Burg<strong>und</strong> - er spricht übrigens von<br />

Pikardien <strong>und</strong> Burg<strong>und</strong> - ein für allemal schlichten. Oder den Kampf zwischen<br />

Richelieu <strong>und</strong> dem Hause Habsburg, den H<strong>und</strong>ertjährigen Krieg (1337 - 1453)<br />

oder was sonst noch, die Königsweihe des Frankenkönigs Clovis zum Beispiel.<br />

(481).<br />

Und trotzdem ... Als Europa versuchte, sich auf dem Wege über die<br />

Nationalitäten <strong>und</strong> die natürlichen Grenzen zu verwirklichen, befand es sich auf<br />

einem geistigen Niveau, <strong>das</strong>s verglichen mit der Ebene, auf der jetzt eine<br />

Einigung gesucht wird, verhältnismäßig hoch erscheint. Ich möchte hier weder<br />

von jenen Staatsmännern reden, die sich nur ein in mindestens zwei Teile<br />

zerrissenes Europa vorstellen können. Ich will auch nicht von jenen Kaufleuten<br />

sprechen, deren einziger Wunsch zu sein scheint, <strong>das</strong>s es viele Grenzen geben<br />

möge - weil <strong>das</strong> Spiel mit den Einfuhr- oder Ausfuhrlizenzen Schwarzmärkte für<br />

Gold <strong>und</strong> Devisen entstehen lässt, die gerade durch ihre große Zahl um so<br />

ertragreicher sind: in den modernen Nationen gehören die Staatsmänner <strong>und</strong> die<br />

Kaufleute nicht oder nicht mehr zu den Eliten. Aber was soll man von den<br />

Intellektuellen denken? Es trifft zu, <strong>das</strong>s die Intellektuellen nach dem Ende des<br />

Zweiten Weltkrieges wieder angefangen haben, die europäische Idee zu loben,<br />

aber in neun<strong>und</strong>neunzig von h<strong>und</strong>ert Fällen haben sie dabei systematisch<br />

Behauptungen vorgebracht, die als Gründe gegen die Schaffung Europas gelten<br />

könnten, <strong>und</strong> nur solche: man spricht von den deutschen Verbrechen, von den<br />

deutschen Konzentrationslagern, weiß eine Unzahl von Oradours aufzuzählen,<br />

spricht vom preußischen Militarismus usw...<br />

In allerletzter Zeit wurde sogar schon versucht, die öffentliche Meinung der<br />

ganzen Welt zu mobilisieren aus Anlass der Handlungen, die ein einfacher<br />

deutscher Oberstleutnant im Kriege begangen hatte, kurz, es hieß immer wieder:<br />

<strong>das</strong> ewige Deutschland, <strong>das</strong> unverbesserliche räudige Wesen, <strong>das</strong> alle<br />

Schlechtigkeiten überhaupt auf dem Gewissen hat. Das man nur in ständig<br />

kniendem Zustand erhalten muss, oder auf dem Rücken liegend mit dem Messer<br />

an der Kehle! Es ist vollkommen klar, <strong>das</strong>s derartige öffentliche Diskussionen,<br />

auf solidem Niveau, über so vorsintflutliche Themen, die in offenbarem<br />

Widerspruch zu den Tatsachen stehen, die alten Fehden nur am Leben erhalten<br />

können, nicht sie beenden <strong>und</strong> <strong>das</strong>s Europa dabei überhaupt keine Aussicht hat,<br />

sich seiner selbst bewusst zu werden. <strong>Die</strong>se Diskussionen könnten nur dann ein<br />

anderes Ergebnis zeitigen, wenn ein Europa nicht nur ohne Deutschland,<br />

sondern gegen Deutschland möglich wäre!<br />

Das Allerschlimmste aber ist, <strong>das</strong> die Intellektuellen des Jahres 1962 nicht<br />

einsehen:<br />

9


- <strong>das</strong>s einerseits die Deutschen diese Vorwürfe leicht beantworten könnten,<br />

indem sie auf Dresden, Leipzig <strong>und</strong> Hamburg hinwiesen (tragische Gegenstücke<br />

zu Oradour), auf den französischen (oder russischen) Militarismus, auf die<br />

Konzentrationslager in Algerien (von denen <strong>das</strong> Internationale Rote Kreuz<br />

bewies, <strong>das</strong>s sie in keiner Hinsicht besser waren, als die in Deutschland) oder<br />

auf die Lager in Russland (Margarete Buber-Neumann erzählt, <strong>das</strong>s der<br />

italienische Kommunist Navareno Scarioli, der 1925 nach Moskau floh <strong>und</strong> der<br />

diese Lager von 1937 - 1954 kennen lernte, davon in der römischen Zeitschrift<br />

V i t a vom 23. November 1961 eine Beschreibung gibt, die an Grauen alles<br />

übertrifft, was die ehemaligen Insassen der deutschen Lager berichten konnten,<br />

sogar jene, die am schlimmsten übertrieben), <strong>das</strong>s es andererseits keinen Krieg<br />

gibt, keinen Krieg geben kann, ohne Konzentrationslager <strong>und</strong> Oradours auf<br />

beiden Seiten <strong>und</strong> ebenso wenig ohne gehorchende <strong>und</strong> eifrige Oberstleutnants<br />

vom Typ Eichmann - auch auf beiden Seiten;<br />

- <strong>das</strong>s schließlich, wenn es sich um die Verantwortung für den Zweiten<br />

Weltkrieg handelt, festgestellt werden muss, <strong>das</strong>s dieser Krieg nur eine Folge<br />

des völlig verfehlten Vertrages von Versailles gewesen ist, so <strong>das</strong>s die Väter<br />

dieses Vertrages die erste Schuld <strong>und</strong> gleichzeitig die Hauptschuld an diesem<br />

Zweiten Weltkrieg tragen! In den Tagen nach dem Ersten Weltkrieg stellten<br />

diese Punkte für die überwiegende Mehrzahl der Intellektuellen noch<br />

unbestreitbare Wahrheiten dar. Und jene unter ihnen, die ich in meiner feurigen<br />

<strong>und</strong> begeisterten Jugend immer wieder aufsuchte <strong>und</strong> mit deren Werken ich<br />

mich immer wieder beschäftigte, die Menschen, die sich selbst als Intellektuelle<br />

der Linken einstuften, äußerten sich am entschiedensten in diesem Sinne:<br />

Hermann Hesse, der geistige Erbe der Bertha von Suttner, Harry E. Barnes,<br />

Sidney B. Fay, Romain Rolland, Alain, Matthias Morbardt, Victor-Margueritte,<br />

Anatole France, Felicien Chailaye', Jean Giono, Georges Demartial, Rene Gerin,<br />

Georges Michon, Barthelemy de Ligt, Luden Roth, <strong>das</strong> Ehepaar Alexandre, usw.<br />

<strong>Die</strong>sen Menschen vermochte niemand weiszumachen, <strong>das</strong>s es nur auf einer Seite<br />

Kriegsgräuel <strong>und</strong> Kriegsschuld gegeben hätte: sie durchleuchteten alles <strong>und</strong><br />

machten den Vätern des Versailler Vertrages <strong>das</strong> Leben recht schwer, jenen<br />

Leuten, die nur noch verteidigt wurden von einer Handvoll altgewordener,<br />

müder oder verknöcherter Rechtsintellektueller, die nicht einmal mehr mit der<br />

Unterstützung ihrer eigenen Parteifre<strong>und</strong>e rechnen konnten.<br />

Wenn es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch nur wenige gab, die<br />

meinten, <strong>das</strong>s die Gräuel des Krieges <strong>und</strong> die Schuldfrage nachgeprüft werden<br />

müssten, so ist es doch bemerkenswert, <strong>das</strong>s es sich hierbei vor allem um rechts<br />

stehende Menschen handelte <strong>und</strong> <strong>das</strong>s diese sich dabei stützten auf jene<br />

Gr<strong>und</strong>sätze, in deren Namen die Intellektuellen der Linken fünf<strong>und</strong>zwanzig<br />

Jahre vordem den Vertrag von Versailles abgelehnt hatten. Demgegenüber, was<br />

nicht weniger bemerkenswert ist, hielt es jetzt - nach 1945 - die überwältigende<br />

Mehrheit der Linksintellektuellen für erforderlich, Nürnberg zu bejahen <strong>und</strong> zu<br />

10


verherrlichen <strong>und</strong> zwar auf Gr<strong>und</strong> von Prinzipien, die damals von der Linken als<br />

reaktionär verworfen wurden. Es gab hier jedenfalls einen ganz erstaunlichen<br />

Frontwechsel <strong>und</strong> dieser Frontwechsel brachte auch für mich persönlich ein<br />

Drama mit sich. Obwohl ich politisch geb<strong>und</strong>en war, blieb ich den Kategorien<br />

der Geschichtswissenschaft treu. <strong>Die</strong> Linke war meine geistige Heimat. Mein<br />

Verstand fühlte sich zu Hause in einem Sozialismus, der vor allem humanistisch<br />

eingestellt war, der seine Hoffnung schöpfte aus einer Deutung der historischen<br />

Tatsachen, der versuchte, durch ruhige Beobachtung zu einem objektiven Bild<br />

vom Weltgeschehen zu gelangen. Ich weiß nicht, welcher Teufel die<br />

Linksintellektuellen dazu bewegte, sich zuerst angesichts des Krieges, dann in<br />

der Widerstandsbewegung, jene nationalistischen Auffassungen zu eigen zu<br />

machen, die die Intellektuellen der Rechten, sogar die der äußersten Rechten,<br />

schon lange aufgegeben hatten - aber als <strong>das</strong> geschah, litt ich darunter ebenso<br />

sehr als ob meine eigene Familie irgendeine niederträchtige Handlung begangen<br />

hätte.<br />

Hatten die Linksintellektuellen den Verstand verloren angesichts der drohenden<br />

Gefahr oder war es eine bewusste Selbstverneinung?<br />

Da ich ohne Hoffnung nicht leben konnte, entschied ich mich für die erste<br />

Möglichkeit. Aber als die Gefahr vorüber war - als wir den Preis bezahlt hatten,<br />

den wir durch die Haltung dieser Linksintellektuellen hatten bezahlen müssen,<br />

<strong>das</strong> heißt, als wir den Krieg ertragen hatten - als dann die St<strong>und</strong>e der<br />

Abrechnung gekommen war <strong>und</strong> ich entdeckte, <strong>das</strong>s diese Menschen, weit<br />

davon entfernt, zu ihren Traditionen <strong>und</strong> ihren Gr<strong>und</strong>sätzen zurückzukehren, nur<br />

versuchten, durch unhaltbare Thesen die unhaltbaren politischen Stellungen, die<br />

sie eingenommen hatten, zu verteidigen - <strong>das</strong>s sie nicht zögerten, die<br />

historischen Tatsachen zu entstellen <strong>und</strong> sogar bei Dokumenten vor<br />

Hineininterpretieren, vor spitzfindigem Auslegen, vor Fälschungen <strong>und</strong> vor der<br />

Fabrikation von Schriftstücken nicht Halt machten, da wusste ich, <strong>das</strong>s meine<br />

Hoffnung getrogen hatte <strong>und</strong> <strong>das</strong>s sie tatsächlich sich selbst bewusst verneint<br />

hatten!<br />

Im gleichen Augenblick wusste ich auch, <strong>das</strong>s weder meine politische <strong>und</strong><br />

philosophische Überzeugung, noch mein Respekt vor der geschichtlichen<br />

Wahrheit <strong>und</strong> vor mir selber es mir je erlauben würden, an dieser<br />

Selbstverneinung teilzunehmen - oder auch nur den Schein zuzulassen, <strong>das</strong>s ich<br />

daran Anteil gehabt hätte.<br />

Es war ein Zusammenbruch. Auf ethischem <strong>und</strong> geistigem Gebiet ebenso total<br />

wie auf wirtschaftlichem <strong>und</strong> gesellschaftlichem. In jeder Hinsicht musste<br />

wieder bei Null angefangen werden: die Tatsachen mussten Stück für Stück<br />

betrachtet werden, ihr Wahrheitsgehalt musste untersucht werden, um sie dann<br />

in ihren richtigen geschichtlichen Rahmen zu stellen. Das ist eine Arbeit, die<br />

eine Generation dauern wird, dachte ich, denn noch immer wollte ich hoffen.<br />

Wenn ich sofort mit der Arbeit anfange, fügte ich hinzu, dann kann ich vielleicht<br />

11


... Ich begann daher mit jener geschichtlichen Tatsache, über die ich glaubte, am<br />

besten informiert zu sein, weil ich sie am eigenen Leibe erfahren hatte: <strong>das</strong><br />

Phänomen der Konzentrationslager. Da es im Mittelpunkt des öffentlichen<br />

Interesses stand, da alle Diskussionen immer wieder darauf zurückkamen, wird<br />

man begreifen, <strong>das</strong>s ich den Augenblick dazu für einmalig geeignet hielt. Mein<br />

Buch "Le Mensonge d'Ulysse'' war daher die erste Tat, mit der ich meine Treue<br />

gegenüber den Gr<strong>und</strong>sätzen der Linken aus dem Jahr 1919 unter Beweis stellte.<br />

Nach zehn Jahren folgte als zweiter Beweis die Ergänzung, "Ulysse trahi par les<br />

siens". *<br />

Hier ist nun der dritte.<br />

Nach der Analyse die Synthese: in dem vorliegenden Buch habe ich versucht,<br />

<strong>das</strong> Phänomen der Konzentrationslager wieder in die geschichtlichen<br />

Zusammenhänge einzusetzen, in die es gehört, also in den Rahmen des Zweiten<br />

Weltkrieges. Weil in meinen Augen die Urteile, die sich auf Dokumente stützen,<br />

die zuverlässigsten sind, war ich der Ansicht, <strong>das</strong>s diese Zusammenhänge am<br />

klarsten aus einer Gegenüberstellung der Materie der dreizehn Nürnberger<br />

Prozesse - sowie des vierzehnten, den man in Jerusalem abhielt - <strong>und</strong> des<br />

Versailles Vertrages, deutlich werden.<br />

Um es dem Leser leichter zu machen, berichte ich nicht chronologisch, sondern<br />

indem ich den Strom der Geschichte zurückverfolge.<br />

Paris, Februar 1962<br />

Paul Rassinier<br />

________________<br />

* Le Mensonge d'Ulysse, deutsch: "<strong>Die</strong> Lüge des Odysseus". "Ulyise trahi par les siens" deutsch; "Was nun,<br />

Odysseus?", beide Damm-Verlag, München.<br />

12


TEIL I: NÜRNBERG<br />

1. VON STALINGRAD NACH NÜRNBERG<br />

Frühling 1942. <strong>Die</strong> Wiederaufnahme der Großoffensive - vor Moskau seit<br />

Dezember liegen geblieben - ist im Gang. Alles ist bis ins einzelne vorbereitet, -<br />

zumindest haben Hitler <strong>und</strong> sein Generalstab auch nicht die leiseste<br />

Befürchtung, <strong>das</strong>s es sich diesmal anders entwickeln könnte.<br />

In der Tat, die Wiederaufnahme <strong>und</strong> der Gesamtplan der Operationen sind gut<br />

durchdacht. Etwas wagemutig, wenn nicht gar verwegen oder ehrgeizig, - alles<br />

in einem: Auf Hitlers Art - <strong>und</strong> ist die nicht erprobt?<br />

Es stimmt, es gab jenen Rückschlag vor Moskau. Ohne <strong>das</strong>s sie es allzu ernst<br />

nehmen, geben die Bestinformierten die Schuld daran dem anarchischen <strong>und</strong><br />

unerwarteten Einschreiten Mussolinis in Griechenland; dieser italienische<br />

Feldzug hat im letzten Augenblick die rechte Flanke des ursprünglichen Plans<br />

entblößt. Einen Monat lang waren die deutschen Armeen damit beschäftigt,<br />

Schäden auszubessern; um die gleiche Zeitspanne wurde der Anfang der<br />

Operationen verzögert <strong>und</strong> dadurch konnte der russische Winter die Panzer des<br />

General Guderian überr<strong>und</strong>en. Nichtinformierte Kreise, <strong>das</strong> heißt <strong>das</strong> Volk,<br />

glauben nicht einmal an einen Rückschlag; schlimmstenfalls sehen sie darin<br />

einen banalen, kaum ernstzunehmenden Zwischenfall. Um die Popularität <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong> Vertrauen, <strong>das</strong> Hitler bei den Deutschen genießt, anzutasten, ist viel mehr<br />

nötig: Der vernichtende Münchener Putsch 1923 hat es nicht vermocht, <strong>und</strong> in<br />

den seither verflossenen zwanzig Jahren hat er eine ununterbrochene Folge<br />

eklatanter, häufig spektakulärer Siege aneinander gereiht. Unbesiegt ist er, unbesiegbar,<br />

was er auch anfangen möge ...<br />

Zuerst werden sich also die deutschen Armeen auf die Linie Murmansk -<br />

Moskau - Stalingrad - Astrachan zu bewegen. Und die Russen? Abgeschnitten<br />

von dem Nachschub an Material, Verpflegung <strong>und</strong> Medikamenten, der ihnen<br />

von den Alliierten über Murmansk <strong>und</strong> besonders auf der Wolga über Iran <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong> Kaspische Meer 1 geliefert wird, ihrer Energiequellen im Kaukasus beraubt,<br />

werden die russischen Armeen angesichts der Einbrüche in ihre Front <strong>und</strong> der<br />

Desorganisation ihres Verteidigungs-Systems keine andere Wahl haben als sich<br />

abzusetzen <strong>und</strong> keine andere Hoffnung, als sich neuformieren zu können, - am<br />

Ural - ihrer letzten (<strong>und</strong> nächsten) strategischen Rückzugsstellung <strong>und</strong><br />

gleichzeitig ihrem letzten Lebenszentrum. Aber diese Absetzbewegung will der<br />

deutsche Generalstab von Anfang an in eine Niederlage verwandeln: Den Ural<br />

werden Guderians Panzer vor den Russen erreichen. Wenn die russische Armee<br />

nach Sibirien abgedrängt <strong>und</strong> mit all ihrem Material gefangen ist, ob mit oder<br />

ohne Kapitulation, wird <strong>das</strong> eroberte Russland kampfunfähig sein.<br />

Für den Durchbruch ist Stalingrad, Riegel zum Kaspischen Meer <strong>und</strong><br />

Angelpunkt der russischen Strategie, vorgesehen. Dann sollen den Westmächten<br />

13


wieder Friedensverhandlungen angeboten werden <strong>und</strong> wenn diese ebenso wenig<br />

angenommen werden wie 1940 von den Engländern, wird von Stalingrad aus die<br />

zweite Stufe der Operationen beginnen mit dem Ziel, die in Russland<br />

kämpfenden Armeen in Basra am Persischen Golf mit den in Nordafrika unter<br />

Marschall Rommel operierenden zu vereinigen.<br />

Hitler hofft natürlich, nicht bis nach Basra gehen zu müssen, um die<br />

Entscheidung zu erzwingen: Nach der Zerschmetterung Russlands würde<br />

England, um den Verlust des mittleren Orients <strong>und</strong> Ägyptens zu vermeiden (was<br />

den Zusammenbruch seines Commonwealth herbeiführen <strong>und</strong> es zu einem<br />

bloßen amerikanischen Brückenkopf herabdrücken würde) um so sicherer <strong>das</strong><br />

Knie beugen, da es in diesem Falle kaum denkbar ist, <strong>das</strong>s Amerika den Krieg<br />

fortsetzen würde. Deutsche Truppen am Ural <strong>und</strong> in Basra: <strong>das</strong> bedeutet in der<br />

Tat die Beseitigung der letzten Bedenken Spaniens, Frankreichs <strong>und</strong> folglich<br />

auch Nordafrikas. Wirtschaftlich: Eine ungeheure Masse von nahezu 700<br />

Millionen Menschen, die - unter deutscher Kontrolle - über mehr als die Hälfte<br />

der <strong>Reich</strong>tümer der Welt verfügt. Dabei findet ihr Produktionsüberschuss einen<br />

natürlichen Markt in Afrika <strong>und</strong> besonders in dem eroberten Asien. Schutz vor<br />

Amerika bietet Japan. Militärisch: 700 Millionen Lebewesen in eisernem<br />

Harnisch, sicher verschanzt hinter Atlantikwallen <strong>und</strong> Siegfriedlinien aller Art.<br />

Auch im Atomzeitalter eine uneinnehmbare Festung, an der die stärksten<br />

angelsächsischen Angriffswellen zusammenbrechen oder an Erschöpfung<br />

sterben. Alles in allem: <strong>Die</strong> Weltherrschaft.<br />

________________<br />

1 Engländer <strong>und</strong> Russen hatten den Iran besetzt, um für Russland die Nachschublinie durch den Persischen Golf zu<br />

sichern. Dabei verletzten sie die gleichen Rechtsgr<strong>und</strong>sätze, die so häufig verletzt zu haben, sie Deutschland zum<br />

Vorwurf machten.<br />

Oder doch nicht? Wenn England gegen alles anrennt, würde Amerika ihm nicht<br />

in diesem Wahnsinn folgen.<br />

So ist Hitlers Rechnung: Kühn, verwegen <strong>und</strong> ehrgeizig. Aber geht sie<br />

tatsächlich auf? <strong>Die</strong> Zerschmetterung Russlands würde den Krieg beenden.<br />

Anscheinend liegt sie im Bereich seiner Mittel ... Anscheinend!<br />

*<br />

<strong>Die</strong> deutsche Taktik ist nicht konventionell. Hitler hat, obwohl militärischer<br />

Dilettant, <strong>das</strong> Verdienst, begriffen zu haben, <strong>das</strong>s die übermäßige Länge der<br />

Fronten, die so charakteristisch für einen modernen Krieg <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />

Schreckgespenst der Generalstäbe ist, es nicht zulässt, eine Offensive in Form<br />

einer Kombination harmonisch gegliederter Bewegungen auf ein Zentrum <strong>und</strong><br />

seine beiden Flügel zu planen, wie dies für die klassische Strategie Tradition ist.<br />

Auf einer Front von 2000 Kilometern, wie sie als Basis für die Invasion in<br />

14


Russland im Juni 1941 diente, waren die drei klassischen strategischen Punkte<br />

voneinander über Distanzen von 1000 Kilometern entfernt. Offensichtlich ist<br />

dies zu weit, als <strong>das</strong>s sie sich gegenseitig <strong>und</strong> wechselseitig als Stütze dienen<br />

könnten. Mit den Anforderungen eines Blitzkrieges war es unvereinbar, diese<br />

Front in drei oder vier selbständige Gruppen aufzuteilen, mit dem Auftrag, nach<br />

den Regeln der Kunst, in aufeinander folgenden sprunghaften Vormärschen <strong>und</strong><br />

Frontbegradigungen vorzurücken. Hitler wusste, <strong>das</strong>s sich der Faktor Zeit in<br />

ökonomischer Hinsicht zu seinen Ungunsten auswirken würde. Er bildete daher<br />

eine ununterbrochene Linie von Stützpunkten, die solide im Boden befestigt<br />

waren, aus denen pfeilartig Panzerkolonnen hervorschiessen <strong>und</strong> keilartig durch<br />

die Stellungen des Gegners dringen konnten, um sich schließlich 200 <strong>und</strong> mehr<br />

Kilometer hinter seinem Rücken zu vereinigen. Gleichzeitig wurde dieser<br />

Gegner frontal durch Infanterie angegriffen <strong>und</strong> durch die Bomber der Luftwaffe<br />

zerschmettert.<br />

<strong>Die</strong> Ergebnisse waren außergewöhnlich, nicht nur in Polen <strong>und</strong> Frankreich, wo<br />

die Fronten immer verhältnismäßig kurz blieben, sondern auch in Russland: Mit<br />

einem durchschnittlichen Raumgewinn von etwa 1000 Kilometern in 6 Monaten<br />

auf der ganzen Breite dieser immensen Front vorrückend, hatten die deutschen<br />

Armeen auf ihrer Habenseite: zwei Millionen russische Kriegsgefangene, 9000<br />

Kampfwagen, 17.000 Geschütze. Bei der russischen Luftwaffe waren dank dem<br />

Überraschungseffekt mehrere tausend Flugzeuge am ersten Tage durch die<br />

konzentrierten Bombardements der Luftwaffe am Boden zerstört worden.<br />

Russlands außerordentliche Hilfsquellen an Menschen <strong>und</strong> Material waren<br />

bekannt; <strong>das</strong>s dieses Land aber imstande war, sich von einer solchen<br />

Katastrophe zu erholen, hätte keiner der militärischen Fachleute der ganzen Welt<br />

geglaubt. Tatsache ist, <strong>das</strong>s es sich wiederaufraffte <strong>und</strong> <strong>das</strong>s man noch einmal<br />

anfangen musste.<br />

<strong>Die</strong> gerade Linie zwischen Astrachan <strong>und</strong> Murmansk ist 2700 Kilometer lang,<br />

militärisch entwickelt nahezu 3500 Kilometer. Als Hitler sich diese Aufgabe<br />

stellte, wusste er sehr wohl, <strong>das</strong>s die Verlängerung einer Front von 2000<br />

Kilometern um weitere 1500 zuallererst <strong>das</strong> Problem der zahlenmäßigen<br />

Truppenstärke aufwarf. <strong>Die</strong>sem Problem gab er darum auch den Vorrang. Er<br />

beschloss zunächst, in der Kriegsindustrie Gefangene <strong>und</strong> zivile Arbeiter aus der<br />

Bevölkerung der besetzten Gebiete einzusetzen, um so zum Nutzen der Front<br />

<strong>das</strong> Höchstmaß an deutschen Spezialkräften freistellen zu können. Zur<br />

Durchführung dieses Entschlusses war Speer im Februar 1942 zum Minister für<br />

Bewaffnung <strong>und</strong> Munition <strong>und</strong>, auf dessen Vorschlag, Sauckel am 21. März<br />

zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt worden.<br />

Hier war eine kleine völkerrechtliche Schwierigkeit zu überwinden, die<br />

Konventionen von Genf <strong>und</strong> Den Haag verbieten nämlich den Einsatz dieser<br />

Arbeitskräfte in der Kriegsindustrie <strong>und</strong> in militärischen <strong>Die</strong>nsten. 2<br />

________________<br />

15


2 <strong>Die</strong> Konventionen von Genf <strong>und</strong> Den Haag, auf die sich die Staatsanwälte <strong>und</strong> Richter in Nürnberg so häufig<br />

beziehen, sind - wenigstens die Haager Beschlüsse - ziemlich unbekannt. Es ist daher vielleicht sinnvoll, einen<br />

Überblick über den Inhalt dieser Konventionen zu geben. Man kann sie wie folgt zusammenfassen:<br />

-A- Auf Initiative Russlands <strong>und</strong> der Vereinigten Staaten, die die Frage der Rüstungsbeschränkung zu Lande <strong>und</strong> zur<br />

See <strong>und</strong> die der friedlichen Regelung internationaler Streitigkeiten einer Lösung zuführen wollten, fanden in Den Haag<br />

in den Jahren 1899 (18. Mai bis 29. Juli) <strong>und</strong> 1907 (15. Juni bis 18. Oktober) Internationale Konferenzen statt.<br />

-B- An der ersten Konferenz (auf Veranlassung Zar Nikolaus II. zusammengerufen) beteiligten sich alle europäischen<br />

sowie einige amerikanische <strong>und</strong> asiatische Staaten. Insgesamt 27 Nationen. Folgende Konventionen wurden<br />

angenommen:<br />

a) über die Gesetze <strong>und</strong> Bräuche des Landkrieges,<br />

b) über die Anwendung der Genfer Gr<strong>und</strong>sätze vom 22. August 1864 im Seekrieg,<br />

c) über die friedliche Beilegung Internationaler Streitigkeiten. <strong>Die</strong>se Konventionen wurden durch Deklarationen<br />

vervollständigt,, die ebenfalls angenommen wurden, nämlich: Verbot des Abschusses von Geschossen aus Ballons,<br />

Verbot von erstickend wirkenden <strong>und</strong> tödlichen Gasen, Verbot von Geschossen, die im menschlichen Körper<br />

explodieren. Außerdem wurde ein ständiger Internationaler Schiedsgerichtshof (Cour permanente de Justice<br />

internationale) gegründet.<br />

-C- Auf der zweiten Konferenz (abgehalten auf Veranlassung von Theodore Roosevelt, 44 teilnehmende Staaten)<br />

wurden 13 weitere Konventionen angenommen, deren wichtigste zum Inhalt haben: Obligatorisches Schiedsgericht bei<br />

internationalen Streitigkeiten; Landkrieg; Seekrieg; Eröffnung der Feindseligkeiten; Prisen auf See; Besetzung<br />

feindlichen Gebietes usw. Eine Deklaration bezüglich des Abschusses von Geschossen aus Ballons bestätigte die von<br />

1899. Weiter wurde ein Prisengericht vorgeschlagen aber nicht verwirklicht.<br />

-D- In den Jahren 1929 <strong>und</strong> 1930 fanden in Den Haag zwei weitere Konferenzen über die Regelung der<br />

Kriegsschulden von 1914-1918 statt: auf Ihnen wurde der Young-Plan angenommen <strong>und</strong> die Räumung des Rheinlands<br />

beschlossen.<br />

-E- 1945 wurde der Ständige Internationale Gerichtshof aufgelöst <strong>und</strong> durch den Internationalen Gerichtshof (Cour de<br />

Justice Internationale) ersetzt, der durch die Charta der Vereinten Nationen eingerichtet wurde über den Ständigen<br />

Internationalen Schiedsgerichtshof. der erhalten blieb, ist zu sagen, <strong>das</strong>s er in Wirklichkeit nur aus einer Liste von<br />

Schiedsrichtern besteht, aus denen streitende Parteien ein Tribunal auswählen. Aber ihm ist ein Internationales B u r e<br />

a u <strong>und</strong> ein Verwaltungsrat - beide ständig - zur Seite gestellt. Außerdem gibt es <strong>das</strong> Seeprisen-Gericht, <strong>das</strong> 1907<br />

geschaffen wurde. Es ist ein Berufungsgericht zur Prüfung von Entscheidungen nationaler Gerichte, die beauftragt<br />

sind, über Seeprisen in Kriegszeiten zu urteilen <strong>und</strong> festzustellen, ob die Entscheidungen dieser Gerichte in<br />

Übereinstimmung mit den Prisenkonventionen sind. Für <strong>das</strong> Verständnis dieses Buches musste dies gesagt werden.<br />

<strong>Die</strong> Lösung war ziemlich einfach: Russland hatte sich seinerzeit geweigert, diese<br />

Bestimmungen anzuerkennen <strong>und</strong> hatte sie infolgedessen auch nicht eingehalten,<br />

weder in Polen, noch in den Baltischen Staaten; nun konnte es sich<br />

anstandshalber auch nicht darauf berufen. Bezüglich der Länder, die<br />

unterzeichnet hatten, wurde die Frage schon im Oktober 1941 juristisch durch<br />

Verträge auf Regierungsebene geregelt, die erst zum Aufbau von<br />

Freiwilligenorganisationen führten, <strong>und</strong> dann zur gesetzlichen Einführung der<br />

Arbeitsdienstpflicht. 3<br />

________________<br />

16


3 In Frankreich wurden die Gesetze über den Arbeitsdienst erst im Oktober 1942 erlassen.<br />

Zu den so gewonnenen Arbeitskräften konnte man von vornherein, bei<br />

fortschreitender Besetzung Europas, ein bedeutendes Kontingent an<br />

Oppositionellen, Widerstandskämpfern <strong>und</strong> Partisanen hinzurechnen, - Leute<br />

also, die sich selbst außerhalb der Genfer <strong>und</strong> Haager Konventionen gestellt<br />

hatten. Sie wurden von keinem internationalen Statut mehr geschützt <strong>und</strong><br />

konnten daher deportiert <strong>und</strong> in Arbeitslagern eingesetzt werden. In der Tat<br />

begannen im März 1942 Massen-Verschickungen, deren Zahl Eugen Kogon auf<br />

Gr<strong>und</strong> offizieller Unterlagen auf 2.791.000 Deportierte aller Nationalitäten<br />

beziffert hat. 4<br />

________________<br />

4 Nicht einbegriffen sind die Deportationen aus rassischen Gründen <strong>und</strong> die etwa 640000 Zwangsverschickten der<br />

ersten fünf Monate des Jahres 1945.<br />

Weiter verfügte die Regierung auch noch über die vier- bis viereinhalb<br />

Millionen <strong>Juden</strong>, die innerhalb des von den deutschen Armeen besetzten<br />

Gebietes in Europa lebten, <strong>und</strong> nahezu zur Hälfte arbeitsfähig waren. <strong>Die</strong> Lage<br />

der <strong>Juden</strong> war sowohl in juristischer als auch materieller Hinsicht traurig. Seit<br />

1933 waren gegen sie zahlreiche Maßnahmen zunächst auf Gr<strong>und</strong> des in<br />

München am 24. Februar 1920 proklamierten Parteiprogramms ergriffen<br />

worden, dann auf Gr<strong>und</strong> der Rassengesetze, die sich aus den Beschlüssen des<br />

Nürnberger Parteikongresses vom September 1935 ergaben. Hierdurch nahm<br />

ihnen <strong>das</strong> <strong>Dritte</strong> <strong>Reich</strong> nach <strong>und</strong> nach ihre deutsche Staatsangehörigkeit. Da es<br />

keinen jüdischen Staat gab, mit dem man bilaterale Verträge oder - auf Basis<br />

von Genf <strong>und</strong> Den Haag - internationale Verträge abschließen konnte, <strong>und</strong> da<br />

andererseits trotz der wiederholten Angebote der nationalsozialistischen<br />

Regierung kein Land bereit war, sie einwandern zu lassen, oder wenigstens ihren<br />

Schutz zu übernehmen, so lebten sie in Deutschland bis zur Kriegserklärung nur<br />

als ungeschützte Staatenlose. Denn die Staatenlosen waren - <strong>und</strong> sind auch heute<br />

noch - in allen Ländern der Erde der Willkür der Machthaber ausgeliefert. Im<br />

November 1938 entfachte der Mord an dem Gesandtschaftsrat vom Rat in Paris<br />

durch den <strong>Juden</strong> Grynspan in ganz Deutschland eine - im übrigen von oben her<br />

gesteuerte - Welle der Entrüstung, <strong>und</strong> so hatte man sie dem öffentlichen<br />

Wunsche nach Sühne als Opfer vorgeworfen. Ihnen gegenüber wurden - bis<br />

dahin unübliche - Enteignungs-Maßnahmen ergriffen <strong>und</strong> alle Möglichkeiten<br />

genutzt, sie zu einer nichtoffiziellen, halb geheimen Auswanderung zu zwingen.<br />

Zu Beginn der Feindseligkeiten im September 1939 hatten die offiziellen<br />

Vertreter des Jüdischen Weltkongresses - wohl um den Engländern <strong>und</strong><br />

Franzosen ihr langes Zögern vorzuhalten - daran erinnert, <strong>das</strong>s "die <strong>Juden</strong> der<br />

ganzen Welt seit 1933 Deutschland den Wirtschafts- <strong>und</strong> Finanzkrieg erklärt<br />

hätten" <strong>und</strong> <strong>das</strong>s sie "entschlossen seien, diesen Vernichtungskrieg bis zum Ende<br />

17


durchzuführen". Dadurch hatten sie Hitler <strong>das</strong> Recht gegeben, alle die <strong>Juden</strong>, die<br />

sich im deutschen Machtsbereich befanden, ins Konzentrationslager zu stecken,<br />

wie <strong>das</strong> im Kriegsfalle bei allen Staaten gegenüber feindlichen Ausländern<br />

üblich ist. Als der Krieg dann weitere Teile Europas in seinen Bann zog, wurden<br />

die dort lebenden <strong>Juden</strong> wie die deutschen <strong>Juden</strong> behandelt. Als keine Hoffnung<br />

mehr bestand, sie aus Europa auswandern zu lassen - die letzte erlosch Ende<br />

1940 mit dem Scheitern des Madagaskar-Plans - da entschloss man sich, sie in<br />

einem einzigen, gewaltigen Ghetto zusammenzufassen, <strong>das</strong> nach dem Einmarsch<br />

in Russland in den so genannten Ostgebieten, in der Nähe der ehemaligen<br />

russisch-polnischen Grenze lag: Auschwitz, Cheimno, Belzec, Maidanek,<br />

Treblinka usw. Dort sollten sie <strong>das</strong> Ende des Krieges <strong>und</strong> die Wiederaufnahme<br />

internationaler Gespräche abwarten, die ihr Schicksal entscheiden würden. <strong>Die</strong><br />

Ausführungsbestimmungen waren auf der berühmten interministeriellen<br />

Konferenz in Berlin-Wannsee am 20. Januar 1942 festgelegt worden. Der<br />

Transfer hatte im März begonnen. Wenn man berücksichtigt, <strong>das</strong>s es in<br />

Deutschland im Frühling 1942 mindestens 4 Millionen französische, russische,<br />

polnische, jugoslawische Kriegsgefangene gab <strong>und</strong> an die Menschen-Reserven<br />

des bereits eroberten Russland denkt, dann konnte Hitler mit vollem Recht auf<br />

gut 20 Millionen ausländischer Arbeiter zählen. Genug, um Deutschlands<br />

Kriegswirtschaft <strong>und</strong> seine Armee vor jedem Menschenmangel zu schützen.<br />

Zur größeren Sicherheit hatte man zu den 178 ursprünglich im Juni 1941 an der<br />

Ostfront eingesetzten Divisionen weitere 14 Infanterie- <strong>und</strong> 2 Panzerdivisionen<br />

herangezogen, die angesichts der angloamerikanischen Untätigkeit im Westen<br />

nicht notwendig zu sein schienen. <strong>Die</strong> Finnen steuerten 14 Divisionen, die<br />

Rumänen 22, die Ungarn 13, die Italiener 10, die Slowaken <strong>und</strong> Spanier je eine<br />

bei, sind 255 Divisionen. Ausführung: Nördlich Moskau wird ein starker<br />

Stoßkeil, bestehend aus zwei Armeen, die feindlichen Stellungen bis auf Gorki<br />

(Nishni-Nowgorod) an der Wolga durchstoßen; im Süden soll der andere Flügel,<br />

dessen Ziel Stalingrad ist, außerdem die Aufgabe haben, den Kaukasus zu<br />

säubern. Längs der Wolga wird sich die Zange dann schließen im Rücken der<br />

überraschten russischen Armeen, denen sicher nicht mehr die Zeit bleibt, sich<br />

abzusetzen. <strong>Die</strong> Stärke des zweiten Zangenarms war darauf berechnet: 115<br />

Divisionen, beinahe 2.000.000 Mann, 7000 Panzer. Um ihn zu stärken - so<br />

wusste man später zu sagen - hätten Hitler <strong>und</strong> <strong>das</strong> OKW der Mitte <strong>und</strong> dem<br />

Nordflügel Kräfte entziehen müssen: <strong>und</strong> tatsächlich ...<br />

<strong>Die</strong> Schwierigkeiten begannen vor der St<strong>und</strong>e des Angriffs. Gegen jede<br />

Erwartung versuchten die Russen der Offensive zuvorzukommen, indem sie in<br />

den Aufstellungsraum hineinstießen. Im Süden brachte ihnen eine Aktion, die<br />

sie mit aller Macht gegen Charkow unternahmen, zwar eine blutige Niederlage<br />

ein - sie verloren 240.000 Gefangene, mehr als 2000 Geschütze <strong>und</strong> nahezu<br />

1500 Panzer - aber es gelang ihnen dadurch, den Beginn der Offensive bis zum<br />

3. Juli 1942 hinauszuschieben, was Stalingrad zwei Monate Zeit gab, sich auf<br />

18


seine Verteidigung vorzubereiten. Im Norden waren die Erfolge, die sie im<br />

Sommer <strong>und</strong> Herbst errangen, für den Fortgang der Operationen entscheidend.<br />

Nachdem es ihnen gelungen war, durch die Eroberung von Schlüsselburg <strong>das</strong><br />

eingekreiste Leningrad zu entsetzen, konnten sie bis auf Welikje Luki hinter den<br />

Waldai-Höhen vorrücken <strong>und</strong> sich dort verschanzen. Dadurch war es den beiden<br />

deutschen Armeen, die als Stoßkeil auf Gorki vorrücken sollten, nicht mehr<br />

möglich, vorwärts zu kommen. Hier wurde der erste Rechenfehler Hitlers<br />

sichtbar: die Unterschätzung des russischen Kriegspotentials, bedingt durch eine<br />

Unterschätzung der angloamerikanischen Hilfeleistungen <strong>und</strong> der Kapazität der<br />

von Stalin an den Ural <strong>und</strong> nach Sibirien rückverlegten Rüstungsindustrie, die<br />

nach Angaben von Major Bauer in seinem Buch "La guerre des blindes", (Paris<br />

1948) seit Sommer 1942 monatlich 1500 Panzer erzeugen konnten. Darunter<br />

waren zwei neue Typen, der T35 von 40 Tonnen (3 Geschütze, 3<br />

Maschinengewehre, 10 Mann Besatzung) <strong>und</strong> der KW (Klim Woroschilow) von<br />

43 Tonnen, der mit einem 152 mm-Geschütz <strong>und</strong> 4 schweren<br />

Maschinengewehren bestückt war.<br />

Inzwischen war die Offensive der Südarmeen trotzdem mit durchschlagendem<br />

Erfolg in Gang gekommen: Am ersten Tage (3. Juli) war eine 100 Kilometer<br />

breite Bresche geschlagen worden, durch die der dafür vorgesehene Stoßkeil<br />

beinahe 500 Kilometer tief in die feindlichen Stellungen eingebrochen war. Aus<br />

dem rechten Flügel drängte dann eine Kolonne in Richtung auf den Kaukasus,<br />

nach Grosny, wo sie sich mit einer anderen vereinigen sollte, die geradewegs<br />

von der Halbinsel Kertsch kam, aus der die Russen Anfang Juni ins Meer<br />

geworfen waren. Von dort sollten die beiden Kolonnen frontal bis auf Baku<br />

vordringen, <strong>das</strong> Erdölgebiet vom Feinde säubern, an den Ufern des Kaspischen<br />

Meeres bis zur Wolgamündung, <strong>und</strong> dann wolgaaufwärts nach Stalingrad<br />

marschieren.<br />

Rostow fällt am 24. Juli. Am 11. August weht die Hakenkreuzflagge über dem<br />

Elbrus. Am 20. August sprengen die Panzer des Generals von Paulus die<br />

äußeren Verteidigungslinien von Stalingrad <strong>und</strong> bemächtigen sich der<br />

Flugplätze in den Vororten. Am 27. August sind die Bohrtürme von Grosny in<br />

Sicht. Eine Meldung des Deutschen Nachrichten-Büros berichtet triumphierend<br />

über die Gefangennahme von 590.000 Mann <strong>und</strong> die Vernichtung von 5271<br />

Panzern <strong>und</strong> 6142 Geschützen seit Beginn der Offensive.<br />

<strong>Die</strong>ser gigantische Mechanismus hatte bis dahin wie ein Uhrwerk funktioniert.<br />

Plötzlich steht alles still, als ob ein Sandkorn ins Getriebe geraten sei <strong>und</strong> neue<br />

unvorhergesehene Schwierigkeiten entwickeln sich in Kettenreaktionen. In<br />

Wirklichkeit gab es sogar mehrere Sandkörner. Zunächst bemerkte man, <strong>das</strong>s<br />

man nach Stalingrad praktisch nur zu Fuß hinein konnte: Da die Stadt aus sehr<br />

großen Gebäuden aus Eisenbeton bestand, hatten die Bombardements der<br />

Luftwaffe in den Straßen enorme Betonberge aufgehäuft, die den Panzern die<br />

19


Durchfahrt versperrten oder ihren Einsatz nur in sehr beschränkter Anzahl<br />

gestatteten.<br />

Da Stalin in einem verzweifelten Tagesbefehl den Kampf bis zum Tode nach<br />

dem Beispiel der Soldaten Alexanders <strong>und</strong> Kutusows befohlen hatte, war die gut<br />

mit Waffen <strong>und</strong> Munition versehene Garnison nicht evakuiert worden. <strong>Die</strong><br />

Gegenseite musste sich auf eine Eroberung, Ruine nach Ruine, mit Messer <strong>und</strong><br />

Handgranate, gefasst machen, wozu geeignete zusätzliche Kräfte <strong>und</strong> viel Zeit<br />

notwendig sein würden. In der Tat verwendete man den Monat September zur<br />

Vorbereitung des Angriffs <strong>und</strong> den Oktober zu seiner Durchführung Zu der<br />

gleichen Zeit waren die Kaukasus-Kolonnen durch ein noch weniger erwartetes<br />

Hindernis aufgehalten worden: <strong>Die</strong> Weite des russischen Raumes. 150<br />

Kilometer vor Grosny, einige Tage vor der Hissung der Fahne auf dem Elbrus,<br />

telegraphierte der die Operation kommandierende General von Kleist an <strong>das</strong><br />

OKW: "Vor mir kein Feind, hinter mir kein Nachschub". Krise des rollenden<br />

Materials oder Krise der Produktion <strong>und</strong> wahrscheinlich bereits schon beide<br />

zugleich: Lebensmittel, Munition <strong>und</strong> besonders der für die Panzer notwendige<br />

Treibstoff blieben aus. Hier hatten sich die Russen mit Fahrgeschwindigkeit<br />

abgesetzt. Später erfuhr man, <strong>das</strong>s sie sich auf eine Stahl-Front von mehr als 100<br />

Kilometer Tiefe zurückziehen wollten, die sich an <strong>das</strong> Kaspische Meer anlehnte<br />

<strong>und</strong> deren zwei äußere Grenzen die Linie Grosny-Baku im Süden <strong>und</strong> die Wolga<br />

von Stalingrad bis zur Mündung im Norden waren.<br />

<strong>Die</strong> so geschaffene Lage gab Probleme auf. Da die Nordoffensive nicht in<br />

Richtung auf Gorki vorgetrieben werden konnte, waren die Russen nicht<br />

gezwungen, sich im Sektor Moskau zurückzuziehen, <strong>und</strong> der tiefe Keil von<br />

Stalingrad, der gleicherweise zu lang <strong>und</strong> zu schmal geworden war, fand sich<br />

nun zwischen den zwei Armen einer Zange, deren Griff um die aus 19<br />

Divisionen - 330.000 Mann! - bestehende Vorhut des Generals von Paulus nur<br />

durch eine beträchtliche Verstärkung der Truppen, des Artillerieschutzes <strong>und</strong> der<br />

Luftwaffeneinsätze hätte gelöst werden können.<br />

Schon als der Oberkommandierende der Südfront, von Bock, zum ersten Mal<br />

Verstärkungen anforderte, wurde klar, <strong>das</strong>s nicht genug Truppen, Material,<br />

Waffen <strong>und</strong> Munition zur Verfügung standen.<br />

Um nur ein Beispiel anzuführen: <strong>Die</strong> Luftwaffe, deren Rolle entscheidend war,<br />

hatte die Luftherrschaft verloren ... Es gab nur eine Möglichkeit: Den Rückzug.<br />

<strong>Die</strong> Verantwortlichen auf dem Kriegsschauplatz sahen keine andere Lösung,<br />

<strong>und</strong> auch später sind alle Strategen der Welt der Ansicht gewesen, <strong>das</strong>s es keine<br />

andere gab. Selbst ein Rückzug hätte den weiteren Verlauf der Ereignisse nicht<br />

wesentlich mehr ändern können, außer in Hinblick auf die Dauer des deutschen<br />

Zusammenbruchs, die höchstens verzögert werden konnte. Hitler dekretierte<br />

jedoch, <strong>das</strong>s es sich nur um eine Anpassung der Gesamtproduktion an die<br />

militärischen Notwendigkeiten handele, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Problem einfach sei, <strong>das</strong>s es in<br />

20


kurzer Zeit gelöst werde <strong>und</strong> <strong>das</strong>s man sich bis dahin mit Improvisationen<br />

durchhelfen müsse.<br />

Das Problem war tatsächlich ziemlich einfach. Aber es handelte sich um ein<br />

politisches Problem <strong>und</strong> es scheint, <strong>das</strong>s Hitler, obwohl von Natur aus wenig für<br />

politische Mittel eingenommen, die Gegebenheiten erkannte, während die<br />

Männer, die er damit beauftragte, an Ort <strong>und</strong> Stelle die nötigen Konsequenzen<br />

zu ziehen, diese - politischen - Tatsachen gar nicht berücksichtigten. Wenn man<br />

dem Tagebuch des Generals Halder Glauben schenken will, hätte Hitler in einer<br />

Rede am 30. März 1941, vor einer Versammlung von Generalen seine<br />

politischen Absichten in Russland so definiert: Nordrussland wird an Finnland<br />

angegliedert. Protektorate: <strong>Die</strong> Baltischen Staaten, die Ukraine, Weißrussland.<br />

Und am 17. Juli 1941, nachdem der deutsch-russische Krieg ausgebrochen war,<br />

präzisierte Rosenberg bei der Übernahme seines Postens als Minister für die<br />

besetzten Ostgebiete, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Ziel sei: die Zergliederung Russlands in seine<br />

Bestandteile, die unabhängigen Staaten oder B<strong>und</strong>esstaaten Ukraine, Ruthenien,<br />

Russland <strong>und</strong> Kaukasus. Im Absatz Besondere Fälle bestimmte die Richtlinie 21<br />

(Fall Barbarossa: Plan der Besetzung Russlands): "In den russischen Gebieten<br />

sollen, sobald dort keine Kämpfe mehr stattfinden, Staaten mit eigener<br />

Regierung gemäß besonderen Richtlinien konstituiert werden."<br />

<strong>Die</strong>se Erklärungen <strong>und</strong> Anweisungen wurden durch die <strong>Die</strong>nststellen<br />

Rosenbergs <strong>und</strong> die Geheimagenten Canaris' unter der Bevölkerung vorbereitet<br />

<strong>und</strong> weckten bei den traditionell moskaufeindlichen <strong>und</strong> noch mehr<br />

antibolschewistischen Balten, Ruthenen, Ukrainern <strong>und</strong> Kaukasiern die<br />

Hoffnung auf die Gewinnung oder Wiedergewinnung ihrer Unabhängigkeit<br />

durch die Deutschen. <strong>Die</strong>se wurden daher zuerst als Befreier begrüßt. In der<br />

Praxis hätten diese Staaten nicht nur der deutschen Wirtschaft die Arbeitskräfte,<br />

mit denen Hitler rechnete, sondern auch unabhängige Legionen, die an seiner<br />

Seite gekämpft hätten, geliefert. Das war eine beinahe unerschöpfliche Quelle<br />

für Freiwillige. Sie war es am Anfang. Man schickte die Leute nach Deutschland<br />

mit Kontrakten auf 9 Monate oder ein Jahr. Doch dann wurden es immer<br />

weniger <strong>und</strong> dann kehrten diejenigen, die auf Urlaub in die Heimat kamen, nicht<br />

wieder nach Deutschland zurück, denn die Versicherungen Rosenbergs <strong>und</strong> die<br />

Anweisungen Hitlers waren Papier geblieben. <strong>Die</strong> Lebensbedingungen, die den<br />

Völkern im Osten seitens der Polizei-<strong>Die</strong>nststellen Himmlers, der Gauleiter <strong>und</strong><br />

Protektoratsleiter zugestanden wurden, bewirkten einen Umschwung der<br />

öffentlichen Meinung <strong>und</strong> verwandelten die Sympathie in Feindschaft.<br />

<strong>Die</strong>s um so mehr, als man auf Veranlassung des Wirtschaftsministeriums <strong>und</strong><br />

des Ministeriums für den Vierjahresplan die bolschewistischen<br />

Besitzverhältnisse in der Landwirtschaft (Kolchosen <strong>und</strong> Sowchosen), die<br />

diesen Völkern ein Gräuel waren, beibehalten hatte. Aus allen diesen Gründen<br />

<strong>und</strong> noch anderen, wie die Ablehnung selbständiger Truppenteile (der<br />

übergelaufene General Wlassow musste beispielsweise zwei ganze Jahre<br />

21


verhandeln, bevor er die Erlaubnis bekam, zwei Armeen in der Ukraine<br />

auszuheben) mussten die <strong>Die</strong>nststellen Sauckels, die dort mit der Anwerbung<br />

von Arbeitskräften beauftragt waren, wahre Menschenjagden veranstalten. Und<br />

<strong>das</strong> gleiche galt für den Westen, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Als der<br />

sowjetische Staatsanwalt Alexandrow am 31. Mai 1946 in Nürnberg den<br />

Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Sauckel verhörte, erklärte<br />

dieser, <strong>das</strong>s sich unter den 30 Millionen ständig in der deutschen<br />

Kriegswirtschaft beschäftigten Personen zu keiner Zeit mehr als 5 Millionen<br />

Fremdarbeiter bef<strong>und</strong>en hatten (ohne die Kriegsgefangenen <strong>und</strong><br />

Konzentrationslagerinsassen). Am Tage vorher hatte er 10 Millionen zugeben<br />

sollen, aber diese Ziffer hatte er nur unter der Bedingung akzeptiert, <strong>das</strong>s in ihr<br />

die Kriegsgefangenen mit eingeschlossen sein sollten. Da sichere Unterlagen<br />

fehlen, riskiert man nichts, wenn man annimmt, <strong>das</strong>s der Ankläger mit Absicht<br />

übertrieb, während der Angeklagte Interesse hatte, die Zahl zu verkleinern.<br />

Wenn wir selbst eine ungefähre Schätzung machen <strong>und</strong> dabei die<br />

Konzentrationslagerinsassen berücksichtigen, dann möchten wir sagen, <strong>das</strong>s es<br />

zu einer gegebenen Zeit in Deutschland zwischen 12 <strong>und</strong> 13 Millionen<br />

Fremdarbeiter gegeben hat, d. h. etwas mehr als 10 <strong>und</strong> etwas weniger als die<br />

Hälfte der gesamten Arbeitskräfte. Mit dieser Schätzung liegen wir<br />

höchstwahrscheinlich nicht weit von der Wirklichkeit. Das war schon<br />

außerordentlich viel, aber entsprach doch bei weitem nicht Hitlers Hoffnungen<br />

<strong>und</strong> den vorhandenen Möglichkeiten.<br />

Eine weitere Unannehmlichkeit: Zur nicht genügenden Zahl kam die<br />

ungenügende Qualität. <strong>Die</strong>se von überall her zusammengerafften Arbeitskräfte<br />

waren keine gelernten Arbeiter <strong>und</strong> es war nicht möglich, aus ihnen eine<br />

ausreichende Anzahl Spezialisten zu gewinnen um jene zu ersetzen, die infolge<br />

des Menschenbedarfs der Front fehlten. Was schließlich die Produktion angeht,<br />

so war die Leistung der Kriegsgefangenen im großen <strong>und</strong> ganzen zwar nicht<br />

sehr weit von der Norm entfernt aber doch unterdurchschnittlich; die Leistung<br />

der Zwangsarbeiter, die außerdem noch den Polizeimaßnahmen Himmlers<br />

ausgesetzt waren, war sehr gering - <strong>und</strong> die Leistung der KZ-Insassen, die unter<br />

schauderhaften Bedingungen lebten, war fast gleich Null. Dazu kam noch die<br />

Sabotage ...<br />

Einerseits also wurde Sauckels Aufgabe zu einem halben Misserfolg,<br />

andererseits leistete ein so bedeutender Teil der Arbeiter sehr wenig, - sei es,<br />

weil es sich nicht um qualifizierte Kräfte handelte, sei es, weil <strong>das</strong> Regime die<br />

Menschen unter solchen Bedingungen leben ließ, <strong>das</strong>s sie einfach nicht viel<br />

leisten konnten, sei es, <strong>das</strong>s sie aus verständlichen Gründen zur Sabotage<br />

neigten. Angesichts dieser schweren Behinderungen war es klar, <strong>das</strong>s man jede<br />

Hoffnung abschreiben musste, jemals solche Menschenmassen für die Front<br />

freizumachen <strong>und</strong> solche Produktionszahlen zu erzielen, wie es so gewaltige<br />

militärische Operationen erforderten. Ein weiterer Gr<strong>und</strong>, warum sich diese<br />

22


gewaltigen Sollzahlen nicht erreichen ließen, war die unerhörte Vergeudung von<br />

Arbeitskräften, deren sich <strong>das</strong> Regime - jedenfalls bei der Durchführung der<br />

Anordnungen - bewusst schuldig machte: die nicht aus rassischen Gründen<br />

eingesperrten KZ-Häftlinge starben in einem katastrophalen Tempo - nicht<br />

durch die Arbeit, zu der sie gezwungen wurden, sondern durch die schlechte<br />

Behandlung; <strong>und</strong> während sich für den deutschen Produktionsapparat sehr<br />

schwere Belastungen ergaben aus den Maßnahmen gegen die vier bis<br />

viereinhalb Millionen <strong>Juden</strong>, wurde die Arbeitskraft dieser Menschen im<br />

Rahmen dieses Produktionsapparates nie richtig eingesetzt.<br />

*<br />

Auf der russischen Seite dagegen war die Erholung seit Oktober 1942<br />

offensichtlich: Den 255 Divisionen der Achse konnte sie beinahe 300 ganz<br />

frische <strong>und</strong> ebenso gut, wenn nicht besser ausgerüstete Einheiten<br />

entgegenstellen. Ihre Luftwaffe beherrschte den Himmel. Bei der Artillerie<br />

hatten sie eine sehr wirksame Taktik der konzentrierten Feuerüberfälle<br />

entwickelt, die von dem General Woronow vorgeschlagen war; <strong>das</strong> war für <strong>das</strong><br />

deutsche Oberkommando der Wehrmacht eine sehr schmerzliche Überraschung.<br />

General Woronow erklärte seit langem, <strong>das</strong>s die Artillerie, solange sie auf<br />

Armee- oder Divisionsebene zur Vorbereitung <strong>und</strong> zum Feuerschutz eingesetzt<br />

wurde, nie die Rolle spielen konnte, die man von ihr erwarten durfte. Wenn man<br />

sie aber beispielsweise in selbständige Divisionen zusammenfasste <strong>und</strong> dem<br />

direkten Befehl des Oberbefehlshabers unterstellte, dann könnte man sie, da sie<br />

beweglicher wäre, leichter im Bereich der ganzen Front einsetzen <strong>und</strong> sie vor<br />

allem als Sperrartillerie verwenden, deren Aufgabe es war, vor den feindlichen<br />

Kolonnen, <strong>und</strong>urchdringliche "Artillerie-Mauern" zu errichten.<br />

Das russische Oberkommando studierte Woronows Theorie mit dem Ergebnis,<br />

<strong>das</strong>s der General Ende Oktober 1942 an der Spitze von einigen zehn Divisionen<br />

- genau 34 Regimentern Artillerie - gestellt wurde, die den Befehl hatten, sofort<br />

mit der Abschnürung des feindlichen Stoßkeils vor Stalingrad auf dem rechten<br />

Don-Ufer zu beginnen. Für einen Probeschuss war es ein Meisterschuss. Unter<br />

dem Schutze der errichteten 'Mauer', die Paulus radikal von seinen<br />

Versorgungsbasen abschnitt, konnten sich 150 russische Divisionen, teils aus<br />

dem Norden, teils aus dem Süden unter dem Kommando von Woroschilow am<br />

Don in Höhe von Stalingrad, vereinigen. Am 22. November war die Operation<br />

beendet <strong>und</strong> die 19 Divisionen unter von Paulus (darunter 8 Panzerdivisionen)<br />

fanden sich zwischen Don <strong>und</strong> Wolga eingekesselt, der Vernichtung geweiht,<br />

wenn es nicht gelang, sie zu entsetzen.<br />

Das OKW versuchte, dies zu tun <strong>und</strong> zwar am 12. Dezember 1942 mit nur 8<br />

unter großen Mühen zusammengezogenen Divisionen, die Woroschilow im<br />

Handumdrehen erledigen konnte. Zu gleicher Zeit überquerten die Russen den<br />

23


zugefrorenen Don nördlich von Stalingrad, trieben die Deutschen <strong>und</strong> Italiener<br />

um 100 Kilometer zurück <strong>und</strong> zerschlugen damit für immer jede Hoffnung,<br />

Paulus zu befreien. <strong>Die</strong>sem blieb von nun an nur noch die Kapitulation übrig ...<br />

Jedoch, Kapitulieren bedeutete große russische Massen frei zu machen <strong>und</strong> es<br />

ihnen zu ermöglichen, die schon schwer erschütterte Front anzugreifen. Sie<br />

konnten beispielsweise auf Rostow zustoßen, es nehmen <strong>und</strong> auf diese Weise<br />

die Kaukasus-Armeen von ihren Basen abschneiden. Hitler indessen hatte nicht<br />

die Hoffnung verloren, die Lage ziemlich rasch wieder zu verbessern. Seiner<br />

Ansicht nach genügte es, wenn Paulus die verhältnismäßig kurze Zeit<br />

standhielte, die nötig war, um alles in Ordnung zu bringen. Er gab daher den<br />

Befehl: "Standhalten bis zum letzten Mann".<br />

Von allem abgeschnitten <strong>und</strong> in einer Weltuntergangsstimmung hielt Paulus bis<br />

zum Äußersten stand, obwohl er durch <strong>das</strong> konzentrierte Feuer Woronows <strong>und</strong><br />

die russischen Bomber zermalmt wurde <strong>und</strong> Verpflegung, Treibstoff, Munition<br />

<strong>und</strong> Medikamente fehlten. Am 2. Februar 1943, nach 5 Monaten wütender<br />

Kämpfe, davon zweieinhalb in einem höllischen Kessel eingesperrt, kapitulierte<br />

die Armee Paulus <strong>und</strong> ließ 240.000 Gefallene auf dem Felde; sie war bis auf<br />

90.000 Mann (darunter 23 Generale) aufgerieben <strong>und</strong> verlor 1600 Panzer, 6700<br />

Geschütze, 70.000 Last- <strong>und</strong> Personenwagen.<br />

Von da ab überstürzten sich die Ereignisse. Man musste den Kaukasus in<br />

Gewaltmärschen <strong>und</strong> ohne Halt räumen um zu verhindern, <strong>das</strong>s die Truppen von<br />

Kleists ihrerseits durch die unvermeidbare Einnahme von Rostow abgeschnitten<br />

wurden; Rostow fiel am 13. Februar, am 16. rückten die Russen im Triumphzug<br />

in Charkow ein, <strong>das</strong> die Deutschen später mit übermenschlicher Anstrengung<br />

<strong>und</strong> ohne je weiter vorrücken zu können, Anfang März noch einmal einnahmen,<br />

wobei sie 22 Divisionen einsetzten, die sie recht unvorsichtigerweise von der<br />

Westfront abgezogen haben; am 31. März hatte die Rote Armee die Wehrmacht<br />

weit über ihre Ausgangsstellungen vom Frühling 1942 zurückgeworfen.<br />

Inzwischen haben die amerikanischen Truppen, die am 8. November 1942 unter<br />

dem Oberbefehl von General Eisenhower ohne einen Schuss in Nordafrika<br />

gelandet waren, Tunis erreicht <strong>und</strong> haben die Verbindung mit dem schwarzen<br />

Afrika hergestellt. Das deutsche Afrika-Korps unter Rommel hatte die<br />

Engländer bis Sollum auf ägyptischen Boden zurückgedrängt, aber nach<br />

zweimaligem Hin <strong>und</strong> Her zwischen Tripolis <strong>und</strong> Benghasi (in Afrika<br />

funktionierte der Nachschub nicht besser als im Kaukasus), wurde es zum<br />

dritten Mal zurückgedrängt, diesmal von den Engländern unter Montgomery <strong>und</strong><br />

bis zur tunesischen Grenze. Dort fand es sich nun zwischen zwei Feuern <strong>und</strong><br />

war nach kurzer Zeit unwiderruflich zur Einschiffung nach Sizilien <strong>und</strong> Italien<br />

verurteilt.<br />

Im Pazifik hatten die Amerikaner zuerst 1941 eine Reihe schmerzlicher Schläge<br />

von den Japanern einstecken müssen, dann aber im Laufe des Jahres 1942 ihre<br />

See-Überlegenheit wieder gef<strong>und</strong>en. An der europäischen Westfront ist<br />

24


Deutschland nicht mehr imstande, sie daran zu hindern, England zum<br />

Brückenkopf auszubauen, von dem die Flüge der schweren Bomber, der<br />

Liberators, ausgehen, die sofort berühmt wurden durch ihre Taktik, die sich mit<br />

dem Wort "Bombenteppich" umschreiben lässt.<br />

Anfang April 1943 ist der Krieg von den Alliierten praktisch gewonnen, sie<br />

können jedenfalls sicher sein, <strong>das</strong>s sie gewinnen - <strong>und</strong> es ist Zeit für sie, an die<br />

Organisation des Nachkriegseuropa <strong>und</strong> der Nachkriegswelt zu denken: <strong>Die</strong> Ära<br />

der Konferenzen beginnt. Der Wahrheit gemäß ist festzustellen, <strong>das</strong>s man bereits<br />

viel früher versucht hatte, diese Ära anbrechen zu lassen. Es ist kaum<br />

übertrieben zu sagen, <strong>das</strong>s der erste Gegenstoß der Vereinigten Staaten auf die<br />

Kriegserklärung Japans <strong>und</strong> später Deutschlands eine Manifestation in dieser<br />

Richtung war: Am 1. Januar 1942 findet eine Konferenz der Vertreter von<br />

fünf<strong>und</strong>zwanzig Nationen statt, die entweder den Achsenmächten den Krieg<br />

schon erklärt haben oder aber dazu bereit sind - <strong>und</strong> diese Nationen bilden den<br />

Kern der späteren Vereinten Nationen.<br />

An diesem Tage war es nicht möglich gewesen, über eine "gemeinsame <strong>und</strong><br />

feierliche Verpflichtung, den Krieg gegen die Achsenmächte solidarisch <strong>und</strong> bis<br />

zum Ende zu führen, hinauszukommen. Seitdem war nichts mehr in diesem<br />

Sinne versucht worden. <strong>Die</strong> so verpflichteten Alliierten hatten sich in der Praxis<br />

als viel weniger "feierlich <strong>und</strong> solidarisch" erwiesen, als sie erklärt hatten. Auf<br />

den Angloamerikanern lastete in der Tat die Erinnerung an den deutschrussischen<br />

Vertrag, <strong>und</strong> sie hatten <strong>das</strong> begründete Gefühl, <strong>das</strong>s Stalin zu allen<br />

politischen Schlichen fähig wäre. Erst nach dem Kriege hat man durch diskrete<br />

Anspielungen einiger hochgestellter Zeugen <strong>und</strong> durch die Enthüllungen Peter<br />

Kleists 5 erfahren, <strong>das</strong>s Stalin während des ganzen Jahres 1942 <strong>und</strong> sogar nach<br />

Stalingrad mehrfach versucht hat, Separatfriedensverhandlungen mit<br />

Deutschland über Finnland oder Schweden anzubahnen <strong>und</strong> <strong>das</strong>s die Anglo-<br />

Amerikaner davon Wind bekommen hatten.<br />

________________<br />

5 Dr. Peter Kleist "Zwischen Hitler <strong>und</strong> Stalin 1939-1945", Bonn 1950.<br />

<strong>Die</strong> Russen waren sich vollkommen klar über die Tatsache, <strong>das</strong>s Hitler, am Ende<br />

seiner Weisheit, ihnen nur den Krieg erklärt hatte, um den Westen zu einem<br />

Kompromiss zu zwingen; selbst nach der amerikanischen Landung in<br />

Nordafrika rechneten sie noch immer mit der Möglichkeit eines deutschen<br />

Erfolges, um so mehr als die Anglo-Amerikaner offensichtlich zögerten,<br />

ernsthaft eine zweite Front im Westen zu errichten. Erst im Frühling 1943 fand<br />

diese zweideutige Situation ein Ende, da die Achse von da an offensichtlich die<br />

militärische Initiative nicht mehr an sich reißen konnte <strong>und</strong> praktisch besiegt<br />

war. Trotzdem musste man noch die Bestätigung dieser Gewissheit durch die<br />

Vertreibung der Deutschen <strong>und</strong> Italiener aus Afrika <strong>und</strong> durch die Landung der<br />

Anglo-Amerikaner in Sizilien abwarten, wodurch dann in Italien der Sturz<br />

25


Mussolinis ausgelöst wurde. Erst im Oktober 1943 konnte man eine neue<br />

Konferenz zusammenrufen, von der man, angesichts des deutschen<br />

Zusammenbruchs, positive Lösungen für Europa erhoffen durfte.<br />

<strong>Die</strong>se erneute Fühlungnahme fand vom 19. bis 30. Oktober 1943 in Moskau<br />

zwischen den Außenministern der UdSSR (Molotow), England (Eden) <strong>und</strong> USA<br />

(Cordell Hull) statt. Ihr folgten andere: vom 22. bis 26. November in Kairo<br />

(Roosevelt-Churchill-Tschiang-Kai-Schek), vom 28. November bis 1. Dezember<br />

in Teheran (Roosevelt - Churchill - Stalin) - die erste Begegnung der "Drei<br />

Großen". Dann gab es Jalta <strong>und</strong> endlich Potsdam ... Am 30. Oktober 1943<br />

schloss die Moskauer Konferenz mit einer Erklärung der Regierungen<br />

Großbritanniens, der Vereinigten Staaten <strong>und</strong> der Sowjetunion, in der es hieß:<br />

"... <strong>das</strong>s die deutschen Offiziere <strong>und</strong> Soldaten sowie die Parteimitglieder,<br />

die für Grausamkeiten <strong>und</strong> Verbrechen im besetzten Europa verantwortlich<br />

sind oder freiwillig an ihrer Ausführung teilgenommen haben, an die<br />

Länder ausgeliefert werden, in denen sie ihre schändlichen Taten verübt<br />

haben, damit sie nach den Gesetzen dieser befreiten Länder <strong>und</strong> der dort<br />

eingesetzten freien Regierungen abgeurteilt <strong>und</strong> bestraft werden können."<br />

Wenn man sich auch über kein anderes Nachkriegsproblem einigen konnte - in<br />

einem Punkt bestand totale Übereinstimmung: alle wollten Rache, Rache, zuerst<br />

<strong>und</strong> vor allem Rache!<br />

Man hat seitdem nicht mehr aufgehört, sich zu rächen <strong>und</strong> <strong>das</strong> ist auch der<br />

Gr<strong>und</strong>, warum der auffälligste Charakterzug der Nachkriegswelt jenes<br />

offensichtliche Bedürfnis ist, mit seinem Nächsten abzurechnen - ein Bedürfnis,<br />

<strong>das</strong> man sonst in dieser ausgeprägten Form nur in der Verbrecherwelt findet.<br />

In welcher anderen Hinsicht hätte man sich auch einigen, was hätte man sonst<br />

zusammen auch unternehmen können? <strong>Die</strong> Ehe zwischen dem Bolschewismus<br />

<strong>und</strong> den westlichen Demokratien war mindestens ebenso widernatürlich wie die<br />

zwischen dem Nationalsozialismus <strong>und</strong> dem Bolschewismus <strong>und</strong> es gab eben<br />

keinen anderen Punkt, über den sich beide Systeme einigen konnten.<br />

Und erst jetzt sieht man, <strong>das</strong>s Ost <strong>und</strong> West, als sie glaubten, ein für allemal mit<br />

Deutschland abgerechnet zu haben, auch schon einen Anfang gemacht hatten<br />

mit jener anderen Abrechnung, der Abrechnung unter sich, deren Notwendigkeit<br />

sie inzwischen auch entdeckten. In seinen Memoiren über den Zweiten<br />

Weltkrieg erzählt Churchill wie einen Monat später, als auf der Konferenz von<br />

Teheran die St<strong>und</strong>e der Trinksprüche angebrochen war, die die Abkommen zu<br />

besiegeln pflegen, in den Sekt- <strong>und</strong> Wodkadämpfen jene Moskauer Erklärung<br />

erneut heraufbeschworen wurde. Stalin hatte sich zu Roosevelt gebeugt <strong>und</strong> ihm<br />

zugeflüstert, <strong>das</strong>s es reichen würde einfach 50.000 Offiziere <strong>und</strong> bedeutende<br />

Persönlichkeiten erschießen zu lassen. "495001" hatte der andere geantwortet.<br />

26


<strong>Die</strong>se Worte umrissen klar <strong>das</strong> Verantwortungsgefühl jener Männer, von denen<br />

<strong>das</strong> Schicksal der Welt abhing. Und sie zeigten, worauf man sich gefasst machen<br />

musste.<br />

27


2. DER NÜRNBERGER PROZESS<br />

A. Definition des Verbrechens <strong>und</strong> des Verbrechers<br />

Als der Krieg praktisch schon von den Alliierten gewonnen war, zog sich sein<br />

letzter Abschnitt trotzdem noch fast zwei Jahre lang hin, weil der Krieg nach der<br />

Moskauer Erklärung eben nur noch mit der totalen Vernichtung der<br />

unterliegenden Seite enden konnte.<br />

Belastet mit allen Ressentiments aus diesem Kampf ohne Dimensionen, ohne<br />

Maß <strong>und</strong> ohne Gnade, fanden sich die Vereinigten Staaten, England <strong>und</strong><br />

Russland (denen sich zuzugesellen auch Frankreich gestattet war) als Sieger am<br />

8. August 1945 in London, um die Verfolgung <strong>und</strong> Bestrafung der<br />

Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse einzuleiten, anders gesagt um<br />

die praktischen Folgerungen aus der Moskauer Erklärung zu ziehen. Wie man<br />

sieht, lässt sich die Formulierung auf verschiedene Menschengruppen<br />

anwenden: Es handelt sich nicht mehr um die Deutschen allein, sondern um die<br />

Angehörigen "der Achsenmächte" <strong>und</strong> nicht mehr um "Offiziere, Soldaten <strong>und</strong><br />

Mitglieder der Nazipartei, die für Verbrechen verantwortlich sind oder freiwillig<br />

an ihrer Ausführung teilgenommen haben", sondern schlicht um<br />

"Hauptkriegsverbrecher" ohne nähere Angaben. Dadurch konnte die Verfolgung<br />

von der Einzelperson auf alle Angehörigen der Gruppe ausgedehnt werden <strong>und</strong><br />

konnte in dem Vertrag, der damals gerade ausgearbeitet wurde, der Begriff der<br />

Kollektivbestrafung eingeführt werden. <strong>Die</strong>ser Vertrag, der die Unterschrift der<br />

folgenden fünf Juristen trägt: Robert Faico (Vertreter der Provisorischen<br />

Regierung der französischen Republik), Robert H. Jackson (USA), Jowitt<br />

(Großbritannien <strong>und</strong> Irland), I. Nikitschenko <strong>und</strong> A. Trainine (UdSSR) umfasst<br />

7 Artikel <strong>und</strong> bestimmt, <strong>das</strong>s:<br />

1. ein Internationales Militärtribunal gebildet werden soll zur<br />

Aburteilung von solchen Kriegsverbrechen, für deren Verbrechen<br />

ein geographisch bestimmter Tatort nicht vorhanden ist, gleichgültig<br />

ob sie als Einzelperson angeklagt werden oder in ihrer Eigenschaft<br />

als Mitglieder bestimmter Organisationen oder Gruppen, oder auch<br />

aus beiden Gründen (Art. l);<br />

2. die anderen Kriegsverbrecher an die Länder ausgeliefert werden<br />

sollen, in denen sie ihr Verbrechen begangen haben (Art. 4);<br />

3. für die letzteren die bereits bestehenden oder noch zu bildenden<br />

nationalen Gerichte zuständig sein sollten (Art. 6);<br />

4. der Vertrag mit dem Tag seiner Unterzeichnung in Kraft trat,<br />

während eines Jahres gültig blieb <strong>und</strong> sich dann verlängerte unter<br />

Vorbehalt des Rechts eines jeden Unterzeichners, ihn mit<br />

einmonatiger Frist auf diplomatischem Weg zu kündigen (Art. 7).<br />

28


Ein Artikel 2 präzisiert, <strong>das</strong>s "die Verfassung, die Zuständigkeit <strong>und</strong> die<br />

Aufgaben des Internationalen Militärgerichtshofs in einem dem Vertrag<br />

beigefügten Statut bestimmt sind" <strong>und</strong> <strong>das</strong>s dieses Statut ein "integrierender<br />

Bestandteil" des Vertrages ist.<br />

Artikel 3 ordnet Menschenjagd in der ganzen Welt an <strong>und</strong> verlangt von den<br />

Siegermächten, <strong>das</strong>s sie "alle Schritte unternehmen, um diejenigen<br />

Hauptkriegsverbrecher, die sich nicht innerhalb der Staatsgrenzen eines der<br />

Signatarmächte befinden, für die Untersuchung der Anklagepunkte wie für den<br />

Prozess des Internationalen Militärgerichtshofes zur Verfügung zu stellen".<br />

Artikel 5 gibt allen Regierungen der Vereinten Nationen die Möglichkeit, durch<br />

eine Mitteilung auf diplomatischem Wege an die britische Regierung dem<br />

Vertrag beizutreten; <strong>und</strong> diese Regierung wird dann jeden Beitritt den anderen<br />

Signatarmächten zur Kenntnis bringen." Nur 19 Länder haben von dieser<br />

Möglichkeit Gebrauch gemacht: Griechenland, Dänemark, Jugoslawien,<br />

Niederlande, Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Äthiopien, Australien,<br />

Honduras, Norwegen, Panama, Luxemburg, Haiti, Neuseeland, Indien,<br />

Venezuela, Uruguay <strong>und</strong> Paraguay.<br />

Insgesamt unterzeichneten 23 von den etwa 50 Nationen, die es damals in der<br />

Welt gab: in Washington waren am 1. Januar 1942 25 Nationen vertreten ... Im<br />

August 1945 bemerkten die Vorkämpfer dieser Sache noch nicht, <strong>das</strong>s die<br />

Entwicklung, die sich in diesen Zahlen ausdrückte, in den Augen vieler<br />

denkenden Menschen wie ein Tadel aussehen musste.<br />

Aber die in Artikel 2 dieses Vertrages <strong>und</strong> dem zugehörigen Statut vorgesehene<br />

praktische Nutzanwendung war nicht weniger seltsam: Seltsames kann eben nur<br />

wieder Seltsames gebären <strong>und</strong> vervielfacht so in seinem Wirken die seltsamen<br />

Dinge dieser Welt. Dass die so genannten Kulturvölker nicht zurückschreckten<br />

vor der sehr großen <strong>und</strong> sehr heiklen Aufgabe, ohne historische oder juristische<br />

Quellen gleichzeitig ein neuartiges Gericht, ein neues Recht <strong>und</strong> eine neue<br />

Prozessordnung zu schaffen, lässt sich nur aus den Wirrnissen jener Zeit<br />

erklären, als man sich auf die Stufe der Völker ohne Kultur oder Erfahrung hatte<br />

hinunterdrücken lassen. Um dieses Phänomen zu verstehen, braucht man nur<br />

jenes Gesetz der Massenpsychologie heranzuziehen, <strong>das</strong> besagt, <strong>das</strong>s die geistige<br />

Reife einer Gruppe in dem Maße sinkt, wie ihre Zahl zunimmt: die Lage ist klar,<br />

wenn man bedenkt, <strong>das</strong>s die Gruppe, die ihre Meinung hier durch einige der<br />

ihrigen ausdrückte, aus einigen h<strong>und</strong>ert Millionen Personen bestand.<br />

Was enthielt denn dieses beigefügte Statut, <strong>das</strong>s es ein so strenges Urteil<br />

verdiente? Hier folgt zuerst die Definition der Verbrechen auf die sich <strong>das</strong> Statut<br />

bezog - zitiert nach Titel II, Artikel 6 des Statuts:<br />

1. Verbrechen gegen den Frieden: nämlich Planung, Vorbereitung,<br />

Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines<br />

Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Vereinbarungen<br />

29


oder Zusicherungen, oder Teilnahme an einem gemeinsamen Plan<br />

oder einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten<br />

Handlungen;<br />

2. Kriegsverbrechen: nämlich Verletzungen des Kriegsrechtes oder<br />

der Kriegsgebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne jedoch<br />

darauf beschränkt zu sein, Ermordung, Misshandlung oder<br />

Verschleppung der entweder aus einem besetzten Gebiet<br />

stammenden oder dort befindlichen Zivilbevölkerung zur<br />

Zwangsarbeit oder zu irgendeinem anderen Zwecke, Ermordung<br />

oder Misshandlung von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher<br />

See, Tötung von Geiseln, Raub öffentlichen oder privaten<br />

Eigentums, mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten <strong>und</strong><br />

Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht<br />

gerechtfertigte Verwüstung.<br />

3. Verbrechen gegen die Menschlichkeit: nämlich Ermordung,<br />

Ausrottung, Versklavung, Verschleppung oder andere an der<br />

Zivilbevölkerung begangene unmenschliche Handlungen, oder<br />

Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in<br />

Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem<br />

Verbrechen, für <strong>das</strong> der Gerichtshof zuständig ist, unabhängig<br />

davon, ob die Handlung gegen <strong>das</strong> Recht des Landes, in dem sie<br />

begangen wurde verstieß oder nicht.<br />

In der Anklageschrift spaltet sich der erste Teil in <strong>das</strong> "Verbrechen gegen den<br />

Frieden" <strong>und</strong> die "Verschwörung" mit der Absicht, dieses Verbrechen zu<br />

begehen - was also die Existenz einer Verbrecherbande voraussetzt (<strong>das</strong><br />

französische Recht spricht in einem solchen Falle von "association de<br />

malfaiteurs"). Zweifelsohne wollten die Verfasser des Statuts es der<br />

Anklagebehörde ermöglichen, den Vorsatz festzustellen, womit also ein<br />

belastender Umstand gegeben wäre. Durch die Teilung wird nun aber der<br />

belastende Umstand wieder zu einem gesonderten Verbrechen.<br />

Was die beiden anderen Hauptanklagepunkte betraf, so lag hierfür in den<br />

Konventionen von Den Haag <strong>und</strong> Genf immerhin eine Art von geschriebenem<br />

Recht vor, die ersten - wenn auch bescheidenen - Anfänge einer einschlägigen<br />

Gesetzgebung:<br />

<strong>Die</strong> Kriegsführenden verpflichteten sich darin, untereinander im Krieg keine<br />

allgemein als unehrenhaft angesehene Praktiken anzuwenden, durch die der<br />

Krieg seines ritterlichen Charakters beraubt würde, oder die eine als kriminell<br />

anzusehende Verletzung der Gesetze der Menschlichkeit darstellen würden.<br />

Beispiele: <strong>Die</strong> Zivilbevölkerung war gegen Bombardierungen, gegen<br />

Vergewaltigungen <strong>und</strong> Plünderungen geschützt; die Kriegsgefangenen durften<br />

von der Gewahrsamsmacht nicht als Soldaten oder Rüstungsarbeiter verwendet<br />

30


werden; man hatte nicht <strong>das</strong> Recht, einen Verw<strong>und</strong>eten zu töten oder zu quälen -<br />

aber Franktireure <strong>und</strong> Spione waren durch keinen Paragraphen geschützt ... Das<br />

alles lief unter der Rubrik "Kriegsverbrechen", <strong>das</strong> Nürnberger Statut trennte<br />

davon die "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" ab, aber <strong>das</strong> war nur ein<br />

neues Wort, kein neuer Begriff, denn die beiden Tatbestände unterschieden sich<br />

nicht in der Sache.<br />

Was die Ausführungsbestimmungen <strong>und</strong> die Befolgung dieser Gesetze betraf, so<br />

war jeder der Kriegsführenden gehalten, darüber zu wachen, <strong>das</strong>s in den eigenen<br />

Reihen solche Gesetzesübertretungen nicht vorkamen <strong>und</strong> <strong>das</strong>s sie - wenn sie<br />

doch stattfanden - bestraft wurden. Machte ein Staat <strong>das</strong> nicht, so konnte er als<br />

Pflichtvergessener angeprangert werden.<br />

Kein Mensch sah je ein, <strong>das</strong>s dieses Erbstück der Ritterturniere <strong>und</strong> der<br />

Bilderbuchschlachten a la Fontenoy * immerhin nicht unbesehen auf die<br />

modernen Massenschlachten mit Mordwaffen zu Lande, zur See <strong>und</strong> in der Luft<br />

anwendbar war - <strong>und</strong> so lieferte dann diese noble Theorie eine Schablone gültig<br />

für alle Kriege <strong>und</strong> alle Kriegsführenden, ein unschätzbares Mittel zur allseitigen<br />

Erhaltung der Kampfmoral: jede Seite konnte ihre Kriegsteilnahme dadurch<br />

rechtfertigen, <strong>das</strong>s sie erklärte, der Gegner habe die Konventionen oder den<br />

Geist der Konventionen verletzt - jede konnte ihre sittliche Verpflichtung zur<br />

Fortsetzung des Krieges beweisen indem sie ihren Feind beschuldigte, er habe<br />

zugelassen, <strong>das</strong>s seine Soldaten Kriegsverbrechen verübten.<br />

________________<br />

* Anmerkung des Übersetzers:<br />

In der Schlacht von Fontenoy 1745 besiegten die Franzosen die Engländer <strong>und</strong> Holländer. <strong>Die</strong> formelle Höflichkeit<br />

wurde hier so weit getrieben, <strong>das</strong>s der englische Befehlshaber die Franzosen aufforderte zu schießen - der Franzose<br />

aber darauf bestand, den Engländern diese Ehre zu überlassen. <strong>Die</strong> Leidtragenden waren die Soldaten in der ersten<br />

Linie der Franzosen.<br />

So entschuldigte ein tatsächlicher oder angeblicher Verstoß der einen Seite eine<br />

Grausamkeit auf der anderen Seite - worauf dann diese Grausamkeit des Feindes<br />

wieder ein Verbrechen der eigenen Seite als weniger abscheulich erscheinen<br />

ließ. Das Ergebnis war jene entsetzliche Kette, in der die abgehackten Händchen<br />

eines belgischen Kindes, die Vernichtungslager, die Bombenteppiche auf<br />

Wohnbezirken, die Bombardements von Dresden, Leipzig, Hiroshima, Nagasaki<br />

nur einige der Glieder sind ...<br />

Nach dem Kriege erinnerte sich <strong>das</strong> Weltgewissen nur der Missetaten der<br />

unterlegenen Seite. Es fand also eine Art moderner Auflage jener<br />

mittelalterlicher Gottesurteile statt: damals war derjenige unschuldig, der die<br />

Feuer- oder Wasserprobe überstand - jetzt war es derjenige, der den Krieg<br />

überstanden hatte.<br />

Der Krieg selbst - als Urheber dieser alles in allem nur kleineren Verbrechen, die<br />

er zwangsläufig mit sich brachte - wurde indessen nicht als ein Verbrechen<br />

31


etrachtet, <strong>das</strong> gerichtliche Maßnahmen auslösen musste: <strong>das</strong> Schicksal der<br />

Besiegten fiel unter die Zuständigkeit der Staatsgewalt der Sieger. In der<br />

öffentlichen Meinung des siegreichen Landes wurden zwar sarkastische<br />

Beleidigungen laut <strong>und</strong> es wurde sogar, wie in alter Zeit bei Stammesfehden, die<br />

Bestrafung der Anführer der unterlegenen Seite gefordert, aber hinter solchen<br />

Äußerungen steckte vielleicht ein Siegerkomplex, vielleicht <strong>das</strong> Bedürfnis, sich<br />

abzureagieren, kaum wirklicher Rachedurst. <strong>Die</strong> Staatsgewalt ihrerseits hielt es<br />

für unvereinbar mit ihrer Ehre, zu den allgemein verurteilten Sitten früherer<br />

Tage zurückzukehren, eines Julius Cäsar, der Vercingetorix im Gefängnis<br />

erdrosseln ließ, oder jener Ritter des Mittelalters, die, wenn sie siegten, ihre<br />

Feinde auf Lebenszeit in Kerkern einsperrten: Seit langem begnügte man sich<br />

damit, die besiegten Führer zu verbannen, falls sie nicht von sich aus<br />

emigrierten. 1919 hatten die Alliierten verlangt, <strong>das</strong>s Kaiser Wilhelm II. ihnen<br />

ausgeliefert werden sollte. Man wollte ihn aburteilen als Verantwortlichen für<br />

einen Krieg, der durch seine Länge, seine Ausweitung <strong>und</strong> den bis dahin<br />

unbekannten mörderischen Charakter seiner Schlachten den Stempel des<br />

Verbrechens trug. Durch die Forderung nach Auslieferung waren<br />

Waffenstillstandskonvention <strong>und</strong> Versailler Vertrag, mit denen der Erste<br />

Weltkrieg besiegelt wurde, in Richtung auf die Schaffung einer<br />

Sondergerichtsinstanz einen Schritt gegangen, den weder 1815 die Wiener<br />

Beschlüsse gegen Napoleon I noch 1871 der Vertrag zu Frankfurt gegen<br />

Napoleon III gewagt hatten. Aber 1919 war <strong>das</strong> geistige Niveau der Lenker der<br />

Völker noch nicht allzu tief gesunken <strong>und</strong> man hatte den Plan fallengelassen.<br />

Hervorzuheben wäre übrigens, <strong>das</strong>s 1919 in der öffentlichen Meinung eine<br />

starke Strömung bestand, die Führer aller Sieger <strong>und</strong> aller Besiegten in gleicher<br />

Weise zu verurteilen, <strong>und</strong> diese Ansicht hat sich damals fast durchsetzen<br />

können.<br />

Wenn dem Nürnberger Statut also irgendwelche Urheberrechte bezüglich der<br />

Kodifizierung von Rechtsbegriffen zukommt, so höchstens insofern, als es <strong>das</strong><br />

Verbrechen gegen den Frieden von der Verschwörung zur Durchführung jenes<br />

Verbrechens abgetrennt hat, also die Vorbereitung von der Ausführung (Abs. a<br />

des Art. 6).<br />

<strong>Die</strong> moralische <strong>und</strong> rechtliche Verwerflichkeit dieser Neuerung ist freilich nicht<br />

dadurch bedingt, <strong>das</strong>s sie in Form eines vorher nie kodifizierten Gesetzes<br />

erscheint, sondern dadurch, <strong>das</strong>s dieses Gesetz ausgedacht wurde um<br />

unrechtmäßigerweise eine Anzahl Handlungen zu bestrafen, die nach<br />

bestehenden Gesetzen nicht geahndet werden konnten.<br />

Unrechtmäßigerweise aus mehreren Gründen, am offensichtlichsten aber, <strong>und</strong><br />

wohl vor allem, weil diese Übertretungen stattgef<strong>und</strong>en hatten, bevor <strong>das</strong> Gesetz<br />

erging. Der Rechtssatz, <strong>das</strong>s es keine Gesetze mit rückwirkender Kraft gibt,<br />

gehört zu den geheiligten Gr<strong>und</strong>sätzen unserer Kultur. Und wenn unsere Moral<br />

verlangt, <strong>das</strong>s der Satz "Unkenntnis der Gesetze schützt nicht vor Strafe" gilt, so<br />

32


muss sie auch zugeben, <strong>das</strong>s da, wo kein Gesetz existiert, es auch kein Delikt,<br />

kein Verbrechen <strong>und</strong> konsequenterweise auch keine Strafe geben kann. "Nulla<br />

poena sine lege". Das Weltgewissen preist sich noch heute glücklich, <strong>das</strong>s sich<br />

dieser Gr<strong>und</strong>satz im Erbe der Römer fand. <strong>Die</strong>se hatten ihn zum Gr<strong>und</strong>stein<br />

ihres Rechts gemacht <strong>und</strong> noch heute, nach mehr als zweitausend Jahren, bildet<br />

er den einzigen - recht bescheidenen - Schutz des Individuums vor Willkür<br />

seitens der Inhaber der Macht.<br />

"Das ist alles nur reiner Formalismus, <strong>das</strong> hat gar nichts zu sagen, denn diese<br />

Leute sind sowieso Verbrecher <strong>und</strong> haben keinen Anspruch auf soviel<br />

Rücksicht", hieß es, als die oben genannten Vorbehalte gemacht wurden <strong>und</strong><br />

fünfzehn Jahre später fand dann der Eichmann-Prozess statt, eine üblere<br />

Neuinszenierung Nürnbergs, in einer Atmosphäre, die, unleugbar, allgemeine<br />

Missbilligung auslöste. Und dieser Prozess zeigte dann noch deutlicher, <strong>das</strong>s die<br />

Frage alles andere als gelöst war durch die Definitionen, die <strong>das</strong> Statut für <strong>das</strong><br />

Verbrechen <strong>und</strong> den Verbrecher gegeben hatte: <strong>das</strong> Böse musste eben<br />

fortzeugend Böses gebären.<br />

Dass die Anhänger der Nürnberger Praktiken jeden Einwand ablehnten, ist ohne<br />

Bedeutung. Denn ein Verstoß gegen ein geltendes Rechtsprinzip - gegen wen<br />

auch immer verübt - schafft einen Präzedenzfall durch den sich dann in der<br />

Folge andere Verstöße rechtfertigen lassen. Da <strong>das</strong> Gesetz nur Gesetz sein kann,<br />

wenn vor ihm alle Menschen gleich sind, hat es auch für den Verbrecher zu<br />

gelten <strong>und</strong> zwar auch dem Buchstaben nach. Gerade die Unantastbarkeit der<br />

kodifizierten Form stellt ja einen Gr<strong>und</strong>satz dar, über den sich die Ethik <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />

Recht einig sind <strong>und</strong> der daher der Kern des Rechtes überhaupt ist.<br />

Man kann natürlich einwenden, <strong>das</strong>s fünf Jahre Massaker apokalyptischen<br />

Ausmaßes alle Menschen in eine so tiefe Verwirrung gestürzt haben, <strong>das</strong>s auch<br />

die besten sich diesem fürchterlichen Einfluss nicht entziehen konnten, so <strong>das</strong>s<br />

auch in ihren Herzen die moralischen Kategorien hinsichtlich der Prinzipien<br />

etwas ins Wanken geraten waren. Aber wie abgr<strong>und</strong>tief musste die Verwirrung<br />

sein, <strong>das</strong>s die moralischen Kategorien bei fast allen Menschen, auch bei den<br />

Eliten, angeschlagen waren <strong>und</strong> die Erfahrungen einer langen Geschichte<br />

vergessen. Denn es gibt in der Geschichte eine überaus große Zahl von<br />

Verbrechern, die von der Nachwelt nicht als Verbrecher akzeptiert wurden <strong>und</strong><br />

eine Unzahl von Gelegenheitsurteilen, die von der Nachwelt als Unrecht abgetan<br />

wurden.<br />

*<br />

In einem Buch, <strong>das</strong> seinerzeit einen gewissen Widerhall fand, <strong>und</strong> seinem<br />

Verfasser eine St<strong>und</strong>e der Berühmtheit brachte, entwickelte ein großer<br />

französischer Denker, der zu früh verstorbene Philosoph Jean-Marie Guyau<br />

(1854-1884) die Gr<strong>und</strong>lagen einer Ethik ohne Zwang oder Vergeltungen, die auf<br />

33


<strong>das</strong> Gebiet der Rechtspflege übertragen "Richter, Folter, Galgen <strong>und</strong> Henker"<br />

völlig nutzlos <strong>und</strong> selbst schädlich erscheinen lässt.<br />

Wenn Jean-Marie Guyau heute beinahe vergessen ist, so hat man am Ausgang<br />

des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> zu Anfang des unsrigen viel über seine Ethik<br />

gesprochen <strong>und</strong> geschrieben - auch manche Dummheiten. <strong>Die</strong> Anarchisten,<br />

deren Stern damals im Steigen begriffen war, haben sich von Anfang an zu<br />

dieser Lehre bekannt, <strong>und</strong> nicht nur die Anarchisten, sondern auch ein<br />

bedeutender Teil der Liberalen erklärte sich mit dem Prinzip einverstanden. Der<br />

Präsident der Französischen Republik Fallieres hatte die Todesstrafe auf dem<br />

Umweg über <strong>das</strong> Begnadigungsrecht, von dem er während seiner siebenjährigen<br />

Regierungszeit systematisch Gebrauch machte, praktisch abgeschafft.<br />

Anatole France dagegen, dessen Aphorismen nicht immer glücklich waren,<br />

verdammte lautstark die Todesstrafe für kriminelle Straftaten, wollte sie aber<br />

gleichzeitig für politische Delikte beibehalten wissen. Viele denkende Menschen<br />

jener Zeit pflichteten sowohl Fallieres wie Anatole France bei, unter Berufung<br />

auf Guyau. Sie hatten aber Unrecht, denn Guyau wollte keineswegs eine<br />

bestimmte Strafe abschaffen: in seinem Buch "Une morale sans obligations ni<br />

sanctions" ("Eine Ethik ohne Zwang oder Strafe") befürwortet er eine<br />

Gesellschaft, die überhaupt keinen Zwang <strong>und</strong> keine Strafe kannte.<br />

Aber wie dem auch sei, mir scheinen sich folgende Leitgedanken in diesem<br />

bemerkenswerten Buch abzuzeichnen; Das individuelle Gewissen ist die einzige<br />

Rechtsquelle von bleibendem Wert, denn es ist der einzige Maßstab für die<br />

Gerechtigkeit. Das Gesetz aber wendet sich nicht an <strong>das</strong> Gewissen des<br />

Einzelnen, sondern an <strong>das</strong> kollektive Gewissen <strong>und</strong> ist dessen Ausdruck. Das<br />

Gesetz ist daher ein Produkt der Umstände <strong>und</strong> kann nur bestimmte Interessen<br />

vertreten. Damit ist es eine Vorschrift, die ihre Rechtfertigung nicht aus<br />

irgendwelchen ewigen Quellen schöpft - <strong>und</strong> die formelle Gesetzestreue kann<br />

nur durch Androhung von Zwang erreicht werden. Zwang aber bedingt<br />

Widerstand <strong>und</strong> in jedem Widerstand drückt sich <strong>das</strong> Kräfteverhältnis zwischen<br />

der Gesellschaft <strong>und</strong> den Einzelnen aus. Hier wird die ganze Schwere des<br />

Problems spürbar: da dieses Verhältnis im Gr<strong>und</strong>e die einzige Quelle des<br />

Gesetzes ist <strong>und</strong> dieses Verhältnis unaufhörlich im Fluss ist, sich in jedem<br />

Augenblick unter dem Druck der unaufhörlich wechselnden Umstände neu<br />

bildet, wird <strong>das</strong> Gesetz nach <strong>und</strong> nach alle Kategorien des Gewissens zur Seite<br />

schieben <strong>und</strong> es den Umständen überlassen, zu bestimmen, was gut ist <strong>und</strong> was<br />

böse, wobei - in moralischer Hinsicht - der Unterschied zwischen dem<br />

Missetäter <strong>und</strong> dem anständigen Menschen mehr <strong>und</strong> mehr verwischt wird.<br />

Und hiermit sind wir wieder beim Nürnberger Prozess. <strong>Die</strong> Rolle des<br />

Individuums - im Sinne Guyau's - wurde dort von Deutschland gespielt,<br />

personifiziert durch seine de-facto-Vertreter (wie viele Völker haben schon dejure-Vertreter?)<br />

<strong>und</strong> die Rolle der Gesellschaft übernahm die Gruppe der<br />

Siegernationen, die Deutschland unter Anklage stellte nachdem sie es in die<br />

34


Knie gezwungen hatte. Alles wurde daher von den Umständen <strong>und</strong> von dem<br />

Kräfteverhältnis bestimmt. Wer wird beispielsweise leugnen, <strong>das</strong>s der Prozess<br />

im Falle einer anderen Entscheidung des Waffenglücks ebenso gut <strong>und</strong> genau so<br />

hätte stattfinden können, mit dem bloßen Unterschied, <strong>das</strong>s dann die Alliierten<br />

auf der Bank der Angeklagten gesessen hätten <strong>und</strong> Deutschland auf dem Platz<br />

des Richters?<br />

Wenn man Hans Frank ("Im Angesicht des Galgens", von seiner Witwe 1955<br />

veröffentlicht) Glauben schenken darf, hätte Hitler beschlossen, nach seinem<br />

Siege Roosevelt, Churchill usw. wegen "Kriegsverbrechen" vor Gericht zu<br />

stellen. Zweifelsohne wäre seine Definition des Verbrechens nicht<br />

formgerechter ausgefallen <strong>und</strong> die des Verbrechers nicht weniger einseitig.<br />

Artikels 6 des Statuts von Nürnberg beschreibt die Verbrecher wie folgt:<br />

Anführer, Organisatoren, Anstifter <strong>und</strong> Helfershelfer, die an der Fassung oder<br />

Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer gemeinsamen Verschwörung<br />

zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben.<br />

Und der erste Gedanke, der sich hier aufdrängt ist: Wenn nach dem Willen der<br />

Verfasser dieses Textes auch nur die Deutschen betroffen sein sollten, die solche<br />

Handlungen begangen hätten - was schon einen vernunftwidrigen Prozentsatz an<br />

Kriminellen in einem Volke ergeben würde - so ließ sich der Text, dem<br />

Buchstaben nach, ebenso auf andere Völker anwenden, was bedeutet, <strong>das</strong>s es<br />

überall in der Welt einen gleichen Prozentsatz an Verbrechern gäbe, was noch<br />

unsinniger ist.<br />

Als die Anklageschrift am 18. Oktober 1945 vorlag <strong>und</strong> sich <strong>das</strong> Gericht in<br />

Berlin zu einer ersten öffentlichen Sitzung versammelte, um die letzte Hand an<br />

die Vorbereitungen zum Prozess zu legen, musste man die Verbrecher<br />

namentlich nennen "für deren Verbrechen ein geographisch bestimmter Tatort<br />

nicht vorhanden war", <strong>und</strong> man fand folgende:<br />

"Hermann Wilhelm Goering, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Robert<br />

Ley, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank,<br />

Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk, Hjalmar Schacht, Gustav<br />

Krupp von Bohlen <strong>und</strong> Halbach, Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von<br />

Schirach, Fritz Sauckel, Alfred Jodl, Martin Bormann, Franz von Papen,<br />

Arthur Seyß-Inquart, Albert Speer, Constantin von Neurath <strong>und</strong> Hans<br />

Fritzsche, <strong>und</strong> zwar als Einzelpersonen sowie als Mitglieder folgender<br />

Gruppen <strong>und</strong> Organisationen, soweit sie ihnen angehörten: der<br />

<strong>Reich</strong>sregierung; des Korps der Politischen Leiter der<br />

Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei; der Schutzstaffel<br />

(allgemein bekannt als ,SS') der NSDAP einschließlich des<br />

Sicherheitsdienstes (allgemein bekannt als ,SD"); der Geheimen<br />

Staatspolizei (allgemein bekannt als 'Gestapo'); der Sturmabteilungen der<br />

NSDAP (allgemein bekannt als 'SA') <strong>und</strong> des Generalstabes <strong>und</strong> der<br />

35


Oberkommandos der deutschen Wehrmacht; jeweils gemäß ihrer<br />

Begriffsbestimmungen im Anhang B zur Anklageschrift."<br />

Auch die "Komplizen" werden durch diesen Text erfasst. Um mutmaßlicher<br />

Komplize im Sinne dieses Textes zu sein, genügt es, der SS angehört zu haben,<br />

die bis zu drei Millionen Personen zählte (Komplizen Himmlers), oder der<br />

Hitler-Jugend, die bis zu dreizehn Millionen umfasste (Komplizen Baldur von<br />

Schirachs) oder der Organisation "Kraft durch Freude", die den französischen<br />

Amis de le nature ("Naturfre<strong>und</strong>e") entsprach <strong>und</strong> bis zu dreißig Millionen<br />

Mitglieder hatte (Komplizen von Ley) usw. ...<br />

Da durch die aufgeführten Tatbestandsmerkmale <strong>das</strong> Verbrechen zu einem<br />

Kollektivverbrechen wurde, hatte sich durch diesen Text die<br />

Kollektivbestrafung wieder in <strong>das</strong> internationale Recht eingeschlichen, jene<br />

Kollektivbestrafung, die von jeder Ethik in der Welt mit Ausnahme der<br />

primitivsten Stammesmoral verabscheut <strong>und</strong> verdammt wird. Und der<br />

weltberühmte französische Rechtsgelehrte Raymond de Geouffre de la Pradelle<br />

hat sie erst 1953 wieder austreiben können, nach acht Jahren unermüdlicher<br />

Anstrengungen.<br />

Nahezu ganz Deutschland, habe ich gesagt. Praktisch zählt Deutschland heute<br />

nach 15 Jahren, in denen sich die Alterspyramide von der Basis aus weitgehend<br />

erneuert hat, immer noch nur eine unbedeutende Minderheit Menschen, bei<br />

denen nicht Vater oder Großvater, Mutter oder Großmutter, Onkel oder Tante,<br />

Vetter oder Kusine, Bruder oder Schwester, d. h. mindestens ein sehr naher<br />

Verwandter durch die Entnazifizierungs-Gerichte verurteilt worden ist, <strong>und</strong> zwar<br />

sehr häufig zu recht schweren Strafen. Andererseits genügt es, die Protokolle der<br />

dreizehn Nürnberger Prozesse zu lesen, um festzustellen, <strong>das</strong>s die<br />

Anklageschrift wie die Anklagereden der Staatsanwälte sich über die<br />

Angeklagten hinweg, gegen ganz Deutschland richteten - <strong>und</strong> <strong>das</strong>s durch die<br />

Urteile ganz Deutschland verurteilt wurde. Kein Staatsanwalt, kein Richter<br />

verstand, <strong>das</strong>s die 70 Millionen Menschen, die man zu 70 Millionen<br />

Verbrechern erklären wollte, nichts anders sein konnten als 70 Millionen<br />

Unschuldige, <strong>das</strong>s die ungeheure Zahl der Verbrecher die Ungeheuerlichkeit <strong>und</strong><br />

damit die Unhaltbarkeit der Anklage bewies, keiner der Staatsanwälte oder<br />

Richter verstand, <strong>das</strong>s wenn man die Weltmeinung dazu bringen könnte, dieses<br />

Gericht <strong>und</strong> dieses Urteil zu akzeptieren, dann nur unter Ausnutzung des<br />

Überraschungsmoments. Und <strong>das</strong>s, so oder so, weder die Ethik noch die<br />

Geschichte dieses Urteil bekräftigen würden.<br />

Es bleibt noch immer die Frage, durch welche Risse in der Mauer der<br />

Unvernunft die Ethik <strong>und</strong> die Geschichte sich mit Erfolg haben<br />

hindurchzwängen können - <strong>und</strong> diese Frage wird sicher doch einmal erörtert<br />

werden. Aber bei zweien dieser Risse ist eindeutig klar, <strong>das</strong>s sie unter dem<br />

36


Druck der politischen Notwendigkeiten entstanden; es steht auch eindeutig fest,<br />

wem man <strong>das</strong> Entstehen dieser Risse zu verdanken hat: Russland <strong>und</strong> Israel.<br />

Es war Russland, <strong>das</strong> dem zu Nürnberg so mühselig errichteten Rechtsgebäude<br />

den ersten Schlag mit der Spitzhacke versetzte. Eines Tages nämlich entschloss<br />

sich die UdSSR, um ihre Bemühungen zur politischen Isolierung<br />

Westdeutschlands zu rechtfertigen, es hinzustellen als die geistige Heimat aller<br />

Leute, die dem Nationalsozialismus nachtrauern, aller unverbesserlichen<br />

Militaristen, aller amerikahörigen Revanchisten. Und um den Kontrast<br />

deutlicher <strong>und</strong> nutzbringender herauszuarbeiten, wurde gleichzeitig erklärt, <strong>das</strong>s<br />

die 18 bis 20 Millionen Deutschen der Sowjetzone nicht schuldig gewesen<br />

wären, <strong>das</strong>s die damals gehandelt hätten ohne die Folgen ihrer Taten zu<br />

übersehen, <strong>das</strong>s es sich hierbei also um 18 bis 20 Millionen Unschuldige<br />

handelte. Es ist klar, <strong>das</strong>s die Gegenseite nur <strong>das</strong> gleiche Argumentat zugunsten<br />

der Bevölkerung Westdeutschlands vorbringen musste, um hier plötzlich über<br />

50 bis 52 Millionen Unschuldige zu verfügen. Und wenn man dann noch zugibt,<br />

<strong>das</strong>s die Führer der Völker die Folgen ihrer Taten nicht viel besser übersehen als<br />

die Völker selber - <strong>und</strong> auch darüber dürfte es kaum Meinungsverschiedenheiten<br />

geben - so sind nicht einmal die Gehängten von Nürnberg mehr in die Gruppe<br />

der Schuldigen eingestuft.<br />

Machen wir uns nichts vor: <strong>Die</strong> Nachwelt wird in diesem Sinne entscheiden.<br />

Schon heute glaubt niemand mehr, <strong>das</strong>s die Angeklagten wieder gehängt werden<br />

würden, wenn man den Nürnberger Prozess wiederholte. In seinem 'Nuremberg<br />

Diary' schilderte sie der "Psychologe" des Prozesses, Dr. G. M. Gilbert, der ein<br />

Jahr damit verbrachte, die Angeklagten in ihrer Zelle zu studieren <strong>und</strong> der in<br />

dieser Eigenschaft im Jerusalemer Eichmann-Prozess als Zeuge auftrat, als<br />

Leute, die sich in nichts unterschieden von der Masse der anständigen<br />

Menschen, die man in allen Straßen der Welt <strong>und</strong> auf jeder sozialen Stufe trifft.<br />

Er versichert, <strong>das</strong>s <strong>das</strong>, was in Deutschland geschehen ist, sich auch sonst<br />

überall ereignen kann, denn die menschliche Natur kann unter bestimmten<br />

Umständen weitere Beispiele der in Nürnberg verdammten Handlungen liefern.<br />

Man kann es nicht besser ausdrücken: ein Verbrechen, <strong>das</strong> sich aus der<br />

menschlichen Natur ergibt <strong>und</strong> <strong>das</strong>, unter gewissen Umständen von jedem<br />

beliebigen Menschen an jedem beliebigen Ort verübt werden kann, ist eben kein<br />

Verbrechen. Sonst sind wir alle Verbrecher <strong>und</strong> es ist keiner unter uns, der den<br />

Richter abgeben könnte.<br />

Der Fall Israel unterscheidet sich kaum vom Fall Russland. Tag <strong>und</strong> Nacht, seit<br />

fünfzehn Jahren, am Fuße einer Art Klagemauer versammelt, die auf den<br />

Maßstab der Erdkugel vergrößert ist, hören die Zionisten der ganzen Welt -<br />

glücklicherweise sind nicht alle Israeliten Zionisten 6 - nicht auf, in täglich<br />

schrecklicherer Form immer entsetzlichere Schmerzensschreie auszustoßen,<br />

damit die Weltöffentlichkeit <strong>das</strong> in zionistischen Augen apokalyptische Ausmaß<br />

der Misshandlungen anerkennt, die die jüdische Welt seitens der<br />

37


Nationalsozialisten erleiden musste - <strong>und</strong> damit die deutschen Reparationen an<br />

den Staat Israel entsprechend heraufgesetzt werden.<br />

________________<br />

6 Man schätzt, <strong>das</strong>s die jüdische Bevölkerung der Erde augenblicklich ungefähr 17 Millionen beträgt, (It. L'Education<br />

Nationale - offizielles Organ <strong>das</strong> Ministeriums gleichen Namens - vom Oktober 1960). Artur Koestler (.L'Ombre du<br />

Dinosaure") behauptet, <strong>das</strong>s nur 11 1/2 Millionen davon, <strong>das</strong> heißt zwei <strong>Dritte</strong>l, bei den Synagogen eingeschrieben ist<br />

<strong>und</strong> fortfährt: "Im nächsten Jahr in Jerusalem" zu singen, jedoch ohne Überzeugung <strong>und</strong> ohne den geringsten Wunsch,<br />

sich dort dauernd niederzulassen. Da der Staat Israel 20.000 Quadratkilometer umfasst, müsste er eine<br />

Bevölkerungsdichte von 850 je Quadratkilometer erreichen, wenn sich alle 17 Millionen Israeliten der ganzen Welt<br />

dort niederlassen würden, was die Wirtschaft des Landes nicht aushalten dürfte, soweit man nicht mit Erfolg, auf<br />

Kosten der altansässigen arabischen Bevölkerung jenseits der Grenzen eine Lebensraumpolitik nach dem genauen<br />

Vorbild des deutschen Nationalsozialismus treiben will. Denn schon unter den augenblicklichen Bedingungen, bei<br />

einer Einwohnerzahl von 2.250.000, also einer Bevölkerungsdichte von wenig mehr als 100 auf den Quadratkilometer,<br />

ist die wirtschaftliche Lage Israels ungemein schwierig.<br />

Es handelt sich hier um eine ziemlich schmutzige Geldangelegenheit ("d'une<br />

assez sordide affaire d'argent"). Als es 1956 klar wurde, <strong>das</strong>s sich die öffentliche<br />

Weltmeinung weigerte, den internationalen Zionismus zu unterstützen in seinem<br />

Bestreben, aus Deutschland eine Art immerwährende Milchkuh für den Staat<br />

Israel zu machen, veröffentlichte ein gewisser Alex-Weißberg ein Buch unter<br />

dem Titel: "<strong>Die</strong> Geschichte von Joel Brand", in der französischen Ausgabe mit<br />

einem Untertitel des Inhalts: "Ein ungeheuerlicher Tausch, eine Million <strong>Juden</strong><br />

für zehntausend Lastwagen". Aus dem Gesichtswinkel des Absatzes -c- der<br />

Definition des Verbrechens im Nürnberger Statut war es eine richtige<br />

Anklageschrift gegen England <strong>und</strong> die Vereinigten Staaten, die von der<br />

Zionistischen Bewegung für <strong>das</strong> Scheitern des Tauschgeschäftes verantwortlich<br />

gemacht wurden. Der Erpressungsversuch war offensichtlich.<br />

Nichtsdestoweniger beruhte die Angelegenheit auf Tatsachen. England <strong>und</strong> die<br />

Vereinigten Staaten regten sich aber darüber nicht auf.<br />

Grob gesehen lautete die These so: England müsste für die <strong>Juden</strong>morde<br />

mitverantwortlich gemacht werden, weil es sich, selbst nach 1933, der<br />

Auswanderung der europäischen <strong>Juden</strong> nach Palästina in Anwendung der<br />

Balfour-Erklärung widersetzt hatte, <strong>und</strong> besonders auch deshalb, weil es Dr.<br />

Schacht abgewiesen hatte, als dieser im Dezember 1938 als Abgesandter Hitlers<br />

in London Verhandlungen über ihren massierten Abtransport nach Palästina<br />

vorgeschlagen hatte. Es war aber noch stärker belastet durch die Tatsache, <strong>das</strong>s<br />

es 1944 eine Initiative Himmlers zum Scheitern brachte, durch die ein Weg der<br />

Rettung für eine Million <strong>Juden</strong> gebahnt worden wäre. <strong>Die</strong> Vereinigten Staaten<br />

ihrerseits waren deshalb verantwortlich, weil sie diese Politik Englands<br />

uneingeschränkt unterstützt hatten. Ja sogar Frankreich wurde angeklagt, wenn<br />

auch nicht im gleichen Maße wie die anderen Staaten: 1940/41 hatte es den Plan<br />

zur Überführung aller europäischen <strong>Juden</strong> nach Madagaskar scheitern lassen.<br />

38


<strong>Die</strong> Angelegenheit mit den Lastwagen, die 1956 großes Aufsehen erregt hatte,<br />

wurde im Mai 1961 im Verlauf des Eichmann-Prozesses wieder vorgebracht <strong>und</strong><br />

zwar in einer Form, <strong>das</strong>s viele kluge Köpfe sich fragen mussten, ob hier nicht<br />

eines der Hauptziele dieses Prozesses zu suchen war. Jedenfalls ist es Tatsache,<br />

<strong>das</strong>s gleichzeitig für Ende Mai 1961 zwei Ereignisse angekündigt wurden;<br />

erstens würde Joel Brand, der überlebende Hauptakteur der Verhandlungen, die<br />

den Austausch von zehntausend Lastwagen gegen eine Million <strong>Juden</strong> zum Ziel<br />

hatten, als Zeuge im Jerusalemer Prozess aussagen <strong>und</strong> es würden bisher<br />

unveröffentlichte Unterlagen über die in diesem Zusammenhang geführten<br />

Gespräche erscheinen; sie würden eine überaus scharfe Anklageschrift gegen<br />

England <strong>und</strong> die Vereinigten Staaten darstellen; <strong>und</strong> zweitens ... eine Reise, die<br />

Präsident Ben Gurion privatim "nach Frankreich <strong>und</strong> Kanada unternehmen<br />

musste, wobei er die Gelegenheit benutzen wollte, um von Paris aus einen<br />

offiziellen Besuch in London <strong>und</strong> von Ottawa aus einen in Washington<br />

abzustatten" (Nach den Zeitungen des 24. Mai 1961). Damals verfehlte man<br />

nicht, einen Zusammenhang der Umstände hervorzuheben <strong>und</strong> ihn als<br />

beabsichtigt zu bezeichnen. Waren die wirklichen Reiseziele des Herrn Ben<br />

Gurion vielleicht doch nicht Paris <strong>und</strong> Ottawa sondern London <strong>und</strong> Washington,<br />

wohin er sich zu begeben wünschte, um über ein etwaiges Stillschweigen<br />

seinerseits zu verhandeln?!<br />

England <strong>und</strong> die Vereinigten Staaten regten sich nicht stärker auf als 1956. Ben<br />

Gurion wurde weder nach London noch nach Washington eingeladen <strong>und</strong> man<br />

unterließ es auch jetzt nicht, seine Tarnkappe zu lüften.<br />

Vor den Schranken des Jerusalemer Gerichts packte Joel Brand am 29. <strong>und</strong> 30.<br />

Mai 1961 aus. Der Staatsanwalt fand noch stärkere Worte <strong>und</strong> griff - um<br />

niemand eifersüchtig zu machen - auch Russland an. Russland hatte die gleiche<br />

Haltung eingenommen wie England <strong>und</strong> die Vereinigten Staaten, indem es ein<br />

Bombardement der Gaskammern von Auschwitz, <strong>das</strong> von den führenden <strong>Juden</strong><br />

in Palästina 1944 gefordert worden war, als "<strong>und</strong>urchführbar aus technischen<br />

Gründen" abgelehnt hatte. Wie sollte man auch durch Luftbombardements die<br />

Gaskammern zerstören ohne gleichzeitig einen großen, wenn nicht den größten<br />

Teil der angeblich 500.000 Häftlinge 7 des Lagers, in der Hauptsache <strong>Juden</strong>, zu<br />

vernichten? <strong>Die</strong>ser Fall gehörte übrigens zu denen, für die es einfach keine<br />

befriedigende Lösung gab ...<br />

________________<br />

7 <strong>Die</strong>se von der jüdischen Propaganda angegebene Zahl ist niemals statistisch belegt worden <strong>und</strong> kann nicht als sicher<br />

angesehen werden. Auf alle Falle erscheint sie sehr übertrieben: es ist zu bezweifeln, <strong>das</strong>s sich jemals gleichzeitig<br />

500.000 Personen in Auschwitz-Birkenau befanden.<br />

Hätten sie nämlich damals der Bitte der jüdischen Führer entsprochen, so hätte<br />

es später heißen können, die Alliierten wären Deutschland bei der Vernichtung<br />

der <strong>Juden</strong> behilflich gewesen - <strong>und</strong> zwar unter dem Vorwand, sie hätten die<br />

39


Gaskammern treffen wollen - hätten diese dann aber, wie so viele andere Ziele<br />

im Laufe des Krieges, verfehlt ... "mit Absicht" hätten die Ankläger dann noch<br />

hinzugefügt.<br />

Soweit sind wir also schon: durch einen ungeschickten taktischen Zug der<br />

Russen wird die deutsche Schuld plötzlich stark verringert - <strong>und</strong> gleichzeitig<br />

verweist die internationale zionistische Bewegung durch einen ebenso<br />

ungeschickten taktischen Zug die Alliierten auf die Bank der Angeklagten neben<br />

Deutschland. <strong>Die</strong> Russen werden ihre Erklärung nicht mehr zurückziehen<br />

können. Bei der zionistischen Anklage kann man zwar bedauern, <strong>das</strong>s sie mit<br />

einer Erpressung zusammenhängt <strong>und</strong> <strong>das</strong>s neben richtigen Argumenten auch<br />

vollkommen wertlose vorgebracht wurden, aber im großen <strong>und</strong> ganzen gelangte<br />

man doch zu durchaus richtigen Schlussfolgerungen, besonders auch mit Bezug<br />

auf <strong>das</strong> Nürnberger Statut. Jedenfalls haben beide Erklärungen zusammen<br />

wesentlich dazu beigetragen, die Welt über die Kriegsschuldfrage aufzuklären -<br />

<strong>und</strong> haben damit den Weg gezeigt zu der nach dem Ersten Weltkrieg<br />

allgemeinen Erkenntnis, <strong>das</strong>s bei allen Kriegen alle kriegführenden Nationen<br />

zusammen schuld sind. So erfreulich dieses Ergebnis auch sein mag, so dürfen<br />

wir doch nicht vergessen, <strong>das</strong>s der Staat Israel <strong>und</strong> die zionistische Bewegung<br />

die Alliierten nur der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (im Sinne des<br />

Absatz c des Artikels 6 des Statuts) schuldig gesprochen haben; Deutschland<br />

bleibt in ihren Augen allein schuldig, Verbrechen im Sinne des Absatz b<br />

(Kriegsverbrechen) <strong>und</strong> a (Verbrechen gegen den Frieden) begangen zu haben.<br />

Es wird jetzt Aufgabe des Historikers sein, festzustellen, ob die Handlungen der<br />

Alliierten vor dem Kriege <strong>und</strong> während des Krieges auch nach den beiden<br />

anderen Paragraphen des Statuts zu verurteilen sind.<br />

B. <strong>Die</strong> Kriegsverbrechen<br />

Wenn man die Maßstäbe der Konventionen von Genf <strong>und</strong> Den Haag anlegt,<br />

wird man sogleich feststellen, <strong>das</strong>s sich die Ansichten über die<br />

Anwendungsmöglichkeiten des Begriffs "Kriegsverbrechen" seit 1945 recht<br />

wesentlich geändert haben. Tatsächlich waren die Körper der elf Gehenkten von<br />

Nürnberg kaum kalt, als <strong>das</strong> Weltgewissen schon anfing, daran zu zweifeln, ob<br />

die Alliierten wirklich <strong>das</strong> Recht gehabt hätten, sich zu Richtern aufzuwerfen<br />

<strong>und</strong> die andere Seite zu verurteilen. Da diese Zweifel von den vorzüglichsten<br />

Männern ausgesprochen wurden, war es vom ersten Augenblick an unmöglich,<br />

sie zu überhören. In ihren Reihen standen so allgemein anerkannte Leute wie<br />

Professor Gilbert Murray, der bekannteste britische Hellenist; der Dekan von<br />

Rhodes House, beide von der Universität Oxford; der Militärkritikcr Liddell<br />

Hart; der jüdische Verleger Victor Gollancz, ein Mann mit Sympathien für den<br />

Anarchismus; der Unterhaus-Abgeordnete R. R. Stokes; Lord Hankey, von<br />

1912-1938 Sekretär des berühmten Verteidigungskomitees des Empire. Mitglied<br />

40


des englischen Kabinetts von 1920-1921; der amerikanische Richter<br />

Wennerstrum vom Obersten Gerichtshof des Staates Iowa, der, in <strong>das</strong><br />

Nürnberger Gericht berufen, nach wenigen Monaten die Tür zuknallte <strong>und</strong><br />

seinen Posten hinwarf; Senator Taft; der Lordbischof von Chichester, der am 23.<br />

Juni 1948 sehr scharf in die Oberhausdebatte eingriff; der Berliner Bischof<br />

Dibelius usw. <strong>Die</strong> meisten von ihnen hatten übrigens schon lange bevor die<br />

Körper der Gehängten kalt waren, protestiert, sogar schon bevor <strong>das</strong> Urteil<br />

gefällt wurde, die sehr gut Informierten unter ihnen bereits zu Anfang des Jahres<br />

1944, als die Alliierten bekannt gaben, <strong>das</strong>s sie einen solchen Prozess aufziehen<br />

wollten. Aber man hatte ihre Proteste totgeschwiegen <strong>und</strong> die Öffentlichkeit<br />

hörte erst viel später davon. In diese Gruppe gehörten nur wenige Deutsche. Der<br />

widerliche antideutsche Pressefeldzug hatte es fertig gebracht, aus jedem von<br />

ihnen einen Angeklagten zu machen; <strong>und</strong> es hatte den Eindruck, als beugten sie<br />

den Rücken unter den Schlägen. Für jeden anständigen Menschen, der Presse<br />

<strong>und</strong> Literatur jener Zeit durchsieht, ist es ganz klar, <strong>das</strong>s die Verteidiger der<br />

Angeklagten im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher einen wahren Akt des<br />

Heroismus vollbrachten. Da <strong>das</strong> Statut <strong>und</strong> die Verfahrensordnung ihnen bei der<br />

Erfüllung ihrer Aufgabe ständig die Hände fesselten - <strong>und</strong> die Presse ihre Worte<br />

in der gemeinsten Weise verdrehte, erscheinen ihre Interventionen <strong>und</strong><br />

Plädoyers oft sehr schüchtern <strong>und</strong> manchmal unzusammenhängend. Trotzdem<br />

wird eines Tages die klassische Größe vieler ihrer Worte anerkannt werden. Ich<br />

denke vor allem an ihren gemeinsamen Antrag, <strong>das</strong> Gericht für unzuständig zu<br />

erklären. Er wurde im Namen aller Verteidiger von Görings Anwalt Dr. Stahmer<br />

gleich zu Anfang des Prozesses am 19. November 1945 vorgelegt * <strong>und</strong> am 21.<br />

November verworfen: "insofern er eine Einrede gegen die Zuständigkeit des<br />

Gerichts darstellt, steht er im Widerspruch gegen Artikel 3 des Statuts". Artikel<br />

3 erklärte endgültig <strong>und</strong> entscheidend:<br />

"Weder <strong>das</strong> Gericht, noch seine Mitglieder oder Stellvertreter können von<br />

der Anklagebehörde oder dem Angeklagten oder seinem Verteidiger<br />

abgelehnt werden."<br />

________________<br />

* Siehe Anhang Anlage 1<br />

Ich denke auch an die Interventionen des Dr. Sauter, Verteidiger Ribbentrops,<br />

über den Versailler Vertrag, an die der Professoren Exner <strong>und</strong> Jahreiß,<br />

Verteidiger von Jodl, über die Verletzungen des internationalen Rechts des<br />

Flottenrichters Kranzbühler, Verteidiger des Großadmirals Dönitz, über <strong>das</strong><br />

Seerecht des Dr. Robert Servatius, Verteidiger von Sauckel, über <strong>das</strong><br />

Prozessverfahren <strong>und</strong> über die Zwangsarbeit, <strong>und</strong> einiger anderer noch, die zwar<br />

bescheidener auftraten, aber dennoch ein Niveau bewiesen, <strong>das</strong> weit über dem<br />

der Richter <strong>und</strong> Ankläger lag.<br />

41


In Frankreich sind eigentlich nur jene zwei bew<strong>und</strong>erungswürdigen Bücher von<br />

Maurice Bardeche: "Nuremberg ou la Terre Promise" <strong>und</strong> "Nuremberg II ou les<br />

Faux-Monnayeurs" erwähnenswert.** <strong>Die</strong> an der Macht befindliche<br />

französische Linke nahm aus diesen beiden Büchern nur die politischen<br />

Ansichten ihres Verfassers zur Kenntnis, der sich offen <strong>und</strong> verwegen Faschist<br />

nannte. Sie errichtete um diese Bücher einen <strong>und</strong>urchdringlichen Wall; <strong>das</strong> erste<br />

wurde schändlicherweise sogar verboten. Und dabei besagen seine, sehr<br />

objektiven, Thesen genau <strong>das</strong>, was zur Zeit meiner Jugend von den<br />

sozialistischen Parteien Europas <strong>und</strong> von der Linken der ganzen Welt einmütig<br />

vertreten <strong>und</strong> zwischen 1918 <strong>und</strong> 1933 beinahe zum Allgemeingut wurde.<br />

Unsere Vorbilder waren Bertrand Russell, Matthias Morhardt, Romain Rolland,<br />

Anatole France, Jeanne <strong>und</strong> Michel Alexandre. Es wäre leicht zu zeigen, <strong>das</strong>s<br />

diese Thesen, die auf eine recht lange Tradition zurückblicken können,<br />

tatsächlich Thesen der Linken sind. Über diesen Stellungswechsel vor dem<br />

Phänomen Krieg, wodurch die Linke die althergebrachten Stellungen der<br />

Rechten besetzte, während die Rechte die der Linken einnahm, wäre vieles zu<br />

sagen, aber hier muss der Historiker die Feder dem Soziologen überlassen.<br />

________________<br />

** "Nürnberg oder <strong>das</strong> Gelobte Land" <strong>und</strong> "Nürnberg II oder die Falschmünzer". Das letztgenannte Buch erschien<br />

1957 in deutscher Übersetzung im Verlag Karl Heinz Priester. Wiesbaden, jetzt: Damm-Verlag, München.<br />

Ich will daher nur eine Tatsache anführen, die in diesem Zusammenhang<br />

interessante Vergleiche erlaubt: Auch 1914 hatte sich die Linke die<br />

Auffassungen der Rechten über den Krieg zu eigen gemacht, aber 1918 war sie<br />

wieder zur Linken geworden. <strong>Die</strong> arrogante <strong>und</strong> unbeeinflussbare Rechte war<br />

während der ganzen Zeit geistlos <strong>und</strong> halsstarrig bei ihren Dogmen aus einem<br />

vergangenen Zeitalter geblieben. Heutzutage hingegen klammert sich die Linke<br />

ebenso geistlos <strong>und</strong> halsstarrig an solche Dogmen einer vergangenen Welt.<br />

Und dieses historische Geschaukel ist mindestens eine bemerkenswerte<br />

Tatsache. Kurz: Welches Verbrechen Deutschland <strong>und</strong> den Deutschen auch<br />

angekreidet wurde <strong>und</strong> wer es auch war, der dagegen Einspruch erhob, alle<br />

Proteste waren sich darin einig, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> gleiche Verbrechen auch den Alliierten<br />

vorgeworfen werden konnte.<br />

Infolgedessen hätten alle betroffenen Parteien ohne Unterschied auf die<br />

Anklagebank geschickt werden können, wenn man mit Gewalt einen Prozess<br />

hätte machen wollen, wobei die Ankläger <strong>und</strong> Richter nur unter den Neutralen<br />

ausgewählt werden durften, - aber die ließen keinen Zweifel daran, <strong>das</strong>s sie<br />

beide Seiten verurteilt hätten.<br />

Wegen Kriegsverbrechen <strong>und</strong> Verbrechen gegen die Menschlichkeit hätte man<br />

recht f<strong>und</strong>ierte Gegenanklagen formulieren können. Zuerst gegen die Russen im<br />

Zusammenhang mit den deutschen Verschleppungsaktionen <strong>und</strong><br />

Konzentrationslagern, zwei Komplexe, die von der riesigen alliierten<br />

42


Propagandamaschine mit Vorliebe gebraucht worden waren um die öffentliche<br />

Meinung gegen die Deutschen aufzubringen.<br />

Am 21. März 1946, als er von dem russischen Ankläger General Rudenko,<br />

verhört wurde, hatte <strong>Reich</strong>smarschall Göring geantwortet, <strong>das</strong>s die UdSSR aus<br />

den von ihr besetzten Gebieten 1.500.000 Polen <strong>und</strong> Ukrainer nach dem Osten<br />

der Sowjetunion sowie nach dem Fernen Osten verschleppt hätten. (Protokoll<br />

der IMT-Verhandlungen Band IX Seite 703) worauf er weder seine Quellen<br />

hatte nennen dürfen, noch überhaupt weitersprechen. <strong>Die</strong> erste polnische<br />

Exilregierung in London hatte jedoch ein Dokument veröffentlicht, laut dem die<br />

Anzahl der verschleppten Polen zwischen 1 Million <strong>und</strong> 1.600.000 lag, von<br />

denen 400.000 während ihrer Fahrt ins Innere Russlands umkamen, darunter<br />

77.834 von den 144.000 Kindern ... <strong>Die</strong>s ereignete sich wie es scheint im<br />

Februar, April, Juni 1940 <strong>und</strong> Juni 1941. Und Montgomery Belgion, der als<br />

Quelle die erste polnische Regierung in London angibt, fügt hinzu, <strong>das</strong>s die<br />

Russen (nach Auskünften des Amerikanischen Roten Kreuzes an Miss Keren<br />

<strong>und</strong> nach dem Buch eines polnischen Autors "The dark Side of the Moon",<br />

London 1943) in den baltischen Ländern nicht anders vorgingen: 60.940 Esten,<br />

60.000 Letten <strong>und</strong> 70.000 Litauer verschwanden.<br />

Soll ich noch hinzufügen, <strong>das</strong>s der große französische Jurist Raymond de<br />

Geouffre de la Pradelle 1958 in einem kleinen Buch "Le Probleme de la Silesie<br />

et le Droit" * anhand der Angaben des Statistischen Jahrbuchs 1947 des<br />

Zentralbüros für Statistik in Warschau (veröffentlicht von der polnischen<br />

Regierung unter Sowjetkontrolle) nachweist, <strong>das</strong>s die Russen zwischen dem 1.<br />

Juli 1945 <strong>und</strong> dem 1. Januar 1947 7.300.000 Deutsche aus Schlesien nach dem<br />

Restdeutschland trieben, in Durchführung einer anglo-amerikanischsowjetischen<br />

Vereinbarung über den Bevölkerungsaustausch?<br />

________________<br />

* <strong>Die</strong> deutsche Übersetzung ist enthalten in dem Sammelband "Verjagt - beraubt - erschlagen", Damm-Verlag,<br />

München.<br />

In der Zeitschrift "Revue des Deux Mondes" (Paris) vom 15.5.1952<br />

veröffentlichte Jean de Fange eine Untersuchung über diese unmenschliche<br />

Aktion, die unter genauso entsetzlichen Bedingungen stattfand, wie, während<br />

des Krieges, unsere Verschleppung in die deutschen Zwangslager - <strong>und</strong> erklärt,<br />

<strong>das</strong>s die russischen Maßnahmen über vier Millionen Menschenleben gefordert<br />

haben.<br />

Aber <strong>das</strong> Statut verbot offenbar, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Nürnberger Gericht sich dieses Falles<br />

annahm.<br />

Auf dem russischen Schuldkonto stehen auch: die Massengräber von Katyn, für<br />

die ein beträchtlicher Teil der Weltpresse noch immer die Deutschen<br />

verantwortlich macht, obwohl <strong>das</strong> Nürnberger Gericht <strong>das</strong> ablehnte, <strong>und</strong> obwohl<br />

heute einwandfrei feststeht, <strong>das</strong>s sie <strong>das</strong> russische Gewissen belasten; die<br />

43


Repressalien von 1944 gegen die ukrainische <strong>und</strong> polnische Zivilbevölkerung,<br />

die 1941 die Deutschen als Befreier begrüßt hatte; die Behandlung der deutschen<br />

Kriegsgefangenen; die Vergewaltigungen, Plünderungen <strong>und</strong> Massaker 8 , die in<br />

jeder deutschen Stadt den Einmarsch der russischen Truppen begleiteten usw...<br />

________________<br />

8 Im Oktober 1944 schrieb der russisch-kamäleonistische Schriftsteller Ilja Ehrenburg in einem "Appell an die Rote<br />

Armee" - er wurde nicht vor dem Nürnberger Gericht zitiert -: "Tötet, tötet! Es gibt nichts, was an den Deutschen<br />

unschuldig ist, an den Lebenden nicht <strong>und</strong> nicht an den Ungeborenen! Folgt der Weisung des Genossen Stalin <strong>und</strong><br />

zerstampft für Immer <strong>das</strong> faschistische Tier in seiner Höhle. Brecht mit Gewalt den Rassenhochmut der germanischen<br />

Frauen. Nehmt alle als rechtmäßige Beute. Tötet, Ihr tapferen vorwärtsstürmenden Rotarmisten!" (Zitiert von<br />

Großadmiral Dönitz in seinem Buch "Zehn Jahre <strong>und</strong> zwanzig Tage". Seite 431)<br />

Der Krieg an der Ostfront war wild, grausam <strong>und</strong> unmenschlich. Weder die<br />

Deutschen noch die Russen kümmerten sich im Geringsten um die<br />

internationalen Konventionen. Hier stießen nicht nur zwei Armeen, sondern<br />

auch noch zwei Ideologien zusammen. Der Partisanenkrieg zum Beispiel, den<br />

die internationalen Konventionen verboten hatten, war in russischen Augen ein<br />

heiliges Dogma - der Ausdruck der Emanzipation der Massen oder der Nation.<br />

<strong>Die</strong> Forderung "Auge um Auge, Zahn um Zahn" ist vollkommen unmoralisch;<br />

niemand hat <strong>das</strong> Recht, sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen; dies umso<br />

weniger, wenn er eine Rechtsinstanz anerkennt, die für alle zuständig ist. <strong>Die</strong><br />

"Einsatzgruppen", der Befehl für einen ermordeten deutschen Soldaten 50 bis<br />

100 Geiseln zu erschießen" (Keitel am 16. September 1941), die Erschießungen<br />

der russischen Politkommissare, die als Partisanen, nicht als Soldaten angesehen<br />

wurden, usw.: so schwerwiegend diese Missetaten sind, sie müssen trotzdem<br />

auch als Gegenmaßnahmen der Deutschen angesichts der Verletzung der<br />

internationalen Abmachungen durch die Russen beurteilt werden.<br />

Als die Sowjets 1939 jenen Teil Polens besetzten, den ihnen die deutschrussischen<br />

Abmachungen zugesprochen hatten, waren die Deutschen<br />

Augenzeugen. Sie wussten daher, wie die Russen in einem solchen Falle<br />

vorgingen <strong>und</strong> diese Erfahrungen waren mitbestimmend für die Haltung, die <strong>das</strong><br />

Oberkommando der Wehrmacht später einnahm.<br />

<strong>Die</strong> Angloamerikaner <strong>und</strong> Franzosen aber hatten ebenso schwere absichtliche<br />

Verletzungen der Kriegsgesetze <strong>und</strong> Kriegsbräuche verübt <strong>und</strong> waren darum<br />

ebenso wenig berechtigt, sich zu Richtern aufzuwerfen wie die Russen. 9<br />

________________<br />

9 Der Fall Russland ist einzigartig. Am 14. Dezember 1939 war es vom Völkerb<strong>und</strong> als Angreifer Polens <strong>und</strong><br />

Finnlands verurteilt wurden. Dass man in Nürnberg Vertreter der Sowjetunion als Richter wieder findet, beweist<br />

zumindest, welche erstaunliche Entwicklung <strong>das</strong> internationale Recht zwischen 1939 <strong>und</strong> 1945 durchgemacht bat.<br />

<strong>Die</strong> angloamerikanischen Bomber hatten Vernichtungsangriffe gegen die<br />

Zivilbevölkerung fast aller deutschen Städte durchgeführt indem sie ihre<br />

44


"Bombenteppiche" warfen. Selber nannten sie dies "obliteration bombing" <strong>und</strong><br />

diese Angriffe waren, wie schon der englische Ausdruck besagt, geeignet, ganze<br />

Städte "auszuradieren", einschließlich ihrer Bevölkerung. Umso mehr, als oft<br />

Phosphorbomben geworfen wurden. In Dresden, Leipzig <strong>und</strong> Hamburg starben<br />

in einer einzigen Nacht Zehntausende von Unglücklichen, die entweder lebendig<br />

begraben wurden unter den zusammenstürzenden Mauern oder lebendig<br />

verbrannten in nichtzulöschenden Riesenfeuersbrünsten - oder als gleichfalls<br />

nichtzulöschende menschliche Fackeln brüllend umher rannten auf der Suche<br />

nach Wasser, <strong>das</strong> oft unerreichbar war, oder nicht reichte um sie zu retten.<br />

<strong>Die</strong> Männer, die sich gegen Nürnberg wandten, führten auch noch den Abwurf<br />

von Atombomben auf Nagasaki <strong>und</strong> Hiroshima an, Kriegsverbrechen, wie man<br />

sie sich damals nicht entsetzlicher <strong>und</strong> zynischer vorstellen konnte. Sie<br />

erwähnten auch die Tatsache, <strong>das</strong>s deutsche Unterseeboote <strong>und</strong> andere<br />

Kriegsschiffe bei der Rettung Schiffbrüchiger bombardiert worden waren - <strong>und</strong><br />

zwar nachdem sie diese Rettungsaktion in Klarspruch auf der internationalen<br />

Welle bekannt gegeben hatten.<br />

Ein besonders typischer Fall waren die Angriffe auf U 156, U 506 <strong>und</strong> U 507,<br />

die am 13. September 1942 entsprechend den Hochseegebräuchen begonnen<br />

hatten, die Bemannung <strong>und</strong> Passagiere der "Laconia" zu retten, nachdem <strong>das</strong><br />

Schiff von U 156 torpediert worden war. <strong>Die</strong> "Laconia" war ein Handelsschiff,<br />

bewaffnet mit 14 Geschützen, darunter zwei von 150 mm, sowie mit Flak,<br />

Wurfminen usw., also eine einwandfreie Prise.<br />

<strong>Die</strong> Vorwürfe gegen die Franzosen waren nicht viel weniger schwer: der<br />

Widerstand <strong>und</strong> der Partisanenkrieg, die von keiner internationalen Konvention<br />

zugelassen waren; die zahllosen Morde an deutschen Soldaten, rücklings<br />

erstochen von unsichtbaren Feinden; die Massaker von Kriegsgefangenen, die<br />

unter dem Schutz der Genfer Konvention standen, wie zum Beispiel am 19.<br />

August 1944 in Annecy (Savoie) <strong>und</strong> in vielen anderen Lagern in Frankreich<br />

nach Mai 1945, so <strong>das</strong>s schließlich <strong>das</strong> Internationale Rote Kreuz intervenierte<br />

<strong>und</strong> erreichte, <strong>das</strong>s General Eisenhower persönlich eingriff.<br />

All diese Verletzungen der Konventionen von Genf <strong>und</strong> Den Haag, d.h. des<br />

geschriebenen Rechts, entlasten Deutschland sicherlich nicht, <strong>das</strong> seinen Teil der<br />

Schuld zu tragen hat. Wenn ich mich hier auf eine Zusammenfassung der<br />

Verfehlungen der anderen beschränkt habe, so nur, um zu beweisen, <strong>das</strong>s:<br />

1. solche Verletzungen von beiden Seiten begangen wurden,<br />

2. wenn Deutschland gerichtet werden musste, diese Richter dazu nicht<br />

qualifiziert waren,<br />

3. ein qualifiziertes Gericht auch gegen Russland, England, Amerika<br />

<strong>und</strong> Frankreich hätte Anklage erheben müssen.<br />

Artikel 3 des Statuts bestimmte indirekt, <strong>das</strong>s Verfehlungen seitens der Sieger<br />

als Argument unzulässig seien - die Nürnberger Richter nannten es "<strong>das</strong><br />

45


Argument tu quoque", "auch Du" - weil dadurch die vorausgesetzte<br />

Zuständigkeit des Gerichts infrage gestellt würde. Aber auch Artikel 18 verbot<br />

es, denn man wollte schnell vorwärts kommen. Artikel 18 machte dem Gericht<br />

zur Auflage:<br />

1. den Prozess streng auf eine beschleunigte Verhandlung der von der<br />

Anklage erhobenen Punkte zu beschränken;<br />

2. strenge Maßnahmen zu ergreifen, um jede Handlung zu vermeiden,<br />

die eine unnötige Verzögerung verursachen könnte - <strong>und</strong><br />

unerhebliche Fragen <strong>und</strong> Erklärungen jedweder Art abzulehnen.<br />

Nun, eine Gerechtigkeit, die von vornherein bestimmte unbewiesene<br />

Behauptungen für wahr erklärt <strong>und</strong> keine Diskussion über deren Richtigkeit<br />

zulässt, wird immer mit einem schnellen Urteil dienen können - <strong>und</strong> eine<br />

Gerechtigkeit, die schnell urteilt, ist eben keine Gerechtigkeit mehr.<br />

*<br />

Wenn ich gerade den Fall der "Laconia" ausgewählt <strong>und</strong> ihn für typisch erklärt<br />

habe, so deshalb, weil kaum ein anderer Fall so deutlich die macchiavellistische<br />

Taktik der Anklage demonstriert - weil die ganze Behandlung des Falles<br />

geradezu charakteristisch ist für diesen Macchiavellismus.<br />

<strong>Die</strong> "Laconia" war ein Handelsschiff, <strong>das</strong> von der englischen Admiralität zu<br />

einem Truppentransporter umgebaut worden war. <strong>Die</strong> bloße Tatsache, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

Schiff mit Angriffswaffen versehen war, sowie mit den nötigen Geräten zur<br />

Ortung feindlicher Unterseeboote, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s es beauftragt war, diese sofort nach<br />

ihrer Ortung zu melden - <strong>das</strong> allein reichte, um die "Laconia" im Sinne der<br />

internationalen Konventionen zu einem Schiff zu machen, <strong>das</strong> vom Gegner<br />

torpediert werden durfte. Daher wurde, meines Wissens, auch nie bestritten, <strong>das</strong>s<br />

die U 156 durchaus berechtigt war, den Dampfer zu torpedieren - wenigstens<br />

von offizieller Seite wurde <strong>das</strong> nicht versucht. Man bemühte sich zwar die<br />

öffentliche Meinung zu beeinflussen, indem man auf die 80 Frauen <strong>und</strong> Kinder<br />

hinwies, die sich an Bord befanden - hielt sich aber auch dabei ziemlich zurück,<br />

denn es lag zu sehr auf der Hand, <strong>das</strong>s die Behörden, die diese 80 Frauen <strong>und</strong><br />

Kinder an Bord nahmen, damit selber die internationalen Konventionen verletzt<br />

hatten; die Lage war etwa die einer Truppe, die Frauen <strong>und</strong> Kinder<br />

vorausgeschickt hätte, damit der Feind nicht schießen könnte.<br />

Was dann aber in Nürnberg diskutiert wurde, war der Befehl des Großadmirals<br />

Dönitz, der die logische Schlussfolgerung gezogen hatte aus der Haltung der<br />

Amerikaner (die ohne Rücksicht auf die große Tradition der Seefahrt, Retter wie<br />

Schiffsbrüchige beschossen hatten, auch Frauen <strong>und</strong> Kinder <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong> wie<br />

Feind. 10 Der Befehl des Großadmirals lautete:<br />

46


"Jegliche Rettungsversuche von Angehörigen versenkter Schiffe, also auch<br />

Auffischen von Schwimmenden <strong>und</strong> Anbordgabe auf Rettungsboote,<br />

Aufrichten gekenterten Rettungsboote, Abgabe von Nahrungsmitteln <strong>und</strong><br />

Wasser haben zu unterbleiben, Rettung widerspricht den primitivsten<br />

Forderungen der Kriegsführung nach Vernichtung feindlicher Schiffe <strong>und</strong><br />

Besatzungen."<br />

________________<br />

10 <strong>Die</strong> 'Laconia' transportierte u. a. auch 1800 italienische Kriegsgefangene. <strong>Die</strong>se behaupteten später, wie<br />

Großadmiral Dönitz (.Zehn Jahre <strong>und</strong> zwanzig Tage", Seite 257) berichtet, <strong>das</strong>s die Briten die Luken zu den<br />

Schiffsräumen, in denen die Italiener sich befanden, im Augenblick der Torpedierung schlössen. Mit Waffengewalt<br />

hinderte man sie daran, in die Boote zu steigen. die von den Deutschen allen Schiffbrüchigen zur Verfügung gestellt<br />

waren. Für ein Kriegsverbrechen gibt es kaum ein besseres Beispiel.<br />

Der britische Ankläger, Sir David Maxwell-Fyfe, hielt es für erforderlich, sich<br />

sofort auf diesen Befehl zu stürzen <strong>und</strong> zu behaupten, <strong>das</strong>s er "zur vorsätzlichen<br />

Tötung von Schiffbrüchigen" aufforderte. <strong>Die</strong> ganze Verhandlung wurde<br />

schließlich so geführt, <strong>das</strong>s die Angloamerikaner, nachdem sie die Deutschen<br />

gezwungen hatten, die Rettung Schiffbrüchiger einzustellen, nun die<br />

unumgänglichen Folgen dieses Verbrechens den Deutschen anzulasten<br />

versuchten, wobei sie mittels rabulistischer Beweisführung diese Folgen ins<br />

Ungeheuerliche vergrößerten, gleichzeitig aber sorgfältig darüber wachten, <strong>das</strong>s<br />

<strong>das</strong> Verbrechen selbst nicht erwähnt wurde.<br />

Glücklicherweise erklärte ein mutiger Zeuge, der amerikanische Großadmiral<br />

Nimitz, Flottenchef der Vereinigten Staaten, folgendes:<br />

"Im allgemeinen haben die US-Unterseeboote feindliche Überlebende nicht<br />

gerettet, wenn es für <strong>das</strong> Unterseeboot eine ungewöhnliche, zusätzliche<br />

Gefahr bedeutete oder <strong>das</strong> Unterseeboot dadurch an der weiteren<br />

Durchführung seiner Aufgabe gehindert wurde." (Sitzung vom 2. Juli 1946,<br />

IMT, Bd. XVII S. 389.)<br />

In dieser Zeugenaussage erwähnte Großadmiral Nimitz außerdem den Befehl<br />

der amerikanischen Seekriegsführung vom 7. Dez. 1941, japanische<br />

Handelsschiffe ohne Vorwarnung anzugreifen unter dem Vorwand, <strong>das</strong>s sie<br />

"gewöhnlich bewaffnet seien".<br />

<strong>Die</strong>ser Vorwurf wurde daraufhin vom Nürnberger Gerichtshof gegen den<br />

Großadmiral Dönitz nicht mehr aufrechterhalten <strong>und</strong> folglich auch nicht gegen<br />

Deutschland. <strong>Die</strong> Presse indessen, die in ihren Berichten über den<br />

Prozessverlauf in Millionen von Exemplaren über die ganze Welt verbreitet<br />

hatte, <strong>das</strong>s Großadmiral Dönitz <strong>das</strong> absichtliche Massakrieren der Besatzung<br />

torpedierter Schiffe befohlen hätte, informierte die Weltöffentlichkeit niemals<br />

über diesen Rückzieher. Noch heute vollbringt ein bemerkenswert großer Teil<br />

dieser Presse wahre W<strong>und</strong>er bei der Behandlung dieses Falles.<br />

47


Der Macchiavellismus, mit dem die Ankläger die Dokumente <strong>und</strong> Tatsachen im<br />

Fall "Laconia" behandelt haben, scheint auch bei der Behandlung aller anderen<br />

Dokumente im ganzen weiteren Verlauf des Prozesses die Regel gewesen zu<br />

sein. Man findet ihn wieder bei der Frage der Vernichtungsangriffe, des<br />

"obliteration bombing', von der bereits kurz gesprochen wurde. Es ist aber von<br />

Interesse zu erfahren, was die Engländer <strong>und</strong> später die Amerikaner zu diesen<br />

Vernichtungsangriffen veranlasste.<br />

Hierüber gibt es zwei Auffassungen: <strong>Die</strong> erste ist allgemein anerkannt <strong>und</strong> wird<br />

von William L. Shirer in seinem Buch 'Aufstieg <strong>und</strong> Fall des <strong>Dritte</strong>n <strong>Reich</strong>es'<br />

wieder präsentiert, die andere bringt J. M. Spaight, Ministerialdirektor im<br />

britischen Luftfahrtministerium, in seinem Buch 'Bombing Vindicated'. Beiden<br />

kommt es im Übrigen nur darauf an zu klären, wer eigentlich damit angefangen<br />

hat. Moralisch gesehen ist diese Frage ohne Gewicht - aber vom Standpunkt der<br />

Haager Konvention ist es von entscheidender Bedeutung, zu wissen, ob diese<br />

Repressalien von den Angloamerikanern oder den Deutschen ausgegangen sind.<br />

Hier folgt, was William L. Shirer als die offizielle Lesart präsentiert:<br />

"In der Nacht vom 23. August kam ein Dutzend deutscher Bomber, <strong>das</strong> in<br />

den Außenbezirken Londons Flugzeugfabriken <strong>und</strong> Öltanks bombardieren<br />

sollte, vom Kurs ab <strong>und</strong> warf seine Bombenlast über dem Zentrum der<br />

englischen Hauptstadt ab, wodurch eine Reihe Wohnhäuser zerstört <strong>und</strong><br />

eine Anzahl Zivilisten getötet wurden. <strong>Die</strong> Engländer sahen darin eine<br />

Absicht <strong>und</strong> unternahmen in der nächsten Nacht einen Vergeltungsangriff<br />

auf Berlin ... In der Nacht vom 28. zum 29. August flog die RAF mit einem<br />

stärkeren Geschwader ein ... Nach den amtlichen Angaben betrugen die<br />

Verluste zehn Tote <strong>und</strong> 29 Verw<strong>und</strong>ete."<br />

Dass man diesen offiziell zugegebenen Navigationsirrtum im ersten Augenblick<br />

als eine absichtliche Aktion der Deutschen ansah, die dann als sofortigen<br />

Gegenschlag in der folgenden Nacht einen englischen Angriff auf Berlin<br />

auslöste, kann man leicht verstehen <strong>und</strong> sogar verzeihen. Dass sie einige Tage<br />

später mit starken Kräften nachstießen, ohne <strong>das</strong>s die Deutschen ihnen einen<br />

neuen Anlass gegeben hätten, kann man schon weniger gut verstehen.<br />

Vollkommen unverständlich <strong>und</strong> vollkommen unentschuldbar ist aber die<br />

Tatsache, <strong>das</strong>s die Engländer die Bombardements solange fortgesetzt haben - die<br />

offizielle These <strong>und</strong> W. L. Shirer schweigen darüber - bis sie die deutschen<br />

Vergeltungsangriffe auf Coventry, Birmingham, Sheffield <strong>und</strong> Southampton<br />

provoziert hatten, mit denen dann die Engländer wieder Dresden, Leipzig <strong>und</strong><br />

Hamburg entschuldigten. <strong>Die</strong> Lesart des Ministerialdirektors des britischen<br />

Luftfahrtministeriums klingt wesentlich anders <strong>und</strong> wirft ein anderes Licht auf<br />

die Angelegenheit.<br />

Er erklärt, <strong>das</strong>s die Anfänge dieser Angriffe viel weiter zurückliegen, <strong>das</strong>s sie<br />

nicht vom 23. August 1940 datieren, sondern genau vom 11. Mai. An diesem<br />

48


Tage seien sie vom Generalstab der Admiralität beschlossen worden, <strong>und</strong> am<br />

gleichen Abend hätten 18 Whitley-Bomber in mehreren Wellen angreifend,<br />

Bombenteppiche auf Eisenbahnanlagen an der Ruhr abgeworfen <strong>und</strong> dabei, wie<br />

nicht anders zu erwarten, einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Zivilisten den<br />

Tod gebracht. Dann hätten sie ihre Angriffe soweit fortgesetzt, wie es ihnen die<br />

deutsche Flak gestattete.<br />

"Wir befürchteten damals eine ungünstige psychologische Reaktion auf<br />

unsere Erklärung, <strong>das</strong>s wir die Initiative zu diesem strategischen<br />

Bombardement ergriffen hätten <strong>und</strong> unterließen es deshalb, unseren<br />

großartigen Beschluss vom 11. Mai 1940 die Publizität zu geben, die er<br />

verdiente", schreibt J. M. Spaight. "<strong>Die</strong>ses Schweigen war aus taktischen<br />

Gründen erforderlich, denn der Beschluss war hervorragend. Er war ebenso<br />

heroisch, ebenso selbstlos wie die russische Entscheidung zur<br />

Durchführung der Politik der verbrannten Erde. Unser Beschluss kostete<br />

uns Coventry <strong>und</strong> Birmingham, Sheffield <strong>und</strong> Southampton; er gab uns <strong>das</strong><br />

Recht, Kiew <strong>und</strong> Charkow, Stalingrad <strong>und</strong> Sewastopol in die Augen zu<br />

schauen. Unsere sowjetischen Verbündeten hätten 1942 unsere Untätigkeit<br />

weniger streng beurteilt, wenn sie die Größe unserer Leistung verstanden<br />

hätten." ("BombingVindicated" S. 74.)<br />

<strong>Die</strong> Deutschen allerdings schlugen erst zurück, nachdem viele Bomben auf<br />

Berlin gefallen waren. Am 31. August <strong>und</strong> 1. September, sagt W. L. Shirer,<br />

"nachdem die englischen Flugzeuge eine Woche lang Nacht für Nacht ihre<br />

Bombenlast über Deutschland abgeworfen hatten", zeigten die meisten<br />

Tageszeitungen der deutschen Hauptstadt Schlagzeilen wie: "Feiger Angriff der<br />

Engländer" <strong>und</strong> "Britische Luftpiraten über Berlin".<br />

Erst am 4. September antwortete Hitler <strong>und</strong> brachte in seiner Rede zur<br />

Eröffnung des Winterhilfswerks die Begeisterung der entrüsteten Menge zur<br />

Siedehitze als er erklärte:<br />

"Drei Monate lang habe ich nicht zurückgeschlagen, weil ich glaubte, <strong>das</strong>s<br />

dieser Wahnsinn aufhören würde. Herr Churchill hat dies als ein Zeichen<br />

von Schwäche aufgefasst. Von jetzt an werden wir Nacht für Nacht<br />

zurückschlagen. Für 200 oder 300 oder 400 Kilo Bomben, die die englische<br />

Luftwaffe abwirft, werden wir in einer Nacht 150.000, 200.000, 300.000<br />

oder 400.000 Kilo abwerfen."<br />

Bis dahin hatte die deutsche Luftwaffe wirklich nicht zurückgeschlagen, wenn<br />

man von dem bei W. L. Shirer erwähnten Navigationsirrtum absieht. Nun<br />

wurden Coventry, Birmingham, Sheffield, Southampton <strong>und</strong> sogar London<br />

angegriffen. Es folgte Schlag auf Schlag, bis 1944 der Schrecken seinen<br />

Höhepunkt erreichte mit Dresden, Leipzig, Hamburg <strong>und</strong> anderen deutschen<br />

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Städten. Aber 1944 konnte Deutschland nicht mehr zurückschlagen, <strong>und</strong> die<br />

Bombenteppiche fielen auf einen Feind, der bereits auf dem Rücken lag ...<br />

Sowohl nach W. L. Shirer als auch nach J. M. Spaight wurde dieser<br />

verbrecherische Mechanismus, an dem beide Teile, Richter wie Angeklagte, in<br />

gleicher Weise schuldig sind, durch den Generalstab der britischen Admiralität<br />

in Bewegung gesetzt. Das Gericht in Nürnberg befasste sich aber nur mit einem<br />

Detail der deutschen Reaktion, nämlich mit den Maßnahmen gegenüber<br />

angloamerikanischen Fliegern, die aus irgend einem Gr<strong>und</strong>e auf deutschem<br />

Boden notlanden mussten, die man sozusagen auf frischer Tat ertappt hatte.<br />

<strong>Die</strong> bekannteste dieser Maßnahmen, diejenige, die am meisten Aufsehen erregte,<br />

weil sie als die unmenschlichste angesehen wurde, fand sich in Form einer Notiz<br />

in den Akten des OKW <strong>und</strong> trug <strong>das</strong> Datum des 21. Mai 1944. Es handelte sich<br />

um eine Entscheidung Hitlers, <strong>das</strong>s die Besatzungen englischer <strong>und</strong><br />

amerikanischer Flugzeuge, die bestimmte, genau festgelegte Handlungen<br />

begangen hatten, ohne gerichtliches Urteil zu erschießen seien. (Nürnberger<br />

Dokument PS 731, IMT Bd. XXVI S. 275-276).<br />

Nach der hier erwähnten Quelle lautete die Notiz wie folgt:<br />

"Der Führer hat beschlossen, in besonderen Fällen gegenüber<br />

angloamerikanischen Flugzeugbesatzungen die folgenden Maßnahmen<br />

anzuwenden: Abgeschossene feindliche Flieger sind ohne Standgericht zu<br />

erschießen in folgenden Fällen:<br />

1. bei Beschuss von am Fallschirm hängenden abgeschossenen eigenen<br />

(deutschen) Flugzeugbesatzungen,<br />

2. bei Bordwaffenangriffen auf notgelandete deutsche Flugzeuge, in<br />

deren unmittelbarer Nähe sich Angehörige der Besatzungen<br />

befinden,<br />

3. bei Angriffen auf Eisenbahnzüge des öffentlichen Verkehrs;<br />

4. bei Bordwaffen-Tiefangriffen auf einzelne Zivilpersonen (Bauern,<br />

Arbeiter. Einzelfahrzeuge usw.)"<br />

Aus dieser Notiz machte man einen Befehl, von dem kein Gr<strong>und</strong> bestand<br />

anzunehmen, <strong>das</strong>s er nicht ausgeführt worden sei. Als diese Notiz am 20. März<br />

1946 <strong>und</strong> den folgenden Tagen vor Gericht zur Sprache kam, wurde sie von der<br />

zur Berichterstattung über den Prozess zugelassenen Presse mit einem Kranz<br />

von Verwünschungen gegen <strong>das</strong> "ewige <strong>und</strong> unmenschliche Deutschland ..."<br />

ausgeschmückt <strong>und</strong> mit anderen Notizen ähnlicher Art <strong>und</strong> aus dem<br />

Zusammenhang gerissenen Texten zusammengeworfen - mehr schrieb die<br />

Presse nicht. Wenn man aber <strong>das</strong> Protokoll über <strong>das</strong> Verhör Görings (am<br />

gleichen Tage) nachliest, dann erfährt man, <strong>das</strong>s die Notiz mit<br />

Randbemerkungen von Warlimont (Stellvertreter des Generalstabschefs der<br />

Wehrmacht), von Keitel, von Jodl <strong>und</strong> einem General Körten usw. versehen ist,<br />

<strong>das</strong>s es sich um die Prüfung eines Vorschlages zu einem Führerbefehl, nicht um<br />

50


den Befehl selbst handelte. Das Verhör Keitels (am 8. April 1946, Nürnberger<br />

Prozess Bd. XI, S. 22) ergab, <strong>das</strong>s es sich um "Hin- <strong>und</strong> Hererörterungen über<br />

eine von Hitler gewünschte Maßnahme" handelte, "die dann - Gott sei Dank -<br />

nicht zur Tatsache wurde, weil entsprechende Anweisungen nicht erteilt<br />

wurden."<br />

Das Gericht musste sich den Tatsachen beugen. Das tat es auch. <strong>Die</strong> Presse aber<br />

nicht. Noch heute bringen viele Propagandisten eines nachträglichen<br />

Antinazismus, die sich selbst als Historiker bezeichnen, in der Presse <strong>und</strong> in<br />

Büchern diese Notiz, aus der sie inzwischen einen Befehl gemacht haben, der<br />

wirklich <strong>und</strong> zwar in einer ganzen Reihe von Fällen befolgt worden sei.<br />

Tatsächlich ist es vorgekommen, <strong>das</strong>s angloamerikanische Flieger gelyncht oder<br />

umgebracht wurden von einer wütenden Menge, die sich auf sie stürzte sobald<br />

sie die Erde erreicht hatten. Aber <strong>das</strong> ist eine andere Sache, - eine<br />

Herdenreaktion, die ohne Zweifel verwerflich war, aber sicher auch begreiflich.<br />

<strong>Die</strong> Anklage wollte es so darstellen, als ob diese Herdenreaktion durch die<br />

Führer des <strong>Dritte</strong>n <strong>Reich</strong>es ferngesteuert worden wäre. Um dies zu beweisen,<br />

wurden dem Gericht noch andere Unterlagen vorgelegt. In erster Linie<br />

Aufzeichnungen des Generals Warlimont, des Mitarbeiters Keitels, nämlich die<br />

Dokumente PS 735 <strong>und</strong> PS 740 (IMT Band XXVI S. 276 <strong>und</strong> 279).<br />

<strong>Die</strong>se beiden Dokumente belasteten Göring <strong>und</strong> Ribbentrop im Zusammenhang<br />

mit einer Konferenz, die einige Zeit vor dem 6. Juni 1944 auf Schloss Kießheim<br />

stattgef<strong>und</strong>en haben sollte <strong>und</strong> in der diese Herren gemeinsam mit Himmler eine<br />

Haltung eingenommen hätten, die sich mit dem Inhalt der von der Anklage<br />

vorgelegten Notiz vom 21. Mai deckt. Unglücklicherweise hat dieses<br />

Zusammentreffen in Kießheim nur in der Phantasie Warlimonts stattgef<strong>und</strong>en,<br />

der notierte, er habe die Auskunft von Kaltenbrunner. Man weiß nicht, woher<br />

Kaltenbrunner sie hatte. Obendrein bewiesen Ribbentrop <strong>und</strong> Kaltenbrunner<br />

eindeutig, <strong>das</strong>s sie hinsichtlich der Behandlung der angloamerikanischen<br />

Flieger, selbst derer, die Terrorakte begangen hatten, ebenso wenig wie Keitel<br />

die Ansichten teilten, die Hitler sich diesbezüglich offenbar gebildet hatte.<br />

Als nun <strong>das</strong> belastende Material immer fadenscheiniger wurde, wollte die<br />

Anklage trotzdem mit Gewalt ihr Ziel erreichen <strong>und</strong> zögerte nicht, einen Befehl<br />

anzuführen, den Rudolf Heß am 13. April 1940 erteilt hatte, worin es sich um<br />

Anweisung an die Zivilbevölkerung über die Maßnahmen handelte, die bei der<br />

Landung feindlicher Flugzeuge oder feindlicher Fallschirmjäger auf deutschem<br />

Boden zu treffen seien. (Dokument PS 062, IMT Band XXV, S. 119).<br />

Im vierten Absatz war gesagt, <strong>das</strong>s "die feindlichen Fallschirmjäger sofort<br />

festgenommen oder unschädlich gemacht werden sollen." Der Ankläger Jackson<br />

übersetzte "unschädlich machen" mit "liquidieren", wohl deshalb, weil dieser<br />

Ausdruck damals Mode war, <strong>und</strong> seine Übersetzung wandert noch heute munter<br />

durch die Presse vieler Länder.<br />

51


Dann kam ein Befehl Himmlers vom 10. Aug. 1943 (Dokument R 110, IMT Bd.<br />

XXXVIII S. 313/314). Darin teilt Himmler allen höheren Offizieren der SS <strong>und</strong><br />

des Einsatzdienstes der Polizei mit: "Es ist nicht Aufgabe der Polizei, sich in<br />

Auseinandersetzungen zwischen deutschen Volksgenossen <strong>und</strong> abgesprungenen<br />

englischen <strong>und</strong> amerikanischen Terrorfliegern einzumischen." <strong>Die</strong> Anklage<br />

übersetzt: "Es wurde befohlen, <strong>das</strong>s gefangenen englischen <strong>und</strong> amerikanischen<br />

Fliegern nicht länger die Stellung von Kriegsgefangenen zugebilligt werden<br />

solle. Sie sollten als Verbrecher behandelt werden, <strong>und</strong> die Wehrmacht wurde<br />

angewiesen, sie gegen Lynchakte der Bevölkerung nicht zu schützen (R 118).<br />

<strong>Die</strong> Nazi-Regierung bemühte sich, die Zivilbevölkerung durch ihre Polizei <strong>und</strong><br />

Propagan<strong>das</strong>tellen dazu aufzustacheln, Flieger, die abgestürzt oder<br />

abgesprungen waren, anzugreifen <strong>und</strong> zu töten." (Sitzung vom 21. November<br />

1945; IMT Bd. II, S. 161).<br />

In seinem Plädoyer erklärt dann aber Dr. Gawlik (Verteidiger des SD seit dem<br />

18. März 1946), <strong>das</strong>s erstens dieser Befehl sich nur auf die Polizei bezog - was<br />

man immerhin dem Text entnehmen kann - <strong>und</strong> <strong>das</strong>s zweitens der Schutz solcher<br />

Flieger nicht in die Kompetenz der Polizei fiel, sondern in die des SD, dem auch<br />

weiterhin dieser Schutz oblag; <strong>und</strong> <strong>das</strong>s, im Gegensatz zu den Behauptungen der<br />

Anklage, der SD niemals die Zivilbevölkerung aufgestachelt hätte, abgestürzte<br />

oder abgesprungene Flieger anzugreifen oder zu töten. (Sitzung vom 27. August<br />

1946, IMT Bd. XXII, Seite 41).<br />

Dann kam der Befehl Hitlers vom 18. Oktober 1942 über Vernichtung von<br />

Kommandotrupps <strong>und</strong> Fallschirmabspringern (Dokument PS 498, IMT Bd.<br />

XXVI, S. 100f.). Wenigstens wird die Übersetzung dieses Befehls von der<br />

Anklage-Vertretung unter diesem Titel vorgelegt. Man braucht jedoch nur<br />

nachzulesen, um zu erkennen, <strong>das</strong>s es sich hier weder um Fallschirmjäger noch<br />

um einfache Einsatzgruppen handelt, sondern vielmehr um mittels Fallschirmen<br />

hinter der Kampflinie abgesetzte Gruppen, die dort einen von den Genfer<br />

Konventionen strengstens verbotenen Krieg führen wollten. Bilden Sie sich bitte<br />

selbst ein Urteil an Hand der drei wichtigsten Punkte, die hier wortgetreu<br />

wiedergegeben werden:<br />

1. Schon seit längerer Zeit bedienen sich unsere Gegner in ihrer<br />

Kriegsführung Methoden, die außerhalb der internationalen<br />

Abmachungen von Genf stehen. Besonders brutal <strong>und</strong> hinterhältig<br />

benehmen sich die Angehörigen der so genannten Kommandos, die<br />

sich selbst, wie feststeht, teilweise sogar aus Kreisen von den<br />

Feindländern freigelassener krimineller Verbrecher rekrutieren. Aus<br />

erbeuteten Befehlen geht hervor, <strong>das</strong>s sie beauftragt sind, nicht nur<br />

Gefangene zu fesseln, sondern auch wehrlose Gefangene kurzerhand<br />

zu töten im Moment, in dem sie glauben, <strong>das</strong>s diese bei der weiteren<br />

Verfolgung ihrer Zwecke als Gefangene einen Ballast darstellen oder<br />

sonst ein Hindernis sein könnten. Es sind endlich Befehle gef<strong>und</strong>en<br />

52


worden, in denen gr<strong>und</strong>sätzlich die Tötung der Gefangenen verlangt<br />

worden ist.<br />

2. Aus diesem Anlass wurde in einem Zusatz zum Wehrmachtsbericht<br />

vom 17. Oktober 1942 bereits angekündigt, <strong>das</strong>s in Zukunft<br />

Deutschland gegenüber diesen Sabotagetrupps der Briten <strong>und</strong> ihren<br />

Helfershelfern zum gleichen Verfahren greifen wird, <strong>das</strong> heißt: <strong>das</strong>s<br />

sie durch die deutschen Truppen, wo immer sie auch auftreten,<br />

rücksichtslos im Kampf niedergemacht werden.<br />

3. Ich befehle daher: Von jetzt ab sind alle bei so genannten<br />

Kommandounternehmungen in Europa oder in Afrika von deutschen<br />

Truppen gestellte Gegner, auch wenn es sich äußerlich um Soldaten<br />

in Uniform oder Zerstörertrupps mit <strong>und</strong> ohne Waffen handelt, im<br />

Kampf oder auf der Flucht bis auf den letzten Mann<br />

niederzumachen. Es ist dabei ganz gleich, ob sie zu ihren Aktionen<br />

durch Schiffe <strong>und</strong> Flugzeuge angelandet werden oder mittels<br />

Fallschirmen abspringen. Selbst wenn diese Subjekte bei ihrer<br />

Auffindung scheinbar Anstalten machen sollten, sich gefangen zu<br />

geben, ist ihnen gr<strong>und</strong>sätzlich jeder Pardon zu verweigern. Hierüber<br />

ist in jedem Einzelfall zur Bekanntgabe im Wehrmachtsbericht eine<br />

eingehende Meldung an <strong>das</strong> OKW. zu erstatten.<br />

Drei weitere Abschnitte legten noch fest, <strong>das</strong>s falls bestimmte Spione <strong>und</strong><br />

Saboteure von der Armee festgenommen werden sollten, sie sofort dem SD<br />

überstellt werden mussten, - <strong>das</strong>s dieser Befehl nicht für feindliche Soldaten<br />

galt, die im Rahmen normaler Kampfhandlungen, Großangriffe,<br />

Großlandungsoperationen <strong>und</strong> Großluftlandeunternehmungen gefangen<br />

genommen werden oder sich ergeben -, <strong>das</strong>s Einheitsführer <strong>und</strong> Offiziere vor ein<br />

Kriegsgericht gestellt werden konnten, wenn sie sich bei der Durchführung des<br />

Befehls eine Nachlässigkeit hätten zuschulden kommen lassen.<br />

Außerdem erläuterte ein ergänzender Führerbefehl vom gleichen Tag (PS 503<br />

IMT Band XXXI, Seite 117) noch einmal die Gründe für den Absatz l des<br />

eigentlichen Befehls.<br />

Es stimmt, <strong>das</strong>s dieser Befehl in mancher Hinsicht im Widerspruch zu den<br />

Konventionen von Genf <strong>und</strong> Den Haag steht, aber wenn man formaljuristisch<br />

gesehen, diese Tatsache nicht leugnen kann, so wird man auch zugeben müssen,<br />

<strong>das</strong>s es sich um eine Rechtsverletzung handelt, die durch eine andere<br />

Rechtsverletzung bedingt war <strong>und</strong> daher gemeinsam mit dieser beurteilt werden<br />

muss. Nun war nach Artikel 18 des Statuts die ursprüngliche Rechtsverletzung<br />

"prozessfern", infolgedessen befasste man sich nur mit der zweiten.<br />

Und in allen Veröffentlichungen wurden bestimmte Ausdrücke besonders<br />

hervorgehoben, wie "Soldaten mit oder ohne Uniform" (diese Einsatzgruppen<br />

hatten Uniformen bei sich, für den Fall, <strong>das</strong>s sie bei der Erfüllung ihres<br />

53


Auftrages gefangen genommen würden - <strong>und</strong> Zivilkleidung um nach Erfüllung<br />

ihres Auftrages leichter fliehen zu können). "Mit oder ohne Waffen", (wenn sie<br />

Zivil anzogen, warfen sie ihre Waffen weg).<br />

Obwohl der Befehl ausdrücklich sagte, <strong>das</strong>s er sich nicht auf Angehörige<br />

regulärer Truppen bezog, ließen die ganzen Berichte m der Presse diese<br />

Angaben aus <strong>und</strong> weckten so den Eindruck, als ob alle Soldaten gemeint wären.<br />

Wenn ich oben sagte, <strong>das</strong>s der genannte Befehl die Genfer <strong>und</strong> die Haager<br />

Konventionen in mancher Hinsicht verletzte, so sicher insofern als bei<br />

unbewaffneten Zivilpersonen die Frage, ob sie schuldig seien, nur durch eine<br />

gerichtliche Untersuchung <strong>und</strong> ein gerichtliches Urteil geklärt werden konnte.<br />

Aber jedenfalls hat die Angelegenheit der "durch Fallschirm abgesetzten<br />

Einsatzgruppen" nichts zu tun mit dem Fall der Flugzeugbesatzungen, mit dem<br />

sie in einen Topf geworfen wurde - <strong>und</strong> gerade in dem hier konstruierten<br />

Zusammenhang steckt wieder der Macchiavellismus.<br />

Es muss auch noch hervorgehoben werden, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Dokument den deutschen<br />

Angeklagten in deutscher Sprache vorgelesen wurde, <strong>das</strong>s es als "Geheime<br />

Kommandosache" bezeichnet wurde unter besonderem Hinweis auf die<br />

Tatsache, <strong>das</strong>s es sich hier um Personen handelte, die "durch Schiffe <strong>und</strong><br />

Flugzeuge angelandet oder mittels Fallschirme abgesprungen" seien, so <strong>das</strong>s die<br />

Angeklagten die Echtheit nur bestätigen konnten. <strong>Die</strong> Übersetzung in allen<br />

anderen Sprachen aber behauptete, es handele sich hier um eine "Geheimsache<br />

der Kommandos" (= Einsatzgruppen) "<strong>und</strong> der Fallschirmspringer", damit man<br />

Verbindungen herstellen könnte, die es in Wirklichkeit gar nicht gegeben hatte -<br />

<strong>und</strong> auch hierin liegt ein gut Teil Macchiavellismus.<br />

Aber es gab auch eine richtige angloamerikanische Fliegeraffäre: <strong>Die</strong> Flucht von<br />

76 Offizieren der RAF aus dem Luft-Stalag III bei Sagan (Schlesien). <strong>Die</strong>se 76<br />

waren in der Nacht vom 24. zum 25. März 1944 aus diesem Spezial-<br />

Gefangenenlager für alliierte Luftwaffen-Angehörige entwichen. Mit Ausnahme<br />

von dreien wurden alle wieder ergriffen. 23 kamen nicht über die nächste<br />

Umgebung des Lagers hinaus <strong>und</strong> wurden im Laufe des Tages von der<br />

Wehrmachtsstreife zurückgebracht. <strong>Die</strong> anderen 50 fielen innerhalb 48 St<strong>und</strong>en<br />

an verschiedenen Orten Deutschlands in die Hände der Polizei <strong>und</strong> wurden<br />

erschossen. Das Internationale Rote Kreuz <strong>und</strong> die diplomatische Schutzmacht,<br />

in diesem Falle die Schweiz, nahmen sich des Falles an. Eden hielt eine<br />

Protestrede im Unterhaus. Am 12. Juni 1944 erhielt der schweizerische<br />

Gesandte in Berlin vom <strong>Reich</strong>saußenminister eine offizielle Note, laut welcher<br />

diese 50 Flüchtlinge "teils wegen Widerstandes bei ihrer Festnahme, teils wegen<br />

erneuter Fluchtversuche" von der Polizei erschossen worden seien. Aber eine<br />

Untersuchung durch <strong>das</strong> Internationale Rote Kreuz <strong>und</strong> durch die Schutzmacht<br />

ergab einwandfrei, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> nicht stimmte. Sie waren hingerichtet worden<br />

infolge eines von Hitler an Himmler gegebenen Befehls, <strong>und</strong> zwar gegen den<br />

Willen aller anderen Nürnberger Angeklagten mit Ausnahme Kaltenbrunners.<br />

54


Kaltenbrunner hatte diesen Befehl an die Exekutionskommandos des<br />

<strong>Reich</strong>ssicherheitshauptamtes, dessen Chef er war, weitergegeben. Hier liegt eine<br />

offenk<strong>und</strong>ige Verletzung der Genfer Konvention vor (die <strong>das</strong> Recht zur Flucht<br />

ja anerkennt). Dass Hitler diesen Befehl wirklich gegeben hat, bestätigen alle<br />

Zeugenaussagen übereinstimmend. Keitel (IMT Band XI, S. 8ff.) <strong>und</strong> Göring<br />

(Bd. IX S. 399ff.), denen man die Verantwortung für den Fall zuschieben wollte,<br />

äußerten sich mit großer Offenheit darüber. Beide bewiesen unwiderleglich, <strong>das</strong>s<br />

sie mit der Angelegenheit nichts zu tun hatten <strong>und</strong> <strong>das</strong>s sie auch nichts hatten<br />

verhindern können: Hitler hatte über Keitels Kopf hinweg gehandelt, <strong>und</strong><br />

Göring wurde zu spät informiert. Kaltenbrunner erklärte, er habe nur von seinem<br />

Vorgesetzten einen Befehl, auf den er keinen Einfluss hatte, erhalten <strong>und</strong><br />

weitergeleitet. Ribbentrop teilte die Erklärung mit, die er damals erhalten hatte<br />

<strong>und</strong> von der ihm gesagt wurde, sie sei <strong>das</strong> Ergebnis einer gerichtlichen<br />

Untersuchung.<br />

Soweit mir bekannt ist, hat man den Angloamerikanern bei der Behandlung von<br />

Kriegsgefangenen keine Rechtsbrüche dieser Art vorwerfen können. Aber ich<br />

habe schon gezeigt, <strong>das</strong>s sie andere verübt hatten, die um nichts weniger<br />

abscheulich waren. Bei den Russen, die die Konventionen von Genf <strong>und</strong> Den<br />

Haag nicht unterzeichnet hatten <strong>und</strong> sich infolgedessen alles erlaubten, hat man<br />

weit Schlimmeres aufgedeckt. Selbst die Franzosen sind keine<br />

Unschuldslämmer. Mindestens in einem Falle (Annecy) hat man nicht erst einen<br />

Fluchtversuch der Kriegsgefangenen abgewartet, um sie massenweise zu<br />

erschießen.<br />

Abschließend sei festgestellt, <strong>das</strong>s es in Deutschland nach den vorhandenen<br />

Unterlagen die Regel war, abgeschossene Flugzeugbesatzungen in ein<br />

Kriegsgefangenenlager einzuliefern. Ausnahmen bildeten die so genannten<br />

Terroristen, die zunächst der Polizei übergeben <strong>und</strong> dann in einem<br />

Schnellgerichtsverfahren zum Tode verurteilt oder in ein Konzentrationslager<br />

gesteckt wurden. Zu dieser Gruppe der "Terroristen" gehörten auch die, von<br />

denen Hitler gewünscht hatte (ohne indes sich durchsetzen zu können, wie oben<br />

gezeigt), <strong>das</strong>s sie ohne Verfahren füsiliert würden; wenn man der Notiz vom 21.<br />

Mai 1944 aus den Akten des OKW Glauben schenken darf. Göring sagte in<br />

Nürnberg über diese Gruppe der "Terroristen" (IMT Band IX, Seite 401), <strong>das</strong>s<br />

ihnen, wie aus den Aussagen anderer gefangener Flieger hervorging, von ihren<br />

Regierungen Handlungen der Art, die sie begangen hatten, verboten worden<br />

waren, <strong>das</strong>s es sich hier also um Kriegsverbrechen im vollen Sinne des Wortes<br />

handelte.<br />

<strong>Die</strong> Alliierten reagierten übrigens nicht anders: Als der Kapitänleutnant Eyck,<br />

Kommandant von U 582, der die Trümmer <strong>und</strong> Schiffsbrüchigen eines von ihm<br />

torpedierten Frachters beschossen hatte, selbst nach Verlust seines Bootes in<br />

englische Gefangenschaft geriet, verurteilte ein britisches Kriegsgericht ihn <strong>und</strong><br />

alle Offiziere seines Schiffes zum Tode <strong>und</strong> ließ sie am 30. November 1945<br />

55


erschießen. <strong>Die</strong> oben angeführten konkreten Beispiele beweisen, <strong>das</strong>s der<br />

Vorwurf, Kriegsverbrechen begangen zu haben, den in Nürnberg richtenden<br />

Nationen ebenso wie den Angeklagten gemacht werden konnte. Woraus sich<br />

einwandfrei ergibt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gericht nach dem damals geltenden internationalen<br />

Recht unzuständig war.<br />

C. <strong>Die</strong> Verbrechen gegen den Frieden<br />

Laut der Definition im Absatz a) des Artikels 6 des Statuts war <strong>das</strong><br />

charakteristische Merkmal der Verbrechen gegen den Frieden, der erschwerende<br />

Umstand, <strong>das</strong>s eine Verschwörung bestanden hätte mit dem ausschließlichen<br />

Zweck, solche Verbrechen zu begehen: die Anklage musste also, wie bereits<br />

erwähnt, den Vorsatz nachweisen.<br />

Daher lautete die These der Anklage in großen Zügen etwa wie folgt: im Laufe<br />

der Jahre 1919 <strong>und</strong> 1920 hatte sich eine Anzahl zweifelhafter Personen aus allen<br />

Teilen Deutschlands an verschiedenen Orten, aber hauptsächlich in München<br />

zusammengetan mit der Absicht, Angriffskriege gegen die Nachbarstaaten<br />

Deutschlands vom Zaun zu brechen. Zu diesem Zweck hätten sie sich zu einer<br />

Verbrecherbande zusammengeschlossen, <strong>und</strong> 1921 war Hitler deren Führer<br />

geworden.<br />

Allem Anschein nach waren sie recht verschlagen, denn sie brachten es fertig,<br />

diese Bande, die sie NSDAP nannten, als politische Partei zu tarnen. Ziemlich<br />

intelligent müssen sie auch gewesen sein, denn sie hatten verstanden, <strong>das</strong>s sie,<br />

um Angriffskriege gegen die Nachbarstaaten Deutschlands vom Zaun brechen<br />

zu können, <strong>das</strong> unbedingt im Namen Deutschlands tun müssten, was also erst<br />

einmal voraussetzte, <strong>das</strong>s sie die Macht eroberten. Daher bedingte diese<br />

"Verschwörung gegen den Frieden" - die man heutzutage in mehr<br />

diplomatischer Sprache vielleicht als Verschwörung "gegen die kollektive<br />

Sicherheit" bezeichnen würde - selber wieder eine Verschwörung gegen die<br />

innere Sicherheit des Staates. Der Vorsatz erstreckte sich über fast zwanzig<br />

Jahre: <strong>und</strong> man wird zugeben müssen, <strong>das</strong>s es selten Kriminelle gegeben hat, die<br />

über mehr Zeit verfügten um ihr Gewissen sprechen zu lassen: <strong>das</strong>s ihre Schuld<br />

also auch außerordentlich groß war.<br />

In chronologischer Reihenfolge hatte <strong>das</strong> Gericht also zuerst die Art zu<br />

verurteilen, in der die Angeklagten die Macht in Deutschland erobert hatten,<br />

dann wie sie ihre Position ausgebaut hatten, wie sie an der Macht geblieben<br />

waren, dann die Mittel, die sie angewandt hatten, vor allem den Terror, mit dem<br />

sie Umstürze durchgeführt hatten, dann die Ideologie, von der sie ausgegangen<br />

waren, usw.<br />

Meine Leser mögen mich richtig verstehen: auch ich verurteile den<br />

Nationalsozialismus, den Faschismus, den Bolschewismus, kurz alle jene<br />

Ideologien, die unter dem Vorwand, sie handelten im Geiste der Revolution, den<br />

56


ewaffneten Aufstand predigen <strong>und</strong> den Terror als Mittel, den Umsturz <strong>und</strong> ihre<br />

Machtergreifung herbeizuführen - um dann, wenn sie nach schrecklichem<br />

Blutvergießen ihr Ziel erreicht haben, durch offene oder versteckte, aber immer<br />

blutige, Tyrannei an der Macht zu bleiben.<br />

Aber meine Verurteilung ist eine rein philosophische - sie hat nichts<br />

Gemeinsames mit einer gerichtlichen Verurteilung. So sehr ich die Ansichten<br />

<strong>und</strong> die Methoden dieser Systeme ablehne, so wenig bin ich bereit,<br />

hinzunehmen, <strong>das</strong>s man auf den Nationalsozialisten, den Bolschewisten, den<br />

Faschisten usw. Druck ausübt, um es ihm unmöglich zu machen, seine Meinung<br />

zu sagen, oder <strong>das</strong>s man diese Menschen in den Tod schickt, wenn sie die<br />

Entscheidungsschlacht verlieren, nachdem sie die ersten Kämpfe gewonnen<br />

hatten. Im Namen jener kuriosen Freiheit, die nur denen zusteht, die sie erobert<br />

haben, hat Saint-Just die Französische Revolution umgebracht. <strong>Die</strong> Freiheit aber<br />

ist ein unveräußerlicher Besitz aller Menschen, einschließlich der Gegner der<br />

Freiheit. Obendrein sind diese ganzen irrenden Menschen nur die Produkte<br />

irrender gesellschaftlicher Systeme, ob es sich um Spartakus oder Hitler,<br />

Mussolini oder Castro, Lenin oder Franco handelt.<br />

Wenn man die einen zu Verbrechern, die anderen zu Wohltätern der Menschheit<br />

erklärt, bringt man nur eine politische Meinung zum Ausdruck, die objektiv<br />

gesehen ohne Wert ist.<br />

Für die Anhänger dieser ganzen Ideologien gilt, <strong>das</strong>s sie ein soziologisches<br />

Problem darstellen, <strong>das</strong>s ihre Einstellung sowohl ethisch wie philosophisch zu<br />

verurteilen ist, <strong>das</strong>s sie aber juristisch gesehen als Menschen unschuldig sind.<br />

Von jenen gesellschaftlichen Formen aber muss man feststellen, <strong>das</strong>s sie alle<br />

sowohl vom ethischen wie vom philosophischen <strong>und</strong> vom juristischen<br />

Standpunkt zu verurteilen sind. Solange es Gesellschaftsformen gibt, die<br />

Menschen unterdrücken, wird es Rebellen geben, die mit Gewalt dagegen<br />

vorgehen - wobei es leider immer viel mehr Rebellen geben wird, die sich selbst<br />

für Revolutionäre halten, als echte Revolutionäre.<br />

Man muss also die Gesellschaftsformen, nicht die Menschen zur Rechenschaft<br />

ziehen. <strong>Die</strong> Erfahrung aller Völker lehrt, <strong>das</strong>s die Guillotine den Verbrecher<br />

vernichten kann - nicht <strong>das</strong> Verbrechen.<br />

Aber diese Betrachtungen sind rein subjektiv - <strong>und</strong> die Objektivität verlangt,<br />

<strong>das</strong>s festgestellt wird, <strong>das</strong>s unter den Richtern einer saß, der überhaupt kein<br />

Recht hatte, die Wurzeln, die Ansichten <strong>und</strong> die Methoden des<br />

Nationalsozialismus zu verurteilen, weil die Wurzeln die Ansichten <strong>und</strong><br />

Methoden des Systems, an <strong>das</strong> dieser Richter glaubte, sich in nichts von denen<br />

des Nationalsozialismus unterschieden. Aus diesen Gründen hätte dieser Richter<br />

auf der Anklagebank sitzen müssen, nicht unter den Richtern. Es muss weiter<br />

festgestellt werden, <strong>das</strong>s die anderen Richter kaum ausreichendere<br />

Qualifikationen aufweisen konnten. - Und was die Wurzeln, die Ansichten <strong>und</strong><br />

die Methoden der Verbrecherbande betraf, so waren die Nationen dieser Richter<br />

57


früher gar nicht so streng gewesen, denn bis 1939 hatte diese Bande anerkannte<br />

<strong>und</strong> geschätzte Botschaften <strong>und</strong> Gesandte in allen Hauptstädten dieser Welt, also<br />

auch bei jeder der jetzt richtenden Nationen - <strong>und</strong> auch in Genf beim<br />

Völkerb<strong>und</strong>, deren Mitglieder damals sogar so höflich gewesen waren, es<br />

nachdrücklich zu bedauern, als die Verbrecherbande unter lautem Türenknallen<br />

aus dem Völkerb<strong>und</strong> austrat.<br />

Was ging <strong>das</strong> alles übrigens die anderen an?<br />

Seit wann hat <strong>das</strong> Völkerrecht zu bestimmen, ob die Regierung, die sich ein<br />

Volk gegeben hat - oder die es erträgt, - richtig ist oder nicht? Das internationale<br />

Recht hat doch nur die Formen des Verkehrs zwischen den Staaten festzulegen;<br />

es hat doch nur den Regierungen die Anerkennung oder Nichtanerkennung, die<br />

Aufnahme oder Nichtaufnahme von Beziehungen zu ermöglichen. Zur Not hätte<br />

man verstanden, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> deutsche Volk darüber richtet, ob seine Regierung<br />

richtig wäre oder nicht, insofern als die Tradition will, <strong>das</strong>s siegreiche<br />

Aufständische die besiegten Machthaber umbringen - oder umgekehrt, die<br />

Machthaber die Führer eines gescheiterten Aufstandes - <strong>das</strong> ist Tradition, kein<br />

Recht oder nur primitives Stammesrecht. Aber <strong>das</strong>s ein Gericht - auch noch ein<br />

internationales dazu! - nur gewählt vom Waffenglück <strong>und</strong> kraft eigener<br />

Machtvollkommenheit sich zuständig erklärt, darüber zu urteilen, ob eine<br />

Regierung rechtens besteht oder nicht - <strong>das</strong> ist doch wohl vollkommen<br />

unverständlich. Soviel ich weiß, ist noch nie die Rede davon gewesen, <strong>und</strong> wird<br />

hoffentlich auch nie die Rede davon sein, loszumarschieren, um die Russen von<br />

Chruschtschow zu befreien, die Kubaner von Castro oder die Spanier von<br />

Franco. Wir leben nicht mehr in den Zeiten Metternichs, des Wiener Kongresses<br />

<strong>und</strong> der Heiligen Allianz.<br />

Und was die Eroberung der Macht mittels eines Umsturzes betrifft, so muss<br />

gesagt werden, <strong>das</strong>s die Methoden, die man den Angeklagten vorwirft, zu keiner<br />

Zeit verglichen werden konnten mit denen, die Chruschtschow in Ungarn, Fidel<br />

Castro auf Kuba oder Franco in Spanien angewandt hat.<br />

Nur bis zum Münchner Putsch vom 8. November 1923 hat die NSDAP einen<br />

Umsturz durch Gewaltanwendung herbeiführen wollen; von diesem Datum an<br />

hat sie nur mit konstitutionellen <strong>und</strong> legalen Mitteln nach der Eroberung der<br />

Macht gestrebt. Dass ihre Propaganda immer einen gewalttätigen Charakter trug,<br />

<strong>das</strong>s ihre öffentlichen Versammlungen unter dem Schutz ihrer eigenen<br />

Ordnungsdienste stattfanden, lässt sich sicher nicht bestreiten <strong>und</strong> sicher ebenso<br />

wenig, <strong>das</strong>s ihre Sturmabteilungen (SA) <strong>und</strong> Schutzstaffeln (SS), durch ihre<br />

militärische Ausbildung <strong>und</strong> Disziplin, ihr schnelles <strong>und</strong> sehr hartes Zuschlagen<br />

eine ungeheure Waffe darstellten, auch dann, wenn sie keine anderen Waffen<br />

trugen. Aber auch dabei muss man berücksichtigen, <strong>das</strong>s es sich seitens der<br />

NSDAP um eine Gegenmaßnahme handelte gegen die erklärte Absicht ihrer<br />

Gegner von links, diese Versammlungen mit Gewalt zu sprengen - <strong>und</strong> <strong>das</strong>s<br />

diese Gegner, um diese Versammlungen unmöglich zu machen, ebenso<br />

58


ausgebildete <strong>und</strong> disziplinierte Anhänger hineinschickten, die nicht weniger<br />

schnell <strong>und</strong> hart zuschlugen; denen man außerdem noch den Vorwurf machen<br />

musste, <strong>das</strong>s sie mit provokatorischen Absichten dort erschienen.<br />

<strong>Die</strong> Methoden mit denen die NSDAP ihren Kampf um die Macht führte, waren<br />

also mit Ausnahme eines Punktes - zu dem sie sich außerdem noch nicht aus<br />

freien Stücken, sondern unter dem Druck ihrer Gegner entschieden hatte -<br />

dieselben, die jede andere Partei anwendet, in jedem Lande, wo Parteien<br />

zugelassen sind: durch Teilnahme an den Wahlen.<br />

Dass es sich trotzdem um einen Umsturz handelte, werde ich sicher nicht<br />

bestreiten, da ja, meines Erachtens in allen demokratischen Ländern der Erde,<br />

jene gewinnen, die Geld besitzen - <strong>und</strong> von den Geldbesitzern wieder jene, die<br />

die größten Summen aufwenden können um die öffentliche Meinung durch die<br />

geschriebene oder gesprochene Presse umzustimmen - also um die größte<br />

Anzahl Zeitungen zu kaufen.<br />

Bis 1930 gehörte die NSDAP nicht zu den reichen Parteien <strong>und</strong> bis dahin waren<br />

ihre Wahlergebnisse nicht glänzend. Aber von 1930 an begann die<br />

Schwerindustrie sich für sie zu interessieren; alles änderte sich, wie man aus den<br />

Ergebnissen der <strong>Reich</strong>stagswahlen von 1924 bis 1933 ersehen kann. (Daneben<br />

steht die jeweilige Zahl der Arbeitslosen zur Zeit der Wahlen).<br />

I. Von 1924 bis 1930<br />

Datum NSDAP-Stimmen % Sitze Arbeitslose<br />

4. Mai 1924<br />

7. Dezember 1924<br />

20. Mai 1928<br />

1.918.000<br />

908.000<br />

810.000<br />

6,6<br />

3<br />

2,6<br />

32<br />

14<br />

12<br />

320.711<br />

282.645<br />

269.443<br />

II. Von 1930 bis 1933<br />

Datum NSDAP-Stimmen % Sitze Arbeitslose<br />

14. September 1930<br />

31. Juli 1932<br />

6. November 1932<br />

5. März 1933<br />

6,407.000<br />

13,779.000<br />

11,737.000<br />

17,265.000<br />

18,3<br />

37,3<br />

33,1<br />

43,7<br />

107<br />

230<br />

196<br />

288<br />

1,061.570<br />

5,392.248<br />

5,355.428<br />

5,598.855<br />

Das Anwachsen der Arbeitslosigkeit beunruhigte die Schwerindustrie ebenso<br />

wie die Arbeiter: die Volkswirtschaftler sind heutzutage der Ansicht, <strong>das</strong>s wenn<br />

mehr als 5 Prozent der berufstätigen Bevölkerung arbeitslos ist, soziale Unruhen<br />

drohen - <strong>und</strong> zu Beginn des Jahres 1930 war diese Grenze nicht nur erreicht<br />

sondern schon überschritten, während gleichzeitig die Folgen des Krachs an der<br />

New Yorker Börse in Europa spürbar wurden <strong>und</strong> die Arbeitslosigkeit auch<br />

schon in beunruhigendem Maße vergrößerten.<br />

Es kam hinzu, <strong>das</strong>s die Schwerindustrie den Regierungsparteien die Schuld an<br />

der Inflation zuschob <strong>und</strong> ihnen vorwarf, <strong>das</strong>s sie die wirtschaftlichen Probleme<br />

59


des Landes nicht hatten lösen können. Kurz, die Schwerindustrie sah keine<br />

andere Möglichkeit als den Nationalsozialismus <strong>und</strong> setzte daher auf diese<br />

Karte. Zunächst zögernd <strong>und</strong> insgeheim, dann aber ganz offen. Daraus erklärt<br />

sich <strong>das</strong> völlig veränderte Bild der Wahlergebnisse vom 14. September 1930 an.<br />

Nachdem der <strong>Reich</strong>stag im zweiten Halbjahr 1932 zweimal aufgelöst worden<br />

war <strong>und</strong> die Wahlen vom 31. Juli <strong>und</strong> 6. November gezeigt hatten, <strong>das</strong>s die alten<br />

Parteien keine regierungsfähige Mehrheit alten Stiles mehr bilden konnten,<br />

entschlossen sich <strong>das</strong> Zentrum <strong>und</strong> die Deutschnationale Volkspartei unter v.<br />

Papen <strong>und</strong> Hugenberg, mit der NSDAP zusammenzugehen. Daher ernannte der<br />

bejahrte <strong>Reich</strong>spräsident, Feldmarschall von Hindenburg, am 30. Januar 1933<br />

Hitler zum <strong>Reich</strong>skanzler. (Unter ähnlichen Umständen beauftragte der<br />

französische Präsident Coty am 30. Juni 1958 den General de Gaulle mit der<br />

Bildung einer Regierung).<br />

Bei den Wahlen vom 5. März 1933 siegten Hitler <strong>und</strong> von Papen: 288<br />

Nationalsozialisten <strong>und</strong> 52 Deutschnationale Abgeordnete wurden in den<br />

<strong>Reich</strong>stag gewählt; die neue Regierung verfügte also über 340 der 647 Sitze,<br />

somit über 16 mehr als die absolute Mehrheit; 52 Prozent der Wähler hatte sich<br />

für <strong>das</strong> Kabinett Hitler entschieden. Bis dahin war also alles nach der reinsten<br />

demokratischen Tradition verlaufen, entsprechend den Auffassungen der<br />

modernen Demokraten.<br />

Wenn es eine Verschwörung gegeben hat, so war zweifelsohne die Zahl der<br />

Verschwörer überwältigend <strong>und</strong> es wäre sicher ein Irrtum zu glauben, <strong>das</strong>s nur<br />

die Deutschen sich an dieser Verschwörung beteiligt hätten. Ich habe bereits<br />

gesagt, <strong>das</strong>s die Machtergreifung durch die NSDAP finanziell in recht<br />

beträchtlichem Maße durch die Schwerindustrie gefördert wurde. <strong>Die</strong>se Hilfe<br />

wurde geleistet durch den Trick mit der gemeinsamen Stützungskasse der<br />

Industrie, deren Beträge der Bankier Schröder verteilte. Nach der Inflation<br />

wurden fast alle jene Industrieunternehmen, die ihre Beiträge in diese Kasse<br />

zahlten, selber von englischen oder amerikanischen Banken unterstützt. Es heißt,<br />

<strong>das</strong>s der amerikanische Chemiekonzern "Dupont de Nemours" <strong>und</strong> der englische<br />

Trust "Imperial Chemical Industries" die IG Farben unterstützte, mit der sie sich<br />

vorher in den Weltsprengstoffmarkt geteilt hatten, <strong>das</strong>s die New Yorker Bank<br />

Dillon den Vereinigten Stahlwerken, dem deutschen Stahltrust aushalf, andere<br />

wurden von Morgan Oder Rockefeller subventioniert. So beteiligten sich <strong>das</strong><br />

Pf<strong>und</strong> <strong>und</strong> der Dollar an der Verschwörung, die Hitler an die Macht brachte.<br />

Aber niemand hat gehört, <strong>das</strong>s Dupont de Nemours, Dillon, Morgan,<br />

Rockefeller usw. ... als Komplizen vor dem Nürnberger Gericht erscheinen<br />

mussten. Auch während der Zeit, als die "Verschwörung" sich gegen die<br />

kollektive Sicherheit richtete, hatte die "Verbrecherbande" eine ganze Reihe<br />

ausländischer "Komplizen"; als <strong>das</strong> Verbrechen der Wiederaufrüstung<br />

durchgeführt wurde, leistete England Beihilfe (deutsch-englisches<br />

Flottenabkommen vom 18. Juni 1935), bei einem Angriffskrieg traten die<br />

60


Russen als Komplizen auf (deutschsowjetischer Nichtangriffspakt <strong>und</strong> Teilung<br />

Polens), <strong>und</strong> sogar Frankreich fehlte nicht in der Reihe (wenn man <strong>das</strong> Urteil der<br />

französischen Nachkriegspolitiker über die Beteiligung der Vorkriegsregierung<br />

am Münchener Abkommen übernimmt) <strong>und</strong> trotzdem war in diesen Fällen<br />

überhaupt nicht die Rede davon, <strong>das</strong>s die oben genannten die Bank der Richter<br />

verlassen müssten, um sich zu den Angeklagten zu gesellen. Aber hier berühren<br />

wir den Kern der ganzen Frage der Verbrechen gegen den Frieden. In<br />

Anwendung des Abschnittes a, Artikel 6 des Statuts, formulierte die<br />

Anklageschrift diesen Kern der Frage wie folgt:<br />

"<strong>Die</strong> Ziele <strong>und</strong> Zwecke der Nazi-Partei sowie der Angeklagten <strong>und</strong><br />

verschiedener anderer Persönlichkeiten, die zum einen oder anderen<br />

Zeitpunkt Führer, Mitglieder, Förderer oder Anhänger der Nazi-Partei<br />

(fortan mit dem Sammelnamen "Nazi-Verschwörer" bezeichnet) waren,<br />

bestanden darin oder entwickelten sich dahin, folgende Ziele mit allen<br />

ihnen gut scheinenden Mitteln, gesetzlichen wie ungesetzlichen, zu<br />

erreichen, wobei sie letzten Endes auch erwogen, ihre Zuflucht zu Drohung<br />

mit Gewalt, zu Gewalt <strong>und</strong> Angriffskrieg zu nehmen: 1. Den Versailler<br />

Vertrag <strong>und</strong> seine Beschränkungen der militärischen Rüstung <strong>und</strong> Tätigkeit<br />

Deutschlands aufzuheben <strong>und</strong> zu vernichten, 2. die Gebietsteile sich<br />

anzueignen, die Deutschland als Ergebnis des Weltkrieges 1914-18<br />

verloren hatte, <strong>und</strong> andere europäische Gebiete, von denen die Nazi-<br />

Verschwörer behaupteten, <strong>das</strong>s sie in erster Linie von so genannten<br />

"Volksdeutschen" bewohnt waren, 3. noch weitere Gebiete auf dem<br />

europäischen Kontinent <strong>und</strong> anderswo sich anzueignen, von denen die<br />

Nazi-Verschwörer behaupteten, <strong>das</strong>s die "Volksdeutschen" sie als<br />

"Lebensraum" benötigten, alles dies auf Kosten der benachbarten <strong>und</strong><br />

anderer Länder."<br />

Der erste Punkt betraf die deutsche Wiederaufrüstung, die dann auch zuerst von<br />

1933 bis 1935 insgeheim betrieben wurde, später ganz offen; die Tatsache, <strong>das</strong>s<br />

Deutschland am 14. Oktober 1933 aus dem Völkerb<strong>und</strong> austrat, <strong>das</strong>s es am 10.<br />

März 1935 beschloss, eine Luftwaffe aufzustellen, <strong>das</strong>s es am 16. des gleichen<br />

Monats die <strong>Die</strong>nstpflicht wiedereinführte mit einer vorgesehenen Friedensstärke<br />

von 500.000 Mann, <strong>und</strong> schließlich, <strong>das</strong>s am 7. März 1936 deutsche Truppen in<br />

<strong>das</strong> bis dahin entmilitarisierte Rheinland einmarschierten. Der zweite Punkt<br />

betraf hauptsächlich Oberschlesien, <strong>das</strong> unter den neugeschaffenen Kleinstaaten<br />

<strong>und</strong> künstlichen Staaten aufgeteilt worden war, dann den Korridor, Danzig,<br />

Memel, Eupen <strong>und</strong> Malmedy usw. Er hätte sich auch auf <strong>das</strong> Saargebiet<br />

beziehen können, wenn dieses sich nicht bei der Volksabstimmung vom 15.<br />

Januar 1935 praktisch einstimmig für die Rückkehr in den deutschen<br />

Staatsverband bekannt hätte.<br />

61


Und zum dritten Punkt, der alle Gebiete betraf, die im Kriege von den deutschen<br />

Armeen erobert worden waren, bei den Operationen gegen Polen, Russland,<br />

Norwegen, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Holland, Griechenland,<br />

Jugoslawien usw. ... <strong>und</strong> der durch einen Friedensvertrag bereinigt werden<br />

sollte, so wurde hier gleich klar gemacht, durch welchen Mechanismus die<br />

Verantwortung für alles, was geschehen war, ausschließlich Deutschland<br />

aufgebürdet wurde:<br />

"Als sie ihre Ziele immer weiter hinausrückten <strong>und</strong> ihre Zwecke schließlich<br />

derart ungeheuerlich wurden, <strong>das</strong>s sie nicht mehr, wie bisher durch<br />

opportunistische Methoden, wie Betrug <strong>und</strong> Täuschung, Drohung <strong>und</strong><br />

Einschüchterungen, Tätigkeit der Fünften Kolonne <strong>und</strong> Propaganda,<br />

sondern nur noch mit Waffengewalt <strong>und</strong> Angriffskrieg erreicht werden<br />

konnten, planten die Nazi-Verschwörer vorsätzlich, beschlossen <strong>und</strong><br />

entfesselten ihre Angriffskriege <strong>und</strong> Kriege unter Verletzung<br />

internationaler Verträge, Vereinbarungen <strong>und</strong> Zusicherungen ..."<br />

Das Gericht lässt diese Schlussfolgerungen der Anklage gelten <strong>und</strong> erklärt im<br />

Urteil, <strong>das</strong>s sie begründet seien (IMT Band I, S. 189H.). Es war der Ansicht, aus<br />

dem im Prozess vorgelegten Material gehe einwandfrei hervor, <strong>das</strong>s die<br />

Angeklagten sich tatsächlich 1920 verschworen hatten, die ihnen jetzt zu Last<br />

gelegten Verbrechen zu begehen - <strong>das</strong>s sie also vorsätzlich <strong>und</strong> in Kenntnis der<br />

Tatsachen gehandelt hätten. Zum schwerwiegendsten Beweismaterial gehörten:<br />

<strong>das</strong> am 25. Februar 1920 in München veröffentlichte Programm der NSDAP<br />

(<strong>das</strong> aus 25 Punkten bestand, von denen die ersten drei als besonders belastend<br />

angesehen wurden); eine Anzahl aus dem Zusammenhang gerissener Auszüge<br />

aus Reden Hitlers, die entweder vor dem <strong>Reich</strong>stag, im Sportpalast oder an<br />

anderen öffentlichen Plätzen gehalten worden waren; eine Anzahl Ansprachen<br />

des gleichen Verfassers vor dem Generalstab der Armee - <strong>und</strong> zwar<br />

insbesondere die vom 5. November 1937 (Dokument Hossbach, PS 386, im<br />

Urtext in Band XXV, Seiten 402 bis 413, <strong>und</strong> die vom 23. Mai 1939, Dokument<br />

Schm<strong>und</strong>t L. 79 im Urtext IMT Band XXXVII, Seiten 546-556).<br />

Schon hier möchte ich eine Tatsache erwähnen, die bei der Behandlung aller<br />

aufgeführten Unterlagen auffällt: sie werden alle in einem bestimmten Sinne<br />

interpretiert, gedeutet, die Interpretationen sind enthalten in den Übersetzungen -<br />

<strong>und</strong> diese Interpretationen - nicht die Texte selber - werden als Beweismaterial<br />

für die Thesen der Anklage verwendet <strong>und</strong> vom Gericht übernommen.<br />

Wenn ich zum Beispiel Punkt l des Programms der NSDAP vom 25. Februar<br />

1920 lese:<br />

"Wir fordern den Zusammenschluss aller Deutschen auf Gr<strong>und</strong> des<br />

Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland"<br />

<strong>und</strong> ich finde im Urteil die folgende französische Übersetzung:<br />

62


"Nous demandons la reunion de tous les Allemands dans la 'Pius Grande<br />

Allemagne' en accord avec le principe du droit des peuples A disposer<br />

d'eux-memes", (Band II, Seite 184),<br />

was also heißt:<br />

"Wir fordern den Zusammenschluss aller Deutschen auf Gr<strong>und</strong> des<br />

Selbstbestimmungsrechtes der Völker im 'größten Deutschland' ",<br />

dann kann ich nicht umhin zu bemerken, <strong>das</strong>s im ursprünglichen Text nur von<br />

einem Groß-Deutschland - ohne Anführungszeichen - die Rede war, <strong>und</strong> in der<br />

Übersetzung von dem "größten Deutschland" - mit Anführungszeichen -<br />

gesprochen wird, <strong>das</strong>s also der Text interpretiert <strong>und</strong> geändert worden ist.<br />

<strong>Die</strong>selbe Bemerkung gilt für Punkt 3, der im Urtext lautet:<br />

"Wir fordern Land <strong>und</strong> Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes<br />

<strong>und</strong> Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses",<br />

die französische Übersetzung:<br />

"Nous demandons de la terre et des territoires pour nourrir notre peuple, et<br />

la possibilite d'employer a la colonisation l'excedent de notre population",<br />

was also, rückübersetzt, heißen würde:<br />

"Wir fordern Land <strong>und</strong> Boden zur Ernährung unseres Volkes <strong>und</strong> die<br />

Möglichkeit unseren Bevölkerungsüberschuss anzusiedeln".<br />

<strong>Die</strong> Streichung der Klammern <strong>und</strong> ihres Inhalts lässt <strong>das</strong> tatsächliche<br />

Hauptanliegen: die Kolonien, in den Hintergr<strong>und</strong> treten. Bei der Behandlung des<br />

Hossbach-Dokuments wird nicht anders operiert: eine Reihe von hypothetischen<br />

Annahmen, im Konditionalis, in der Bedingungsform, verwandeln sich bei der<br />

Übersetzung in ebenso viele bestimmte Behauptungen im Präsens, also in der<br />

Gegenwart, der Wirklichkeitsform.<br />

Dadurch konnte man in Nürnberg zu der Schlussfolgerung gelangen, Hitler<br />

hätte, als Kanzler, schon am 5. November 1937 beschlossen, sich des Krieges zu<br />

bedienen, als der einzigen Möglichkeit zur Lösung der deutschen Frage 11 einen<br />

Beschluss den er - wie die Anklage behauptete - als Parteichef schon 1920<br />

gefasst hätte.<br />

________________<br />

11 Das Hoßbachdokument wurde als <strong>das</strong> belastendste von allen angesehen, weil es darin hieß: "Zur Lösung der<br />

deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben <strong>und</strong> dieser könne niemals risikolos sein. ....", welcher Satz<br />

folgendermaßen übersetzt wurde: "La question allemande ne peut etre resolue ..." usw. (== "Zur Lösung der deutschen<br />

Frage kann es nur ... usw.). Es haben damals alle Politiker, mit wenigen Ausnahmen, die gleiche Ansicht<br />

ausgesprochen <strong>und</strong> zwar in der Form: Nur mit Gewalt wird man Deutschland an der Erreichung seiner Ziele hindern<br />

63


können. Es handelte sich dabei um eine Anwendung des berühmten römischen Sprichworts: "Si vis pacem, para<br />

bellum" (Wenn Du Frieden haben willst, musst Du zum Kriege rüsten), eine Auffassung, die in alten Ländern der Welt<br />

herrschte - <strong>und</strong> noch jetzt herrscht, wie aus dem Tagesbefehl des Generals de Gaulle vom 1.1.1962 an die<br />

französischen Truppen zu ersehen ist. Bereiten Sie sich vor auf die großen Kampfhandlungen, die möglicherweise der<br />

französischen Nation <strong>und</strong> ihren B<strong>und</strong>esgenossen in Europa auferlegt werden können ... Niemals konnte mit größerem<br />

Recht gesagt werden, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Schicksal Frankreichs abhängt von seiner militärischen Macht.<br />

Das ist noch wesentlich genauer als die Worte, die Hitler - nach dem Hoßbachbericht - an die Oberbefehlshaber der<br />

Wehrmachtsteile gerichtet haben soll. Müssen wir daraus schließen, <strong>das</strong>s - falls dieser Krieg, auf den man "sich<br />

vorbereiten soll", sich nicht vermeiden ließe <strong>und</strong> mit einem neuen Nürnberg enden würde - General de Gaulle gehängt<br />

werden dürfte?<br />

Als es sich übrigens ein Jahr später, 1935, darum handelte, zur Tat zu schreiten im Sinne der ersten der Möglichkeiten<br />

von denen der Hoßbach-Bericht im Konditionalis spricht (Tschechoslowakei) präzisierte Keitel am 17. Dezember 1938<br />

in seiner Anordnung zur Durchführung der vorbereiteten Maßnahmen, <strong>das</strong>s die Intervention nach außen hin "als eine<br />

reine Befriedungsaktion <strong>und</strong> nicht als eine kriegerische Unternehmung erscheinen soll". (In Nürnberg wurde diese<br />

Äußerung weder von der Anklage noch im Urteil berücksichtigt).<br />

Aber hierzu gibt es eine Erklärung des W. L. Shirer - oder vielleicht stammt sie<br />

von seinem französischen Übersetzer, denn sie fehlt in der deutschen Ausgabe -<br />

eine Erklärung, die als Fußnote auf Seite 333 der französischen Ausgabe seines<br />

Buches "Le IIIe <strong>Reich</strong> des origines A la chute" (deutsch: "Aufstieg <strong>und</strong> Fall des<br />

<strong>Dritte</strong>n <strong>Reich</strong>es") erscheint:<br />

"Fast alle deutschen Berichte über private Gespräche Hitlers oder anderer<br />

Persönlichkeiten bringen die dort gemachten Äußerungen in der dritten<br />

Person, in der "indirekten Rede", obwohl der Text oft, ohne die<br />

Interpunktionen zu ändern - Sätze in der ersten Person einfließen lässt.<br />

<strong>Die</strong>se Praxis bedeutete ein Problem bei der Übersetzung. Da mir daran<br />

gelegen war, die Dokumente wahrheitsgetreu wiederzugeben <strong>und</strong> die<br />

verwendeten oder angeführten Ausdrücke genau zu bringen, hielt ich es für<br />

besser, diese Berichte nicht durch eine Umstellung in die erste Person oder<br />

eine Streichung der Anführungszeichen, zu ändern. Hätte ich die<br />

letztgenannten Änderungen angebracht, so wäre der unrichtige Eindruck<br />

entstanden, als hätte ich mir erlaubt, frei zu referieren. <strong>Die</strong> Verfasser der<br />

deutschen Berichte haben vor allem die Zeiten der Verben geändert, indem<br />

sie die Gegenwart (Präsens) durch die Vergangenheit (Imperfekt) ersetzen<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong> Fürwort der ersten Person durch <strong>das</strong> der dritten. Wenn man im<br />

Auge behält, <strong>das</strong>s diese Änderungen vorgenommen worden sind, dürften<br />

Missverständnisse ausgeschlossen sein."<br />

Aber Hoßbach selber, der Mann der den Bericht niederschrieb, hat sich geirrt in<br />

den Zeiten der Verben. Keiner weiß <strong>das</strong> so gut wie Herr Shirer. <strong>Die</strong> Ankläger<br />

<strong>und</strong> die Richter waren sich auch darüber im Klaren. Es dürfte, meines Erachtens,<br />

kaum möglich sein, in naiverer Form eine begangene Fälschung zu gestehen.<br />

64


So sind die Angeklagten schon mal in diesem Falle - verurteilt worden auf<br />

Gr<strong>und</strong> dessen, was Hitler hätte sagen sollen, nicht was er gesagt hat. Wenn der<br />

Historiker <strong>und</strong> der Richter kommender Tage dann auch noch berücksichtigen,<br />

<strong>das</strong>s es sich hier überhaupt nicht um eine offizielle Niederschrift handelte, <strong>das</strong>s<br />

der Bericht am 10. November 1937 verfasst wurde, also nach fünf Tagen, an<br />

Hand einiger Notizen, die am 5. November, während der Besprechung, flüchtig<br />

hingeworfen worden waren, <strong>das</strong>s er weder von dem Betroffenen nachgelesen,<br />

noch damals zur Kenntnis dritter Personen gebracht wurde, usw. .... so werden<br />

sie, der Historiker <strong>und</strong> der Richter kommender Tage, den Bericht sicher mit<br />

großer Vorsicht betrachten. 12 Und von dem Schm<strong>und</strong>t-Bericht kann <strong>das</strong>selbe<br />

gesagt werden.<br />

________________<br />

12 Bezüglich dieses Dokumentes kann man noch hinzufügen, <strong>das</strong>s, als Dr.Siemers, der Verteidiger des Großadmirals<br />

Raeder, am 16. Mal 1946 die Echtheit des Berichtes anzweifelte. weil er nicht den üblichen Vermerk "Geheime<br />

<strong>Reich</strong>ssache" trug (IMT Band XIV. Seite 433), der wieder gef<strong>und</strong>ene Verfasser gebeten wurde, sich schriftlich zu<br />

dieser Frage zu äußern - er wurde nicht vorgeladen, <strong>das</strong> wäre zu gefährlich gewesen. Am 16. Mai 1946 erklärte er, <strong>das</strong>s<br />

er nicht dafür bürgen könne, <strong>das</strong>s der dem Gericht vorgelegte Text eine genaue Kopie seiner Notizen wäre. (IMT Bd.<br />

XLII, Seiten 228 bis 230) ohne weiteren Kommentar.<br />

Während einer Verhandlung im Prozess drückte einer meiner damaligen<br />

Fre<strong>und</strong>e, der von einer großen Pariser Zeitung als Journalist nach Nürnberg<br />

geschickt worden war, folgendermaßen seine Verw<strong>und</strong>erung aus über die<br />

Haltung der Angeklagten. In seinem Jargon sagte er:<br />

"Es ist komisch. Es werden ihnen Texte vorgelesen in ihrer eigenen<br />

Sprache - <strong>und</strong> natürlich erkennen sie die Echtheit an. Dann werden die<br />

Argumente aus diesen Texten einzeln behandelt - <strong>und</strong> dann tun sie, als ob<br />

sie nicht mehr verstünden <strong>und</strong> ihre Anwälte in noch viel lauteren Tönen.<br />

<strong>Die</strong>! - <strong>und</strong> nichts davon verstehen. Ich würde ihnen was husten ..."<br />

Man braucht nur diese damals nicht veröffentlichten Dokumente zu lesen, dann<br />

wird alles klar.<br />

Wie konnten die Angeklagten <strong>das</strong> auch verstehen: es wurde ihnen mitgeteilt,<br />

<strong>das</strong>s von Großdeutschland die Rede sein würde, <strong>und</strong> dann wurden Argumente<br />

gegen <strong>das</strong> Größte Deutschland vorgebracht - sie erfuhren, <strong>das</strong>s die Kolonien zur<br />

Sprache kommen würden, worauf Vorwürfe im Zusammenhang mit<br />

Oberschlesien, Polen <strong>und</strong> der Ukraine erhoben wurden.<br />

Oder aber es wurde den Angeklagten ein Text vorgelesen, in dem jemand<br />

Mutmaßungen darüber anstellte, was sein würde, wenn dies oder jenes geschähe.<br />

<strong>Die</strong> Anklage verlangte dann aber, <strong>das</strong>s sie sich verteidigten, als ob im Text von<br />

Tatsachen die Rede gewesen wäre. Wie ich schon sagte, steckte ein gut Teil<br />

Macchiavellismus in diesem Vorgehen, <strong>das</strong> darin bestand, erst den deutschen<br />

Angeklagten einen Text in ihrer Muttersprache vorzulesen <strong>und</strong> ihn als echt<br />

65


anerkennen zu lassen, dann englische, russische <strong>und</strong> französische Übersetzungen<br />

vorzulegen, die mit dem deutschen Urtext nichts mehr gemeinsam hatten, um<br />

schließlich aus diesen Übersetzungen Argumente zu ziehen, die dann wieder ins<br />

Deutsche rückübersetzt wurden.<br />

Viele auf diesem Wege eingeschobene Interpretationen wurden von den<br />

Angeklagten oder ihren Anwälten während der Verhandlungen berichtigt - also<br />

auf frischer Tat - aber es gab so viele, <strong>das</strong>s einige natürlich durchschlüpften -<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong> Unglück wollte, <strong>das</strong>s es nicht immer die unbedeutendsten waren.<br />

Aber ebenso wie die Kriegsverbrechen zwingen uns auch die Verbrechen gegen<br />

den Frieden auf die Ebene der harten Tatsachen. Allerdings werden wir uns auch<br />

in diesem Falle (wie bei den Kriegsverbrechen) nur gerade solange aufhalten,<br />

wie unbedingt erforderlich, um dem Leser jenen Überblick zu vermitteln, den er<br />

braucht um <strong>das</strong> Problem zu verstehen, <strong>das</strong> ihm als Stoff zum Nachdenken dienen<br />

möge.<br />

*<br />

Wenn ich mich richtig erinnere, erzählt La Fontaine in einer Fabel, wie der<br />

Löwe, nachdem er zusammen mit der Färse, der Ziege <strong>und</strong> dem Schaf gejagt hat,<br />

aus der gemeinsamen Beute vier Teile machte <strong>und</strong> dann erklärt, <strong>das</strong>s der erste<br />

Teil ihm gehöre, da er ja der König sei, der zweite Teil ihm gehöre, da dies sein<br />

Anteil sei, der dritte Teil gleichfalls ihm zustehe, weil er der Stärkste sei - <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong>s er - was den vierten Teil angehe, - jeden erwürgen würde, der darauf etwa<br />

irgendwelche Ansprüche erheben wolle. Der Dichter kam nicht auf den<br />

Gedanken, einen Gerichtshof einzuberufen, um diesen eindeutigen Verstoß<br />

gegen die Gesetze <strong>und</strong> Brauche der Jagd zu verurteilen. Wäre ihm aber der<br />

Gedanke gekommen, so hätte er zweifelsohne auch einen Rechtsgelehrten, Dr.<br />

Fuchs, dazuerf<strong>und</strong>en, der in seinem Strafantrag den Verstoß festgestellt hätte,<br />

sodann, <strong>das</strong>s es sich hier um ein Jagdverbrechen handelte - aber sicher nicht um<br />

vier: für den Juristen Dr. Fuchs wie für den Angeklagten, Loewe, hätte die<br />

gedachte Vierteilung die Jagdbeute, im vorliegenden Falle den Hirsch - <strong>das</strong><br />

Corpus Delicti - wie auch <strong>das</strong> Vergehen (hier also die Anwendung des Rechtes<br />

des Stärkeren) ungeteilt gelassen <strong>und</strong> nur nach vier begrifflichen Kategorien<br />

unterschieden <strong>und</strong> verurteilt.<br />

Zu behaupten, <strong>das</strong>s es sich bei der Zerschlagung des Versailler Vertrages, bei<br />

der Wiederaufrüstung Deutschlands, bei der Rückgewinnung von Gebieten, die<br />

durch den Ersten Weltkrieg verloren gingen, bei der Gewinnung anderer Gebiete<br />

- sowie bei der vorsätzlichen Absicht, Angriffskriege zu führen, jeweils um<br />

selbständige Vergehen handelte, von denen jedes eine separate Anklage<br />

erforderte - ist vielleicht sehr geistreich, insofern als hier der Vorsatz <strong>und</strong> der<br />

Rückfall alle gesondert geahndet werden können <strong>und</strong> dem Ankläger<br />

Publikumseffekte großer Eleganz erlaubten.<br />

66


Aber hätte der Prozess sich nicht in jener Massenhysterie abgespielt, hätte es in<br />

jenem improvisierten Gerichtssaal nicht jene ungeheure Anzahl von "femmes<br />

des Halles" <strong>und</strong> "tricoteuses" 13 <strong>und</strong> ihresgleichen gegeben, die außerdem noch<br />

überall auf der Welt die Straßen wie die Zeitungen füllten, so wäre auch dem<br />

einfältigsten Zuschauer bald klar geworden, <strong>das</strong>s, wenn es überhaupt ein<br />

Verbrechen gab unter dem was hier, mit tausend Etiketten versehen, vorgetragen<br />

wurde, so in Wahrheit nur eines: die Zerschlagung des Versailler Vertrages, <strong>das</strong><br />

Recht des Stärksten der Fabel.<br />

________________<br />

13 "Femmes des Halles" <strong>und</strong> "tricoteuses" (Marktfrauen <strong>und</strong> Strickerinnen) saßen während der französischen<br />

Revolution im Saal des Revolutionstribunals <strong>und</strong> forderten stets, <strong>das</strong>s die Angeklagten zum Tode verurteilt würden.<br />

Man nannte sie die "Furien der Guillotine".<br />

Um im Stil der Fabel fortzufahren <strong>und</strong> um den Vergleich zu vervollkommnen,<br />

brauchte man sich nur noch vorzustellen, <strong>das</strong>s die demokratischen Tiere, die<br />

Färse, die Ziege <strong>und</strong> <strong>das</strong> Schaf, zu denen sich noch ein Esel gesellt hätte aus<br />

Repräsentationsgründen <strong>und</strong> ein Puter. weil es den in jedem Schwank gibt,<br />

sowie ein Fuchs für die Inszenierung <strong>und</strong> ein Wolf zur Aufrechterhaltung der<br />

Moral - <strong>das</strong>s also alle diese Tiere zusammen den Löwen überwältigt <strong>und</strong> ihn in<br />

feste Ketten gelegt hätten um ihn so langsam verenden zu lassen, wobei sie<br />

dafür sorgten, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Schauspiel lange dauerte <strong>und</strong> jeden Tag alle zusammen<br />

hinzogen, damit ihnen bloß nichts entging: ein richtiger Völkerb<strong>und</strong> der Tiere,<br />

wobei ein angezogener Affe recht gut den Boten abgeben könnte <strong>und</strong> ein altes,<br />

gackerndes Huhn die Presse.<br />

Was sage ich ... sich <strong>das</strong> vorstellen? Ist der Platz im Konzert der Nationen, den<br />

hier der Löwe in Ketten einnimmt, nicht genau der Platz, zu dem der Vertrag<br />

von Versailles Deutschland verurteilen wollte?<br />

Eines Tages, nach furchtbarem Blutverlust <strong>und</strong> mehr tot als lebend, wusste der<br />

deutsche Löwe seine Ketten zu sprengen - <strong>das</strong> war alles.<br />

Wie in der Fabel von La Fontaine war eine englische Ratte, vielleicht auch eine<br />

amerikanische oder vielleicht auch von jeder Seite eine, im richtigen Augenblick<br />

aus der Erde gekommen <strong>und</strong> hatte ein Kettenglied an der richtigen Stelle<br />

angenagt.<br />

Aber, um wieder zur Welt der Menschen zurückzukehren - die Frage, die<br />

beantwortet werden soll, ist: ob der deutsche Löwe <strong>das</strong> Recht hatte, seine Ketten<br />

zu sprengen oder, anders gesagt, es ist die Frage nach der Unantastbarkeit der<br />

Verträge, insbesondere der Friedensverträge.<br />

Es kann vorkommen, <strong>das</strong>s irgend ein Vertrag einmal nicht die schriftliche<br />

Fixierung eines Kräfteverhältnisses ist: ein Zollabkommen zum Beispiel, oder<br />

der Europäische Gemeinsame Markt ... Im Falle des Gemeinsamen Marktes<br />

muss noch der Vorbehalt gemacht werden, <strong>das</strong>s der Zusammenschluss der Sechs<br />

bedingt ist durch eine Gefahr, die sie alle bedroht, <strong>das</strong>s Deutschland, dem nur<br />

67


wenige Vorteile aus dieser Lage zufallen, trotzdem zur Teilnahme gezwungen<br />

wurde durch die neue Konstellation, in die es sich am Ende des Zweiten<br />

Weltkrieges hineingestellt sah. Weiter muss auch noch berücksichtigt werden,<br />

<strong>das</strong>s England sich so unwiderstehlich dazu hingezogen fühlt, weil seine<br />

Nichtteilnahme bedeuten würde, <strong>das</strong>s ihm der Zugang zu den wesentlichsten<br />

Markten des Festlandes versperrt wäre. Es gibt auch nur wirtschaftliche<br />

Kräfteverhältnisse. Im Anfang sind sogar alle Kräfteverhältnisse wirtschaftlicher<br />

Art; diesen Charakter behalten sie solange, als die Probleme, die sich den<br />

Staaten aus dem rein kommerziellen Güterverkehr <strong>und</strong> der Eroberung der<br />

Märkte stellen, auf dem Wege des friedlichen Wettbewerbes gelöst werden<br />

können - solange die Kaufleute den Staat nicht bitten, Soldaten zu schicken, um<br />

einen Markt zu behalten, bzw. einen Markt zu erobern, der ihnen verschlossen<br />

wurde oder den sie aus Preisgründen verloren. Aber wenn wir von diesem<br />

äußersten Schritt einmal absehen, können wir also sagen, <strong>das</strong>s man sich<br />

durchaus Verträge vorstellen kann, die auf friedlichem Wege geschlossen <strong>und</strong><br />

aufgehoben werden - <strong>und</strong> sie kommen sogar recht häufig vor, in allen Fällen, in<br />

denen keine allzu schwerwiegenden Interessen auf dem Spiele stehen. Es ist<br />

bemerkenswert, <strong>das</strong>s kein Jurist je auf den Gedanken kam, auch solche Verträge<br />

als unantastbar hinzustellen.<br />

Friedensverträge hingegen sind nie etwas anderes als die schriftliche Fixierung<br />

eines einmal erreichten Kräfteverhältnisses: hier diktiert stets die eine Partei (die<br />

des Siegers) der anderen ihre Bedingungen, die der Unterlegene nur<br />

unterschreibt, weil ihm <strong>das</strong> Messer an der Kehle sitzt. Obwohl dieses Verfahren<br />

seit eh <strong>und</strong> je als unsittlich angeprangert wird, ist es bisher noch keiner<br />

internationalen Körperschaft gelungen, bindende Rechtsgr<strong>und</strong>sätze aufzustellen,<br />

durch die die Rechte des Siegers eingeschränkt <strong>und</strong> die unverlierbaren Rechte<br />

des Besiegten anerkannt werden. Es herrscht noch immer <strong>das</strong> "Vae victis!" -<br />

"Wehe den Besiegten!"<br />

Bis zum Beginn dieses Jahrh<strong>und</strong>erts wollte es eine uralte Tradition, <strong>das</strong>s man<br />

sich den Krieg nur auf Gr<strong>und</strong> der auf dem Spiele stehenden allerhöchsten<br />

Interessen - der Ehre des Vaterlandes - erklärte, ohne <strong>das</strong>s man ihn weiter<br />

moralisch oder juristisch zu rechtfertigen hatte. Man schlug sich nach der Art<br />

der Wilden, soweit es die dazumal erreichten Fortschritte in der Kunst des<br />

Zerstörens gestatteten. Man brandschatzte <strong>und</strong> wurde nach Belieben des Siegers<br />

gebrandschatzt, je nachdem, wie die Waffen entschieden hatten. Weiße Fahnen,<br />

Waffenstillstand, Verträge - alles verlief von der Kriegserklärung bis zum<br />

Friedensschluss nach einem ererbten ritterlichen Ehrenkodex. Es gab stets einen<br />

schurkischen Ritter, <strong>das</strong> war natürlich immer der Feind. Nach Unterzeichnung<br />

des Vertrages, mit dem der Krieg beendet wurde, trennten sich die Gegner nach<br />

den Regeln des Protokolls, schüttelten sich feierlich die Hände <strong>und</strong> der Besiegte<br />

drapierte sich mit seiner Würde, wenn er die Bedingungen des Siegers vernahm,<br />

wobei er durchblicken ließ, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> letzte Wort noch nicht gesprochen sei!<br />

68


In diesem Stil wurde noch der französisch-deutsche Krieg von 1870/71 erklärt,<br />

geführt <strong>und</strong> beendet. Obwohl zwischenzeitlich mancherlei Versuche gemacht<br />

waren (besonders in Den Haag, vgl. Anmerkung 2), den Krieg nach einem von<br />

Juristen <strong>und</strong> nicht von Haudegen aufgestellten Kodex ablaufen zu lassen, so<br />

verliefen beim Krieg 1914-18 wenigstens die Vorbereitung <strong>und</strong> die<br />

Kriegserklärung nach diesen Spielregeln. Beweis ist die von Poincare - nach<br />

dem Nürnberger Statut einwandfrei ein Kriegsverbrecher! - offen betriebene<br />

Revanche-Politik. Deutschland hatte im Frieden zu Frankfurt nichts getan, um<br />

einer solchen Politik vorzubeugen. Sein Unbehagen äußerte sich nur auf<br />

traditionelle Weise: durch Prahlereien als Antwort auf die Prahlereien der<br />

Gegenseite <strong>und</strong> durch die Versicherung, <strong>das</strong>s man bereit sei, den über lange<br />

Jahre hinweg täglich zugeworfenen Fehdehandschuh, wenn nötig aufzunehmen.<br />

<strong>Die</strong> Heiligkeit der Verträge war kein Gesetzbuch-Paragraph, sondern ein<br />

ererbtes Faktum, bei dem trotz der schon bestehenden internationalen<br />

Konventionen von beiden Partnern stillschweigend vorausgesetzt wurde, <strong>das</strong>s<br />

die Verträge nur so lange heilig blieben, bis <strong>das</strong> Waffenglück anders entschied.<br />

Es entsprachen einander: Poincaie, der den Frankfurter Vertrag eine Schande für<br />

Frankreich nannte <strong>und</strong> erklärte, er wolle ihn mit Waffengewalt zerreißen - <strong>und</strong><br />

Bethmann-Hollweg, als er alle Verträge, die ihn in Zentral-Europa, auf dem<br />

Balkan, in Afrika <strong>und</strong> im Mittleren Osten beengten, als "Fetzen Papier" 14<br />

bezeichnete.<br />

Ob diese Beispiele Ausnahmen sind, die keine Verallgemeinerung zulassen,<br />

oder im Gegenteil ganz typische Fälle, nach denen allgemeingültige Regeln<br />

aufgestellt werden können, kann der Leser entscheiden, wenn er sich überlegt, in<br />

welcher Lage gegenüber <strong>und</strong> vor der heutigen öffentlichen Meinung sich ein<br />

Jurist befinden würde, der verlangt hätte, <strong>das</strong>s etwa die Heiligkeit der folgenden<br />

Verträge, über die Jahrh<strong>und</strong>erte hinweg, anerkannt würde:<br />

Verdun (843: Teilung des <strong>Reich</strong>es Karls des Großen);<br />

Le Cateau-Cambresis (1559: Ende des Italienischen Krieges <strong>und</strong><br />

Liquidation der Folgen des H<strong>und</strong>ertjährigen Krieges, der 1453 ohne irgend<br />

einen Vertrag endete, wenn man von Troyes, 1420, absieht, dem der König<br />

von England seinen Titel "König von Frankreich" verdankte, der noch bis<br />

zum Ende des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts unter den Apanagen der Krone<br />

figurierte);<br />

Westfälischer Friede (1648: Ende des Dreißigjährigen Krieges);<br />

Wien (1814-15: Ende der Napoleonischen Kriege) usw.<br />

Es gibt nämlich keinen Mittelweg. Wenn die Heiligkeit der Verträge ein Gesetz<br />

ist, dann sind alle Verträge heilig. Dann gibt es keinen Ausweg mehr, denn jeder<br />

neue Vertrag ist eine Verneinung der Heiligkeit des vorhergehenden. Wenn die<br />

Richter in Nürnberg von der Heiligkeit der Verträge sprachen, dachten sie in<br />

69


Wirklichkeit immer nur an Versailles! Aber warum soll Versailles heiliger sein<br />

als Frankfurt <strong>und</strong> Frankfurt heiliger als Wien oder Verdun?<br />

Man sieht, - die These, <strong>das</strong>s ausschließlich der Versailler Vertrag heilig sein<br />

sollte, ist weder sittlich noch historisch noch juristisch vertretbar. Sie gründet<br />

sich auf <strong>das</strong> Waffenglück. Wenn die Waffen anders gesprochen <strong>und</strong> den Sieg<br />

den Besiegten geschenkt hätten, dann würde die umgekehrte These triumphiert<br />

haben, für deren Richtigkeit sich heute andere, nicht weniger zahlreiche <strong>und</strong><br />

nicht weniger kompetente Juristen verbürgen würden. Andererseits kann aber<br />

die Heiligkeit auch ziemlich elastisch sein, wenn man an die finanziellen<br />

Sanktionen denkt. <strong>Die</strong> gleichen Richter hatten Versailles nicht für unantastbar<br />

gehalten, als sie zwischen 1919 <strong>und</strong> 1930 der Herabsetzung der deutschen<br />

Reparationen von 132 Milliarden Goldmark 15 auf eine Summe in der Gegend<br />

von Null zustimmten.<br />

________________<br />

14 <strong>Die</strong>ser Ausdruck hat In der Presse seine Reise um die Welt gemacht <strong>und</strong> wird sogar von Schulen <strong>und</strong> Universitäten<br />

zitiert. In Wirklichkeit hatte von Bethmann-Hollweg nur von einem "Stück Papier" gesprochen.<br />

15 <strong>Die</strong> Väter des Versailler Vertrages hatten eine Kommission zum Studium der Reparationsfrage eingesetzt, deren<br />

Beschlüsse in mehreren Darstellungen veröffentlicht wurden, wobei aber auffällt, <strong>das</strong>s sie sich, was die Höhe der zu<br />

leistenden Zahlungen betrifft, widersprechen. So gibt Benoist-Mechin in seinem Buch "Histoire de l'Armee allemande"<br />

212 Milliarden an. <strong>Die</strong> tatsächliche Höbe aber war 132 Milliarden.<br />

<strong>Die</strong> Bestimmungen über die territorialen Grenzen waren auch nur für<br />

Deutschland heilig, denn heute sind sie so gut wie alle durch neue, für<br />

Deutschland wesentlich schlechtere ersetzt - zum Vorteil Russlands. Ich habe<br />

schon gesagt, <strong>das</strong>s England, von den Vereinigten Staaten in dieser Politik im<br />

Hintergr<strong>und</strong> ermutigt, die militärischen Klauseln des Vertrages niemals als<br />

unabänderlich angesehen hat, nicht einmal zu Hitlers Zeiten (Flottenvertrag vom<br />

Juni 1935).<br />

Was Russland betrifft, so änderte es seine Meinung am 18. September 1934, als<br />

Litwinow in Genf den Antrag auf Aufnahme in den Völkerb<strong>und</strong> stellte, welcher<br />

Antrag von Yvon Delbos <strong>und</strong> Barthou befürwortet wurde. Bis zu jenem 18.<br />

September 1934 hatte es den Versailler Vertrag als ein "Diktat aus Hass <strong>und</strong><br />

Raubgier" bezeichnet <strong>und</strong> den Völkerb<strong>und</strong> als eine "Liga von Banditen". <strong>Die</strong>se<br />

Gedanken beherrschten Russland, als es am 17. April 1922 mit Deutschland den<br />

Rapallo-Vertrag unterzeichnete (der später durch den ersten<br />

Deutschsowjetischen Nichtangriffspakt vom 24. April 1926 ergänzt wurde); es<br />

war der erste Versuch einer russischen Außenpolitik, die darauf abzielte, alle<br />

1914-18 besiegten, durch <strong>das</strong> "Banditendiktat" unterdrückten Länder in einem<br />

Block zu sammeln.<br />

Aus alledem erkennt man, <strong>das</strong>s die Heiligkeit des Vertrages von Versailles in<br />

den Augen von wenigstens drei der Nürnberger Richter zeitweilig eine gewisse<br />

Elastizität besaß.<br />

70


Wenn ich nun aus dem Vorhergehenden folgere, <strong>das</strong>s es überhaupt keine<br />

unabänderlichen Verträge gibt, so glaube ich nicht, <strong>das</strong>s man diesen Schluss als<br />

leichtfertig anprangern kann. In dem Stil, der bis Versailles Mode war, waren<br />

Verträge nicht unabänderlich, weil sie nur <strong>das</strong> jeweils gegebene Verhältnis der<br />

Kräfte fixierten, <strong>das</strong> sich ständig ändert, weil jeder geschichtliche Augenblick<br />

sein eigenes Kräfteverhältnis hat, <strong>das</strong> mit Gewalt den Vertrag zerbricht, der in<br />

einem vorherigen Gewaltausbruch fixiert wurde.<br />

Es ist eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, ein geschlossener<br />

Kreis, <strong>und</strong> aus einem solchen Kreis kann man sich nur befreien, indem man ihn<br />

zerschlägt; vielleicht ist mit diesem Hinweis der richtige Moment gekommen für<br />

einen Überblick über die Versuche, die bisher unternommen wurden, um diesen<br />

schrecklichen Kreis zu zerschlagen. Dabei wird man erkennen, in welchem,<br />

zwar nicht originellen, aber doch recht kuriosen geschichtlichen Rahmen der<br />

Versailler Vertrag <strong>und</strong> der Nürnberger Prozess zu Hause sind.<br />

Gegen Ende des XIX. <strong>und</strong> am Anfang des XX. Jahrh<strong>und</strong>erts setzte sich in den<br />

geistigen Strömungen jener Zeit die Idee einer Ablehnung des Krieges aus<br />

Gewissensgründen durch. Sie erfasste sowohl die Arbeiterbewegung wie die<br />

öffentliche Meinung <strong>und</strong> veranlasste fast alle Regierungen dazu, zuerst eine<br />

Humanisierung des Krieges ins Auge zu fassen <strong>und</strong> als weiteres Ziel eine<br />

Ungesetzlicherklärung anzustreben: die auf den internationalen Konferenzen<br />

von Den Haag 1899 <strong>und</strong> 1907 erarbeiteten Konventionen müssen als Äußerung<br />

dieses erwachenden Gewissens angesehen werden. 16<br />

Erstes Paradoxon: Es war nicht Frankreich, <strong>das</strong> sich gern brüstet, Urheber aller<br />

humanitären Ideen zu sein, sondern <strong>das</strong> zaristische Russland, <strong>das</strong> 1899 die<br />

Initiative ergriff, <strong>und</strong> auch 1907 war es wieder nicht Frankreich, sondern die<br />

Vereinigten Staaten. Frankreich war damit beschäftigt, seine Revanche gegen<br />

Deutschland vorzubereiten, die Revanche für den Frieden von Frankfurt, <strong>und</strong><br />

dieser Aufgabe widmete es sich mit Leib <strong>und</strong> Seele. Trotzdem nahm es an den<br />

Konferenzen teil <strong>und</strong> unterschrieb die dabei ausgearbeiteten Entschließungen.<br />

Ein weiteres Paradoxon: In dem Maße, in dem die Konferenzen jener Periode in<br />

der öffentlichen Weltmeinung an Gunst gewannen (27 Teilnehmer 1899, 44 im<br />

Jahre 1907) <strong>und</strong> wie in den unterschriebenen Entschließungen Maßnahmen<br />

festgelegt wurden, durch die Kriege vermieden oder zumindest ihre Ausweitung<br />

<strong>und</strong> unhumane Führung verhindert werden sollte, - in gleichem Maße wuchsen<br />

auch alle die Spannungen, die in ihrer Häufung den Krieg von 1914<br />

unausweichlich machten. Viele ehrenwerte Leute haben damals gedacht, <strong>das</strong>s<br />

die meisten Teilnehmer an den Haager Konferenzen nichts anderes im Sinne<br />

hatten, als die Menschheit hinters Licht zu führen. - Kurz: vom 2. August 1914<br />

bis zum 11. November 1918 wurde gekämpft. <strong>Die</strong> Friedensverhandlungen<br />

begannen am 19. Januar 1919 in Paris <strong>und</strong> am 28. Juni 1919 wurde in Versailles<br />

der Vertrag unterzeichnet, der Kriegszustand offiziell beendet. <strong>Die</strong><br />

Bedingungen, unter denen der Vertrag ausgearbeitet <strong>und</strong> unterschrieben wurde,<br />

71


sowie seine Klauseln wird der Leser in einem weiteren Kapitel finden, <strong>das</strong><br />

diesem Thema gewidmet ist. Er wird da lesen, <strong>das</strong>s kein Besiegter je so<br />

gedemütigt worden ist, seit es Soldaten gibt, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

Selbstbestimmungsrecht der Völker noch nie derart mit Füßen getreten wurde,<br />

seit es Juristen gibt - selbstverständlich mit Ausnahme von 1945 <strong>und</strong> den<br />

folgenden Jahren. Nur die militärischen Klauseln waren annehmbar, da sie auf<br />

Gegenseitigkeit beruhten. Aber <strong>das</strong> übrige? Nicht ohne Erstaunen kann man<br />

beispielsweise die deutsche Reparationsschuld von 132 Milliarden Goldmark,<br />

entsprechend 165 Milliarden Goldfranken 17 mit den 5 Milliarden in gleicher<br />

Währung vergleichen, die Deutschland von Frankreich beim Frankfurter Frieden<br />

gefordert hatte, eine Summe, die Thiers zu lauten Protestrufen veranlasste.<br />

________________<br />

16 Vergleiche Anmerkung 2<br />

17 Das deutsche Volksvermögen wurde damals auf 260 Milliarden Goldmark, <strong>das</strong> französische auf 250 Milliarden<br />

Goldfranken beziffert.<br />

Man denke auch an die Gebiets-Amputationen, die Art, in der man sie<br />

rechtfertigte <strong>und</strong> was schließlich daraus geworden ist.<br />

Am Tage nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages sahen sich die<br />

Sieger in der folgenden Lage: nachdem sie für eine "Welt des Rechtes <strong>und</strong> der<br />

Kultur" nach den von den Haager Konferenzen erarbeiteten Prinzipien ins Feld<br />

gezogen waren <strong>und</strong> gegen die Losung "Macht geht vor Recht", die man Kaiser<br />

Wilhelm II. <strong>und</strong> seinem Kanzler von Bethmann- Hollweg in den M<strong>und</strong> gelegt<br />

hatte - hatten sie dem besiegten Deutschland gegenüber nichts besseres getan,<br />

als gerade nach dem Prinzip "Macht geht vor Recht" zu handeln. Und dabei<br />

hätte es, gerade damals nach dem Kriege eine so einmalige Gelegenheit<br />

gegeben, den schrecklichen Kreis des Unrechts, <strong>das</strong> immer wieder neues<br />

Unrecht auslösen musste, zu brechen, wenn man ohne Rücksicht auf den<br />

Ausgang der Kämpfe zu einem Frieden bereit gewesen wäre, dessen gerechte<br />

Bedingungen bewiesen hätten, <strong>das</strong>s für die Alliierten ihre verkündeten<br />

Kriegsziele nicht nur Worte waren <strong>und</strong> <strong>das</strong>s bei ihnen <strong>das</strong> Recht vor der Macht<br />

den Vorrang habe. 18 Welches Vorbild hätten die Alliierten dann der Welt<br />

gegeben. Stattdessen aber ...<br />

Damit will ich keineswegs behaupten, <strong>das</strong>s der Versailler Vertrag unter solchen,<br />

besseren Bedingungen unabänderlich geworden wäre: wenn auch die Form, in<br />

der sich bis dahin der Wandel im Verhältnis der Kräfte ausgedrückt hatte, für<br />

immer aus dem internationalen Leben verbannt wäre, so gab es doch den<br />

Ständigen Haager Gerichtshof, der 1899 gegründet worden war; er konnte von<br />

Zeit zu Zeit der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung tragen. Denn die<br />

Struktur der Gesellschaft ist ebenso wandelbar wie <strong>das</strong> Verhältnis der Kräfte -<br />

<strong>und</strong> jeder historische Augenblick hat seine eigene Sozialstruktur. 19 Ich glaube,<br />

man wird leicht verstehen, <strong>das</strong>s kein zur Zeit der Feudalherrschaft<br />

72


abgeschlossener Vertrag, mag er <strong>das</strong> Ergebnis einer Machtkonstellation oder<br />

eines freien Übereinkommens gewesen sein, heutzutage imstande wäre, die<br />

Beziehungen zwischen den großen Nationen der Neuzeit zu regeln. Ebenso<br />

wenig kann ein 1919 unter allgemeiner Zustimmung unterzeichneter Vertrag für<br />

die Welt in sagen wir zweih<strong>und</strong>ert Jahren bindend sein. Nein.<br />

________________<br />

18 Das hatte Präsident Wilson Im Sinne, als er die 14 Punkte aufstellte. Hierzu vergl. den zweiten Teil dieses Buches.<br />

19 <strong>Die</strong> Präambel des Versailler Vertrages, die untrennbar mit dem Vertrag verb<strong>und</strong>ene Völkerb<strong>und</strong>ssatzung, enthielt<br />

übrigens einen Artikel 19, der eine Revision vorsah, für den Fall, <strong>das</strong>s der Vertrag unanwendbar würde. <strong>Die</strong><br />

verschiedenen Revisionsanträge, die deutscherseits von 1920 bis 1939 gestellt wurden, stützen sich gerade auf diesen<br />

Artikel 19: In Wahrheit war der Vertrag schon unanwendbar im Augenblick, wo er unterschrieben wurde.<br />

Wenn Verträge auch keine "Fetzen Papier" sind, so können sie doch auch wieder<br />

nicht als völlig starre Regeln gelten in einer Welt, in der nichts unveränderlich<br />

ist. Das einzige Problem ist <strong>das</strong> ihrer periodischen Revision, <strong>und</strong> dafür gibt es<br />

nur zwei Möglichkeiten: Entweder vollzieht sich die Änderung durch einen<br />

neuen Ausgleich des Machtverhältnisses, also durch Krieg, oder durch<br />

internationale Konferenzen in dem Stil, der in Den Haag festgelegt wurde.<br />

Als wieder Frieden war, wollte man im Rahmen des Völkerb<strong>und</strong>es i die in Den<br />

Haag begonnenen Gespräche fortsetzen. Der Versuch führte aber zu nichts, weil<br />

man sich auf der Gr<strong>und</strong>lage der Machtverhältnisse bei gleichzeitiger Annahme<br />

allgemeiner freiwilliger Zustimmung unterhielt. Einesteils gab es da die<br />

ehemaligen, bis an die Zähne bewaffneten Sieger, die aus dieser Lage heraus die<br />

unwahrscheinlichsten Auffassungen zur Geltung bringen konnten, andernteils<br />

<strong>das</strong> entwaffnete Deutschland. - ohne Rückhalt <strong>und</strong> gezwungen, alles mit sich<br />

geschehen zu lassen, wie der angekettete Löwe bei La Fontaine. Bis eine Ratte<br />

im günstigen Augenblick erschien ...<br />

<strong>Die</strong>se Situation war unhaltbar. Sie war es umso mehr, als sie auf einen<br />

eindeutigen Vertragsbruch seitens der Sieger beruhte. <strong>Die</strong> Präambel zu den fünf<br />

Abschnitten des Versailler Vertrages, die sich mit der deutschen Militärmacht<br />

beschäftigen, lautete: .Um die Einleitung einer allgemeinen<br />

Rüstungsbeschränkung, aller Nationen zu ermöglichen, verpflichtet sich<br />

Deutschland, die im folgenden niedergelegten Bestimmungen über <strong>das</strong><br />

Landheer, die Seemacht <strong>und</strong> die Luftfahrt genau innezuhalten."<br />

Als Deutschland seinen Verpflichtungen nachgekommen war <strong>und</strong> abgerüstet<br />

hatte, bis auf den vom Versailler Vertrag vorgeschriebenen Stand, wollten die<br />

Sieger ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen - am wenigsten Frankreich; die<br />

anderen schlössen sich eigentlich hauptsächlich an, weil sie Frankreich nicht in<br />

den Rücken fallen wollten. Wir werden noch sehen, <strong>das</strong>s England zum Beispiel<br />

bis 1935 dem Gedanken einer Rüstungsbeschränkung gar nicht ablehnend<br />

gegenüberstand.<br />

73


Der Irrtum - um kein härteres Wort zu gebrauchen - der Nürnberger Ankläger<br />

<strong>und</strong> Richter war es, <strong>das</strong>s sie den Versailler Vertrag als eine vollgültige<br />

Rechtsquelle benutzten <strong>und</strong> so taten, als ob es sich dabei um mehr als eine bloße<br />

Fixierung der zur Zeit der Unterschrift bestehenden Machtverhältnisse handelte,<br />

als ob die Verfasser der Vertragsbestimmungen sich nicht als erste gegen sie<br />

vergangen hätten, <strong>und</strong> als ob der deutsche Entschluss, den Vertrag zu zerreißen,<br />

nicht eine Antwort gewesen wäre auf die Vertragsbrüche seitens der Sieger. Es<br />

ist ein charakteristisches Merkmal jeder einzelnen Phase, der Deutschland von<br />

der Nürnberger Anklageschrift als Verbrechen vorgeworfenen<br />

Wiederaufrüstung, <strong>das</strong>s es sich immer um eine Antwort. um einen Gegenzug<br />

handelte:<br />

Am 14. Oktober 1933 verlässt Deutschland den Völkerb<strong>und</strong>:<br />

Deutschland hat seit Jahren die Militär-Klauseln des Versailler Vertrages erfüllt,<br />

der Locarno-Vertrag hat dies anerkannt <strong>und</strong> Marschall Poch hat es 1927 bei der<br />

Rückkehr von einer Inspektionsreise durch Deutschland bestätigt. Trotzdem<br />

weigert sich Frankreich seinerseits, seinen Verpflichtungen nachzukommen,<br />

obwohl England <strong>und</strong> die Vereinigten Staaten ihm dieserhalb Vorhaltungen<br />

machen. Der Völkerb<strong>und</strong> ist außerstande, Frankreichs Haltung zu beeinflussen,<br />

bleibt aber bei seiner feindseligen Ablehnung, wenn Deutschland gleiches Recht<br />

für alle verlangt.<br />

<strong>Die</strong> Abrüstungskonferenz scheitert an diesem Problem: Der Mac-Donald-Plan<br />

zur Begrenzung der Rüstungen (Abschaffung aller Offensivwaffen: Bomber,<br />

Panzer, schwere Artillerie usw.) wird von Frankreich nicht angenommen. Am<br />

16. Mai 1933 richtet Präsident Roosevelt an 44 Staatsoberhäupter eine<br />

Botschaft, die den Mac-Donald-Plan erneut zur Diskussion stellt. Am 17. Mai<br />

hält Hitler vor dem <strong>Reich</strong>stag eine Rede, in der er den Plan annimmt. Frankreich<br />

gibt nicht nach, der Völkerb<strong>und</strong> versucht nicht einmal, es zum Nachgeben zu<br />

zwingen <strong>und</strong> bleibt sogar bei seiner Haltung, Deutschland die<br />

Gleichberechtigung zu verweigern. <strong>Die</strong> deutsche Meinung ist: Entweder<br />

Frankreich <strong>und</strong> die anderen Nationen halten, wie wir, die in Versailles<br />

übernommenen Verpflichtungen ein <strong>und</strong> rüsten ab, oder wir rüsten auf. <strong>Die</strong><br />

deutsche Note wird zurückgewiesen. Darauf tritt Deutschland am 14. Oktober<br />

1933 aus dem Völkerb<strong>und</strong> aus <strong>und</strong> knallt die Tür zu. Am 12. November billigen<br />

95 Prozent der Wähler Deutschlands bei einer Volksabstimmung diese<br />

Entscheidung.<br />

Vor dem Unterhaus macht Lloyd George am 15. Oktober 1933 mit folgenden<br />

Worten Frankreich verantwortlich:<br />

"Während vieler Jahre hat sich Frankreich geweigert, seinen Abrüstungs-<br />

Verpflichtungen nachzukommen, ja, es hat sogar nach Locarno nicht<br />

aufgehört, noch weiter aufzurüsten."<br />

74


Man hätte hinzufügen können, <strong>das</strong>s es nach dem Versailler Vertrag auch noch<br />

dem Geist von Locarno zuwidergehandelt hatte. In seinem Buch "La France a<br />

sauve l'Europe" gibt Paul Reynaud zu, <strong>das</strong>s diese Haltung Frankreich .in den<br />

Augen der Welt für <strong>das</strong> Wettrüsten verantwortlich machte, <strong>das</strong> zwangsläufig<br />

zum Kriege führen musste" (Band l, S. 294).<br />

10.-16. März 1935: Schaffung der Wehrmacht. Wiedereinführung der<br />

<strong>Die</strong>nstpflicht, Festlegung der Friedensstärke des Heeres auf 500.000 Mann: Am<br />

6. Februar 1934 ist in Frankreich die Regierung Doumergue an die Macht<br />

gekommen. Barthou ist ihr Außenminister. Seine erste Maßnahme ist, <strong>das</strong>s er die<br />

Politik von Locarno über den Haufen wirft <strong>und</strong> sie durch die der Einkreisung<br />

Deutschlands ersetzt, indem er eine Annäherung an Sowjet-Russland betreibt,<br />

dessen Aufnahme in den Völkerb<strong>und</strong> er am 18. September erreicht. März 1935<br />

laufen die Gespräche, die am 2. Mai zum Abschluss des französischsowjetischen<br />

Paktes führen, auf vollen Touren. Stalin erklärt, <strong>das</strong>s Frankreich<br />

"<strong>das</strong> Recht hat, seine Rüstung seinem Bedürfnis nach Sicherheit anzupassen".<br />

Dann wird die Militärdienstzeit in Frankreich verlängert usw. usw. Auf diese<br />

Verletzung der Verträge von Versailles <strong>und</strong> Locarno hin kündigt Hitler offiziell<br />

alle Militärklauseln des Versailler Vertrages, beschließt die Schaffung einer<br />

Luftflotte <strong>und</strong> führt die Militärdienstpflicht wieder ein.<br />

Wenn die Sicherheit Frankreichs einen Schutz braucht, <strong>das</strong> von nun an<br />

eingekreiste Deutschland benötigt ihn auch.<br />

Man muss folgendes im Auge behalten: England, <strong>das</strong> Frankreich immer wieder -<br />

<strong>und</strong> zwar mit gutem Recht, <strong>das</strong> steht unzweifelhaft fest - die Verantwortung für<br />

<strong>das</strong> sich ständig verstärkende Wettrüsten zuschob, war selbst auch nicht<br />

konsequent gewesen. Denn im Juni 1935 schloss es mit Deutschland einen<br />

Flottenvertrag, der dessen Seekriegstonnage im Vergleich zu der in Versailles<br />

vorgesehenen nicht unbeträchtlich vergrößerte, <strong>und</strong> zwar sowohl über, wie unter<br />

Wasser. Trotzdem erhob England in Nürnberg Klage gegen Deutschland, es<br />

habe den Versailler Vertrag gebrochen. Wohl wurde Deutschland der Bau der<br />

Luftflotte, die Wiedereinführung der <strong>Die</strong>nstpflicht <strong>und</strong> die Vergrößerung der<br />

Landstreitkräfte als Verbrechen vorgeworfen, nicht aber die auf Gr<strong>und</strong> des<br />

Flottenvertrages durchgeführte Aufrüstung zu See, die übrigens nicht die<br />

Zustimmung Frankreichs fand. Man hätte ja auch England der Mitschuld<br />

anklagen müssen - <strong>und</strong> England war doch Richter! Es gab eben doch noch<br />

Rücksichtnahme zwischen den Staaten, selbst in Nürnberg!<br />

7. März 1936. Deutschland besetzt 'symbolisch' die entmilitarisierte Zone des<br />

Rheinlands: <strong>Die</strong>s ist eine eindeutige Verletzung des Versailler Vertrages. Sie ist<br />

die logische Folge der bereits besprochenen Entwicklung <strong>und</strong> die letzte Antwort<br />

Deutschlands auf die Unterzeichnung des französisch-sowjetischen Pakts. Am 2.<br />

Mai 1935 unterschrieben, wurde dieser Vertrag vom französischen Parlament<br />

erst am 27. Februar 1936 ratifiziert. Hitler hatte eine Ablehnung erwartet, aber<br />

die Ratifizierung erfolgte mit 353 gegen 164 Stimmen. Am 21. Februar hatte<br />

75


Hitler Bertrand de Jouvenel, der ihn für die Zeitung "Paris-Midi" interviewte,<br />

erklärt:<br />

"Sie haben ein Deutschland vor sich, von dem 9/10 Ihrem Führer vertrauen,<br />

<strong>und</strong> dieser Führer ruft Ihnen zu: Seien wir Fre<strong>und</strong>e! Ja, ich weiß, was Sie<br />

alle denken. Sie sagen: Hitler gibt uns Friedens-Erklärungen, aber sind die<br />

ehrlich gemeint, ist er ehrlich? Überlegen Sie doch! Wäre es für unsere<br />

beiden Länder nicht vernichtend, wenn wir uns noch einmal auf neuen<br />

Schlachtfeldern zerfleischen würden? Meine persönlichen Bemühungen um<br />

eine solche Annäherung werden fortdauern; sachlich gesehen würde dieser<br />

mehr als bedauerliche Vertrag natürlich eine neue Lage schaffen ... Sie<br />

lassen sich in <strong>das</strong> diplomatische Spiel einer Macht hineinziehen, die nichts<br />

sehnlicher wünscht, als die großen europäischen Nationen in ein Chaos zu<br />

stürzen, deren Nutznießer sie sein würde ... Es gibt im Leben der Völker<br />

entscheidende Augenblicke. Heute kann Frankreich, wenn es will, für<br />

immer einen Schlussstrich unter <strong>das</strong> Kapitel "Deutsche Gefahr" ziehen, die<br />

Ihre Kinder von Generation zu Generation fürchten lernen, <strong>und</strong> Sie können<br />

die fürchterliche Hypothek löschen, die auf der Geschichte Frankreichs<br />

liegt: <strong>Die</strong> Chance ist Ihnen allen gegeben. Wenn Sie sie nicht ergreifen, so<br />

denken Sie an Ihre Verantwortlichkeit gegenüber Ihren Kindern."<br />

<strong>Die</strong> französische Regierung veranlasste die Direktion von "Paris-Midi" dieses<br />

Interview, <strong>das</strong> am 23. Februar 20 erscheinen sollte, erst am Tage nach der<br />

Parlaments-Abstimmung, am 28. Februar 1936, zu veröffentlichen, <strong>und</strong> zwar aus<br />

Furcht, es könne <strong>das</strong> Ergebnis der Abstimmung, auf die Hitler so große<br />

Erwartungen setzte, beeinflussen. Es bestand aber von vornherein wenig<br />

Wahrscheinlichkeit, <strong>das</strong>s es Einfluss haben würde. <strong>Die</strong> Antwort Hitlers auf die<br />

Machenschaften der französischen Regierung <strong>und</strong> die Abstimmung des<br />

Parlaments ließ nicht lange auf sich warten: Am 7. März besetzte er <strong>das</strong><br />

Rheinland. Und so geht es weiter bei allen Vorwürfen, die gegen die Nürnberger<br />

Angeklagten in der Anklageschrift vorgebracht <strong>und</strong> im Urteil berücksichtigt<br />

wurden. Es genügt, diese wenigen Beispiele zu bringen, um zu zeigen, <strong>das</strong>s<br />

Deutschland, selbst Hitler-Deutschland, für diesen teuflischen Rüstungswettlauf,<br />

der zum Kriege führte, nicht die alleinige Verantwortung trug, <strong>das</strong>s die Richter<br />

einen ebenso großen Anteil daran hatten, wie die Angeklagten, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s - um<br />

ganz genau zu sein - die erste Verantwortung auf Frankreichs Schultern lag, da<br />

es ganz allein die Waffenstillstandskonferenz an der Erreichung ihrer Ziele<br />

gehindert hatte, von Zielen, die kein anderer Staat als Frankreich abgelehnt<br />

hatte.<br />

________________<br />

20 Jean Galtier-Boisslire <strong>und</strong> Michael Alexandre: Histoire de la Guerro de 13:"-1915. Bd. Pari" 1946, S. 12.<br />

76


Man hat sich oft gefragt, warum Frankreich mit solcher Hartnäckigkeit die<br />

Abrüstung ablehnte. Auf diese Frage antwortet <strong>das</strong> "Journal officiel de la<br />

Republique francaise" vom 26. März 1938. Senator Paul Laffont erhielt vom<br />

Wirtschaftsministerium über die aus Frankreich nach Deutschland seit 1934<br />

ausgeführten Mengen Eisenerz folgende Auskünfte:<br />

<strong>Die</strong> nach Deutschland im Laufe des Jahres 1934, 1935, 1936 <strong>und</strong> 1937<br />

exportierten Mengen an Eisenerz (No. 204 des Zolltarifs) sind in der folgenden<br />

Tabelle aufgeführt:<br />

Jahre<br />

1934<br />

1935<br />

1936<br />

1937<br />

Mengen in Doppelzentnern<br />

17.060.916<br />

58.616.111<br />

77.931.756<br />

71.329.234<br />

Man kann ermessen, welche Verluste Herr Francois de Wendel <strong>und</strong> seine<br />

Kollegen von der Eisenindustrie im Departement Meurthe et Moselle erlitten<br />

hätten, wenn Frankreich Deutschland keine Gründe für eine Wiederbewaffnung<br />

geliefert hätte. Um einen genauen Eindruck zu bekommen, braucht man nur die<br />

Ausfuhrziffern vor (1934) <strong>und</strong> nach (1935 <strong>und</strong> folgende Jahre) dem deutschen<br />

Beschluss zur Wiederaufrüstung miteinander zu vergleichen. Jean Galtier-<br />

Boissiere <strong>und</strong> Michel Alexandre, deren Werk ich diese Einzelheiten entnehme,<br />

folgern:<br />

"Es wird für die französischen Kämpfer von 1939-1940 ein Trost sein zu<br />

erfahren, <strong>das</strong>s die Geschosse, von denen sie verstümmelt wurden, aus dem<br />

Erz gegossen waren, <strong>das</strong> von Herrn Francois de Wendel <strong>und</strong> seinen<br />

Kollegen von der Eisenindustrie in Meurthe et Moselle in patriotischer<br />

Weise exportiert wurde."<br />

Francois de Wendel war eine Persönlichkeit, deren Einfluss in der Zeit zwischen<br />

den beiden Weltkriegen auf die französische Politik beträchtlich war. Am 11.<br />

Januar 1923 hatte Poincare unter dem Vorwand unzureichender Anlieferung von<br />

Telegraphenmasten auf Reparationskonto <strong>das</strong> Ruhrgebiet besetzen lassen, um<br />

ihm billig den zur Verarbeitung des lothringischen Erzes unersetzlichen Koks zu<br />

verschaffen; ohne diesen Koks konnte <strong>das</strong> Erz nur ausgeführt, aber nicht<br />

verarbeitet werden. <strong>Die</strong> Operation scheiterte. Statt ihn den Preis für den<br />

deutschen Koks bezahlen zu lassen, zögerte Barthou, der alles nur mit de<br />

Wendels Augen sah, nicht, die Abrüstung zu torpedieren, um ihm mit<br />

Deutschland einen guten K<strong>und</strong>en für sein Eisenerz zu verschaffen ... Man hat<br />

aber nicht gehört, <strong>das</strong>s Francois de Wendel von den Nürnberger Richtern als<br />

Komplize vorgeladen worden wäre. Ebenso wenig wie <strong>das</strong> mit Dupont de<br />

Nemours, mit den Leitern des englischen I.C.I.-Konzerns, der Bank Dillon, mit<br />

77


Morgan, Rockefeller usw. geschehen ist, die die deutschen Industrie-<br />

Unternehmungen subventionierten, aus deren Propaganda-Kassen die NSDAP<br />

ihr Geld bezog.<br />

D. Verbrechen gegen die Menschlichkeit<br />

Was Artikel 6, Abs. c der Nürnberger Anklageschrift effekthaschend als<br />

"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" definiert, <strong>das</strong> sind die Bedingungen<br />

unter denen H<strong>und</strong>erttausende, ja vielleicht gar Millionen von Männern, Frauen,<br />

Greisen <strong>und</strong> Kindern in die Konzentrationslager deportiert wurden, 21 unter<br />

denen sie dort leben mussten <strong>und</strong> dabei in einem Prozentsatz, den<br />

niederzuschreiben sich die Feder sträubt, gestorben sind. Sie wurden<br />

rücksichtslos ermordet oder gingen langsam an der unsagbar schlechten<br />

Behandlung zu Gr<strong>und</strong>e, die ihnen zuteil wurde. Besonders hart wurden die<br />

<strong>Juden</strong> betroffen: von den Rassengesetzen bis zu den so viel diskutierten<br />

Gaskammern reichten ihre Leiden.<br />

<strong>Die</strong> Tatsache, <strong>das</strong>s der Eichmannprozess - entgegen den Erwartungen seiner<br />

Organisatoren - nur ein so geringes Interesse zu wecken vermochte, die<br />

Tatsache, <strong>das</strong>s die großen Zeitungen auf die Reaktion ihrer Leser hin ihre<br />

Starreporter bald wieder zurückriefen <strong>und</strong> nur ihre Sonderberichterstatter oder<br />

Korrespondenten zweiter Kategorie dort ließen, die Tatsache, <strong>das</strong>s der Prozess<br />

in allen, auch in jüdischen Kreisen auf Ablehnung <strong>und</strong> Entrüstung stieß..., <strong>das</strong><br />

alles zeigt, <strong>das</strong>s sich in diesem ganzen Fragenkomplex schon eine andere<br />

Wahrheit als die von Nürnberg durchgesetzt hatte, eine andere Wahrheit, die<br />

etwa folgendermaßen lautete:<br />

________________<br />

21 <strong>Die</strong> Umstände gaben mir Gelegenheit, <strong>das</strong> Lager Buchenwald ganz aus der Nähe zu studieren, denn ich war dort<br />

selbst inhaftiert. Ich bin zu folgenden Schlüssen gekommen: In dieses Lager mit seinen 136 Kommandos scheinen in<br />

den Jahren 1937 bis 1944 insgesamt 238.980 Personen eingeliefert worden zu sein, von denen laut Statistik Insgesamt<br />

56.545 starben. <strong>Die</strong> Sterblichkeit wäre danach 23 Prozent. <strong>Die</strong>s ist ein außerordentlich hoher Satz. wenn man bedenkt,<br />

<strong>das</strong>s die Sterblichkeit in Europa normalerweise bei ungefähr 20 pro Tausend liegt. Ich kann allerdings nicht<br />

garantieren, <strong>das</strong>s diese Rate von 23% tatsächlich zutrifft, <strong>und</strong> zwar aus folgenden Gründen: <strong>Die</strong> Eingänge wurden nur<br />

einmal registriert, die Toten dagegen konnten in gewissen Fällen auch zweimal aufgeführt worden sein, <strong>das</strong> erste Mal<br />

bei dem Kommando, in dem sie starben (z. B. Dora), <strong>das</strong> zweite Mal in Buchenwald selbst, wo bis zu dem Tage, an<br />

dem die Kommandos eigene Krematorien erhielten, die Leichen des ganzen Komplexes eingeäschert wurden. In den<br />

Statistiken sind in der Tat die Toten aller Kommandos zu den Einäscherungen in Buchenwald hinzuaddiert. <strong>Die</strong><br />

Sterblichkeitsrate könnte daher etwas, allerdings nicht viel, niedriger liegen: Auch 20 Prozent zum Beispiel, wäre<br />

immer noch katastrophal hoch. Der Weihbischof von München. Mgr. Neuhäusler, hat die gleichen Untersuchungen<br />

über <strong>das</strong> Lager Dachau, in dem er interniert war, angestellt <strong>und</strong> kommt dabei zu denselben Schlüssen, wie ich für<br />

Buchenwald: Von 199.519 bis 206.206 Insassen (die Unsicherheit stammt daher, <strong>das</strong>s es zwei Reihen von<br />

Nummerierungen in der Registratur gab) sind 67.665 gestorben, d. h. 28 Prozent. Wie in Buchenwald wurden auch hier<br />

die Toten der Kommandos zu denen des Hauptlagers hinzugezählt. Dazu muss man jedoch sagen, <strong>das</strong>s die SS-Leitung<br />

78


des Lagers nur etwa 26.000 Tote registriert hat (nach dem Buch von Weihbischof Mgr. Neuhäusler "So war es in<br />

Dachau"). Pastor Niemöller dagegen behauptet in einer am 3. Juli 1946 gehaltenen <strong>und</strong> unter dem Titel "Der Weg ins<br />

Freie" bei Franz M. Hellbach in Stuttgart verlegten Rede, <strong>das</strong>s in Dachau 238.756 Personen eingeäschert wurden.<br />

<strong>Die</strong>se Zahl liegt höher als die Gesamtsumme aller Inhaftierten.<br />

Nach der Niederschrift dieser Fußnote wurden neue Entdeckungen in der Kartei des Lagers Dachau gemacht. Mgr.<br />

Neuhäusler bat sie ehrlicherweise in der Rede erwähnt, die er am 16. März 1962 in Dachau vor Abordnungen aus 15<br />

Ländern hielt. <strong>Die</strong> große französische Zeitung "Figaro" vom 17. März 1962 berichtet wie folgt über die statistischen<br />

Angaben in dieser Rede: "An diesem Nachmittag versammelten sich die Pilger trotz strenger Kälte <strong>und</strong> Schneesturm<br />

im Lager Dachau, in dem 30.000 von den 200.000 Menschen aus 38 Nationen, die hier zwischen 1933 <strong>und</strong> 1945<br />

interniert waren, vernichtet wurden." Alle Tageszeitungen veröffentlichten die gleichen Zahlen. Es wurden also 30.000<br />

Deportierte in Dachau eingeäschert (<strong>das</strong> entspricht einer Sterblichkeit von 13 Prozent - immer noch ein erschreckend<br />

hoher Satz) <strong>und</strong> nicht 67.665, wie sich aus den ersten Berechnungen von Mgr. Neuhäusler ergeben hatte. In den<br />

Lagern, die nur für <strong>Juden</strong> bestimmt waren - wie Auschwitz - lag die Sterblichkeitsrate sicher höher, ohne auch nur<br />

annähernd jene Zahlen zu erreichen, die von der Presse zu Propagandazwecken veröffentlicht wurden. Obwohl man<br />

keine, - oder noch keine - genauen Unterlagen über diese Lager besitzt, kann man sich doch schon heute, wie ich<br />

zeigen werde, ein gewisses Bild davon machen. <strong>Die</strong> Verantwortlichkeit für die hohe Sterblichkeit liegt ohne Zweifel<br />

bei der SS, aber auch bei jenen Häftlingen, die die Lagerverwaltung bildeten. Häufig ist nämlich nicht bekannt, <strong>das</strong>s<br />

die Lager von den Insassen selbst verwaltet wurden im Auftrag der SS, die nur die Torwachen stellte. Bezüglich dieser<br />

Seite des Problems verweise ich den Leser auf mein Buch "Mensonge d'Ulysse" (In deutscher Übersetzung: "<strong>Die</strong> Lüge<br />

des Odysseus").<br />

In keiner der bisher veröffentlichten Darstellungen - ob es sich nun um den<br />

rassischen Aspekt oder um den Vorgang an sich handelte - wurde die<br />

Deportation je als eine historische Tatsache behandelt, die, wie alle historischen<br />

Tatsachen, den Gesetzen der Geschichte unterläge - sie wurde vielmehr immer<br />

so dargestellt, wie es bestimmte politische Zwecke erforderten, nämlich die der<br />

internationalen zionistischen Bewegung <strong>und</strong> jener europäischen Staatsmänner,<br />

die durch die deutsche Niederlage wieder in den Sattel gehoben worden waren.<br />

Der Nürnberger Prozess hatte die Aufgabe, diese Darstellung zu rechtfertigen.<br />

<strong>Die</strong> historische Wahrheit kraft eines gerichtlichen Urteils ermitteln zu wollen, ist<br />

auch eine der tragischen Neuerungen unserer Zeit.<br />

<strong>Die</strong>ses Urteil wurde bis in seine nebensächlichsten Einzelheiten von der Presse,<br />

dem R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong> von den modernsten Propagandamitteln, sowie - nicht zu<br />

vergessen - durch die Literatur über die Konzentrationslager zergliedert <strong>und</strong> in<br />

der ganzen Welt verbreitet. Auch bei Leuten, die in Sachen Geschichte recht<br />

beschlagen waren, hat <strong>das</strong> zum Ergebnis geführt, <strong>das</strong>s nicht mehr die historische<br />

Tatsache <strong>das</strong> politische Mögliche definierte; im Gegenteil: die historische<br />

Tatsache wurde den politischen Wünschen angepasst. Das musste auffallen, <strong>und</strong><br />

es fiel auch auf. Es ist sicherlich wahr, <strong>das</strong>s man einen einzelnen Menschen sehr<br />

lange betrügen kann <strong>und</strong> viele Leute eine gewisse Zeit lang, aber es ist<br />

unmöglich, die ganze Welt dauernd zu täuschen. Man ging nach einer ziemlich<br />

einfachen Methode vor:<br />

79


"Der Gerichtshof" sagte Artikel 19 des Nürnberger Statuts "ist an<br />

Beweisregeln nicht geb<strong>und</strong>en. Er soll in weitem Ausmaß ein schnelles,<br />

nicht formales Verfahren anwenden."<br />

Und Artikel 21:<br />

"Der Gerichtshof soll nicht Beweis für allgemein bekannte Tatsachen<br />

fordern, sondern soll sie von Amts wegen zur Kenntnis nehmen."<br />

In der Praxis arbeitete man mit diesen beiden Verfügungen etwa wie folgt: Als,<br />

um nur ein Beispiel zu nennen, ein tschechischer Kommunist, Dr. Franz Blaha,<br />

am 11. Januar 1946 vor den Schranken des Gerichts erklärte:<br />

"... die Gaskammer in Dachau wurde im Jahre 1944 vollendet; ich wurde<br />

zu Dr. Rascher gerufen, um die ersten Opfer zu untersuchen. Von den acht<br />

bis neun Personen, die sich in dieser Gaskammer befanden, waren noch<br />

drei am Leben, die anderen waren tot. Ihre Augen waren rot, usw." (IMT<br />

Band V, Seite 198),<br />

verlangte <strong>das</strong> Tribunal, <strong>das</strong> laut Artikel 19 nicht an die technischen Regeln der<br />

Beweisführung geb<strong>und</strong>en war, keine Unterlagen, <strong>und</strong> die Behauptung wurde als<br />

allgemein bekannt (Artikel 21) ohne weitere Formalitäten als bewiesen<br />

angesehen.<br />

Heute weiß man, <strong>das</strong>s die Dachauer Gaskammer erst nach dem Ende des Krieges<br />

von SS-Häftlingen fertig gestellt wurde, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s dort niemals eine Vergasung<br />

stattgef<strong>und</strong>en hat.<br />

Man kann also sagen, <strong>das</strong>s der tschechische Kommunist Dr. Franz Blaha ein<br />

ganz gewöhnlicher Falschzeuge war.<br />

Aber man kann auch fragen: Wie viele solcher Blahas gab es unter den Leuten,<br />

die da reihenweise in den Zeugenstand traten oder deren eidesstattlichen<br />

Erklärungen vor Gericht verlesen wurden <strong>und</strong> die im gleichen Sinne über die<br />

Lager von Bergen-Belsen, Ravensbrück, Mauthausen, Auschwitz usw.<br />

"Zeugnis" ablegten?<br />

Im August 1960 hatte <strong>das</strong> Münchner "Institut für Zeitgeschichte",<br />

wahrscheinlich veranlasst durch <strong>das</strong> Aufsehen, <strong>das</strong> meine sehr aufmerksam<br />

verfolgte damalige Vortragsreise durch Deutschland erregte, auf der ich diese<br />

Frage stellte, in der Presse folgendes mitgeteilt:<br />

"Weder in Dachau noch in Bergen-Belsen, noch in Buchenwald sind <strong>Juden</strong><br />

oder andere Häftlinge vergast worden. <strong>Die</strong> Gaskammer in Dachau wurde<br />

nie ganz fertig gestellt <strong>und</strong> in Betrieb genommen ... <strong>Die</strong><br />

Massenvernichtung der <strong>Juden</strong> durch Vergasung begann 1941/42 <strong>und</strong> fand<br />

ausschließlich in einigen wenigen hierfür ausgewählten <strong>und</strong> mit<br />

entsprechenden technischen Einrichtungen versehenen Stellen, vor allem<br />

80


im besetzten polnischen Gebiet (aber nirgends im Altreich) statt." ("<strong>Die</strong><br />

Zeit", Hamburg, 19. 8. 1960).<br />

Obwohl noch im Juni 1961 in Jerusalem "Zeugen" vor dem Gericht, <strong>das</strong> gegen<br />

Eichmann verhandelte, erschienen sind mit der Erklärung, sie hätten ihre<br />

Leidensgenossen in die Gaskammer von Bergen-Belsen wandern sehen - ohne<br />

<strong>das</strong>s man sie wegen falscher Aussage aus dem Saal gejagt oder wegen<br />

Missachtung des Gerichts während der Sitzung verhaftet hat - so besteht die<br />

Frage nach der Existenz von Gaskammern tatsächlich nur noch für Auschwitz<br />

<strong>und</strong> "die Lager im besetzten Polen".<br />

<strong>Die</strong>s vereinfacht <strong>das</strong> Problem sehr im Vergleich zu 1948. Um <strong>das</strong><br />

Vorhandensein von Gaskammern in Zweifel zu ziehen, besaß ich damals nur:<br />

erstens <strong>das</strong> Protokoll des Nürnberger Prozesses, zweitens die Untersuchung über<br />

den Prozess gegen die Personen, die für Dachau verantwortlich waren (von<br />

amerikanischen Behörden für deren Begnadigungsausschuss redigiert) <strong>und</strong><br />

drittens meine eigenen Erfahrungen in Buchenwald-Dora. Damals waren erst<br />

wenige Dokumente veröffentlicht. Stattdessen überfiel die Sch<strong>und</strong>literatur -<br />

denn die so genannte KZ-Literatur ist nichts anderes - die öffentliche Meinung<br />

<strong>und</strong> erfand Gaskammern in fast allen Konzentrationslagern. Ich begann damals<br />

an Hand der von den Siegern manipulierten Unterlagen zu beweisen, <strong>das</strong>s die<br />

Dachauer Gaskammer eine ebenso grausige wie widerliche Erfindung war.<br />

Gestützt auf meine eigenen Erfahrungen führte ich den gleichen Nachweis für<br />

Buchenwald <strong>und</strong> Dora, jene Lager über die einer meiner Mithäftlinge, ein<br />

Priester, geschrieben hatte, er habe "Tausende <strong>und</strong> Abertausende von<br />

Menschen" in die dortigen Kammern gehen sehen (Abbe Jean-Paul Renard,<br />

"Chaines et Lumieres", Paris 1947). Und so arbeitete ich weiter an Hand des<br />

einschlägigen Materials, <strong>das</strong> dreizehn Prozesse in Nürnberg nach <strong>und</strong> nach zu<br />

Tage förderten ...<br />

Selbstverständlich wurde ich ausgiebig verunglimpflicht <strong>und</strong> sogar verklagt,<br />

aber dann natürlich freigesprochen. Von diesem Tage an war die Partie<br />

gewonnen: Heute steht fest, <strong>das</strong>s es im ganzen <strong>Reich</strong>sgebiet kein Lager mit<br />

Gaskammern gegeben hat, <strong>und</strong> auch <strong>das</strong> "Institut für Zeitgeschichte" in<br />

München, <strong>das</strong> ein Muster des Antinationalsozialismus <strong>und</strong> des Widerstandes ist,<br />

musste <strong>das</strong> schließlich zugeben.<br />

Heute sind eigentlich nur noch die Dokumente <strong>und</strong> Zeugenaussagen über <strong>das</strong><br />

Vorhandensein <strong>und</strong> den verbrecherischen Einsatz von Gaskammern in den<br />

Lagern des besetzten Polen zu überprüfen; <strong>und</strong> zwar will ich <strong>das</strong> ebenso<br />

gewissenhaft tun, wie ich jenes andere Material durchleuchtet habe, <strong>das</strong><br />

entweder einem Gericht vorgelegt oder aber der öffentlichen Meinung<br />

vorgesetzt wurde, um dann von einem Gericht unbesehen <strong>und</strong> ohne Beweis als<br />

"allgemein bekannte Tatsachen" angenommen zu werden, - in Anwendung der<br />

Artikel 19 <strong>und</strong> 21 des Nürnberger Statuts.<br />

81


Soweit mir bekannt, hießen jene Konzentrationslager im besetzten Polen:<br />

Auschwitz, Birkenau, Cheimno, Belzec, Maidanek, Sobidor <strong>und</strong> Treblinka. <strong>Die</strong><br />

Existenz <strong>und</strong> die Verwendung von Gaskammern 22 in den letztgenannten fünf<br />

Lagern wird nur durch ein Dokument bezeugt: <strong>das</strong> so genannte Dokument<br />

Geratein, <strong>das</strong> am 30. Januar 1946 vom französischen Staatsanwalt Dubost unter<br />

der Nummer PS 1533 vorgelegt wurde. Inhaltsübersicht <strong>und</strong> wesentliche<br />

Auszüge daraus findet man im Anhang * zu diesem Buch. <strong>Die</strong> Geschichte des<br />

Dokuments ist so seltsam, sein Inhalt so offensichtlich unwahr, <strong>das</strong>s auf die<br />

Verlesung vor Gericht verzichtet wurde (IMT Band VI S. 401) <strong>und</strong> es nicht als<br />

Beweismaterial gegen die Angeklagten galt. Trotzdem hat die gesamte Presse es<br />

als authentisch angesehen <strong>und</strong> gegen andere Angeklagte in den späteren<br />

Nürnberger Prozessen, besonders in dem Verfahren gegen die nazistischen<br />

Organisationen, erneut vorgebracht. Leute wie Poliakow - die sich Historiker<br />

nennen - stellen es in ihren Büchern ("Le Breviaire de la Haine", S. 228ff.) noch<br />

so dar, als ob es echt wäre <strong>und</strong> in den Prozessen verwendet worden sei.<br />

Man zitiert auch <strong>das</strong> Dokument Nr. 365, den Brief eines gewissen Dr. Wetzel 23<br />

vom 15. Oktober 1941, in dem von "Gasapparaten" die Rede ist.<br />

Schließlich bringt man noch die Zeugenaussagen von Rudolf Hoess, dem<br />

Lagerkommandanten von Auschwitz, der den oben erwähnten Brief Wetzels<br />

gelegentlich gelesen haben will, (PS 3868 IMT Bd. XI, S. 468ff.; Band XXXIII<br />

S. 275-279), <strong>und</strong> dessen im Gefängnis nach seiner Verurteilung zum Tode<br />

verfassten Memoiren (unter dem Titel "Der Lagerkommandant von Auschwitz<br />

spricht...") nach seiner Hinrichtung veröffentlicht wurden. Man wird später<br />

sehen, was von dieser Zeugenaussage zu halten ist.<br />

Bleibt noch <strong>das</strong> Lager Auschwitz-Birkenau. 24<br />

________________<br />

* Siehe Anlage 2.<br />

22 Es handelt sich hier um die Auspuffgase von <strong>Die</strong>selmotoren, die in Kammern von 25 Quadratmeter Fläche <strong>und</strong> 1,90<br />

Meter Höhe geleitet worden sein sollen. Darin seien in Schüben von je 750 - 800 (!) etwa 20.000 bis 30.000 Personen<br />

täglich (!) vergast worden. In Jerusalem hat Eichmann erklärt, <strong>das</strong>s man ihm aus der Ferne "die kleinen Häuschen"<br />

gezeigt hätte, in denen, wie man ihm sagte... usw.<br />

23 <strong>Die</strong>ser Wetzel wurde am 17. August 1961 in Hannover verhaftet. <strong>Die</strong> deutschen Zeitungen vom 18. 8. 61<br />

berichteten, <strong>das</strong>s er von einer staatlichen Pension von monatlich DM 1600 lebte <strong>und</strong> <strong>das</strong>s er es dem englischen<br />

Historiker Reitlinger - Verfasser eines Buches, in dem die Existenz von Gaskammern auf Gr<strong>und</strong> von Auskünften<br />

Wetzels behauptet wurde - verdankte, bisher niemals behelligt worden zu sein. Ich gebe <strong>das</strong> Allgäuer Anzeigenblatt<br />

vom 18. August 1961 wieder: "Nach Ansicht der Behörde verdankt Wetzel sein jahrelanges Inkognito dem britischen<br />

Historiker Gerald Reitlinger, der in seinem als Standardwerk anerkannten Buch '<strong>Die</strong> Endlösung' Wetzels Vornamen<br />

Irrtümlicherweise mit 'Ernst' angab." Wenn <strong>das</strong> wahr ist, würde dadurch die Bedeutung des Dokuments No. 365<br />

erheblich verringert werden, denn es zwingt die Historiker, sich zu fragen, ob es nicht wie Dokument Gerstein<br />

nachträglich als Mittel zum Zweck fabriziert wurde. Auf jeden Fall ist Wetzel verhaftet <strong>und</strong> man wird ihn sicher zum<br />

Sprechen bringen.<br />

82


24 In diesem Lager sollen auch medizinische Versuche stattgef<strong>und</strong>en haben, wie sie auch in anderen Lagern <strong>und</strong> auch<br />

an nichtjüdischen Häftlingen vorgenommen wurden - hier führte der bekannte SS-Obersturmbannführer Dr. Mengele,<br />

z. Zt. unbekannten Aufenthalts, solche Versuche durch. <strong>Die</strong>se fallen auch unter die Bestimmungen des Artikels 6<br />

Abschnitt c des Statuts als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, <strong>und</strong> haben alle zusammen den Gegenstand eines der<br />

dreizehn Nürnberger Folgeprozesse gebildet. In diesem Kapitel meiner Untersuchung soll davon nicht die Rede sein.<br />

Ich möchte im Augenblick den Leser nur auf <strong>das</strong> Buch des Dr. Francois Bayie, "Croix Gammee contre Caducee"<br />

("Hakenkreuz gegen Aeskulapstab"), verweisen, <strong>das</strong> diese Versuche behandelt. Obwohl ihm einige Irrtümer <strong>und</strong><br />

Verwechslungen unterlaufen, die bei der Bearbeitung eines solchen Neulandes unvermeidbar sind, so zeugt es doch<br />

von einer unzweifelbaren Redlichkeit <strong>und</strong> ist <strong>das</strong> Ergebnis einer sehr langen <strong>und</strong> mühseligen Arbeit. Es muss übrigens<br />

gesagt werden, <strong>das</strong>s solche Experimente vor, während <strong>und</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg in allen Ländern üblich waren<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong>s so gut wie alle Krankenhäuser - <strong>und</strong> einige Gefängnisse wie Sing-Sing in den Vereinigten Staaten - voll von<br />

menschlichen Versuchskaninchen für die Ärzte sind. Es war der Fehler Hitler-Deutschlands, diese Versuche an<br />

Personen ausgeführt zu haben, die nicht seine eigenen Untertanen waren. Aber bei Prüfung von Seren z. B. haben auch<br />

andere Nationen der Erde Untersuchungen an ihren Kolonialvölkern in großem Maßstab durchgeführt ... Als Tatsache<br />

ist festzustellen, <strong>das</strong>s Himmler solche Versuche für alle Lager mit R<strong>und</strong>schreiben vom 15. Mai 1944 untersagt hatte<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong>s es infolgedessen zumindest nach diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich war, die Ergebnisse offiziell weiterhin<br />

an <strong>das</strong> "Institut für Rassenbiologische <strong>und</strong> Anthropologische Forschungen" zu senden, wie <strong>das</strong> der ungarische<br />

Kommunist Dr. Miklos Nyiszli in seinem Buch "Arzt in Auschwitz" behauptet hat. - Ein sehr überzeugender Beweis<br />

ist wohl die Tatsache, <strong>das</strong>s es gerade dieses Institut war, <strong>das</strong> damit beauftragt wurde, die experimentierenden Ärzte von<br />

dem Verbot in Kenntnis zu setzen. Das mindeste, was man sagen kann, ist, <strong>das</strong>s Berichte über Versuche nach dem 15.<br />

Mai 1944, die von "Historikern" vorgelegt werden, sicher Legenden sind.<br />

<strong>Die</strong> Literatur über <strong>das</strong> Lager Auschwitz-Birkenau, <strong>das</strong> letzten Endes <strong>das</strong><br />

Kernproblem darstellt, ist sowohl sehr umfassend wie auch sehr detailliert, - so<br />

umfassend <strong>und</strong> so detailliert, <strong>das</strong>s diese Literatur sich dadurch selbst in Frage<br />

stellt: <strong>Die</strong> verschiedenen Dokumente dieser mächtigen Akte stimmen eigentlich<br />

nur darin überein, <strong>das</strong>s sie alle <strong>das</strong> Vorhandensein <strong>und</strong> die Verwendung von<br />

Gaskammern zur Vernichtung der <strong>Juden</strong> bestätigen.<br />

<strong>Die</strong> Einzelheiten, die bei der Beschreibung der Örtlichkeiten <strong>und</strong> über den<br />

Vorgang selbst gebracht wurden, widersprechen sich so gr<strong>und</strong>legend, <strong>das</strong>s sie<br />

sich gegenseitig aufheben:<br />

Wenn uns beispielsweise von zwei Augenzeugen einer berichtet, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

Zyklon B (der Name des verwendeten Gases) in Tabletten vorliegt, aus denen<br />

<strong>das</strong> Gas bei Berührung mit Wasserdampf entweicht (Hoess), <strong>und</strong> der andere,<br />

<strong>das</strong>s Wasserdampf die Bildung des Gases verhindert (Dr. Miklos Nyiszli,<br />

Verfasser eines Buches, dessen französische Übersetzung "Medecin a<br />

Auschwitz" heißt), so ist klar, <strong>das</strong>s man nicht gleichzeitig dem einen wie dem<br />

anderen glauben kann. <strong>Die</strong> einfachste Überlegung beweist, <strong>das</strong>s einer der beiden<br />

eine falsche Aussage macht.<br />

Wenn uns ein Zeuge sagt, <strong>das</strong>s er eine Gaskammer, die laut offiziellen Angaben<br />

400 Quadratmeter Fläche hatte, betreten habe, <strong>das</strong>s sich auf beiden Seiten<br />

Sitzbänke <strong>und</strong> in der Mitte in Abständen von 20 Meter hohle Säulen befanden,<br />

83


<strong>das</strong>s sich an diesem Raum bequem 3000 Personen bewegen konnten <strong>und</strong> <strong>das</strong>s<br />

sie nach Augenmaß etwa 200 Meter lang gewesen sei, dann muss man beim<br />

Lesen einer derartigen Ansammlung von Unwahrscheinlichkeiten annehmen,<br />

<strong>das</strong>s er nie den Fuß in einen solchen Raum gesetzt haben kann. Und wenn<br />

jemand wie dieser Dr. Miklos Nyiszli hinzufügt, "<strong>das</strong>s man nach der Vergasung<br />

die Toten am Ende der Kammer herausreichte", oder <strong>das</strong>s 1944 diese<br />

Vernichtungsmethode "seit vier Jahren angewandt" wurde, usw., dann muss man<br />

auch zum Schluss kommen, <strong>das</strong>s der Erzähler ein ganz billiger Schwindler ist.<br />

Kurz <strong>und</strong> gut, beim ersten Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher<br />

verfügte man über:<br />

l. Aussagen von am Leben geblichenen Personen, die ohne Ausnahme die<br />

Existenz von Gaskammern bezeugten, aber nicht auf Gr<strong>und</strong> dessen, was sie<br />

gesehen, sondern was sie gehört hatten. Ihre Zeugenaussagen sind alle zu<br />

vergleichen mit der des Dr. Benedikt Kautsky, der nach seinem Vater eine<br />

führende Rolle in der Österreichischen Sozialdemokratischen Partei spielte <strong>und</strong><br />

der drei Jahre in Auschwitz-Birkenau verbrachte; er schrieb über seine<br />

Erfahrungen ein Buch "Teufel <strong>und</strong> Verdammte" (1946 in der Schweiz<br />

erschienen):<br />

"Ich will hier noch eine kurze Schilderung der Gaskammern einflechten,<br />

die ich zwar selbst nicht gesehen habe, die mir aber von so vielen<br />

glaubwürdig dargestellt worden sind ... <strong>Die</strong> nackten Opfer wurden ... in<br />

einem andern Raum zusammengepfercht, der gekachelt <strong>und</strong> mit Duschen<br />

an der Decke versehen war ... War der Raum voll, wurden die Türen<br />

zugeschlagen <strong>und</strong> die Duschen in Tätigkeit gesetzt: ihnen entströmte kein<br />

Wasser sondern Gas ... In Auschwitz sind durch Massenvergasungen<br />

mindestens 3,5 Millionen Menschen getötet worden."<br />

<strong>Die</strong>ser Zeuge sagt uns an einer anderen Stelle seines Buches, <strong>das</strong>s die<br />

Lebenserwartung eines Häftlings in Auschwitz vom Tage seines Eintreffens an<br />

gerechnet, bei etwa drei Monaten lag; er selbst hat dort drei Jahre verbracht <strong>und</strong><br />

ist trotzdem am Leben geblieben. Niemals hat er eine Gaskammer gesehen; er<br />

gibt zu, <strong>das</strong>s er nur vom Hörensagen glaubwürdiger Personen berichtet.<br />

Trotzdem geizt er nicht mit Einzelheiten: er weiß, <strong>das</strong>s 3,5 Millionen Menschen<br />

dort auf diese Weise vernichtet worden sind <strong>und</strong> <strong>das</strong>s <strong>das</strong> verwendete Gas<br />

schwerer als Luft war, denn es fiel von der Decke. 25 <strong>Die</strong>s ist wieder eine neue<br />

Version, denn andere Zeugen lassen <strong>das</strong> Gas aus Tabletten entstehen, die auf<br />

den Boden geworfen wurden <strong>und</strong> aus denen es sich dann nach einigen unter dem<br />

Einfluss von Wasserdampf, nach anderen durch die Einwirkung der Luft bildete.<br />

________________<br />

25 In Nürnberg hat Oberst Storey als amerikanischer Ankläger diese Behauptung vorgebracht <strong>und</strong> allen Ernstes <strong>das</strong><br />

Dokument PS 2285 (IMT Bd. IV, S. 292) vorgelegt, in dem es heißt: "Wenn ein Transport aus zu vielen 'K'-<br />

84


Gefangenen bestand, wurde, um nicht durch die Messungen zu viel Zeit zu verlieren, Gas statt Wasser in die<br />

Duschraume gelassen."<br />

2. Entsprechende Zeugenaussagen des Auschwitzer Lagerkommandanten Rudolf<br />

Hoess, von dem schon die Rede war, <strong>und</strong> von zwei Mitarbeitern Eichmanns:<br />

Obersturmführer Hoettl <strong>und</strong> Obersturmführer Wisliceny, von denen nur Hoettl<br />

noch am Leben ist; die zwei anderen wurden gehenkt.<br />

Bezüglich Rudolf Hoess verweise ich den Leser auf mein Buch "Ulysse trahi par<br />

les siens." (Deutsche Übersetzung: "Was nun, Odysseus?", Wiesbaden 1960). Er<br />

hat seine Angaben mit Bleistift auf Altpapier, schwer entzifferbar <strong>und</strong> schlecht<br />

leserlich, niedergeschrieben. Ein Mann, der zum Tode verurteilt war, musste<br />

sich dazu getrieben fühlen, <strong>das</strong> zu sagen, was seiner Meinung nach geeignet<br />

wäre, seinem Gnadengesuch zum Erfolg zu verhelfen. Er widerspricht sich<br />

übrigens selbst von einer Seite zur anderen. Aus Hoettls Aussage hebt man nur<br />

die Zahl der vernichteten <strong>Juden</strong> hervor, die ihm von Eichmann vertraulich<br />

mitgeteilt worden sein soll: 4-5 Millionen, die man, um nicht zu knapp zu sein,<br />

auf 6 Millionen aufr<strong>und</strong>ete. Eichmann erklärte jedoch in Jerusalem, <strong>das</strong>s er<br />

Hoettl nie solche vertrauliche Mitteilungen gemacht habe.<br />

Von Wisliceny stammt außer der Bestätigung dieser Zahl eine Aussage, nach der<br />

Eichmann ihm einen Brief Himmlers gezeigt hätte, laut dem die "Endlösung der<br />

<strong>Juden</strong>frage" mit Hilfe der Gaskammern zu betreiben sei. Auch hierzu erklärte<br />

Eichmann, <strong>das</strong>s er niemals einen schriftlichen Befehl dieser Art erhalten habe;<br />

zu Wisliceny habe er nur gesagt, <strong>das</strong>s "Heydrich ihn zu sich befohlen habe um<br />

ihm mitzuteilen, <strong>das</strong>s der Führer die physische Vernichtung der <strong>Juden</strong> befohlen<br />

habe". 26 Wisliceny also hat gelogen. Man kann dies - ohne Befürchtung,<br />

dementiert zu werden - behaupten, denn auch <strong>das</strong> Problem der<br />

Vernichtungsbefehle ist heute geklärt:<br />

In der jüdischen Zeitschrift "La Terre retrouve" ("Das wieder gef<strong>und</strong>ene Land")<br />

<strong>und</strong> zwar in der Ausgabe vom 15. Dezember 1960, gibt Dr. Kubovy von der<br />

Jüdischen Dokumentenzentrale in Tel Aviv nämlich zu,<br />

"<strong>das</strong>s es nicht ein einziges Schriftstück mit der Unterschrift Hitlers,<br />

Himmlers oder Heydrichs gibt, in dem davon die Rede ist, die <strong>Juden</strong> zu<br />

vernichten, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Wort Vernichtung in dem Schreiben Görings an<br />

Heydrich über die Endlösung der <strong>Juden</strong>frage nicht vorkommt ..." *<br />

________________<br />

26 Jerusalemer Prozess, Sitzung vom 10. April 1961, Geständnisse Eichmann vor dem Gericht, auf Tonband<br />

aufgenommen.<br />

* Anmerkung des Übersetzers; Der französische Originaltext dieses Zitates lautet: "Qu'll n'existe aucun documenl<br />

signe par Hitler, Himmler ou Heydrich parlani d'exter-mioer les Juifs et que le not EXTERMINATION a'apparall pas<br />

dans le lettre de Goering a Heydrich concernant la solution finale de Ia question Juive ..."<br />

85


Das Eingeständnis kommt zwar etwas spät, aber besser spät als nie. Es steht fest,<br />

<strong>das</strong>s alle die Vernichtungsbefehle, die so viele Leute erhalten haben wollen - wie<br />

sie seit 1946 behaupteten - nur in der Phantasie dieser angeblichen<br />

Befehlsempfänger existiert haben.<br />

Später brachten andere Nürnberger Prozesse, besonders der sog.<br />

Wilhelmstraßen-Prozess <strong>und</strong> der gegen die Naziorganisationen, noch andere<br />

Dokumente ans Licht: die Wannseeprotokolle (NG 2586g), die Erklärung eines<br />

Wolfgang Grosch (NO 2154) über Befehle zur Errichtung von Gaskammern,<br />

usw. ...<br />

Bei den Wannseeprotokollen handelt es sich um den Bericht über eine<br />

Konferenz, die am 20. Januar 1942 stattfand. <strong>Die</strong> Teilnehmer waren jene<br />

Staatssekretäre, die dienstlich mit der Lösung der <strong>Juden</strong>frage zu tun hatten <strong>und</strong><br />

die Leiter der <strong>Die</strong>nststellen, die mit der Ausführung beauftragt waren. In diesem<br />

Bericht ist weder von Gaskammern, noch von einer Vernichtung die Rede,<br />

sondern nur von einer Überführung von <strong>Juden</strong> nach Osteuropa. Eine recht<br />

geschickte Deutung der verwendeten Formulierungen <strong>und</strong> der Form, in der diese<br />

Protokolle vorliegen, behauptet nun, <strong>das</strong>s die Absicht zur Vernichtung dort zwar<br />

nicht ausdrücklich erwähnt wird, <strong>das</strong>s sie aber zwischen den Zeilen geschrieben<br />

stünde. 27<br />

________________<br />

27 In den französischen Übersetzungen der Protokolle findet sich zum Beispiel as Übersetzung des Ausdrucks "die<br />

Zurückdrängung der <strong>Juden</strong> aus dem Lebensraum des deutschen Volkes" ,1'ellmloation des Juifs de l'espace vital<br />

allemand', wobei man dem Wort "Elimination" In einem Kommentar die Bedeutung "Vernichtung" unterschiebt - <strong>und</strong><br />

in der englischen <strong>und</strong> russischen Übersetzung hat man <strong>das</strong> gleiche getan. Daraufhin hat die deutsche Presse sofort diese<br />

Versionen mit dem dazugegebenen Kommentar ins Deutsche zurückübersetzt <strong>und</strong> sie Jahrelang so verbreitet.<br />

Aber um auszudrücken, <strong>das</strong>s sie sich entschlossen hatten, die "Zurückdrängung der <strong>Juden</strong> aus dem deutschen<br />

Lebensraum" zu betreiben, haben die Deutschen auch andere Vokabeln gleicher Bedeutung verwendet, wie<br />

"Ausschaltung" oder "Ausrottung". Das letztere Wort ist mit "extermination", also "Vernichtung" wiedergegeben<br />

worden.<br />

So hat Himmler zum Beispiel in seiner Posener Rede vor den Obergruppenführern der Waffen-SS, am 4. Oktober<br />

1943, erklärt: "Ich meine jetzt die <strong>Juden</strong>evakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes, usw. ..." In dem nächsten<br />

Satz präzisiert er, was er meint <strong>und</strong> gebraucht dabei <strong>das</strong> Wort "Ausschaltung". (P S 1919 IMT Band XXIX, S. 145).<br />

Aber in dem französischen Buch "Le Dossier Eichmann", Paris 1960, übersetzt Billig: "J'enlends par la l'evacuation<br />

des Juifs, c'est a dire extermination ..." (S. 47), was. genau ins Deutsche rückübersetzt heißt: "Ich verstehe darunter die<br />

Evakuierung der <strong>Juden</strong>, <strong>das</strong> heißt Ihre Vernichtung".<br />

Ein anderes Beispiel: In einer Aktennotiz vom 16. Dezember 1941 über ein Gespräch mit Hitler (IMT Dok. P S 1517<br />

Band XXVII S. 270) gebraucht Rosenberg den Ausdruck "Ausrottung des <strong>Juden</strong>tums". In der Sitzung vom 17. April<br />

1946 übersetzt der amerikanische Generalankläger Dodd "Extermination of the Jews" ("Ausrottung der <strong>Juden</strong>") (Bd.<br />

XI, S. 562). Rosenberg protestiert vergebens. Aber in den Reden der Leiter der NSDAP kommt oft der Ausdruck<br />

"Ausrottung des Christentums" vor <strong>und</strong> wird jedesmal übersetzt mit "extirpation du Christianisma de la culture<br />

allemande" (Vgl, die französische Zeitschrift. "Revue d' Histoire de la seconde guerre mondiale", vom 1. Oktober<br />

1956, Seite 62). Nur wenn es sich um <strong>das</strong> <strong>Juden</strong>tum (französisch 'judaisme') handelt, wird <strong>das</strong> Wort "Ausrottung"<br />

86


plötzlich mit "eitermination" (also "Vernichtung") übersetzt - <strong>und</strong> es wird behauptet, <strong>das</strong>s es sich um Personen<br />

handelte, während in Wirklichkeit eine Idee gemeint ist.<br />

Wenn Dr. Kubovy erklärt, (vgl. Seite 92), <strong>das</strong>s es kein von Hitler, Himmler oder Heydrich unterzeichnetes Dokument<br />

gibt, in dem davon gesprochen wird, die <strong>Juden</strong> zu vernichten, so besteht kein Zweifel, <strong>das</strong>s er mit Bezug auf die <strong>Juden</strong><br />

auch <strong>das</strong> Wort "Vernichtung" {"extermination"} nirgends in einem solchen Dokument gef<strong>und</strong>en hat - <strong>und</strong> <strong>das</strong>s er die<br />

Personen von der I d e e zu unterscheiden wußte. Wenn man übrigens <strong>das</strong> Wort "Ausrottung" mit "extermination"<br />

(Vernichtung) übersetzen will (diese Bedeutung hat <strong>das</strong> Wort "Ausrottung" allerdings, wenn man damit z. Beispiel <strong>das</strong><br />

Ausreißen von Unkraut aus einem Garten meint - der "Brockhaus" sagt, <strong>das</strong>s "Ausrottung" in diesem Zusammenhang<br />

gleichzusetzen ist mit "völliger Vernichtung"), so bleibt die Tatsache bestehen, <strong>das</strong>s man, in allen Sprachen, eine Idee<br />

zerstören kann ohne die Individuen zu zerstören. So kann man zum Beispiel <strong>das</strong> Christentum zerstören, ohne die<br />

Christen zu töten, den Judaismus, die Idee des <strong>Juden</strong>tums, ohne die <strong>Juden</strong> umzubringen.<br />

Und was die Behauptung betrifft, es hätte mit dem <strong>Juden</strong>tum <strong>das</strong> jüdische "Volk" <strong>und</strong> damit die jüdischen Menschen<br />

vernichtet werden sollen, so läßt sich diese Auffassung umsoweniger vertreten, als <strong>das</strong> deutsche Wort "Volk" kein<br />

genaues Synonym hat in irgendeiner anderen Sprache, mit Ausnahme des Hebräischen: Im Deutschen wie im<br />

Hebräischen ist <strong>das</strong> "Volk" nicht nur eine Anzahl Menschen, sondern eine Gemeinschaft mit der Scholle, auf der sie<br />

lebt <strong>und</strong> mit der zusammen sie als eine Einheit, <strong>das</strong> Volk, angesehen wird. Indem also die <strong>Juden</strong> losgelöst werden von<br />

ihrer Scholle von ihrer Welt. sind sie als Volk vernichtet, leben aber trotzdem als Einzelmenschen weiter (in den<br />

Lagern).<br />

<strong>Die</strong> Wannseekonferenz (vom 20. 1. 1942) hatte zum Zweck, die Verbringung der <strong>Juden</strong> in die Lager zu regeln, wo sie<br />

bis zum Ende des Krieges bleiben sollten. Das Wort. <strong>das</strong> gebraucht wird, um diese Operation zu beschreiben, ist weder<br />

"Ausrottung" noch "Ausschaltung" - beide kommen in den Protokollen nicht einmal vor, - sondern "Zurückdrängung",<br />

was doch wohl etwas ganz anderes ist alls "völlige Vernichtung".<br />

Übrigens zeigen diese Protokolle sämtliche Merkmale eines apokryphen<br />

Dokuments, wenn man es wenigstens beurteilen darf nach der Photokopie in<br />

dem Buch des Robert M. W. Kempner "Eichmann <strong>und</strong> Komplizen" (Europa-<br />

Verlag, Zürich 1961 S. 132H.): es trägt keinen Stempel, kein Datum, keine<br />

Unterschrift <strong>und</strong> liegt in normaler Maschinenschrift auf kleinformatigem Papier<br />

vor, usw. ... Nirgends - ich wiederhole es - ist hier die Rede von Gaskammern,<br />

oder von Vernichtung.<br />

<strong>Die</strong> Erklärung von Wolfgang Grosch lautet folgendermaßen:<br />

"Ich, der unterzeichnete Wolfgang Grosch, bescheinige <strong>und</strong> erkläre<br />

folgendes:<br />

Der Bau von Gaskammern <strong>und</strong> der Krematoriumsöfen fand unter der<br />

Verantwortung der Arbeitsgruppe C statt, nachdem die Arbeitsgruppe D<br />

den Auftrag dazu erteilt hatte. Der <strong>Die</strong>nstweg war folgender: <strong>Die</strong><br />

Arbeitsgruppe D setzte sich mit der Arbeitsgruppe C in Verbindung. Das<br />

Büro C I stellte die Pläne für diese Anlagen insoweit auf, als es sich um<br />

den Bau handelte, leitete sie dann an <strong>das</strong> Büro C III weiter, <strong>das</strong> sich mit der<br />

technischen Seite dieser Bauten befasste, wie zum Beispiel der Entlüftung<br />

der Gaskammern oder der Apparateanlagen für die Vergasung. Das Büro C<br />

III vertraute dann die Pläne einem Privatunternehmen an, <strong>das</strong> die<br />

87


esonderen Maschinen oder Krematoriumsöfen liefern sollte. Im weiteren<br />

Verlauf des <strong>Die</strong>nstweges benachrichtigte <strong>das</strong> Büro C III <strong>das</strong> Büro C IV,<br />

welches den Auftrag über die Bauinspektionen West, Nord, Süd <strong>und</strong> Ost an<br />

die Ober-Bauleitungen übersandte. <strong>Die</strong> Oberbauleitung übersandte den<br />

Bauauftrag dann an die in Frage kommenden Direktionen für die<br />

Errichtung von Konzentrationslagern, welche die eigentlichen Bauten<br />

durch Häftlinge ausführen ließ, die <strong>das</strong> Büro der Gruppe D III zu ihrer<br />

Verfügung stellte. <strong>Die</strong> Arbeitsgruppe D gab der Arbeitsgruppe C die<br />

Anordnungen <strong>und</strong> Anweisungen über den Umfang der Bauten <strong>und</strong> ihren<br />

Zweck. Im Gr<strong>und</strong>e war es die Arbeitsgruppe D, die die Aufträge für die<br />

Gaskammern <strong>und</strong> die Krematoriumsöfen gab.<br />

Unterzeichnet: Wolfgang Grosch"<br />

<strong>Die</strong> Tatsachen, die sich hinter diesem Kauderwelsch verstecken - <strong>das</strong><br />

offensichtlich darauf berechnet ist, <strong>das</strong> Durcheinander zu verewigen - sind in<br />

zwei Dokumenten enthalten, die bei der Bauleitung des<br />

<strong>Reich</strong>ssicherheitshauptamtes (RSHA) gef<strong>und</strong>en wurden (Nr. 932 <strong>und</strong> 938, beide<br />

vom 28. Januar 1942); sie werden ergänzt durch ein weiteres Schriftstück, <strong>das</strong><br />

aus der Finanz- <strong>und</strong> Wirtschaftsdienststelle stammt (N 11450/42/BI/H vom 3. 8.<br />

1942).<br />

Bei den beiden ersten handelt es sich um Baupläne für vier Verbrennungsöfen<br />

für Auschwitz-Birkenau, mit den Nummern II, III, IV <strong>und</strong> V- was wohl darauf<br />

schließen lässt, <strong>das</strong>s die Nummer I nicht gef<strong>und</strong>en wurde. Im Kellergeschoß<br />

jedes Gebäudes sollte sich ein großer Saal befinden, der bei II <strong>und</strong> III als<br />

"Leichenkeller" <strong>und</strong> bei IV <strong>und</strong> V als "Badeanstalt" bezeichnet war. <strong>Die</strong> Maße<br />

waren genau angegeben: bei II eine Fläche von 210 Quadratmeter <strong>und</strong> eine<br />

Höhe von 2,40 Meter, bei III eine Fläche von 400 Quadratmeter <strong>und</strong> eine Höhe<br />

von 2,30 Meter, bei IV <strong>und</strong> V eine Fläche von 580 Quadratmeter <strong>und</strong> eine Höhe<br />

von 2,30 Meter. 28 Das belastende Dokument ist der Auftrag an die Firma Topf &<br />

Söhne, Erfurt, zur Lieferung dieser vier Verbrennungsöfen (Schreiben N.<br />

11450/42/B.I.H vom 3. August 1942 - NO 4401). Im Wilhelmstraßen-Prozess<br />

<strong>und</strong> in dem Verfahren gegen die Naziorganisationen wird, ohne weiter auf<br />

Einzelheiten einzugehen, gesagt, <strong>das</strong>s die Lieferung "Anfang 1943" erfolgte. In<br />

seinem Buch "Medecin a Auschwitz" spricht Dr. Miklos Nyiszli davon, <strong>das</strong>s die<br />

Lieferung "mitten im Winter" stattgef<strong>und</strong>en hätte, was also etwa Ende<br />

Januar/Anfang Februar bedeuten dürfte. <strong>Die</strong> Zeitschrift "Revue d'histoire<br />

mondiale" (Paris, Oktober 1956, S. 62) sagt wieder "Anfang 1943".<br />

________________<br />

28 Man wird niemals genau wissen, wie die Pläne an Ort <strong>und</strong> Stelle ausgeführt worden sind, denn die Auschwitzer<br />

Gaskammern wurden beim Herannahen der Russen am 17. bzw. 25. November 1944 (die Angaben schwanken)<br />

zerstört. <strong>Die</strong> Kammern, die man heutzutage noch besichtigen kann, sind wie die in Dachau Nachkriegs-<br />

Rekonstruktionen, Es ist nur die Frage, ob sie plangetreu nachgebaut wurden. Ich bemerke nebenbei, <strong>das</strong>s der<br />

88


Besucher, der nach Buchenwald geht, um die Reste des Lagers zu besichtigen, von einem Führer sozusagen an die<br />

Hand genommen wird, der ihm die Gaskammer zeigt <strong>und</strong> mit genauen Einzelheiten erklärt, wie sie zur Vernichtung<br />

der <strong>Juden</strong> verwendet wurden.<br />

Claude-Henri Salerne vom französischen R<strong>und</strong>funk erlebte <strong>das</strong>. Er sollte aus Anlass der Eröffnung des<br />

Eichmannprozesses (April 1961) eine Gedenksendung über die Konzentrationslager vorbereiten <strong>und</strong> war gerade im<br />

Begriff, die erhaltenen Auskünfte in seinem Manuskript einzuflechten, als ich ihm glücklicherweise einige Tage vor<br />

der Sendung begegnete ...<br />

<strong>Die</strong>se unter der Kontrolle des Widerstandskämpfers Henri Michel erscheinende<br />

Zeitschrift ist übrigens, abgesehen von den Nürnberger<br />

Verhandlungsprotokollen, die einzige Stelle, wo ich diese Unterlagen erwähnt<br />

gef<strong>und</strong>en habe. Das Dokument NO 4463 spricht vom "20. 2. 1943". Schließlich<br />

ist zu erwähnen, <strong>das</strong>s Hoess sagt, <strong>das</strong>s die Gaskammern <strong>und</strong> die<br />

Verbrennungsöfen Ende 1942 noch nicht gebaut worden waren. <strong>Die</strong>se im<br />

Kellergeschoß unterhalb der Verbrennungsöfen befindlichen Säle, deren<br />

offizielle Bezeichnung. "Leichenkeller" oder "Badeanstalt" lautet, bezeichnet der<br />

Zeuge Wolfgang Grosch als Gaskammern. Da in Auschwitz-Birkenau<br />

Rechnungen über geliefertes Zyklon-B gef<strong>und</strong>en wurden, hat man diese als<br />

Beweis für die Richtigkeit der Zeugenaussage herangezogen, wenn man nicht<br />

die Rechnungen verwendet hat, um den Zeugen überhaupt auf den Gedanken zu<br />

bringen, eine solche Aussage zu machen ... eine Frage, die berechtigt erscheint,<br />

wenn man weiß, wie mit dem Dokument Gerstein verfahren wurde. Nun ist aber<br />

<strong>das</strong> Zyklon-B ein desinfizierendes Insektenvernichtungsmittel, <strong>das</strong> in der<br />

deutschen Armee seit 1924 verwendet worden ist. Während des Zweiten<br />

Weltkrieges wurde es bei allen Truppenteilen <strong>und</strong> in allen Konzentrationslagern<br />

verwendet, wie zum Beispiel aus Rechnungen für Lieferungen an Oranienburg<br />

<strong>und</strong> Bergen-Belsen usw. - wo es keine Gaskammern gab - hervorgeht. Und was<br />

die Verbrennungsöfen betrifft, so kann ich aus eigener Anschauung bezeugen,<br />

<strong>das</strong>s der in Buchenwald mit seinem "Keller" wie wir sagten, genau nach dem<br />

gleichen Modell gebaut war, wie die Ofen in Auschwitz-Birkenau, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s in<br />

Buchenwald nie eine Vernichtung von Menschen durch Gas stattgef<strong>und</strong>en hat. 29<br />

________________<br />

29 Seltsam ist es, <strong>das</strong>s man die Anordnungen zur Errichtung dieser 'Badeanstalten' <strong>und</strong> 'Leichenkeller' gef<strong>und</strong>en bat,<br />

aber keine Richtlinien über die Art <strong>und</strong> Weise ihrer Benutzung. Man versteht nicht recht, wie diejenigen, die diese als<br />

Badeeinrichtungen beziehungsweise Leichenhallen geplanten Baulichkeiten in Betrieb nehmen sollten, erraten<br />

konnten, <strong>das</strong>s es sich um Gaskammern handelte ... Man behauptet, <strong>das</strong>s es Befehle gegeben hätte, die Vergasung von<br />

<strong>Juden</strong> einzustellen. Befehle zu dieser Verwendung fand man offenbar nicht. Man sagt, <strong>das</strong>s die Nazis nicht so dumm<br />

gewesen seien, solche Befehle zu erlassen, denn man hätte sie finden <strong>und</strong> als belastendes Material gegen sie benützen<br />

können. Aber dann versteht man nicht, warum sie so dumm waren, den ebenso belastenden Befehl zur Einstellung der<br />

Vergasung zu geben, der doch ebenso leicht aufzufinden war. In Wirklichkeit hat man auch diesen Befehl nicht<br />

gef<strong>und</strong>en, sondern irgendjemand bestätigt seine Existenz <strong>und</strong> datiert ihn zwischen Mitte September <strong>und</strong> Mitte Oktober-<br />

(Dokument P S 3762, IMT Band XXXIII. S. 68 f.), was von bemerkenswerter "Genauigkeit" ist. <strong>Die</strong>ser Irgendjemand<br />

89


ist der Standartenführer Kurt Becher, der an der Seite Eichmanns bei den Deportationen der ungarischen <strong>Juden</strong><br />

mitwirkte, der aber der geschicktere war <strong>und</strong> die Dankbarkeit des Dr. Rudolf Kasztner erwarb (der dafür sorgte, <strong>das</strong>s<br />

Becher in Nürnberg freigesprochen wurde <strong>und</strong> höchstwahrscheinlich seinen, im vorliegenden Buch zitierten "Bericht"<br />

nur zu diesem Zweck geschrieben hat). Weiter wusste er sich auch die Dankbarkeit der Baronin Weiß zu erringen, der<br />

Besitzerin der Manfred-Weiß-Werke, Budapest, die er mit 45 ihrer Angehörigen in einem Sonderflugzeug nach<br />

Lissabon bringen ließ. Nachdem hiermit zur Erbauung des Lesers die Begleitumstände geschildert sind, unter denen<br />

diese Zeugenaussagen gemacht wurden, möge der Wortlaut folgen:<br />

"Ich, der ehemalige SS-Standartenführer Kurt Becher, geboren am 12. September 1909 in Hamburg, erkläre hiermit<br />

unter Eid folgendes: Etwa zwischen Mitte September <strong>und</strong> Mitte Oktober 1944 erwirkte ich beim <strong>Reich</strong>sführer SS<br />

Himmler folgenden Befehl, den ich in zwei Originalen, je eins für die SS-Obergruppenführer Kaltenbrunner <strong>und</strong> Pohl<br />

<strong>und</strong> einer Kopie für mich erhielt: "Ich verbiete mit sofortiger Wirkung jegliche Vernichtung von <strong>Juden</strong> <strong>und</strong> befehle im<br />

Gegenteil die Pflege von schwachen <strong>und</strong> kranken Personen. Ich halte Sie (damit waren Kaltenbrunner <strong>und</strong> Pohl<br />

gemeint) persönlich dafür verantwortlich, auch wenn dieser Befehl von untergeordneten <strong>Die</strong>nststellen nicht strikt<br />

befolgt wird! Ich überbrachte Pohl <strong>das</strong> für ihn bestimmte Exemplar persönlich in Berlin in seiner <strong>Die</strong>nststelle <strong>und</strong> gab<br />

<strong>das</strong> Exemplar für Kaltenbrunner in seinem Sekretariat in Berlin ab."<br />

(IMT Dok. 3712 P S, Bd. XXX11I S. M).<br />

Aber Becher legte diesen Befehl dem Gericht nicht vor, obwohl ihm ein Exemplar übergeben worden war. Das Gericht<br />

verlangte <strong>das</strong> auch nicht von ihm <strong>und</strong> man vermied eine Gegenüberstellung mit Kaltenbrunner, der nicht bestritt, <strong>das</strong>s<br />

dieser Befehl ergangen sei, wohl aber, <strong>das</strong>s ihm dadurch eine Verantwortung aufgebürdet worden sei. Eichmann, der<br />

diesen Befehl ebenfalls nicht leugnete, stritt aber ab, <strong>das</strong>s er geschrieben wurde <strong>und</strong> datiert ihn auf den 15. Mai 1944.<br />

d. h. genau auf <strong>das</strong> Datum, an dem Himmler den Abbruch aller medizinischen Versuche in allen Lagern anordnete<br />

(Text von Francois Bayie gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> in seinem Buch "Croix Gammee cootre Caducee", S. 236 zitiert). Zu dieser<br />

Zeit soll Himmler auch den Plan zum Austausch von einer Million <strong>Juden</strong> gegen zehntausend Lastwagen ersonnen<br />

haben. Es ist mindestens unwahrscheinlich, <strong>das</strong>s Himmler gleichzeitig einen solchen Tausch erwog, <strong>und</strong> die <strong>Juden</strong> in<br />

den Gaskammern von Auschwitz vernichten ließ: beides widerspricht einander. Aber hat es diesen Befehl wirklich<br />

gegeben? Es ist leicht einzusehen, <strong>das</strong>s es ihn im Interesse der Anklage unbedingt geben musste, die bisher keine Spur<br />

eines schriftlichen Beweises für die Vernichtung Andersrassiger gef<strong>und</strong>en hatte, die eine Spur nur durch einen solchen<br />

Zeugen erhalten konnten - <strong>und</strong> sie trotzdem nicht fand ... aber man wird mir beipflichten müssen, <strong>das</strong>s kein Historiker,<br />

der diesen Namen wirklich verdient, aufgr<strong>und</strong> eines solchen Beweises akzeptieren wird, <strong>das</strong>s dieser Befehl je gegeben<br />

wurde. Denn alles beruht auf der Glaubwürdigkeit des Herrn Kurt Becher - <strong>und</strong> dieser Herr Kurt Becher ... Ich glaube,<br />

<strong>das</strong>s der Leser mich versteht: testis unus, testis nullus (ein Zeuge ist kein Zeuge). Schließlich gibt es noch<br />

anderslautende Aussagen von gleichem Wert, wie die des. Becher (Eichmann) oder von größerem Gewicht (Himmlers<br />

Brief vom 15. Mai 1944 über die Experimente in den Lagern, der von Francois Bayle wieder gef<strong>und</strong>en wurde.)<br />

Das mindeste was man sagen kann, ist, <strong>das</strong>s dieses ganze "belastende Material"<br />

kaum Beweiskraft im Sinne der Anklage besitzt, sondern viel eher zu dem<br />

Schluss berechtigt, <strong>das</strong>s es nie eine Gaskammer in Auschwitz-Birkenau gegeben<br />

hat <strong>und</strong> <strong>das</strong>s dort nie Menschen vergast wurden - oder, wenn es dort doch<br />

Gaskammern gegeben hat, <strong>das</strong>s dann deren Existenz niemals eindeutig belegt<br />

worden ist, weder durch Zeugenaussagen oder die Dokumente, die bei den<br />

verschiedenen Nürnberger Prozessen vorgelegt wurden, noch durch die in alle<br />

Welt hinausposaunten Erzählungen von überlebenden, die alle, bis auf zwei,<br />

90


sagen, <strong>das</strong>s sie selbst nichts gesehen hätten, <strong>das</strong>s aber "vertrauenswürdige"<br />

(jedoch leider unauffindbare) Gewährsleute ihnen davon erzählt hätten. (<strong>Die</strong><br />

zwei Zeugen, die selbst etwas gesehen haben wollen, Hoess <strong>und</strong> Dr. Miklos<br />

Nyiszli, widersprechen sich gegenseitig auf <strong>das</strong> Nachdrücklichste <strong>und</strong> manchmal<br />

sogar sich selber). Ich will nichts über die berüchtigten "Todesautobusse" sagen,<br />

deren Vorhandensein <strong>und</strong> Verwendung bestätigt wird durch <strong>das</strong> Dokument PS<br />

501 IMT Band XXVI, S. 102ff., vom 15. Mai 1942, einen Bericht eines<br />

Leutnants aus Mariupol. <strong>Die</strong>se "Autobusse", die die Anklageschrift "Lastwagen"<br />

nennt, sollen eine Einrichtung zur Einleitung der Auspuffgase ins Innere<br />

besessen haben. Hiermit sollen h<strong>und</strong>erttausend <strong>Juden</strong> vergast worden sein:<br />

Fünfzig oder gar H<strong>und</strong>ert je Bus oder Lastwagen - was für eine Arbeit! Im<br />

Verlaufe seines Prozesses erklärte Eichmann, er habe einen dieser Wagen<br />

erblickt, aber weder bei der Abfahrt noch während der Fahrt gesehen, was im<br />

Innern vor sich ging; aber bei der Ankunft habe man einen Haufen Leichen<br />

ausgeladen. Was ist diese Aussage wert? Ich weiß es nicht. Aber mich stört<br />

etwas, <strong>das</strong>s diese "Autobusse", "Lastwagen" oder "Wagen" wie man häufig in<br />

der Presse schreibt, in dem in Nürnberg am 21. November 1945 vom<br />

amerikanischen Staatsanwalt Jackson (IMT Band II, S. 148) vorgelegten <strong>und</strong> am<br />

14. Dezember von seinem Vertreter Major Walen (IMT Band III, S. 624H.)<br />

erneut genannten Dokument mit dem Wort "Wagen" bezeichnet werden, <strong>das</strong> bei<br />

den Deutschen niemals in diesem Sinne gebraucht wird. Entweder handelt es<br />

sich um Autobusse, um PKW oder um Lastkraftwagen, d. h. LKW, <strong>und</strong> wenn<br />

der Verfasser des Dokuments <strong>das</strong> nicht wusste, dann erlaube ich mir, an seiner<br />

Staatsangehörigkeit zu zweifeln. Andererseits ist dieser Verfasser, ein gewisser<br />

SS-Untersturmführer Dr. Becker, dessen Aussage ganz allein steht, ebenso als<br />

tot gemeldet, wie Gerstein <strong>und</strong> viele andere, deren Zeugenaussagen sowohl<br />

Seltenheitswert haben als auch besonders belastend sind. Im Nürnberger Prozess<br />

gibt es zu viele Zeugen, die der Anklage die ungewöhnliche Gefälligkeit<br />

erwiesen, rechtzeitig zu sterben, die aber (echte?) Aufzeichnungen hinterließen,<br />

die gebraucht werden konnten. Soviel mir bekannt, hat man niemals einen dieser<br />

"Autobus-Lastwagen-Wagen" wieder gef<strong>und</strong>en noch auch jemand, der sie<br />

verwendet oder auch nur gelenkt hat. Glücklicherweise ist der Erfinder dieser<br />

Höllenmaschinen, ein Mechanikermeister Harry Wentritt, am 29. Januar 1961 in<br />

Hannover verhaftet worden. Seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört.<br />

Zweifellos ist man damit beschäftigt, ihm den Prozess zu machen - oder zu<br />

warten bis er stirbt. Wenn er nicht zu früh stirbt, wird er eines Tages reden.<br />

Leider muss aber schon jetzt festgestellt werden, <strong>das</strong>s die Umstände, unter denen<br />

er dann -eventuell - sprechen wird, es uns unmöglich machen werden, seinen<br />

Worten jenen Glauben beizumessen, den der Christ den Evangelien schuldet.<br />

Eine lange Erfahrung lehrt, <strong>das</strong>s es nur sehr wenige Zeugen gibt, die nach einer<br />

langen Inhaftierung im Bewusstsein, <strong>das</strong>s sie eine schwere Strafe zu erwarten<br />

haben, nicht schließlich praktisch alles sagen, was von ihnen erwartet wird.<br />

91


Hoess, Hoettl, Wisliceny usw. sind typische Beispiele dafür. Trotz allem ist die<br />

Lage weder trostlos noch ausweglos, denn wir schreiben nicht mehr 1946<br />

sondern schon 1963 <strong>und</strong> verfügen heute bereits über ausreichende Unterlagen,<br />

so <strong>das</strong>s nicht mehr, wie 1946, ein beliebiger Zeuge uns eine beliebige Erzählung<br />

auftischen kann.<br />

*<br />

Wenn sich der Historiker jetzt der Frage nach der Höhe der Verluste zuwendet,<br />

ich meine jenen Zahlen, die als Maß für die Größe des Verbrechens gebraucht<br />

worden sind, so erfüllt dieses Problem ihn weder mit größerer Erleichterung<br />

noch mit größerer Bestürzung. <strong>Die</strong>s ist der Gr<strong>und</strong>: Wenn auch politische Kreise<br />

der ganzen Welt erklären, <strong>das</strong>s sechs Millionen <strong>Juden</strong> getötet worden seien - <strong>und</strong><br />

wie soll man solche ungeheuren Hekatomben anders erklären, als durch Einsatz<br />

so radikaler Mittel wie der Gaskammern? - so bestätigt <strong>das</strong> vorliegende<br />

statistische Material diese Schätzung bei weitem nicht.<br />

In seiner Anklagerede in Nürnberg am 21. November 1945 drückte sich Richter<br />

Jackson so aus:<br />

"Von 9,6 Millionen <strong>Juden</strong>, die in dem von den Nazis beherrschten Europa<br />

lebten, sind nach amtlichen Schätzungen sechzig von h<strong>und</strong>ert<br />

umgekommen. 5,7 Millionen <strong>Juden</strong> werden in den Ländern, in denen sie<br />

früher lebten, vermisst, über 4,5 Millionen davon lassen sich weder durch<br />

normale Sterblichkeit oder Auswanderung erklären, noch sind sie unter den<br />

Verschleppten." (IMT Bd. II S. 140).<br />

<strong>Die</strong> Anklage lautet also auf 4.500.000.<br />

Im Urteil wird diese Zahl nicht angegeben, <strong>und</strong> von da an hält sich nun jeder für<br />

berechtigt, die Zahl der Opfer nach seinen Vorstellungen oder nach seiner<br />

Phantasie zu schätzen. Während der Verhandlungen gab der englische Ankläger<br />

Sir David Maxwell-Pyfe beim Verhör Görings am 21. März 1946 freie Fahrt für<br />

die unsinnigsten Schätzungen, als er erklärt:<br />

"Es ist bewiesen, <strong>das</strong>s insgesamt, <strong>Juden</strong> <strong>und</strong> andere Personen<br />

eingeschlossen, ungefähr 10 Millionen Menschen kaltblütig ermordet<br />

wurden, abgesehen von denen, die im Kampf getötet wurden." (IMT Bd.<br />

IX S. 675).<br />

<strong>Die</strong> Presse hörte es <strong>und</strong> gab weiter: "10 Millionen <strong>Juden</strong> ..."<br />

Das war ein bisschen dick. Männer wie Billig, Poliakov, Alexandrov, Jakob<br />

Leditinsky, Shalom Baron, letzterer Inhaber des Lehrstuhls für jüdische<br />

Geschichte an der Columbia-Universität usw., haben komplizierte Erwägungen<br />

angestellt!, um die genaue Zahl zwischen der niedrigsten (4,5 Mill.) des Justice<br />

Jackson <strong>und</strong> der höchsten (10 Millionen), für die man zu unrecht die Erklärung<br />

92


Sir David Maxwell-Fyfe anführt, festzulegen <strong>und</strong> kommen so auf 6 Millionen<br />

getötete <strong>Juden</strong>, eine Zahl, die bemerkenswerterweise ziemlich nahe am<br />

arithmetischen Mittel aus beiden liegt. Einige präzisieren, <strong>das</strong>s 4 bis 5 Millionen<br />

in Auschwitz-Birkenau, der Rest in anderen Lagern vernichtet wurde, um den<br />

Eindruck zu erwecken, sie hätten die Frage gründlich untersucht.<br />

Wir wollen sehen, was von alledem stimmen kann.<br />

Als Richter Jackson die Zahl der in dem von den Nazis besetzten Europa<br />

lebenden <strong>Juden</strong> mit 9.600.000 angab, handelte es sich um eine übertriebene<br />

Schätzung. In "<strong>Die</strong> Lüge des Odysseus" <strong>und</strong> "Was nun, Odysseus"? habe ich<br />

Arthur Ruppin, die größte Autorität - <strong>und</strong> damit den berühmtesten - der<br />

jüdischen Statistiker herangezogen, der die Zahl dieser Bevölkerung für die<br />

Jahre 1930-1932 auf 8.710.000 schätzte, eine Annahme, die von allen<br />

Historikern, <strong>Juden</strong> <strong>und</strong> Nichtjuden, anerkannt wurde. <strong>Die</strong> Jüdische<br />

Dokumentenzentrale in Paris teilte offenbar noch am 4. Juni 1960 seine<br />

Meinung, als sie eine Statistik veröffentlichte, in der für die Zeit der<br />

Kriegserklärung (unter Abzug der Auswanderung aus Mitteleuropa in andere<br />

Länder seit 1933) eine Zahl von 8.294.500 schätzte. Jedoch sind hierin 3<br />

Millionen russische <strong>Juden</strong> einbegriffen; wenn man diese abzieht, kommt man<br />

zum Schluss, <strong>das</strong>s die Zahl der <strong>Juden</strong>, die in direkte Berührung mit dem<br />

Nazismus gekommen sind, nach Arthur Ruppin bei 5.710.000, nach der<br />

Jüdischen Dokumentenzentrale in Paris bei 5.294.000 liegen dürfte. 30 <strong>Die</strong> Frage<br />

ist nur, ob jene 3 Millionen Russen nicht doch in die Hände der während des<br />

Winters 1941-42 siegreich nach Russland einrückenden deutschen Armeen<br />

gefallen sind. Auf diese Frage antworte ich ohne <strong>das</strong> geringste Zögern, <strong>das</strong>s<br />

nicht nur fast diese ganzen 3 Millionen russischen <strong>Juden</strong>, sondern auch die<br />

meisten <strong>Juden</strong> aus Polen <strong>und</strong> den Baltischen Staaten mit deutschen Polizisten<br />

niemals <strong>das</strong> geringste zu tun gehabt haben, aus dem einfachen Gr<strong>und</strong>e, weil sie<br />

beim deutschen Vormarsch die Flucht ergriffen hatten. Nicht nur in Frankreich<br />

gab es einen Wettlauf zu den Pyrenäen ...<br />

________________<br />

30 Aus anderen Statistiken, die diese Zahlen bestätigen, wurde noch bekannt: Für ganz Europa einschließlich England,<br />

Italien. Spanien. Portugal, Schweden, Schweiz, Türkei (478.000) <strong>und</strong> Russland (5.000.000) nennen die<br />

Wannseeprotokolle eine Zahl von 11.000.000 <strong>Juden</strong>, von denen 5.500.000 in direkte Berührung mit dem Nazismus<br />

kamen. Dr. Korherr gibt gleichfalls für ganz Europa Im Jahre 1937 10.500.000 an <strong>und</strong> rechnet Russland mit 5.000.000<br />

ab, was uns wieder auf 5.500.000 bringt.<br />

Im Übrigen sind die Unterschiede zwischen 5.294.000, 5.500.000 oder 5.710.000 nicht übermäßig groß, so <strong>das</strong>s<br />

5.500.000 die Zahl zu sein scheint, die der Wahrheit am nächsten kommt.<br />

Am 5. Dezember 1942 schrieb der jüdische Journalist David Bergeisen in einer<br />

Moskauer Zeitung: "Dank der Evakuierungsmaßnahmen wurde der größte Teil<br />

der <strong>Juden</strong> in der Ukraine, in Weißrussland, Litauen <strong>und</strong> Lettland (80 Prozent)<br />

gerettet." <strong>Die</strong> Annexion Galiziens, Bessarabiens, der Bukowina <strong>und</strong> der<br />

93


Baltischen Staaten hatte alle <strong>Juden</strong> dieser Länder unter sowjetische Kontrolle<br />

gebracht. <strong>Die</strong> polnischen <strong>Juden</strong> flohen bis zur Einnahme von Warschau<br />

ebenfalls vor den deutschen Truppen <strong>und</strong> suchten z. T. auf russischer Seite, z. T.<br />

in Ungarn Schutz.<br />

Während sich die deutschen <strong>und</strong> russischen Truppen diesseits <strong>und</strong> jenseits der<br />

polnischen Demarkationslinie, die durch den deutsch-sowjetischen Pakt<br />

festgelegt war, einrichteten, pflegte man deutscherseits sogar <strong>Juden</strong> aus der<br />

deutschen Zone den Russen zu übergeben, was von zwei polnischen Zeugen,<br />

Zwi Patcher <strong>und</strong> Yakov Goldfine, bestätigt wird. Der erste von ihnen erklärte<br />

am 1. Mai 1961 vor dem Jerusalemer Eichmann-Gericht:<br />

"Man hatte uns all unser Geld <strong>und</strong> alle Wertgegenstände geraubt. Dann<br />

wurden wir in Vierer-Kolonnen nach Osten dirigiert. Es war Dezember. Es<br />

war kalt, es regnete <strong>und</strong> wir zitterten vor Kälte. Wenn einer von uns vor<br />

Ermüdung hinfiel, wurde er beiseite geführt <strong>und</strong> ein Pistolenschuss machte<br />

seinen Leiden ein Ende. Den andern war es verboten, sich umzuschauen,<br />

sonst wurden auch sie erschossen. Nach drei Tagesmärschen war unsere<br />

unglückselige Gruppe sehr zusammengeschmolzen. Wir langten an der<br />

Grenze der sowjetischen Besatzungszone in Polen an. Unsere Henker<br />

hatten uns befohlen, die Hände auf den Kopf zu legen <strong>und</strong> 'Es lebe Stalin'<br />

zu rufen. Aber die russischen Wachen trieben uns nichtsdestoweniger in<br />

ein deutsches Gebäude wo man uns endlich uns selbst überließ. Während<br />

der Nacht überschritten wir die Grenze <strong>und</strong> erreichten ein kleines jüdisches<br />

Dorf in der russischen Zone, in dem uns unsere jüdischen<br />

Glaubensgenossen beherbergten."<br />

("Le Figaro", Paris 20. 5. 1961).<br />

Der zweite gab eine ähnliche Erklärung ab.<br />

Es ist klar, <strong>das</strong>s man die Zahl der vor den deutschen Konzentrationslagern durch<br />

Flucht oder durch Auslieferung nach Russland geretteten <strong>Juden</strong> nicht genau<br />

angeben kann, aus dem Gesagten kann man nur schließen, <strong>das</strong>s sie recht hoch<br />

war.<br />

Dann gab es aber auch noch Leute, die Hitler nicht liebten, aber von Stalin<br />

ebenso wenig erbaut waren. Sie flohen in <strong>das</strong> damals nicht besetzte Ungarn, wo<br />

der <strong>Reich</strong>sverweser Horthy laut Joel Brand bis zur Ankunft der Deutschen am<br />

19. März 1944 gegenüber den <strong>Juden</strong> eine liberale Politik betrieb. In seinem<br />

"Bericht des jüdischen Rettungskomitee aus Budapest" schreibt Dr. Reszö<br />

Kasztner, <strong>das</strong>s "die Besetzung Ungarns durch die Deutschen <strong>das</strong> Todesurteil für<br />

die nahezu 800.000 Seelen zählende ungarische <strong>Juden</strong>heit brachte." Hieraus<br />

kann man durch Vergleiche mit den Statistiken vor der Hitler-Ära schließen,<br />

<strong>das</strong>s ungefähr 500.000 dieser <strong>Juden</strong> erst seit kurzer Zeit dort lebten. Woher<br />

waren sie gekommen? Aus Osterreich (1938), dann aus der Tschechoslowakei<br />

<strong>und</strong> aus Polen (1939). Während dieser düsteren Jahre bis zum 19. März 1944<br />

94


war Ungarn die große Hoffnung der <strong>Juden</strong> Mitteleuropas <strong>und</strong> die<br />

Zwischenstation für die Fahrt in die Freiheit via Constanza oder Konstantinopel.<br />

Wenn uns die Jüdische Dokumentenzentrale sagt, <strong>das</strong>s 1946 in Polen nicht mehr<br />

als 500.000 von den ehemals 3.300.000 <strong>Juden</strong> lebten, da die anderen vernichtet<br />

worden waren, dann ist <strong>das</strong> sicherlich falsch. Von diesen anderen lebte bestimmt<br />

eine beträchtliche Anzahl in Russland, in Zentral-Asien (wohin die Russen - wie<br />

David Bergeisen noch mitteilt - alle <strong>Juden</strong>, die zu ihnen kamen, weiterleiteten),<br />

in Israel, in Afrika oder in den USA <strong>und</strong> in Lateinamerika.<br />

<strong>Die</strong> Jüdische Dokumentenzentrale hat ganz einfach die im deutschbesetzten<br />

Europa fehlenden <strong>Juden</strong> gezählt, hat aber nicht <strong>das</strong> Anwachsen der jüdischen<br />

Bevölkerung im übrigen Teil der Erde mitberücksichtigt. 31 Ein<br />

Taschenspielertrick!<br />

Wünscht man noch eine Probe für die Leichtfertigkeit dieser Berechnungen? <strong>Die</strong><br />

Jüdische Dokumentenzentrale hat beispielsweise mitgeteilt, <strong>das</strong>s in Russland<br />

1946 nur noch 600.000 <strong>Juden</strong> am Leben waren. Nun, auf dem Kongress der<br />

Jewish Agency hat ihr Präsident Nahum Goldman im Juli 1961 berichtet, <strong>das</strong>s in<br />

Russland 3 Millionen <strong>Juden</strong> unter der Gefahr bolschewistischer Verfolgung<br />

lebten. Wie lässt sich anders als mit einer Fälschung der Statistiken von 1946<br />

erklären, <strong>das</strong>s sich 600.000 Personen im Verlauf von 15 Jahren auf 3 Millionen<br />

vermehrt hätten.<br />

Sein Historiker-Diplom in der Hand hat am 24. April 1961 Shalom Baron,<br />

Professor für jüdische Geschichte an der Columbia-Universität, als Zeuge der<br />

Anklage vor den Schranken des Jerusalemer Gerichtshofs erklärt, <strong>das</strong>s der<br />

Prozentsatz der jüdischen Bevölkerungszunahme in der Welt seit 1945 etwa bei<br />

20 Prozent für diese 15 Jahre liegt, was auch wahrscheinlich ist. Wenn die von<br />

der Jüdischen Dokumentenzentrale veröffentlichten Zahlen richtig wären,<br />

dürften heute nur 600.000 plus 20 Prozent, <strong>das</strong> sind 720.000 <strong>Juden</strong> <strong>und</strong> nicht,<br />

wie Nahum Goldman behauptet, 3 Millionen in Russland leben. Aber Shalom<br />

Baron hat noch genauere Angaben gemacht: "1939 gab es etwa 16 Millionen<br />

<strong>Juden</strong> auf der ganzen Welt. 32 Wir müssten heute 19 Millionen sein. Wir sind<br />

aber nur 12 Millionen." ("Figaro", Paris, 25. 4. 1961; Referat über einen<br />

Vortrag).<br />

________________<br />

31 <strong>Die</strong> Summe von 6 Millionen vernichteter <strong>Juden</strong> haben die Spezialisten für jüdische Demographie nach sechs<br />

Verfahren errechnet, von denen <strong>das</strong> zweite, <strong>das</strong> beweiskräftigste, auf rein arithmetischer Gr<strong>und</strong>lage beruht, während<br />

für die anderen die Worte von Zeugen wie Hoess, Hoettl, Wicliceny usw. herangezogen wurden. <strong>Die</strong>se zweite<br />

Methode wurde nach Poliakov ["Revue d' Histoire de la deuzieme guerre mondiale", Oktober 1956] vor allem von dem<br />

New Yorker Volkswirtschaftler <strong>und</strong> Statistiker Jacob Lechtinsky angewendet. Sie beruht auf dem Vergleich der<br />

Angaben über die Jüdische Bevölkerung in verschiedenen europäischen Ländern vor <strong>und</strong> nach dem Kriege. Auf diese<br />

Weise sind gewisse internationale Jüdische Organisationen, wie der Jüdische Welt-Kongress, 1945 immer zu der<br />

gleichen Zahl von 6 Millionen gekommen.<br />

95


"<strong>Die</strong>se Methode bestätigt ungefähr die fünf anderen. Es genügt festzustellen, <strong>das</strong>s keine Berücksichtigung der<br />

Zunahme der Jüdischen Bevölkerung in den nichteuropäischen Ländern stattfand. Um zu diesem Ergebnis zu kommen,<br />

musste man allerdings auch noch davon ausgehen, <strong>das</strong>s nur 600.000 von den 3 Millionen <strong>Juden</strong> in Russland übrig<br />

geblieben sind, eine Zahl, die handgreiflich falsch ist, wie wir später sehen werden. Und man musste die Zahl der in<br />

den anderen europäischen Ländern, also ohne Russland, überlebenden <strong>Juden</strong> durch 2 oder 3 dividieren - wie man es<br />

übrigens offensichtlich bei Russland gemacht hat, wenn man nicht in diesem Falle sogar durch 4 geteilt hat!<br />

32 <strong>Die</strong>s ist die Zahl, die ich in "Was nun, Odysseus?" verwendet habe. Auf dieses Buch verweise ich den Leser, der<br />

genauere statistische Unterlagen sucht, wie sie in dieser Arbeit nicht Platz finden können.<br />

<strong>Die</strong> Beziehungen zwischen den drei Zahlen sind sicherlich richtig: 16 Millionen<br />

weniger 6 Millionen Vernichtete zuzüglich 20 Prozent sind 12 Millionen. Aber<br />

<strong>das</strong> Ergebnis ist falsch, weil der ehrenwerte Herr Professor - seit dem Kriege<br />

mischen Hinz <strong>und</strong> Kunz mit in unserem Metier - gr<strong>und</strong>sätzlich davon ausgeht,<br />

<strong>das</strong>s 6 Millionen <strong>Juden</strong> vernichtet worden seien. Aber allein in den Vereinigten<br />

Staaten, Russland <strong>und</strong> Israel leben schon fast 12 Millionen <strong>und</strong> <strong>das</strong> würde<br />

bedeuten, <strong>das</strong>s es in der übrigen Welt keine oder fast keine <strong>Juden</strong> mehr gäbe,<br />

was offensichtlich unrichtig ist, denn in Wirklichkeit gibt es schon wieder 16-17<br />

Millionen <strong>Juden</strong> auf der Welt.<br />

Könnte ich hier aufhören? Noch nicht. Es ist unbedingt festzuhalten, <strong>das</strong>s in den<br />

von den Deutschen zwischen 1939 <strong>und</strong> 1945 besetzten Teil Europas höchstens<br />

5.710.000, 5.294.000 oder 5.500.000 <strong>Juden</strong> lebten, aber nicht 9.600.000, wie<br />

Richter Jackson, oder 9.800.000, wie der sonderbare Professor Shalom Baron<br />

vor dem Tribunal in Jerusalem (Sitzung vom 24. April 1961) behauptete.<br />

Mit ihren Kalkulationsmethoden 33 kommt die Jüdische Dokumentenzentrale<br />

also zu dem Schluss, <strong>das</strong>s es 1.651.000 Überlebende gäbe. 34 Wenn man diese<br />

Zahl an Hand der (für Polen errechneten) wahrscheinlichsten Fehlerquoten<br />

korrigiert, also davon ausgeht, <strong>das</strong>s die genannte Zahl nur 40 Prozent der<br />

tatsächlichen darstellt, 35 so gäbe es also in Wahrheit etwa 4.200.000<br />

Überlebende <strong>und</strong> könnte die Zahl derer, die beim Appell fehlten, höchstens<br />

zwischen 1 Million <strong>und</strong> 1.500.000 liegen.<br />

________________<br />

33 Für Polen bat die Jüdische Dokumentenzentrale 500.000 Überlebende errechnet. Shalom Baron hat aber am 24.<br />

April 1961 vor dem Jerusalemer Gericht 700.000, <strong>und</strong> <strong>das</strong> "Institute of Jewish Affairs" vom "World Jewish Congress"<br />

400.000 als wiederaufgef<strong>und</strong>en genannt ("Eichmanns confederates and the Third <strong>Reich</strong> Hierarchy", 1961, S. 59).<br />

Zwischen der günstigsten <strong>und</strong> der ungünstigsten Schätzung besteht jedenfalls ein Spielraum von fast 1:2. Wenn man<br />

weiter berücksichtigt, <strong>das</strong>s Shalom Baron für 1961 nur 12 Millionen <strong>Juden</strong> für die ganze Welt angibt, kann man sicher<br />

sein, <strong>das</strong>s die von ihm genannten 700.000 schon eine verkleinerte Zahl darstellen: Wenn er beispielsweise in<br />

Wirklichkeit 1 Million gef<strong>und</strong>en hätte <strong>und</strong> nicht 700.000, was In der Größenordnung seiner Übertreibungen bei der<br />

Schätzung der Jüdischen Weltbevölkerung läge, also einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit besäße, dann würde die<br />

ungünstigste Schätzung 40 Prozent der tatsächlichen Zahl ausmachen. Das ist etwas weniger krass als bei Russland, wo<br />

die 1946 von der Jüdischen Dokumentenzentrale veröffentlichten Zahlen 25 Prozent der richtigen betragen, d. h.<br />

vierfachen Spielraum in Anspruch nehmen, wenn man annimmt, <strong>das</strong>s die von Nahum Goldman im Juni 1961<br />

96


veröffentlichten Zahlen richtig sind. Um zu erklären, wieso 1946 nur noch 200.000 <strong>Juden</strong> in Ungarn lebten, musste<br />

man dekretieren, <strong>das</strong>s 434.000 (von den 404.000, die dieselbe Statistik angibt ...) nach Auschwitz transportiert worden<br />

seien, wo sie alle vernichtet worden wären. Das ist falsch. Ich habe selbst Ende Mal 1944 zwei solcher Züge in Dora<br />

ankommen sehen, <strong>und</strong> andere Zeugen trafen ungarische <strong>Juden</strong> in Buchenwald, Dachau <strong>und</strong> allen westlichen Lagern.<br />

Auch die Insassen von Auschwitz, Ravensbrück usw, wurden ab Oktober 1944 bis zum Ende des Krieges in die<br />

gleichen westlichen Lager überführt: Ich sah selbst Dutzende solcher Transporte in Dora anlangen, wodurch die<br />

Belegschaft des Lagers auf <strong>das</strong> Fünf- oder Zehnfache anstieg. In Buchenwald hatte die Zahl der Häftlinge schließlich<br />

90.000 erreicht, so <strong>das</strong>s überall Zelte errichtet werden mussten. In Bergen-Belsen stieg sie auf astronomische Höhe.<br />

Alle diese Menschen, die bei ihrer Ankunft in Auschwitz, Ravensbrück usw. registriert worden waren <strong>und</strong> die man<br />

weder im Augenblick der Befreiung persönlich in jenen Lagern, noch in Form von schriftlichen Eingangsmeldungen in<br />

den Lagern des Westens fand, wurden als tot angesehen. In Wirklichkeit waren sie am Leben, nur kamen sie in den<br />

Lagern im Westen in solchen Mengen an, <strong>das</strong>s es unmöglich war, sie dort zu registrieren (vgl. "So war es in Dachau"<br />

von Mgr. Neuhäusler). <strong>Die</strong> <strong>Juden</strong> von Auschwitz, die dort registriert, aber bei der Befreiung nicht mehr anwesend<br />

waren, wurden von den Statistikern der Jüdischen Dokumentenzentrale als in den Gaskammern vernichtet angesehen.<br />

Noch ein persönliches Beispiel: Herr Georges Wellen, Forschungsleiter am "Centre National de la Recherche<br />

scientifique" In Paris - noch ein Professorl - bezeugte vor Gericht in Jerusalem am 9. Mal 1961, <strong>das</strong>s 4000 in Drancy<br />

gesammelte Kinder ab August 1942 nach Auschwitz transportiert worden seien. Bei seiner Ankunft hätte er dort keine<br />

mehr gef<strong>und</strong>en, woraus er den Schluss zog, sie seien alle in die Gaskammer geschickt worden. Aber ich kann<br />

bezeugen, <strong>das</strong>s ich während der Zelt von Januar bis März 1943 in Buchenwald h<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> aberh<strong>und</strong>ert Kinder aller<br />

Nationalitäten gesehen habe, die von Auschwitz nach Buchenwald transportiert worden waren.<br />

34 2.251.100 nennt die Statistik, die die Zentrale am 4. Juni 1960 im "Figaro Litteratre" <strong>und</strong> verschiedenen anderen<br />

Zeitschriften veröffentlicht hat. Wenn man 600.000 Russen abzieht, weil bewiesen ist, <strong>das</strong>s Russland nicht in die<br />

Rechnung einbezogen werden kann, dann geht die Zahl auf 1.651.100 zurück.<br />

35 Siehe Anmerkung 33.<br />

In "Was nun. Odysseus?" hatte ich den Schluss gezogen, <strong>das</strong>s die Zahl der 1946<br />

fehlenden <strong>Juden</strong> ungefähr bei einer Million liegen konnte; dort war ich auf<br />

Gr<strong>und</strong> eines anderen Verfahrens zu einem Ergebnis gleicher Größenordnung<br />

gelangt. Damals hatte ich die jüdischen Statistiken der Vorkriegszeit mit denen<br />

der Nachkriegszeit verglichen - mit Ausnahme der Angaben von "Professor"<br />

Shalom Baron, die ich noch nicht kannte <strong>und</strong> von denen ich eben bewies, <strong>das</strong>s<br />

sie vollkommen wertlos sind. Ich stellte außerdem fest, <strong>das</strong>s schon dies einen<br />

sehr erheblichen Prozentsatz an festgenommenen <strong>und</strong> ins Konzentrationslager<br />

geschickten <strong>Juden</strong> ausmacht. Denn man darf unter keinen Umständen glauben,<br />

<strong>das</strong>s alle <strong>Juden</strong> in den von den Deutschen besetzten europäischen Ländern<br />

verhaftet wurden: in Frankreich waren es nur 100.000 von 300.000, wenn man<br />

der Kartei des Ministeriums für die ehemaligen Kriegsteilnehmer ("Ministere<br />

des Anciens Combattants") glauben darf, 36 - in Italien fast keine, in Ungarn<br />

________________<br />

36 120.000, sagt die Jüdische Dokumentenzentrale, sind nicht zurückgekehrt; Ich kann jedoch bezeugen, <strong>das</strong>s sehr<br />

viele der durch <strong>das</strong> genannte Ministerium gezahlten Pensionen an zurückgekehrte <strong>Juden</strong> gehen.<br />

97


Hier bringe ich noch eine Erklärung des Ministeriums, erschienen im Journal Official (Debats parlamentaires) vom 24.<br />

Februar 1962, S. 289:<br />

"Nach den statistischen Erhebungen vom 1. Dezember 1961 an Hand der Kartei der Deportierten <strong>und</strong> Internierten des<br />

Krieges 1939 - 1945, die beim Institut National de la Statistique et des Etudes economiques geführt wird, betragt die<br />

Zahl der an Deportierte <strong>und</strong> Internierte sowie an Ihre Hinterbliebenen ausgegangenen Karten:<br />

lebende Verstorbene<br />

Deportierte (Widerstandskämpfer) 10.702 9.783<br />

Deportierte (Politische) 13.415 9.235<br />

Internierte (Widerstandskämpfer) 9.91l 5.759<br />

Internierte (Politische) 10.117 2.130<br />

Insgesamt 50.145 26.907<br />

(Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Ziller).<br />

Es gab also einschließlich der <strong>Juden</strong> insgesamt 77.052 französische Deportierte. Das bedeutet nicht, <strong>das</strong>s nicht doch<br />

tatsächlich 110.000 <strong>Juden</strong> durch die Gestapo in Frankreich verhaftet <strong>und</strong> nach Auschwitz transportiert wurden, wie<br />

Hoess sagt (vgl. weiter unten): <strong>Die</strong> meisten von Ihnen waren eben nicht französischer Staatsangehörigkeit, sondern<br />

politische Flüchtlinge aus Zentraleuropa.<br />

50 Prozent nach Zahlen von Kasztner, in Polen vielleicht 60 Prozent, 37 in<br />

Deutschland höchstens 40 Prozent (man weiß, <strong>das</strong>s r<strong>und</strong> 300.000 von den bei<br />

der Machtübernahme Hitlers vorhandenen etwa 500.000 <strong>Juden</strong> zwischen 1933<br />

<strong>und</strong> 1939 fliehen konnten, 38 in Rumänien 50 Prozent usw. Wenn man annimmt,<br />

<strong>das</strong>s wahrscheinlich 40 Prozent der Gesamtzahl der Festnahme <strong>und</strong><br />

Verschickung entgehen konnten, dann wären im Höchstfall nur 60 Prozent, d. h.<br />

zwischen 3.200.000 <strong>und</strong> 3.500.000 nicht entkommen. Bei diesen Zahlen würden<br />

1 Million bis 1.500.000 Tote einer Sterblichkeit von 30 bis 40 Prozent<br />

entsprechen - ungeheure Sätze.<br />

<strong>Die</strong> dem Nürnberger Gericht vorgelegten Angaben über die Zahl der<br />

Deportierten sprechen dafür, <strong>das</strong>s die dortigen Schätzungen zur Wahrheit<br />

ungefähr in dem Verhältnis von 2 zu 1 stehen (eine Fehlerquote, die<br />

offensichtlich nicht zufällig ist, sondern absichtlich <strong>und</strong> genau kalkuliert).<br />

Dass dieses Verhältnis etwa stimmt, beweist in erster Linie die Aussage des<br />

Hoess, der vom 4. Mai 1940 bis zum 10. November 1943 Kommandant des<br />

Lagers Auschwitz-Birkenau war:<br />

"<strong>Die</strong> Zahl der in Auschwitz zur Vernichtung eingelieferten <strong>Juden</strong> gab ich in<br />

früheren Vernehmungen mit 2,5 Millionen an. <strong>Die</strong>se Zahl stammt von<br />

Eichmann, der sie kurz vor der Einschließung Berlins, als er zum Rapport<br />

zum RFSS befohlen war, meinem Vorgesetzten, Gruppenführer Glücks<br />

gab. Eichmann, bzw. sein ständiger Vertreter Günther waren die einzigen,<br />

die überhaupt Unterlagen für die Gesamtzahl der Vernichteten besaßen."<br />

(Hoess: "Kommandant in Auschwitz", S. 162).<br />

________________<br />

98


37 Im Heft 44 vom Dezember 1961 der Monatszeitschrift "L'Europe reelle", Brüssel, findet sich die Wiedergabe einer<br />

Notiz aus der Israelischen Zeitung "Jedioth Hajom" (Nr. 143 des Jahrgangs 1961) des Inhalts, <strong>das</strong>s die Zahl der<br />

polnischen <strong>Juden</strong>, die z. Zt. außerhalb Polens leben, 2 Millionen beträgt. Ich konnte mir diese Zeitung nicht<br />

beschaffen. Wenn dies wahr wäre, würde es meine Ansichten über die Zahl der vor den deutschen Armeen nach<br />

Ungarn <strong>und</strong> Russland geflohenen <strong>Juden</strong> in einem Maße bestätigen, wie ich nicht zu hoffen gewagt hatte, <strong>und</strong> den<br />

Prozentsatz an Vermissten erheblich senken. Es gab 1939 3.100.000 <strong>Juden</strong> in Polen. Wenn jene zwei Millionen gerettet<br />

sind ...<br />

38 Das Beispiel Deutschland ist sehr lehrreich: 500.000 <strong>Juden</strong> in 1932/33 - 200.000 in 1939, die fast alle deportiert<br />

wurden. Wenn wir annehmen, <strong>das</strong>s davon der maximale Prozentsatz, also 45 Prozent, umgekommen ist, erhalten wir<br />

90.000 als Zahl der Opfer, also 18 Prozent der Anzahl, die es 1932/33 in Deutschland gab. Nun sagen die offiziellen<br />

Statistiken, <strong>das</strong>s zur Zelt nur noch 55.000 <strong>Juden</strong> In Deutschland leben. Und die Jüdische Dokumentenzentrale geht nun<br />

davon aus, <strong>das</strong>s alle anderen umgekommen waren, also 89 Prozent. Deutschland bildet aber insofern eine erfreuliche<br />

Ausnahme, als hier der Prozentsatz der entkommenen <strong>Juden</strong> am höchsten ist - <strong>und</strong> dadurch der der verhafteten am<br />

niedrigsten.<br />

Wenn es sich aber darum handelt, Einzelheiten über diese 2,5 Millionen<br />

Personen zu geben, dann beginnt er mit der Erklärung:<br />

"Ich selbst wusste nie die Gesamtzahl, habe auch keine Anhaltspunkte um<br />

sie errechnen zu können."<br />

Und er fährt fort:<br />

"Es sind mir lediglich noch die Zahlen der größeren Aktionen in<br />

Erinnerung, die mir wiederholt von Eichmann oder dessen Beauftragten<br />

genannt worden waren:<br />

aus Oberschlesien <strong>und</strong> Generalgouvernement<br />

Deutschland <strong>und</strong> Theresienstadt<br />

Holland<br />

Belgien<br />

Frankreich<br />

Griechenland<br />

Ungarn<br />

Slowakei<br />

250.000<br />

100.000<br />

95.000<br />

20.000<br />

110.000<br />

65.000<br />

400.000<br />

90.000<br />

1.130.000<br />

<strong>Die</strong> Zahlen der kleineren Aktionen sind mir nicht mehr in Erinnerung, sie<br />

waren aber im Vergleich zu obigen Zahlen unbedeutend. Ich halte die Zahl<br />

2,5 Millionen für viel zu hoch."<br />

Hier hat Hoess recht: Auschwitz hat nur eine geringe Anzahl jüdischer<br />

Deportierter aus anderen als den aufgeführten Ländern aufgenommen <strong>und</strong> auch<br />

nur wenige, die auf anderem Wege als im Rahmen der genannten "Aktionen"<br />

dorthin gelangten. Ich schätze, <strong>das</strong>s insgesamt kaum mehr als 1.130.000 <strong>Juden</strong><br />

99


hier interniert waren, was gegenüber der Zahl von 2,5 Millionen einer<br />

absichtlichen <strong>und</strong> berechneten Fehlerquote von mehr als 100 Prozent entspricht.<br />

Von diesen bewegen sich Gruppen von so um 50.000 auf den Hauptstraßen<br />

dieser Erde <strong>und</strong> können nicht von sich behaupten, vergast zu sein. Ich wäre nicht<br />

erstaunt, wenn man eines Tages erzählte, allein in Israel lebten 200.000 bis<br />

300.000 solcher Leute ... 39<br />

Auf jeden Fall kann man in "Eichmanns Confederates and the Third <strong>Reich</strong><br />

Hierarchy", im Institute of Jewish Affairs of World Jewish Congress 1961<br />

herausgegeben, auf S. 18 lesen: *<br />

________________<br />

39 <strong>und</strong> erklären: "Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester (oder mein Bruder), meine Tochter (oder mein Sohn)<br />

<strong>und</strong> alle Angehörigen sind in Auschwitz vernichtet worden . . " Wobei natürlich der Vater, die Mutter, die Schwester<br />

(oder Bruder), die Tochter (oder der Sohn) <strong>und</strong> "alle meine Angehörigen" in anderen Hauptstraßen der Welt die<br />

gleichen Erklärungen abgeben können, ohne <strong>das</strong>s irgendjemand ihnen zu widersprechen vermochte.<br />

* Anmerkung des Übersetzers: <strong>Die</strong>ser Satz ist in der französischen Originalausgabe in englischer Sprache<br />

wiedergegeben. Deutsche Übersetzung: "Auschwitz (mit seinen Nebenlagern, von denen Birkenau <strong>das</strong> bekannteste<br />

war) südlich, nicht weit von Krakau, wo etwa 900.000 <strong>Juden</strong> umkamen ..."<br />

"Auschwitz (with its daughter camps, best known among them Birkenau) to the south, not far from Cracow, where<br />

about 900.000 Jews perished.."<br />

Welchen Wert soll man nur so auseinander laufenden Schätzungen beimessen,<br />

die nicht nur samt <strong>und</strong> sonders aus jüdischen Kreisen stammen, sondern auch<br />

noch von Leuten aus diesen Kreisen, die sich alle als gleich qualifiziert<br />

hinstellen? <strong>Die</strong> oben genannte Schätzung - 900.000 - liegt also um fast zwei<br />

<strong>Dritte</strong>l niedriger als die früher angegebene - 2.500.000 - oder sogar um vier<br />

Fünftel, wenn man sie vergleicht mit den 4.500.000 gewisser jüdischer<br />

"Historiker" für die sich die Jüdische Dokumentenzentrale verbürgt. 40<br />

<strong>Die</strong> Frage, unter welchen Bedingungen Hoess zu der Behauptung veranlasst<br />

wurde, <strong>das</strong>s 2,5 Millionen <strong>Juden</strong> nach Auschwitz deportiert worden seien, lässt<br />

sich wohl nur beantworten unter Berücksichtigung der Beziehungen, die<br />

zwischen einem Verhafteten <strong>und</strong> den ihn verhörenden Polizeibeamten bestehen.<br />

Der Vorbehalt, mit dem er selber diese Zahl nennt, sagt mehr als genug. Aus<br />

welchen Motiven heraus die "Historiker" der Jüdischen Dokumentenzentrale<br />

von 2.500.000 auf 4.500.000 gekommen sind, wissen wir auch nur allzu gut. 41<br />

Sie sind vor gar nichts, nicht einmal vor Urk<strong>und</strong>enfälschungen<br />

zurückgeschreckt. Wünscht jemand ein Beispiel? In seinem "Bericht des<br />

jüdischen Rettungskomitees aus Budapest 1942-1945" schreibt Dr. Rezsö<br />

Kasztner, Präsident des Komitees in der genannten Periode, auf S. 30 unter dem<br />

Datum des Mai 1944:<br />

"Meldungen aus Bratislawa bestätigen auch diese Befürchtungen. 42 <strong>Die</strong><br />

dortige Waadah leitete uns die Meldungen ihres Nachrichtendienstes<br />

weiter. Demgemäß war die SS Im Begriffe, die Gaskammern <strong>und</strong><br />

100


Krematorien in Auschwitz, die seit dem Herbst 1943 außer Gebrauch<br />

waren, 43 auszubessern <strong>und</strong> zu renovieren ..."<br />

________________<br />

40 Vorsichtiger als die Historiker von der Jüdischen Dokumentenzentrale nannte der Generalstaatsanwalt Gideon<br />

Hausner in der Anklageschrift gegen Eichmann am 21. 2. 1961 für dieses Lager "Millionen" ohne weitere genaue<br />

Angaben. Und während für jedes einzelne der andern (Cheimno, Belzec, Sobidor, Treblinka <strong>und</strong> Maidanek) dieselben<br />

Historiker weitere Millionen Vergaste angeben, bringt Hausner gar keine Zahl.<br />

41 Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Institute of Jewish Affairs of Worid Jewish Congress im<br />

erwähnten Bericht auf S. 59 angibt, <strong>das</strong>s insgesamt mit Sicherheit 5,7 Millionen vernichtet worden seien (!), nachdem<br />

es die sozusagen offiziellen Ziffern der Jüdischen Dokumentenzentrale bezüglich Auschwitz so wesentlich ermäßigt<br />

hat<br />

42 Es handelt sich um die Furcht der ungarischen <strong>Juden</strong> vor einer Deportation nach Auschwitz, eine Furcht, in der sie<br />

seit dem 19. März 1944, dem Tage des deutschen Einmarsches in Ungarn, lebten. <strong>Die</strong>se Furcht wurde durch die<br />

Tatsache begründet, <strong>das</strong>s in Auscbwitz die Gaskammern <strong>und</strong> die Verbrennungsöfen (die seit Herbst 1943 außer Betrieb<br />

waren) wieder in Ordnung gebracht wurden. Nach ihrer Meinung hätte man <strong>das</strong> nicht getan, wenn nicht die Absicht<br />

bestanden hätte, sie - die <strong>Juden</strong> - dorthin zu deportieren, denn acht Monate lang war nicht an eine Reparatur gedacht<br />

worden.<br />

43 Da die Gaskammern, die seit dem Herbst 1943 außer Gebrauch waren ... speziell zur Vergasung der ungarischen<br />

<strong>Juden</strong> wieder instand gesetzt worden sein sollen, müssten sie mindestens für die dazu notwendige Zeit in Betrieb sein.<br />

Daraus erkennt man, <strong>das</strong>s Standartenführer Kurt Becher seine Sache recht gut auskalkuliert hatte, als er den Himmler-<br />

Befehl zur Einstellung der <strong>Juden</strong>vernichitung in die Zeit "zwischen Mitte September <strong>und</strong> Mitte Oktober 1944" legte<br />

(vergl. Anmerkung 29). Ach, diese "Zeugen"!<br />

Der gleiche Bericht wurde im Juli 1961 mit einem Vorwort des<br />

sozialdemokratischen B<strong>und</strong>estagsabgeordneten Professor Carlo Schmid unter<br />

dem Titel "Der Kasztner Bericht" (Kindler-Verlag, München 1961)<br />

veröffentlicht. Obiges Zitat findet sich hier auf S. 82 in folgender Version:<br />

"Meldungen aus Pressburg bestätigten diese Befürchtungen. Das dortige<br />

Komitee leitete uns die Meldungen seines Nachrichtendienstes weiter.<br />

Demgemäß war die SS im Begriff, die Gaskammern <strong>und</strong> Krematorien in<br />

Auschwitz auszubessern <strong>und</strong> zu renovieren ..."<br />

Der Kursiv gesetzte Satzteil aus dem Original wurde weggelassen, weil er<br />

besagte, <strong>das</strong>s die Gaskammern in Auschwitz während 8 Monaten nicht in<br />

Betrieb waren. Ich füge hinzu, <strong>das</strong>s man in diesem Buch auch einen Brief vom<br />

23. Mai 1944 mit den Unterschriften von sechs in Theresienstadt internierten<br />

<strong>Juden</strong> (Dr. Franz Kahn, Dr. Erich Munk, Dr. Paul Eppstein, Ing. Otto Zucker,<br />

Dr. Erich Österreicher <strong>und</strong> Gert Körbel) nicht findet, der im Original als<br />

Photokopie wiedergegeben war <strong>und</strong> genau <strong>das</strong> Gegenteil von dem sagt, was von<br />

den "Zeugen" vor den Schranken des Jerusalemer Eichmann-Tribunals<br />

vorgebracht wurde (vergl. Anhang, Anlage 3).<br />

101


Aber wir wollen uns wieder unserem statistischen Problem zuwenden: Wenn die<br />

Fehlerquote, die wir in den Angaben über <strong>das</strong> Lager Auschwitz feststellten, sich<br />

wiederholen sollten in den Angaben bezüglich aller anderen <strong>Juden</strong>lager - <strong>und</strong><br />

warum sollte <strong>das</strong> eigentlich nicht der Fall sein, denn diese Fehlerquoten waren ja<br />

kalkuliert <strong>und</strong> bewusst eingebaut worden? - <strong>das</strong> hieße also, wenn man Zahlen<br />

angibt, die bis fünfmal so groß sein können wie die Wahrheit, dann ist ja wohl<br />

klar, was übrig bleibt von der Behauptung, es seien sechs Millionen <strong>Juden</strong> in<br />

Gaskammern umgebracht worden. Und dann muss man noch berücksichtigen,<br />

<strong>das</strong>s die Existenz von Gaskammern in den Lagern Cheimno, Belzec, Maidanek,<br />

Sobidor <strong>und</strong> Treblinka (wo man mit Auspuffgasen von <strong>Die</strong>selmotoren vergaste<br />

...) nicht schlüssiger bewiesen ist als für <strong>das</strong> Lager Auschwitz-Birkenau. In<br />

diesem Zusammenhang möchte ich den Leser auffordern, im Anhang dieses<br />

Buches, <strong>das</strong> Dokument Gerstein zu studieren.<br />

*<br />

Wenn aber nicht feststeht, <strong>das</strong>s es tatsächlich Gaskammern gegeben hat. - <strong>und</strong> es<br />

lässt sich aus den vorgelegten Dokumenten mit Sicherheit ableiten, <strong>das</strong>s die<br />

Existenz von Gaskammern wirklich nicht feststeht, ihre Existenz scheint auch<br />

dadurch sehr zweifelhaft geworden, <strong>das</strong>s die Zahl der Toten von sechs Millionen<br />

auf eine Million ermäßigt werden konnte (<strong>das</strong> "Institute of Jewish Affairs" des<br />

"Jewish World Congress" ging kaum weniger radikal vor, als es die Zahl der in<br />

Auschwitz-Birkenau umgekommenen <strong>Juden</strong> auf 900.000 reduzierte) - so kann<br />

der Leser mit Fug <strong>und</strong> Recht fragen, was es dann mit dieser Zusammenfassung<br />

der <strong>Juden</strong> in besonderen <strong>Juden</strong>lagern für eine Bewandtnis hatte, <strong>und</strong> wodurch<br />

die Idee der Gaskammern überhaupt entstehen konnte.<br />

<strong>Die</strong> Antwort auf die erste Frage lautet: Hitler-Deutschland war ein Rassenstaat.<br />

Nun weiß man, <strong>das</strong>s ein solcher Staat die Austreibung einer andersrassigen<br />

Minderheit zu fordern pflegt. Auch der Staat Israel liefert ein Beispiel für dieses<br />

Postulat. Punkt 4 des nationalsozialistischen Parteiprogramms vom 24. Februar<br />

1920 sagte:<br />

"Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse 44 ist. Volksgenosse kann<br />

nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession.<br />

Kein Jude kann daher Volksgenosse sein."<br />

Und Punkt 5 bestimmte:<br />

"Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können<br />

<strong>und</strong> muss unter Fremdengesetzgebung stehen."<br />

________________<br />

44 Für den Ausdruck "Volksgenosse" gibt es weder im Französischen noch sonst wo, eine entsprechende Übersetzung.<br />

<strong>Die</strong> Schwierigkeit kommt daher, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> deutsche Wort "Volk" nicht nur Bevölkerung bedeutet, sondern auch Ideen-<br />

Assoziationen an 'Blut' <strong>und</strong> 'Boden' weckt.<br />

102


Als die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 an die Macht kamen, wurden die<br />

deutschen <strong>Juden</strong> rechtlich gesehen automatisch zu Ausländern, was bedeutete,<br />

<strong>das</strong>s sie, wie Ausländer überall in der Welt, keine leitenden Stellen in Staat <strong>und</strong><br />

Wirtschaft bekleiden konnten. Das ist die juristische Gr<strong>und</strong>lage der<br />

nationalsozialistischen Rassengesetze.<br />

Dass keine Morallehre eine solche Maßnahme billigt, ist offensichtlich <strong>und</strong><br />

braucht nicht erst bewiesen zu werden. Es gibt aber auch fraglos keinen Staat,<br />

der Ausländer an leitender Stelle einsetzt. Der einzige Unterschied zwischen<br />

Hitler-Deutschland <strong>und</strong> diesen anderen Staaten liegt darin, <strong>das</strong>s man dort<br />

Ausländer war auf Gr<strong>und</strong> seiner Staatsangehörigkeit, bei den Nationalsozialisten<br />

aber auf Gr<strong>und</strong> seiner Rasse. Aber auch in Israel gibt es keine Araber als Lehrer,<br />

Finanzbeamte, Leiter eines Kibbutz oder Minister. Das was in Israel geschieht,<br />

rechtfertigt nicht <strong>das</strong> in Deutschland Geschehene - ich gebe es zu, denn man<br />

kann <strong>das</strong> Böse nicht durch Böses rechtfertigen.<br />

Ich rechtfertige auch nicht, sondern ich erkläre, <strong>und</strong> um erklären zu können,<br />

demontiere ich einen Mechanismus.<br />

Wenn ich Israel nenne, dann geschieht es nur um zu zeigen, <strong>das</strong>s,<br />

1. <strong>das</strong> Übel des Rassenwahns im Sinne des Nationalsozialismus tiefer sitzt als<br />

man denkt, denn die Bekämpfer dieses Rassenwahns sind heute seine<br />

Vorkämpfer - <strong>und</strong> <strong>das</strong>s<br />

2. Hitler-Deutschland im Gegensatz zur allgemeinen Meinung nicht <strong>das</strong> einzige<br />

Beispiel ist.<br />

Beim Vergleich der Tatsachen <strong>und</strong> nicht nur der Prinzipien gibt es einen anderen<br />

Unterschied zwischen Deutschland <strong>und</strong> Israel: 1933 konnte Deutschland die<br />

500.000 <strong>Juden</strong>, die es de jure aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen hatte,<br />

nicht de facto etwa mit militärischer Gewalt an irgend eine seiner Grenzen<br />

schaffen, <strong>und</strong> zwar weder mit noch ohne jene legendär gewordenen 30 Kilo<br />

Gepäck, die Israel den 900.000 Arabern aus Palästina mitzunehmen gestattete,<br />

als es sie 1948 nach Jordanien vertrieb.<br />

<strong>Die</strong> modernen, gut organisierten Staaten Europas mit ihren genau festgelegten<br />

Grenzen unterhalten miteinander sehr enge politische <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />

Beziehungen. Daher bot <strong>das</strong> Europa des Jahres 1933 einem Rassenstaat nicht die<br />

gleichen Möglichkeiten, wie der Mittlere Osten von 1948 mit seinen Embryonal-<br />

Staaten ohne genau festgelegte Grenzen - Staaten, die obendrein untereinander<br />

nach den Gesetzen des Dschungels verkehrten. In Europa war der Übertritt von<br />

Personen aus dem einen Land ins andere den Einwanderungsgesetzen<br />

unterworfen; wenn es sich um eine Massen-Auswanderung, wie im Falle der<br />

deutschen <strong>Juden</strong>, handelte, so bedeutete <strong>das</strong> Bevölkerungsumsiedlung <strong>und</strong> setzte<br />

Verhandlungen voraus.<br />

103


Derartige Verhandlungen wollte die Nazi-Regierung zunächst auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

der Balfour-Erklärung 45 mit England beginnen, dem durch den Versailler<br />

Vertrag ein Mandat über Palästina anvertraut war. <strong>Die</strong> internationale<br />

Zionistische Bewegung verlangte lauthals die Wiedereinsetzung des jüdischen<br />

Staates der Bibel in seine alten Rechte.<br />

________________<br />

45 Der Text der sog. Balfour-Erklärung vom 2. November 1917 besagte:<br />

"<strong>Die</strong> Regierung Seiner Britischen Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für<br />

<strong>das</strong> jüdische Volk in Palästina <strong>und</strong> wird bemüht sein, die Durchführung dieses Vorhabens nach Kräften zu erleichtern,<br />

unter der ausdrücklichen Voraussetzung, <strong>das</strong>s nichts geschehen soll, was die bürgerlichen <strong>und</strong> religiösen Rechte der In<br />

Palästina bestehenden nichtjüdischen Gemeinden oder die Rechte <strong>und</strong> den politischen Status der <strong>Juden</strong> in irgend einem<br />

anderen Land beeinträchtigen könnte".<br />

Es ist ein glatter Unsinn, wenn man aus dieser Erklärung schließen will, <strong>das</strong>s sie zu der Gründung des Staates Israel<br />

führen musste <strong>und</strong> zwar unter den Umständen, die jene St<strong>und</strong>e dann tatsächlich beherrschten.<br />

In der Ablehnung solcher Konsequenzen sind sich viele denkende Menschen - <strong>Juden</strong> wie Nichtjuden - einig, u. a. auch<br />

der berühmte englische Historiker Arnold Toynbee.<br />

Das war eine Utopie, <strong>und</strong> die Schaffung dieses Staats im Jahre 1948 hat es<br />

bewiesen. Damals lehnten die Araber - sie tun es heute noch - eine solche<br />

Auslegung der Balfour-Erklärung ab; sie versuchten, die Verwirklichung dieser<br />

Pläne auf ein Mindestmaß zu beschränken, oder, wenn möglich, zu verhindern.<br />

Wegen des Erdöls bemühte sich England, sein Ziel auf Umwegen zu erreichen.<br />

Mit Deutschland wollte es keine direkten Kontakte zur Regelung dieses<br />

Problems <strong>und</strong> verwies auf Chaim Weizmans "Jewish Agency", dergegenüber es<br />

durch die Balfour-Erklärung verpflichtet war. Hitler-Deutschland war wie die<br />

Weimarer Republik <strong>und</strong> <strong>das</strong> Kaiserreich darauf bedacht, seine Popularität bei<br />

den arabischen Völkern zu pflegen <strong>und</strong> bestand nicht auf Verhandlungen mit<br />

England. <strong>Die</strong> Besprechungen mit der "Jewish Agency" gingen weit über die<br />

bloße Palästinafrage hinaus; trotzdem kam 1933 nur ein Vertrag zustande: <strong>das</strong><br />

"Chaim Arlossaroff-Transfer-Abkommen" wie die Deutschen sagten, oder <strong>das</strong><br />

"Hawara-Abkommen" wie es bei den <strong>Juden</strong> hieß. Es sah vor, <strong>das</strong>s jeder Jude,<br />

der 1000 Pf<strong>und</strong> Sterling mitbrachte, nach Palästina einwandern dürfe - von<br />

denen, die nicht über eine solche Summe verfügten, aber nur eine monatliche<br />

Quote von 1500. 46<br />

<strong>Die</strong>se Bedingungen waren der "Jewish Agency" von England vorgeschrieben<br />

<strong>und</strong> bedeuteten die äußere Grenze des Entgegenkommens, um Missstimmung<br />

unter den arabischen Völkern des Mittleren Ostens zu vermeiden.<br />

Um diese 1000 Pf<strong>und</strong> Sterling per Kopf drehte sich letzten Endes <strong>das</strong> ganze<br />

Problem. Es gab ungefähr 500.000 <strong>Juden</strong> in Deutschland, was einem Transfer<br />

von r<strong>und</strong> 500 Millionen Pf<strong>und</strong> Sterling, entsprechend etwa 10 Milliarden RM<br />

gleichgekommen wäre. Und Dr. Schacht schätzte <strong>das</strong> Gesamtvermögen der<br />

deutschen <strong>Juden</strong> auf zwei bis drei Milliarden. - Noch eine weitere Schwierigkeit<br />

104


war zu überwinden: Hitler-Deutschland erklärte sein Unvermögen, auf einmal so<br />

riesige Summen, die einen bedeutenden Teil seines jährlichen Haushaltsplanes<br />

ausmachen würden, zu exportieren <strong>und</strong> verlangte, <strong>das</strong>s die Abwicklung<br />

langfristig auf der Gr<strong>und</strong>lage von Kompensationsverträgen nicht nur mit<br />

England, <strong>das</strong> durch seine Verpflichtungen in Palästina ohnehin beteiligt war,<br />

sondern mit jedem andern Land zu geschehen habe. <strong>Die</strong> ändern Länder <strong>und</strong><br />

England ließen klar erkennen, <strong>das</strong>s, wenn sie auch bereit wären, die deutschen<br />

<strong>Juden</strong> aufzunehmen <strong>und</strong> vielleicht auch eine etwas kleinere Summe als 1000<br />

Pf<strong>und</strong> pro Kopf ins Auge zu fassen, es ihnen aber andererseits erst dann möglich<br />

wäre zu verhandeln, wenn Deutschland sich zunächst verpflichtete, die ganze<br />

Summe, auf die man sich einigen würde, zum Transfer in fremde Währungen<br />

freizugeben.<br />

________________<br />

46 In seinem Buch "Le Breviaire de la Haine" erwähnt Leon Poliakov dieses Abkommen (auf Seite 32 der<br />

französischen Auflage), aber seine Kommentare geben ein vollkommen falsches Bild vom Sinn <strong>und</strong> Zweck des<br />

Vertrages.<br />

Daran scheiterte alles. Der letzte Versuch in diesem Sinne wurde im November<br />

1938 unternommen, als Hitler den damals bereits in Ungnade gefallenen Dr.<br />

Schacht nach London sandte. Vergeblich. Nun, es war richtig, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

Deutschland von 1933 eine Summe von zehn Milliarden RM nicht sofort <strong>und</strong><br />

ohne Gegenleistung ausführen konnte, - nicht einmal drei Milliarden. Damals<br />

wären wohl weder Frankreich noch England, vielleicht nicht einmal die<br />

Vereinigten Staaten zu einer solchen Transaktion imstande gewesen.<br />

Folgendes ereignete sich: 1933 wurde der "Jewish Agency" <strong>das</strong> Recht erteilt, in<br />

Berlin die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" zu eröffnen <strong>und</strong> dort unter<br />

deutscher Kontrolle monatlich die von England zugestandenen 1500 Palästina-<br />

Pässe 47 auszustellen. Da kein Kompensations-Vertrag hatte abgeschlossen<br />

werden können, konnte auch in keinem Pass die Ausfuhrgenehmigung des<br />

Gegenwertes von 1000 Pf<strong>und</strong> erteilt werden. Hinsichtlich der Zahl der<br />

Reisepässe einigten sich die "Jewish Agency" <strong>und</strong> die Nazis, sie ein wenig<br />

aufzur<strong>und</strong>en <strong>und</strong> mehr als 1500 (hauptsächlich unter dem Deckmantel falscher<br />

Staatszugehörigkeiten) auszufertigen. Auch halfen sie bei der unerlaubten<br />

Auswanderung. Im Endeffekt war es bei Ausbruch des Krieges ungefähr<br />

300.000 <strong>und</strong> nicht nur den vom Chaim Arlossaroff-Abkommen bzw. dem<br />

Hawara-Vertrag vorgesehenen 108.000 <strong>Juden</strong> gelungen, Deutschland zu<br />

verlassen.<br />

Zur Zeit der Kriegserklärung war eine andere Komplikation hinzugekommen<br />

<strong>und</strong> der Umsiedlungs-Versuch war in Gefahr, im Sande zu verlaufen: England<br />

hatte nämlich im März 1939 entschieden, ab sofort für die nächsten fünf Jahre<br />

alles in allem nur 75.000 Einwanderungsgenehmigungen für Palästina zu<br />

erteilen.<br />

105


<strong>Die</strong>ser wenig bekannte Vorgang wurde von den "Historikern" der jüdischen<br />

Dokumentenzentrale - <strong>und</strong> auch von einigen andern - sorgfältig verschwiegen.<br />

Er wurde durch eine Anzahl Dokumente, besonders NG 1889 (Aktennotiz des<br />

Auswärtigen Amtes vom 10. März 1938, vorgelegt im Wilhelmstraßen-Prozess)<br />

<strong>und</strong> PS 3558 (Bericht des gleichen Ministeriums vom 25. Januar 1939 im ersten<br />

Nürnberger Prozess), aufgedeckt.<br />

Während dieser ganzen Zeit wurde "den deutschen <strong>Juden</strong> eine Behandlung<br />

zuteil, die der für eine in Ungnade gefallene <strong>und</strong> gedemütigte Minderheit<br />

entsprach", sagt Josef Billig von der Jüdischen Dokumentenzentrale ("Le<br />

Dossier Eichmann", S. 28); einige Sätze später fügt er hinzu, <strong>das</strong>s "die Tätigkeit<br />

der <strong>Juden</strong> in der deutschen Wirtschaft nicht ernstlich behindert wurde", <strong>und</strong> <strong>das</strong>s<br />

es sich auch bei den Maßnahmen gegen die <strong>Juden</strong> in Österreich, die durch den<br />

Anschluss zu Deutschland gekommen waren, "um eine noch ziemlich harmlose<br />

Aktion handelte".<br />

________________<br />

47 <strong>Die</strong>ser Pass wurde als "Zertifikat" bezeichnet.<br />

Wenn man weiß, <strong>das</strong>s gerade während dieser Periode alle jene<br />

rassengesetzlichen Maßnahmen eingeleitet wurden, die am 15. September 1935<br />

auf dem Parteitag von Nürnberg öffentlich bekannt gemacht wurden, <strong>und</strong> wenn<br />

man dann dieses gemäßigte Urteil aus der Feder eines <strong>Juden</strong> mit dem Berg von<br />

entrüsteter <strong>und</strong> racheheischender Literatur vergleicht, die diese Rassengesetze in<br />

der Welt hervorgebracht haben, dann kann man sich nur w<strong>und</strong>em.<br />

Unachtsamkeit?<br />

Im November 1938 änderte sich die Lage ganz plötzlich. <strong>Die</strong> Ermordung des<br />

Gesandtschaftsrats vom Rath am 7. dieses Monats in Paris durch einen jungen<br />

<strong>Juden</strong> namens Grynspan hatte die Schreckensnacht vom 9. auf den 10.<br />

November zur Folge, die durch eine wahre Jagd auf <strong>Juden</strong>, die Plünderung ihrer<br />

Geschäfte, <strong>das</strong> Einschlagen der Fensterscheiben - daher der Name<br />

"Kristallnacht" - durch Belästigungen ohne Maß <strong>und</strong> Zahl usw. gekennzeichnet<br />

war. 48<br />

Wir besitzen nur ein einziges offizielles <strong>und</strong> zuverlässiges Dokument über die<br />

Umstände, unter denen sich diese Vorgänge abgespielt haben: den Bericht<br />

(Dokument PS 3063 vom 13. Februar 1939, IMT Bd. XXXII, S. 20ff.) des<br />

Obersten Parteirichters Walter Buch, der mit der Untersuchung beauftragt war<br />

<strong>und</strong> bei dem Gericht den Vorsitz führte, <strong>das</strong> die seit dem 11. November auf<br />

Befehl Heydrichs wegen Vorbereitung <strong>und</strong> Teilnahme an den Unruhen<br />

verhafteten 174 Parteimitglieder aburteilen sollte. Alle diese 174 waren nur<br />

untergeordnete Leute. Das Führungskorps, die Nürnberger Angeklagten <strong>und</strong> der<br />

Führer selbst hätten von dem Schlag erst nachträglich gehört. Sie lehnten ihn ab,<br />

mit Ausnahme von Goebbels, der, obwohl ebenfalls nicht daran beteiligt, ihn<br />

guthieß. Goebbels erfuhr als erster davon. Am 9. November 1938 waren die<br />

106


Parteiführer, wie alle Jahre, zur Feier des Putsches von 1923 in München<br />

versammelt. Spät abends wurde Goebbels telefonisch davon unterrichtet, <strong>das</strong>s<br />

ernste antisemitische Demonstrationen in der Provinz Hessen, in Magdeburg<br />

<strong>und</strong> fast überall in Deutschland stattfanden. Nach einem kurzen Gespräch des<br />

Führers mit den Hauptwürdenträgern der Partei wurde um 1.20 Uhr nachts von<br />

Heydrich ein Telegramm an alle deutschen Polizeistationen gesandt (Dokument<br />

PS 3051, IMT. Bd. XXXI. S. 515ff.):<br />

________________<br />

48 Plünderung <strong>und</strong> Zerstörung von 815 Läden, 171 Häusern, 276 Synagogen, 14 weiteren Gebäuden der jüdischen<br />

Gemeinden, Festnahme von 20.000 <strong>Juden</strong>, 7 Ariern, 3 Ausländern, 36 Tote, 36 Verw<strong>und</strong>ete (Bericht Heydrichs an<br />

Göring vom 11. November 1938. IMT Band IX, S. 577, von Göring <strong>und</strong> allen anderen betroffenen Angeklagten als<br />

echt anerkanntes Dokument).<br />

Allen Polizeikommissaren wurde befohlen, sich sofort mit den örtlichen<br />

Parteidienststellen in Verbindung zu setzen, damit die <strong>Juden</strong> nicht mehr belästigt<br />

würden, ihr Leben <strong>und</strong> Eigentum nicht mehr bedroht, ihreLäden <strong>und</strong><br />

Wohnungen nicht mehr geplündert würden usw., - <strong>das</strong>s also Ruhe <strong>und</strong> Ordnung<br />

wieder einzukehren habe.<br />

<strong>Die</strong>ses Telegramm wurde abgesandt, um die unerwarteten Demonstrationen zu<br />

beenden. Gleichzeitig wurden damit auch gegen die Urheber gerichtliche<br />

Schritte eingeleitet, aus dem einfachen Gr<strong>und</strong>e, da solche Aktionen ebenso<br />

wenig mit dem Geist des Nationalsozialismus wie mit dem Regierungssystem zu<br />

vereinbaren waren. <strong>Die</strong>ses Telegramm wurde dann von Richter Jackson<br />

persönlich in der Eröffnungssitzung des Nürnberger Gerichts in der folgenden<br />

Form präsentiert:<br />

"Der Feldzug gegen die <strong>Juden</strong> in Deutschland steigerte sich zu besonderer<br />

Heftigkeit nach der Ermordung des deutschen Legationssekretärs vom Rath<br />

in Paris. Heydrich, der Chef der Geheimen Staatspolizei, gab über den<br />

Fernschreiber an alle <strong>Die</strong>nststellen der Gestapo <strong>und</strong> des SD Anweisung<br />

'spontane' Demonstrationen, die für die Nächte des 9. <strong>und</strong> 10. November 49<br />

1938 zu erwarten seien, so zu handhaben, <strong>das</strong>s die Zerstörung jüdischen<br />

Eigentums begünstigt <strong>und</strong> nur deutscher Besitz geschützt werde. Kein<br />

zynischeres Dokument ist je ans Licht gekommen!" (IMT Bd. II S. 143).<br />

So werden Legenden geboren ...<br />

Aber die "Kristallnacht" war nicht die einzige Folge der Ermordung vom Raths:<br />

Wegen der Schwere der Unruhen, deren Wiederholung man unbedingt<br />

vermeiden wollte, ergab sich für die Führer des <strong>Dritte</strong>n <strong>Reich</strong>s die<br />

Notwendigkeit, <strong>das</strong> <strong>Juden</strong>problem in seiner Gesamtheit zu lösen. Da sich in den<br />

fünf Jahren seit 1933 keine Ansätze zu einer Lösung ergeben hatten, verwendete<br />

man von 1938 an zur Kennzeichnung der neuen Linie den Ausdruck "die<br />

107


Endlösung der <strong>Juden</strong>frage", 50 dem die irre Phantasie aller journalistischen<br />

Herumstreifer <strong>und</strong> die den seltsamen Geschichtsforscher der Jüdischen<br />

Dokumentenzentrale seit fünfzehn Jahren so viele falsche Deutungen<br />

untergeschoben haben.<br />

________________<br />

49 Sperrung von mir (P. R.). Es gibt in dieser Wiedergabe manches zu bew<strong>und</strong>ern:<br />

a) die Mehrzahl: "<strong>Die</strong> Nächte vom 9. <strong>und</strong> 10. November" statt der Nacht vom 9. zum 10. November ...<br />

b) <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Telegramm, <strong>das</strong> die Demonstrationen für die Nacht vom 9. zum 10. anordnete ausgerechnet am 10.<br />

frühmorgens um l Uhr 20 abgesandt worden ist,<br />

c) <strong>das</strong>s es angeblich Demonstrationen anordnete, während es in Wahrheit die Form, in der sie stattfinden, verbieten<br />

will.<br />

50 Der ursprüngliche Ausdruck lautet in Wirklichkeit: "eine Gesamtlösung der <strong>Juden</strong>fraga im deutschen Einflussgebiet<br />

in Europa". Göring gebraucht ihn zum ersten Mal im ersten Absatz eines Briefes vom 31. 7. 1941 mit der Weisung an<br />

Heydrich, sie vorzubereiten (P S 710, IMT Bd. XXVI, S. 268), verwendet aber im letzten Absatz die Wendung:<br />

"Endlösung der <strong>Juden</strong>frage".<br />

<strong>Die</strong>ser letzte Ausdruck wurde dann in den allgemeinen Sprachgebrauch im <strong>Dritte</strong>n <strong>Reich</strong> übernommen (vielleicht weil<br />

Theodor Herzl ihn 1895 als Untertitel seines Buches "Der Jüdische Staat" wählte). <strong>Die</strong> Bedeutung blieb die gleiche: es<br />

handelte sich um den Versuch, für diesen ganzen Fragenkomplex eine Lösung zu finden, keineswegs darum, die<br />

<strong>Juden</strong>frage zu liquidieren durch eine Liquidierung der <strong>Juden</strong>. Sogar der klägliche Richter Jackson musste <strong>das</strong> zugeben<br />

(IMT Bd. IX S. 575), als Göring selbst ihn in Nürnberg am 20. März 1946 dabei ertappte, <strong>das</strong>s er die entstellende<br />

Version zum Besten gab.<br />

Aber diesen Zwischenfall, der eine ganze Theorie ein für allemal zerstörte, erwähnte die Presse mit keinem Wort.<br />

Zur selben Zeit, als Dr. Schacht auf Anordnung Hitlers seinen Koffer packte <strong>und</strong><br />

nach London fuhr, um mit England <strong>und</strong> einigen anderen Staaten die seit 1933<br />

festgelaufenen Verhandlungen wieder in Fluss zu bringen, was auch der von<br />

Präsident Roosevelt am 6. Juli 1938 in Evian einberufenen internationalen<br />

Konferenz nicht gelungen war, da berief Göring im Auftrage Hitlers eine<br />

Konferenz von Vertretern aller Ministerien des <strong>Dritte</strong>n <strong>Reich</strong>s, die an Sofort-<br />

Maßnahmen interessiert waren. An dieser Konferenz nahmen Göring als<br />

Vorsitzender, Goebbels (Propagandaminister), Heydrich, Chef des<br />

<strong>Reich</strong>sicherheitshauptamtes als Vertreter Himmlers, Frick (Innenminister), Funk<br />

(Wirtschaftsminister), von Schwerin-Krosigk (Finanzminister) <strong>und</strong> andere teil.<br />

Bei der Eröffnung erklärte Göring:<br />

"Meine Herren, diese Demonstrationen habe ich satt. Sie schädigen nicht<br />

den <strong>Juden</strong>, sondern schließlich mich, der ich die Wirtschaft als letzte<br />

Instanz zusammenzufassen habe. Wenn heute ein jüdisches Geschäft<br />

zertrümmert wird, wenn Waren auf die Straße geschmissen werden, dann<br />

ersetzt die Versicherung dem <strong>Juden</strong> den Schaden - er hat ihn gar nicht - <strong>und</strong><br />

zweitens sind Konsumgüter, Volksgüter zerstört worden. Wenn in Zukunft<br />

schon Demonstrationen, die unter Umständen notwendig sein mögen,<br />

stattfinden, dann bitte ich nun endgültig, sie so zu lenken, <strong>das</strong>s man sich<br />

108


nicht in <strong>das</strong> eigene Fleisch schneidet. Denn es ist irrig, ein jüdisches<br />

Warenhaus auszuräumen <strong>und</strong> anzuzünden, <strong>und</strong> dann trägt eine deutsche<br />

Versicherungsgesellschaft den Schaden, <strong>und</strong> die Waren, die ich dringend<br />

brauche - ganze Abteilungen Kleider <strong>und</strong> was weiß ich alles - werden<br />

verbrannt <strong>und</strong> fehlen mir hinten <strong>und</strong> vorn. 51 Da kann ich gleich die<br />

Rohstoffe anzünden, wenn sie hereinkommen." (PS 1816, IMT Bd. XXVIII<br />

S. 500).<br />

Eine Diskussion über Möglichkeiten zur Durchführung einer massiven <strong>Juden</strong>-<br />

Auswanderung führte zu nichts. Göring hielt sie auf Gr<strong>und</strong> der damit<br />

verb<strong>und</strong>enen gewaltigen Kapital-Exporte für <strong>und</strong>urchführbar, <strong>und</strong> er sah keine<br />

Möglichkeit, von anderen Staaten Kompensationen zu erlangen. 52<br />

________________<br />

51 Auf dieser Sitzung sprach ein gewisser Herr Hilgard als Vertreter der Versicherungsgesellschaften. Er schätzte den<br />

materiellen Schaden, der in der Kristallnacht angerichtet worden war <strong>und</strong> zwar allein an Schaufensterscheiben <strong>und</strong><br />

Schmuck (Dinge, die in Deutschland nur gegen Devisen zu beschaffen waren) auf über 25 Millionen <strong>Reich</strong>smark. Er<br />

gab außerdem an, <strong>das</strong>s die belgische Firma, die als einzige die Scheiben ersetzen konnte, allein zur Herstellung des<br />

notwendigen Glases eine Frist von 6 Monaten verlangte <strong>und</strong> fügte hinzu, <strong>das</strong>s er noch nicht alle Unterlagen in Händen<br />

hätte. Darauf erklärte Heydrich, <strong>das</strong>s man die ganzen Verluste auf 100 Millionen beziffern könne. Spätere Gutachten<br />

haben die Richtigkeit dieser Schätzung bewiesen.<br />

52 Der Leser wird sicher empört darüber sein. <strong>das</strong>s die Nazis den auswandernden <strong>Juden</strong> die Mitnahme des<br />

Gegenwertes ihrer Habe verweigerten. Das ist in der Tat ein schreiendes Unrecht. Es ist allerdings auch der allgemeine<br />

Brauch bei Bevölkerungs-Umsiedlungen. Ich verweise dieserhalb auf zwei Werke: "European Population Transfer".<br />

(Oxford University 1946) <strong>und</strong> ,Les Transfers internationnux de populations' (Preises universitaires de France), in denen<br />

man gut zwanzig solcher durch Verträge beschlossene Umsiedlungen finden wird, bei denen die betroffenen<br />

Unglücklichen ihr Land mit 30 Kilo Gepäck;, häufig weniger, <strong>und</strong> stets ohne Geld verlassen mussten. Zwischen dem 1.<br />

Juli 1945 <strong>und</strong> dem 1. Januar 1947 haben die Russen ungefähr 7,3 Millionen Menschen in Viehwagen aus Schlesien<br />

nach dem Restdeutschland verfrachtet - mit bedeutend weniger Gepäck <strong>und</strong> ohne Lebensmittel für eine Fahrt von 4 bis<br />

5 Tagen. In der französischen Monatszeitschrift "Revue des Deux Mondes" vom 15. Mal 1952 (S. 374) behauptet Jean<br />

de Fange, <strong>das</strong>s dabei mehr als 4 Millionen umgekommen seien, was einer weitaus höheren Zahl an Opfern entsprechen<br />

würde, als <strong>Juden</strong> in Konzentrationslagern umgekommen wären! Und <strong>das</strong> alles mitten im Frieden! Man muss bedenken,<br />

<strong>das</strong>s es sich hier zweifelsohne um ein menschliches Problem handelt, <strong>das</strong> aber auch eine wirtschaftliche Seite hat,<br />

indem es den Transfer eines großen Teils des Volksvermögens nach sich zieht, der bei der gegenwärtigen Struktur des<br />

internationalen Währungsverkehrs nur in Verbindung mit entsprechenden Kompensationen möglich ist. Andernfalls<br />

wäre die Wirtschaft eines Landes, <strong>das</strong> sich zu einer solchen Geldtransaktion entschließt, ruiniert. <strong>Die</strong><br />

Unmenschlichkeit ist also eine Folge der Wirtschaftsstruktur der Welt. nicht des bösen Willens der Menschen, die nur<br />

sehr geringe Möglichkeiten haben, diese Struktur zu reformieren. Leider ist auch der Wille dazu nur schwach!<br />

Man sollte daher zunächst den Erfolg der Demarche von Dr. Schacht bezüglich<br />

einer Wiederaufnahme der Verhandlungen abwarten. Ich habe schon gesagt,<br />

<strong>das</strong>s die Schacht'sche Mission scheiterte. Schließlich brachte Gering drei<br />

Verordnungen heraus:<br />

109


<strong>Die</strong> erste belegte die deutschen <strong>Juden</strong> mit einer Kollektivbuße von einer<br />

Milliarde RM (<strong>Reich</strong>sgesetzblatt 1938. Teil I, S. 1579).<br />

<strong>Die</strong> zweite schloss die deutschen <strong>Juden</strong> aus der deutschen Wirtschaft aus<br />

(<strong>Reich</strong>sgesetzblatt 1938, Teil I, S. 1580).<br />

<strong>Die</strong> letzte entschied, <strong>das</strong>s die Versicherungsgesellschaften den in der<br />

Kristallnacht verursachten Schaden dem Staat <strong>und</strong> nicht den geschädigten <strong>Juden</strong><br />

zu ersetzen hätten (<strong>Reich</strong>sgesetzblatt 1938, Teil I, S. 1581).<br />

Der Mord hatte also etwa <strong>das</strong> gleiche Ergebnis gebracht, <strong>das</strong> später jene<br />

merkwürdigen Widerstandskämpfer unter deutscher Besatzung in Frankreich<br />

erreichten, nämlich die Verhaftung von H<strong>und</strong>erten von Geiseln <strong>und</strong> eine<br />

Verschärfung des Besatzungsstatuts, wenn sie eine Apotheke oder ein Cafe mit<br />

Plastikbomben in die Luft sprengten (sehr häufig nur um ein persönliches<br />

Rachebedürfnis zu stillen), oder wenn sie einen deutschen Soldaten in einer<br />

dunklen <strong>und</strong> verlassenen Straße ermordeten usw., - alles unter dem Vorwand,<br />

Deutschland oder den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Nach dem 7.<br />

November 1938 wurde <strong>das</strong> Leben der deutschen <strong>Juden</strong> durch ihren Ausschluss<br />

aus dem Wirtschaftsleben des Landes <strong>und</strong> seine Folgen - Beschlagnahme<br />

jüdischen Eigentums <strong>und</strong> Enteignungen - nur noch schwieriger. Und dabei<br />

hätten vernünftige internationale Verhandlungen diese Menschen durchaus aus<br />

ihrer bedrängten Lage retten können. 1939 brach dann der Krieg aus <strong>und</strong><br />

zerstörte jede Hoffnung auf eine Lösung der Frage. Und die Aussichten wurden<br />

noch schlechter als der Präsident der Jewish Agency, Chaim Weizman am 5.<br />

September - zwei Tage nach der Kriegserklärung Englands <strong>und</strong> Frankreichs an<br />

Deutschland - einen Brief an Chamberlain, Premierminister Seiner Majestät des<br />

Königs von England, schrieb, in dem er erklärte, <strong>das</strong>s: "wir <strong>Juden</strong> auf der Seite<br />

Großbritanniens stehen <strong>und</strong> für die Demokratie kämpfen werden" wobei er<br />

präzisierte, <strong>das</strong>s die jüdischen Vertreter bereit wären, sofort ein Abkommen zu<br />

schließen um den Einsatz aller ihrer Kräfte zu ermöglichen. 53 <strong>Die</strong>ser Brief wurde<br />

im "Jewish Chronicle" vom 8. September 1939 veröffentlicht.<br />

Er enthielt die offizielle Kriegserklärung des jüdischen Volkes an Deutschland<br />

<strong>und</strong> brachte <strong>das</strong> Problem der Internierung aller deutschen <strong>Juden</strong> als "Angehörige<br />

eines mit Deutschland im Kriegszustand befindlichen Volkes" mit sich. Eine<br />

derartige Maßnahme ist in allen Ländern der Erde im Kriegsfall die Regel. Man<br />

muss jedoch zugeben, <strong>das</strong>s die deutsche Regierung schon vor der<br />

Veröffentlichung dieses Briefes alle Anstalten in diesem Sinne getroffen hatte.<br />

Auf jeden Fall machten die Kriegserklärungen, nicht nur die des Chaim<br />

Weizman, sondern vor allem die Englands <strong>und</strong> Frankreichs, jedem Projekt einer<br />

Umsiedlung der <strong>Juden</strong> auf welcher Verhandlungsgr<strong>und</strong>lage auch immer, ein<br />

Ende.<br />

Nach der Niederlage Frankreichs <strong>und</strong> nach dem Fehlschlagen der<br />

Friedensangebote an England kam den Nazi-Führern der Gedanke, <strong>das</strong>s die<br />

<strong>Juden</strong> zunächst gesammelt <strong>und</strong> dann in eine französische Kolonie, z. B.<br />

110


Madagaskar, überführt werden könnten. Ein Bericht vom 21. August 1942 mit<br />

der Unterschrift Luthers, 54<br />

________________<br />

53 Vielleicht habe ich nicht genug gesucht, aber ich habe in keiner Veröffentlichung in französischer Sprache den<br />

Wortlaut dieses Briefes gef<strong>und</strong>en. Hier folgt der betreffende Absatz in deutscher Sprache (zitiert nach dem Buch von<br />

H. G. Adler "<strong>Die</strong> Wahrheit", Tübingen 1958, S. 320):<br />

"Ich wünsche in nachdrücklichster Form die Erklärung zu bestätigen, <strong>das</strong>s wir <strong>Juden</strong> an der Seite Großbritanniens<br />

stehen <strong>und</strong> für die Demokratie kämpfen werden. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e stellen wir uns in den kleinsten <strong>und</strong> größten<br />

Dingen unter die zusammenfassende Leitung der britischen Regierung. <strong>Die</strong> jüdische Vertretung ist bereit, in sofortige<br />

Abkommen einzutreten - <strong>und</strong> alle menschliche Kraft, ihre Technik, ihre Hilfsmittel <strong>und</strong> alle Fähigkeiten nützlich<br />

einzusetzen".<br />

Der englische Originaltext dieser Erklärung wird bei Adler (a. a. 0. S. 321) wie folgt wiedergegeben:<br />

"I wish to confirm in the most explicit manner, the declaration which I and my collegnes made during the last montbs<br />

and especially in the last week: that the Jews 'stand by Great Britaln and will flght on the side of the democracies'. Our<br />

urgent desire is to give effect to these declarations. We wich to do so in a way entirely consonant with the general<br />

scheme of British action, and therefore would place ourselves, in matters big and small, <strong>und</strong>er the co-ordinating<br />

direction of His Majesty's Government. The Jewish Agency is ready to enter into immediate arrangements of utilizing<br />

Jewish man-power, technical abillty, resources, etc."<br />

54 Dokument M G 2586, <strong>das</strong> gleiche, zu dem auch <strong>das</strong> berühmte Protokoll von Wannsee gehört; vorgelegt im<br />

Wilhelmstraßenprozeß. Billig zitiert es auch in ,Le Dossier Eichmann'. V. Alexandrov bringt diese Verhandlungen in<br />

seinem Buch über Eichmann romanhaft ausgeschmückt.<br />

Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt des <strong>Dritte</strong>n <strong>Reich</strong>es, deutete die<br />

Möglichkeit von Verhandlungen mit Frankreich in diesem Sinne an <strong>und</strong><br />

erwähnte Gespräche, die zwischen Juli <strong>und</strong> Dezember 1940 stattfanden; nach<br />

dem Treffen von Montoire (am 24. Oktober 1940) brachte Pierre-Etienne<br />

Flandin, der Nachfolger Lavais, die Verhandlungen zum Scheitern. Während des<br />

ganzen Jahres 1941 bewahrte Deutschland die Hoffnung auf eine<br />

Wiederaufnahme <strong>und</strong> glückliche Beendigung der Verhandlungen.<br />

Während der zweiten Hälfte dieses Jahres 1941 nahm die Lösung des <strong>Juden</strong>-<br />

Problems eine mörderische Wendung. Da war zunächst die Kriegserklärung an<br />

Russland. Dr. Goebbels ließ <strong>das</strong> Gerücht verbreiten, <strong>das</strong>s Hitler zu diesem<br />

extremen Schritt gezwungen worden wäre durch die <strong>Juden</strong>, die Stalin beeinflusst<br />

hätten. Dann erschien <strong>das</strong> berühmte Buch "Germany must perish"* (eines<br />

gewissen amerikanischen <strong>Juden</strong> Theodore N. Kaufman). von dem man sagen<br />

kann, <strong>das</strong>s es den baldigen Kriegs-Eintritt der Vereinigten Staaten an der Seite<br />

Englands, Frankreichs <strong>und</strong> Russlands ankündigte.<br />

In diesem Buch setzt Theodore N. Kaufman ganz schlicht auseinander, <strong>das</strong>s alle<br />

Deutschen auf Gr<strong>und</strong> der alleinigen Tatsache, <strong>das</strong>s sie Deutsche sind, selbst<br />

wenn sie Antinazis, Kommunisten, <strong>Juden</strong>fre<strong>und</strong>e seien, nicht zu leben verdienen<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong>s man nach dem Kriege 20.000 Ärzte einsetzen werde, von denen jeder<br />

täglich 25 deutsche Männer oder Frauen zu sterilisieren hätte, so <strong>das</strong>s es nach<br />

111


drei Monaten keinen zeugungsfähigen Deutschen in Europa mehr gäbe <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />

deutsche Volk in 60 Jahren auf dem Kontinent völlig ausgelöscht sein würde **.<br />

Er versicherte außerdem, <strong>das</strong>s dies auch die Ansicht der deutschen <strong>Juden</strong> sei ...<br />

Hitler ließ dieses Buch über alle R<strong>und</strong>funksender verlesen. Man kann sich<br />

denken, was für einen Eindruck es auf die öffentliche Meinung Deutschlands<br />

machte. Ich selbst habe Deutsche getroffen, die mir sagten, <strong>das</strong>s man von dem<br />

Tage ab, an dem dieser Plan bekannt wurde, im Volk, im Heer, bei der Polizei<br />

<strong>und</strong> überall von der Notwendigkeit, die <strong>Juden</strong> physisch zu vernichten, zu<br />

sprechen begann; man drückte die Hoffnung aus, <strong>das</strong>s Hitler den Befehl dazu<br />

geben würde <strong>und</strong> war sehr häufig sogar davon überzeugt, <strong>das</strong>s ein solcher Befehl<br />

an Himmler oder Heydrich 55 bereits ergangen war.<br />

________________<br />

* Anmerkung des Übersetzers: "Germany must perish" - "Deutschland muss sterben" [untergehen].<br />

** Vergl. Anhang, Anlage 4.<br />

55 <strong>Die</strong>s bestätigte Minister Lammers, Stadtssekretär der <strong>Reich</strong>skanzlei, in Nürnberg: "Jeder sagte, er habe es vom<br />

anderen gehört, aber keiner wollte irgendetwas ausdrücklich versichern. Ich bin sogar der Ansicht, <strong>das</strong>s es meistens<br />

beruhte auf dem Abhören ausländischer Sender <strong>und</strong> <strong>das</strong>s die Leute dann nicht sagen wollten, wo sie es her hatten."<br />

(IMT Bd. XI S. 62)<br />

Es gab Leute, die behaupteten gut informiert zu sein <strong>und</strong> sagten, sie wüssten es<br />

von einer sehr hochgestellten Persönlichkeit; <strong>und</strong> wenn dann ein armer Jude in<br />

die Hände eines ungebildeten Polizisten fiel, der von so einem Gerücht gehört<br />

hatte <strong>und</strong> fest daran glaubte, dann hatte er bestimmt nichts zu lachen. Kurz <strong>und</strong><br />

gut, die Verlesung des Buches von Theodore Kaufman im deutschen R<strong>und</strong>funk<br />

entfesselte die Volkswut gegen die <strong>Juden</strong>. Und als Deutschland im Dezember<br />

des gleichen Jahres gegen die Vereinigten Staaten in den Krieg musste, da war<br />

alles vorbei. Jede Hoffnung auf Wiederaufnahme der Gespräche mit Frankreich<br />

erlosch für immer.<br />

Um die Wahrheit zu sagen, fühlten sowohl <strong>das</strong> Volk als auch die Führung schon<br />

lange vor dem Eintritt Amerikas in den Krieg mehr oder weniger deutlich, <strong>das</strong>s<br />

man für die <strong>Juden</strong> eine andere Lösung als Madagaskar würde suchen müssen<br />

<strong>und</strong> gezwungen sein würde, sie bis zum Ende des Krieges in Europa zu behalten.<br />

Der Brief Görings an Heydrich vom 31. Juli, 1941, von dem bereits gesprochen<br />

wurde (Anmerkung 50 ) spiegelt dieses Gefühl zweifellos schon wieder. <strong>Die</strong><br />

Überführung der <strong>Juden</strong> nach Osten hatte am 15. Oktober 1941 begonnen. <strong>Die</strong><br />

Konferenz von Berlin-Wannsee, zu der Heydrich am 29. November 1941<br />

eingeladen hatte, sollte ursprünglich am 9. Dezember stattfinden; sie musste auf<br />

Gr<strong>und</strong> der Ereignisse auf den 20. Januar 1942 verschoben werden. Sie hatte<br />

speziell die Organisation der Zusammenfassung aller <strong>Juden</strong> in den Ostgebieten<br />

zum Thema. Aber Hoess sagt uns in seinem Buch "Der Lagerkommandant von<br />

Auschwitz spricht...", <strong>das</strong>s Himmler bei seinem Besuch in Auschwitz noch<br />

plante, dort ein Lager mit einer Aufnahmefähigkeit für 100.000<br />

112


Kriegsgefangene, die für die Verteidigung des <strong>Reich</strong>es arbeiten sollten, zu<br />

errichten, aber kein Lager für die Zusammenziehung der <strong>Juden</strong>. <strong>Die</strong><br />

Massendeportation der <strong>Juden</strong> aus ganz Europa nach Auschwitz <strong>und</strong> den anderen<br />

polnischen Lagern begann in der Tat im März 1942. 56<br />

________________<br />

56 Der letzte Transport scheint am 7. Juli 1944 in Auschwitz angekommen zu sein (ungarische <strong>Juden</strong>). <strong>Die</strong> Deportation<br />

hat also 27 Monate gedauert. <strong>Die</strong> Verschickung der nicht rassisch Verfolgten begann am gleichen Tage <strong>und</strong> dauerte<br />

ungefähr ebenso lange. Der letzte Transport verließ Frankreich am 14. August 1944. <strong>Die</strong> zeitliche Übereinstimmung ist<br />

klar <strong>und</strong> es muss noch erwähnt werden, <strong>das</strong>s der Beginn mit der Ernennung Speers zum <strong>Reich</strong>sminister für<br />

Bewaffnung <strong>und</strong> Munition (Februar 1942) zusammenfällt! Sie bedingte solche Massenverschickungen, um den seit der<br />

zweiten Hälfte von 1941 bedrohlich in Erscheinung tretenden Mangel an Arbeitskräften zu beheben. Zahlreiche von<br />

ihm unterzeichnete Schreiben beweisen, <strong>das</strong>s es für Speer keine Gründe gab, die <strong>Juden</strong> nicht wie alle andern arbeiten<br />

zu lassen. Noch ein weiteres Zusammentreffen: Wir besitzen einen Brief Himmlers vom 5. Dezember 1941 an<br />

Heydrich (Leiter des <strong>Reich</strong>ssicherheitshauptamtes), an Pohl (Leiter der Wirtschaftsstelle der Konzentrationslager) <strong>und</strong><br />

an Glücks (Generalinspektor der Konzentrationslager), in dem er erwähnt, welch mörderische Zustände er in allen<br />

Lagern festgestellt hat <strong>und</strong> von den Zuständigen verlangt, damit ein Ende zu machen - ohne die <strong>Juden</strong> auszunehmen.<br />

Der Brief enthält folgenden Satz: .... im Gegensatz zu gewissen SS-Spezialisten, werde ich die Ernährung in den<br />

Lagern verbessern <strong>und</strong> alle daran interessierten zu guten Spezialarbeitern machen (Wiedergegeben nach Billig, "Le<br />

Dossier Eichmann", S. 60). So liefen denn im Jahr 1942 mehrere Schreiben des RSHA ein, die sich mit der<br />

Verbesserung der Ernährung in den Lagern beschäftigten. In seinem Buch "Der Lagerkommandant von Auschwitz<br />

spricht .".. sagt Hoess von Himmler, <strong>das</strong>s dieser immer mehr Sonderhäftlinge für die Rüstungsindustrie verlangte" (S.<br />

225). Daraus folgt, <strong>das</strong>s diese Sonder-Häftlinge (<strong>Juden</strong>) entsprechend gut behandelt werden mussten.<br />

<strong>Die</strong> Anordnungen besagten, <strong>das</strong>s die betroffenen <strong>Juden</strong> in Sonderlager<br />

einzuweisen seien; <strong>das</strong> war die Sonderbehandlung, der sie zu unterwerfen<br />

waren, während die Verschickung anderer Gegner je nach Zufall <strong>und</strong><br />

Möglichkeit in irgend ein Lager erfolgte.<br />

<strong>Die</strong> Deportation der <strong>Juden</strong> nach Osten wurde dann als "Sonderaktion"<br />

bezeichnet. All dies geschah in einer u. a. durch <strong>das</strong> Buch von Theodore N.<br />

Kaufman erzeugten Atmosphäre von <strong>Juden</strong>hass <strong>und</strong> des Sichüberstürzens der<br />

Ereignisse in Richtung auf den "totalen Krieg" - dieser Ausdruck wurde jetzt<br />

zum allgemeinen Schlagwort. In den Augen aller Deutschen war es Kaufman,<br />

der den Gedanken an solche Maßnahmen aufgebracht hatte <strong>und</strong> der<br />

eingestanden hatte, <strong>das</strong>s seine Rassegenossen eine solche Behandlung für ihre<br />

deutschen Gegner vorbereiteten: diese Deportation war brutal <strong>und</strong> mörderisch,<br />

darüber sind sich alle einig. 57<br />

<strong>Die</strong> <strong>Juden</strong> sprachen untereinander schon vorher mit großem Entsetzen davon.<br />

Und wenn sie dieses Schicksal dann erlitten, wurden ihre Leiden noch<br />

vergrößert durch die Angst vor dem, was sie erwartete. In Auschwitz war ein<br />

eigener Sektor des Lagers - laut Hoess: Auschwitz III (Monovitz), - an <strong>das</strong> dort<br />

im Bau befindliche Werk der IG-Farbenindustrie angegliedert. Man weiß, <strong>das</strong>s<br />

die Chemiker zur Herstellung ihrer Farben auch giftige Stoffe verwenden.<br />

113


Außerdem gab es da Kammern, in denen Kleider desinfiziert wurden, wozu man<br />

ausgerechnet Zyklon B verwendete ... Was lag da näher als anzunehmen, <strong>das</strong>s<br />

die Gaskammern zur Vergasung der <strong>Juden</strong> bestimmt wären, die Häftlinge im<br />

Lager 58 glaubten <strong>das</strong> bereits, <strong>und</strong> nur allzu gern folgten ihnen die Historiker der<br />

Jüdischen Dokumentenzentrale: Jedes Mal, wenn sie in einem Text die<br />

Ausdrücke "Sonderlager", "Sonderbehandlung" 59 oder "Sonderaktion" antrafen,<br />

entschieden sie als "Fachleute", <strong>das</strong>s es sich um Decknamen für Gaskammern<br />

handelte.<br />

________________<br />

57 Nebenbei muss ich erwähnen, <strong>das</strong>s ich den Eindruck habe, unter ebenso mörderischen Bedingungen nach<br />

Buchenwald (vier Tage Fahrt mit 100 Personen In einem Waggon ohne andere Nahrung als eine Mahlzeit in Trier)<br />

transportiert worden <strong>und</strong> dort angekommen zu sein (den Knüppeln der Kapos <strong>und</strong> den Bissen der H<strong>und</strong>e ausgeliefert),<br />

wie die <strong>Juden</strong> nach Auschwitz. Zumindest lese ich <strong>das</strong> aus den Berichten heraus.<br />

58 In Dora kannte ich Häftlinge, die felsenfest davon überzeugt waren, <strong>das</strong>s die wöchentlichen<br />

Duschen nur Tarnung seien <strong>und</strong> <strong>das</strong>s daraus eines Tages statt Wasser Gas kommen würde. Infolgedessen gingen sie nie<br />

hin. Wenn sie dann vom Kapo erwischt wurden, bekamen sie Prügel.<br />

59 Am 12. April 1946 warf der stellvertretende amerikanische Ankläger, Oberst Amen, Kaltenbrunner vor, verlangt zu<br />

haben, <strong>das</strong>s im "Walsertraum" im Walsertal <strong>und</strong> in der. "Winzerstube" in Godesberg "Sonderbehandlungen" stattfinden<br />

sollten. Er erhielt folgende Antwort:<br />

"Wissen Sie was 'Walsertraum' im Walsertal, <strong>und</strong> wissen Sie, was 'Winzerstube' in Godesberg sind? Wohin diese Fälle<br />

Ihrer behaupteten so genannten 'Sonderbehandlung' zu bringen sind? Walsertraum ist <strong>das</strong> eleganteste fashionabelste<br />

Alpinistenhotel des gesamten Deutschen <strong>Reich</strong>es, <strong>und</strong> die 'Winzerstube', Godesberg, ist <strong>das</strong> hochberühmte Hotel, <strong>das</strong><br />

sich dem Namen nach in Godesberg befindet, welches zu vielen Internationalen Tagungen verwendet worden ist. In<br />

diesen beiden Hotels sind besonders qualifizierte, besonders angesehene Persönlichkeiten, ich nenne hier M. Poncet<br />

<strong>und</strong> M. Herrlot <strong>und</strong> so weiter untergebracht gewesen, <strong>und</strong> zwar bei dreifacher Diplomatenverpflegung, <strong>das</strong> ist die<br />

9fache Nahrungsmittelzuteilung des normalen Deutschen während des Krieges, bei täglicher Verabreichung einer<br />

Flasche Sekt, bei freier Korrespondenz mit der Familie, bei freiem Paketverkehr mit der Familie in Frankreich, bei<br />

mehrmaligem Besuch dieser Häftlinge <strong>und</strong> Erk<strong>und</strong>igung nach ihren Wünschen an allen ihren Orten. Das ist <strong>das</strong>, was<br />

wir unter 'Sonderbehandlung' verstehen." (IMT Bd. XI, S. 374l).<br />

Sonderbehandlung bedeutete einerseits, <strong>das</strong>s Rassenhäftlinge in bestimmte Sonderlagen kamen <strong>und</strong> insofern anders<br />

behandelt wurden als die anderen, aber andererseits auch die Inhaftierung hoch stehender Persönlichkeiten - nicht in<br />

Konzentrationslager, sondern in Hotels. Also ein ziemlich großer Unterschied von der Deutung, die von den<br />

"Historikern" der Jüdischen Dokumentenzentrale gegeben wurde - <strong>und</strong> gegeben wird!<br />

Das ist - um keinen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen - eine recht wenig<br />

stichhaltige Beweisführung.<br />

Aber nun die Zeugen? Zunächst Hoess, Lagerkommandant von Auschwitz. Wir<br />

konnten sehen, was seine mündlichen (Nürnberg) <strong>und</strong> schriftlichen (in seiner<br />

Zelle in Krakau niedergeschriebenen) Zeugenaussagen zwischen einem<br />

drohenden Todesurteil <strong>und</strong> der Hoffnung auf Begnadigung oder Strafmilderung<br />

wert sind; er widersprach sich selbst darüber hinaus von Seite zu Seite, oder<br />

auch den Aussagen aller anderen Zeugen.<br />

114


Gerstein? Nachdem er seine Aussage niedergeschrieben hatte (?), war er so<br />

vorsichtig, Selbstmord zu verüben: andernfalls hätte er in Nürnberg dafür<br />

einstehen müssen, <strong>das</strong>s es Gaskammern von 25 Quadratmeter Fläche <strong>und</strong> 1,90<br />

Meter Höhe gab, in die man 750-800 <strong>Juden</strong> hineinzwang, um sie mit<br />

<strong>Die</strong>selmotor-Abgasen zu vergiften. Oder wurde dieses ganze Dokument als<br />

Mittel zum Zweck von einem schwachsinnigen Menschen fabriziert <strong>und</strong> einem<br />

erdichteten Menschen zugeschrieben? Über Herrn Dr. Miklos Nyiszly aus<br />

Ungarn, der Gaskammern von 200 Meter Länge <strong>und</strong> 1,05-2,55 Meter Breite<br />

erwähnte <strong>und</strong> sah, wie man die Toten, die man herausholte, schor, wie man<br />

täglich auf französisch 20.000, auf deutsch 10.000 <strong>Juden</strong> vergaste, kann man<br />

wohl zur Tagesordnung übergehen.<br />

<strong>Die</strong> weiteren Zeugen? Sie haben Gaskammern hingestellt <strong>und</strong> in Betrieb gesehen<br />

in Lagern, in denen es, wie wir heute wissen, keine gab (Dachau), oder sie sahen<br />

ihre Kameraden in Gaskammern ziehen, deren Existenz sie nur vom Hörensagen<br />

kannten ... <strong>und</strong> <strong>das</strong> ist die Regel.<br />

Bleibt noch der unglückliche Nachfolger von Hoess als Lagerkommandant in<br />

Auschwitz, der gegenwärtig in Frankfurt am Main inhaftiert ist <strong>und</strong> dessen<br />

Prozess vorbereitet wird. Er wird wie Hoess unter der Drohung einer schweren<br />

Strafe aussagen, so <strong>das</strong>s man seinen Angaben mit der gleichen Reserve<br />

begegnen muss, wie denen von Hoess. Das alles ist nicht ernst zu nehmen.<br />

Wenn uns in der Mitte des XX. Jahrh<strong>und</strong>erts eine historische Frage von solcher<br />

Bedeutung, an der alles in allem mehrere Millionen Personen - Henker <strong>und</strong><br />

Opfer zusammengezählt - beteiligt waren, wobei sechs Millionen in<br />

Gaskammern oder auf irgend eine andere ebenso schreckliche Art gestorben sein<br />

sollen, nicht anders belegt werden kann, als mit einer so kleinen Anzahl von<br />

Dokumenten <strong>und</strong> Zeugenaussagen von offensichtlich zweifelhafter Qualität, -<br />

dann kann man wohl ohne Gefahr eines Irrtums behaupten, <strong>das</strong>s es sich nicht um<br />

Tatsachen sondern um eine Geschichtsfälschung handelt: der tragischste <strong>und</strong><br />

makaberste Betrug aller Zeiten.<br />

E. ... <strong>und</strong> andere Kleinigkeiten<br />

Da Artikel 6 die Definition der Begriffe "Verbrechen" <strong>und</strong> "Verbrecher" bringt,<br />

ist er der Ausgangspunkt <strong>und</strong> Schlussstein der Anklage <strong>und</strong> damit der<br />

Mittelpunkt des Nürnberger Statuts.<br />

Dadurch wird der Historiker gezwungen, alle Elemente dieser Definition den<br />

Tatsachen, auf denen sie beruht, gegenüberzustellen <strong>und</strong> diese Tatsachen sowohl<br />

in ihrem historischen als auch juristischen Rahmen zu betrachten, um davon ein<br />

so genaues Bild wie möglich zu erhalten. Als Kern des Nürnberger Statuts<br />

wurde dieser Artikel 6 auch zum Mittelpunkt meiner Studie <strong>und</strong> <strong>das</strong> ist auch der<br />

Gr<strong>und</strong>, warum ich mich vor allem mit diesem Artikel beschäftige.<br />

115


Am Ende der Untersuchung drängt sich der Schluss auf, <strong>das</strong>s es sich nicht<br />

einmal um eine Definition handelt, sondern höchstens um eine ganz banale<br />

"petitio principii", <strong>das</strong> heißt, <strong>das</strong>s man <strong>das</strong>, was noch bewiesen werden muss, als<br />

wahr voraussetzt. In diesem Fall handelt es sich darum, <strong>das</strong>s man willkürlich aus<br />

der Reihe derer, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, einen<br />

auswählt <strong>und</strong> ihn verurteilt.<br />

Da die Leute, die ihn zum Verbrecher stempelten <strong>und</strong> aburteilen ließen, mit ihm<br />

zusammen Stück für Stück alle Voraussetzungen für <strong>das</strong> Verbrechen geschaffen<br />

hatten, also seine gegen ihn verbündeten Komplizen waren, konnten ihre<br />

gemeinsamen Überlegungen schwerlich zu einem anderen Schluss führen. Da<br />

diese Komplizen gleichzeitig sich selbst die richterliche Gewalt zuerkannten,<br />

musste es automatisch zu einer Verurteilung kommen, wobei die anderen Artikel<br />

des Statuts nur noch den Zweck hatten, diesen automatischen Vorgang in eine<br />

rechtsähnliche Form zu gießen.<br />

Jeder dieser Artikel stellt eine Nichtigkeitserklärung von überlieferten<br />

Rechtsgr<strong>und</strong>sätzen <strong>und</strong> Regeln dar; die wichtigsten sind bereits genannt worden:<br />

Artikel l setzt Richter ein, die gleichzeitig Partei sind, Artikel 3 bestimmt, <strong>das</strong>s<br />

diese Richter nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden können.<br />

Artikel 18 verlangt eine schnelle Justiz <strong>und</strong> eine rasche Prüfung der durch die<br />

Anklage aufgeworfenen Probleme - <strong>und</strong> zwar nur jener Probleme.<br />

Artikel 19 befreit <strong>das</strong> Gericht von der Verpflichtung, <strong>das</strong> Beweismaterial nach<br />

den überlieferten Regeln zu behandeln.<br />

Artikel 21 gibt dem Gericht <strong>das</strong> Recht, allgemein bekannte Tatsachen als wahr<br />

anzunehmen ohne zu verlangen, <strong>das</strong>s dafür ein Beweis erbracht wird.<br />

Wir haben gesehen, wie vor allem die beiden letzten Artikel es dem Gericht<br />

ermöglicht haben, Dokumente zu verwenden, die beschrieben, was sein würde<br />

wenn ... als ob sie von tatsächlichen Ereignissen handelten, (vgl. S. 70 -<br />

Dokument Hossbach); die behaupteten, es habe in Dachau Gaskammern<br />

gegeben (vgl. S. 87), oder <strong>das</strong>s 6 Millionen <strong>Juden</strong> vernichtet worden seien; kurz,<br />

diese Artikel erlaubten es dem Gericht, überhaupt alles als wahr <strong>und</strong> bewiesen<br />

anzunehmen, was nur irgendein Verschleppter über die Lager zu erzählen<br />

beliebte - wobei heute schon lange der Beweis erbracht ist, <strong>das</strong>s bei diesen<br />

Menschen der Wunsch nach Entschädigung <strong>und</strong> nach Rache viel stärker<br />

ausgeprägt war als <strong>das</strong> Bedürfnis, objektive Zeugenaussagen zu machen.<br />

Ich zitiere noch Artikel 20:<br />

"Der Gerichtshof kann vor 60 Beweisantretung Auskunft über die Natur des<br />

Beweismittels verlangen, um über seine Erheblichkeit entscheiden zu<br />

können" (IMT Bd. I S. 16).<br />

Man wollte nämlich unbedingt jeden Skandal vor der Öffentlichkeit vermeiden,<br />

<strong>und</strong> so sahen sich die Angeklagten der letzten Garantie des internationalen<br />

Rechts beraubt; des öffentlichen Charakters der Justiz.<br />

116


Wenn man noch Artikel 8 nennt, dann weiß man alles; der Rest sind nur<br />

Kleinigkeiten ohne die geringste Bedeutung. Artikel 8 sagt folgendes:<br />

"<strong>Die</strong> Tatsache, <strong>das</strong>s ein Angeklagter auf Befehl seiner Regierung oder<br />

eines Vorgesetzten gehandelt hat, gilt nicht als Strafausschließungsgr<strong>und</strong>,<br />

kann aber als Strafmilderungsgr<strong>und</strong> berücksichtigt werden, wenn dies nach<br />

Ansicht des Gerichtshofes gerechtfertigt erscheint" (IMT Bd. I, S. 12).<br />

________________<br />

60 Von mir hervorgehoben - P. R.<br />

So lernten die Deutschen 1945, <strong>das</strong>s sie seit der Machtübernahme Hitlers nicht<br />

nur <strong>das</strong> Recht, sondern die Pflicht gehabt hätten, aus Gewissensgründen als<br />

Gegner des Nationalsozialismus zu handeln. Sie wurden darüber von Juristen (!)<br />

unterrichtet, die dieses Recht ihren eigenen Volksangehörigen nicht zuerkannten<br />

61 <strong>und</strong> es seitdem auch in keinem Fall mehr angewandt haben. Man kann<br />

schaudern, wenn man sich überlegt, <strong>das</strong>s die F.L.N. bei ihrem Sieg in Algerien<br />

die Möglichkeit gehabt hätte, alle französischen Soldaten, die gegen sie<br />

gekämpft hatten, gefangen zu nehmen <strong>und</strong> unter Anwendung des Artikels 8 zu<br />

verurteilen. In Nürnberg brachten alle Anwälte Einwendungen gegen diesen<br />

Artikel vor, weil er den Begriff des Staates überhaupt in seinen Gr<strong>und</strong>festen<br />

erschüttern würde.<br />

Dr. Robert Servatius, der Verteidiger Eichmanns, drückte <strong>das</strong> Problem in seinem<br />

Plädoyer vor dem Tribunal in Jerusalem so aus:<br />

"Der Gr<strong>und</strong>satz aller Staaten ist: Vertrauen zur Führung! <strong>Die</strong> Tat ist<br />

stumm, der Gehorsam blind. Das sind die Tugenden, auf die der Staat allein<br />

bauen kann. Ob diese Tugend belohnt wird, hängt vom Erfolg der Politik<br />

ab. War die Politik erfolglos, so gilt der Befehl dem Sieger als Verbrechen;<br />

der Gehorchende hat Unglück, er hat für seine Treue zu büßen. Galgen<br />

oder Orden, <strong>das</strong> ist die Frage. Misslungen ist's gemeiner Frevel. Gelungen<br />

ist's geheiligt Tun." ("Verteidigung Adolf Eichmann", Bad Kreuznach<br />

1961, S. 75f.)<br />

In seinem Buch "Zehn Jahre <strong>und</strong> zwanzig Tage" (S. 53f.), kommentiert<br />

Großadmiral Dönitz den Artikel 8 wie folgt:<br />

"Ich gab mich, wie wohl alle älteren deutschen Seeoffiziere bei<br />

Kriegsbeginn keinen Illusionen darüber hin, wie schwer dieser Krieg sein<br />

würde. Für mich als Soldat gab es darauf eindeutig nur eine Reaktion,<br />

nämlich alles zu tun, was an mir lag, <strong>das</strong>s dieser Krieg gewonnen würde.<br />

Eine andere Einstellung kann <strong>und</strong> darf ein Soldat nicht haben. Wer in<br />

einem solchen Fall etwas anderes als Gehorsam vom Soldaten verlangt,<br />

rüttelt an den Gr<strong>und</strong>lagen des Soldatentums <strong>und</strong> gefährdet die eigene<br />

staatliche Sicherheit."<br />

117


________________<br />

61 Sie sparten nicht einmal mit Ehrungen für Menschen, bei denen einwandfrei feststand, <strong>das</strong>s sie auf Befehl<br />

teilgenommen hatten an Verbrechen, die vom Gericht selbst als solche bezeichnet waren. Beispiel: Professor<br />

Balachowsky, ein in Frankreich 1932 naturalisierter Russe, Laboratoriumsleiter am Pasteur-Institut in Paris, am 16.<br />

Januar 1944 nach Buchenwald deportiert <strong>und</strong> dort dem Block 50, dem Block 'für verbrecherische Versuche' zugeteilt.<br />

Beim Zeugenverhör in Nürnberg am 29. Januar 1946 gestand er, <strong>das</strong>s seine Versuche 'buchstäblich Mord' waren (IMT<br />

Bd. VI, S. 342). Balachowsky rechtfertigte sich damit, <strong>das</strong>s er sagte "man musste die Befehle, die man erhielt,<br />

genauestens ausführen, sonst verschwand man", (a. a. 0. S. 351). Auf ihn wandte <strong>das</strong> Gericht nicht den Artikel 8 des<br />

Statuts an, weil er "verbrecherischen Befehlen gehorcht hatte", sondern er lebt - wie gesagt - bequem in Paris, mit<br />

Ehrungen überhäuft, beschimpft aus Leibeskräften die Verbrecher - <strong>und</strong> tadelt die Deutschen, die verbrecherisch genug<br />

waren, diesen Verbrechern nicht den Gehorsam zu verweigern. Darin unterscheidet sich <strong>das</strong> Nürnberger Urteil nicht<br />

von den Urteilen des Gerichtshofs in der Fabel. Und Balachowsky ist nicht der einzige Fall!<br />

Dass die Gr<strong>und</strong>lagen des Staates überhaupt erschüttert würden, beunruhigt mich<br />

nicht, auch nicht, <strong>das</strong>s der Einzelne sich bewegt fühlen könnte vor der<br />

Befolgung eines gegebenen Befehls zuerst zu untersuchen, ob er den Prinzipien<br />

des Rechtes entspricht. Was mich beunruhigt ist der Gedanke, <strong>das</strong>s der Einzelne<br />

sich genötigt fühlen könnte, zuerst zu prüfen, ob der Befehlende wirklich der<br />

Mächtigste sei unter allen, denen der Himmel oder der Zufall die Befehlsgewalt<br />

gegeben haben.<br />

Denn hier hat eine Justiz sich wieder den Satz "Macht geht vor Recht"<br />

angeeignet.<br />

Das Statut von Nürnberg wurde im übrigen seit 1945 häufig verletzt; Das<br />

Verhalten Englands in Ägypten (1952-1954), Russlands in Ungarn (1956),<br />

Frankreichs in Indochina (1945-1954) <strong>und</strong> später in Algerien (1954-1962), von<br />

Belgien, den Vereinigten Staaten <strong>und</strong> der UNO im Kongo (1958-19..), um noch<br />

zu schweigen von Mao-Tse-Tung in China <strong>und</strong> Castro in Kuba - jeder dieser<br />

Fälle ist ein Verbrechen im Sinne des Artikels 8, <strong>und</strong> doch ist nie die Rede<br />

davon gewesen, wie in Nürnberg Gericht über die Schuldigen zu halten.<br />

*<br />

Es bleiben nur noch die Gerichtsverhandlungen...<br />

Um darüber ein genaues Bild zu geben, müssten wir den Verlauf in Einzelheiten<br />

prüfen <strong>und</strong> ebenso viele Bände mit ebenso vielen Seiten füllen, wie die<br />

Niederschrift der Debatten erforderte; 23 Bände mit durchschnittlich je 600<br />

Seiten von respektablem Format für den Ersten Prozess, weitere 77 Bände für<br />

die 13 folgenden Prozesse. Trotz der Freude, die ich als begeisterter Polemiker<br />

daran finden würde, dürfte eine solche Arbeit den Rahmen dieser Studie<br />

sprengen <strong>und</strong> wäre auch mehr eine Aufgabe für Juristen als für Historiker.<br />

Ich glaube übrigens, <strong>das</strong>s ich eine ausreichende Anzahl Beispiele mit<br />

ausreichender Genauigkeit gebracht habe, um dem Leser ein deutliches Bild zu<br />

118


vermitteln von der Art, wie die von mir zitierten Artikel des Statuts benutzt<br />

wurden.<br />

Sei es um die Verteidigung zum Schweigen zu bringen (beispielsweise<br />

über so wichtige Dinge wie den Versailler Vertrag, der übrigens von der<br />

Anklage immer wieder gegen die Angeklagten herangezogen wurde), sei es<br />

um die Aussagen offensichtlich falscher Zeugen als echt anerkennen zu<br />

können, wie die des Dr. Blaha (vgl. S. 87) oder die der Hauptsturmführer<br />

Hoettl <strong>und</strong> Wisliceny (vgl. S. 92), seien es offensichtlich zurechtgemachte<br />

Dokumente wie der Bericht Hossbach (vgl. S. 70) oder offensichtlich<br />

falsche wie der Bericht Gerstein (siehe Anhang), oder so phantasievolle<br />

Statistiken wie die aus den Memoiren von Hoess, dem Auschwitzer<br />

Lagerkommandanten destillierten (die außerdem noch von Hoess selbst<br />

dementiert werden), (vgl. S. 106) usw.<br />

Allein im ersten Prozess, also dem der Hauptkriegsverbrecher, findet man<br />

H<strong>und</strong>erte von Fällen dieser Art, deren Zahl <strong>und</strong> deren skrupellose Verwendung<br />

seitens der Richter in den 12 folgenden noch um ein Vielfaches vergrößert<br />

wurden.<br />

Zum Schluss möchte ich noch zwei der elf Verfahrensregeln erwähnen, die dem<br />

Statut zur Bemäntelung seiner Unvollkommenheiten in Hinblick auf <strong>das</strong><br />

verfolgte Ziel angehängt waren, Vorschrift Nr. 2 <strong>und</strong> Vorschrift Nr. 4.<br />

Unter dem Titel "Bekanntmachungen an die Angeklagten <strong>und</strong> Recht auf<br />

Beistand eines Rechtsanwaltes" drückt sich die erste Regel in Absatz a so aus:<br />

"Jeder einzelne in Haft befindliche Angeklagte soll nicht weniger als 30<br />

Tage vor der Hauptverhandlung in einer Sprache, die er versteht, eine<br />

Abschrift erhalten: 1. der Anklageschrift, 2. des Statuts, 3. aller sonstigen<br />

mit der Anklageschrift eingereichten Urk<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> 4. einer Darlegung<br />

seines Anspruches auf Rechtsbeistand gemäß Absatz d dieser Vorschrift,<br />

sowie einer Anwaltsliste."<br />

Über Absatz d ist nichts zu sagen. Aber Absatz c der Vorschrift Nr. 4 bringt eine<br />

wichtige Einschränkung zu den Bestimmungen der Vorschrift Nr. 2 bezüglich<br />

des Rechts auf Erhalt aller in der Anklageschrift erwähnten Dokumente, indem<br />

festgestellt wird, <strong>das</strong>s der Angeklagte sie erhält "soweit sie von den<br />

Hauptanklägern zur Verfügung gestellt werden."<br />

Daraus sieht man, <strong>das</strong>s die Verfasser des Statuts keine Vorsichtsmaßnahme<br />

außer Acht gelassen hatten. <strong>Die</strong> letztgenannte Bestimmung spielte eine viel<br />

wesentlichere Rolle mit Bezug auf die "Zeugen", als auf die "Dokumente": Es<br />

lässt sich nicht einmal abschätzen wie viele Zeugen eigentlich ihre Aussagen<br />

niederschrieben <strong>und</strong> anschließend starben, beziehungsweise von wie vielen<br />

Zeugen seitens der Generalankläger erklärt wurde, <strong>das</strong>s sie am Leben seien, aber<br />

119


"nicht vorgeführt werden könnten". Und die Tücke des Objekts wollte, <strong>das</strong>s<br />

gerade die belastendsten "Dokumente" von solchen Zeugen stammten ...<br />

Zur Handhabung der Vorschrift 2 möchte ich noch folgendes bemerken:<br />

Zunächst einmal passierte es nur sehr selten, <strong>das</strong>s die Angeklagten wirklich ihre<br />

Dokumente schon dreißig Tage vor Prozessbeginn erhielten. Nicht einen gab es<br />

unter den Angeklagten des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher, dem<br />

nicht in mindestens einer oder zwei Sitzungen plötzlich ein Dokument vorgelegt<br />

wurde, von dem mau ihm vorher keine Kenntnis gegeben hatte. Der Vorsitzende<br />

zog sich dann aus der Schlinge mit der Erklärung, <strong>das</strong>s die Anklageschrift<br />

gewisse Mängel aufwiese; bei Beendigung der Debatte konnte man dann aber<br />

feststellen, <strong>das</strong>s solche kleinere Amtspflichtverletzungen dem Urteil nichts<br />

hatten anhaben können: <strong>das</strong> lag fertig <strong>und</strong> vollständig vor. Da <strong>das</strong> Tribunal<br />

gleichzeitig die letzte Instanz war, konnte die Verteidigung nicht einmal<br />

versuchen, eine Aufhebung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> von Verfahrensmängeln zu<br />

erwirken. <strong>Die</strong>s ist darum besonders gravierend, weil die Entscheidungen in<br />

diesem ersten Nürnberger Prozess als Präzedenz-Urteile für die 12 folgenden<br />

dienten: <strong>Die</strong> Ärzte des Lagers Struthof wurden weniger auf Gr<strong>und</strong> der gegen sie<br />

erhobenen Beschuldigungen schuldig gesprochen als auf Gr<strong>und</strong> der Tatsache,<br />

<strong>das</strong>s sie bereits in Nürnberg als Schuldige bezeichnet waren, - oder so<br />

ungefähr. 62<br />

Es kommt aber noch schlimmer. Um nicht der Parteilichkeit oder der<br />

Übertreibung angeklagt zu werden, überlasse ich <strong>das</strong> Wort hier einem Mann, der<br />

dem Clan der Leute vom Gericht gewiss unverdächtig ist. Im Vorwort zu seinem<br />

Buch ("Aufstieg <strong>und</strong> Fall des <strong>Dritte</strong>n <strong>Reich</strong>es"), erzählt William L. Shirer von<br />

den Beweismitteln, auf Gr<strong>und</strong> derer zwischen den streitenden Teilen<br />

entschieden wurde:<br />

Das <strong>Dritte</strong> <strong>Reich</strong> brach im Frühjahr 1945 so schnell zusammen, <strong>das</strong>s nicht nur<br />

eine Unmenge von Geheimakten, sondern auch anderes außerordentlich<br />

wertvolles Material im Stich gelassen wurde, z. B. private Tagebücher,<br />

vertrauliche Briefe, Protokolle von streng geheimen Reden <strong>und</strong> Konferenzen<br />

<strong>und</strong> sogar Aufzeichnungen von Telefongesprächen zwischen NS-Führern, die<br />

von einer besonderen Stelle in Hermann Görings Luftfahrtministerium abgehört<br />

worden waren.<br />

So führte z. B. General Halder ein Tagebuch in Gabelsberger Kurzschrift, in <strong>das</strong><br />

er nicht nur Tag für Tag, sondern sogar St<strong>und</strong>e für St<strong>und</strong>e stichwortartige<br />

Notizen eintrug. Für die Zeit vom 14. August 1939 bis zum 24. September 1942,<br />

in der Halder Generalstabschef des Heeres war <strong>und</strong> täglich mit Hitler <strong>und</strong><br />

anderen NS-Größen zusammenkam, ist dieses Tagebuch eine einzigartige<br />

Informationsquelle.<br />

________________<br />

62 In diesem Struthof-Proieß gab Regierungskommissar Kapitän Henriet öffentlich zu, nicht beweisen zu können, <strong>das</strong>s<br />

die Versuche von Dr. Hangen mit Typhusbazillen Todesfälle verursacht hätten. Er fügte aber hinzu, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gericht<br />

120


sich leicht seine Meinung bilden könnte, indem es die Schuld der Angeklagten voraussetzte, wofür es seines Erachtens<br />

ausreichende Anhaltspunkte gäbe in den Begründungen des Urteils im ersten Nürnberger Prozess. Damals (1954)<br />

schrieb ich im Vorwort zur zweiten französischen Auflage der "Mensonge d'Ulysse":<br />

"Das muss den Leser in Erstaunen versetzen, wenn er weiß, <strong>das</strong>s auch die Nürnberger Richter sich ihre Meinung nur an<br />

Hand von Zeugenaussagen gebildet halten - Zeugenaussagen, von denen wir jetzt wissen, was sie wert waren - sowie<br />

aus dem, was <strong>das</strong> Gericht als 'die Lügen des Haagen' bezeichnete, also aus Annahmen, um dann natürlich die gleichen<br />

Überlegungen anzustellen. Somit hat der Nürnberger Prozess eine Ära eingeleitet, in der Urteile nicht mehr auf Gr<strong>und</strong><br />

juristisch bewiesener Tatsachen gefällt werden, sondern auf Gr<strong>und</strong> schlichter Vermutungen, die man aus Gerede<br />

abgeleitet hat."<br />

Außerdem sind sehr aufschlussreich die Tagebücher von Dr. Joseph Goebbels,<br />

dem <strong>Reich</strong>spropagandaminister, <strong>und</strong> General Alfred Jodl, dem Chef des<br />

Wehrmachtführungsstabes, ferner <strong>das</strong> Kriegstagebuch des<br />

Wehrmachtführungsstabes <strong>und</strong> <strong>das</strong> Tagebuch der Seekriegsleitung. <strong>Die</strong> im<br />

Schloss Tambach bei Coburg erbeuteten Akten des deutschen Marinearchivs<br />

enthalten nahezu sämtliche Signalbücher, Logbücher, Kriegstagebücher,<br />

Denkschriften usw. der deutschen Kriegsmarine seit dem Jahr 1868, in dem der<br />

Gr<strong>und</strong>stein für die moderne deutsche Flotte gelegt wurde.<br />

485 Tonnen Akten aus dem Auswärtigen Amt wurden von der 1.<br />

amerikanischen Armee in mehreren Schlössern <strong>und</strong> Bergwerken im Harz in dem<br />

Augenblick beschlagnahmt, als sie auf Befehl von Berlin verbrannt werden<br />

sollten. ... <strong>Die</strong>se Akten erwiesen sich als eine F<strong>und</strong>grube... Das gleiche gilt für<br />

andere Dokumente, zum Beispiel für die teilweise erhaltenen stenographischen<br />

Protokolle von 41 'Lagebesprechungen', die ein Nachrichtenoffizier der<br />

amerikanischen 101. Luftlandedivision in Berchtesgaden aus den verkohlten<br />

Überresten von Hitlers Akten hervorholte, sowie für die umfangreichen<br />

Aufzeichnungen von Hitlers Tischgesprächen mit alten Parteigenossen,<br />

Sekretären <strong>und</strong> Sekretärinnen während des Krieges, die sich unter Martin<br />

Bormanns Papieren befanden. H<strong>und</strong>erttausende erbeutete Dokumente wurden in<br />

Nürnberg eilig als Beweisunterlagen für den Prozess gegen die<br />

Hauptkriegsverbecher zusammengetragen." (Shirer a. a. 0. S. XIII).<br />

Ich bitte den Leser, über diese Ziffern nachzudenken: <strong>Die</strong> Akten der Marine<br />

wurden auf 60.000 Stück geschätzt, die Dokumente des Auswärtigen Amtes<br />

wiegen 485 Tonnen, alles in allem h<strong>und</strong>ert- <strong>und</strong> aberh<strong>und</strong>ert tausend<br />

Dokumente! Wen will man glauben machen, <strong>das</strong>s die ernannten Ankläger in der<br />

Zeit vom 8. August 1945 (Tag des Zusammentritts der Londoner Kommission)<br />

<strong>und</strong> dem 14. November 1945 - also in drei Monaten! - dieses Gebirge von<br />

Beweismaterial mit genügendem Ernst durcharbeiten konnten, um daraus eine<br />

historisch <strong>und</strong> juristisch stichfeste Anklageschrift zusammenzustellen? Und <strong>das</strong>s<br />

dreißig Tage für die Angeklagten <strong>und</strong> für die Verteidiger genügten, um <strong>das</strong><br />

ganze Entlastungsmaterial zu finden?<br />

121


Denn die juristische Wahrheit, für die im vorliegenden Falle die historische<br />

Wahrheit die einzige Gr<strong>und</strong>lage bietet, beruht gerade auf diesen Dingen. Um<br />

dieses ganze Material gründlich durchzuarbeiten, hätten sicher Tausende von<br />

Historikern Jahrzehnte - <strong>und</strong> vielleicht Jahrh<strong>und</strong>erte gebraucht. 63<br />

________________<br />

63 William L. Shirer sagt (a. a. 0. S. XIII):<br />

"Noch viele Jahre nach dem Kriege lagen NS-Dokumente stapelweise in einem großen Magazin der amerikanischen<br />

Armee in Alexandria (Virginia), ohne <strong>das</strong>s die amerikanische Regierung Interesse gezeigt hätte, die Kisten auch nur zu<br />

öffnen <strong>und</strong> nachzusehen, ob sie historisch wertvolles Material enthalten könnten. 1955 endlich, zehn Jahre nach Ihrer<br />

Sicherstellung, wurden diese Kisten mit den Alexandria-Dokumenten dank der Initiative der American Historical<br />

Association <strong>und</strong> dank großzügiger finanzieller Hilfe einiger privater Stiftungen geöffnet. Dann begab sich eine ganz<br />

kleine Forschergruppe alt unzulänglichen Hilfsmitteln <strong>und</strong> unzureichender Ausrüstung daran, <strong>das</strong> Material zu sichten<br />

<strong>und</strong> zu photographieren, ehe es die amerikanische Regierung - die hierbei große Eile an den Tag legte - an Deutschland<br />

zurückgab."<br />

<strong>Die</strong>se Papiermassen sind also jetzt in Deutschland, <strong>und</strong> es hängt von der deutschen Regierung ab, ob nur eine kleine<br />

Forschergruppe von privilegierten Geschichtsschreibern - privilegiert, weil sie die offiziellen Thesen unterstützen -<br />

oder alle Historiker von Ruf Zugang zu ihnen haben werden. Im Jahre 1960 habe ich im Verlauf einer Vortragsreise<br />

durch Deutschland <strong>und</strong> Österreich die deutschen Geschichtsforscher aufgefordert, einen unabhängigen Ausschuss für<br />

diese Studien zu bilden. Ich erlaube mir daran zu erinnern.<br />

Es ist ein verwirrender Gedanke, <strong>das</strong>s eine Handvoll Ankläger <strong>und</strong> Richter nach<br />

wenigen Monaten des Studiums dieses ungeheuren Aktenmaterials sich für<br />

ausreichend informiert hielten, eine Anklageschrift zu verfassen <strong>und</strong> eine<br />

Verurteilung auszusprechen. Ich weiß es: 15 Jahre später ist ihnen immer noch<br />

nicht die Schamröte ins Gesicht gestiegen.<br />

Ich warne sie jedoch. Napoleon hat den Herzog von Enghien ermorden lassen,<br />

ohne sich dessen zu schämen: aber auch Napoleon entging nicht dem<br />

Urteilsspruch der Geschichte.<br />

*<br />

Der Eichmann-Prozess warf ein heikles Problem auf. Der Leser erwartet<br />

sicherlich, <strong>das</strong>s eine Studie, die so kurz nach dem Jerusalemer Urteil erscheint,<br />

sich besonders damit beschäftigt. Aber "so wenig Zeit" ist "zu wenig Zeit", als<br />

<strong>das</strong>s der Historiker schon ein objektives Bild zeichnen könnte, ich glaube nicht,<br />

<strong>das</strong>s es jetzt schon möglich ist, viel zu den Bemerkungen, die ich im Verlauf<br />

meiner Beweisführung in diesem Werk gezogen habe, hinzuzufügen. Es scheint<br />

im Übrigen nicht so zu sein, <strong>das</strong>s der Eichmann-Prozess <strong>das</strong> Aktenmaterial um<br />

viele neue Elemente bereichert hat. <strong>Die</strong> von der Anklage vorgelegten<br />

Dokumente waren alle schon bei dem einen oder ändern der dreizehn<br />

Nürnberger Prozesse bekannt. <strong>Die</strong> Zeugen, die in Jerusalem erschienen, haben<br />

nichts gesagt, was nicht schon vorher gesagt war, <strong>und</strong> sogar mit den gleichen<br />

122


Ausdrücken. Viele von ihnen waren offensichtlich gekommen, um <strong>das</strong><br />

vorzutragen, was sie in einem der unzähligen seit 1946 veröffentlichten Bücher<br />

gelesen, nicht aber <strong>das</strong>, was sie gesehen hatten.<br />

Es erschienen Leute, um die Existenz der Gaskammern von Bergen-Belsen zu<br />

bezeugen, es kam ein Mann, der sah, wie Eichmann am 18. Juli 1942 mit<br />

Vergnügen den Bericht über <strong>das</strong> Vergasungsverfahren von Auschwitz anhörte,<br />

obwohl es doch zu dieser Zeit weder Gaskammern noch Krematorien in diesem<br />

Lager gab, da sie laut offizieller Unterlagen erst am 8. August 1942 bei der<br />

Firma Topf & Söhne in Erfurt in Auftrag gegeben waren (vgl. S. 93) usw. Es<br />

gibt nichts, einschließlich des Urteils, was nicht schon lange vorher mit<br />

Leichtigkeit vorausgesehen werden konnte. Alles in allem: es war nur der<br />

vierzehnte Nürnberger Prozess. Es scheint, <strong>das</strong>s er sich nur in einer Kleinigkeit<br />

von den andern unterscheidet: zu den Amtspflicht Verletzungen des Statuts von<br />

Nürnberg sind die des israelischen Rechts hinzugekommen. Im folgenden<br />

Kapitel wird man indessen <strong>das</strong> finden, was zurzeit schon über diesen Prozess<br />

gesagt werden kann.<br />

3. DER EICHMANN-PROZESS<br />

oder<br />

DIE NEUEN "MAITRES-CHANTEURS" VON NÜRNBERG *<br />

Am 28. Mai 1960 lief der Name Adolf Eichmann, der außer einigen Fachleuten<br />

der Geschichte des Nationalsozialismus <strong>und</strong> der Konzentrationslager bisher<br />

weitgehend unbekannt war, plötzlich durch die ganze Weltpresse. An diesem<br />

Tage war Ben Gurion, Präsident des Israelischen Staatsrats, in der Knesseth<br />

(dem israelischen Parlament) ans Rednerpult getreten <strong>und</strong> hatte den<br />

Abgeordneten gemeldet, <strong>das</strong>s "der Henker, der für den Tod von 6 Millionen<br />

<strong>Juden</strong> verantwortlich ist" am vergangenen 11. Mai aus Argentinien, wo er<br />

Asylrecht genoss, durch eine Sondergruppe des israelischen Geheimdienstes<br />

entführt worden sei, <strong>das</strong>s er sich jetzt in Tel-Aviv im Gefängnis befinde <strong>und</strong><br />

durch ein israelisches Gericht abgeurteilt werden würde.<br />

Seit diesem Tage werden die in den Gaskammern von Auschwitz <strong>und</strong> andernorts<br />

vernichteten "sechs Millionen" - eifrige Journalisten haben sogar von neun<br />

Millionen gesprochen - "Männer, Frauen, Greise <strong>und</strong> Kinder" wieder jeden<br />

Morgen der ganzen Welt zum Frühstück serviert.<br />

Nach einer Voruntersuchung von nicht weniger als 11 Monaten wurde der<br />

Prozess am 11. April 1961 in Jerusalem vor zahlreichen Journalisten aus allen<br />

Ländern der Erde eröffnet. Am 11. Dezember fällte <strong>das</strong> Gericht ein Todesurteil.<br />

Am 2. Juni 1962 wurde es vollstreckt.<br />

________________<br />

123


*Anmerkung des Übersetzers: Der im französischen Originaltext wiedergegebene Ausdruck ist doppelsinnig. Der<br />

Ausdruck hat einerseits die Bedeutung "Meistersinger" <strong>und</strong> erinnert an die Oper von Richard Wagner, andererseits<br />

versteht der Franzose unter 'maitres-chanteurs' auch so etwas wie geschickte Erpresser.<br />

Über die Persönlichkeit Eichmanns, über die Umstände, unter denen sein<br />

Prozess abrollte, über die vorgebrachten Argumente, über den politischen<br />

Rahmen, in den man die ihm vorgeworfenen Handlungen <strong>und</strong> ihre Auslegungen<br />

sehen muss, haben anscheinend die Juristen mehr als die Historiker zu sagen,<br />

<strong>und</strong> zwar aus folgenden Gründen.<br />

A. Wer ist Adolf Eichmann!<br />

Adolf Eichmann ist am 19. März 1906 in Solingen geboren (<strong>und</strong> nicht in der<br />

deutschen Kolonie Saron in Palästina; Frau Nina Gourfinkel, Verfasserin des<br />

Vorworts zur französischen Ausgabe von Joel Brands Buch "Un million de Juifs<br />

contre dix mille camions", <strong>und</strong> Inhaberin eines Ehrenplatzes in der langen Reihe<br />

der aus dem "Resistenzialismus" geborenen Historiker wollte ihm diesen<br />

Geburtsort zudiktieren). Eichmanns Vater war Prokurist bei der Verwaltung der<br />

städtischen Straßenbahnen. Im Jahre 1913 übersiedelte die Familie Eichmann<br />

nach Linz, wo der Vater zunächst eine Zeitlang die gleiche Position hatte wie in<br />

Solingen, dann aber in Pension ging <strong>und</strong> ein Geschäft in Elektrogeräten<br />

eröffnete. 1913 bestand die Familie aus dem Vater, der Mutter <strong>und</strong> Adolf; von<br />

den 5 Kindern, die ihr später angehörten (darunter eines aus der zweiten Ehe des<br />

Vaters), war nur der Älteste <strong>Reich</strong>sdeutscher, die vier andern Österreicher. In<br />

den 30er Jahren unter B<strong>und</strong>eskanzler Dollfuß hatte dies große praktische<br />

Nachteile, denn der Älteste konnte als Ausländer in Österreich keine Arbeit<br />

finden. Da seine Familie Beziehungen zu dem damaligen Leiter der<br />

Nationalsozialisten Österreichs in Linz, Kaltenbrunner, hatte, wurde er<br />

hauptamtlich Parteifunktionär, aber in Deutschland, in Passau, da eine solche<br />

Tätigkeit ihm in Österreich erst recht nicht erlaubt war. So begann die Karriere<br />

Adolf Eichmanns ...<br />

Allmählich erkletterte er die Stufenleiter der SS bis zum Obersturmbannführer<br />

(Oberstleutnant) des <strong>Reich</strong>ssicherheitshauptamtes(RSHA), in dem er der<br />

<strong>Die</strong>nststelle IV B 4 (Jüdische Angelegenheiten) vom Augenblick ihrer<br />

Errichtung im Jahre 1936 an, zugeteilt wurde. Man muss den Mann im Rahmen<br />

seiner Stellung in diesem Amt sehen, wenn man den Grad seiner Verantwortung<br />

für <strong>das</strong> jüdische Drama erkennen will.<br />

Das RSHA bestand aus sieben Abteilungen, die alle mit der Wahrnehmung<br />

bestimmter Aufgaben betraut waren. In der Gruppe B (es gab zwei Gruppen: A<br />

<strong>und</strong> B) der IV. Abteilung war Eichmann der Chef der 4. Untergruppe, über ihm<br />

in der Beamten-Hierarchie gab es als Leiter aller Untergruppen der Gruppe IV/B<br />

einen Oberst Müller, von dem niemals gesprochen wurde (er soll gegenwärtig<br />

124


ein hoher Polizei-Beamter in Deutschland östlich des eisernen Vorhangs sein<br />

oder gewesen sein).<br />

Über Müller stand ein Oberst Roth als Chef der beiden Gruppen A <strong>und</strong> B der<br />

Abteilung IV. Über Roth war Kaltenbrunner 64 Leiter aller sieben Abteilungen.<br />

Als oberster Chef fungierte Heinrich Himmler. Obersturmbannführer Adolf<br />

Eichmann stand im RSHA also an fünfter Stelle in der Stufenleiter der Beamten<br />

<strong>und</strong> zwar nur mit der Durchführung von Entscheidungen betraut, die auf höherer<br />

Ebene, von Himmler selbst, getroffen wurden - wenigstens bis zum Jahre 1943<br />

als Himmler Minister wurde.<br />

Im nationalsozialistischen Regierungsapparat gab es also viele Beamte, die <strong>das</strong><br />

gleiche Maß an Verantwortung trugen wie Eichmann. Im März 1942, als die<br />

Massendeportation der <strong>Juden</strong> begann, wurde <strong>das</strong> Büro IV B 4 beauftragt, den<br />

Transport in die Konzentrationslager zu organisieren. Ähnlich hatte die<br />

<strong>Die</strong>nststelle, an deren Spitze Pohl stand, die Aufgabe erhalten, die Verpflegung<br />

jener Lager zu regeln, <strong>und</strong> eine andere musste die <strong>Juden</strong> erfassen <strong>und</strong> sammeln.<br />

Der Gesamtkomplex der Maßnahmen gegen die <strong>Juden</strong> wurde jedoch auf<br />

Regierungsebene entschieden. Eichmann hatte nur mit der Durchführung dieser<br />

Entscheidungen in den ihm gezogenen Grenzen zu tun.<br />

Aus diesen Überlegungen heraus ergibt sich <strong>das</strong> Ausmaß seiner Verantwortung<br />

<strong>und</strong> Schuld. Es ist <strong>das</strong> Drama des Individuums in allen traditionellen<br />

Gesellschaftsstrukturen, <strong>das</strong>s ihm unter Androhung schwerer Strafe <strong>das</strong> Recht,<br />

nach seinem Gewissen zu handeln, versagt ist. Der Jerusalemer Prozess hat es<br />

offenk<strong>und</strong>ig gemacht, <strong>das</strong>s Eichmann ab 1941 vor die gleiche dramatische<br />

Alternative gestellt war, wie in Buchenwald Professor Balachowsky vom Pariser<br />

Institut Pasteur, der von Dr. Ding-Schuler gezwungen wurde, an Häftlingen<br />

Impfversuche vorzunehmen, obwohl er selbst zugab (vgl. Fußnote 61), <strong>das</strong>s<br />

diese Versuche Morde bedeuteten. Ich sagte "vor die gleiche Alternative". Denn,<br />

wenn es einen Unterschied gibt, so nur in den Beweggründen: während der<br />

Obersturmbannführer mit seiner nur durchschnittlichen Bildung angab, <strong>das</strong>s er<br />

aus Vaterlandsliebe <strong>und</strong> mit Rücksicht auf die Staatsräson gehorcht hätte,<br />

erklärte der Professor, dessen hohen Bildung nicht angezweifelt werden kann,<br />

<strong>das</strong>s sein Gehorsam bedingt war durch den Wunsch, "nicht zu verschwinden".<br />

Dass dieser Unterschied letzten Endes für den einen zum Strick, für den andern<br />

zu hohen Ehren geführt hat, ist hier <strong>das</strong> ganze Problem.<br />

________________<br />

64 Der erste Verantwortliche für <strong>das</strong> RSHA war Heydrich, der durch tschechische Widerständler im Juni 1942<br />

ermordet wurde. Kaltenbrunner wurde sein Nachfolger.<br />

Wenn es, wie die traditionelle Moral behauptet, richtig ist, <strong>das</strong>s vor allem der<br />

Beweggr<strong>und</strong> zählt, dann muss man sagen, <strong>das</strong>s die Rollen in diesem Falle von<br />

der Gerechtigkeit schlecht verteilt wurden.<br />

125


B. <strong>Die</strong> Umstände des Prozesses<br />

Völkerrechtlich wie moralisch gesehen stand Adolf Eichmann als Angeklagter<br />

vor einem israelischen Gericht unter Bedingungen, die eine Beleidigung sowohl<br />

des Rechtes wie der Moral darstellen. Niemand hat <strong>das</strong> klarer festgestellt als<br />

Rechtsanwalt Raymond de Geouffre de la Pradelle in einem Aufsatz im "Figaro"<br />

vom 9. Juni 1960. Es ist am besten, ihm <strong>das</strong> Wort zu überlassen. Meine<br />

Zuständigkeit für diese juristischen Fragen mag leicht angezweifelt werden;<br />

seine Kompetenz wird kaum bestritten werden können. <strong>Die</strong>s sagt Raymond de<br />

Geouffre de la Pradelle zunächst, ohne Berücksichtigung der Schuldfrage:<br />

"<strong>Die</strong> alliierten Gerichtsverfahren während der Nachkriegszeit gründen sich<br />

auf den Londoner Vertrag vom 8. August 1945 <strong>und</strong> die Deklaration von<br />

Moskau vom 30. Oktober 1943, auf die der Londoner Vertrag ausdrücklich<br />

Bezug nimmt.<br />

Man ging aus von dem Gr<strong>und</strong>satz, <strong>das</strong>s die Kriegsverbrecher den Behörden<br />

jener Länder überstellt werden sollten, in denen sie ihre Kriegsverbrechen<br />

verübt hätten.<br />

Darüber hinaus hat <strong>das</strong> Statut von London vom 8. August 1945 den<br />

Internationalen Militärgerichtshof geschaffen zur Aburteilung jener<br />

Verbrecher, deren Verbrechen geographisch nicht genau lokalisiert werden<br />

können. - <strong>Die</strong>ses Londoner Statut wurde von den Alliierten veröffentlicht<br />

nachdem der damalige Chef der <strong>Reich</strong>sregierung, Großadmiral Dönitz, am<br />

8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet hatte, wodurch<br />

den Alliierten <strong>das</strong> Recht zur Ausübung der deutschen Souveränität<br />

zugefallen war.<br />

Kein internationaler Rechtssatz verleiht dem Staat Israel die Zuständigkeit,<br />

einen Ausländer vor Gericht zu stellen, dem Verbrechen gegen die<br />

Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, die im<br />

Ausland begangen worden sind. Außerdem konnte es sich damals nicht um<br />

Opfer israelischer Nationalität handeln, da es den Staat Israel noch nicht<br />

gab. Der Staat Israel ist souverän. Innerhalb der Grenzen seines Gebiets<br />

kann Israel sich nach Belieben durch ein besonderes Gesetz jede juristische<br />

Kompetenz zuerkennen, die es haben will. Aber ein solches Gesetz verstößt<br />

gegen die allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätze des Rechts <strong>und</strong> gegen die internationale<br />

Regel der Kompetenz, die für Verbrechen mit vorwiegend internationalem<br />

Charakter gilt. Da die Verbrechen in Deutschland zu einer Zeit begangen<br />

sind, in der <strong>das</strong> deutsche Recht sie nicht als solche ansah, sind sie nur im<br />

Sinne des internationalen Rechts Verbrechen".<br />

Und Raymond de Geouffre de la Pradelle schließt daraus, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> einzige<br />

gesetzlich zulässige Verfahren ein Auslieferungsgesuch Deutschlands an<br />

Argentinien gewesen wäre. Es könnte nicht besser ausgedrückt werden. Aber<br />

Argentinien hatte Eichmann Asylrecht gewährt, was wahrscheinlich der Gr<strong>und</strong><br />

126


ist, warum Deutschland - wie jedes andere Land unter den gleichen Umständen -<br />

dessen Auslieferung nicht verlangt hat. Verlangt etwa Frankreich heute von<br />

Spanien die Auslieferung zahlreicher französischer Bürger, die es zwar als<br />

Verbrecher ansieht, denen aber Spanien <strong>das</strong> Asylrecht zugestanden hat? Selbst<br />

Napoleon III forderte von England nicht die Auslieferung Victor Hugos.<br />

Frankreich hat weder aus Spanien noch aus Argentinien Menschen entführt. Das<br />

einzige mit dem Fall Eichmann vergleichbare Beispiel aus der Geschichte ist die<br />

Entführung des Herzogs von Enghien durch Napoleon I., <strong>und</strong> weder <strong>das</strong> Recht<br />

noch die Geschichte haben es dem Kaiser verziehen.<br />

Der Leser wird mich entschuldigen, wenn ich es vorgezogen habe, statt die<br />

immer anfechtbaren Prinzipien der Moral ins Feld zu führen, Belege zu bringen:<br />

obwohl sie nüchterner sind, zeigen sie, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Verfahren gegen Eichmann die<br />

Züge eines Moskauer Prozesses aufweist, <strong>und</strong> wenn Eichmann schuldhafte<br />

Handlungen vorgeworfen werden können, so sind diese dann durch die<br />

unentschuldbare Entführung in den Hintergr<strong>und</strong> getreten. In den Augen der<br />

Nachwelt wird der heute Verurteilte vielleicht mehr als ein Opfer denn als ein<br />

Henker erscheinen.<br />

C. <strong>Die</strong> Anklage <strong>und</strong> ihr politischer Rahmen<br />

<strong>Die</strong> Anklage wurde erheblich durch ihr Leitmotiv geschwächt: die in ihrer<br />

Masse in Gaskammern vernichteten sechs Millionen <strong>Juden</strong>. 65 Gleich nach dem<br />

kriege, als die Verwirrung in den Köpfen <strong>und</strong> in der Welt überhaupt, ihren<br />

Höhepunkt erreicht hatte, war es leicht, jene Behauptung zu verbreiten. Seitdem<br />

aber ist viel Tatsachenmaterial bekannt geworden, <strong>das</strong> zur Zeit des Nürnberger<br />

Prozesses noch nicht zur Verfügung stand, <strong>und</strong> diese Unterlagen lassen den<br />

Schluss zu, <strong>das</strong>s die <strong>Juden</strong> von der Hitler-Regierung zwar übel bekämpft <strong>und</strong><br />

verfolgt wurden, <strong>das</strong>s es dabei aber unmöglich sechs Millionen Opfer gegeben<br />

haben kann.<br />

________________<br />

65 <strong>Die</strong>se Zahl wurde nur von der Presse <strong>und</strong> den Zeugen genannt. <strong>Die</strong> Anklageschrift von Gideon Hausner spricht -<br />

wir wissen es bereits - nur von "Millionen". Das ist der erste Schritt auf dem Wege zu einem Geständnis in Sachen<br />

dieses offensichtlichen Schwindels.<br />

Seit dem Tage, an dem man begann sich mit der Höhe dieser Zahl zu<br />

beschäftigen <strong>und</strong> seit fast allgemein 66 zugegeben wird, <strong>das</strong>s sie beträchtlich<br />

übertrieben ist, hat man sich auch mit dem Vernichtungsmittel näher befasst. Es<br />

steht heute beispielsweise fest, <strong>das</strong>s es keine Gaskammern in Buchenwald,<br />

Bergen-Belsen, Dachau <strong>und</strong> Mauthausen gab, so <strong>das</strong>s Zeugen, die öffentlich der<br />

Lüge überführt wurden als sie behaupteten, dort Gaskammern in Betrieb<br />

gesehen zu haben, nun natürlich auch keinen Glauben mehr finden, wenn sie <strong>das</strong><br />

gleiche von Auschwitz erklären.<br />

127


Man glaubt ihnen umso weniger, als sie sich sogar noch untereinander<br />

widersprechen; denn wenn man dem einen glaubt" muss man die Äußerungen<br />

des ändern anzweifeln. Was kann man bei solchen Widersprüchen anderes tun,<br />

als die Zeugen davon zu jagen <strong>und</strong> ihnen allen miteinander vorzuwerfen, <strong>das</strong>s<br />

sie Märchen erzählen!?<br />

Wenn man andererseits aus der Reihe der Belastungszeugen diesen oder jenen<br />

hervorzieht, ihn der öffentlichen Meinung vorführt, <strong>und</strong> beweist, <strong>das</strong>s er nicht<br />

besser ist als die Angeklagten, sei es, <strong>das</strong>s er ihr Komplize war, sei es, <strong>das</strong>s er<br />

dem "Intelligence Service" angehörte ... so finden sich immer wieder zusätzliche<br />

Unappetitlichkeiten auf der Weste des vorgeführten Zeugen.<br />

Das war zum Beispiel der Fall bei dem Obergruppenführer <strong>und</strong> General der<br />

Waffen-SS von dem Bach-Zelewsky, dem Chef einer jener bekannten<br />

Einsatzgruppen, einer Art Freikorps, die mit der Jagd auf Partisanen <strong>und</strong> <strong>Juden</strong><br />

an der Ostfront beauftragt waren. Dank ihm kennt man die Tätigkeit dieser<br />

Einheiten <strong>und</strong> sogar den Text einer "Anfang 1941" (ohne genauere Angaben) in<br />

Weselberg gehaltene Rede, in der der <strong>Reich</strong>sführer SS erklärt haben soll, <strong>das</strong>s<br />

"es <strong>das</strong> Ziel des Ostfeldzuges sei, die slawische Bevölkerung um 30 Millionen<br />

zu verringern", aber kein anderer hörte die Rede <strong>und</strong> der Text wurde nicht<br />

gef<strong>und</strong>en. (Nürnberg, Sitzung vom 7. 1. 1946, IMT Bd. IV, S. 535). Am 16.<br />

Januar 1961 musste man diesen von dem Bach-Zelewsky wegen "eines mit<br />

kalter Überlegung am 2. Juli 1934 verübten politischen Mordes, wegen der<br />

Beteiligung an Grausamkeiten bei der Niederschlagung des Warschauer Auf<br />

Standes im Jahre 1944, bei der Partisanenbekämpfung während des Russland-<br />

Feldzuges sowie wegen Erschießung von polnischen Geiseln in Sosnovitz-<br />

Bendzin" verhaften. (Zeitungen vom 17. Januar 1961) Am 11. Februar 1962<br />

wurde er zu 4,5 Jahren Gefängnis verurteilt, was beweist, <strong>das</strong>s die<br />

Rechtsprechung seit Nürnberg sehr nachsichtig geworden ist.<br />

________________<br />

66 Auch von Leuten, die die Zahl zwar weiterhin in der Presse erwähnen, im persönlichen Gespräch aber weit<br />

vorsichtiger sind!<br />

<strong>Die</strong> moralische Anfälligkeit vieler Belastungszeugen wurde auch wieder<br />

sichtbar, als die englische Zeitschrift "Week-End" am 25. 1. 1961 ein Photo<br />

Hoettls mit der folgenden Unterschrift brachte:<br />

"THE SPY STORY<br />

that's stranger than fiction<br />

He was a friend of Nazi leaders<br />

His real boss was a British secret<br />

service man."<br />

128


So erfuhr man denn, <strong>das</strong>s der Hauptzeuge für die Behauptung, <strong>das</strong>s die<br />

Nationalsozialisten sechs Millionen <strong>Juden</strong> 67 vernichtet hätten, ein Agent des<br />

Intelligence Service war !! ...<br />

Bezüglich der politischen Zusammenhänge, in die man den Prozess einordnen<br />

muss, wäre zu ergänzen, <strong>das</strong>s Rechtsanwalt Raymond de Geouffre de la Pradelle<br />

nicht der einzige gewesen ist, der gegen die Entführung Eichmanns protestierte<br />

<strong>und</strong> den Jerusalemer Richtern die Zuständigkeit absprach. Selbst in jüdischen<br />

Kreisen gab es vor Beginn des Prozesses <strong>und</strong> nach der Verurteilung des<br />

Angeklagten einigen Wirbel.<br />

________________<br />

67 Es ist angebracht, hier festzustellen, <strong>das</strong>s diese Zahl sich nur auf zwei Zeugenaussagen stützt: Hoettl <strong>und</strong> Wisliceny<br />

(vergl. S. 90). Der erstere, Dr. Wilhelm Hoettl, erklärte den Nürnberger Richtern:<br />

•Im August 1944 unterhielt ich mich mit dem mir seit 1931 bekannten SS-Obersturmbannlührer Adolf Eichmann. <strong>Die</strong><br />

Unterhaltung fand in meiner Wohnung in Budapest statt. Eichmann war zu diesem Zeitpunkte nach meinem Wissen<br />

Abteilungsleiter im Amte IV (Gestapo) des <strong>Reich</strong>ssicherheitshauptamtes ... Er gab seiner Überzeugung Ausdruck, <strong>das</strong>s<br />

der Krieg nunmehr für Deutschland verloren sei <strong>und</strong> er damit für seine Person keine weitere Chance mehr habe. Er<br />

wisse, <strong>das</strong>s er von den Vereinigten Nationen als einer der Hauptkriegsverbrecher betrachtet werde, weil er Millionen<br />

von <strong>Juden</strong>leben am Gewissen habe. Ich fragte ihn, wie viele <strong>das</strong> seien, worauf er antwortete, die Zahl sei zwar ein<br />

großes <strong>Reich</strong>sgeheimnis, doch würde er sie mir sagen, da ich auch als Historiker dafür Interesse haben müsste. Er habe<br />

kurze Zeit vorher einen Bericht für Himmler gemacht, da dieser die genaue Zahl der getöteten <strong>Juden</strong> wissen wollte. Er<br />

sei auf Gr<strong>und</strong> seiner Informationen dabei zu folgendem Ergebnis gekommen: In den verschiedenen Vernichtungslagern<br />

seien etwa vier Millionen <strong>Juden</strong> getötet worden, während weitere zwei Millionen auf andere Weise den Tod fanden<br />

(IMT, Band XXXI, S. 85f".<br />

Der zweite Zeuge gab vor Gericht an:<br />

Er (Eichmann) sagte: Er würde lachend in die Grube springen, denn <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s er fünf Millionen Menschen auf<br />

dem Gewissen hatte, wäre für ihn außerordentlich befriedigend (IMT Bd. IV S. 412).<br />

Von diesen beiden Zeugenaussagen meint sogar Poliakov: 'Man könnte einwenden, <strong>das</strong>s eine so unvollkommen<br />

untermauerte Zahl als verdächtig angesehen werden müsste'. (in der französischen Zeitschrift "Revue de l'Histoire de la<br />

seconde guerre mondiale", Oktober 1956). Was er nicht sagt! Von diesen beiden Zeugen war der eine ein Agent des<br />

'Intelligence Service', während der andere, der die Unterschrift Himmlers unter einem Vernichtungsbefehl gesehen hat<br />

(vergl. S. 9C) sich - um Gnade zu finden - der Justiz zur Verfügung gestellt hatte, um den von ihm belasteten<br />

Eichmann wieder aufzufinden, dann aber trotz seines Entgegenkommens als Komplize Eichmanns gehenkt wurde.<br />

In der Zeitung "Le Monde" vom 21. Juni 1960 konnte man beispielsweise über<br />

die Ansicht des "American Council for Judaism", der die Mehrheit der <strong>Juden</strong> in<br />

Amerika vertritt, lesen:<br />

"Der American Council for Judaism (der amerikanische Rat des<br />

<strong>Juden</strong>tums) hat gestern, Montag, Christian Herter (damals US-<br />

Außenminister) einen Brief geschrieben, in dem der israelischen Regierung<br />

<strong>das</strong> Recht abgesprochen wird, für alle <strong>Juden</strong> zu sprechen. Der Rat erklärt,<br />

<strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>Juden</strong>tum eine Religion, nicht eine Nation ist, <strong>und</strong> bittet Mr.<br />

129


Herter, der Anmaßung der israelischen Regierung, sie werde Eichmann im<br />

Namen des <strong>Juden</strong>tums aburteilen, zu widersprechen."<br />

Darauf antwortete Nahum Goldman, Präsident des Jüdischen Weltkongresses,<br />

dem die Angelegenheit sehr peinlich war, gewissermaßen um sich gegen den<br />

Vorwurf der Anmaßung zu verteidigen:<br />

"<strong>Die</strong> israelischen Behörden haben zugegeben, <strong>das</strong>s der Vorgang<br />

offensichtlich im Widerspruch zu den argentinischen Gesetzen steht. Er<br />

könnte überdies einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Aber der ganze<br />

Fall ist so außergewöhnlich, <strong>das</strong>s die Illegalität des Vorgangs nicht <strong>das</strong><br />

einzige oder hauptsächliche Element in der Beurteilung der Angelegenheit<br />

sein darf ... Der Staat Israel kann nicht behaupten, <strong>das</strong> ganze Weltjudentum<br />

zu vertreten, aber da er besteht <strong>und</strong> da es ihm gelang, Eichmann zu fangen,<br />

bin ich damit einverstanden, <strong>das</strong>s er im Hebräischen Staat vor Gericht<br />

gestellt wird. Wenn Ben Gurion den Eichmannprozess zu einem zweiten<br />

Nürnberg machen will, würde er sicher an Ansehen gewinnen, wenn er<br />

dem israelischen Vorsitzenden eines 'ad hoc' einzuberufenden<br />

Gerichtshofes Vertreter aller Länder, die <strong>das</strong> Joch des ehemaligen SS-<br />

Obersten ertragen mussten, beistellen würde."<br />

Aber selbst dies wurde von der israelischen Regierung nicht akzeptiert. Es war<br />

ja auch keine Rechtsfrage, die der Staat Israel mit diesem Prozess lösen wollte,<br />

sondern ein politisches Problem. Man wusste, <strong>das</strong>s die Entschädigungen, die<br />

Deutschland an Israel als Reparation für Schäden zahlte, die dieser Staat nicht<br />

erlitten 68 hat, am 1. Januar 1962 auslaufen würden.<br />

________________<br />

68 Es ist daran zu erinnern, <strong>das</strong>s der Staat Israel erst 1948 gegründet wurde <strong>und</strong> <strong>das</strong>s die Nazi-Opfer Angehörige<br />

verschiedener Staaten waren - nur nicht Israels, da dieser Staat damals noch nicht existierte. <strong>Die</strong> gezahlten<br />

Entschädigungen scheinen übrigens bei den Zigeunern zu gewissen Hoffnungen geführt zu haben, so <strong>das</strong>s man sagen<br />

kann, der Staat Israel <strong>und</strong> der Zionismus haben Schule gemacht. Nach Angaben von ,Le Monde' vom 29. 12. 1961<br />

haben die Zigeuner jetzt einen König namens S. M. Vaida Voievod III eingesetzt, der sich <strong>das</strong> geistige Oberhaupt des<br />

Volkes der Zigeuner nennt <strong>und</strong> von der UNO einen Winkel auf der Erde zu erhalten wünscht, auf dem die große<br />

Irrfahrt seiner Karawanen ein Ende nimmt, so wie die Schaffung des Staates Israel - theoretisch - die jüdische Diaspora<br />

beendigen musste. Wenn man Voievod fragt, welchen Winkel er fordert <strong>und</strong> wo er liegt, dann antwortet er, es handle<br />

sich um Romanestan, <strong>und</strong> er lokalisiert es manchmal auf einer Insel des Stillen Ozeans, manchmal in einem Land ...<br />

nahe Israel. Er behauptet außerdem, <strong>das</strong>s sich die Zahl seiner Untertanen, die auf allen Straßen Europas<br />

herumwandern, auf zwölf Millionen beläuft <strong>und</strong> <strong>das</strong>s sie noch höher wäre, wenn nicht die Nazis zwischen 1939 <strong>und</strong><br />

1945 dreieinhalb Millionen vernichtet hätten ...<br />

Es ist durchaus nützlich, diese Überlegungen mit denen des Professors Shalom Baron von der Columbia-Universität zu<br />

vergleichen (Anm. 33). Aber hier gibt es Statistiken, die die Verluste der Zigeuner durch die Nationalsozialisten auf<br />

300.000 bis 350.000 beziffern - was natürlich auch schon schlimm genug ist. Andererseits ist es noch nicht so weit,<br />

<strong>das</strong>s wir jetzt befürchten müssen, als "Antiromanestanisten" angeprangert zu werden (während wir natürlich als<br />

130


"Antisemiten" gebrandmarkt werden, sobald wir über die phantasiereichen Statistiken der Jüdischen<br />

Dokumentenzentrale sprechen). Jedenfalls riskieren wir nicht, gleichermaßen verdächtigt zu werden, wenn wir etwas<br />

ironisch von den 3.500.000 Nazi-Opfern unter den Untertanen des Königs Vaida Voievod III sprechen - <strong>und</strong> daher<br />

wagen wir es auch. Wenn die UNO den Zigeunern eines Tages <strong>das</strong> Recht zubilligen sollte, sich in Romanestan, dessen<br />

geographische Lage noch festzustellen wäre, zu sammeln, dann bliebe Deutschland wohl nichts anderes übrig als auch<br />

sie zu ernähren. Denn wenn man dem Staat Israel eine so erhebliche materielle Entschädigung zuspricht für die Opfer,<br />

die der Nationalsozialismus dem Jüdischen Volk abgefordert hat, so dürfte es schwer fallen, Romanestan ein Gleiches<br />

zu verweigern. <strong>Die</strong> 3.500.000 vernichteten Zigeuner würden den 6.000.000 umgebrachten <strong>Juden</strong> die Schlagzeilen der<br />

Weltpresse streitig machen. Pater Fleury, der General-Almosenier der Zigeuner Frankreichs, hat allerdings vor Seiner<br />

Majestät Vaida Voievod III gewarnt <strong>und</strong> ihn einen Betrüger genannt - <strong>und</strong> viele Leute teilen seine Ansicht. Eine viel<br />

geringere Anzahl von Menschen ist der Meinung, <strong>das</strong>s die Politik der Führer des Staates Israel <strong>und</strong> ihrer Helfer ebenso<br />

wenig begründet sei wie die Seiner Majestät, <strong>und</strong> ebenso wenig verdiene ernst genommen zu werden, sie hat aber<br />

Erfolg gehabt.<br />

Seine Majestät hatte einen Anspruch darauf, in diesem Zusammenhang erwähnt zu werden, da durch seine burleske<br />

Geschichte die nahe Verwandtschaft zwischen dem Nachkriegszionismus <strong>und</strong> dem 'Romanestanismus' deutlich<br />

sichtbar wird.<br />

Da jede Jahresrate 200 Millionen DM beträgt, drohte eine der wichtigsten<br />

Einnahmequellen des Staates zu versiegen. Das war umso schlimmer, als der<br />

israelische Haushalt eine finanzielle Hilfe von solcher Bedeutung nicht<br />

entbehren kann: seit zwölf Jahren lebt Israel fast nur von deutschen<br />

Reparationen, amerikanischer Hilfe, französischen <strong>und</strong> britischen Gefälligkeiten<br />

<strong>und</strong> von Zahlungen der Diaspora. Natürlich wollte die israelische Regierung klar<br />

<strong>und</strong> deutlich die Fortsetzung der deutschen Reparationen während eines<br />

weiteren Zeitabschnittes erreichen, <strong>und</strong> nicht weniger verständlich dachte<br />

Deutschland, <strong>das</strong>s es jetzt genug sei. Also ist nicht Eichmann der Angeklagte,<br />

sondern Deutschland, dessen gesamte politische Führung durch diesen Prozess<br />

mit einer Anklage vor dem Weltgewissen bedroht wurde: Alle Minister <strong>und</strong> die<br />

wichtigsten Mitarbeiter Konrad Adenauers waren in Gefahr, des Einvernehmens<br />

mit dem Nationalsozialismus beschuldigt zu werden. Es handelte sich da um<br />

nichts anderes als einen Erpressungsversuch: entweder ging Deutschland auf <strong>das</strong><br />

vorgeschlagene Geschäft ein, oder aber die deutsche Regierung wäre unmöglich<br />

geworden. Zumindest war <strong>das</strong> eine Strategie, die man den Führern des Staates<br />

Israel zutrauen konnte. Und durch ein bemerkenswertes Zusammentreffen passte<br />

sie gut zu den Ideen des Kreml.<br />

<strong>Die</strong>se These habe ich in vielen Zeitungen, die nicht der Sympathie gegenüber<br />

Deutschland oder der Feindseligkeit gegenüber den <strong>Juden</strong> verdächtig sind,<br />

vertreten gef<strong>und</strong>en. Charakteristisch ist die Stellungnahme von "Le Canard<br />

endiaine" vom 12. April 1961, am Tage nach der Eröffnung des Prozesses:<br />

"Der Eichmann-Prozess wird einerseits gegen Hitler-Deutschland,<br />

andererseits gegen <strong>das</strong> Deutschland Konrads geführt werden. Gewisse<br />

131


Leute - um die Israeli nicht direkt mit Namen zu nennen - meinen, es sei<br />

nicht ihre Schuld,<br />

sie interessierten sich nur für den Prozess gegen den Nationalsozialismus,<br />

Eichmann wäre ihnen vollkommen egal, <strong>und</strong> verdoppeln dann ihre<br />

Anschuldigungen gegen Adenauer, weil er in seiner Regierung nicht<br />

wenige ehemalige Nazis hat, wie zum Beispiel den von ihm bevorzugten<br />

Staatssekretär Globke, den eifrig-ergebenen Kommentator der Nürnberger<br />

Rassengesetze. Man erwartet, <strong>das</strong>s im Verlauf des Prozesses die Namen<br />

von h<strong>und</strong>erten <strong>und</strong> aberh<strong>und</strong>erten Menschen genannt werden, die<br />

augenblicklich in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland eine Rolle spielen.<br />

Massen von Richtern, Offizieren, Abgeordneten, hohen Beamten,<br />

Professoren usw. werden kompromittiert sein, <strong>das</strong>s es nur so eine Art hat.<br />

Kurz, eine tolle Propaganda für Bonn. Manche Leute belieben auch noch<br />

zu sagen, <strong>das</strong>s Nikita nicht zögern wird, mitten im Prozess ganz trocken<br />

von neuem die Berlin-Frage in dem Augenblick aufzurollen, in dem die<br />

öffentliche Meinung deutlich gegen Deutschland eingestellt sein wird."<br />

Am 29. März 1961, zwei Wochen vorher, hatte die Zeitschrift schon folgendes<br />

geschrieben:<br />

"Einige Tage nach Eichmanns Gefangennahme hörte Ben Gurion, der<br />

Vorträge in den USA hielt, <strong>das</strong>s ein gewisser Konrad nach Washington<br />

gekommen war, um mit Ike zu plaudern. B. G. nahm <strong>das</strong> erste beste Taxi<br />

<strong>und</strong> sauste zu Adenauer.<br />

Mit einem gewissen Lächeln trat er ein; beim Herausgehen lachte er sich<br />

tot <strong>und</strong> beim genauen Hinsehen hätte man in einer Falte seiner Krawatte -<br />

obwohl er nie eine trägt - so etwas wie einen Scheck über 500 Millionen<br />

DM entdeckt. Deutschland fing wieder an zu zahlen. Endlich - - -<br />

<strong>Die</strong> Israelis lassen sich nicht irre machen, wenn man ihnen solche<br />

Einzelheiten erzählt: Prozesse sind teuer, sagen sie, <strong>und</strong> reiben sich die<br />

Hände."<br />

Ich weiß nicht, ob Adenauer die 500 Millionen DM gegeben hat oder nicht;<br />

beide Hypothesen lassen sich durchaus vertreten. Aber wenn er die 500<br />

Millionen DM wirklich gegeben hat, dann sind <strong>das</strong> wenig mehr als zwei<br />

Jahresraten. Dafür hätte man angeblich dem Kanzler zugesichert, <strong>das</strong>s gewisse<br />

Dinge nicht zur Sprache gebracht würden. Wie dem auch sei, diese Dinge<br />

wurden wirklich nicht erwähnt. 69<br />

________________<br />

69 <strong>Die</strong> deutsche Presse, die darin die Ansichten der Regierung teilt ('<strong>Die</strong> Welt', 'Frankfurter Allgemeine', 'Süddeutsche<br />

Zeitung' usw.) hat einmütig die Erleichterung, die man beiderseits über den Verlauf des Prozesses empfindet betont.<br />

Vor der ersten Sitzung. erklärt uns die Pariser Zeitung 'Le Monde' vom 16. 12. 61, erwartete man in Bonn, <strong>das</strong>s der<br />

Prozess die Schlagzeilen der Zeitungen über Wochen, ja Monate, bilden <strong>und</strong> zu einem Wiederaufleben der<br />

132


antideutschen Gefühle führen würde. Nichts dergleichen geschah. Aus dem Eichmann-Prozess wurde kein<br />

'B<strong>und</strong>esrepublik-Prozess'.<br />

Kein Kommentar.<br />

Soweit sind wir nun. Deutschland scheint nicht geneigt zu sein, nach<br />

Beendigung des Prozesses seine Zahlungen fortzusetzen. Wie wird Israel<br />

reagieren? Es gibt auf der Welt noch eine ganze Menge Eichmanns, d. h. Leute,<br />

die man der Verbrechen gegen die Menschlichkeit <strong>und</strong> gegen <strong>das</strong> jüdische Volk<br />

anklagen kann. Ist der Staat Israel schon dabei, die Entführung des nächsten<br />

vorzubereiten, um einen neuen Erpressungsversuch nach dem gleichen Rezept<br />

zu starten? Man redet viel vom SS-Obersturmbannführer Dr. Mengele, Arzt in<br />

Auschwitz, dem unvorstellbare Experimente an inhaftierten <strong>Juden</strong> vorgeworfen<br />

werden. Jedenfalls ist es ein sehr nutzbringender Versuch, der den Vorteil hat,<br />

<strong>das</strong>s er fast unendlich oft wiederholt werden kann, um so für einige Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

den israelischen Haushalt auszugleichen. Wenn dann nach unabsehbarer Zeit<br />

endlich der letzte Nazi in Israel gehenkt sein wird, bleibt nur noch die Musik zu<br />

komponieren zu dieser Oper, die man "eine neue Ballade der Gehenkten, die<br />

Neuen Maitres Chanteurs von Nürnberg * nennen müsste, denn <strong>das</strong> Libretto<br />

wurde inspiriert von den Nürnberger Prozessen.<br />

________________<br />

* Siehe Anmerkung des Übersetzers Seite 128.<br />

D. Schlusswort<br />

Sollte der Leser über den im Vorhergehenden beschriebenen politischen<br />

Hintergr<strong>und</strong> des Prozesses noch im Zweifel sein <strong>und</strong> noch nicht einsehen, <strong>das</strong>s<br />

der Prozess die <strong>Juden</strong>feindschaft züchtet, obwohl er behauptet, sie zu<br />

bekämpfen, so wäre darauf hinzuweisen, <strong>das</strong>s viele denkende Menschen noch<br />

weitere Beanstandungen vorgebracht haben. Als der französische R<strong>und</strong>funk über<br />

die Pressekommentare zum ersten Tag des Prozesses einen Überblick brachte,<br />

gewann man sogar den Eindruck, als ob bei allen in Jerusalem anwesenden<br />

Journalisten die Ansicht herrschte, <strong>das</strong>s hier nicht etwa Recht gesprochen würde,<br />

sondern schlichtweg Rache geübt - <strong>und</strong> <strong>das</strong>s die ganze Angelegenheit sowieso<br />

ein politischer Fehler sei.<br />

Und als man - eine Woche später - genau wusste, was von den<br />

Gerichtsverhandlungen zu erwarten sei, da riefen alle großen Weltblätter ihre<br />

berühmten Gerichtsreporter zurück, damit sie über wichtigere Prozesse berichten<br />

könnten.<br />

133


Am 10. April 1961 hatte "France-Soir" keine Bedenken, unter dem Titel "<strong>Die</strong>ser<br />

Prozess ist ein Fehler" aus der Feder eines gewissen Alain Guinay folgende<br />

Ausführungen zu veröffentlichen:<br />

"Es gibt Leute, die den ganzen Prozess für einen Fehler halten. Weit davon<br />

entfernt, den Antisemitismus in der Welt mit der Wurzel auszurotten, wird<br />

er nur neue Flammen anfachen; weit davon entfernt, der israelischen<br />

Jugend die Tragödie ihrer Väter nahe zu bringen, drängt er diese<br />

kämpferische Jugend dazu, sich nicht mit jenen 6 Millionen Menschen, die<br />

größtenteils starben ohne sich zu verteidigen, solidarisch zu fühlen. Man<br />

fürchtet außerdem, <strong>das</strong>s sich der Prozess auf die Beziehungen zwischen<br />

Israel <strong>und</strong> Großbritannien, vielleicht sogar den Vereinigten Staaten,<br />

schädlich auswirken könnte, wenn erklärt wird - wie eben von Ben Gurion<br />

- <strong>das</strong>s weder London noch Washington etwas zur Rettung dieser Millionen<br />

von Menschen unternommen haben, die sie hätten retten können."<br />

Wir haben gesehen (vgl. S. 42) wie Ben Gurion beim Versuch, England <strong>und</strong> die<br />

Vereinigten Staaten in <strong>das</strong> gegen Deutschland gerichtete Erpressungsmanöver<br />

einzubeziehen, gescheitert ist.<br />

Der Prozess ist zu Ende, Eichmann ist verurteilt, aber "<strong>das</strong> ungute Gefühl" bleibt<br />

bei allen Leuten zurück. 70 <strong>Die</strong> von "France Soir" befürchteten antisemitischen<br />

Aktionen nehmen Gestalt an <strong>und</strong> mehren sich. Ein Bumerang? Vielleicht!<br />

________________<br />

70 "<strong>Die</strong> Endlösung" des Falles Eichmann lässt trotz der unangreifbaren Korrektheit des Verfahrens <strong>und</strong> des<br />

ausgesprochenen Urteils ein ungutes Gefühl zurück ... Kein anständiger Deutscher zweifelt daran, <strong>das</strong>s Eichmann den<br />

Tod verdient bat. Dass er ihn erleiden muss, scheint aber Männer von Geist <strong>und</strong> Gewissen nicht zu befriedigen". So<br />

formulierte 'Le Monde' (16. 12. 61) ihre Meinung <strong>und</strong> sagt, <strong>das</strong>s diese Auffassung auch in der deutschen Öffentlichkeit<br />

sehr verbreitet ist. <strong>Die</strong> Kommentare zum Urteil in der französischen <strong>und</strong> schweizerischen Presse haben im<br />

Allgemeinen den gleichen Ton. Aus Argentinien dagegen berichtete ein Presse-Telegramm:<br />

"<strong>Die</strong> Verurteilung Eichmanns hat in Regierungskreisen, bei den Juristen <strong>und</strong> in der Öffentlichkeit lebhafte Reaktion<br />

hervorgerufen. Man weiß, <strong>das</strong>s der Israelische Gesandte nach der Entführung Eichmanns aus Buenos Aires durch ein<br />

Israelisches Sonderkommando im Mai 1960 zur 'persona non grata' erklärt wurde <strong>und</strong> <strong>das</strong>s Argentinien vor der UNO<br />

eine Debatte wegen Verletzung des Gebietes <strong>und</strong> der Souveränität Argentiniens beantragte. <strong>Die</strong> Verurteilung<br />

Eichmanns hat in Regierungskreisen überrascht. Man erinnert daran, <strong>das</strong>s die rechtliche, durch den Richter Leopoldo<br />

Insaurralde eingeleitete Voruntersuchung über die Begleitumstände der Entführung ihren Lauf nimmt <strong>und</strong> <strong>das</strong>s der<br />

Generalstaatsanwalt Francisco d'Albora die argentinische Botschaft in Israel ersuchte, die Auslieferung Eichmanns zu<br />

verlangen - trotz der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Israel seit 1960. <strong>Die</strong> Juristen bestreiten die<br />

Legalität der israelischen Rechtsprechung <strong>und</strong> bemerken, <strong>das</strong>s Eichmann durch ein Gericht des Landes, in dem die<br />

Verbrechen begangen worden sind oder durch ein internationales Tribunal gerichtet werden müsste." Seitdem hat<br />

Argentinien andere, wichtigere Sorgen gehabt. Aber es wäre eine unbegründete Spekulation, wenn man behaupten<br />

134


wollte, <strong>das</strong>s diese Angelegenheit abgeschlossen sei. Wenn sie in Argentinien keine Folgen haben wird, so mit<br />

Sicherheit sonst in der Welt - leider.<br />

Aber es ist nicht ganz sicher, ob Tel Aviv nicht zur Erreichung seiner Ziele von<br />

Zeit zu Zeit eine kleine antijüdische Welle nötig hat, <strong>und</strong> sei es auch nur, um die<br />

Millionen <strong>Juden</strong>, die hartnäckig <strong>das</strong> süße Leben im Westen der Strenge eines<br />

Kibbutz vorziehen, nach Israel zu locken.<br />

*<br />

Bei Gericht ist es die Regel, <strong>das</strong>s der Angeklagte <strong>das</strong> letzte Wort hat. Der zum<br />

Tode durch Erhängen verurteilte Eichmann erklärte vor seinen Richtern in<br />

Jerusalem am 13. Dezember 1961:<br />

"Ich habe den schweren Schuldspruch des Gerichts gehört. In meiner<br />

Hoffnung auf Gerechtigkeit sehe ich mich enttäuscht. Den Schuldspruch<br />

kann ich nicht anerkennen.<br />

Ich habe Verständnis dafür, <strong>das</strong>s man Sühne für die Verbrechen fordert, die<br />

an den <strong>Juden</strong> begangen worden sind. <strong>Die</strong> Aussagen der Zeugen hier im<br />

Gericht ließen mich wieder erstarren, so wie ich erstarrt war, als ich mir die<br />

Gräuel einmal befehlsgemäß ansehen musste.<br />

Ich hatte <strong>das</strong> Unglück, in diese Gräuel verwickelt zu werden. Aber diese<br />

Untaten geschahen nicht mit meinem Willen. Mein Wille war nicht,<br />

Menschen umzubringen. Der Massenmord ist allein die Schuld der<br />

politischen Führer.<br />

Ich habe versucht, von meinem Amt fortzukommen, fort zur Front, zum<br />

ehrlichen Kampf, aber ich wurde festgehalten bei den dunklen Aufgaben.<br />

Ich betone auch jetzt wieder: Meine Schuld ist mein Gehorsam, meine<br />

Unterwerfung unter <strong>Die</strong>nstpflicht <strong>und</strong> Kriegsdienstverpflichtung, unter<br />

Fahneneid <strong>und</strong> <strong>Die</strong>nsteid. Dazu galt ab Kriegsbeginn <strong>das</strong> Kriegsgesetz.<br />

<strong>Die</strong>ser Gehorsam war nicht leicht <strong>und</strong> jeder, der zu befehlen <strong>und</strong> zu<br />

gehorchen hat, weiß was man einem Menschen zumuten darf. Ich habe<br />

nicht mit Gier <strong>und</strong> Lust <strong>Juden</strong> verfolgt. <strong>Die</strong>s tat die Regierung. <strong>Die</strong><br />

Verfolgung konnte auch nur eine Regierung durchführen, ich aber niemals.<br />

Ich klage die Regierenden an, <strong>das</strong>s sie meinen Gehorsam missbraucht<br />

haben. Gehorsam ist damals verlangt worden, sowie er auch in Zukunft von<br />

den Untergebenen gefordert werden wird. Der Gehorsam wird als Tugend<br />

gepriesen. Ich bitte daher zu berücksichtigen, <strong>das</strong>s ich gehorcht habe <strong>und</strong><br />

nicht, wem ich gehorchte.<br />

Ich sagte schon: <strong>Die</strong> Führungsschicht, zu der ich nicht gehörte, hat die<br />

Befehle gegeben; sie hat meines Erachtens mit Recht Strafe verdient für die<br />

Gräuel, die auf ihren Befehl an den Opfern begangen wurden.<br />

135


Aber auch die Untergebenen sind jetzt Opfer. Ich bin ein solches Opfer,<br />

dies kann nicht außer Acht gelassen werden.<br />

Man sagt, ich hätte den Gehorsam verweigern können <strong>und</strong> müssen. Das ist<br />

eine nachträgliche Betrachtung. Unter den damaligen Verhältnissen war ein<br />

solches Verhalten nicht möglich. Es hat sich auch niemand so verhalten.<br />

Ich weiß aus Erfahrung, <strong>das</strong>s die ausschließlich nach dem Kriege<br />

behauptete Möglichkeit, sich dem Befehl zu widersetzen, ein<br />

Schutzmärchen ist.<br />

Heimlich davonstehlen konnten sich Einzelne. Ich habe aber nicht zu denen<br />

gehört, die dies für zulässig hielten.<br />

Es ist ein großer Irrtum, <strong>das</strong>s ich zu den Fanatikern in der <strong>Juden</strong>verfolgung<br />

gehört hätte.<br />

Es hat mich in der ganzen Nachkriegszeit gequält <strong>und</strong> empört, <strong>das</strong>s alle<br />

Schuld von meinen Vorgesetzten <strong>und</strong> anderen auf mich abgewälzt wurde.<br />

Ich habe tatsächlich keine Äußerungen getan, die für meinen Fanatismus<br />

sprechen könnten <strong>und</strong> Blutschuld liegt nicht auf mir. <strong>Die</strong> Zeugen haben da<br />

eine große Unwahrheit gesagt.<br />

<strong>Die</strong> Zusammenstellung von Äußerungen <strong>und</strong> Dokumenten durch <strong>das</strong><br />

Gericht wirkt zunächst sehr überzeugend, sie ist aber trügerisch.<br />

Ich werde versuchen, diese Irrtümer in der nächsten Instanz aufzuklären.<br />

Niemand ist an mich herangetreten <strong>und</strong> hat mir Vorhaltungen gemacht<br />

wegen meiner Amtstätigkeit. <strong>Die</strong>s behauptet selbst der Zeuge Propst<br />

Grüber nicht von sich. Er kam zu mir <strong>und</strong> wünschte nur Erleichterung,<br />

ohne sich gegen meine Amtstätigkeit selbst zu wenden. Er bestätigt hier<br />

vor Gericht, <strong>das</strong>s ich ihn nicht zurückwies, sondern ihm nur erklärte, <strong>das</strong>s<br />

ich die Entscheidung meiner Vorgesetzten einholen müsse, da ich selbst<br />

nicht entscheiden könne.<br />

Der im Verfahren genannte Ministerialdirektor Loesener war <strong>Juden</strong>referent<br />

im <strong>Reich</strong>sministerium des Innern. Er ist verstorben. Er hat in seiner erst<br />

kürzlich erschienenen nachträglichen Rechtfertigungsschrift zugegeben,<br />

<strong>das</strong>s er von den Gräueln wusste <strong>und</strong> dies auch seinem Vorgesetzten<br />

mitteilte. Man muss annehmen, <strong>das</strong>s alle Personen im Ministerium des<br />

Innern auf diese Weise Kenntnis erhielten. Aber niemand trat gegen meine<br />

Vorgesetzten auf. Der Ministerialdirektor Loesener ging schweigend in die<br />

stille Opposition <strong>und</strong> diente seinem Führer als gut bezahlter Richter im<br />

<strong>Reich</strong>sverwaltungsgericht. So sieht Zivilcourage eines Prominenten aus.<br />

In dem 1950 niedergeschriebenen Bericht stellt Loesener Betrachtungen<br />

über mich an, wonach ich eine Hauptfigur in der <strong>Juden</strong>verfolgung sein soll.<br />

Es sind aber Gefühlsausbrüche, ohne Angaben von Tatsachen, worauf die<br />

Vermutungen beruhen. Bei anderen Zeugen ist es ähnlich.<br />

136


Ich bin von den Richtern gefragt worden, ob ich ein Schuldbekenntnis<br />

ablegen wollte, wie dies der Kommandant von Auschwitz, Hoess, <strong>und</strong> der<br />

Generalgouverneur von Polen, Frank, getan haben.<br />

<strong>Die</strong>se beiden hatten alle Veranlassung zu einem solchen Schuldbekenntnis:<br />

Frank als Befehlsgeber, bekannte sich für die von ihm gegebenen Befehle<br />

schuldig <strong>und</strong> scheute sich, die Verantwortung auf Untergebene<br />

abzuschieben. Hoess war derjenige, der die Massentötungen tatsächlich<br />

durchgeführt hat. Meine Lage ist eine andere.<br />

<strong>Die</strong> Befugnis <strong>und</strong> Verantwortung eines Befehlsgebers habe ich nie gehabt.<br />

Tötungen, wie Hoess, habe ich nie vorgenommen.<br />

Hätte ich den Befehl auf Ausführung dieser Tötungen erhalten, so hätte ich<br />

mich nicht unter falschem Vorwand gedrückt; ich habe bereits bei meinem<br />

Verhör erklärt: Da es angesichts des Befehlszwanges keinen Ausweg gab.<br />

hätte ich mir eine Kugel in den Kopf geschossen, um so den Konflikt<br />

zwischen Gewissen <strong>und</strong> Pflicht zu lösen.<br />

Das Gericht meint, <strong>das</strong>s meine jetzige Einstellung durch die Prozesslage<br />

bedingt <strong>und</strong> erlogen sei. Es ist eine Zusammenstellung von Punkten erfolgt,<br />

die dies zu bekräftigen scheinen. <strong>Die</strong> vorliegenden Widersprüche waren<br />

aber dadurch bedingt, <strong>das</strong>s ich mich bei Beginn der polizeilichen<br />

Vernehmungen naturgemäß nicht genau an Einzelheiten erinnern konnte.<br />

Es war zuviel, was ich in diesen Jahren erlebt hatte.<br />

Ich sperrte mich nicht, dies zeigt <strong>das</strong> polizeiliche Protokoll über 3500<br />

Seiten. Meine Angaben waren der erste ungehemmte Versuch der Mithilfe<br />

zur Aufklärung. Hier sind Fehler vorgekommen, aber ich musste sie<br />

berichtigen dürfen. Solche Fehler kann man mir nach einem Zeitablauf von<br />

16-20 Jahren nicht zum Vorwurf machen <strong>und</strong> meine Bereitwilligkeit der<br />

Mithilfe nicht als List <strong>und</strong> Lüge hinstellen.<br />

Meine Lebensnorm, die man mich früh schon lehrte, war: <strong>das</strong> Wollen <strong>und</strong><br />

Streben zur Verwirklichung ethischer Werte. Von einem bestimmten<br />

Augenblick an wurde ich jedoch von Staatswegen daran gehindert, nach<br />

dieser Forderung zu leben.<br />

Aus der Ethik musste ich in eine der Vielheiten der Moral umsteigen. Ich<br />

hatte mich der staatlicherseits vorgeschriebenen Umkehrung der Werte zu<br />

beugen. Meine selbsterkennende Prüfung habe ich in Bezirken<br />

durchzuführen, die ausschließlich mein inneres Ich berühren. Ich habe bei<br />

dieser prüfenden Betrachtung meine von mir im juristischen Sinne<br />

empf<strong>und</strong>ene Schuldlosigkeit außer Acht zu lassen.<br />

Ich würde jetzt <strong>das</strong> jüdische Volk von mir aus um Verzeihung bitten <strong>und</strong><br />

bekennen, <strong>das</strong>s mich Scham überfällt beim Bedenken des Unrechts,<br />

welches den <strong>Juden</strong> geschah <strong>und</strong> der Taten, welche an ihnen verübt wurden.<br />

Aber angesichts der Urteilsgründe würde mir dies wohl nur als Heuchelei<br />

137


ausgelegt werden. Ich bin nicht der Unmensch, zu dem man mich macht.<br />

Ich bin <strong>das</strong> Opfer eines Fehlschlusses:<br />

Man hat mich in Buenos Aires überfallen, eine Woche lang ans Bett<br />

gefesselt <strong>und</strong> mich dann mit Injektionen in meine Arme betäubt zum<br />

Flughafen von Buenos Aires gebracht; von dort hat man mich aus<br />

Argentinien herausgeflogen. <strong>Die</strong>s ist ganz offensichtlich nur darauf<br />

zurückzuführen, <strong>das</strong>s man mich für den Alleinverantwortlichen hielt.<br />

Der Gr<strong>und</strong> hierfür liegt in der Tatsache, <strong>das</strong>s einige Nationalsozialisten von<br />

damals <strong>und</strong> andere über mich Unwahrheiten verbreitet haben. Sie wollten<br />

sich auf meine Kosten entlasten, oder aus mir unbekannten Gründen<br />

Verwirrung stiften. Teile der Publizistik gaben seltsamerweise die<br />

unwahren Darstellungen in geradezu schwelgender <strong>und</strong> aufgebauschter Art<br />

anderthalb Jahrzehnte lang suggerierend wieder.<br />

<strong>Die</strong>s ist die Ursache des Fehlschlusses. <strong>Die</strong>s ist der Gr<strong>und</strong> meines Hier<br />

seins.<br />

Ich danke meinem Verteidiger, der für mein Recht eingetreten ist. Ich bin<br />

der tiefsten Überzeugung, <strong>das</strong>s ich für andere herhalten muss. Ich muss<br />

tragen, was <strong>das</strong> Schicksal mir auferlegt."<br />

<strong>Die</strong>se Unschulderklärung ist nicht sehr bemerkenswert <strong>und</strong> wird wohl auch<br />

kaum der Nachwelt überliefert werden.<br />

Im vorigen Jahrh<strong>und</strong>ert gab es in Frankreich den berühmten Prozess des<br />

"Courrier de Lyon" * wobei der Angeklagte, Lesurques, unschuldig zum Tode<br />

verurteilt wurde. Vor Gericht erklärte er: "Ich lege Berufung ein bei der<br />

Nachwelt!" Nicht jeder kann ein Lesurques sein.<br />

________________<br />

* Anmerkung des Übersetzers:<br />

<strong>Die</strong>se Angelegenheit erregte im Jahre 1797 ganz Frankreich. Lesurques war angeklagt, "einen Schwiegervater<br />

ermordet zu haben. Obwohl er zum Tode verurteilt wurde, war er unschuldig.<br />

Eichmann war obendrein nur ein kleiner Oberstleutnant von mittelmäßiger<br />

Bildung, wie es sie zu Tausenden, wenn nicht Zehntausenden im deutschen Heer<br />

gab <strong>und</strong> in allen Armeen der Welt gibt. 71<br />

Der distinguierte Herr Professor Balachowsky vom Institut Pasteur in Paris (vgl.<br />

Anm. 61) ist ein hochgebildeter Mann - oder, wenn er es etwa nicht sein sollte,<br />

so gibt es für diesen Mangel einfach keine Entschuldigung - <strong>und</strong> viele Ehrungen<br />

werden ihm zuteil.<br />

Wenn man nun aber die Worte, die der sehr geehrte Herr Professor findet um<br />

seine Haltung zu verteidigen, vergleicht mit der Erklärung oder Rechtfertigung,<br />

die Eichmann für seine, recht ähnliche Einstellung vorbringt, dann wird man<br />

zugeben müssen, <strong>das</strong>s Eichmann dabei gar nicht so schlecht abschneidet.<br />

138


Er, der mäßig gebildete Oberstleutnant verweist bedrückten Herzens auf die<br />

Staatsräson, um seine Einstellung zu erklären, während der Professor ohne jedes<br />

Schuldgefühl als einzigen Gr<strong>und</strong> angibt, <strong>das</strong>s er ja doch seine Haut habe retten<br />

müssen ...<br />

Jedenfalls werden denkende Menschen - auch Leute wie ich, die immer die<br />

Lebensräson des Menschen über die Staatsräson stellten - nicht zögern, wenn sie<br />

zwischen diesen beiden zu wählen haben. Es soll vom Leser nicht gefordert<br />

werden, <strong>das</strong>s er die Erklärung Eichmanns vergleicht mit den Beschuldigungen,<br />

wie sie der israelische Ankläger formuliert hat, oder mit den juristischen <strong>und</strong><br />

ethischen Rechtfertigungen des Urteils: sonst würde der Kontrast noch<br />

niederschmetternder sein.<br />

________________<br />

71 Ich schrieb nach der Verhaftung Eichmanns: "Man wird sich eines Lachens nicht erwehren können, wenn man<br />

heute erfährt, <strong>das</strong>s der Verantwortliche für alle dem Nationalsozialismus vorgeworfenen Verbrechen gegen die<br />

Menschlichkeit ein kleiner Oberstleutnant ist. Es soll aber Tatsache sein. In diesem Sinne ist der ehemalige preußische<br />

Polizeibeamte <strong>und</strong> spätere amerikanische Ankläger bei einem der Nürnberger Prozesse so weit gegangen, <strong>das</strong>s er sein<br />

Buch nicht 'Hitler <strong>und</strong> Komplizen' sondern 'Eichmann <strong>und</strong> Komplizen' genannt hat, was darauf hinzudeuten scheint,<br />

<strong>das</strong>s nicht Eichmann ein Komplize Hitlers gewesen sei, sondern umgekehrt!"<br />

139


TEIL II: VERSAILLES<br />

4. VOM KRIEGSEINTRITT DER VEREINIGTEN STAATEN<br />

BIS ZUM WAFFENSTILLSTAND 1918<br />

Bis zum Ersten Weltkrieg war es eine liebe Tradition der Amerikaner, sich aus<br />

den Streitigkeiten in Europa herauszuhalten. <strong>Die</strong>s ist leicht zu verstehen, wenn<br />

man weiß, <strong>das</strong>s sie in ihrer Masse zu ungefähr gleichen Teilen aus<br />

germanischen, lateinischen, slawischen, skandinavischen <strong>und</strong> britischen Ländern<br />

stammten. Bei einer Nation, deren Wurzeln in so verschiedenen völkischen <strong>und</strong><br />

kulturellen Bereichen ruhten <strong>und</strong> deren einziges gemeinsames Ziel Business<br />

hieß, gab es kein anderes Mittel, die für <strong>das</strong> Gedeihen der Geschäfte<br />

unentbehrliche politische Einheit zu bewahren. <strong>Die</strong>se Tradition war in der<br />

öffentlichen Meinung so tief verankert, <strong>das</strong>s die ganze Bevölkerung Präsident<br />

Thomas Woodrow Wilson 72 beipflichtete, als er am 3.8.1914 in der Presse<br />

verkündete, die Vereinigten Staaten würden in dem zwischen den Mittelmächten<br />

(Östereich-Ungarn, Deutschland) <strong>und</strong> der Entente (Russland, Frankreich,<br />

England) ausgebrochenen Konflikt neutral bleiben, <strong>und</strong> außerdem am 19.<br />

August die Amerikaner aufforderte "diese Neutralität einzuhalten <strong>und</strong> sogar die<br />

Sympathien, die viele von ihnen für ihre alten Vaterländer empfinden,<br />

zurückzudrängen". Ein Versuch des früheren Präsidenten Theodore Roosevelt,<br />

eine Kampagne zu Gunsten eines Kriegseintritts der Vereinigten Staaten auf<br />

Seiten der Entente einzuleiten, scheiterte sehr rasch, da die Industriellen <strong>und</strong><br />

Bankiers der Republikanischen Partei ihm die Unterstützung versagten.<br />

________________<br />

72 Bei den Präsidentschaftswahlen im November 1912 hatte er glänzend über Theodore Roosevelt, Präsident von 1900<br />

bis 1908, <strong>und</strong> über Taft, den scheidenden Präsidenten (1908-1912) gesiegt. Beide waren Kandidaten der geteilten<br />

Republikanischen Partei. Der große Mann der Republikaner war damals Theodore Roosevelt [Geschwisterkind <strong>und</strong><br />

durch Heirat Onkel von Franklin Delano Roosevelt, dem wir es heute verdanken, <strong>das</strong>s die Slawen 50 Kilometer vor<br />

Hamburg stehen] <strong>und</strong> nicht Taft, den er in den Sattel gehoben <strong>und</strong> mit dem er sich später entzweit hatte. Thomas<br />

Woodrow Wilson wurde als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei im November 1912 gewählt <strong>und</strong> trat<br />

sein Amt am 4. März 1913 an.<br />

Ob die amerikanischen Industriellen <strong>und</strong> Bankiers Demokraten oder<br />

Republikaner waren, ob slawischen, germanischen, britischen oder lateinischen<br />

Ursprungs - vor allem waren sie Geschäftsleute, <strong>und</strong> sich darin einig, <strong>das</strong>s die<br />

Neutralität, von der sie sich einen ungestörten Handel mit beiden kriegführenden<br />

Lagern erhofften, sichtlich gewinnbringender sein würde, als ein Kriegseintritt,<br />

bei dem sie nur an die Seite verkaufen dürften, auf die die Vereinigten Staaten<br />

sich gestellt hätten.<br />

140


Jedoch am 3. September 1916 erklärte Präsident Wilson bei der Eröffnung des<br />

Wahlkampfes zu den neuerlichen Präsidentschaftswahlen, die im November<br />

stattfinden sollten: "Mit unserem traditionellen Provinzialismus ist es zu Ende.<br />

Ob wir es wollen oder nicht, wir haben eine führende Rolle in dem<br />

gegenwärtigen Weltdrama zu spielen." Obwohl diese Formulierung durch den<br />

Begleittext nicht näher erklärt wurde, erlaubte der ganze Ton der Rede noch die<br />

Annahme, <strong>das</strong>s er unter dieser "führenden Rolle" eine "Schiedsrichterrolle"<br />

verstand, was sich auch in der Folge herausstellte: Mit 9.116.000 gegen<br />

8.547.000 Stimmen für den Kandidaten der Republikanischen Partei (die<br />

inzwischen ihre Einheit wieder gef<strong>und</strong>en hatte - gerade auf Gr<strong>und</strong> der<br />

Notwendigkeit des Kriegseintritts der Vereinigten Staaten auf selten der<br />

Entente) wieder gewählt, war seine erste Sorge, am 22. Dezember 1916 die<br />

beiden gegnerischen Koalitionen um Bekanntgabe ihrer Kriegsziele zu ersuchen.<br />

Am 21. Januar 1917 verlas er noch vor dem Senat eine Botschaft, in der er zur<br />

Sicherung des Weltfriedens die Bildung eines Völkerb<strong>und</strong>es vorschlug,<br />

außerdem eine allgemeine Abrüstung nach Friedensschluss, die Freiheit der<br />

Meere <strong>und</strong> - zur Beendigung des gegenwärtigen Konflikts - einen Frieden "ohne<br />

Sieger oder Besiegte" forderte. Aber auf seine Initiative <strong>und</strong> auf seinen<br />

Vorschlag hin, beschlossen dann am 3. Februar, weniger als fünfzehn Tage<br />

später, der Oberste B<strong>und</strong>esgerichtshof <strong>und</strong> der Kongress, beide zu diesem<br />

Zweck feierlich einberufen, durch Zuruf <strong>und</strong> voll Begeisterung den Abbruch der<br />

diplomatischen Beziehungen zu Deutschland, um dann am 2. April 1917 den<br />

Krieg zu erklären. Somit befanden sich die Vereinigten Staaten seit dem 6. April<br />

1917 mit den Mittelmächten offiziell im Kriegszustand.<br />

Bei einem Manne wie Wilson, der ein großer Universitätsprofessor war, bevor er<br />

ein großer Gouverneur des Staates New-Jersey <strong>und</strong> dann ein großer Präsident<br />

der Vereinigten Staaten wurde - der wegen der Gradlinigkeit seines Charakters<br />

<strong>und</strong> der Strenge seiner Prinzipien legendären Ruf genoss, ebenso rechtschaffen<br />

in geistigen wie auch in kaufmännischen Dingen (von welch letzteren er sich<br />

stets distanzierte, was bei einem Politiker außerordentlich selten ist), erschien<br />

ein solcher Sinneswandel ausgeschlossen. <strong>Die</strong> Fachleute der Märchen<br />

erzählenden, anekdotischen <strong>und</strong> Zweck gerichteten Geschichte wussten als<br />

einzigen Gr<strong>und</strong> für diese Kursänderung nur die wiederholten<br />

Rechtsverletzungen durch Deutschland zu nennen; es habe gegen die<br />

Seekriegsgesetze verstoßen, was Wilson bei seinem ausgeprägten Gefühl für<br />

Gerechtigkeit allein zu seiner Entscheidung gebracht habe. Später erfuhr man<br />

aber durch ihn selbst <strong>und</strong> durch seine Witwe, <strong>das</strong>s dieser Umschwung auf<br />

bedeutend höherer Ebene die Auflösung eines Gewissenskonflikts in der Art<br />

eines klassischen Dramas gewesen war, bei dem auf der einen Seite sein<br />

Gerechtigkeitssinn, auf der anderen die Zukunft der Union stand.<br />

Am Anfang dieses Gewissensdramas stand die Wendung, die der Krieg<br />

genommen hatte, unerwartet von der ganzen Welt, von Amerikanern <strong>und</strong><br />

141


Europäern, Intellektuellen <strong>und</strong> Politikern, von Militärs <strong>und</strong> Zivilpersonen: Im<br />

Gegensatz zu den Erwartungen der zwei europäischen Generalstäbe, von denen<br />

jeder glaubte, in wenigen Wochen, höchstens Monaten, einen leichten Sieg<br />

davontragen zu können, zeigte sich sehr bald, <strong>das</strong>s dieser Krieg sehr lange<br />

dauern würde. Dabei vertraute die eine Partei auf den Schlieffen-Plan, die<br />

andere auf den "Plan 17". Entgegen ihren Hoffnungen war es den Industriellen<br />

<strong>und</strong> Bankleuten Amerikas auch nicht möglich, ohne Unterschied mit allen<br />

Kriegführenden - ja nicht einmal mit allen Neutralen, - ihre Geschäfte zu<br />

machen.<br />

Der Krieg dauerte lange ... Alle Regierungen <strong>und</strong> alle Generalstäbe Europas<br />

waren sich darin einig, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbien mit<br />

fast vollkommener Sicherheit die folgende Kettenreaktion auslösen würde: Das<br />

panslawistische Russland würde bestimmt intervenieren - es wollte den<br />

Bosporus in seine Hand bringen - Saloniki bedeutete für <strong>das</strong> Land einen Zugang<br />

zum Mittelmeer <strong>und</strong> zum Nahen Osten. Dadurch konnte es nicht tatenlos<br />

zusehen, wenn Österreich-Ungarn auf dem Balkan eingriff. Frankreich würde<br />

den Verpflichtungen aus seinem Bündnis mit Russland nachkommen.<br />

Deutschland, <strong>das</strong> mit Österreich-Ungarn verbündet war, konnte ebenso wenig<br />

abseits stehen bleiben, vor allem nicht, wenn Frankreich in den Krieg eintreten<br />

würde; <strong>und</strong> <strong>das</strong> Ottomanische <strong>Reich</strong>, <strong>das</strong> den Bosporus behalten wollte, auf den<br />

die Russen ein Auge geworfen hatten, konnte nicht umhin, sich den<br />

Mittelmächten anzuschließen.<br />

In Wien, Paris <strong>und</strong> Berlin glaubte man, <strong>das</strong>s nur der deutsche Einfluss am<br />

russischen Hofe - die Zarin war eine deutsche Prinzessin - diese Kettenreaktion<br />

verhindern könnte, <strong>das</strong>s dieser Einfluss, wenn er wirklich so groß war wie er<br />

schien, den Konflikt auf Österreich-Ungarn <strong>und</strong> Serbien beschränken würde,<br />

was bedeutete, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> erstgenannte Land <strong>das</strong> zweite im Handumdrehen<br />

erledigt hätte. Aber wenn man in Wien darauf hoffte, in Berlin fest damit<br />

rechnete, so befürchtete man <strong>das</strong> in Paris, weil dadurch die Aussicht auf eine<br />

Korrektur der durch den Krieg von 1870/71 geschaffenen Lage <strong>und</strong> auf die<br />

Regelung späterer Differenzen auf kolonialem Gebiet, mit einem Schlag wieder<br />

verschwinden würde. Paris war überzeugt, <strong>das</strong>s Kaiser Wilhelms Versuche,<br />

Petersburg zum Einlenken zu bewegen, scheitern würden: die segensreichen<br />

Wirkungen der Russland gewährten französischen Anleihen würden etwaige<br />

Erwägungen verwandtschaftlicher Natur leicht aus dem Felde schlagen - umso<br />

leichter als doch der Zarenthron seit 1905 nicht mehr bedroht erschien.<br />

Folgendes geschah: Wilhelm II., der die Antwort Serbiens auf <strong>das</strong><br />

österreichisch-ungarische Ultimatum für befriedigend hielt, konnte Kaiser<br />

Franz-Josef nicht davon abhalten, die Mobilmachung anzuordnen; die<br />

Bemühungen des deutschen Kaisers, den Zaren zu besänftigen, scheiterten<br />

ebenfalls: auch Russland machte mobil. Und von da an gab es keine Möglichkeit<br />

142


mehr, den so leicht ausgelösten Lauf der Ereignisse aufzuhalten. Der grausame<br />

Mechanismus der Kettenreaktion diktierte <strong>das</strong> Gesetz der St<strong>und</strong>e.<br />

Frankreich war mit England verbündet <strong>und</strong> hoffte daher, <strong>das</strong>s die Briten in den<br />

Krieg eintreten würden, während Deutschland ein solches Ereignis kaum<br />

ernsthaft befürchtete. Es wusste zwar, <strong>das</strong>s England nicht ohne Besorgnis<br />

beobachtet hatte, wie der deutsche wirtschaftliche Einfluss sich seit 1892 auch<br />

außerhalb Europas durchgesetzt hatte, gestützt auf eine starke Flotte, die an sich<br />

schon eine Herausforderung an die englische Seeherrschaft darstellte - eine<br />

Politik, die auch zu einer Annäherung zwischen England <strong>und</strong> Frankreich geführt<br />

hatte (1904). Auch hatte Großbritannien die Unverletzlichkeit des belgischen<br />

Territoriums garantiert, in Kenntnis des Schlieffenplanes, der für den Fall eines<br />

deutsch-französischen Krieges den Marsch deutscher Truppen durch Belgien<br />

vorsah. <strong>Die</strong>se Garantie war übrigens nicht nur im belgischen oder französischen,<br />

sondern auch im englischen Interesse, da England die Kontrolle über den Kanal<br />

wesentlich lieber mit Frankreich teilte, als vielleicht eines Tages mit<br />

Deutschland.<br />

Aber von Moltke, der deutsche Generalstabschef, erwartete, <strong>das</strong>s seine Truppen<br />

durch den Schlieffenplan die französische Armee in sechs Wochen niederwerfen<br />

könnten <strong>und</strong> <strong>das</strong>s England angesichts des deutschen Sieges sich mit den<br />

Tatsachen abfinden würde, umso mehr als es mit den irischen<br />

Autonomistenunruhen ("home rule") alle Hände voll zu tun hatte. Anschließend<br />

meinte von Moltke dann, die ganzen Kräfte gegen Russland werfen zu können.<br />

<strong>Die</strong> Regierung <strong>und</strong> der Generalstab Frankreichs waren fest überzeugt, <strong>das</strong>s die<br />

englische Garantie für Belgien eine Verwirklichung des Schlieffenplanes<br />

unmöglich machte - <strong>und</strong> die französische Befestigungslinie, die im Frühjahr<br />

1914 von der Schweizer bis kurz vor die belgische Grenze reichte, wurde erst in<br />

letzter Minute bis zum Grenzort Givet verlängert. Der Weg durch Belgien war<br />

also den deutschen Truppen offen.<br />

Wenn aber Frankreich recht hätte <strong>und</strong> der Schlieffenplan unausführbar wäre, so<br />

hätte es für England überhaupt keinen Gr<strong>und</strong> zum Eingreifen mehr gegeben: die<br />

französische <strong>und</strong> die deutsche Armee wären dann in Höhe der befestigten Linie<br />

Mülhausen-Verdun zusammengestoßen, <strong>und</strong> da sie zahlenmäßig fast gleich stark<br />

gewesen wären - 850.000 Deutsche gegen 800.000 Franzosen, die Deutschen<br />

allerdings in ihrer Bewaffnung ihren Gegnern leicht überlegen - so meinten die<br />

englischen Politiker, <strong>das</strong>s ein leichter deutscher Sieg ausgeschlossen wäre, <strong>das</strong>s<br />

der Angriff vielmehr vor den französischen Befestigungen liegen bleiben dürfte<br />

- kurz, <strong>das</strong>s beide Seiten nach schweren Verlusten schließlich einen<br />

Kompromissfrieden schließen würden. Den Briten wäre dann sowohl in Europa<br />

wie außerhalb Europas <strong>und</strong> auf den Meeren die Vorherrschaft zugefallen, die<br />

ihnen vorerst keiner hätte streitig machen können.<br />

<strong>Die</strong> Schlussfolgerungen aus diesen Überlegungen passten ausgezeichnet zu<br />

denen der deutschen Regierung <strong>und</strong> des deutschen Generalstabes, die daher<br />

143


einen Krieg gegen Frankreich nur noch nach dem Schlieffenplan zu führen<br />

gedachten: man nahm an, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Überraschungsmoment <strong>und</strong> der schnelle<br />

Ablauf der Kriegshandlungen England zwingen würden, sich auf eine rein<br />

formelle Intervention zu beschränken. <strong>Die</strong>se Überlegungen kamen auch den<br />

Hoffnungen der amerikanischen Industriellen <strong>und</strong> Bankiers entgegen, die unter<br />

solchen Umständen <strong>und</strong> angesichts der fast uneingeschränkten Freiheit der<br />

Meere, den ganzen Krieg hindurch mit beiden kriegführenden Parteien hätten<br />

Handel treiben können, zumindest durch die Vermittlung neutraler Staaten.<br />

<strong>Die</strong> französische Regierung <strong>und</strong> der französische Generalstab kannten die<br />

englischen Gedanken <strong>und</strong> rechneten daher mit einem englischen Kriegseintritt<br />

nur für den Fall, <strong>das</strong>s die deutschen Truppen die belgische Neutralität verletzen<br />

würden: anders gesagt, sie hegten keine sehr großen Hoffnungen, denn sie<br />

glaubten nicht an einen deutschen Angriff durch Belgien.<br />

Angesichts dieser Lage versteht man nicht recht, worauf die französische<br />

Erwartung, Deutschland in höchstens sechs Monaten zu besiegen, eigentlich<br />

beruhte. <strong>Die</strong> russische "Dampfwalze"? In den Kanzleien der ganzen Welt<br />

belächelte man die französischen Politiker <strong>und</strong> Diplomaten, die, als einzige,<br />

glaubten, <strong>das</strong>s eine Armee, deren Organisation <strong>und</strong> Bewaffnung sie fast mit<br />

einer Meute von primitiven Wilden, auf eine Stufe stellten, diesen Namen<br />

verdient. Es war auch bekannt, <strong>das</strong>s die französischen Anleihen - gewährt, um<br />

diese "Dampfwalze" wieder in Ordnung zu bringen - für Geschenke <strong>und</strong><br />

Bestechungen vergeudet worden waren.<br />

Jedenfalls scheint heutzutage niemand mehr daran zu zweifeln, <strong>das</strong>s - auch,<br />

wenn die Lage so gewesen wäre, wie die offiziellen Kreise sie damals sahen -<br />

der Krieg ebenso lange hätte dauern können, wie es dann tatsächlich der Fall<br />

war.<br />

Man muss sich aber fragen, weshalb der Krieg, den die Deutschen dann wirklich<br />

nach dem Schlieffen-Plan führten, trotzdem so lange dauerte. Hier handelte es<br />

sich um ein Problem der praktischen Strategie. Obwohl bemerkenswert gut<br />

durchgearbeitet, sah der Schlieffen-Plan keinen Zweifrontenkrieg vor. Moltke<br />

nahm an, <strong>das</strong>s die österreichisch-ungarische Armee während der für die<br />

Durchführung des Schlieffen-Plans nötigen relativ kurzen Zeitspanne genügen<br />

würde, die russische Armee, deren Zustand er kannte, in Schach zu halten; er<br />

glaubte aber, er könne ohne Gefahr 10 Divisionen abziehen <strong>und</strong> sie an die<br />

Ostfront verlegen. <strong>Die</strong>s zwang ihn, den Radius der vorgesehenen<br />

Umfassungsbewegung ein wenig zu verkürzen. An der Front kürzte von Kluck,<br />

der Chef der I. deutschen Armee, der der Schutz des rechten Flügels oblag, den<br />

Radius aus eigener Machtvollkommenheit noch ein wenig mehr <strong>und</strong> zwang<br />

dadurch die Führer der anderen vier Armeen (II, III, IV. <strong>und</strong> V.), früher in<br />

Richtung Süden abzubiegen, als Moltke vorgesehen hatte.<br />

<strong>Die</strong>se Bewegung von Klucks entblößte unvernünftigerweise eine Flanke, in die<br />

dann die "Taxis von der Marne" des Generals Galliern hineinstoßen (eine<br />

144


Operation, die, entgegen der landläufigen Meinung, vom Oberkommando<br />

vorgesehen war), <strong>und</strong> die Deutschen zum Rückzug zwingen konnten. Auf einer<br />

durch diesen Fehler verkürzten Front waren die II. <strong>und</strong> III. Armee, die die<br />

Marne überschritten hatten <strong>und</strong> von von Klucks Truppen nicht mehr gedeckt<br />

wurden, ihrerseits zum Rückzug gezwungen, <strong>und</strong> General Joffre konnte endlich<br />

nach einer langen Reihe - im übrigen trefflich durchgeführter -<br />

Rückzugsbewegungen zur Offensive schreiten mit der fast absoluten Gewissheit,<br />

die deutschen Armeen zurückzudrängen.<br />

<strong>Die</strong>s ereignete sich am 6. September 1914. Am 12. ist die deutsche Offensive<br />

endgültig zum Stehen gebracht <strong>und</strong> von Moltke entschließt sich zum<br />

allgemeinen Rückzug auf damals noch nicht festgelegte Stellungen, die im<br />

folgenden Jahr zur Hindenburg-Linie werden, mit der Absicht, anschließend zur<br />

Orthodoxie, d. h. zum Schlieffen-Plan, zurückzukehren; aber es ist ein wenig<br />

spät. Vergeblich versucht er die französischen Stellungen am linken Flügel zu<br />

umgehen, <strong>und</strong> um dies zu verhindern, bleibt den Franzosen nichts anderes übrig,<br />

als nun ihrerseits die deutsche Stellung rechts zu überflügeln; der Wettlauf zum<br />

Meere beginnt.<br />

Im Endeffekt halten die Franzosen die Küste, die Deutschen kommen niemals<br />

nach Calais, nicht einmal nach Dünkirchen, <strong>und</strong> der Plan Schlieffens - von<br />

Moltke korrigiert <strong>und</strong> unbewusst durch von Kluck sabotiert - führte nur noch<br />

den englischen Kriegseintritt herbei.<br />

Man muss sich heute fragen, was geschehen wäre, wenn der Plan genau<br />

durchgeführt worden wäre. <strong>Die</strong> Militärwissenschaftler sind sich heute fast alle<br />

darüber einig, <strong>das</strong>s Frankreich keine Chance gehabt hätte, länger als sechs<br />

Wochen Stand zu halten, also genau wie vom deutschen Generalstab<br />

vorgesehen. 73 Aber es ist auch nicht sicher, <strong>das</strong>s England den deutschen Sieg als<br />

vollzogene Tatsache hingenommen hätte. Korrekt wurde der Schlieffen-Plan 25<br />

Jahre später von Hitler <strong>und</strong> dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW)<br />

durchgeführt; er gelang, aber England fand sich mit dieser Tatsache nicht ab.<br />

Soll <strong>das</strong> nun heißen, <strong>das</strong>s wir dann schon 25 Jahre früher den Krieg von 1939-45<br />

gehabt hätten? Vielleicht. Aber vom Standpunkt der Geschichte ist die Frage<br />

müßig <strong>und</strong> verlangt keine Antwort. Sicher ist nur, <strong>das</strong>s der Krieg nach dem<br />

Eintritt Englands eine Wendung nahm, bei der der Sieg mehr zur See als zu<br />

Lande zu suchen war <strong>und</strong> dadurch für die amerikanischen Industriellen <strong>und</strong><br />

Bankiers die Freiheit der Meere, mit anderen Worten: den Warenaustausch<br />

zwischen Amerika <strong>und</strong> Europa, in Frage stellte.<br />

________________<br />

73 "Wenn wir nur eine echte <strong>Die</strong>nstpflicht gehabt hätten", schreibt Major Stein ("Schaft ein Heer!", Seite 8) "<strong>und</strong><br />

dadurch 1914 mehrere zusätzliche Armeekorps, dann wäre der Rückschlag an der Marne nicht eingetreten, wir hätten<br />

Frankreich mühelos zerschlagen <strong>und</strong> 1915 den Frieden diktieren können'. Lord Kitchener <strong>und</strong> Marschall Haig teilen<br />

diesen Standpunkt. Wenn Deutschland nur über zehn Divisionen mehr hätte verfügen können, hätte von Moltke den<br />

ersten dringenden Anforderungen der Ostfront entsprechen können, ohne auf die zurückgreifen zu müssen, die<br />

145


ursprünglich für den Schlieffen-Plan vorgesehen waren, <strong>und</strong> dann hätte man den Plan nicht abzuändern brauchen.<br />

Ludendorff war ein fanatischer Anhänger des Schlieffen-Plans, jedoch nur bei vorheriger Schaffung des "Volks in<br />

Waffen". Es gelang ihm jedoch 1913 nicht, Kaiser Wilhelm II. zu überzeugen, <strong>und</strong> auch seinem Vorschlag, drei<br />

zusätzliche Reserve-Armeekorps aufzustellen, wurde nicht stattgegeben. Benoist-Mechin, der die Standpunkte Major<br />

Steins, Lord Kitcheners <strong>und</strong> Marschall Haigs zu teilen scheint, zitiert diese Tatsachen in seiner "Histoire der 1. Armee<br />

allemande" (Bd. I, S. 30).<br />

*<br />

<strong>Die</strong> Marneschlacht, der Wettlauf zum Meer ... Es war für die damalige Zeit eine<br />

Höllenschlacht. Fast zwei Millionen Soldaten standen sich gegenüber - <strong>das</strong><br />

heißt, <strong>das</strong>s die Schlacht Ausmaße annahm, wie es sie bis dahin in der Geschichte<br />

noch nicht gegeben hatte. Beide Seiten verfügten über die vollkommensten<br />

Waffen, die die damalige Waffentechnik nur hatte entwickeln können, es gab<br />

also die mörderischste <strong>und</strong> daher auch die kostspieligste Schlacht, die man je<br />

gekannt hatte.<br />

Am Ende dieser ersten Phase des Kampfes fanden sich die beiden Gegner<br />

gleicherweise erschöpft <strong>und</strong> unfähig, eine unmittelbare Fortsetzung der Kämpfe<br />

ins Auge zu fassen. Sie hatten keine Munition mehr: Ihre Volkswirtschaften<br />

hatten sich als nicht stark genug erwiesen, die Bedürfnisse der Front befriedigen<br />

zu können. <strong>Die</strong> Waffen waren teilweise vernichtet: man musste sie wieder in<br />

Ordnung bringen. Das Wirtschaftsleben des Hinterlandes musste den Umständen<br />

entsprechend organisiert, die Zivilbevölkerung ernährt <strong>und</strong> bekleidet werden.<br />

Ihren Bedarf an kriegswichtigen Rohstoffen, an Lebensmitteln <strong>und</strong> an Textilien<br />

konnten die Kriegsführenden nur bei den Neutralen decken, <strong>und</strong> unter den<br />

Neutralen hatte nur Amerika <strong>das</strong> Wirtschaftspotential, um ihnen genug von fast<br />

allem zu liefern. Das damalige Seerecht war ziemlich primitiv <strong>und</strong> recht unklar,<br />

weil es nicht niedergeschrieben war. Bei der ersten Konferenz in Den Haag<br />

(1899) verbot es sich durch die Opposition Englands <strong>und</strong> die Vorbehalte<br />

Deutschlands, hinsichtlich des Seekriegs über die Genfer Konvention von 1864<br />

bezüglich des Krieges zu Lande hinauszugehen; letztere hatte nur Maßnahmen<br />

zur Humanisierung des Krieges vorgeschrieben. Bei der zweiten Konferenz<br />

(1907) hatte die so genannte Prisen-Konvention für alle kriegführenden<br />

Nationen <strong>das</strong> Recht der Aufbringung von feindlichen Handelsschiffen geregelt,<br />

<strong>und</strong> war auch angenommen worden; aber wenn ihre Vorschriften für die<br />

Kriegsführung ziemlich genau waren, so waren sie es nicht hinsichtlich der<br />

Beziehungen zu den Neutralen. Zudem gab es lange Debatten über eine weitere<br />

Konvention zur Schaffung eines "Prisengerichtshofes". der ermächtigt werden<br />

sollte, in Streitfällen zu entscheiden - aber man konnte sich leider nur darauf<br />

einigen, diesen Text nicht zu ratifizieren. <strong>Die</strong> "Prisenkonvention" blieb also eine<br />

bloße Vorlage <strong>und</strong> - so bedauerlich es ist - ein solcher Text kann in der Praxis<br />

beliebig ausgelegt werden. Es bleibt ein Gesetz ohne Gesetzeskraft. Nachdem<br />

146


der Kriegseintritt Englands <strong>das</strong> Waffengeschehen auch auf die See getragen<br />

hatte, musste jeder der beiden Gegner angeben, was für ihn auf diesem Sektor<br />

der Operationen Gesetz sein würde. England <strong>und</strong> Frankreich legten es am 22.<br />

August 1914 in London fest <strong>und</strong> entschieden ganz einfach, "die Ware unter<br />

neutraler Flagge frei zu lassen", d. h. sie gewährten die volle Freiheit der Meere<br />

allen Handelsschiffen, die unter neutraler Flagge fuhren. <strong>Die</strong>se Entscheidung<br />

erfüllte die Wünsche der Amerikaner - es ist sehr wahrscheinlich, <strong>das</strong>s die<br />

Regelung von den Alliierten nur in der Sorge getroffen wurde, die USA nicht zu<br />

vergrämen - sowie die aller anderen Neutralen <strong>und</strong> paßte sogar den<br />

Mittelmächten, die sich, wenn sie auch nichts sagten, sicherlich darüber nicht<br />

wenig gefreut haben.<br />

Als sich die beiden Gegner nach der Marneschlacht <strong>und</strong> dem Wettlauf zum Meer<br />

wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen <strong>und</strong> solange zum<br />

Stellungskrieg verurteilt waren, bis ihre Volkswirtschaften ihnen erlaubten,<br />

wieder umfangreiche Angriffsoperationen zu beginnen, <strong>und</strong> als es klar war, <strong>das</strong>s<br />

der Sieg nur durch Wirtschaftsblockade, sei es der Mittelmächte durch die<br />

Alliierten oder umgekehrt, errungen werden konnten, wollte jede Partei, <strong>das</strong>s ihr<br />

Gegner dazu die Initiative ergreifen soll.<br />

Blockade, <strong>das</strong> bedeutete Krieg auch gegen neutrale Handelsschiffe, <strong>und</strong> keiner<br />

wollte die Verantwortung übernehmen, als erster anzufangen. <strong>Die</strong> Deutschen,<br />

denen die Entscheidung von London einen Vorteil gebracht hatte, da sie hoffen<br />

durften, auf Gr<strong>und</strong> ihrer eigenen Hilfsquellen <strong>und</strong> ihres hohen Industrie-<br />

Potentials vor den Franzosen <strong>und</strong> Engländern zur Wiederaufnahme der<br />

Offensive bereit zu sein, hatten keine Veranlassung, diese Initiative zu ergreifen.<br />

Im Gegenteil: wenn es zu gegenseitigen Wirtschaftsblockade-Versuchen<br />

kommen würde, lag der Vorteil bei den Franzosen <strong>und</strong> Engländern; zunächst,<br />

weil ihre Kriegsmarine stärker war. <strong>und</strong> dann, weil ihre geographische Lage <strong>und</strong><br />

die Ausdehnung der zu blockierenden Räume - auf der einen Seite nur die<br />

Nordsee, auf der anderen der Atlantik von Irland bis zum Kap - ihnen die<br />

Durchführung dieses Unternehmens viel leichter machen musste, als den<br />

Deutschen. <strong>Die</strong> deutsche Hochseeflotte konnte in der Tat den Atlantik nur<br />

erreichen, wenn sie vorher die englische Flotte zerstört hatte, die sorgfältig den<br />

Eingang bei den Orkney- <strong>und</strong> Shetlandinseln bewachte. <strong>Die</strong> Partie war also nicht<br />

gleich. Deutschland konnte sie nur mit Unterseebooten gewinnen, die sehr weit<br />

entfernt von ihren Heimatbasen operieren mussten. Da es weder technisch noch<br />

strategisch durchführbar war, Handelsschiffe zu deutschen Häfen zu geleiten<br />

(von denen die U-Boote auf dem Überseewege durch die englische Flotte<br />

abgeschnitten waren), mussten sie diese Handelsschiffe versenken, <strong>und</strong> zwar<br />

unter unmenschlichen Bedingungen, da sie die Mannschaft nicht an Bord<br />

nehmen konnten.<br />

Da durch die Londoner Erklärung vom 22. August 1914 die Zeit für<br />

Deutschland arbeitete, hatte der deutsche Generalstab sich diese Frage nicht<br />

147


überlegt. Während der ersten Kriegsmonate zielten Deutschlands Operationen<br />

zur See nur auf englische Kriegsschiffe; man verwickelte isolierte <strong>und</strong><br />

zahlenmäßig schwächere Verbände in Kämpfe, da man nicht massiert <strong>und</strong><br />

frontal angreifen konnte. Im Übrigen verwendete man die Unterseeboote als<br />

Minenleger vor den englischen Kriegshäfen <strong>und</strong> erreichte dabei manchmal<br />

sensationelle Ergebnisse. Infolgedessen erwies sich diese Wirtschaftsblockade<br />

als eine neue Schlacht von Fontenoy,* wenn auch in einem anderen Maßstab: es<br />

waren die Engländer, die genau am 3. November 1914 den ersten Schuss<br />

abgaben.<br />

In den internationalen Konventionen über den Handel zur See betraf eine<br />

Bestimmung die Kriegs-Konterbande. Neutrale oder nichtneutrale<br />

Handelsschiffe durften nur eine gegen Seeräuber ausreichende Verteidigungs-<br />

Bewaffnung besitzen, sie durften weder Soldaten, noch Waffen, noch überhaupt<br />

Waren transportieren, die direkt für die Kriegsführung verwendet werden<br />

konnten. (Es gab eine Liste der verbotenen Waren). Sie mussten genau den auf<br />

ihrem Routen-Blatt angegebenen Kurs folgen <strong>und</strong> tagtäglich im Bordbuch<br />

präzise Positionsangaben machen. Sie durften nicht unter dem Schutz von<br />

Kriegsschiffen fahren. <strong>Die</strong> Waren, die sie unter diesen Bedingungen<br />

transportierten, galten als frei - in der Sprache der Juristen 'sie miterlagen nicht<br />

dem Prisenrecht'. <strong>Die</strong> Schiffe waren unverletzlich, aber die Kriegsführenden<br />

hatten ihnen gegenüber <strong>das</strong> Recht der Untersuchung, dem sich die Fahrzeuge<br />

unterziehen mussten <strong>und</strong>, wenn sie sich weigerten, sich der Gefahr einer<br />

Versenkung nach erfolgter Vorwarnung aussetzten, soweit sie allein fuhren, oder<br />

ohne Vorwarnung, wenn sie unter Begleitschutz unterwegs waren.<br />

________________<br />

* Vergl. Anmerkung des Übersetzers Seite 33.<br />

Am 3. November 1914 nun erklärte die englische Admiralität die ganze Nordsee<br />

zum Operationsgebiet, d. h. als "Gefahrenzone" für Handelsschiffe, unter dem<br />

Vorwand, <strong>das</strong>s einige Handelsschiffe auf Minen gelaufen seien, die von<br />

deutschen Unterseebooten vor die Einfahrten zu englischen Kriegshäfen gelegt<br />

worden waren. Nach internationalen Abmachungen hätten diese Handelsschiffe<br />

sich nicht dahin begeben dürfen. Der wirkliche Gr<strong>und</strong> war aber, <strong>das</strong>s die<br />

englischen Panzerkreuzer Cressy, Hogue <strong>und</strong> Aboukir (23. September), die<br />

Kreuzer Hawke (16. Oktober) <strong>und</strong> Hermes (27. Oktober) usw. diesen Minen<br />

zum Opfer fielen. Zur gleichen Zeit veröffentlichte die englische Admiralität<br />

eine Liste von zur "Kriegskonterbande" erklärten Waren, wobei sie eine ganze<br />

Reihe von Artikeln neu aufnahm, deren Transport von nun an verboten war.<br />

Außerdem gab sie bekannt, <strong>das</strong>s die Schiffe von nun an noch gründlicher<br />

kontrolliert werden würden. Im Verfolg dieser Politik kündigte die englische<br />

Regierung in der zweiten Dezember-Hälfte die Gründung des "Netherland<br />

Oversea Trust" in Holland an, eine Art Überwachungs-, wenn nicht Kontroll-<br />

148


Organisation für den ganzen Außenhandel des Landes. Man konnte die<br />

Errichtung ähnlicher Organisationen in den skandinavischen Ländern<br />

voraussagen, was in der Folge auch eintraf. Es war klar, <strong>das</strong>s künftig der Handel<br />

zur See nur in dem Maße frei sein würde, wie es den Alliierten genehm war.<br />

Von Tirpitz forderte dringend Gegenmaßnahmen. <strong>Die</strong> deutsche Führung aber<br />

wartete zunächst die Folgen der feindlichen Schritte ab. Das war klug, denn auf<br />

Gr<strong>und</strong> der Befürchtungen seiner Industriellen <strong>und</strong> Kaufleute, die<br />

Gewinneinbußen vorhersahen, erhob Amerika in London <strong>und</strong> Paris<br />

Vorstellungen (Dezember 1914 bis Januar 1915). Ohne ihre Entscheidung<br />

offiziell rückgängig zu machen, gaben die Leute in London <strong>und</strong> Paris zu<br />

verstehen, <strong>das</strong>s sie bei amerikanischen Schiffen ein Auge zudrücken würden.<br />

Gegenüber den kleinen Neutralen aber, von denen sie weder während noch nach<br />

dem Kriege wirtschaftliche Gegenmaßnahmen zu befürchten hatten, schien es<br />

weder London noch Paris nötig zu sein, die gleiche politische Rücksicht walten<br />

zu lassen. Produkte aus Amerika waren nur "in Gefahr" auf skandinavischen<br />

oder deutschen Schiffen sowie zwischen den skandinavischen Häfen, in die sie<br />

als Transitgüter einliefen, <strong>und</strong> den deutschen Häfen.<br />

Nach einem Monat machte sich die Wirkung dieses Verfahrens in der deutschen<br />

Wirtschaft sehr bemerkbar <strong>und</strong> Tirpitz" Standpunkt setzte sich durch: Am 4.<br />

Februar 1915 verkündete <strong>das</strong> Oberkommando der deutschen Marine, <strong>das</strong>s die<br />

englischen <strong>und</strong> französischen Gewässer 74 Kriegsgebiet seien <strong>und</strong> <strong>das</strong>s vom 18.<br />

Februar ab jedes dort angetroffene feindliche Handelsschiff durch deutsche U-<br />

Boote versenkt werden würde, <strong>und</strong> zwar auch dann, wenn es nicht möglich<br />

wäre, jede Gefahr für Besatzung <strong>und</strong> Passagiere zu vermeiden, - <strong>das</strong>s ferner<br />

"neutrale Schiffe die gleiche Gefahr liefen, da im Seekrieg nicht immer<br />

verhindert werden könne, <strong>das</strong>s bei Aktionen gegen feindliche Schiffe<br />

gelegentlich auch neutrale Schiffe in Mitleidenschaft gezogen würden." Gegen<br />

diese Entscheidung protestierte Amerika genauso, wie es gegen die der<br />

Alliierten protestiert hatte. <strong>Die</strong> Deutschen gaben dieselbe Antwort, wie die<br />

Alliierten sie gegeben hatten. In zwei Monaten versenkten deutsche U-Boote<br />

111 Handelsschiffe mit etwa 300.000 Tonnen. Da die mit dieser Taktik erzielten<br />

Ergebnisse mit jedem Monat besser wurden, war nicht zu bezweifeln, <strong>das</strong>s<br />

gegen Jahresende mindestens 1.500.000 Tonnen versenkt sein würden, was<br />

selbstverständlich bei den Alliierten Bestürzung hervorrief. Aber am 7. Mai<br />

1915 versenkten die Deutschen durch einen Irrtum in der Höhe von Irland die<br />

Lusitania der englischen 'Cunard Line', die von Amerika nach England<br />

unterwegs war <strong>und</strong> nur Passagiere 75 an Bord hatte: 1198 Menschen, darunter<br />

118 amerikanische Bürger, ertranken.<br />

________________<br />

74 Nur die Seegebiete um die britischen Inseln <strong>und</strong> vor Frankreich, nicht die ganze Nordsee.<br />

75 Unter dem Titel "<strong>Die</strong> Lusitania durfte versenkt werden" <strong>und</strong> dem Untertitel "Amerikanische Kriegsschuldlüge<br />

widerlegt" las ich in der "Deutschen Wochenzeitung" vom 26. 5. 1962 einen dem "Spiegel" (Nr. 21/1962)<br />

149


entnommenen Artikel. Danach war <strong>das</strong> 1915 von einem deutschen U-Boot versenkte britische Passagierschiff<br />

'Lusitania' entgegen damaligen britischen <strong>und</strong> amerikanischen Behauptungen doch bewaffnet <strong>und</strong> mit Munition<br />

beladen. Der amerikanische Taucher John Light entdeckte an dem Wrack Beschädigungen <strong>und</strong> andere Spuren, die ihn<br />

zu der Vermutung anregten, <strong>das</strong>s Taucher des britischen Geheimdienstes belastende Beweisgegenstände aus dem<br />

gesunkenen Schiff entfernt haben, dessen Versenkung Amerika den verlogenen Vorwand bot, 1917 gegen Deutschland<br />

in den Krieg einzugreifen <strong>und</strong> ihn für die Alliierten zu entscheiden. In seinem Buch "Au fil de la Carriere" (Paris 1960,<br />

S. 172) schreibt Jules Francois Blondel, der damals (1915) französischer Botschafter in den USA war:<br />

"Churchill hat selber zugegeben, <strong>das</strong>s im Raum des Ozeandampfers 173 Tonnen Karabiner <strong>und</strong> Granaten versteckt<br />

waren ... die Deutschen wussten davon <strong>und</strong> hatten die Passagiere gewarnt, jene armen Opfer, um deren Leichen<br />

anschließend Propagandawirbel auf Propagandawirbel veranstaltet wurde".<br />

<strong>Die</strong> Amerikaner <strong>und</strong> die Alliierten haben sich selbstverständlich gehütet, auszusprechen, <strong>das</strong>s die Deutschen nach dem<br />

gültigen Kriegsrecht <strong>und</strong> den Haager Seekriegskonventionen durchaus berechtigt gewesen waren, <strong>das</strong> Schiff zu<br />

versenken. <strong>Die</strong>ses Geständnis (gewissermaßen von offizieller Seite, da es von einem Botschafter stammte, der zur Zeit<br />

der Torpedierung im Amt war) erfolgte erst 1960 ... Bis dahin allerdings wurde 'Fälschung' geschrieen, wenn ein<br />

Historiker die durch Indiskretionen <strong>und</strong> Polemiken bekannt gewordene tatsächliche Lage erwähnte.<br />

M o r a l: "Es ist immer ein Nachteil, zu früh recht gehabt zu haben!"<br />

Amerika übersandte Deutschland eine ernste Protestnote, worauf sich die<br />

deutsche Regierung am 6. Juni offiziell wegen dieses Irrtums entschuldigte <strong>und</strong><br />

versprach, <strong>das</strong>s sich ein solcher Fall nicht mehr wiederholen würde. Am 22.<br />

August 1915 erklärte Deutschland, <strong>das</strong>s es seinerseits bereit sei, die<br />

Handelsschiffe nur in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu behandeln,<br />

<strong>das</strong>s aber die Alliierten, deren Entscheidungen vom November <strong>und</strong> Dezember<br />

diese Art Krieg eingeleitet hätten, offenbar nicht gleichen Sinnes seien.<br />

<strong>Die</strong> Alliierten waren sicher nicht gleichen Sinnes. Am 1. März 1915 antworteten<br />

sie auf die deutsche Erklärung vom 4. Februar, <strong>das</strong>s sie von nun an "jede<br />

Ladung, die im Verdacht stehe, für die Mittelmächte bestimmt zu sein,<br />

beschlagnahmen würden, soweit sie nicht als Prise betrachtet werden könne." Zu<br />

gleicher Zeit hatten sie eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um die<br />

Belieferung Deutschlands mit lebenswichtigen Gütern so vollständig wie<br />

möglich zu unterbinden. Eine dieser Maßnahmen bestand darin, <strong>das</strong>s man den<br />

Außenhandel der neutralen Nachbarn des <strong>Reich</strong>es immer strenger kontrollierte<br />

<strong>und</strong> ihre Einfuhren kontingentierte, um sie so daran zu hindern, Deutschland zu<br />

beliefern.<br />

Teilte Amerika die deutschen Antworten vom 6. Juni <strong>und</strong> 22. August auf seine<br />

Proteste gegen die Torpedierung der "Lusitania" den Alliierten mit? Man darf es<br />

wohl vermuten. Ende 1915 hatte die deutsche Regierung jedoch allen Gr<strong>und</strong> zu<br />

der Annahme, <strong>das</strong>s die Alliierten sie jedenfalls nicht beachtet hatten. Da die<br />

Letzteren für ihre Entscheidung vom 1. März 1915 im Gebiet der Nordsee eine<br />

immer strengere Auslegung fanden, wurde Tirpitz am 23. Februar 1916<br />

ermächtigt, die "Jagd auf Handelsschiffe" wieder aufzunehmen. wobei "die<br />

Formalität der Vorwarnung außer bei Truppentransportern <strong>und</strong> bewaffneten<br />

150


Schiffen" aufrechterhalten blieb. Es ist festzustellen, <strong>das</strong>s weder <strong>Reich</strong>skanzler<br />

von Bethmann-Hollweg noch auch Kaiser Wilhelm II. mit diesem Befehl völlig<br />

einverstanden waren, da sie ihn als eine Art Herausforderung an Amerika<br />

betrachteten, die letzte Macht in der Welt, die trotz allem Deutschland<br />

fre<strong>und</strong>lich gesinnt blieb. Das Oberkommando der Marine hatte diesen Befehl<br />

durchgesetzt. Da man Herrn von Tirpitz die ablehnende Reaktion der Mehrzahl<br />

der Politiker fühlen ließ, demissionierte er am 14. März 1916 mit der<br />

Begründung, <strong>das</strong>s er sein Ministerium nicht länger leiten könnte, in dem seine<br />

Entscheidungen kritisiert würden". In der Zwischenzeit waren zwei weitere<br />

Handelsschiffe ohne Vorwarnung versenkt worden, die "Tubantia" (16. März)<br />

<strong>und</strong> die "Sussex" (24. März); der amerikanische Staatssekretär Lansing<br />

protestierte am 18. April von neuem. Am 25. April wurden alle deutschen U-<br />

Boote auf großer Fahrt in die Heimathäfen zurückbefohlen. <strong>Die</strong> Alliierten<br />

widerriefen ihre Entscheidung vom 1. März 1915 nicht. Im Gegenteil, am 2. Juni<br />

1916 ergriffen sie von neuem die Initiative, indem sie die Londoner Erklärung<br />

vom 22. August 1914 aufhoben <strong>und</strong> "jeden Unterschied zwischen absoluter<br />

Kriegskonterbande <strong>und</strong> bedingter Konterbande" aufhoben, wodurch jeder<br />

Handel der Neutralen mit Deutschland unterb<strong>und</strong>en wurde. Und zur größeren<br />

Sicherheit setzten sie in allen neutralen Ländern interalliierte Kommissionen ein,<br />

die den Bedarf dieser Länder an Wirtschaftsgütern feststellen sollten.<br />

Sie hatten beispielsweise bemerkt, <strong>das</strong>s Schweden 1913 nur 24.800 t Baumwolle<br />

importierte, im Jahre 1915 dagegen 123.000 t <strong>und</strong> davon 76.000 t nach<br />

Deutschland weiterexportiert hatte. Dänemark führte 1913 370 t englischen Tee<br />

ein, hatte aber für 1916 Bestellungen auf 1602 t aufgegeben, was um so<br />

schwerwiegender war, als der Tee in diesem Falle den Mittelmächten durch<br />

England selbst geliefert wurde! Und <strong>das</strong> waren nur einige Beispiele. Nach<br />

Feststellung des Bedarfs an Hand der Einfuhren des Jahres 1913 hatten die<br />

interalliierten Kommissionen die zusätzliche Aufgabe, darüber zu wachen, <strong>das</strong>s<br />

alles, was in Norwegen, Schweden, Dänemark oder in der Schweiz (über den<br />

südfranzösischen Hafen Sete) eintraf, nicht nach Deutschland oder Österreich<br />

exportiert wurde. Am Ende des Jahres 1916 herrschte in Deutschland richtige<br />

Lebensmittelknappheit: <strong>Die</strong> Mehlration war von 200 Gramm auf 160 Gramm 76<br />

je Tag gefallen; es fehlte an allem, man konnte sich gerade eben noch kleiden;<br />

der Index der Lebenshaltungskosten war von 100 im Jahr 1913 auf 212 im<br />

Dezember 1916 gestiegen usw...<br />

________________<br />

76 In Österreich-Ungarn von 200 Gramm auf 165 Gramm.<br />

<strong>Die</strong> kleinen Neutralen litten sehr unter der Entscheidung der Alliierten vom 2.<br />

Juni 1916. Sie mussten sich jedoch beugen, um ihr Wirtschaftsleben so weit wie<br />

möglich aufrechterhalten zu können.<br />

151


Um von England die für die Glasindustrie nötige Kohle (die Deutschland wegen<br />

seiner Verpflichtungen gegenüber ganz Mitteleuropa für seine<br />

Rüstungsindustrie, sowie gegenüber der Schweiz, von der es Milcherzeugnisse<br />

erhielt, nicht liefern konnte), <strong>und</strong> <strong>das</strong> für die Konservenindustrie benötigte Zinn<br />

zu erhalten, musste Schweden zusichern, diejenigen seiner Unternehmer damit<br />

nicht zu beliefern, die Milch in Flaschen oder Konserven nach Deutschland<br />

exportierten.<br />

In einer besonders schwierigen Lage befand sich die Schweiz. Am 29.<br />

September 1916 hatte sie mit Deutschland einen Vertrag über die Lieferung von<br />

Vieh <strong>und</strong> Milcherzeugnissen gegen monatlich 253.000 t Kohle abgeschlossen.<br />

<strong>Die</strong>s nahmen die Alliierten zum Vorwand, um auch ihrerseits die Lieferung der<br />

gleichen Mengen an Vieh <strong>und</strong> Milchprodukten für sich zu verlangen. <strong>Die</strong><br />

Schweizer B<strong>und</strong>esregierung musste am 17. November dieses Ansinnen<br />

ablehnen, da sie ganz offensichtlich dazu nicht in der Lage war. <strong>Die</strong> Alliierten<br />

schlugen darauf durch Sperrung des Hafens von Sete zurück, über den die<br />

Schweiz laut Vertrag alle Auslandswaren erhielt. Infolgedessen musste <strong>das</strong> Land<br />

allmählich seinen Handelsvertrag mit Deutschland abbauen. <strong>Die</strong> Entscheidung<br />

der Alliierten vom 2. Juni 1916 blieb übrigens auch nicht ohne Rückwirkung auf<br />

<strong>das</strong> Wirtschaftsleben Amerikas: <strong>Die</strong> Blockade gegen die Mittelmächte lief<br />

praktisch auch auf eine Blockade Amerikas hinaus. <strong>Die</strong>smal allerdings war die<br />

Blockade nicht <strong>das</strong> Ergebnis einer Einschränkung der Freiheit der Meere: <strong>Die</strong><br />

kleinen Neutralen konnten von nun an nichts mehr nach den Mittelmächten<br />

exportieren <strong>und</strong> kauften daher ganz einfach auch nichts mehr über ihren eigenen<br />

Bedarf hinaus in Amerika. Juristisch gesehen waren da keine diplomatischen<br />

Proteste mehr möglich.<br />

Inzwischen war in Amerika ein Umschwung der öffentlichen Meinung<br />

eingetreten. In Europa hatten sich Bulgarien <strong>und</strong> die Türkei an die Seite<br />

Deutschlands <strong>und</strong> Österreich-Ungarns gestellt, während zu den Alliierten<br />

Serbien <strong>und</strong> Belgien von Anfang an, später Montenegro, Rumänien, Italien <strong>und</strong><br />

Griechenland stießen. Ende 1916 gewannen weitere - außereuropäische - Länder<br />

auf Gr<strong>und</strong> der Wendung der Lage zur See allmählich die Überzeugung, <strong>das</strong>s<br />

ihren Interessen besser auf Seiten der Alliierten gedient wäre; die Mittelmächte<br />

sowie Bulgarien <strong>und</strong> die Türkei standen im Kriegszustand mit fast der ganzen<br />

Welt, zumindest waren aber die diplomatischen Beziehungen abgebrochen.<br />

In Amerika bewies Präsident Wilson immer noch den gleichen Sinn für<br />

Gerechtigkeit <strong>und</strong> Rechtlichkeit gegenüber beiden Seiten. In der Öffentlichkeit<br />

hatte jedoch die Sache der Alliierten auf Gr<strong>und</strong> von zwei wichtigen Tatsachen<br />

an Boden gewonnen: einerseits konnte die Gruppe Amerikaner germanischen<br />

Ursprungs, so zahlreich sie auch war, den vereinten Romanen, Slawen <strong>und</strong><br />

Briten nicht die Waage halten, da diese, wenn sie wählen sollten, natürlich eher<br />

geneigt waren, die Sache ihrer Heimatländer zu unterstützen; andererseits trafen<br />

die Amerikaner Entscheidungen unter dem Einfluss der Propaganda des<br />

152


ehemaligen Präsidenten Theodore Roosevelt, der seit Beginn der<br />

Feindseligkeiten nicht aufgehört hatte, in deutschfeindlichem Sinne zu wirken.<br />

Zu der gleichen Überzeugung war Ende 1916 allmählich die Mehrzahl der<br />

Industriellen <strong>und</strong> Kaufleute gelangt unter dem Duck der wirtschaftlichen<br />

Schwierigkeiten, die eine Folge der Einkreisung der Mittelmächte war <strong>und</strong> die in<br />

dem Maße größer wurden, wie die Blockade an Wirksamkeit gewann. <strong>Die</strong>sen<br />

Leuten hatte die nahe Berührung mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten<br />

außerdem noch eine weitere Erkenntnis gebracht: die Art, in der es den<br />

Mittelmächten gelang, die zahlreichen Engpässe infolge der fast völligen<br />

Lahmlegung ihres Außenhandels zu überwinden, bewies, was für harte<br />

Konkurrenten sie nach dem Kriege auf den Weltmärkten sein würden, wenn sie<br />

siegten. Im Sinne dieser Erkenntnis setzten sich die amerikanischen Industriellen<br />

<strong>und</strong> Bankiers, die schon auf Gr<strong>und</strong> ihrer Abstammung größtenteils den<br />

Alliierten günstig gesinnt waren, in ihren Kreisen ebenso leicht durch, wie die<br />

entsprechende Propaganda des ehemaligen Präsidenten! Theodore Roosevelt in<br />

der öffentlichen Meinung.<br />

Es konnte nicht ausbleiben, <strong>das</strong>s Präsident Wilson von diesem Umschwung in<br />

der öffentlichen Meinung <strong>und</strong> in der Geschäftswelt beeinflusst wurde. Seinem<br />

Wunsche, diesen Einflüssen nicht nachzugeben, wirkten einige Umstände<br />

entgegen: In Österreich-Ungarn war Kaiser Franz-Josef am 21. November 1916<br />

gestorben, <strong>und</strong> sein Neffe <strong>und</strong> Nachfolger Karl-Franz hatte nichts eiligeres zu<br />

tun, als über die Vermittlung seines französischen Schwagers Prinz Sixtus von<br />

Bourbon Verhandlungen mit den Alliierten anzuknüpfen, mit dem Ziel einer<br />

Beendigung des Krieges durch einen Kompromiss; in Deutschland hatte sich<br />

<strong>Reich</strong>skanzler von Bethmann-Hollweg nach dem Scheitern der Offensive von<br />

Verdun allmählich davon überzeugt, <strong>das</strong>s die Mittelmächte ihren Gegner<br />

niemals besiegen könnten <strong>und</strong> <strong>das</strong>s es in ihrem eigenen Interesse läge, zu<br />

verhandeln, solange sie sich noch - obwohl ernstlich bedroht - in starker Position<br />

befänden; daher hatte er am 12. Dezember 1916 im <strong>Reich</strong>stag eine Rede<br />

gehalten, die ein deutliches Friedensangebot darstellte; in Italien zeichnete sich<br />

eine Bewegung zu Gunsten Giolittis ab, dem es nicht gelungen war, <strong>das</strong><br />

bewaffnete Eingreifen dieses Landes auf Seiten der Alliierten zu verhindern (16.<br />

März 1915); der Vatikan bereitete einen Vermittlungsversuch vor; in der<br />

französischen Bevölkerung zeigte sich eine Tendenz zur Wiederaufnahme der<br />

internationalen Beziehungen; schließlich hatte selbst in England die durch die<br />

Anwendung der Entscheidung vom 2. Juni 1916 verursachte Knappheit vieler<br />

Waren zu einer Unzufriedenheit geführt, die immer weiter anwachsen musste.<br />

(<strong>Die</strong> Handelsflotte reichte eben nicht, um alles zu transportieren, was Frankreich<br />

<strong>und</strong> England in Amerika kaufen konnte - <strong>das</strong> hatte die Einführung von<br />

Lebensmittelkarten <strong>und</strong> die Bewirtschaftung der einheimischen Produktion nach<br />

sich gezogen).<br />

153


Am 22. Dezember 1916 hielt Präsident Wilson den Augenblick zu einer<br />

Vermittlung in Europa für günstig. Er glaubte, <strong>das</strong>s er die Entzweiung der<br />

öffentlichen Meinung in Amerika beenden könnte <strong>und</strong> bat jede der beiden<br />

feindlichen Koalitionen, ihre Kriegsziele bekannt zu geben. Seine Hoffnung auf<br />

einen Erfolg war so groß, <strong>das</strong>s er in seiner Botschaft an den Senat am 21. Januar<br />

1917 einen "Frieden ohne Sieger <strong>und</strong> Besiegte" vorschlug <strong>und</strong> die Gründung<br />

eines Völkerb<strong>und</strong>es auf der Gr<strong>und</strong>lage des internationalen Rechts (vgl. S. 145),<br />

obwohl die deutsche Regierung (unter dem Druck der durch die alliierte<br />

Erklärung vom 2. Juni 1916 verursachten Schwierigkeiten) am 9. Januar 1917<br />

die "Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges für den 1. Februar"<br />

angekündigt hatte. Einige Tage danach machte die republikanische Presse<br />

großes Aufheben von einem Versuch der deutschen Botschaft in Washington,<br />

die lateinamerikanischen Länder gegen die Vereinigten Staaten aufzuwiegeln: es<br />

ist zwar niemals genau bekannt geworden, was eigentlich dahinter steckte, aber<br />

man muss annehmen, <strong>das</strong>s diese Gerüchte nicht ganz gr<strong>und</strong>los 77 waren, denn<br />

am 3. Februar 1917 schlug Präsident Wilson selbst, wie wir schon gesehen<br />

haben, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den Mittelmächten vor.<br />

Als dann die allgemeine Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges<br />

durch Deutschland Wirklichkeit wurde, erfuhr man, <strong>das</strong>s die deutschen U-Boote<br />

im Februar 1917 Handelsschiffe mit 540.944 BRT versenkt hatten. Am 17. März<br />

waren drei amerikanische Handelsschiffe torpediert worden. Am 1. April 1917<br />

wurde schließlich bekannt gegeben, <strong>das</strong>s die durch die deutschen Unterseeboote<br />

versenkte Tonnage im März 578.253 t erreicht hatte. Präsident Wilson verlor<br />

schließlich selbst jede Hoffnung, verhindern zu können, <strong>das</strong>s auf den Abbruch<br />

der diplomatischen Beziehungen zu den Mittelmächten die Kriegserklärung<br />

folgte.<br />

________________<br />

77 Es handelte sich um ein Telegramm der deutschen Regierung an ihren Gesandten in Mexiko mit der Aufforderung,<br />

einen mexikanischen Angriff auf die Vereinigten Staaten vorzubereiten, (<strong>das</strong> Verhältnis zwischen diesen<br />

Nachbarstaaten war damals recht gespannt). Es wurde von der amerikanischen Regierung abgefangen, aber nicht sofort<br />

veröffentlicht. Über dieses Telegramm ließ sich niemals endgültige Klarheit gewinnen. Soweit mir bekannt, hat die<br />

deutsche Regierung nie zugegeben, die Urheberin zu sein. Aber ...<br />

Er wurde von zwei Seiten unter Feuer genommen: sowohl von einem Großteil<br />

der öffentlichen Meinung, besonders nach dem 17. März 1917 - wie auch von<br />

der Geschäftswelt, die erschreckt durch die ersten Ergebnisse des wieder<br />

aufgenommenen U-Bootkrieges daraus auf die Härte des Konkurrenzkampfes<br />

nach einem deutschen Sieg schloss. So schlug Präsident Wilson dann am 2.<br />

April 1917 in einer feierlichen gemeinsamen Sitzung des Obersten<br />

Gerichtshofes <strong>und</strong> des Kongresses von sich aus vor, Deutschland den Krieg zu<br />

erklären.<br />

<strong>Die</strong> amerikanischen Industriellen <strong>und</strong> Bankiers hatten gesiegt.<br />

154


*<br />

Das Eingreifen Amerikas in den Krieg wurde um so entscheidender, als im<br />

November 1917 Russland zusammenbrach, was den Mittelmächten gestattete,<br />

ihre Anstrengungen auf die Westfront zu konzentrieren. Im Augenblick<br />

veränderte sich allerdings <strong>das</strong> Kräfteverhältnis nur unerheblich: <strong>Die</strong> Vereinigten<br />

Staaten waren nicht vorbereitet, sie mussten eine Landarmee auf die Beine<br />

stellen, eine Kriegsflotte bauen, ihre Handelstonnage vergrößern, um die<br />

Ausfälle bei den durch die deutschen U-Boote ernstlich angeschlagenen<br />

Franzosen <strong>und</strong> Engländern auszugleichen, d. h. sie mussten ihre ganze<br />

Wirtschaft umorganisieren, <strong>und</strong> dazu brauchte man nach einhelliger Ansicht<br />

aller Fachleute mindestens ein Jahr. Während dieser Zeit hatten die<br />

Mittelmächte noch Gelegenheit, den Krieg zu gewinnen, <strong>und</strong> sie strengten sich<br />

so an, <strong>das</strong>s die Alliierten häufig, besonders Anfang 1918, fürchteten,<br />

kapitulieren zu müssen.<br />

Während des ganzen Jahres 1917 war der Seekrieg sehr heftig. Von 578.253<br />

BRT im März war die Tonnage der vernichteten Handelsschiffe der Alliierten<br />

im April auf 874.756 BRT empor geschnellt um sich dann bei durchschnittlich<br />

600.000 BRT im Monat zu halten; die Gesamtsumme des Jahres belief sich auf<br />

6-7 Millionen Tonnen. <strong>Die</strong> Wirtschaftsblockade der Mittelmächte war praktisch<br />

vollständig, aber die der Westmächte <strong>und</strong> Amerikas nicht weniger.<br />

In allen europäischen Ländern, neutralen wie kriegführenden, rief die notwendig<br />

gewordene Bewirtschaftung aller an den Kleinhandel gelieferten Waren <strong>und</strong> ihre<br />

Beschränkung auf regelrechte Hungerrationen, eine allgemeine Unzufriedenheit<br />

hervor, die besonders im November 1917 nach dem russischen Zusammenbruch<br />

zu einer sehr ernsten Krise der Kampfbereitschaft führte.<br />

"Wir sind dabei, den Krieg zu verlieren", begrüßte im Januar der englische<br />

Admiral Jellicoe in London seinen amerikanischen Kollegen Sims, der ihn<br />

besuchte, um mit ihm <strong>das</strong> Geleitzug-System für Handelsschiffe vorzubereiten,<br />

<strong>das</strong> einzige Mittel, die Verluste durch deutsche Unterseeboote einzuschränken.<br />

Und <strong>das</strong>, obwohl solche im Geleitzug fahrenden Schiffe vorwarnungslos<br />

angegriffen werden durften - ohne <strong>das</strong>s der Angreifer dadurch gegen die<br />

Bestimmungen der internationalen Konventionen verstieß.<br />

<strong>Die</strong> Stimmung war sehr gedrückt <strong>und</strong> wurde auch nicht besser, als Admiral Sims<br />

sich seines weiteren Auftrages entledigte, den französisch-britischen<br />

Generalstab darüber zu unterrichten, <strong>das</strong>s die amerikanische Flotte zwar<br />

imstande sei, von jetzt ab den wirtschaftlichen Bedarf zu decken, vorausgesetzt,<br />

<strong>das</strong>s die britische Home Fleet die Sicherung der Geleitzüge übernehmen könnte,<br />

<strong>das</strong>s aber die ersten voll ausgerüsteten amerikanischen Divisionen erst in zwei<br />

bis drei Monaten in Europa eintreffen könnten; 70.000 Mann am 1. April, aus<br />

denen aber bis zum 1. Juli mindestens 450.000 geworden sein würden. So<br />

155


erfreulich diese letztere Zahl auch sein mochte, sie bedeutete weder für die<br />

Franzosen noch für die Engländer eine große Beruhigung, denn es war die<br />

augenblickliche Lage, die sie bedrängte: Was hatte der deutsche Generalstab<br />

vor? Und besonders: Welche Möglichkeiten boten sich ihm bis zum Eintreffen<br />

der Amerikaner?<br />

Der deutsche Generalstab sah die Gefahr kommen <strong>und</strong> fürchtete, <strong>das</strong>s der Krieg<br />

für die Mittelmächte unabwendbar verloren sei, wenn nicht vor dem Eintreffen<br />

des Gros der amerikanischen Verstärkungen eine Entscheidung herbeigeführt<br />

werden konnte.<br />

"Am 21. März 1918, um 4 Uhr morgens", schreibt Marschall Foch in "La<br />

seconde Bataille de la Marne" (S. 108), "ertönte plötzlich in Frankreich an der<br />

Front, von Arras bis Noyon, ein Donnergrollen". Eine halbe Million Mann, d. h.<br />

also etwa 50 Divisionen, hatten sich an diesem Tage auf die französischen<br />

Stellungen gestürzt, sie überrannt <strong>und</strong> innerhalb zehn Tagen einen Einbruch von<br />

60 Kilometer Tiefe bei einer Breite von 80 Kilometer erreicht, wobei sie<br />

100.000 Gefangene machten. - Am 9. April sind die englischen Stellungen an<br />

der Lys zerschlagen. - Am 27. Juni bricht eine Offensive an der Aisne durch die<br />

französischen Stellungen am Chemin des Dames <strong>und</strong> bringt die deutschen<br />

Truppen in die Gegend von Chäteau-Thierry an der Marne, 65 Kilometer vor<br />

Paris.<br />

<strong>Die</strong> Lage bei den Alliierten war verzweifelt. Aber auf deutscher Seite konnte die<br />

erschöpfte Wirtschaft nach dieser Kraftanstrengung weiteren Anforderungen der<br />

Front nicht mehr entsprechen. Als Ludendorff nach mehrmonatiger Atempause<br />

am 15. Juli in der Lage war, die Offensive fortzusetzen, waren die 450.000<br />

amerikanischen Soldaten da <strong>und</strong> in Stellungen eingegliedert, die von der Maas<br />

bis an die Nordsee reichten - bereit zur Gegenoffensive, für die nur noch der<br />

Zeitpunkt festzulegen war.<br />

<strong>Die</strong> deutsche Offensive wurde in Richtung der Marne fortgesetzt, von wo<br />

Ludendorff hoffte, weitere Geländegewinne in Richtung Paris erzielen zu<br />

können, aber schon nach drei Tagen blieben die Truppen liegen <strong>und</strong> nach<br />

vierzehn Tagen folgte ein Rückzug weit über die Ausgangsstellungen hinaus,<br />

der die Deutschen 30.000 Gefangene, 6000 Geschütze, 300 Maschinengewehre,<br />

200 Granatwerfer usw. kostete. Am 20. August 1918 erreichten die alliierten<br />

Truppen die Linie Arras-Soissons. Am 26. September gewannen die Engländer,<br />

die im April verlorenen Stellungen wieder zurück. Am 15. Oktober war die<br />

Hindenburglinie auf der ganzen Frontbreite eingedrückt. Für den 19. Oktober ist<br />

<strong>das</strong> Ziel der alliierten Streitkräfte die Linie Sedan- Gent; <strong>und</strong> während die<br />

deutsche Armee am 5. November allgemeine Rückzugsbewegungen einleitete,<br />

gibt Marschall Foch - ohne Pause zu machen - den Tagesbefehl: "An den<br />

Rhein".<br />

156


Als inzwischen dem deutschen Generalstab klar wurde, <strong>das</strong>s er niemals mehr die<br />

Initiative der militärischen Operationen würde an sich reißen können, wurde am<br />

14. August 1918 ein Kronrat im Großen Hauptquartier in Spa einberufen.<br />

Nach Ludendorffs Bericht ("Meine Kriegserinnerungen" S. 552ff.), gab <strong>das</strong><br />

militärische Oberkommando der politischen Führung des <strong>Reich</strong>es unzweideutig<br />

zu verstehen, <strong>das</strong>s der Krieg nicht mehr mit den Waffen gewonnen werden<br />

könne, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s die Armee den Feind nur noch durch defensive Strategie<br />

hinzuhalten vermochte. Der Kaiser schloss daraus, <strong>das</strong>s man den günstigsten<br />

Augenblick abwarten müsse, um sich mit den Alliierten zu verständigen.<br />

Unglücklicherweise gab es dafür keinen günstigen Moment mehr. Während der<br />

Generalstab den allgemeinen Rückzug auf die Hindenburglinie beschloss, ließ<br />

Kaiser Karl am 13. September wissen, <strong>das</strong>s Österreich-Ungarn entschlossen sei,<br />

um Frieden zu bitten.<br />

Am 26. September legte Bulgarien die Waffen nieder.<br />

Am 3. Oktober setzte sich der damalige <strong>Reich</strong>skanzler, Prinz Max von Baden 78<br />

durch Vermittlung des schweizerischen Gesandten in Washington mit Präsident<br />

Wilson in Verbindung. Von da an überstürzten sich die Ereignisse. Wenn Prinz<br />

Max von Baden sich lieber an Wilson statt an den britischen Premier oder den<br />

französischen Ministerpräsidenten wandte, so hatte er dafür seine guten Gründe.<br />

________________<br />

78 Im Juli 1917 hatten Hindenburg <strong>und</strong> Ludendorff beim Kaiser die Entlassung Bethmann-Hollwegs durchgesetzt, der<br />

ihres Erachtens zu verhandlungsfreudig war. Nach Bethmann-Hollweg kam ein schwacher Kanzler, Michaelis, der<br />

seinerseits bald wieder vom Grafen Hertling abgelöst wurde. Am 29. September 1918 hatte Graf Hertling dem Prinzen<br />

Max von Baden Platz gemacht, der in sein Kabinett Sozialisten wie Scheidemann aufnahm. Es handelte sich dabei zum<br />

ersten Mal in Deutschland um eine Regierung parlamentarischen Charakters.<br />

Einerseits war Amerikas Einfluss auf die Führung des Krieges überwiegend,<br />

andrerseits hatte Wilson über die Beendigung der Feindseligkeiten <strong>und</strong> den<br />

nachfolgenden Frieden seit seiner Senatsbotschaft vom 21. Januar 1917 (ein<br />

Friede ohne Sieger <strong>und</strong> Besiegte, ein Völkerb<strong>und</strong> gegründet auf Gerechtigkeit<br />

usw...) eine Anzahl Reden gehalten, die als Ermutigung für<br />

Friedensbestrebungen der Mittelmächte aufgefasst werden konnten.<br />

<strong>Die</strong> erste dieser Reden, am 8. Januar 1918, war eine neue Botschaft an den<br />

Senat. Sie enthielt die berühmten 14 Punkte. Zu dieser Zeit waren die<br />

Delegierten der Sowjets in Brest-Litowsk mitten in Verhandlungen mit denen<br />

Deutschlands, Österreich-Ungarns, der Türkei <strong>und</strong> Bulgariens. Zu diesen<br />

Verhandlungen hatten sie den Weg frei gemacht, durch eine Proklamation, die<br />

gleichzeitig an <strong>das</strong> russische Volk, an die Mittelmächte <strong>und</strong> an ihre ehemaligen<br />

Alliierten gerichtet war, adressiert war sie an die letzteren. In diesem Text hieß<br />

es:<br />

"Wir verlangen so bald wie möglich den Abschluss eines<br />

Waffenstillstandes an allen Fronten ..., wollen Verhandlungen beginnen<br />

157


über einen Frieden ohne Annexionen <strong>und</strong> Entschädigungen, einen Frieden,<br />

der allen Völkern völlige Entwicklungsfreiheit zusichert."<br />

<strong>Die</strong>s war ein Frieden, wie ihn Präsident Wilson in seiner Senats-Botschaft vom<br />

21. Januar 1917 definiert hatte: Ohne Sieger oder Besiegte. Dass er es für<br />

notwendig hielt, seine Gedanken vor Abschluss der Verhandlungen in Brest-<br />

Litowsk zu präzisieren ist leicht verständlich. Er tat es in den 14 Punkten, deren<br />

Inhalt sich wie folgt zusammenfassen lässt:<br />

1. Friedensschlüsse auf Gr<strong>und</strong> von öffentlichen Verhandlungen ohne<br />

geheime Zusatzabkommen. Ausschluss der Geheimdiplomatie <strong>und</strong><br />

besonderer Bündnisse zwischen einzelnen Völkern.<br />

2. Völlige Freiheit der Schifffahrt außerhalb der Territorial-Gewässer<br />

in Kriegs- <strong>und</strong> Friedenszeiten.<br />

3. Möglichst vollständige Abschaffung der Wirtschaftsschranken,<br />

gleiche Behandlungen aller friedensschließenden Nationen bezüglich<br />

des Handels.<br />

4. Garantien für die Begrenzung der nationalen Rüstung.<br />

5. Unparteiische Regelung aller Kolonialfragen unter Berücksichtigung<br />

der Interessen der Eingeborenen.<br />

6. Räumung aller Gebiete des früheren russischen Kaiserreiches <strong>und</strong><br />

Neugestaltung dieses Raumes im Einklang mit dem<br />

Selbstbestimmungsrecht der Völker.<br />

7. Räumung <strong>und</strong> vollständiger Wiederaufbau Belgiens, Anerkennung<br />

seiner völligen Unabhängigkeit.<br />

8. Räumung Frankreichs, Wiedergutmachung des Unrechts, <strong>das</strong> diesem<br />

Land 1871 angetan wurde (Elsass-Lothringen).<br />

9. Neuregelung der Grenzen Italiens nach den Wünschen der<br />

Bevölkerung <strong>und</strong> nach dem Nationalitäts-Prinzip.<br />

10. Zusicherung autonomer Entwicklungsmöglichkeiten für die Völker<br />

Österreich-Ungarns <strong>und</strong> Platz für sie unter den selbständigen<br />

Nationen.<br />

11. Räumung Serbiens, Montenegros <strong>und</strong> Rumäniens; Zusicherung eines<br />

Zugangs zum Meere für Serbien.<br />

12. Der türkische Teil des Ottomanischen <strong>Reich</strong>es soll unabhängig <strong>und</strong><br />

souverän auf seinem Gebiet werden, jedoch sollen die anderen,<br />

bisher der türkischen Herrschaft unterworfenen Völker ihre Freiheit<br />

wiedererlangen <strong>und</strong> deren Bestand garantiert werden. <strong>Die</strong> Durchfahrt<br />

durch die Dardanellen soll für Schiffe aller Nationen unter<br />

internationaler Garantie jederzeit offen bleiben.<br />

13. Schaffung eines unabhängigen polnischen Staates, dem alle<br />

unbestreitbar polnischen Volksteile angehören, mit freiem Zugang<br />

158


zum Meere. Sein Bestehen <strong>und</strong> seine politische Unabhängigkeit<br />

werden durch einen internationalen Vertrag garantiert.<br />

14. Schaffung eines Völkerb<strong>und</strong>es, dessen Mitglieder sich gegenseitig<br />

die politische Unabhängigkeit <strong>und</strong> die Unversehrtheit ihrer Gebiete<br />

garantieren.<br />

In einer zweiten Rede. am 11. Februar 1918, kommentiert Wilson die bereits<br />

veröffentlichten Bestimmungen des Friedensvertrages von Brest-Litowsk <strong>und</strong><br />

definiert in vier Punkten, was er in der Praxis unter "Selbstbestimmung der<br />

Völker" versteht:<br />

1. Der Gr<strong>und</strong>gedanke des Vertrages, durch den der Krieg beendet wird,<br />

lautet: Gleiches Recht für Alle, d. h. es ist für jeden besonderen Fall<br />

eine Lösung zu suchen, die niemands Recht verletzt <strong>und</strong> die<br />

größtmögliche Gewähr für einen dauernden Frieden bietet.<br />

2. Völker <strong>und</strong> Provinzen sollen nicht mehr von der einen Hand in die<br />

andere übergehen können wie der Einsatz, der beim Kartenspiel<br />

gewonnen oder verloren wird, auch nicht, wenn es sich bei diesem<br />

von jetzt an für immer als unsittlich erkannten großen Spiel um <strong>das</strong><br />

innere Gleichgewicht der Kräfte handelt.<br />

3. Jede Gebietsregelung muss den Interessen <strong>und</strong> dem Wohle der<br />

jeweiligen Bevölkerung dienen: sie darf nicht auf einem<br />

Kompromiss zwischen den rivalisierenden Staaten beruhen.<br />

4. Alle deutlich definierten Bestrebungen zur nationalen<br />

Selbstbestimmung sollen befriedigt werden, soweit dadurch nicht in<br />

irgendeinem Staat solche Spannungen geschaffen werden, <strong>das</strong>s ein<br />

Friedensbruch zu befürchten wäre.<br />

In der Folge hielt Präsident Wilson noch andere Reden, in denen er seine<br />

Gedanken über den Frieden bekannt gab. Am 6. April 1918, dem Jahrestag des<br />

Kriegseintritts der Vereinigten Staaten, versicherte er, <strong>das</strong>s sein Land keinen<br />

materiellen Vorteil aus dem Krieg zu ziehen beabsichtige. <strong>Die</strong> Rede vom 4. Juli<br />

enthält den häufig zitierten Satz: "Was wir errichten wollen, ist eine vom Willen<br />

der Regierten getragene Regierung, die sich an die Gesetze des Landes hält <strong>und</strong><br />

von allen aufgeklärten Menschen in der Welt unterstützt wird." <strong>Die</strong> Rede vom 7.<br />

September fasst die vorhergehenden in fünf Gr<strong>und</strong>sätzen zusammen:<br />

1. Eine unparteiische Gerechtigkeit kennt keinen Unterschied zwischen<br />

denen, gegen die wir gerecht sein wollen <strong>und</strong> denen, gegen die wir es<br />

nicht zu sein wünschen.<br />

2. Kein Sonderinteresse eines Volkes oder einer Völkergruppe kann<br />

unter Vernachlässigung des Allgemeinwohles aller Menschen als<br />

Gr<strong>und</strong>lage für irgendeine Regelung dienen.<br />

159


3. Es darf keine Sonderbündnisse, Sonderverträge oder<br />

Sonderabmachungen geben zwischen Völkern, die der großen<br />

Völkerfamilie angehören.<br />

4. Es darf keine Geheimabkommen zwischen Mitgliedern des<br />

Völkerb<strong>und</strong>es geben.<br />

5. Infolgedessen müssen alle internationalen Verträge veröffentlicht<br />

<strong>und</strong> der ganzen Welt bekannt gemacht werden.<br />

In seiner Note vom 3. Oktober unterrichtete Prinz Max von Baden Präsident<br />

Wilson, <strong>das</strong>s die deutsche Regierung bereit sei, den Frieden zu den in seiner<br />

Kongress-Botschaft vom 8. Januar festgelegten Bedingungen zu schließen <strong>und</strong><br />

bat um Waffenstillstand. Am 7. Oktober drückte die österreichisch-ungarische<br />

Regierung den gleichen Wunsch unter denselben Voraussetzungen aus.<br />

Ein Schriftwechsel folgte, in dessen Verlauf eine Anzahl Einzelfragen<br />

gegenseitig geklärt wurden. Am 23. Oktober benachrichtigte Präsident Wilson<br />

die Mittelmächte, <strong>das</strong>s er bereit wäre, in Verhandlungen einzutreten,<br />

vorausgesetzt, <strong>das</strong>s man einerseits nicht mit den Hohenzollern zu verhandeln<br />

habe <strong>und</strong> <strong>das</strong>s andererseits nur eine Kapitulation ohne Bedingungen in Frage<br />

käme. Das Vorangegangene sagt recht deutlich, was im Sinne Präsident Wilsons<br />

unter einer Kapitulation ohne Bedingungen zu verstehen wäre: eine reine<br />

Formsache oder schlimmstenfalls eine Garantie, <strong>das</strong>s nach der Unterzeichnung<br />

des Waffenstillstandsabkommens nicht etwa der deutsche Generalstab aus<br />

Unzufriedenheit mit dem Ergebnis, die unterbrochenen Feindseligkeiten wieder<br />

aufnehmen könnte - was nicht <strong>und</strong>enkbar gewesen wäre. Präsident Wilson<br />

erklärte übrigens in seiner Antwortnote nachdrücklich, <strong>das</strong>s die Klausel so zu<br />

verstehen sei.<br />

Ohne die Antwort der deutschen Regierung abzuwarten, teilte er am gleichen<br />

Tage den ganzen Schriftwechsel den Franzosen <strong>und</strong> Engländern mit, indem er<br />

sie aufforderte, mit ihren militärischen Beratern "die Bedingungen für einen<br />

Waffenstillstand festzulegen für den Fall, <strong>das</strong>s sie bereit wären, einen solchen zu<br />

gewähren."<br />

<strong>Die</strong> deutsche Antwort vom 27. Oktober 1918 traf am 28, bei Wilson ein. Sie<br />

enthielt die Annahme seiner Bedingungen. <strong>Die</strong> Regierung des Prinzen Max von<br />

Baden erwartete jetzt "Waffenstillstandsvorschläge, die zu einem gerechten<br />

Frieden führen könnten, gemäß der vom Präsidenten aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätze".<br />

In der Antwort der Franzosen <strong>und</strong> Engländer vom 4. November wurde erklärt:<br />

"<strong>Die</strong> Alliierten Regierungen haben den zwischen dem Präsidenten der<br />

Vereinigten Staaten <strong>und</strong> der deutschen Regierung stattgehabten<br />

Schriftwechsel sorgfältig geprüft. Unter den nachstehenden Vorbehalten<br />

erklären sie sich bereit, mit der deutschen Regierung Frieden zu schließen<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage der in der Adresse des Präsidenten an den Kongress vom<br />

8. Januar 1918 enthaltenen Bedingungen sowie der in seinen weiteren<br />

160


Erklärungen aufgestellten Prinzipien. Sie müssen jedoch darauf hinweisen,<br />

<strong>das</strong>s Artikel 2 über die so genannte Freiheit der Meere verschieden<br />

ausgelegt werden kann. Einige dieser Auslegungen würden sie nicht<br />

annehmen können. Infolgedessen müssen sie im Falle einer<br />

Friedenskonferenz sich gänzliche Handlungsfreiheit in dieser Frage<br />

vorbehalten. Als der Präsident in seiner Adresse an den Kongress vom 8.<br />

Januar 1918 seine Friedensbedingungen formulierte, hat er erklärt, <strong>das</strong>s die<br />

besetzten Gebiete nicht nur geräumt, sondern auch wiederaufgebaut werden<br />

müssten. <strong>Die</strong> Alliierten sind der Meinung, <strong>das</strong>s kein Zweifel darüber<br />

bestehen bleiben dürfte, welchen Umfang diese Bedingung hat. Sie<br />

verstehen darunter, <strong>das</strong>s Deutschland alle Schäden ersetzen muss, die die<br />

Zivilbevölkerung der Alliierten infolge des deutschen Angriffs an ihrer<br />

Person sowie an ihrem Eigentum erlitten hat, ob diese Schäden nun durch<br />

Kriegshandlungen zu Lande, zur See oder durch Luftoperationen<br />

entstanden sind."<br />

*<br />

<strong>Die</strong> weiteren Ereignisse haben keine große Bedeutung. Am 5. November 1918<br />

ließ Wilson den Gesandten der Schweiz ein Telegramm nach Berlin senden, in<br />

dem die deutsche Regierung eingeladen wurde, verhandlungsbevollmächtigte<br />

Vertreter zu Marschall Foch zu schicken, von den Waffenstillstandsbedingungen<br />

Kenntnis zu nehmen <strong>und</strong> gegebenenfalls ein Abkommen zu schließen. Sofort<br />

wurden bestimmt: Der Abgeordnete <strong>und</strong> Staatssekretär Erzberger, Leiter der<br />

Zentrumspartei, Gesandter Graf Oberndorf, General von Winterfeldt, Kapitän<br />

zur See Vanselow <strong>und</strong> ein Vertreter des Generalstabes, General der Infanterie<br />

von Guendell, der von Hindenburg den Auftrag hatte, sich als einfacher<br />

Beobachter zu verhalten <strong>und</strong> in keiner Weise an den Verhandlungen<br />

mitzuwirken, oder irgend eine Verantwortung zu übernehmen. <strong>Die</strong> Herren<br />

brachen am 6. November auf <strong>und</strong> kamen am 8. November in Rethondes an.<br />

Inzwischen hatte die Türkei am 30. Oktober die Waffen niedergelegt <strong>und</strong><br />

Österreich-Ungarn war am 3. November diesem Beispiel gefolgt.<br />

Schwerwiegende Dinge waren in Deutschland geschehen. Mit Rücksicht auf<br />

seine Zusagen hatte Prinz Max von Baden am 1. November den preußischen<br />

Abgeordneten Drews ins Große Hauptquartier nach Spa entsandt, wo sich der<br />

Kaiser befand; dieser wurde ersucht, freiwillig abzudanken. <strong>Die</strong>ser Schritt hatte<br />

zunächst keinen Erfolg.<br />

Am 3. November meuterten 20.000 Matrosen der Garnison Kiel. Am 4. hatten<br />

die Besatzungen der Schiffe "König", "Kronprinz Wilhelm". "Kurfürst",<br />

"Thüringen", "Helgoland" <strong>und</strong> "Markgraf" den Gehorsam verweigert <strong>und</strong> rote<br />

Fahnen gehisst. Am folgenden Tag traten in Kiel die ersten Arbeiter- <strong>und</strong><br />

Soldatenräte in Erscheinung. <strong>Die</strong>se Bewegung hatte sich in der Zwischenzeit<br />

161


asch in Deutschland ausgebreitet. Am 8. November erfuhr der Kaiser, der dem<br />

von allen Seiten auf ihn ausgeübten Druck zur freiwilligen Abdankung immer<br />

noch Widerstand leistete, in Spa, <strong>das</strong>s die Könige von Bayern <strong>und</strong> Württemberg<br />

vor den durch die Räte organisierten Massendemonstrationen geflohen waren<br />

<strong>und</strong> ihnen freie Bahn gelassen hatten. Am Morgen des 9. November gab er<br />

endlich nach <strong>und</strong> dankte ab, aber nur als Kaiser von Deutschland, nicht als<br />

König von Preußen; diesen Titel wollte er behalten. 79 Am Nachmittag floh er auf<br />

den Rat Hindenburgs nach Holland.<br />

Als Prinz Max von Baden in Berlin diese Nachrichten erhielt, trat er zurück <strong>und</strong><br />

übertrug Ebert, dem Vorsitzenden der Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenräte die<br />

Wahrnehmung der Geschäfte des <strong>Reich</strong>skanzlers. Zur gleichen Zeit erschien der<br />

Abgeordnete <strong>und</strong> Minister Scheidemann auf der Rampe des <strong>Reich</strong>stags <strong>und</strong> rief<br />

von sich aus, ohne jemand gefragt zu haben, vor der zusammengeströmten<br />

Menge die Republik aus. In Berlin wie überall stehen die Arbeiter- <strong>und</strong><br />

Soldaten-Räte unter dem Einfluss der Sozialisten Karl Liebknecht <strong>und</strong> Rosa<br />

Luxemburg, die davon träumen, in Deutschland eine Revolution nach<br />

russischem Beispiel durchzuführen. Sie kommen ihrem Ziel mit großen<br />

Schritten näher - unter sehr geschickter Ausnutzung der allgemeinen<br />

Unzufriedenheit, die durch den Hunger immer größer wird. Es ist ein W<strong>und</strong>er,<br />

<strong>das</strong>s der gemäßigte Sozialist Ebert mit dem Auftrag, die staatlichen Institutionen<br />

wieder funktionsfähig zu machen, von einem Direktorium zum Präsidenten<br />

ernannt wurde.<br />

________________<br />

79 Auf den Titel König von Preußen verzichtete er erst am 28. November 1918 auf Druck Englands, <strong>das</strong> nach<br />

Unterzeichnung <strong>und</strong> Inkrafttreten des Waffenstillstands gedroht hatte, von Holland seine Auslieferung zu verlangen,<br />

wenn er nicht abdankte.<br />

Während im <strong>Reich</strong> also fast <strong>das</strong> Chaos ausgebrochen ist, erhält Erzberger in<br />

Rethondes am 11. November, um 2.05 Uhr aus Berlin ein Telegramm, <strong>das</strong> als<br />

Unterschrift <strong>das</strong> Wort "<strong>Reich</strong>skanzler", gefolgt von dem Wort "Schluss"<br />

aufweist, <strong>das</strong> die Alliierten als den Namen des neuen <strong>Reich</strong>skanzlers 80 ansehen.<br />

Erzberger, der nicht weiß, was sich in Berlin ereignet hat, lässt daraufhin<br />

Marschall Foch wissen, <strong>das</strong>s er bereit sei, den Waffenstillstand abzuschließen.<br />

Um 5.10 Uhr ist <strong>das</strong> Dokument unterzeichnet <strong>und</strong> um 11 Uhr werden die<br />

Feindseligkeiten beiderseits auf der ganzen Front für 36 Tage, mit<br />

Verlängerungsmöglichkeit, eingestellt.<br />

Der deutschen Delegation <strong>und</strong> auch dem "Rat der Volksbeauftragten" - soweit er<br />

informiert war - waren manche der vorgeschlagenen Bedingungen als maßlos<br />

erschienen, aber es blieb ihnen schließlich keine Wahl. Eine dieser Bedingungen<br />

sah die Übergabe zahlreicher Verkehrsmittel zu Wasser, wie zu Lande, an die<br />

Alliierten vor, ordnete ferner an, <strong>das</strong>s alliierte Besatzungstruppen auf deutsche<br />

Kosten in einer bestimmten Zone stationiert würden, <strong>und</strong> zwar auf dem linken<br />

162


Rheinufer; diese Zone konnte im Falle der Nichterfüllung von<br />

Lieferungsverpflichtungen auf <strong>das</strong> rechte Ufer ausgedehnt werden 81 . Nachdem<br />

die Wirtschaftsblockade 50 Monate gedauert hatte, musste ihre Fortsetzung die<br />

deutsche Ernährungslage vollends zur Katastrophe werden lassen, <strong>und</strong> den<br />

Wiederaufbau der Wirtschaft durch die Verhinderung der Rohstofftransporte aus<br />

den Erzeugungszonen (namentlich der Ruhr) in die Weiterverarbeitungsgebiete<br />

in Frage stellen. <strong>Die</strong>s drohte eine noch größere allgemeine Unzufriedenheit<br />

hervorzurufen, was ganz im Sinne der bolschewistischen Machenschaften von<br />

Karl Liebknecht <strong>und</strong> Rosa Luxemburg gewesen wäre. Trotzdem unterzeichneten<br />

die deutschen Unterhändler.<br />

________________<br />

80 Es gab damals in Wirklichkeit gar keinen Kanzler in Deutschland. Als Prinz Max von Baden Friedrich Ebert die<br />

Wahrnehmung der Geschäfte des <strong>Reich</strong>skanzlers übertrug, hatte der letztere zwar zuerst diesen Titel angenommen, war<br />

aber dann sofort vom Rat der Volksbeauftragten angewiesen worden, darauf zu verzichten <strong>und</strong> zwar weil der Rat der<br />

Volksbeauftragten, dessen Vorsitzender Ebert war, direkt vom Volke, also nicht vom Parlament eingesetzt worden<br />

war. Da die Form der neuen Regierung noch nicht verfassungsmäßig festgelegt worden sei, könne er, Ebert, sich nur<br />

als 'Vorsitzender' nicht als 'Kanzler' bezeichnen. Andererseits wollte man als Absender dieses offiziellen Telegramms<br />

keinen Mann mit einem neugeprägten <strong>und</strong> daher unbekannten Titel erscheinen lassen, um bei den Alliierten keine<br />

Unsicherheit aufkommen zu lassen, die dann vielleicht zu einer Verzögerung, wenn nicht gar zu einer Rücknahme der<br />

Verhandlungszusage geführt hätte. Aus dem Gr<strong>und</strong>e hatte sich der Rat der Volksbeauftragten entschlossen, mit dem<br />

alten Titel aber ohne Namensnennung zu unterzeichnen.<br />

81 Es waren auszuliefern: 5000 Lokomotiven, 150.000 Eisenbahnwaggons <strong>und</strong> 5000 Lastkraftwagen. <strong>Die</strong><br />

Verkehrsstraßen jeder Art waren der alliierten Verfügungsgewalt unterstellt, wobei allerdings der Unterhalt <strong>und</strong> die<br />

Ausrüstung weiterhin Deutschland oblag. (Absatz A, Punkt 7): bei der Räumung der belgischen Küste waren alle<br />

Flussschiffe, Handelsschiffe, Schlepper <strong>und</strong> Kähne sofort <strong>und</strong> in einwandfreiem Zustand zu übergeben (Absatz F,<br />

Punkt 9); desgleichen für <strong>das</strong> Schwarze Meer (Absatz P, Punkt 10); die Blockade wurde fortgesetzt, deutsche<br />

Handelsschiffe galten weiterhin als Prise (Absatz F, Punkt 7), in den von ihnen besetzten Gebieten waren die alliierten<br />

Armeen zu jeglicher Beschlagnahme berechtigt ... usw.<br />

<strong>Die</strong>se Aufzählung betrifft nur Wirtschaftsgüter; in weiteren Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens wurde<br />

die Auslieferung des militärischen Materials angeordnet.<br />

Zwar hielten sie manche der Bedingungen für maßlos <strong>und</strong> sehr hart,<br />

insbesondere die über die Auslieferung der Verkehrsmittel, sie glaubten aber<br />

andererseits an Präsident Wilsons Versprechungen <strong>und</strong> an die französischenglische<br />

Note vom 4. November in der ausdrücklich bestätigt worden war, <strong>das</strong>s<br />

diese Zusicherungen eingehalten werden würden. <strong>Die</strong> deutschen Vertreter<br />

erwarteten daher, <strong>das</strong>s die Waffenstillstandsbedingungen an dem Tage, an dem<br />

sie in den Friedensvertrag aufgenommen werden sollten, mit den Wilson'schen<br />

Erklärungen in Einklang gebracht würden.<br />

Überzeugt, leicht Verständnis zu finden, sandten die Deutschen schon am Tage<br />

der Unterzeichnung an Wilson ein Gesuch um Milderung, mindestens<br />

hinsichtlich der Auslieferung der Verkehrsmittel, wobei sie seine<br />

163


Aufmerksamkeit besonders auf die fast mit Sicherheit vorauszusehenden Folgen<br />

richteten. Es scheint kaum zweifelhaft, <strong>das</strong>s Präsident Wilson Einspruch erhoben<br />

hat, obwohl darüber nie etwas veröffentlicht wurde. Es darf daraus geschlossen<br />

werden, <strong>das</strong>s seinen Bemühungen kein Erfolg beschieden war.<br />

Wie dem auch sei, da die Bedingungen in der vorgesehenen Zeit nicht erfüllt<br />

werden konnten, musste die <strong>Reich</strong>sregierung am 13. Dezember in Trier um eine<br />

Verlängerung des Waffenstillstandes bitten. Das Verlängerungsdokument zeigte<br />

keinerlei Verständnis für die deutsche Lage, sondern enthielt eine neue, noch<br />

drückendere Klausel:<br />

"Von diesem Tag an behält sich der Oberkommandierende der alliierten<br />

Truppen <strong>das</strong> Recht vor, als zusätzliche Garantie für die Vertragserfüllung<br />

die neutrale Zone auf dem rechten Rheinufer nördlich des Brückenkopfes<br />

Köln bis zur holländischen Grenze zu besetzen, wenn er es für notwendig<br />

erachtet."<br />

Das war der Anfang des Dramas, dessen zweiten Akt wir von 1939 bis 1945<br />

erlebten <strong>und</strong> <strong>das</strong> noch immer nicht zu Ende ist.<br />

5. DIE VERTRÄGE VON VERSAILLES<br />

Am 18. Januar 1919 begann in Paris die Friedenskonferenz. Es waren vertreten:<br />

1. Mit je fünf Delegierten: <strong>Die</strong> Vereinigten Staaten, Frankreich,<br />

Großbritannien, Italien <strong>und</strong> Japan.<br />

2. Mit je drei Delegierten: Belgien, Brasilien, Jugoslawien 82 .<br />

3. Mit je zwei Delegierten: China, Portugal, Rumänien, Siam, die<br />

Tschechoslowakei 83 , Polen 84 , der Hedschas 85 <strong>und</strong> Griechenland.<br />

4. Mit je einem Delegierten: Bolivien, Cuba, Ekuador, Guatemala,<br />

Haiti, Honduras, Nikaragua, Panama, Peru, Uruguay <strong>und</strong> Liberia.<br />

5. Schließlich stellten Kanada, Australien, Südafrika <strong>und</strong> Indien je<br />

zwei, Neuseeland einen Delegierten, obwohl sie Teile des britischen<br />

Empire waren.<br />

________________<br />

82 In Wirklichkeit trug Jugoslawien damals diesen Namen noch nicht; es nahm ihn erst am 3. Oktober 1929 offiziell<br />

an. Damals hieß es "Königreich der Serben, Kroaten <strong>und</strong> Slowenen" <strong>und</strong> war unter folgenden Umständen gebildet<br />

worden: Am 23. September 1918 hatte sich in Agram ein 'Nationalrat' Kroatiens konstituiert, der am folgenden 6.<br />

Oktober in öffentlicher Proklamation den Anschluss an Serbien forderte. Zur selben Zeit sprachen sich der bosnische<br />

Landtag <strong>und</strong> die Nationalversammlung Montenegros im gleichen Sinne aus. Am 1. Dezember hatte Prinz Alexander<br />

von Serbien die Vereinigung Mazedoniens, Bosniens, der Herzegowina, des Banats, der Batschka, der Barania,<br />

Syrmiens, Sloweniens - alles ehemalige Gebiete Österreich-Ungarns - mit Serbien <strong>und</strong> Montenegro zu einem<br />

"Königreich der Serben, Kroaten <strong>und</strong> Slowenen" proklamiert. <strong>Die</strong>se w<strong>und</strong>erliche Völkeransammlung war unter der<br />

Bezeichnung "Staat" zur Teilnahme an den Konferenz-Sitzungen zugelassen worden. Sie wurde von Serben vertreten.<br />

Man sah erst später, was <strong>das</strong> National-Komitee als Ausdruck des Volkswillens wert gewesen war. In Wirklichkeit<br />

164


waren die Kroaten sich mit den Serben nur darin einig, <strong>das</strong>s sie gegen die Doppelmonarchie <strong>und</strong> gegen die<br />

"magyarische" Regelung in Budapest waren, aber in nichts anderem. Zwischen den beiden Kriegen bestand die<br />

Geschichte Jugoslawiens aus der politischen Unterdrückung der annektierten Kroaten durch die Serben. <strong>Die</strong>ser<br />

Entwicklung setzte die Ermordung König Alexanders von Jugoslawien (<strong>und</strong> des französischen Ministers Barthou) in<br />

Marseille durch den Exil-Kroaten Kalemen ein vorläufiges Ende.<br />

83 <strong>Die</strong> völkerrechtliche Lage der Tschecho-Slowakei war nicht klarer als die Jugoslawiens: am 3. September 1918 war<br />

in Paris eine provisorische tschecho-slowakische Regierung gebildet worden. Am 18. Oktober 1918 übernahm ein<br />

tschecho slowakisches National-Komitee in Prag die Macht. Am 9. nahm es die Bezeichnung National-Versammlung<br />

an <strong>und</strong> proklamierte am 14. November die Absetzung der Habsburger <strong>und</strong> die Unabhängigkeit der Tschechei <strong>und</strong> der<br />

Slowakei, deren Grenzen damals noch nicht feststanden.<br />

84 <strong>Die</strong> Juristische Lage Polens war noch verworrener als die Jugoslawiens <strong>und</strong> der Tschecho-Slowakei. Im Jahre 1914<br />

bestanden in Polen, <strong>das</strong> zu dieser Zeit als Großherzogtum Warschau einen Teil Russlands bildete, zwei Strömungen.<br />

<strong>Die</strong> eine - die bedeutendere - unter der Führung des streitbaren, antirussischen Sozialisten Josef Pilsudski, stellte sich<br />

an die Seite der Mittelmächte <strong>und</strong> unterstützte sie mit einer Abteilung polnischer Freiwilliger (unter dem Kommando<br />

Pilsudskis), die andere setzte sich aus Unentschlossenen <strong>und</strong> Russenfre<strong>und</strong>en zusammen <strong>und</strong> ergriff mehr oder weniger<br />

offen <strong>und</strong> mehr oder weniger ängstlich die Partei der Alliierten. Am 9. August 1916 rückten deutsche Truppen in<br />

Warschau ein. Am 5. November 1916 erkannten die Mittelmächte die Unabhängigkeit Polens an, dessen Grenzen noch<br />

festgelegt werden mussten, <strong>und</strong> setzten einen 'provisorischen Staatsrat', dann am 12. September 1916 einen<br />

'Regentschaftsrat' ein. In seiner Senatsrede vom 8. Januar 1918 hatte Präsident Wilson die Notwendigkeit eines<br />

unabhängigen Polens proklamiert <strong>und</strong> die bolschewistische Regierung in Moskau hatte <strong>das</strong> gleiche getan.<br />

Am 14. November 1918 trat der Regentschaftsrat zurück <strong>und</strong> übertrug seine Vollmachten auf Josef Pilsudski. Am 2.<br />

Oktober hatten die Alliierten jedoch offiziell einen Nationalrat anerkannt, der schon 1915 in Paris von pro-aliierten<br />

Polen gebildet worden war. Aus dieser zweideutigen Situation hatte man sich nur durch die Bildung einer "Regierung<br />

der nationalen Einheit" befreien können. Deren Präsident war Paderewski. Während des ganzen Krieges, den er<br />

außerhalb Polens verbrachte, hatte er seine Sympathie für die Alliierten deutlich gezeigt. Aber Pilsudski blieb<br />

gleichzeitig provisorischer Staatschef <strong>und</strong> Führer der Armee. <strong>Die</strong> Deutschen, Tschecho-Slowaken <strong>und</strong> Russen<br />

forderten je einen Teil des Gebietes, über <strong>das</strong> diese Regierung herrschen wollte. Polen musste als Staat also<br />

vollkommen neu geschaffen werden <strong>und</strong> seine Vertreter bei der Friedenskonferenz repräsentierten nur einen kleinen<br />

Teil von dem, was später - erst 1923 - offiziell "Polen" hieß.<br />

85 Der H e d s c h a s war ein Vilayet (Land) des Ottomanischen <strong>Reich</strong>es am Rande des Roten Meeres. England hatte<br />

am 24. Oktober 1915 in einem Vertrag mit dem Emir von Mekka, Hussein, der sich vom Sultan losgesagt hatte, die<br />

Unabhängigkeit dieses Gebietes anerkannt; Frankreich hatte <strong>das</strong> gleiche in den Sykes-Picol'schen Abmachungen im<br />

Mai 1916 getan. Man weiß nicht genau, welche Bedeutung <strong>das</strong> Land damals besaß. Später, 1926, geriet es in<br />

Abhängigkeit des Nedschd, dessen Sultan gleichzeitig König des Hedschas wurde <strong>und</strong> sich dort durch einen Vizekönig<br />

vertreten ließ. Im Jahre 1932 bildete sich aus dem Hedschas <strong>und</strong> dem Nedschd <strong>das</strong> Königreich S a u d i - A r a b i e n.<br />

Es ist zu beachten, <strong>das</strong>s die Sykes-Picot'schen Abmachungen außerdem <strong>das</strong> Gebiet in zwei annähernd gleich große<br />

Einflusssphären aufteilten, wobei Frankreich die syrische Küste <strong>und</strong> <strong>das</strong> Hinterland bis zum Tigris, England St. Jean<br />

d'Acre <strong>und</strong> den Teil Mesopotaniens von Bagdad bis zum Persischen Golf zugesprochen erhielt. <strong>Die</strong> beiden Mächte<br />

teilten sich außerdem zu gleichen Teilen die weiten Gebiete zwischen Syrien <strong>und</strong> der Provinz Bagdad.<br />

165


Insgesamt waren 32 Staaten durch 70 Delegierte vertreten. <strong>Die</strong> Schweiz,<br />

Dänemark, Schweden, Norwegen <strong>und</strong> Spanien waren ebenso wie Sowjet-<br />

Russland abwesend.<br />

Sowjet-Russland war ein besonderes Problem, da es einerseits ein alter Alliierter<br />

war, andererseits von den Entscheidungen über die Grenzziehung zwischen ihm<br />

<strong>und</strong> dem neuen Staat Polen, mit dem es im Krieg lag, betroffen war. Da aber<br />

seine Regierung von keiner der alliierten Mächte anerkannt war <strong>und</strong> sie nirgends<br />

diplomatische Vertretungen besaß, war die Meinung über die ihr gegenüber<br />

einzunehmende Haltung geteilt. Frankreich beispielsweise unterstützte Polen<br />

offiziell <strong>und</strong> militärisch (Expedition Weygand), die übrigen Staaten waren<br />

anderer Ansicht <strong>und</strong> folgten eher Wilson, der die Beziehungen zu Russland<br />

wieder aufnehmen <strong>und</strong> dieses Land in die Arbeiten der Konferenz einbeziehen<br />

wollte. Am 22. Januar 1919 luden auf Vorschlag Wilsons die Vereinigten<br />

Staaten, Frankreich, Großbritannien, Italien <strong>und</strong> Japan "... jede in den Grenzen<br />

des europäischen Russland 86 (ausgenommen Finnland) oder in Sibirien<br />

bestehende organisierte Gruppe, die politische oder militärische Macht ausübte<br />

oder auszuüben sich bemühte, ein, Vertreter (höchstens drei) zur Prinzeninsel in<br />

der Nähe von Konstantinopel zu entsenden, um sich dort mit Delegierten der<br />

Alliierten über eine möglichst rasche <strong>und</strong> gerechte Regelung des Schicksals des<br />

ehemaligen Zarenreiches zu einigen."<br />

________________<br />

86 Ein beschönigender - oder umschreibender - Ausdruck, den man wählte, um die russische Regierung nicht offiziell<br />

einladen zu müssen. Man zweifelte jedoch nicht daran, <strong>das</strong>s diese Regierung antworten würde.<br />

<strong>Die</strong> russische Regierung nahm am 4. Februar 1919 diesen Vorschlag an, machte<br />

aber Vorbehalte hinsichtlich einiger Punkte, die ihrer Meinung nach nicht zur<br />

Diskussion gestellt werden dürften. Sie erhielt aber keine Antwort. Wilson<br />

machte noch einen Versuch mit der Entsendung Bullitts nach Russland - aber<br />

ohne Erfolg. Am 26. Mai 1919 erkannten die führenden Mitglieder der<br />

Konferenz die Regierung Koltschak in Sibirien sowie die Denikins im<br />

Europäischen Russland an, legten dann aber den Fall zu den Akten. Finnland,<br />

Estland, Litauen, Lettland, Ruthenien <strong>und</strong> Georgien, Teile des ehemaligen<br />

Russischen <strong>Reich</strong>es, über deren Schicksal die Konferenz sich äußern sollte,<br />

waren nicht eingeladen worden <strong>und</strong> erreichten es auch nicht, zugelassen zu<br />

werden. <strong>Die</strong> Armenier, die zionistischen <strong>Juden</strong>, die Syrer, Libanesen, die<br />

Einwohner Schleswigs <strong>und</strong> die der Aland-Inseln, die Sudetendeutschen (die sich<br />

gegen ihre Einverleibung in die Tschechoslowakei wehrten <strong>und</strong> eine<br />

provisorische Regierung errichtet hatten) waren abwesend <strong>und</strong> ebenso Ägypten<br />

<strong>und</strong> Irland. Aber der Hedschas war vertreten ...<br />

Summa summarum: Jeder war da, außer den Hauptinteressenten, über deren<br />

Schicksal man entscheiden wollte. Gerade aus diesem Gr<strong>und</strong>e hatte man sie ja<br />

auch sorgfältig ferngehalten!<br />

166


Von Anfang an verlief die Konferenz trotz der Bemühungen des Präsidenten<br />

Wilson derart, <strong>das</strong>s kein Zweifel bestehen konnte: <strong>das</strong> "Selbstbestimmungsrecht<br />

der Völker" würde unter den Tisch fallen, <strong>das</strong> Gr<strong>und</strong>prinzip der 14 Punkte für<br />

die politische <strong>und</strong> territoriale Erneuerung Europas. Obwohl Wilson in dieser<br />

Hinsicht sogar von seinem eigenen Staatssekretär des Äußeren, Lansing, (der<br />

mit ihm Mitglied der amerikanischen Delegation war), bekämpft wurde, streckte<br />

er die Waffen nicht, konnte aber auch nicht den geringsten Erfolg in seinem<br />

Sinne erzielen. Der Satz "Ohne Sieger <strong>und</strong> Besiegte" seiner Senatsbotschaft vom<br />

21. Januar 1917 erweckte andererseits die Hoffnung, <strong>das</strong>s den Besiegten bei den<br />

Verhandlungen ein größerer Einfluss eingeräumt würde, <strong>das</strong>s die<br />

Friedenskonferenz zum Beispiel an einem r<strong>und</strong>en Tisch stattfinden würde, wo<br />

auch für die Besiegten ein Platz vorgesehen wäre - in einer Atmosphäre<br />

allgemeiner Versöhnung, so wie sich im letzten Kriegsjahr an vielen Stellen der<br />

Front die Soldaten beider Seiten miteinander verbrüdert hatten.<br />

Aber davon war niemals die Rede, <strong>und</strong> traditionsgemäß konnte daher der bei den<br />

Verhandlungen erarbeitete Friedensvertrag wie alle bisherigen Friedensschlüsse<br />

der Geschichte nur ein den Besiegten durch die Sieger aufgezwungenes Diktat<br />

sein, ein Schuldspruch von Richtern gegen abwesende Angeklagte, <strong>und</strong> kein<br />

Friede der Gerechtigkeit. Indem man jede gemeinsame Diskussion ausschloss,<br />

hatte man von vornherein die Brüderlichkeit als Gr<strong>und</strong>lage abgelehnt.<br />

Bei dieser Zusammensetzung wurde bald klar, <strong>das</strong>s die Verhandlungen nur im<br />

Sinne der fünf Großmächte (Vereinigte Staaten, Großbritannien, Frankreich,<br />

Italien <strong>und</strong> Japan) geführt wurden; ihre Satelliten <strong>und</strong> zukünftigen Satelliten, die<br />

Staaten <strong>und</strong> Embryonal-Staaten, hatten weder Lust noch die Möglichkeit, ihre<br />

Meinungen in die Waagschale zu werfen.<br />

Es gab daher auch nur sehr wenige Vollversammlungen <strong>und</strong> die wenigen, die<br />

stattfanden, waren nur rein formeller Natur. Alles wurde von einem "Rat der<br />

Zehn" (der Präsident der Vereinigten Staaten <strong>und</strong> sein Staatssekretär Lansing,<br />

die Regierungschefs: Clemenceau für Frankreich, Lloyd George für<br />

Großbritannien, Orlando für Italien, Saionji für Japan <strong>und</strong> ihre Außenminister<br />

Pichon, Balfour, Sonnino <strong>und</strong> Meakino) oder gar nur von einem "Rat der Vier"<br />

(die Regierungschefs der Vereinigten Staaten, Frankreichs, Großbritanniens <strong>und</strong><br />

Italiens) hinter den Kulissen entschieden.<br />

Es ist hinzuzufügen, <strong>das</strong>s sich die Sieger sowohl im "Rat der Zehn" als auch im<br />

"Rat der Vier" bekämpften, da jeder nur seine eigenen Interessen verfolgte, die<br />

denen aller anderen widersprachen, so <strong>das</strong>s zwischen den Siegern kaum bessere<br />

Beziehungen bestanden, als zwischen dem Lager der Sieger <strong>und</strong> dem der<br />

Besiegten.<br />

England <strong>und</strong> Frankreich stritten miteinander wegen der deutsch-französischen<br />

Grenze, der Abrüstung <strong>und</strong> der Aufteilung des Ottomanischen <strong>Reich</strong>es; Italien<br />

war mit England <strong>und</strong> Frankreich verfeindet wegen Nordafrika, dem Mittleren<br />

Orient <strong>und</strong> Mittel-Europa; Wilson, der seine ganzen Kräfte damit vergeuden<br />

167


musste, den Schiedsrichter abzugeben oder <strong>das</strong> zu verteidigen, was die anderen<br />

seine Hirngespinste nannten, zerstritt sich nach <strong>und</strong> nach mit allen Anwesenden.<br />

Am 18. Januar war Clemenceau, der französische Regierungschef, zum<br />

ständigen Präsidenten der Konferenz ernannt worden. Ein Humorist hat später<br />

gesagt, <strong>das</strong>s dies die einzige aller Entscheidungen gewesen ist, die wirklich<br />

einstimmig getroffen wurde - nicht nur dem äußeren Schein nach; er mag Recht<br />

gehabt haben, über sein Verhältnis zu Lloyd George, dem englischen Premier,<br />

sagte Clemenceau selbst: "Es sind wohl nie zwei Menschen bei scharfen<br />

Debatten näher daran gewesen, sich gegenseitig zu verschlingen". Der<br />

italienische Ministerpräsident Orlando verließ die Konferenz sogar unter lautem<br />

Protest <strong>und</strong> die ganze Autorität Wilsons war erforderlich, ihn nach dreiwöchiger<br />

Abwesenheit wieder an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Nach der<br />

Unterzeichnung der Friedensverträge mit Deutschland <strong>und</strong> Österreich, war<br />

England der Ansicht, <strong>das</strong>s nunmehr alles geregelt sei <strong>und</strong> nahm an den<br />

Verhandlungen nur noch formell teil. <strong>Die</strong> Vereinigten Staaten weigerten sich<br />

vom 19. Dezember 1919 87 an, weiter mitzumachen, obwohl noch zwei Verträge<br />

unterzeichnet werden mussten.<br />

________________<br />

87 Am 10. September des gleichen Jahres, 1919, hatten sie ihren Delegierten beim Obersten alliierten Rat<br />

zurückgezogen. <strong>Die</strong>ser Rat war am 11. Januar 1919 ernannt worden <strong>und</strong> sollte die Durchführung der<br />

Waffenstillstandsbedingungen überwachen, sowie Maßnahmen zur Unterstützung der europäischen Bevölkerung<br />

treffen, sie so gut wie möglich ernähren, was ungemein schwierig war, da man gleichzeitig die Blockade Deutschlands<br />

fortsetzen wollte. Der Rat sollte diese Fragen studieren <strong>und</strong> die diesbezügliche Politik der Alliierten ausarbeiten.<br />

Endlich legte auch Clemenceau im Januar 1920, nach dem Scheitern seiner<br />

Kandidatur für die Präsidentschaft der Republik Frankreich, alle seine Posten<br />

nieder <strong>und</strong> kehrte ins Privatleben zurück.<br />

<strong>Die</strong> Konferenz wurde aufgelöst <strong>und</strong> die Regelung der noch schwebenden Fragen<br />

einem Obersten alliierten Rat mit Sitz in London, einer Botschafter-Konferenz<br />

mit Sitz in Paris <strong>und</strong> einer Reparationskommission übertragen, wobei die<br />

letztere den Auftrag hatte, die Höhe der Reparationsforderungen an Deutschland<br />

zu bestimmen.<br />

Ein wenig rühmliches Ende.<br />

Der Wilson so ans Herz gewachsene Völkerb<strong>und</strong>spakt wurde endgültig - wenn<br />

auch nicht ohne Mühe - am 28. April 1919 unter Dach <strong>und</strong> Fach gebracht. Er<br />

wurde gegengezeichnet: von Deutschland zusammen mit dem Vertrag von<br />

Versailles, dessen Präambel er war (28. Juni 1919); von Osterreich gleichzeitig<br />

mit dem Vertrag von St. Germain (10. September 1919), <strong>und</strong> von Bulgarien mit<br />

dem Vertrag von Neuilly (27. November 1919). Mit Ungarn konnte der Vertrag<br />

von Trianon erst am 4. Juni 1920 unterzeichnet werden <strong>und</strong> am 11. August 1920<br />

folgte die Türkei mit dem Vertrag von Sevres.<br />

168


*<br />

Bei zweien seiner 14 Punkte hatte sich Präsident Wilson unnachgiebig gezeigt,<br />

dem Völkerb<strong>und</strong>spakt <strong>und</strong> der Abrüstung.<br />

Als allererstes wollte er den Pakt ausgearbeitet wissen. Zweifelsohne ging er<br />

davon aus, <strong>das</strong>s es leichter sein würde, bei der Formulierung der<br />

Vertragsbestimmungen den Forderungen der Gerechtigkeit Gehör zu<br />

verschaffen, wenn diese erst einmal als Gr<strong>und</strong>sätze im Pakt festgelegt waren -<br />

leichter jedenfalls als wenn ohne vorherige Gr<strong>und</strong>satzerklärungen sogleich mit<br />

der Diskussion über die Verträge selber begonnen würde.<br />

Er befürchtete sicher auch, <strong>das</strong>s bei den Debatten über die Verträge so viele<br />

Meinungsverschiedenheiten an den Tag treten würden, <strong>das</strong>s nach der<br />

Unterzeichnung der Verträge ein Versuch zur Schaffung eines Völkerb<strong>und</strong>es nur<br />

noch als eine Utopie oder einen schlechten Witz anmuten würde - kurz, <strong>das</strong>s<br />

dann überhaupt nicht mehr die Rede davon sein könnte. <strong>Die</strong> weitere<br />

Entwicklung hat gezeigt, <strong>das</strong>s diese Überlegungen nicht so unrichtig waren.<br />

Präsident Wilson hatte auch verlangt, <strong>das</strong>s der Völkerb<strong>und</strong>spakt ein<br />

untrennbarer Bestandteil jedes Friedensvertrages sein sollte <strong>und</strong> <strong>das</strong>s jedem der<br />

Besiegten der Pakt gleichzeitig mit dem Friedensvertrag zur Unterzeichnung<br />

vorzulegen sei. Zwar sollten die Besiegten solange von der Mitgliedschaft im<br />

Völkerb<strong>und</strong> ausgeschlossen sein bis sie ihre Verpflichtungen aus den<br />

Friedensverträgen voll <strong>und</strong> ganz erfüllt hätten, sie sollten aber gleichzeitig die<br />

Gewissheit haben, <strong>das</strong>s die Mitgliedschaft im Völkerb<strong>und</strong> ihnen offen stand, <strong>und</strong><br />

nicht einen Augenblick meinen, <strong>das</strong>s sie für immer außerhalb stehen bleiben<br />

müssten. Hinsichtlich der Abrüstung erreichte Wilson in dem Pakt nur die<br />

Formulierung "Verringerung der Rüstung jeder Nation auf <strong>das</strong> Maß, <strong>das</strong> sich mit<br />

ihrer nationalen Sicherheit vereinbaren lässt". Im 5. Teil des Versailler Vertrags<br />

- in den militärischen Klauseln - gelang es ihm, eine kurze Präambel aufnehmen<br />

zu lassen, in der dieses Minimum im Hinblick auf die Vereinbarungen mit<br />

Deutschland definiert war. Sie lautete, wie bereits erwähnt:<br />

"Um die Einleitung einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller<br />

Nationen zu ermöglichen, verpflichtet sich Deutschland, die im Folgenden<br />

niedergelegten Bestimmungen über <strong>das</strong> Landheer, die Seemacht <strong>und</strong> die<br />

Luftfahrt genau innezuhalten."<br />

Wenn es ihm auch nicht gelungen war, dem "Selbstbestimmungsrecht der<br />

Völker" in allen territorialen Klauseln der Verträge zum Siege zu verhelfen, so<br />

glaubte er doch zweifellos, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> menschliche Streben nach Gerechtigkeit die<br />

notwendigen Anpassungen auf friedlichem Wege, wenn auch langsam, durch die<br />

in Artikel 19 des Pakts vorgesehenen Revisionen durchführen würde. Wenn<br />

Deutschland einmal vollständig abgerüstet sei, würden es auch die anderen<br />

Nationen sein.<br />

169


Aber nachdem Deutschland seine Verpflichtungen in dieser Hinsicht erfüllt<br />

hatte, weigerte sich Frankreich, jene Maßnahmen durchzuführen, die ihm die<br />

Präambel zum 5. Teil des Versailler Vertrages auferlegte. Deutschland<br />

protestierte, Italien machte nur noch was es selbst wollte, ebenso England, <strong>das</strong><br />

obendrein Deutschland gegen Frankreich unterstützte. Daraus wurde schließlich<br />

ein neuer Rüstungswettlauf. Man muss zugeben, <strong>das</strong>s der Anlass dazu einzig<br />

<strong>und</strong> allein bei Frankreich lag (zu den Gründen für diese Haltung Frankreichs<br />

siehe Seite 81 f.).<br />

Andererseits war auch der Völkerb<strong>und</strong>spakt nicht genau <strong>das</strong>, was Präsident<br />

Wilson wollte. <strong>Die</strong> von ihm vorgeschlagene Fassung wurde erheblich<br />

abgeschwächt. Es kann nicht die Aufgabe dieser Arbeit sein, im Rahmen eines<br />

Kapitels eine Analyse zu geben, die ein ganzes Buch füllen müsste. <strong>Die</strong><br />

nachstehende Zusammenfassung entnehme ich einem Werk des Historikers Jules<br />

Isaac, da sie meines Erachtens ein recht genaues Bild vermittelt:<br />

"<strong>Die</strong> Präambel besagte, <strong>das</strong>s 'der Pakt zur Entwicklung der<br />

Zusammenarbeit zwischen den Völkern bestimmt sei <strong>und</strong> um ihnen Frieden<br />

<strong>und</strong> Sicherheit zu garantieren'. Er gründete sich auf folgende Prinzipien:<br />

Absage an den Krieg, offene Behandlung der internationalen Beziehungen<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage von Gerechtigkeit <strong>und</strong> Ehre; strenge Einhaltung der<br />

Bestimmungen des internationalen Rechts <strong>und</strong> genaue Beachtung der<br />

Verträge.<br />

Zusammensetzung des B<strong>und</strong>es:<br />

'Ursprüngliche Mitglieder' seien alle Unterzeichner-Staaten des Paktes<br />

sowie diejenigen Neutralen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes um<br />

Aufnahme bitten würden; jeder andere Staat, Dominion oder Kolonie<br />

könne Mitglied werden, wenn seine Aufnahme mit */a Mehrheit von der<br />

Versammlung gutgeheißen wird <strong>und</strong> wenn er wirksame Garantien seines<br />

guten Willens gegeben hat.<br />

Organisation: Der Sitz des B<strong>und</strong>es ist Genf.<br />

Seine Tätigkeit wird ausgeübt von:<br />

1. der Versammlung aller Vertreter aller Mitgliedstaaten mit je einer<br />

Stimme (Vollversammlung);<br />

2. dem Rat, der aus neun Mitgliedern besteht, von denen fünf ständige, die<br />

von den Großen Mächten delegiert werden, <strong>und</strong> vier weitere periodisch<br />

durch die Vollversammlung gewählt werden (Völkerb<strong>und</strong>srat?);<br />

3. dem ständigen Sekretariat unter einem Generalsekretär;<br />

4. dem ständigen Internationalen Gerichtshof;<br />

5. Internationalen <strong>Die</strong>nststellen aller Art unter Oberaufsicht des B<strong>und</strong>es.<br />

Bestimmungen im Aufrechterhaltung des Friedens:<br />

Der Rat hatte die Abrüstung auf <strong>das</strong> 'für die nationale Sicherheit<br />

annehmbare Minimum' vorzubereiten. <strong>Die</strong> jeweilige Abrüstung war der<br />

Prüfung <strong>und</strong> Entscheidung durch die verschiedenen Regierungen<br />

170


unterworfen (Art. 8). <strong>Die</strong> Mitglieder verpflichteten sich gegenseitig, 'ihren<br />

territorialen Besitzstand <strong>und</strong> ihre gegenwärtige politische Unabhängigkeit'<br />

zu garantieren <strong>und</strong> vor jedem Angriff von außen zu schützen. (Art. 10).<br />

Alle Streitigkeiten zwischen Mitgliedern des B<strong>und</strong>es mussten einem<br />

Schiedsgericht unterworfen oder aber dem Rat zur Prüfung vorgelegt<br />

werden. In jedem Falle mussten nach dem erfolgten Schiedsspruch bzw.<br />

nachdem der Bericht des Rates vorlag, mindestens drei Monate vergehen,<br />

bevor die streitenden Parteien zu den Waffen greifen dürften. Wenn der<br />

Ratsbeschluß einstimmig gefaßt worden war, wurde jeder Staat, der sich<br />

nicht beugte <strong>und</strong> zum Kriege seine Zuflucht nahm, als mit allen anderen<br />

Mitgliedern im Kriege befindlich angesehen. In diesem Falle mussten sie<br />

alle Handels- <strong>und</strong> Wirtschaftsbeziehungen zu ihm abbrechen <strong>und</strong> in dem<br />

vom Rat vorgeschlagenen Maße zu der Aufstellung einer bewaffneten<br />

Macht beitragen, mit deren Hilfe dem Pakt Achtung verschafft werden<br />

sollte (Art. 16). <strong>Die</strong> Versammlung konnte die Mitglieder von Zeit zu Zeit<br />

einladen, eine erneute Prüfung <strong>und</strong>urchführbar gewordener Verträge<br />

vorzunehmen sowie auch aller internationalen Situationen, deren<br />

Aufrechterhaltung den Weltfrieden zu gefährden drohte (Art. 19).<br />

Verpflichtungen <strong>und</strong> Internationale Mandate:<br />

<strong>Die</strong> Mitglieder des B<strong>und</strong>es verpflichteten sich, keine Verbindlichkeiten<br />

einzugehen, die mit dem Pakt unvereinbar wären, <strong>und</strong> erkannten alle<br />

früheren Verträge dieser Art als ungültig an. Regionale Bündnisse, wie die<br />

Monroe-Doktrin, wurden jedoch als gültig anerkannt. Der Pakt sah vor,<br />

<strong>das</strong>s gewisse Gebiete, die durch den Krieg befreit worden waren, deren<br />

Bevölkerung aber noch nicht in der Lage wäre, sich selbst zu regieren,<br />

unter die Vorm<strong>und</strong>schaft der dazu am meisten geeigneten Staaten zu stellen<br />

seien. <strong>Die</strong>se traten als Mandatsmächte unter der Oberaufsicht des<br />

Völkerb<strong>und</strong>es auf."<br />

Jules Isaac folgerte daraus:<br />

"So aufgebaut blieb der Völkerb<strong>und</strong> weit hinter den Hoffnungen, die die<br />

Wilson'schen Erklärungen geweckt hatten, zurück. Der Krieg als letzter<br />

Ausweg war nicht völlig verboten; die Rüstungsbegrenzung war nicht<br />

wirklich zur Pflicht gemacht, kein wirksames Mittel war vorgesehen, um<br />

die Durchführung der in Genf getroffenen Entscheidungen zu<br />

gewährleisten."<br />

Das brachten letzten Endes die Deutschen zum Ausdruck, als man sie zur<br />

Unterschrift aufforderte; <strong>das</strong> dachte der enttäuschte Wilson, <strong>das</strong> sagte damals die<br />

ganze europäische Linke, wenn auch mit heftigeren Worten; <strong>das</strong> sagte in noch<br />

schärferer Form eine kleine politische Gruppe, die sich damals in Deutschland<br />

sammelte <strong>und</strong> kurze Zeit später unter Hitlers Führung zur NSDAP wurde.<br />

171


Da die militärischen Klauseln des Versailler Vertrages nur von Deutschland<br />

erfüllt worden waren, musste man 1923 den Völkerb<strong>und</strong>spakt durch den<br />

88<br />

Locarno-Vertrag (zwischen Frankreich, Italien, England, Deutschland,<br />

Belgien, Polen <strong>und</strong> der Tschechoslowakei), <strong>und</strong> 1928 durch den Pariser Vertrag<br />

(auch Briand-Kellogg-Pakt genannt) 89 ergänzen.<br />

Trotz dieser beiden Ergänzungen wurde der Völkerb<strong>und</strong> zusehends schwächer<br />

<strong>und</strong> bald war er nur noch ein Traum. <strong>Die</strong> Vereinigten Staaten hatten sich im<br />

März 1920 aus noch zu erörternden Gründen geweigert, den Pakt zu<br />

unterzeichnen; Deutschland, <strong>das</strong> ihm 1926 beitreten durfte, verließ ihn unter<br />

Protest im Oktober 1933 <strong>und</strong> Italien trat 1935 wegen Äthiopien aus; 1939, nach<br />

der Unterzeichnung des deutsch-russischen Vertrages, wurde Russland, <strong>das</strong> ihm<br />

seit 1934 angehört hatte, ausgeschlossen; nach dem Zusammenbruch<br />

Frankreichs im Jahre 1940 konnte nicht mehr die Rede davon sein, <strong>das</strong>s dieses<br />

Land ihm angehörte; in der Zwischenzeit waren außerdem alle die kleinen<br />

künstlich geschaffenen Staaten Mitteleuropas von der Landkarte verschw<strong>und</strong>en.<br />

Schließlich blieb ab 1941 England als einziges permanentes Mitglied übrig ...<br />

________________<br />

88 <strong>Die</strong>ser in Locarno am 16. Oktober 1925 paraphierte Vertrag umfasste zwei Arten von Abmachungen:<br />

1. Einen Vertrag zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, England <strong>und</strong> Italien, den so genannten West- oder<br />

Sicherheitspakt (Rheinlandpakt; Unverletzlichkeit der Grenzen zwischen Frankreich, Belgien <strong>und</strong> Deutschland,<br />

Aufrechterhaltung der entmilitarisierten Zone auf dem rechten Rheinufer, Verbot, den Krieg als Mittel zur Lösung<br />

strittiger Fragen anzuwenden usw.). England <strong>und</strong> Italien fungierten dabei nur als Garanten.<br />

2. Vier Schiedsgerichtsverträge zwischen dem Deutschen <strong>Reich</strong> <strong>und</strong> Belgien, Frankreich, Polen <strong>und</strong> der Tschecho-<br />

Slowakei.<br />

89 <strong>Die</strong> Staaten, die den Kellogg-Pakt unterschrieben, verpflichteten sich, zur Lösung strittiger Fragen nicht zu den<br />

Waffen zu greifen. Er wurde von fast allen Staaten der Erde unterzeichnet.<br />

Zu den Ursachen dieses Zerfalls gehörte zweifelsohne, <strong>das</strong>s der<br />

Völkerb<strong>und</strong>spakt in so mancher Hinsicht von Wilsons 14 Punkten nichts mehr<br />

hatte wissen wollen - weder von dem, was dort über die Abrüstung gesagt<br />

worden war, noch von der Ablehnung des Krieges als Mittel zur Entscheidung<br />

politischer Fragen. Aus dieser Neuorientierung hatte sich dann eine ganze Reihe<br />

von Konsequenzen ergeben: Frankreich weigerte sich, die militärischen<br />

Klauseln des Versailler Vertrages einzuhalten, Deutschland wurden drakonische<br />

finanzielle Lasten aufgebürdet; alle Sieger weigerten sich, <strong>das</strong><br />

Selbstbestimmungsrecht der Völker, wie es im Versailler Vertrag <strong>und</strong> in den<br />

vier weiteren Verträgen festgelegt war, in der Praxis anzuerkennen... Und als<br />

Ergebnis dieser großen Fehler, brach dann über ganz Mitteleuropa eine<br />

wirtschaftliche <strong>und</strong> moralische Krise herein, wie sie die Welt noch nicht gesehen<br />

hatte.<br />

*<br />

172


Im Westen brachte <strong>das</strong> Selbstbestimmungsrecht der Völker keine Probleme mit<br />

sich. Elsass <strong>und</strong> Lothringen, wo starke Autonomiebestrebungen bestanden,<br />

wurden an Frankreich zurückgegeben. Eupen <strong>und</strong> Malmedy gliederte man ohne<br />

viel Geschrei Belgien an. <strong>Die</strong> Saar, die Frankreich für sich forderte, erhielt ein<br />

Sonderstatut, 90 durch <strong>das</strong> dieses Gebiet für die Dauer von 15 Jahren unter die<br />

direkte Kontrolle des Völkerb<strong>und</strong>es gestellt wurde; am Ende dieser Periode<br />

sollten seine Einwohner in einer Volksabstimmung darüber entscheiden, ob sie<br />

zu Frankreich kommen, zu Deutschland zurückkehren oder unter diesem<br />

Sonderstatut verbleiben wollten. <strong>Die</strong> Bergwerke wurden Frankreich übereignet;<br />

<strong>und</strong> dieser Wert musste Frankreich ersetzt werden, falls <strong>das</strong> Saarland nach<br />

fünfzehn Jahren nicht zu Frankreich käme. Das geschah denn auch, nachdem<br />

sich die Saarländer am 13. Januar 1935 fast einstimmig für die Rückkehr zu<br />

Deutschland ausgesprochen hatten, obwohl Hitler an der Macht war <strong>und</strong><br />

trotzdem eine ungewöhnlich intensive Propaganda sie im entgegengesetzten<br />

Sinne bearbeitet hatte.<br />

________________<br />

90 <strong>Die</strong> Saarkohle war seit dem Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> während des ganzen 19. Jahrh<strong>und</strong>erts ein Zankapfel<br />

zwischen Frankreich <strong>und</strong> Deutschland. Obwohl von Deutschen bewohnt, wurde dieses Gebiet von Napoleon<br />

Frankreich zugeschlagen im Augenblick, als unter seiner Fuchtel der Rheinb<strong>und</strong> entstand. Durch den Wiener Kongress<br />

(1815) wurde es, dem Wunsch seiner Einwohner entsprechend, an Deutschland zurückgegeben.<br />

Da die Väter des Versailler Vertrages 1919 einsahen, <strong>das</strong>s sie zu offensichtlich gegen den Willen der saarländischen<br />

Bevölkerung verstoßen würden, wenn sie <strong>das</strong> Gebiet direkt unter französische Oberhoheit stellten, setzten sie (Artikel<br />

49ff) einen fünfköpfigen Verwaltungsrat ein, dessen Mitglieder (ein Franzose, ein Saarländer, drei Neutrale) vom<br />

Völkerb<strong>und</strong> ernannt wurden. Dass sich die Saarländer nach fünfzehn Jahren einer solchen eindeutig<br />

deutschfeindlichen, wenn nicht gar frankophilen Verwaltung für die Rückgliederung an Deutschland entschieden,<br />

obwohl Hitler regierte, der ihnen als Schreckgespenst geschildert worden war, ist bezeichnend für die Tiefe ihres<br />

Nationalbewusstseins. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte man durch die wirtschaftliche Angliederung an Frankreich<br />

einen neuen Versuch in diesem Sinne. Nach weniger als zehn Jahren musste man ihn wieder aufgeben.<br />

Im Osten, in Mitteleuropa, im Mittleren Orient (Zerschlagung des<br />

Ottomanischen <strong>Reich</strong>es) <strong>und</strong> bei den Kolonien (Verteilung der deutschen<br />

überseeischen Besitzungen) lagen die Dinge erheblich schwieriger. Zunächst<br />

einmal galt kein Selbstbestimmungsrecht der Völker bei der Verteilung der<br />

deutschen Kolonien oder der Aufteilung des Ottomanischen <strong>Reich</strong>es - mit<br />

Ausnahme des schon erwähnten Hedschas (vgl. Anmerkung 85), wo <strong>das</strong><br />

Selbstbestimmungsrecht der Völker sich verwandelte in - <strong>das</strong> Recht des Emirs<br />

Hussein, über Syrien zu verfügen. Er genoss dabei die geheime Unterstützung<br />

Englands, obwohl in den Sykes-Picot'schen Abmachungen zwischen England<br />

<strong>und</strong> Frankreich ganz andere Besitzverhältnisse vereinbart worden waren. Das<br />

Schicksal der vom Ottomanischen <strong>Reich</strong> abgetrennten nahöstlichen Gebiete <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong> der deutschen Kolonien wurde in Artikel 22 des Völkerb<strong>und</strong>spaktes durch<br />

173


eine neue Form der Kolonialherrschaft geregelt: <strong>das</strong> "Mandat", 91 <strong>das</strong> irgendeiner<br />

alliierten Macht, besonders England <strong>und</strong> Frankreich, ohne Befragung der<br />

Bewohner übertragen wurde. Der Vertrag von Sevres, der alle Bestimmungen<br />

über den Mittleren Orient enthält, wo England den Löwenanteil an sich gerissen<br />

hatte, war kaum unterzeichnet, als die Schwierigkeiten zunächst zwischen<br />

Frankreich <strong>und</strong> England, dann zwischen England <strong>und</strong> den Vereinigten Staaten<br />

ausbrachen.<br />

________________<br />

91 Artikel 22 des Völkerb<strong>und</strong>spaktes unterschied:<br />

1. Das Mandat A: Im Prinzip unabhängige <strong>und</strong> souveräne Länder, jedoch unfähig sich ohne die Hilfe, den Rat <strong>und</strong> den<br />

Schutz anderer zu regieren. <strong>Die</strong> Mandatsmacht berücksichtigt - gr<strong>und</strong>sätzlich - auch die Ansichten der Einwohner. In<br />

diese Gruppe gehören: Vorderasien, Syrien. Mesopotamien <strong>und</strong> Palästina, die in englische <strong>und</strong> französische<br />

Mandatsgebiete aufgeteilt werden.<br />

2. Das Mandat B: Länder, die völlig unfähig sind, sich selbst richtig zu regieren <strong>und</strong> zu verwalten. Hier ersetzt der<br />

Wille der Mandatsmacht den Willen der eingeborenen Bevölkerung. In diese Gruppe gehören: die meisten ehemaligen<br />

deutschen Kolonien, die ebenfalls zwischen England <strong>und</strong> Frankreich aufgeteilt werden.<br />

3. Das Mandat C: Dabei handelt es sich um so dünn besiedelte <strong>und</strong> so rückständige Länder, <strong>das</strong>s dort jede<br />

gesellschaftliche Organisation <strong>und</strong>enkbar ist. In diese Gruppe gehören: Südwestafrika <strong>und</strong> gewisse Inseln im Pazifik,<br />

von deren Besitz die Deutschen wie überall ausgeschlossen werden <strong>und</strong> zwar hier zugunsten Australiens, Belgiens <strong>und</strong><br />

Englands.<br />

<strong>Die</strong> Aufteilung des Mittleren Orients war schwierig. Außer der genannten Verträge Englands mit dem Emir von Mecka<br />

<strong>und</strong> mit Frankreich, gab es noch: einen französisch-englisch-russischen Vertrag (Mai 1915). einen französischrussischen<br />

Vertrag (April 1916). der Russland Konstantinopel, die Meerengen, die wichtige Festung Erzerum <strong>und</strong> den<br />

Hafen von Trapezunt zusicherte; einen französisch-englisch-italienischen Vertrag (26. April 1915), der Italien im<br />

östlichen Mittelmeer, die gleichen Rechte wie den anderen Mächten, sowie Smyrna <strong>und</strong> die türkische Provinz Antalia<br />

zusicherte - alles bestätigt in einem zweiten Vertrag im April 1917 zu St. Jean-de-Maurienne.<br />

Von russischer Seite gab es wegen der besonderen Lage dieses Landes keine Schwierigkeiten, wohl aber von Italien,<br />

dessen Ansprüche in den späteren Verträgen wieder verneint wurden <strong>und</strong> <strong>das</strong> sich beugen musste, nachdem es am 5.<br />

Mai 1919 versucht hatte, Antalia <strong>und</strong> Marmaris im Handstreich zu nehmen. Smyrna wurde Griechenland<br />

zugesprochen, <strong>das</strong> es indessen nicht halten konnte.<br />

Alle drei Mächte hatten Ärger mit den Sowjet-Russen, die dort sehr bald mit<br />

ihrer Propaganda eindrangen <strong>und</strong> dies umso leichter, als ihre Propaganda die<br />

Unabhängigkeitsbestrebungen der arabischen Völker unterstützte. Der Mittlere<br />

Osten war zwischen den beiden Weltkriegen ein von den vier Großmächten<br />

ständig überheizter Kessel. <strong>Die</strong>sen Umständen entsprechend blieben die<br />

Bestimmungen des Vertrages von Sevres nur auf dem Papier bestehen. <strong>Die</strong><br />

Türkei hatte praktisch allen Einfluss verloren, aber die Mächte, die sie beraubt<br />

hatten, konnten dort keinen Einfluss gewinnen.<br />

Seit dem Kriege 1939-1945 werden diese Machtkämpfe nach allen Regeln der<br />

Kunst zwischen Engländern, Amerikanern <strong>und</strong> Russen fortgesetzt, die heute in<br />

diesem Raum auch noch Nasser vorfinden ... In Europa, <strong>und</strong> zwar vor allem in<br />

174


Nord- <strong>und</strong> Mitteleuropa sowie auf dem Balkan, konnten nach dem<br />

Zusammenbruch Russlands (1917) <strong>und</strong> Österreich-Ungarns (1918) viele<br />

Völkerschaften größere Selbständigkeit gewinnen. Sie waren vorher mit Gewalt<br />

der Botmäßigkeit Russlands bzw. Österreich-Ungarns unterstellt gewesen. Es<br />

ergaben sich zwei große Gruppen: die einen wünschten unabhängige<br />

Nationalstaaten zu gründen (Finnen, Letten, Litauer, Esten, Ukrainer), die<br />

anderen wollten sich mit verwandten Völkerschaften zusammenschließen, um so<br />

<strong>das</strong> gleiche Ziel zu erreichen (Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien). <strong>Die</strong><br />

Politik des Widerstandes gegen den slawischen Druck, die von Karl dem Großen<br />

bis Bismarck 92 germanische Tradition war <strong>und</strong> unter der Bezeichnung "Drang<br />

nach Osten" in die Geschichte einging, war so geschickt gewesen, <strong>das</strong>s<br />

innerhalb der Grenzen Deutschlands keine der im Lauf der Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

aufgesaugten Volksgruppen den geringsten Wunsch nach Unabhängigkeit<br />

zeigte. Im Gegenteil: außerhalb seiner Grenzen bestanden starke<br />

deutschfre<strong>und</strong>liche Strömungen.<br />

<strong>Die</strong> Teilnehmer an der Pariser Konferenz sahen sich da einem richtigen<br />

Rätselspiel gegenüber. Wenn sie sich vom Selbstbestimmungsrecht der Völker<br />

leiten ließen, mussten sie zu einem recht mächtigen Deutschland gelangen, <strong>das</strong><br />

von einem Dutzend kleiner, unter seinem Einfluss stehender unabhängiger<br />

Staaten umgeben war.<br />

________________<br />

92 Im Jahre 800 hatten die Slawen die Elbe <strong>und</strong> <strong>das</strong> Adriatische Meer erreicht, wo ein Stamm mongolischen<br />

Ursprungs, die Awaren, zu ihnen gestoßen war. Karl der Große trieb sie bis zur Weichsel zurück. Um ihre Wanderung<br />

nach dem Südwesten abzufangen, hatte er am Mittellauf der Donau einen unter seinem Schutz stehenden Staat, die<br />

Ostmark, gegründet, die nach ihrer Germanisierung Österreich genannt wurde. Der Widerstand gegen die Slawen<br />

verwandelte sich rasch in einen germanischen Druck, der sich von Pommern aus über Preußen in Richtung auf die<br />

Ukraine wandte. Durch die napoleonischen Kriege wurde dieser Drang nach Osten geschwächt <strong>und</strong> Bismarck war dann<br />

unvorsichtig genug, die Kräfte des <strong>Reich</strong>es zu einem Stoß nach Westen einzusetzen. Im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert machten<br />

England <strong>und</strong> Frankreich es erst Wilhelm II., dann der Weimarer Republik <strong>und</strong> schließlich Hitler unmöglich, zur<br />

traditionellen Politik des Drucks nach Osten zurückzukehren.<br />

Das war aber genau <strong>das</strong> Gegenteil von dem, was sie erreichen wollten. Sie<br />

stützten sich darum auch nur in den seltensten Fällen auf <strong>das</strong><br />

Selbstbestimmungsrecht, nämlich nur dann, wenn sie gar nicht mehr anders<br />

konnten. In Gebieten, wo sie Volksabstimmungen abhalten ließen, wussten sie<br />

die Grenzen der Wahlkreise so raffiniert zu ziehen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Ergebnis eine klare<br />

Fälschung des Volkswillens darstellte. 93 Präsident Wilson musste Enttäuschung<br />

auf Enttäuschung erleben. <strong>Die</strong> Grenzlinie zwischen Slawen <strong>und</strong> Germanen<br />

verläuft fast gerade von Petsamo am Nördlichen Eismeer nach Lemberg im<br />

Süden des heutigen Polen, dann schlängelt sie sich nach Triest über Prag <strong>und</strong><br />

Budapest. Aber entlang dieser Grenzlinie befanden sich zahlreiche andere<br />

Stämme <strong>und</strong> Gruppen: im Laufe der großen Völkerwanderung hatte sich Welle<br />

175


auf Welle mit der alteingesessenen Bevölkerung vermischt, aber auch mit<br />

Völkerschaften, die sich den Eindringlingen entgegen geworfen hatten, sowie<br />

auch mit anderen wandernden Stämmen, die in entgegen gesetzte Richtung<br />

aufgebrochen waren. Und zu Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts fühlten sich die so<br />

entstandenen neuen Völker weder als Slawen noch als Germanen, sondern als<br />

Finnen, Esten, Letten, Litauer, Karelier, Polen, Ukrainer, Ruthenen, Tschechen,<br />

Slowaken, Slowenen, Ungarn, Serben, Kroaten, Moldauer, Bessarabier usw. Im<br />

Norden dominierten germanische, im Süden slawische 94 <strong>und</strong> manchmal sogar<br />

türkische Elemente. <strong>Die</strong>se Völkerschaften, die unter ihren Ahnen sowohl Slawen<br />

wie Germanen zählten, wurden auch von den Germanen wie von den Slawen<br />

beansprucht, wurden abwechselnd von der einen <strong>und</strong> von der anderen Seite<br />

erobert, heimgesucht <strong>und</strong> unterworfen. Allmählich hatte sich bei allen der mehr<br />

oder weniger starke Wunsch nach Unabhängigkeit gebildet.<br />

________________<br />

93 In Schleswig gab es beispielsweise zwei Parteien: eine starke deutschfre<strong>und</strong>liche <strong>und</strong> eine schwache<br />

dänenfre<strong>und</strong>liche. Man bildete zwei Wahlkreise <strong>und</strong> veranstaltete zwei Volksabstimmungen. <strong>Die</strong> eine vom 10. Februar<br />

1920 brachte in der ersten Zone für Deutschland 83.000 Stimmen, für Dänemark 18.000 Stimmen. In der anderen<br />

stimmten am 14. März in der zweiten Zone 13.000 für Deutschland <strong>und</strong> 51.000 für Dänemark. Hätte man nur ein<br />

einziges Abstimmungsgebiet gebildet, dann hatte sich Schleswig mit 96.000 gegen 69.000 Stimmen für Deutschland<br />

ausgesprochen <strong>und</strong> nach dem Gesetz der Mehrheit - es ist natürlich anfechtbar - wäre ganz Schleswig bei Deutschland<br />

geblieben. Mehr noch: In der ersten Zone schlug die mit der Auswertung der Abstimmungsergebnisse beauftragte<br />

Botschafterkonferenz die Gemeinden mit dänischer Mehrheit zu Dänemark, aber sie hütete sich, in der zweiten Zone<br />

die vorwiegend deutschen Gemeinden an Deutschland zu geben. <strong>Die</strong> nach dem gleichen Verfahren in Oberschlesien<br />

vorgenommene Grenzziehung zwischen Polen <strong>und</strong> Deutschland war so ungerecht, <strong>das</strong>s sie wesentlich dazu beitrug, die<br />

ganze internationale Politik zu vergiften <strong>und</strong> schließlich zu einer der Hauptursachen für den Ausbruch des Zweiten<br />

Weltkrieges wurde.<br />

94 Wörtlich übersetzt heißt Jugoslawien: Land der Südslawen.<br />

Im Norden brauchte die Friedenskonferenz bei der Festlegung der Grenzen<br />

zwischen den Baltischen Staaten <strong>und</strong> Russland nicht einzugreifen. <strong>Die</strong> Dinge<br />

verliefen folgendermaßen:<br />

1. Finnland: Finnland war seit dem 7. Jahrh<strong>und</strong>ert ein Streitobjekt zwischen<br />

Schweden <strong>und</strong> Russland gewesen - wie Lothringen zwischen Frankreich <strong>und</strong><br />

Deutschland - bis der russische Zar Alexander I. es endgültig annektierte (1809).<br />

Seit 1906 besaß es ein durch allgemeines Stimmrecht gewähltes Parlament, <strong>das</strong><br />

jedoch der Autorität des Zaren unterstellt war. Das Land strebte nach der<br />

Unabhängigkeit. Seit 1907 bildeten die Sozialisten die Parlaments-Mehrheit.<br />

Beim Sturz Nikolaus II. proklamierte <strong>das</strong> Parlament die Unabhängigkeit des<br />

Landes, was nicht im Sinne der Sowjets war; sie versuchten es zurückzuerobern.<br />

Aber Mannerheim siegte mit deutscher Unterstützung in einem Kriege, der von<br />

Januar bis Mai 1918 dauerte. Ein im Mai 1919 gewähltes neues Parlament rief<br />

die Republik aus <strong>und</strong> verkündete, noch während die dem Lande wohlgesonnene<br />

176


Friedenskonferenz tagte, am 17. Juli 1919 eine Verfassung. Der Friede mit den<br />

Sowjets wurde erst am 14. Oktober 1920 durch den Vertrag von Dorpat<br />

endgültig geschlossen. Aber es war ein unsicherer Friede, wie sich 1939<br />

herausstellte ...<br />

2. Estland: <strong>Die</strong>ses Land wurde Russland durch den Frieden von Nystad (1721)<br />

unter Peter dem Großen einverleibt, nachdem es im Laufe der Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

nacheinander von Dänen, Schweden, Deutschen <strong>und</strong> Russen erobert worden<br />

war. 1914 war der Einfluss der baltischen Barone dort sehr stark (200 adlige<br />

Familien besaßen 60-70 Prozent des Bodens; sie trieben - obwohl deutschen<br />

Ursprungs - eine russenfre<strong>und</strong>liche Politik); im Volk dagegen lebte ein starker<br />

Wunsch nach Unabhängigkeit <strong>und</strong> Sympathie für Deutschland. 1914 befand sich<br />

Estland also an Russlands Seite im Krieg gegen die Mittelmächte. Am 12. April<br />

1917 ließ die provisorische russische Regierung durch allgemeine Abstimmung<br />

einen estnischen Nationalrat wählen, den die Sowjets jedoch im November nicht<br />

anerkannten. <strong>Die</strong> durch den Bolschewismus erschreckten Barone wechselten die<br />

Stellung <strong>und</strong> führten mit den Esten einen wilden Krieg gegen die Rote Armee.<br />

Am 24. Februar 1918 während der Verhandlungen in Brest-Litowsk, bei denen<br />

der Verzicht Russlands auf Estland bestätigt wurde, proklamierte der Nationalrat<br />

die Unabhängigkeit <strong>und</strong> Neutralität des Landes. Am 25. Februar zogen sich die<br />

sowjetischen Truppen zurück <strong>und</strong> zur großen Erleichterung des Volkes <strong>und</strong> der<br />

baltischen Barone besetzten deutsche Truppen nach <strong>und</strong> nach <strong>das</strong> Land. Nach<br />

dem Waffenstillstand, der den Ersten Weltkrieg beendete, schritt die russische<br />

Armee erneut zur Offensive, stieß aber diesmal auf englische <strong>und</strong> finnische<br />

Truppen <strong>und</strong> musste sich wieder zurückziehen. In einem zu Dorpat (2. Februar<br />

1920) unterzeichneten Vertrag erkannten die Sowjets die Unabhängigkeit<br />

Estlands an, <strong>und</strong> im Mai bestätigte sie der Interalliierte Oberste Rat in London<br />

"de jure".<br />

3. Lettland: Lettland gehörte seit 1721 zu Russland. Hier wie in Estland trieben<br />

die deutschstämmigen baltischen Barone eine russenfre<strong>und</strong>liche Politik,<br />

während <strong>das</strong> Volk eher zur Unabhängigkeit neigte oder sich deutschfre<strong>und</strong>lich<br />

zeigte. Hier herrschte der deutsche Einfluss seit dem XII. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

(Deutschritter, Schwertbrüder-Orden), <strong>und</strong> die prodeutsche Strömung in<br />

Volkskreisen war ausgesprochener als in Estland. <strong>Die</strong> Deutschen besetzten im<br />

Mai 1915 Libau, im August 1917 Riga. Nach dem Frieden von Brest-Litowsk, in<br />

dem Lettland Deutschland zugesprochen wurde, kamen die nach<br />

Unabhängigkeit strebenden Kreise zum Zuge. Ein Nationalrat, der 1917 im<br />

Geheimen gegründet war, proklamierte sofort nach Unterzeichnung des<br />

Waffenstillstandes (November 1918) offen die Republik. <strong>Die</strong> Rote Armee<br />

versuchte erfolglos <strong>das</strong> Land zurückzuerobern, sie wurde von polnischlettischen<br />

Truppen zurückgeworfen. <strong>Die</strong> Sowjets schlossen mit dem Nationalrat<br />

unter Anerkennung der Souveränität Lettlands (22. März 1920) einen<br />

Waffenstillstand <strong>und</strong> schließlich am 11. August 1920 einen Friedensvertrag. Am<br />

177


26. Januar 1921 wurde diese Unabhängigkeit auch von den Großmächten "de<br />

jure" anerkannt, die dem Land am 21. September 1921 den Eintritt in den<br />

Völkerb<strong>und</strong> gestatteten.<br />

4. Litauen: Im XIV. Jahrh<strong>und</strong>ert erstreckte sich <strong>das</strong> Fürstentum Litauen von der<br />

Ostsee bis nach Kiew. <strong>Die</strong>se Stadt war nach Minsk bei der Verfolgung der<br />

zurückweichenden Tataren erobert worden. Seit dem XIII. Jahrh<strong>und</strong>ert war<br />

Litauen stark von der deutschen Kultur durchdrungen, die von den Rittern des<br />

Deutschen Ordens verbreitet worden war. 1795 wurde es wider seinen Willen<br />

von Russland annektiert, dem jedoch nicht einmal mit "Eisen <strong>und</strong> Strick"<br />

(Muraview 1863) die Slawisierung gelang. Am 7. August 1915 rückten die<br />

deutschen Truppen in Kaunas ein <strong>und</strong> wurden von den Einwohnern der Stadt mit<br />

Jubel begrüßt. Im April 1917 versammelte sich in Wilna ein Ausschuss mit dem<br />

Ziel, einen Landtag zu gründen, der alle Beziehungen zu Russland abbrechen<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong> Land unter deutsche Schutzherrschaft stellen sollte. Im Juli 1918 machte<br />

sich ein Ausschuss dieses Landtags daran, eine monarchische Verfassung<br />

auszuarbeiten. <strong>Die</strong> Niederlage der Mittelmächte vereitelte diese Pläne. Nach<br />

dem Waffenstillstand rief der Landtag unter dem Einfluss des angesehenen<br />

Smetona die unabhängige Republik Litauen aus. <strong>Die</strong>se Unabhängigkeit wurde<br />

von England im September 1919, von Russland am 11. Mai 1921 anerkannt. <strong>Die</strong><br />

Gebiete von Suwaiki, Grodno, Bialystock <strong>und</strong> Wilna machten sich Polen,<br />

Litauen <strong>und</strong> Russland gegenseitig streitig. Erst auf der Botschafterkonferenz<br />

1923 konnte die Grenze zwischen Litauen <strong>und</strong> Polen festgelegt werden. Das<br />

Memelgebiet, <strong>das</strong> von Deutschland durch den Vertrag von Versailles - ohne<br />

Befragung seiner Bevölkerung - losgerissen worden war, lebte als von<br />

Frankreich verwaltetes autonomes Territorium bis 1923, als es mit Gewalt von<br />

Litauen besetzt wurde. Im Mai 1924 machte eine Friedenskonvention daraus<br />

eine Art autonomes Gebiet, <strong>das</strong> von Litauen verwaltet wurde. Mit anderen<br />

Worten: <strong>das</strong> Verhältnis zwischen Litauen <strong>und</strong> dem Memelland war so wie <strong>das</strong><br />

zwischen Frankreich <strong>und</strong> Monaco oder wie zwischen Italien <strong>und</strong> San Marino.<br />

In diesen vier Fällen wurde <strong>das</strong> Selbstbestimmungsrecht mit Waffengewalt<br />

errungen <strong>und</strong> die Ansprüche der besser bewaffneten Partei setzten sich durch<br />

gegen die der weniger gut bewaffneten.<br />

Im Süden war es einfach, Thrazien von Bulgarien abzuschneiden, um es<br />

Griechenland zu geben, <strong>und</strong> von Ungarn Siebenbürgen, <strong>das</strong> Buchenland <strong>und</strong><br />

einen Teil des Banats zum Vorteil Rumäniens 95 loszulösen.<br />

<strong>Die</strong> Schwierigkeiten begannen bei Albanien. Griechenland beanspruchte die<br />

Gebiete von Gjinokastre <strong>und</strong> Korea (Koritza); Italien, dessen Interessen in<br />

diesem Gebiet soeben anerkannt worden waren, widersetzte sich. Ohne<br />

Befragung der Bevölkerung gab man Gjinoikastre an Griechenland <strong>und</strong> zum<br />

Ausgleich den Hafen Valona an Italien. Beim Rückzug der alliierten Truppen im<br />

Jahre 1920 gab es blutige Kämpfe zwischen Albanern <strong>und</strong> Griechen, Albanern<br />

<strong>und</strong> Serben, Albanern <strong>und</strong> Italienern. Schließlich verzichtete Italien im August<br />

178


1920 den Albanern gegenüber vertraglich auf die ihm in dieser Gegend<br />

zugestandenen Vorrechte.<br />

________________<br />

95 Das Königreich Rumänien entstand 1881 durch die Vereinigung der Landschaften Moldau <strong>und</strong> Walachei, die sich<br />

vordem h<strong>und</strong>ert Jahre lang bekämpft hatten - in einem Krieg, der an den zwischen Armagnac <strong>und</strong> Burg<strong>und</strong> im<br />

Mittelalter erinnerte. Manchmal war <strong>das</strong> Land mit den Russen gegen den Sultan verbündet gewesen, manchmal mit<br />

Österreich-Ungarn gegen die Slawen. Trotz seiner Verträge mit den Mittelmächten war es 1914 zunächst neutral<br />

geblieben. Am 17. August 1916 gab es dem Drängen der Alliierten nach <strong>und</strong> trat an ihrer Seite in den Krieg ein. Von<br />

den Russen im Stich gelassen <strong>und</strong> auf seine eigenen Kräfte angewiesen, wurde es bald von den Heeren Falkenhayns<br />

<strong>und</strong> Mackensens besetzt. Als der russische General Kornilow im Juli 1917 die Galizien-Front der Mittelmächte<br />

durchstoßen hatte, nahm Rumänien den Kampf auf Seiten der Russen wieder auf. Dann brach Russland zusammen.<br />

Nach dem Frieden von Brest-Litowsk, der ihnen die Hände in Rumänien frei ließ, besetzten die Deutschen <strong>das</strong> Land<br />

<strong>und</strong> erzwangen den Vertrag von Bukarest (7. Mai 1918), der durch den Waffenstillstand vom 11. November 1918<br />

wieder annulliert wurde. Am 1. Dezember kehrte König Ferdinand I. nach Bukarest zurück. Rumänien musste belohnt<br />

werden. Ein Komitee von Würdenträgern aus Siebenbürgen, dem Banat <strong>und</strong> aus dem Crishnagebiet hatte am gleichen<br />

Tage in Bukarest zur Nationalversammlung gesprochen <strong>und</strong> die Angliederung dieser Gebiete an Rumänien verlangt.<br />

Man gab dieser Forderung ohne Volksabstimmung nach, obwohl in jenen Landstrichen zweifellos der ungarische<br />

Einschlag wesentlich stärker war. Man gab Rumänien auch Bessarabien <strong>und</strong> <strong>das</strong> Buchenland, wo ein ähnliches<br />

Komitee sich am 9. April 1918 im gleichen Sinne ausgesprochen hatte. Auch ohne Volksabstimmung. Man gab<br />

Rumänien ferner - wieder ohne Volksabstimmung - zwei <strong>Dritte</strong>l des Banats (<strong>das</strong> andere <strong>Dritte</strong>l ging an Jugoslawien),<br />

obwohl sich im Banat seit langem ein starker lateinischer Einfluss bemerkbar machte, der nach Unabhängigkeit strebte,<br />

ohne je sehr lautstark zu werden. Man gab ihm schließlich noch Siebenbürgen, obwohl sich am 1. Dezember 1918 in<br />

Carlsberg ein Komitee zu Gunsten Ungarns ausgesprochen hatte.<br />

Das Verhältnis Albaniens zu Italien, Griechenland <strong>und</strong> Jugoslawien blieb<br />

schlecht. <strong>Die</strong> beiden österreichisch-ungarischen Häfen Fiume <strong>und</strong> Triest wurden<br />

Italien (ebenfalls ohne Befragung der Einwohner) zugesprochen, was bis zum<br />

Kriege 1939-1945 zu einer unabsehbaren Reihe von Zwischenfällen zwischen<br />

Italien <strong>und</strong> Jugoslawien führte.<br />

Mit Fiume <strong>und</strong> Triest kommen wir zur Regelung des österreichisch-ungarischen<br />

Problems. Bei der Festlegung der Grenzen zwischen den Völkern der<br />

ehemaligen Doppelmonarchie - <strong>und</strong> der Grenzen zwischen diesen neuen Staaten<br />

<strong>und</strong> Deutschland, wurde <strong>das</strong> Selbstbestimmungsrecht der Völker schlimmer mit<br />

Füßen getreten als irgendwo sonst <strong>und</strong> die Folgen waren dementsprechend. Der<br />

Staat Österreich-Ungarn 96 war die politische Schlüsselfigur in Zentraleuropa.<br />

Seine stark miteinander verwachsenen Völkerschaften hatten die Türken von<br />

den Toren Wiens bis an die Karpathen zurückgedrängt, nachdem Prinz Eugen<br />

sie 1697 in Zenta zerschmettert <strong>und</strong> damit ihren Vormarsch zum Stehen<br />

gebracht hatte, etwa in der gleichen Art wie Karl Martell 732 die Araber bei<br />

Poitiers.<br />

________________<br />

179


96 Österreich-Ungarn war eine "Doppelmonarchie" <strong>und</strong> setzte sich nach dem Gr<strong>und</strong>gesetz vom 21. Dezember 1867<br />

aus zwei Staaten zusammen, die durch die Lietha, einem linken Nebenfluss der Donau, getrennt waren: <strong>das</strong> Kaiserreich<br />

Österreich mit der Hauptstadt Wien <strong>und</strong> <strong>das</strong> Königreich Ungarn mit der Hauptstadt Budapest. Ersteres umschloss 17<br />

weitgehend autonome Königreiche oder Länder mit je einem Vertreter des Kaisers an der Spitze: Niederösterreich,<br />

Oberösterreich. Steiermark, Kärnten, Krain, <strong>das</strong> Küstenland (Istrien, Triest <strong>und</strong> Görtz), Dalmatien, Tirol, Vorarlberg,<br />

Salzburg, Böhmen, Mähren, Schlesien, Galizien <strong>und</strong> <strong>das</strong> Buchenland.<br />

Ungarn war in 63 Komitate <strong>und</strong> 25 freie <strong>Reich</strong>sstädte aufgeteilt. Komitate <strong>und</strong> freie Städte bildeten autonome<br />

Gemeinden, an deren Spitze ein Präfekt stand. <strong>Die</strong> beiden Staaten waren voneinander unabhängig mit Ausnahme der<br />

Außenpolitik, der Verteidigung <strong>und</strong> der Finanzen. Ein Parlament in Wien (Abgeordnetenkammer <strong>und</strong> Herrenhaus), ein<br />

anderes in Budapest (Abgeordnetenkammer <strong>und</strong> Magnatenhaus). In Ungarn hatte Kroatien-Slawonien (1868) die<br />

Unabhängigkeit erhalten - mit Ausnahme einiger gemeinsamer Angelegenheiten: ein Landtag tagte in Agram, 40<br />

Abgeordnete saßen in der ungarischen Kammer. Bosnien <strong>und</strong> die Herzegowina wurden bis 1908 von einem Österreichungarischen<br />

Kondominium (gemeinsame Minister) im Namen des Sultans verwaltet. Von da an bildeten sie einen Teil<br />

der Doppelmonarchie <strong>und</strong> hatte eine ähnliche Regierungsform wie Kroatien-Slawonien mit der Ausnahme, <strong>das</strong>s sie<br />

zwar einen Landtag <strong>und</strong> eine Provinzialregierung hatten, <strong>das</strong>s die Oberherrschaft aber durch einen Militärgouverneur<br />

im Namen des Kaisers ausgeübt wurde, was unleugbar Willkür <strong>und</strong> Unterdrückung bedeutete. In ihrer Gesamtheit<br />

waren diese 17 Königreiche, 65 Komitate <strong>und</strong> 25 freie Städte - mit Ausnahme der unterworfenen Gebiete Bosnien <strong>und</strong><br />

Herzegowina - untereinander durch eine Art föderalistisches, alles in allem ziemlich geschmeidiges <strong>und</strong> tolerantes<br />

System verb<strong>und</strong>en. Außer den Bosniaken <strong>und</strong> Herzegowinern versuchten auch die Tschechen, die <strong>das</strong> Gr<strong>und</strong>gesetz von<br />

1667 recht ungern hingenommen hatten, die im Parlament in Budapest kaum vertretenen Slowaken, die zwischen<br />

Magyaren, Ruthenen <strong>und</strong> Deutschen aufgeteilten Galizier, sowie die stets gegen die Magyaren eingenommenen<br />

Kroaten einige Schwierigkeiten. Aber diese Schwierigkeiten waren mehr durch die "Magyarisierung" geschaffen, die<br />

von der autoritären Budapester Regierung <strong>und</strong> der dort herrschenden Kaste gr<strong>und</strong>sätzlich angestrebt wurde, als durch<br />

die viel großzügigere Kaiserliche Krone, die allerdings auch nicht viel mit diesen Angelegenheiten zu tun hatte.<br />

Als Bollwerk Europas drängten sie die ottomanischen Eindringlinge durch ihre<br />

recht kluge Politik mit den Moldau-Walachen (Rumänen) <strong>und</strong> den Bulgaren<br />

langsam aber sicher nach Asien. Österreich-Ungarn bildete also gleichzeitig im<br />

Süden ein Bollwerk gegen die Slawen, während Deutschland diese Aufgabe im<br />

Norden übernommen hatte. Das politische Streben war auf eine fortschreitende<br />

friedliche Eindeutschung aller seiner Völkerschaften gerichtet <strong>und</strong> es hätte diese<br />

doppelte Mission auch erfolgreich durchgeführt, wenn seine Staatsmänner im<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>ert nicht so engstirnig gewesen wären. So reagierten beispielsweise<br />

Graf Berchtold, Außenminister, <strong>und</strong> Graf Tisza, der Vorsitzende des Staatsrates,<br />

nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers <strong>und</strong> seiner Gattin in<br />

Sarajewo (28. 6. 1914) durch den Studenten Prinzip <strong>und</strong> seine Komplizen nicht<br />

als Staatsmänner sondern als in Standesvorurteilen befangene Menschen.<br />

Der 84jährige Kaiser Franz-Josef konnte die Lage nicht mehr richtig beurteilen<br />

oder eine andere Politik durchsetzen, nicht einmal mit Hilfe der weit klügeren<br />

Vorschläge des realistischeren Kaisers Wilhelm II. <strong>und</strong> seines Kanzlers von<br />

Bethmann-Hollweg. 97 Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns lässt sich in<br />

wenigen Daten schildern:<br />

180


13. September 1918: Kaiser Karl teilt Deutschland mit, <strong>das</strong>s er um Frieden<br />

bitten will.<br />

23. September 1918: Wir haben gesehen (Anmerkung 82) wie es durch die<br />

Initiative eines am 23. 9. 18 zusammengetretenen Nationalrats in Kroatien später<br />

zur Ausrufung des "Königreichs der Serben, Kroaten, <strong>und</strong> Slowenen" kam.<br />

16. Oktober 1918: Kaiser Karl lässt ein Manifest anschlagen, in dem gesagt<br />

wird, <strong>das</strong>s Österreich ein B<strong>und</strong>esstaat werden soll; der Staat Ungarn wird<br />

hiervon nicht betroffen.<br />

21. Oktober 1918: <strong>Die</strong> 200 deutschen Abgeordneten des <strong>Reich</strong>srats versammeln<br />

sich, stellen fest, <strong>das</strong>s der alte österreichische Staat in der Auflösung begriffen<br />

ist, bilden eine provisorische Nationalversammlung, die am 30. 10.<br />

Deutschösterreich ausruft, eine alle deutschsprachigen Gebiete umfassende <strong>und</strong><br />

einen Teil des Deutschen <strong>Reich</strong>es bildende Republik. 98<br />

________________<br />

97 Wilhelm II. <strong>und</strong> von Bethmann-Hollweg bemühten sich vergeblich um eine Entschärfung der Lage, indem sie Wien<br />

zur Annahme der serbischen Antwort auf <strong>das</strong> Österreich-ungarische Ultimatum vom 23. Juli zu bewegen suchten. Graf<br />

Tisza hätte sich dem deutschen Standpunkt angeschlossen, aber Graf Berchtold setzte sich mit seiner unnachgiebigen<br />

Haltung durch.<br />

98 <strong>Die</strong>se Republik wurde feierlich am 12. November proklamiert. Vorher hatte Kaiser Karl auf jegliche Teilnahme an<br />

den Staatsgeschäften verzichtet; er wollte sich nach Ungarn zurückziehen, wo er die Regierung unter dem Namen Karl<br />

IV. fortzusetzen beabsichtigte. <strong>Die</strong> Wahlen vom 16. Februar 1919 bestätigten den Sieg der Sozialisten. Am 4. März trat<br />

die Versammlung zusammen, aber von den 255 vorgesehenen Sitzen waren nur 151 besetzt, denn die Alliierten hatten<br />

keine Wahlen gestattet in jenen Gebieten, die sie von dem neuen Österreich abzutrennen beabsichtigten. Andererseits<br />

war der von ihrem Alterspräsidenten ausgesprochene einstimmige Wunsch dieser 157 Abgeordneten nach<br />

Angliederung an <strong>das</strong> Deutsche <strong>Reich</strong>, nicht erhört worden; Artikel 68 des Vertrages von St. Germain (10. September<br />

1919) erklärte die Unabhängigkeit von Osterreich für unabdingbar <strong>und</strong> verbot seinen direkten oder indirekten<br />

Anschluss an ein anderes Land ohne die Zustimmung des Völkerb<strong>und</strong>es. Artikel 61 der Weimarer Verfassung (11.<br />

August 1919) sah die Zulassung österreichischer Vertreter zum B<strong>und</strong>esrat vor, sobald dieses Land an <strong>das</strong> <strong>Reich</strong><br />

angeschlossen sein würde. Am 22. Oktober 1919 erklärte man den Deutschen, <strong>das</strong>s diese Bestimmung im Widerspruch<br />

zu Artikel 88 des Versailler Vertrages stehe; sie antworteten, <strong>das</strong>s nicht die Rede davon sein könnte, diesen Anschluss<br />

ohne Zustimmung des Völkerb<strong>und</strong>es durchzuführen, diese Zustimmung könne aber angesichts des<br />

Selbstbestimmungsrechtes der Völker - eines der Gr<strong>und</strong>prinzipien des Völkerb<strong>und</strong>es - nicht ausbleiben. <strong>Die</strong> Sieger<br />

mussten sich mit dieser Erklärung zufrieden geben: die Weimarer Verfassung wurde nicht abgeändert.<br />

28. Oktober 1918: Ein tschecho-slowakisches National-Komitee übernimmt in<br />

Prag die Macht <strong>und</strong> ruft die Republik aus. Um die Form zu wahren, nennt sich<br />

dieses Komitee am 9. November Nationalversammlung <strong>und</strong> proklamiert am 14.<br />

offiziell die Absetzung der Habsburger, die Kündigung der Unions-Akte von<br />

1526 usw. ... 99<br />

1. November 1918: In Budapest war am 23. Oktober eine Regierungskrise<br />

entstanden. Das neue Ministerium unter dem Vorsitz von Karolyi erklärte den<br />

Vertrag von 1867 <strong>und</strong> damit die Doppelmonarchie für aufgelöst. Ein von der<br />

181


Bevölkerung gebildeter Nationalrat drängte Karolyi mit dem König zu brechen.<br />

<strong>Die</strong>ser verzichtete am 13. November auf jeden Einfluss auf die Staatsgeschäfte.<br />

Am 16. November proklamierte <strong>das</strong> Nationalkomitee, <strong>das</strong> sich selbst zur<br />

Nationalversammlung ernannt hatte, die Republik <strong>und</strong> ernannte Karolyi zum<br />

Präsidenten. 100<br />

<strong>Die</strong> auf der Friedenskonferenz vertretenen Mächte sehen diese ganzen<br />

Nationalkomitees <strong>und</strong> Nationalräte als Ausdruck des Volkswillens an, gestatten<br />

in den meisten Fällen die Bildung neuer Staaten <strong>und</strong> verteilen <strong>das</strong> Land unter<br />

ihnen in Übereinstimmung mit den Ansprüchen dieser Komitees <strong>und</strong> Räte - nur<br />

weil diese sich selbst zu Nationalversammlungen erklärt <strong>und</strong> die Rechte von<br />

Nationalversammlungen beansprucht haben.<br />

________________<br />

99 <strong>Die</strong> Tschechen <strong>und</strong> Slowaken waren 1914 nur widerwillig in den Krieg gezogen <strong>und</strong> die Aushebung der Rekruten<br />

hatte bei diesen beiden Volksgruppen zu ernsten Zwischenfällen geführt. Eine Anzahl in die Vereinigten Staaten<br />

geflüchteten Leiter der Oppositions-Parteien hatte sich am 30. Mai 1918 in Pittsburgh versammelt <strong>und</strong> hier die<br />

Gründungs-Urk<strong>und</strong>e für einen tschecho-slowakischen Staat unterzeichnet. In dem die Slowaken ihre eigene<br />

Verwaltung, ihr eigenes Parlament, ihre eigene Sprache <strong>und</strong> eigene Rechtsprechung haben sollten. Auf dieser<br />

Gr<strong>und</strong>lage (vergl. Anmerkung 83) war in Paris am 3. September 1918 eine provisorische Regierung gebildet worden.<br />

Tatsächlich aber drangen die Tschechen mit Gewalt in die Slowakei ein, rissen dort die politische Macht an sich <strong>und</strong><br />

begnügten sich damit, in Pressburg ein "Ministerium für die Slowakei" zu schaffen. Auf der Friedenskonferenz war der<br />

neue Staat durch Tschechen vertreten <strong>und</strong> <strong>das</strong> Selbstbestimmungsrecht der Völker hatte sich also hier in ein Recht der<br />

Tschechen verwandelt, über die Slowaken zu bestimmen.<br />

100 Im März 1919 erfolgte unter Führung von Bela Khun ein kommunistischer Umsturzversuch, der Ungarn einen bis<br />

in den Juli dauernden Bürgerkrieg bescherte. Zweimal, im März 1920 <strong>und</strong> im Oktober desselben Jahres, versuchte<br />

König Karl IV., Ex-Kaiser von Österreich-Ungarn, wieder die Macht zu ergreifen. Zwischenzeitlich wurde Ungarn<br />

durch den Vertrag von Trianon um zwei <strong>Dritte</strong>l seines Gebietes gebracht.<br />

Meist waren sie aber nur der Ausdruck von aktiven rebellierenden Minderheiten,<br />

deren Bemühungen unter friedlichen Verhältnissen zum Scheitern verurteilt<br />

gewesen wären, weil die völkischen oder sozialen Gruppen, die sie vertraten,<br />

nichts anderes gemeinsam hatten als die Feindschaft gegen die<br />

Doppelmonarchie <strong>und</strong> gegen germanisierende oder magyarisierende<br />

Bestrebungen. Sobald <strong>das</strong> von ihnen bekämpfte System gestürzt war, gab es<br />

auch nichts mehr, was diese Gruppen zusammenhielt - <strong>und</strong> schon lösten sie sich<br />

auf; die Geschichte der Tschechen <strong>und</strong> der Slowaken, der Serben <strong>und</strong> der<br />

Kroaten, der Galizier <strong>und</strong> der Polen zwischen den beiden Weltkriegen illustriert<br />

<strong>das</strong> mit grausamer Deutlichkeit.<br />

In Budapest musste die am 16. November 1918 ausgerufene Republik, sobald<br />

die Gemüter sich beruhigt hatten, wieder der Monarchie weichen, die dann im<br />

Mai 1921 wiederhergestellt wurde, wobei die Krone allerdings ohne Träger<br />

blieb <strong>und</strong> die ausführende Gewalt vorläufig einem Regenten (Horthy) anvertraut<br />

wurde. In Rumänien, dessen Größe von 137.000 auf 304.000 Quadratkilometer,<br />

182


dessen Bevölkerung von 7 auf 17 Millionen anstieg, wurde <strong>das</strong> politische Leben<br />

durch die Tatsache, <strong>das</strong>s man die verschiedensten Völkerschaften gegen ihren<br />

Willen in einen Staat zusammengepfercht hatte, zu einem vollkommenen Chaos.<br />

Außer der schon erwähnten gab es noch einige Volksabstimmungen:<br />

1. wegen der Angliederung des Gebiets um Klagenfurt an Österreich (die<br />

Südtirolfrage zwischen Italien <strong>und</strong> Österreich wurde aber nicht geregelt); 2.<br />

wegen der Angliederung des Burgenlandes teils an Österreich, teils an Ungarn;<br />

3. zur Festlegung der Westgrenze Polens fanden noch drei so genannte<br />

Volksabstimmungen nach dem Schleswiger Muster (vergl. Anmerkung 93) statt,<br />

die die Gebiete von Allenstein <strong>und</strong> Marienwerder sowie Oberschlesien betrafen,<br />

<strong>und</strong> gleichfalls zu willkürlichen Teilungen führten.<br />

Ohne diese Willkür wäre es nie möglich gewesen, Danzig zur freien Stadt zu<br />

erklären, Polen 20 Kilometer Küste zu geben, den polnischen Korridor zu<br />

schaffen, (der Ostpreußen vom Mutterland trennte <strong>und</strong> so eine der<br />

Hauptursachen des Krieges von 1939-1945 bildete), noch <strong>das</strong> Memelland von<br />

Ostpreußen abzuschneiden. Ohne diese Willkür wäre es auch nicht möglich<br />

gewesen, dem neuen tschecho-slowakischen Staat die drei bis vier Millionen<br />

Deutschen in Böhmen zuzuschlagen, die mehr als ein <strong>Dritte</strong>l der Bevölkerung<br />

ausmachten; dadurch war allerdings dieser junge Staat praktisch bei seiner<br />

Geburt schon zum Tode verurteilt mit seinen 33 Prozent Deutschen, 33 Prozent<br />

Tschechen, 20 Prozent Slowaken - um von drei oder vier kleineren Minderheiten<br />

noch zu schweigen. Aber für die Politiker der alliierten oder assoziierten Mächte<br />

101 hatte diese Methode den unschätzbaren Vorteil, von Deutschland 84.000<br />

Quadratkilometer (nahezu ein Sechstel seines Gebietes) abzutrennen <strong>und</strong> von<br />

Österreich <strong>und</strong> Ungarn ungefähr ein <strong>Dritte</strong>l des Gebietes, <strong>das</strong> diesen Ländern bei<br />

korrekter Anwendung des Selbstbestimmungsrechtes gehört hätte.<br />

________________<br />

101 Sobald Präsident Wilson sah, worauf die Debatten hinausliefen, erklärte er, <strong>das</strong>s die Vereinigten Staaten nicht<br />

mehr als alliierter Staat gelten wollten, sondern nur noch als 'assoziierte' Macht (womit er ausdrücken wollte, <strong>das</strong>s die<br />

anderen Mächte eine Assoziation zwischen ihren Absichten <strong>und</strong> denen der USA konstruierten). Durch diesen<br />

Unterschied behielt sich Amerika <strong>das</strong> Recht vor, sich den getroffenen Entscheidungen anzuschließen oder auch nicht.<br />

102 <strong>Die</strong> Reparationskommission legte ihren Bericht am 24. Januar 1921 vor. Wie bereits im ersten Teil dieses Buches<br />

gesagt, wurde Deutschland verurteilt, Reparationen in Höhe von 132 Milliarden Goldmark an die Alliierten zu zahlen.<br />

Man wollte sogar 210 Milliarden fordern; in Diskussionen, die bis zum 27. April 1921 dauerten, einigte man sich aber<br />

auf den erstgenannten Betrag <strong>und</strong> setzte fest, <strong>das</strong>s er in 42 Jahresraten zu zahlen sei. <strong>Die</strong> Alliierten teilten die Summe<br />

folgendermaßen untereinander: Es erhielten: 52 Prozent Frankreich. 22 Prozent England. 10 Prozent Belgien. 8 Prozent<br />

Italien, die restlichen 8 Prozent wurden an Jugoslawien (5 Prozent), Rumänien, Japan, Portugal <strong>und</strong> Griechenland<br />

gegeben. <strong>Die</strong> Verbündeten Deutschlands wurden zu viel geringeren Zahlungen verurteilt.<br />

<strong>Die</strong>ser Willkürakt, der über zehn Millionen Deutsche <strong>und</strong> Deutsch-Österreicher<br />

ohne sie zu fragen <strong>und</strong> gegen ihren Willen anderen Staaten zuteilte<br />

(hauptsächlich Polen <strong>und</strong> der Tschecho-Slowakei). <strong>Die</strong>ses Verschenken von<br />

183


Menschen <strong>und</strong> ihrem Boden nach dümmstem Gutdünken schuf für Europa<br />

tragische, unüberwindliche Schwierigkeiten - die weiteren Entwicklungen haben<br />

es nur allzu deutlich gezeigt.<br />

In wirtschaftlicher Hinsicht wurde Deutschland der für seine Industrie<br />

notwendigen Rohstoffe <strong>und</strong> der bei der Größe seiner Bevölkerung notwendigen<br />

landwirtschaftlichen Hilfsquellen beraubt, <strong>und</strong> Österreich um seine Seehäfen<br />

gebracht. Und wenn man auch die neugeschaffenen Staaten um <strong>das</strong> bereicherte,<br />

was man den anderen weggenommen hatte, so bot man ihnen doch letzten Endes<br />

nur den unzureichenden Handelsweg der Donau, wodurch ganz Mitteleuropa<br />

entweder zur wirtschaftlichen Verkümmerung oder zur Unterwerfung unter die<br />

alliierten <strong>und</strong> assoziierten Mächte verdammt war.<br />

<strong>Die</strong>se falschen Entscheidungen wurden durch die finanziellen Bedingungen der<br />

Verträge noch verschlimmert. Bei den Finanzklauseln setzte man in den<br />

Verträgen nicht einmal genaue Zahlen ein. Man einigte sich rasch darauf, <strong>das</strong>s<br />

zur endgültigen Festsetzung der Beträge viel längere Zeit benötigt würde, als<br />

zwischen Waffenstillstand <strong>und</strong> der Unterzeichnung des Friedensvertrages zur<br />

102<br />

Verfügung stand. Man ernannte also zu diesem Zweck einen<br />

Reparationsausschuss, dem als letzter Termin der 1. Mai 1921 gesetzt war. Dann<br />

sollte die endgültige Entscheidung fallen.<br />

Deutschland hatte bis dahin in drei Raten eine Summe von zwanzig Milliarden<br />

Goldmark als Vorleistung zu zahlen, um Belgien <strong>und</strong> die verwüsteten Gebiete in<br />

die Lage zu versetzen, ohne Zeitverlust mit den Wiederaufbauarbeiten zu<br />

beginnen. In den Verträgen selbst begnügte man sich damit, die Gr<strong>und</strong>sätze<br />

festzulegen, nach denen die Reparationsbeträge zu errechnen seien.<br />

Wir erinnern uns, <strong>das</strong>s die Erklärungen des Präsidenten Wilson in diesem<br />

Punkte sehr eindeutig waren: ein Friede "ohne Sieg", d. h. "ohne Sieger <strong>und</strong><br />

Besiegte" (Rede vom 21. Januar 1917 vor dem Senat) - <strong>und</strong> <strong>das</strong>s er selbst auf<br />

dieser Basis (die in der Erklärung der Sowjets vom 20. Februar 1918 als ein<br />

"Friede ohne Annexionen oder Entschädigungen" bezeichnet wurde) die<br />

Waffenstillstands-Verhandlungen mit den Mittelmächten führte.<br />

"Ohne Entschädigungen" ... In seinen 14 Punkten hatte Präsident Wilson<br />

bezüglich der Räumung der von Deutschland besetzten Gebiete bestimmt, <strong>das</strong>s<br />

diese Gebiete - selbstverständlich - auch wiederaufgebaut werden müssten. Wie<br />

wir gesehen haben (vgl. S. 166) interpretierten die Engländer <strong>und</strong> Franzosen<br />

diese Bestimmung in der Note vom 4. November 1918, in der sie ihre<br />

Zustimmung zu Waffenstillstandsverhandlungen mit den Mittelmächten gaben,<br />

wie folgt:<br />

"<strong>Die</strong> Alliierten sind der Meinung, <strong>das</strong>s kein Zweifel darüber bestehen<br />

bleiben dürfte, welchen Umfang diese Bedingung hat. Sie verstehen<br />

darunter, <strong>das</strong>s Deutschland alle Schäden ersetzen muss, die die<br />

Zivilbevölkerung der Alliierten infolge des deutschen Angriffs an ihrer<br />

Person sowie an ihrem Eigentum erlitten hat, ob diese Schäden nun durch<br />

184


Kriegshandlungen zu Lande, zur See oder durch Luftoperationen<br />

entstanden sind."<br />

Nun belastete man Deutschland mit den Gesamtkosten des Krieges. Das war<br />

nicht was Präsident Wilson gewollt hatte <strong>und</strong> <strong>das</strong> war noch viel weniger ein<br />

Friede "ohne Entschädigungen". Um diese gewaltige Forderung zu begründen,<br />

musste man Deutschland alleinverantwortlich erklären für alles Geschehene.<br />

Das entsprach nicht den Tatsachen <strong>und</strong> <strong>das</strong> war kein "Friede ohne<br />

Entschädigungen", kein Friede "ohne Sieger <strong>und</strong> Besiegte" mehr, sondern ein<br />

Friedensschluss nach der alten Kriegstradition, nach der die Sieger ihre<br />

Bedingungen - so unvernünftig sie auch sein mochten - den Besiegten<br />

aufzwangen. Wenn es noch verständlich war, <strong>das</strong>s Belgien <strong>und</strong> Nordfrankreich<br />

von Deutschland wiederaufgebaut werden mussten, während alle anderen aber<br />

ihre eigenen W<strong>und</strong>en selbst verbanden, so begriff man doch nicht - zumindest<br />

begriff niemand auf der europäischen Linken - die Wut, mit der sich die Sieger<br />

auf die Besiegten stürzten. In Amerika verstand man <strong>das</strong> ebenso wenig. Aber in<br />

Frankreich, England <strong>und</strong> Italien war die Rechte am Ruder <strong>und</strong> trotz aller<br />

Anstrengungen des Präsidenten Wilson drangen deren Ansichten durch: Artikel<br />

231 des Versailler Vertrages erklärte, <strong>das</strong>s Deutschland allein schuld sei am<br />

Kriege.<br />

Infolgedessen standen die Russen 21 Jahre später, wie Peter Kleist richtig gesagt<br />

hat, "50 Kilometer vor Hamburg", wo sie noch heute sind <strong>und</strong> auf weitere<br />

passende Gelegenheiten warten. <strong>Die</strong> Russen, d. h. die Slawen. <strong>Die</strong>s bedeutet,<br />

<strong>das</strong>s Westeuropa nach 1200 Jahren dort steht, wo es stand, als Karl der Große<br />

von seinem Vater die Mission erbte, dieses Problem zu lösen!<br />

*<br />

Am 20. April 1919 wurde die deutsche Regierung eingeladen, Vertreter nach<br />

Versailles zu entsenden, um von den Bedingungen, unter denen die alliierten<br />

<strong>und</strong> assoziierten Mächte zum Vertragsabschluß bereit waren, Kenntnis zu<br />

nehmen. Da keine mündliche Diskussion zugelassen war, antwortete die<br />

<strong>Reich</strong>sregierung, <strong>das</strong>s sie die Entsendung von Bevollmächtigten für überflüssig<br />

hielte <strong>und</strong> <strong>das</strong>s man die Angelegenheit auch per Post erledigen könne: Ges<strong>und</strong>er<br />

Menschenverstand! Aber die Vertreter mussten trotzdem kommen ...<br />

Am 30. April waren sie da. Ihr Delegations-Chef war Graf Brockdorff-Rantzau.<br />

Am 7. Mai wurde ihnen der Vertragsentwurf anlässlich einer Vollversammlung<br />

der Friedenskonferenz überreicht. Außer den bereits erwähnten Bestimmungen<br />

enthielt er noch einige andere: Das Prinzip der Meistbegünstigung für die<br />

alliierten <strong>und</strong> assoziierten Mächte bei ihren zukünftigen Handelsbeziehungen<br />

mit Deutschland, die Internationalisierung gewisser Eisenbahnstrecken <strong>und</strong> der<br />

großen Wasserstraßen (Elbe, Oder, Donau, Rhein, Mosel, Nord-Ostsee-Kanal),<br />

185


weiter sollten bestimmte Teile Deutschlands eine Zeit lang besetzt werden - die<br />

Begrenzung dieser Besatzungszonen wurde angegeben usw. ... Wie schon<br />

gesagt, bildete der Völkerb<strong>und</strong>spakt die Präambel des Versailler Vertrages. Das<br />

Ganze war ein Buch mit 436 Seiten. <strong>Die</strong> deutschen Gegenvorschläge trafen am<br />

24. Mai beim Sekretariat der Konferenz ein; sie waren in einem Band von 443<br />

Seiten enthalten ...<br />

Im Mai 1919 hatte Deutschland eine legale republikanische Regierung. Am 19.<br />

Januar hatten Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Es war ein W<strong>und</strong>er, <strong>das</strong>s der von den Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenräten gewählte "Rat<br />

der Volksbeauftragten" überhaupt auf den Gedanken gekommen war, eine<br />

solche verfassungsgebende Versammlung wählen zu lassen, <strong>das</strong>s er es fertig<br />

gebracht hatte, solche Wahlen zu organisieren <strong>und</strong> halbwegs korrekt<br />

durchzuführen. Es war ein W<strong>und</strong>er angesichts der allgemeinen Unzufriedenheit,<br />

der Lebensmittelknappheit <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit, bedingt durch die<br />

Waffenstillstandsbedingungen (die Blockade wurde fortgesetzt, der<br />

innerdeutsche Güter- <strong>und</strong> Personenverkehr war desorganisiert, es gab ein<br />

Einfuhr- wie ein Ausfuhrembargo ... ) so <strong>das</strong>s überall Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenräte<br />

entstanden, in denen die prosowjetische Richtung (USP <strong>und</strong> Spartakisten) den<br />

Ton angab. Unter solchen Umständen schienen Wahlen ein Ding der<br />

Unmöglichkeit zu sein - <strong>das</strong>s sie aber doch stattfinden konnten, war dem<br />

zufälligen Zusammentreffen zweier ganz subjektiver Faktoren zu verdanken:<br />

Erstens zeigten die Führer der prosowjetischen Richtung, Karl Liebknecht, Rosa<br />

Luxemburg, Ledebour usw. einen totalen Mangel an politischer Einsicht oder an<br />

Entschlossenheit, - oder vielleicht fehlten ihnen beide Qualitäten. 103<br />

Zweitens war Noske, Mehrheitssozialist <strong>und</strong> Kommissar für die nationale<br />

Verteidigung, ein sehr entschlossener Mann, der nicht von politischen Skrupeln<br />

geplagt wurde <strong>und</strong> keinen Augenblick gezögert hatte, die Armee einzusetzen,<br />

um die prosowjetischen Aufstandsversuche mit Gewalt niederzuschlagen. 104<br />

________________<br />

103 Sehr wahrscheinlich gingen ihnen beide ab, denn der Mangel an Entschlusskraft ergibt sich im Allgemeinen aus<br />

dem Mangel an politischer Einsicht. Anfänglich bildeten ihre Anhänger in den Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenräten die<br />

Mehrheit. Dann ließen sie sich aus dem "Rat der Volksbeauftragten" vertreiben, wo sie durch Mehrheitssozialisten<br />

ersetzt wurden. Schließlich hatten sie sich gr<strong>und</strong>sätzlich mit der Abhaltung von Wahlen einverstanden erklärt, im<br />

Glauben, mühelos eine Mehrheit erringen zu können. Sie hatten allerdings nicht berücksichtigt, <strong>das</strong>s die Arbeiterschaft<br />

zwar zahlenmäßig bedeutend war, <strong>das</strong>s aber die Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenräte trotz allem nur eine aktive Minderheit<br />

darstellten, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s solche Wahlen obendrein dem Adel, dem Bürgertum <strong>und</strong> den Kleinbürgern - die bisher zu dem<br />

Vorgehen der Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenräte nur schweigen konnten oder sich sogar hätten verkriechen müssen - die<br />

Gelegenheit geben würden, ihre scharf ablehnende Einstellung zum Ausdruck zu bringen. Als die prosowjetischen<br />

Sozialisten am 6. Januar 1919 im Tiergarten eine riesige Menschenmenge um sich versammelt hatten, die nur auf einen<br />

Befehl ihrer Führer wartete, um in einem unwiderstehlichen Ansturm die Macht zu erobern, da gaben diese Führer den<br />

Befehl nicht, weil sie den Wahlen zugestimmt hatten. "Wenn die Menge damals eine entschlossene <strong>und</strong> klardenkende<br />

186


Führung gehabt hatte, statt Schwätzer, wäre Berlin um die Mittagst<strong>und</strong>e in ihrer Hand gewesen ..." schrieb Noske<br />

später in seinem Buch "Von Kiel bis Kapp".<br />

104 Bei der Übernahme seines Postens hatte Noske gesagt: "Einverstanden. Einer von uns muss Blutb<strong>und</strong> sein"- <strong>und</strong><br />

zwar im herabsetzenden Sinne eines "Henkers". Es drangt sich der Vergleich aus späterer Zeit mit dem Ausdruck "der<br />

Schlächter von Albacete" auf, womit der Kommunist Marty während des spanischen Bürgerkriegs gemeint war. In<br />

fremde Sprachen übersetzte man Noskes Wort meist: "Einverstanden. Einer von uns muss Schlichter sein". <strong>Die</strong>s<br />

ermächtigte W. L. Shirer in seinem Buch "Das <strong>Dritte</strong> <strong>Reich</strong>" zweifellos, bei der Skizze über Noskes Lebenslaut zu<br />

sagen, er sei von Beruf Schlichter gewesen. Er war jedoch Holzarbeiter, einer jener Autodidakten des ausgehenden 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, die ohne materielle Mittel, nur dank ihrer Ausdauer, ein weit höheres geistiges Niveau erreichten als so<br />

viele Doktinäre, die als Söhne wohlhabender Väter durchaus zu echten Intellektuellen hätten werden können, die aber<br />

nur zu Versagern wurden, zu Menschen ohne richtigen Beruf. Das muss zu Gunsten Noskes gesagt werden, auch wenn<br />

man, wie in meinem Fall, keinerlei Sympathie für ihn aufbringen kann.<br />

Bei dieser Gelegenheit wäre noch zu erwähnen, <strong>das</strong>s so gut wie alle Angaben W. L. Shirers ebenso "exakt" sind, wie<br />

jene. Ein weiteres Beispiel: Auf Seite 371 (Band II der französischen Ausgabe) kann man lesen, <strong>das</strong>s "am 1. Januar<br />

1943 der Oberste Kriegsherr (Hitler) im Großen Generalstab in einem Anfall von Raserei die Entwaffnung der<br />

deutschen Hochseeflotte befohlen habe" <strong>und</strong> <strong>das</strong>s "die Schiffe abzuwracken <strong>und</strong> zu verschrotten seien".<br />

Man kann noch hinzufügen, <strong>das</strong>s Shirer im September 1938 in München bei der Konferenz, durch die der Zweite<br />

Weltkrieg um ein Jahr hinausgeschoben wurde, den französischen Außenminister Georges Bonnet gesehen haben<br />

wollte, der jedoch Paris tatsächlich nicht verlassen hatte <strong>und</strong> Shirer gerichtlich zur Berichtigung zwang usw. ... (Urteil<br />

des Appellations-Gerichts in Paris vom 25. Mai 1962). Wenn jedermann die ihn angehenden Irrtümer im Shirer-Buch<br />

berichtigen würde, blieben nicht mehr viele Seiten übrig.<br />

Kein weiterer Kommentar.<br />

Das Ergebnis dieser Wahlen war folgendes:<br />

Sozialdemokraten (Ebert)<br />

Zentrum (Erzberger)<br />

Deutsche Demokraten<br />

Konservative (Deutschnationale Volkspartei)<br />

Unabhängige <strong>und</strong> Spartakisten<br />

Nationalliberale<br />

Verschiedene Splittergruppen<br />

Stimmen Sitze<br />

11.500.000 163<br />

6.000.000 88<br />

5.600.000 75<br />

3.200.000 42<br />

2.300.000 22<br />

3.200.000 22<br />

800.000 9<br />

31.700.000 421<br />

Da Unabhängige <strong>und</strong> Spartakisten nur so wenige Stimmen (kaum mehr als 5<br />

Prozent der Wählerschaft) erhalten hatten, mussten sie wohl oder übel die<br />

Rechtmäßigkeit der Verfassungsgebenden Versammlung anerkennen oder<br />

wenigstens zugeben, <strong>das</strong>s sie eher dem Volkswillen entsprach, als die Arbeiter<strong>und</strong><br />

Soldatenräte. Sie zogen dort schließlich ohne Kopf ein, da ihre<br />

volkstümlichsten Führer entweder zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt oder<br />

während des erbarmungslosen Kampfes mit Noske ermordet worden waren<br />

(Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg usw.). Aber auch die Sozialdemokraten<br />

187


unter Führung von Ebert <strong>und</strong> Scheidemann waren kaum weniger enttäuscht:<br />

Statt mit Leichtigkeit eine absolute Mehrheit zu erringen, womit sie fest<br />

gerechnet hatten, sahen sie sich zu einer Koalitionsregierung mit dem<br />

katholischen Zentrum <strong>und</strong> den Demokraten gezwungen. <strong>Die</strong>sem Kabinett<br />

Scheidemann, in dem der Graf Brockdorff-Rantzau Außenminister <strong>und</strong> Noske<br />

<strong>Reich</strong>swehrminister war - Ebert war am 11. Februar zum <strong>Reich</strong>spräsidenten<br />

gewählt worden 105 - wurde der Entwurf zum Friedensvertrag vorgelegt.<br />

________________<br />

105 <strong>Die</strong> Verfassung wurde erst am 11. August verkündigt. Der Jurist Dr. Preuß, der mit der Ausarbeitung des Entwurfs<br />

betraut war, riet dem <strong>Reich</strong>stag von der Anwendung dieses Wortes ausdrücklich ab:<br />

"An <strong>das</strong> Wort <strong>Reich</strong> knüpfen sich jahrh<strong>und</strong>ertealte Traditionen <strong>und</strong> die ganze Sehnsucht des aufgesplitterten deutschen<br />

Volkes nach nationaler Einheit. Der Verzicht auf dieses Wort, <strong>das</strong> eine hart erkämpfte <strong>und</strong> erst nach so vielerlei<br />

Prüfungen <strong>und</strong> Enttäuschungen verwirklichte Einheit bedeutet, hieße unnütz <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>los die in der Volksseele tief<br />

verwurzelten Gefühle verletzen."<br />

Man hat viel von der "Weimarer Republik" gesprochen, man hätte lieber "<strong>Reich</strong> von Weimar" sagen sollen. Es dauerte<br />

bis nach Ende des Zweiten Weltkrieges, bevor <strong>das</strong> Wort Republik für die politischen Einrichtungen Deutschlands<br />

verwendet wurde. Das ist wichtiger, als es scheinen mag, denn es bedeutet, <strong>das</strong>s die staatsrechtliche Form des<br />

deutschen Volkes nicht eindeutig festgelegt war.<br />

Anfang Mai hatte dieses Kabinett bereits mit den größten Schwierigkeiten zu<br />

kämpfen. <strong>Die</strong> Entente hatte ein Embargo über die ganze deutsche<br />

Industrieproduktion verhängt, um Deutschland zur Zahlung der ihm<br />

aufzuerlegenden Reparationen zwingen zu können; aus dem gleichen Gr<strong>und</strong>e<br />

gestattete man die Ausnutzung der einheimischen Rohstoffe nur in sehr<br />

bescheidenen Grenzen. Außerdem durfte nur ein ganz geringes Kontinent an<br />

Nahrungsmitteln <strong>und</strong> dringend benötigten Rohstoffen gegen Goldtransfer der<br />

<strong>Reich</strong>sbank eingeführt werden, <strong>und</strong> zwar unter Kontrolle eines Obersten Rates<br />

für Hilfe <strong>und</strong> Beistand unter dem Vorsitz von Herbert Hoover. 106 So war eine<br />

merkwürdige Lage geschaffen, in der man die Arbeiter nicht arbeiten lassen<br />

konnte: dort wo es Arbeit gab, gab es keine ausreichende Verpflegung, <strong>und</strong> die<br />

Fabriken, in denen die Arbeiter selbst sich ihr Brot wieder verdienen wollten,<br />

konnten nicht mit den nötigen Rohstoffen beliefert werden... Unter Ausnützung<br />

dieser aus der Situation entstandenen Missstimmung gelang es den<br />

Unabhängigen <strong>und</strong> Spartakisten Mitte Februar die bereits zusammengebrochene<br />

Aufstandsbewegung zu neuem Leben zu wecken, die dann ab Mitte März die<br />

Machtergreifung Bela Khuns in Ungarn ermutigte <strong>und</strong> unterstützte. <strong>Die</strong><br />

Regierung musste Berlin ein zweites Mal mit Waffengewalt erobern, dann<br />

Magdeburg <strong>und</strong> Braunschweig, <strong>und</strong> schließlich München. Am 7. Mai war man<br />

dabei, die Wiedereroberung Dresdens <strong>und</strong> Leipzigs vorzubereiten ...<br />

Es war gar kein W<strong>und</strong>er, <strong>das</strong>s alle deutschen Politiker, welcher Richtung auch,<br />

beim Durchlesen der alliierten Friedensbedingungen den Eindruck gewannen,<br />

<strong>das</strong>s hiermit kein anderer Zweck verfolgt würde als entweder jenen Zustand neu<br />

188


heraufzubeschwören, der seit dem Waffenstillstand schon so oft alles in Frage<br />

gestellt hatte, <strong>und</strong> die Regierung zu nötigen, immer wieder mit Waffengewalt<br />

ein Volk niederzuwerfen, <strong>das</strong> von Aufstand zu Aufstand gehetzt wurde durch<br />

die unmenschlichen wirtschaftlichen Bedingungen, die ihm auf Befehl der<br />

Entente aufzuerlegen wären - oder aber <strong>das</strong> deutsche Volk mit Macht in die<br />

Arme des Bolschewismus zu treiben.<br />

________________<br />

106 Erst Ende April 1919, - acht Tage vor der Aushändigung der Friedensbedingungen an die deutschen Delegierten -<br />

gab der Oberste Alliierte Rat zum ersten Mal 29 Millionen Goldmark frei zur Bezahlung von Lebensmitteleinfuhren<br />

aus neutralen Ländern. Im Mai, gerade als seine Vertreter nach Versailles abreisten, durfte Deutschland Rohstoffe, die<br />

es im Voraus bezahlt hatte, in Empfang nehmen. Und erst im Oktober wurde eine neue Goldausfuhr im Austausch<br />

gegen 74.875 Tonnen Lebensmittel aus den skandinavischen Ländern <strong>und</strong> 130.909 Tonnen Weizen aus Argentinien<br />

gestattet. Es war dies ein neuer Misserfolg des Präsidenten Wilson, der für die sofortige Aufhebung der Blockade nach<br />

der Unterzeichnung des Waffenstillstandes eingetreten war <strong>und</strong> während des ganzen Verlaufs der Konferenz für eine<br />

Normalisierung der internationalen Handelsbeziehungen gekämpft hatte. Bis zur Aufhebung der Blockade im Oktober<br />

1919 musste die <strong>Reich</strong>sbank mehr als eine Milliarde Goldmark hingeben, nur um tropfenweise Lebensmittel zu<br />

bekommen.<br />

Es war gar kein W<strong>und</strong>er, <strong>das</strong>s man diesen Eindruck gewann, denn so war es<br />

wirklich. In den politischen Kreisen herrschte Panikstimmung: nahezu alle<br />

glaubten, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Ende Deutschlands <strong>und</strong> der Triumph des Bolschewismus<br />

gekommen wäre. Überall herrschte tiefste Niedergeschlagenheit, außer bei den<br />

Unabhängigen <strong>und</strong> Spartakisten, wo man sich sagte, <strong>das</strong>s Unterschreiben oder<br />

Nichtunterschreiben auf <strong>das</strong>selbe herauskäme, da die Revolution sowieso bald<br />

triumphieren <strong>und</strong> den Vertrag wegfegen würde. Aber <strong>das</strong> Zentrum verzweifelte<br />

nicht: weil die Vertragsklauseln ohnehin <strong>und</strong>urchführbar seien, würden die<br />

Alliierten sofort nach der Unterzeichnung Zugeständnisse machen müssen. <strong>Die</strong><br />

äußerste Rechte sprach von einem Aufstand der Massen zur Wiederaufnahme<br />

des Krieges im Osten...<br />

Der gemäßigte Walter Rathenau, der nicht glaubte, <strong>das</strong>s es möglich sein würde,<br />

Erleichterungen zu erlangen, aber meinte, <strong>das</strong>s man es trotzdem versuchen<br />

müsse, schrieb am 9. Mai kühl in der "Zukunft":<br />

"Wenn die Bedingungen nicht gemildert werden, wird Graf Brockdorff-<br />

Rantzau den Regierungen der Feindmächte den Beschluss zur Auflösung<br />

der Nationalversammlung überreichen müssen, zusammen mit den<br />

Rücktrittserklärungen des <strong>Reich</strong>spräsidenten <strong>und</strong> aller Minister, <strong>und</strong> wird<br />

die Alliierten Mächte auffordern müssen, die ausführende Gewalt in<br />

Deutschland zu übernehmen mitsamt aller souveränen Rechte des <strong>Reich</strong>es.<br />

Dann obliegt dem Feind die Verantwortung für den inneren Frieden, für die<br />

Verwaltung <strong>und</strong> für alle Handlungen Deutschlands. <strong>Die</strong> Feinde werden<br />

dann vor der Welt, vor der Geschichte <strong>und</strong> vor ihren eigenen Völkern die<br />

Pflicht haben, <strong>das</strong> Schicksal von 60 Millionen Menschen in die Hand zu<br />

189


nehmen. Das wäre ein Schritt, den es noch nie gegeben hat, der noch nie<br />

erlebte Zusammenbruch eines Staates - gleichzeitig aber eine Maßnahme,<br />

die sich mit unserer Ehre <strong>und</strong> unserem Gewissen vereinbaren lässt. Alles<br />

Weitere werden wir dann den ewigen Gesetzen der Menschheit <strong>und</strong> dem<br />

Lauf der Umstände überlassen müssen." *<br />

________________<br />

* Anmerkung des Obersetzers: Rückübersetzung aus dem Französischen.<br />

Am 12. Mai erzielte Scheidemann ("Welche Hand müsste nicht verdorren, die<br />

sich <strong>und</strong> uns in solche Fesseln legte") in der Nationalversammlung eine<br />

überwältigende Mehrheit gegen die Unterzeichnung des Vertrages. Durch dieses<br />

Abstimmungsergebnis ermutigt, beschloss <strong>das</strong> <strong>Reich</strong>skabinett, den alliierten <strong>und</strong><br />

assoziierten Mächten seine Gegenvorschläge zu unterbreiten. In einer deutschen<br />

Denkschrift wurde gesagt:<br />

"Durch den Notenwechsel im Oktober 1918, der zwischen Präsident<br />

Wilson <strong>und</strong> der deutschen Regierung stattfand, sind völkerrechtlich<br />

bindende Vereinbarungen eingegangen worden. Aufgr<strong>und</strong> dieser<br />

Vereinbarungen hat Deutschland am 11. November 1918 die Waffen<br />

niedergelegt <strong>und</strong> um Waffenstillstand nachgesucht auf Gr<strong>und</strong> der vierzehn<br />

Punkte Präsident Wilsons, enthalten in seiner Botschaft vom 8. Januar<br />

1918 an den amerikanischen Kongress, sowie in späteren Proklamationen,<br />

insbesondere in seiner Rede vom 27. September 1918.<br />

Nach den Gr<strong>und</strong>sätzen, die in diesen Reden enthalten sind, müsste der<br />

Frieden geschlossen werden auf der Gr<strong>und</strong>lage des<br />

Selbstbestimmungsrechtes der Völker - <strong>und</strong> die Verträge hätten von allen<br />

diskutiert werden müssen, ohne Unterschied zwischen Siegern <strong>und</strong><br />

Besiegten. Wenn Deutschland also ein Vertrag auferlegt würde, der von<br />

anderen Gr<strong>und</strong>sätzen ausgeht als von denen, auf die sich die<br />

Vereinbarungen der beiden Seiten stützten, so käme <strong>das</strong> einem Bruch des<br />

vor dem Waffenstillstands geschlossenen Vertrages gleich.<br />

Und es gibt praktisch keine einzige Klausel in dem uns zugemuteten<br />

Vertrag, der mit den vorher vereinbarten Gr<strong>und</strong>sätzen im Einklang steht." *<br />

________________<br />

* Anmerkung des Übersetzers: Rückübersetzung aus dem Französischen.<br />

Das war unwiderlegbar.<br />

Am 16. Juni 1919 antworteten die Alliierten etwa, <strong>das</strong>s vor dem<br />

Waffenstillstand zwar ein Pakt abgeschlossen worden sei, <strong>das</strong>s dieser Pakt<br />

jedoch nicht nur auf den 14 Punkten Wilsons in seiner Botschaft vom 8. Jan.<br />

1918 an den Kongress <strong>und</strong> auf den in einer Rede vom 27. September 1918<br />

enthaltenen Prinzipien beruhe, sondern auf den durch die Alliierten in ihren<br />

190


Memoranden vom 4. November 1918 erheblich abgeänderten 14 Punkten, die<br />

den Deutschen rechtzeitig bekannt gegeben seien.<br />

Das traf nur für einen Punkt zu, nämlich auf die Entschädigungsforderungen für<br />

die von Deutschland verursachten Schäden. Für alle anderen Punkte stimmte es<br />

nicht. Abschließend kann man sagen, <strong>das</strong>s die Antwort auf die deutschen<br />

Gegenvorschläge bis auf einige unbedeutende Details ablehnend war. Der<br />

deutschen Regierung wurde eine Frist von nur fünf Tagen zur Annahme des<br />

Vertragsentwurfs gestellt. Es ist dennoch nicht unwichtig, zu wissen, was diese<br />

Gegenvorschläge enthielten:<br />

1. <strong>Die</strong> Kriegsschuld: Es wurde die These vorgebracht, <strong>das</strong>s Deutschland, von<br />

mehreren Mächten gleichzeitig bedroht, sich nur verteidigt habe <strong>und</strong> <strong>das</strong>s man<br />

es infolgedessen nicht für den Krieg verantwortlich machen könne. Das war<br />

ziemlich schwach. Sehr wirksam wäre aber die Feststellung gewesen, <strong>das</strong>s alle<br />

damaligen Regierungen ihren Teil an Mitverantwortung zu tragen hätten.<br />

2. Reparationen: Hier wurde die Auffassung vertreten, <strong>das</strong>s Deutschland auf<br />

Gr<strong>und</strong> der Waffenstillstandskonvention nur die Kosten des Wiederaufbaues<br />

Belgiens zu tragen hätte, denn nur die Verletzung der belgischen Neutralität<br />

könne als Verletzung des Völkerrechts angesehen werden. Jedoch war<br />

Deutschland dazu bereit, auch die Kosten für den Wiederaufbau<br />

Nordfrankreichs zu übernehmen, da dieses Gebiet durch die deutschen Truppen<br />

von Belgien her besetzt worden war. Das war sehr vernünftig. Auf die<br />

Waffenstillstandskonvention allein gestützt, war dieser Gesichtspunkt indessen<br />

ebenfalls recht schwach. Hätte man auf die Kollektiv-Verantwortlichkeit aller an<br />

diesem Drama beteiligten Staaten hingewiesen, wäre auch <strong>das</strong> ein schlagendes<br />

Argument gewesen. Und wenn dazu noch betont worden wäre, <strong>das</strong>s Deutschland<br />

mit dem Messer an der Kehle zur Unterschrift gezwungen wurde, wäre die<br />

deutsche Position moralisch nicht zu erschüttern gewesen.<br />

3. Territoriale Klauseln: Ohne Frage waren die Deutschen vollkommen im Recht<br />

als sie erklärten, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Selbstbestimmungsrecht der Völker in keinem Falle<br />

respektiert worden sei. Sie waren es nicht weniger, als sie sagten, <strong>das</strong>s sie zum<br />

wirtschaftlichen Hungertod <strong>und</strong> Zusammenbruch verurteilt seien, wodurch ganz<br />

Westeuropa dem Bolschewismus in die Hände fallen könnte. Habe man ihnen<br />

doch Gebiete weggenommen, die für ihre Industrie lebenswichtig seien, sie ihrer<br />

Handelsflotte <strong>und</strong> des größten Teils der Transportmittel beraubt <strong>und</strong> noch nicht<br />

genau festgesetzte, aber sicherlich astronomisch hohe Reparationszahlungen<br />

vorgesehen.<br />

4. Abrüstung: In den Gegenvorschlägen wurde akzeptiert, <strong>das</strong>s Deutschland als<br />

erstes Land abrüsten solle, nachdem feststand, <strong>das</strong>s seine Entwaffnung als<br />

Vorleistung für eine allgemeine Abrüstung vorgesehen war. Man protestierte<br />

jedoch dagegen, <strong>das</strong>s die Stärke des deutschen Heeres auf ein zu niedriges<br />

Niveau festgelegt worden sei, um wirksam zum Schutz Europas gegenüber der<br />

bolschewistischen Gefahr beitragen zu können.<br />

191


5. Garantien: <strong>Die</strong> deutsche Regierung hielt die Besetzung ihres Hoheitsgebietes<br />

für unnötig, weil Deutschland außerstande sei, einen neuen Krieg zu beginnen,<br />

außerdem für kostspielig <strong>und</strong> dem Interesse der Alliierten sogar abträglich, da<br />

die hierdurch entstehenden Kosten die Reparationszahlungen nur<br />

beeinträchtigen würde, <strong>und</strong> die Besatzung schließlich auch noch die<br />

Wiederherstellung eines guten gegenseitigen Einvernehmens erschweren könnte,<br />

da sie sicherlich die Beruhigung der Gemüter verzögern würde.<br />

6. Bestrafung der Schuldigen: In den Artikeln 227 bis 230 des<br />

Vertragsentwurfes wurde verlangt, <strong>das</strong>s Exkaiser Wilhelm II., der die<br />

Hauptverantwortung für den Krieg trüge, <strong>und</strong> dadurch ein Kriegsverbrechen<br />

gegen die Menschlichkeit begangen hätte, vor einen Internationalen Gerichtshof<br />

gestellt werden sollte, <strong>das</strong>s ferner gewisse andere Deutsche vor einen alliierten<br />

Kriegsrat zu stellen seien, weil sie während des Krieges <strong>das</strong> Völkerrecht verletzt,<br />

<strong>Die</strong>bstahl oder Grausamkeiten verübt hätten. Der deutsche Gegenvorschlag<br />

lautete:<br />

"Alles, was Deutschland akzeptieren könne, sei die Bildung eines<br />

Internationalen Gerichtshofes, in dem es selbst gleichberechtigt mit den<br />

anderen Völkern vertreten sein müsse, <strong>und</strong> <strong>das</strong> für alle während des<br />

Krieges erfolgten Verstöße gegen <strong>das</strong> Völkerrecht zuständig sei,<br />

einschließlich der gegen Deutschland verübten".<br />

In ihrer Antwort nahmen die Alliierten auch diesen Gegenvorschlag nicht an,<br />

obwohl er nicht nur <strong>das</strong> Recht sondern auch die guten Sitten auf seiner Seite<br />

hatte. Sagen wir gleich, <strong>das</strong>s diese Klausel niemals durchgesetzt wurde. <strong>Die</strong><br />

anderen - mit Ausnahme der territorialen - selbstverständlich ebenso wenig, weil<br />

sie praktisch <strong>und</strong>urchführbar waren. Aber bei dieser Kriegsverbrecherklausel<br />

versuchten die Alliierten es nicht einmal - während man sich bei den anderen<br />

wenigstens bemühte. 1919 war die Welt eben für Nürnberg noch nicht reif. <strong>Die</strong><br />

deutsche Regierung protestierte noch gegen einige andere Bestimmungen des<br />

Vertragsentwurfs: Das Völkerb<strong>und</strong>sstatut wollte sie unter dem Vorwand, <strong>das</strong>s<br />

Deutschland nicht Mitglied sei <strong>und</strong> bei der Abfassung nicht mitgewirkt habe,<br />

nicht mitunterzeichnen. <strong>Die</strong> Internationalisierung der Wasserstraßen <strong>und</strong><br />

Eisenbahnen betrachtete sie als einen Eingriff in ihre Souveränität <strong>und</strong><br />

Unabhängigkeit, da diese Maßnahmen nicht auf Gegenseitigkeit beruhten. Sie<br />

protestierte ferner gegen zahlreiche Bestimmungen im Bereich des Privatrechts<br />

wie die bezüglich der Plünderung, des <strong>Die</strong>bstahls, der privaten Schulden usw.<br />

Da diese Fragen ohne größeres Interesse für <strong>das</strong> Thema dieser Arbeit sind,<br />

sollen sie hier nicht näher beleuchtet werden.<br />

*<br />

192


<strong>Die</strong> Antwort der Alliierten wurde der deutschen Delegation am 16. Juni 1919<br />

übergeben <strong>und</strong> gelangte am 17. in die Hände der <strong>Reich</strong>sregierung: entrüstete<br />

Proteste deutscherseits waren die Folge.<br />

Nur dem katholischen Zentrum <strong>und</strong> seinem Führer Erzberger erscheint eine<br />

Nichtunterzeichnung absurd <strong>und</strong> sein Gesichtspunkt gewinnt allmählich an<br />

Boden, da er sich in den Gängen des Parlaments hartnäckig für die Auffassung<br />

einsetzt, es gäbe keine andere Lösung als sich damit abzufinden, so übel die<br />

Bedingungen der Alliierten auch sein mögen; <strong>das</strong> Ganze sei nur eine Formsache,<br />

da die Bedingungen im Gr<strong>und</strong>e ja doch niemals durchgeführt werden könnten.<br />

<strong>Reich</strong>skanzler Scheidemann sieht <strong>das</strong> ein. Um aus der Sackgasse<br />

herauszukommen, wendet er einen Kunstgriff an: Am 20. Juni spricht sich <strong>das</strong><br />

Kabinett einstimmig gegen die Unterzeichnung aus <strong>und</strong> demissioniert. Am<br />

folgenden Tage, dem 21. Juni, bildet sich ein Kabinett Bauer. Der neue Kanzler<br />

erreicht am 22. Juni vom <strong>Reich</strong>stag die Zustimmung zur Unterschrift unter den<br />

Vertrag mit 237 gegen 138 Stimmen bei 6 Enthaltungen nach folgender<br />

Stellungnahme des <strong>Reich</strong>skanzlers:<br />

"Wir legen den größten Nachdruck auf die Erklärung, <strong>das</strong>s wir den Artikel<br />

231 des Friedensvertrages, der von Deutschland fordert, sich als alleiniger<br />

Urheber des Krieges zu bekennen, nicht annehmen können <strong>und</strong> durch die<br />

Unterschrift nicht decken. Ebenso wenig kann es ein Deutscher mit seiner<br />

Würde <strong>und</strong> Ehre vereinbaren, die Artikel 227 bis 230 anzunehmen <strong>und</strong><br />

auszuführen, in denen Deutschland zugemutet wird, Angehörige des<br />

deutschen Volkes ... zur Aburteilung auszuliefern."<br />

<strong>Die</strong> Alliierten nahmen auch diesen Vorbehalt nicht an.<br />

Graf Brockdorff-Rantzau hatte erklärt, er könne nicht länger Vorsitzender der<br />

deutschen Friedensdelegation in Versailles bleiben, da seine Ehre ihm nicht<br />

gestatte, auch nur "rein formell" seine Unterschrift zu leisten. Er wurde sofort<br />

ersetzt von einem gewissen von Hantel, dessen Namen die Geschichte<br />

anscheinend nur in diesem Zusammenhang bewahrt hat. <strong>Die</strong>ser kündigte in<br />

Übereinstimmung mit der deutschen Regierung am 23. Juni, um 4.40 Uhr an,<br />

<strong>das</strong>s Deutschland sich allen Forderungen seiner Gegner beugen werde:<br />

"<strong>Die</strong> Regierung der Deutschen Republik hat aus der letzten Mitteilung der<br />

alliierten <strong>und</strong> assoziierten Regierungen mit Erschütterung gesehen, <strong>das</strong>s sie<br />

entschlossen sind, von Deutschland auch die Annahme derjenigen<br />

Friedensbedingungen mit äußerster Gewalt zu erzwingen, die, ohne eine<br />

materielle Bedeutung zu besitzen, den Zweck verfolgen, dem deutschen<br />

Volk seine Ehre zu nehmen. Durch einen Gewaltakt wird die Ehre des<br />

deutschen Volkes nicht berührt. Sie nach außen hin zu verteidigen, fehlt<br />

dem deutschen Volke nach den entsetzlichen Leiden der letzten Jahre jedes<br />

Mittel. Der übermächtigen Gewalt weichend <strong>und</strong> ohne damit ihre<br />

Auffassung über die unerhörte Ungerechtigkeit der Friedensbedingungen<br />

193


aufzugeben, erklärt deshalb die Regierung der Deutschen Republik sich<br />

bereit, die von den alliierten <strong>und</strong> assoziierten Regierungen auferlegten<br />

Friedensbedingungen anzunehmen <strong>und</strong> zu unterzeichnen."<br />

Im Morgengrauen des gleichen Tages verlässt <strong>das</strong> britische<br />

Bewachungsgeschwader unter dem Kommando von Admiral Freemantle die<br />

Reede von Scapa Flow, 107 auf der die deutsche Flotte gefangen gehalten wird,<br />

<strong>und</strong> begibt sich auf hohe See, um Schießübungen durchzuführen.<br />

________________<br />

107 Im Norden Schottlands, bei den Orkney-Inseln.<br />

Der deutsche Admiral von Reuter nützt diese unerwartete Gelegenheit aus <strong>und</strong><br />

lässt heimlich die Bodenventile, die Luken <strong>und</strong> die Torpedo-Rohre aller Schiffe<br />

öffnen. Dann befiehlt er, die deutsche Flagge an allen Masten zu streichen ...<br />

"Plötzlich ertönt ein ohrenbetäubender Lärm", erzählt uns Benoist-Mechin, der<br />

in meinen Augen die ergreifendste Schilderung des Vorgangs aufgezeichnet hat:<br />

"<strong>Die</strong> Alarmglocken läuten, die Sirenen heulen, die Matrosen lassen die<br />

Rettungsboote zu Wasser. Vor den verblüfften Engländern beginnt <strong>das</strong><br />

Admiralsschiff 'Friedrich der Große' langsam in die Fluten zu versinken.<br />

Um 12.16 Uhr bäumt sich der gewaltige Stahlrumpf auf <strong>und</strong> geht unter.<br />

Das englische Geschwader bricht seine Manöver ab <strong>und</strong> steuert mit<br />

Volldampf zur Reede zurück. Aber es ist zu spät. <strong>Die</strong> Kreuzer 'König<br />

Albert', 'Kronprinz Wilhelm', 'Kaiser' <strong>und</strong> 'Prinz-Regent Luitpold'<br />

versinken einer nach dem anderen in Schaumwirbeln. Dann ist die Reihe an<br />

den Schlachtkreuzern 'Moltke', 'Seydlitz', 'Von der Tann' <strong>und</strong> den anderen<br />

Schiffen: 5 Kreuzern, 10 Linienschiffe, 47 Torpedoboote, alles in allem 70<br />

Schiffe. Um 17 Uhr schließt sich der Ozean über dem letzten noch übrig<br />

gebliebenen, dem Kreuzer 'Hindenburg'.<br />

<strong>Die</strong> stolze deutsche Flotte ruht auf dem Gr<strong>und</strong>e des Meeres."<br />

Der Friedensvertrag wurde in Versailles am 28. Juni 1919 von den Ministern<br />

Hermann Müller <strong>und</strong> Bell im Namen Deutschlands unterzeichnet.<br />

*<br />

Das Drama war zu Ende. Was wurde aus den Mitwirkenden?<br />

Präsident Wilson kehrte verbittert nach Amerika zurück. Dort hatten seine<br />

Gegner, die Republikaner, die ihn in den Krieg getrieben hatten, trotzdem ihre<br />

Angriffe gegen ihn nicht eingestellt. Vor dem amerikanischen Kriegseintritt<br />

beschuldigten sie ihn, die Interessen der Vereinigten Staaten zu verkennen,<br />

indem er sie aus dem Krieg heraushielte, nachher erklärten sie, der Präsident<br />

würde die falschen Maßnahmen ergreifen, die Freiheit von Handel <strong>und</strong> Industrie<br />

194


zu sehr beschneiden - <strong>und</strong> <strong>das</strong>, obwohl sie diese Freiheiten einem Kriege hatten<br />

opfern müssen, zu dem sie selbst den Präsidenten getrieben hatten; dann würden<br />

zu hohe Steuern erhoben, zu große Mengen Kriegsmaterial fabriziert <strong>und</strong> so<br />

weiter.<br />

Dank so außerordentlich böswilliger Propaganda-Reden <strong>und</strong> großem<br />

demagogischen Geschick waren die Republikaner am 5. November 1918 -<br />

weniger als eine Woche vor dem Waffenstillstand! - aus den Kongresswahlen<br />

als Sieger hervorgegangen. Als Präsident Wilson, dessen Regierungsperiode erst<br />

im Frühjahr 1921 zu Ende war, im Januar 1919 seine Abreise nach Europa<br />

bekannt gab, wo er an der Friedenskonferenz teilzunehmen beabsichtigte,<br />

schrieen die inzwischen wieder zu Isolationisten gewordenen Republikaner, <strong>das</strong>s<br />

dies gegen die Gepflogenheiten der Union sei, <strong>das</strong>s die ganze Angelegenheit sie<br />

nicht mehr interessiere usw. <strong>und</strong> konnten damit einen erheblichen Teil der<br />

demokratischen Partei umstimmen.<br />

Bei seiner Rückkehr wurde Wilson daher recht kühl empfangen. Sein eigener<br />

Staatssekretär Lansing versetzte ihm den Todesstoß als er erklärte, er habe sich<br />

während der ganzen Konferenz "moralisch" verpflichtet gefühlt, "fast alle<br />

Vorschläge des Präsidenten zu bekämpfen." Wilsons Niedergeschlagenheit war<br />

umso größer, als keine oder fast keine seiner Vorschläge angenommen worden<br />

waren. Unter Ausnützung der Erklärungen Lansings führte die Presse, die den<br />

amerikanischen Industriellen <strong>und</strong> Bankleuten gehörte, denen der Versailler<br />

Vertrag keine sofortigen Vorteile brachte, eine hitzige <strong>und</strong> konzentrierte<br />

Kampagne gegen den Vertrag <strong>und</strong> den Völkerb<strong>und</strong>spakt. Am 19. November<br />

1919 schließlich erhielt der Vertrag von Versailles bei der Abstimmung im<br />

Senat nur 53 gegen 38 Stimmen. Da für die Annahme eine Zweidrittelmehrheit<br />

erforderlich war, wurden der Versailler Vertrag <strong>und</strong> der Völkerb<strong>und</strong>spakt also<br />

abgelehnt. Bei den Präsidentschaftswahlen des nächsten Jahres siegte der<br />

republikanische Kandidat Harding mit mehr als 16 Millionen Stimmen gegen 9<br />

Millionen über Cox, den Kandidaten der Demokraten ... Krank - plötzlich<br />

(September 1919) von einem Unwohlsein befallen, <strong>das</strong> sich bald als Vorbote<br />

einer tödlichen Krankheit erwies, konnte Wilson nicht selbst die Haltung<br />

verteidigen, die er in Versailles eingenommen <strong>und</strong> die als Basis für die<br />

Außenpolitik der Demokraten gedient hatte - zutiefst enttäuscht zog er sich<br />

endgültig vom politischen Leben zurück <strong>und</strong> starb bald darauf (1924)<br />

ungetröstet. Zwischendurch hatte er trotzdem die, wenn auch bittere,<br />

Genugtuung, seinen Nachfolger einen Sonderfriedensvertrag (25. August 1921)<br />

mit Deutschland unterzeichnen zu sehen, der zum größten Teil die Ansichten<br />

enthielt, die er verteidigt hatte.<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung in Deutschland hatte gleich gezeigt, wie berechtigt Wilsons<br />

Befürchtungen waren. Bei der Aufhebung der Blockade (Oktober 1919, vgl.<br />

Anmerkung 106) herrschte überall Mangel. <strong>Die</strong> halbe Hungersnot, die die<br />

Bewohner der Arbeiterviertel bedrängte, dauerte auch da noch an. Beim Eintritt<br />

195


des Winters erreichte die Streikbewegung einen bis dahin nicht gekannten<br />

Umfang, von der Arbeitslosigkeit waren mehr als eine Million Arbeiter<br />

betroffen, die <strong>Reich</strong>sbank erschöpfte ihre Reserven für den Einkauf von<br />

Lebensmitteln im Ausland, es mussten immer höhere Steuern erhoben werden.<br />

Deutschland hatte einen bedeutenden Teil seiner Kohlengruben (Saargebiet),<br />

seiner Eisenerzlager (Lothringen), seiner Handelsflotte <strong>und</strong> seines rollenden<br />

Materials durch die Vertragsbedingungen eingebüßt <strong>und</strong> die technische<br />

Ausrüstung der Industriebetriebe war durch den Krieg restlos verbraucht.<br />

Außerdem hatte der Krieg die deutschen Finanzen in einem zerrütteten Zustand<br />

zurückgelassen. In der Zeit zwischen 1914 <strong>und</strong> dem Waffenstillstand war die<br />

konsolidierte Staatsschuld von 5 auf 96 Milliarden Goldmark, die schwebende<br />

Schuld von einer halben Milliarde auf 49 Milliarden <strong>und</strong> der Notenumlauf von<br />

5,5 Milliarden auf 29 Milliarden angestiegen ...<br />

Nach Abschluss des Versailler Vertrages nahm die deutsche Inflation immer<br />

radikalere Formen an, ohne <strong>das</strong>s sich die materielle Lage der Bevölkerung<br />

besserte: Im Januar 1919 sind 34 Milliarden Mark im Umlauf, Januar 1920 sind<br />

es schon 51 Milliarden ... Dementsprechend verliert die Mark dauernd an Wert.<br />

<strong>Die</strong> Notierung des Dollar steigt von Mark 4,20 im August 1914, auf 4,86 im Mai<br />

1915, auf 5.52 im Mai 1916, auf 6,01 zur Zeit des Waffenstillstandes, auf 14.01<br />

im Juni 1919, auf 26,83 im Oktober 1919, auf 47,- im Dezember <strong>und</strong> auf 84,- im<br />

März 1920 ...<br />

Von der öffentlichen Meinung Deutschlands wird der Versailler Vertrag - mit<br />

Recht - für die unaufhörlich wachsende Verschlechterung der wirtschaftlichen<br />

Lage verantwortlich gemacht <strong>und</strong> dadurch gleichzeitig die Leute, die ihn<br />

unterzeichnet hatten, d. h. die Regierungskoalition der Parteien der Mitte. <strong>Die</strong><br />

<strong>Reich</strong>stagswahlen vom 6. Juni 1920 erteilen der Politik dieser Parteien der Mitte<br />

die erste Abfuhr seit dem Waffenstillstand, wie ein Vergleich mit den<br />

Ergebnissen der <strong>Reich</strong>stagswahl von 1919 zeigt:<br />

Sozialdemokraten<br />

Zentrum 108<br />

Demokraten<br />

Unabhängige <strong>und</strong> Spartakisten<br />

Konservative<br />

Völkische<br />

1920 1919 Änderung:<br />

5.900.000 11.500.000 - 5.600.000<br />

5.700.000 6.000.000 - 300.000<br />

2.200.000 5.600.000 - 3.400.000<br />

5.000.000 2.300.000 + 2.700.000<br />

3.700.000 3.200.000 + 500.000<br />

3.600.000 2.300.000 + 1.300.000<br />

So sah der erste Ausdruck der Unzufriedenheit mit der durch den Versailler<br />

Vertrag in Deutschland geschaffenen wirtschaftlichen Lage aus. Von nun an<br />

wandte sich die öffentliche Meinung den Extremisten zu, dem Kommunismus<br />

<strong>und</strong> dem Nationalsozialismus. Man kennt die Folgen.<br />

________________<br />

196


108 Das Zentrum hatte nur 300.000 Stimmen verloren, hatte sich aber in zwei Parteien geteilt, indem die bayerischen<br />

Katholiken austraten <strong>und</strong> die Bayerische Volkspartei gründeten, die 2.200.000 Stimmen erhielt für ein Programm, <strong>das</strong><br />

innenpolitisch königstreu war <strong>und</strong> auf außenpolitischem Gebiet Versailles <strong>und</strong> seinen Unterzeichnern den Kampf<br />

ansagte.<br />

<strong>Die</strong> in der Aufstellung für <strong>das</strong> Zentrum angegebene Zahl enthält auch die Summen der Bayerischen Volkspartei. Im<br />

Gr<strong>und</strong>e aber ist <strong>das</strong> ein reines Zahlenspiel, denn außer der Religion hatten die beiden Richtungen nichts gemein.<br />

Und Europa? Über die Kosten, die der Krieg den europäischen Alliierten<br />

verursachte, sind die bedrückendsten Zahlen veröffentlicht worden. Der<br />

französische Historiker Pierre Renouvin hat unter Abzug der Ausgaben, die die<br />

Länder ohne Krieg hätten machen müssen, die Schätzungen veröffentlicht, die<br />

ein namentlich nicht genannter amerikanischer Wirtschaftler nach Untersuchung<br />

der verschiedenen Nationalbudgets gemacht hatte: (in frz. Francs der damaligen<br />

Zeit): 220 Milliarden für England, 125 Milliarden für Frankreich, 60 Milliarden<br />

für Italien. Dazu musste England im Ausland etwa 32 Milliarden, Frankreich 33<br />

Milliarden, Italien 20 Milliarden leihen. Von diesen Beträgen schuldete England<br />

21 Milliarden, Frankreich 14,5 Milliarden <strong>und</strong> Italien 8 Milliarden den<br />

Vereinigten Staaten.<br />

Während England, Frankreich <strong>und</strong> Italien sich so verschuldet hatten, <strong>das</strong>s ihre<br />

Goldreserven erschöpft <strong>und</strong> ihre Handelsbilanzen unglaublich passiv waren, ihre<br />

verbrauchte Industrielle Ausrüstung ihnen überdies nicht mehr erlaubte, in<br />

absehbarer Zeit eine Wiederbelebung zu erwarten, erreichten die Vereinigten<br />

Staaten einen außerordentlich hohen Grad des Wohlstandes. Der Überschuss<br />

ihrer Ausfuhren gegenüber ihren Einfuhren, der 1913 nur 691 Millionen Dollar<br />

betragen hatte, stieg auf 4 Milliarden im Jahre 1919. Ihre Goldreserven erhöhten<br />

sich von 2930 Millionen Dollar auf 4283 Millionen. Während <strong>und</strong> nach dem<br />

Kriege waren sie die Hauptlieferanten Europas. <strong>Die</strong> Lage war durch ein<br />

Gesamtguthaben von 8750 Millionen Dollars (vgl. oben) zu ihren Gunsten<br />

gekennzeichnet <strong>und</strong> verbesserte sich noch unaufhörlich. 109<br />

Trotzdem verzichteten sie nicht darauf, ihren europäischen Schuldnern die<br />

Rechnung zu präsentieren. Dadurch ergab sich folgende Situation: Ein ruiniertes<br />

Europa wurde dazu verdammt, Deutschland zu ruinieren, um <strong>das</strong> reiche Amerika<br />

auszahlen zu können.<br />

In Wirklichkeit verliefen die Dinge nicht ganz so. Aber darum dreht es sich<br />

nicht mehr. Mögen Deutschland in der Folgezeit wirklich von seinen ehemaligen<br />

europäischen Feinden Erleichterungen bei der Durchführung der Finanzklauseln<br />

des Versailler Vertrages gewährt worden sein, möge <strong>das</strong> Gleiche hinsichtlich der<br />

Bezahlung der Schulden der Alliierten an Amerika geschehen sein - fest steht,<br />

<strong>das</strong>s diese<br />

________________<br />

109 Wie bereits gesagt, erlebten die europäischen Neutralen nur einen verhältnismäßig bescheidenen kurzlebigen<br />

Wohlstand. Nicht so Argentinien, Brasilien <strong>und</strong> Spanien. Ersteres wurde durch seine Fleisch- <strong>und</strong> Getreideexporte<br />

197


eich. Brasilien führte 1917 zehnmal so viel Zucker aus als 1912. Spanien, dessen Außenhandelsbilanz 1913 mit 248<br />

Millionen Peseten defizitär war, verzeichnete 1919 einen Ausfuhrüberschuss von 417 Millionen Peseten. Japan hatte<br />

seine Textil- <strong>und</strong> Metallindustrie beträchtlich entwickelt, ohne dadurch seine Handelsbilanz viel zu verbessern, da sein<br />

Preisniveau sehr niedrig <strong>und</strong> seine Bevölkerung sehr fruchtbar war.<br />

Erleichterungen zu spät <strong>und</strong> nicht großzügig genug erfolgten, um den<br />

finanziellen Zusammenbruch Deutschlands zwischen 1921 <strong>und</strong> 1923 <strong>und</strong> seine<br />

politische Katastrophe im Jahre 1933 zu verhindern. Im Übrigen hätten schon<br />

allein die territorialen Bedingungen genügt, dieses doppelte Verhängnis -<br />

vielleicht erst auf längere Sicht, aber trotzdem mit Sicherheit - herbeizuführen.<br />

Als Folge der durch die unausführbaren Bestimmungen des Versailler Vertrages<br />

auf seinem Weg errichteten Hindernisse, die noch 1933 bestanden, wurde in<br />

Deutschland der Wunsch nach Wiedererhebung geweckt, der zum Kriege 1939-<br />

1945 führte. All dies ist im ersten Teil dieses Buches auseinandergesetzt.<br />

Wenn aber die Anfänge des Krieges von 1939-1945 tatsächlich im Versailler<br />

Vertrag liegen - wer wird dann leugnen, <strong>das</strong>s die Frage nach der<br />

Verantwortlichkeit erneut zu prüfen ist <strong>und</strong> <strong>das</strong>s die dreizehn Prozesse in<br />

Nürnberg, ohne den vierzehnten zu vergessen, der in Jerusalem stattfand - neu<br />

aufgerollt werden müssen?<br />

6. DAS PROBLEM<br />

Zwischen beiden Weltkriegen war der Standpunkt, den ich im vorhergehenden<br />

skizziert habe, lange der des internationalen Sozialismus. Am 18. September<br />

1919 drückte Jean Longuet, Enkel des Karl Marx, in einer Aufsehen erregenden<br />

Rede vor der französischen Nationalversammlung etwa die gleichen Gedanken<br />

aus. Er bat die Kammer damals, den Friedensvertrag nicht zu ratifizieren. Er<br />

ging in seiner Rede aus von einem Absatz aus einer berühmten Arbeit, die<br />

Ernest Renan in seiner großen Zeit unter dem Titel: "Was ist eine Nation?',<br />

veröffentlicht hatte. Der Absatz lautete:<br />

"Eine Nation ist eine große Solidarität, geboren aus dem Opferwillen<br />

früherer Tage, weiterlebend durch die Bereitschaft, auch in Zukunft Opfer<br />

zu bringen.<br />

Eine Nation hat ihre Wurzeln in der Vergangenheit, sie manifestiert sich<br />

aber in der Gegenwart durch eine unangreifbare Tatsache: durch den<br />

gemeinsamen Willen ihrer Menschen, durch den eindeutigen Wunsch<br />

dieser Menschen, <strong>das</strong> gemeinsame Leben fortzusetzen.<br />

<strong>Die</strong> Existenz einer Nation ist eine sich täglich wiederholende<br />

Volksabstimmung, so wie ein Mensch nur dadurch bestehen kann, <strong>das</strong>s er<br />

seinen Lebenswillen unaufhörlich unter Beweis stellt.<br />

Ich weiß sehr wohl, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Recht von Gottes Gnaden eine<br />

metaphysischere Begründung wäre - <strong>und</strong> <strong>das</strong> so genannte historische Recht<br />

198


eine brutalere. Aber nach der Auffassung, die ich hier vor Ihnen vertrete,<br />

hat eine Nation ebenso wenig wie ein König <strong>das</strong> Recht, zu einer Provinz zu<br />

sagen:<br />

'Du gehörst mir, her mit Dir!'<br />

Wenn wir von einer Provinz sprechen, so meinen wir ihre Einwohner - <strong>und</strong><br />

wenn irgendjemand <strong>das</strong> Recht hat zu irgendwelchen Entscheidungen über<br />

<strong>das</strong> Schicksal einer Provinz gehört zu werden, so sind es eben diese<br />

Einwohner. In Wahrheit kann es nie im Interesse einer Nation sein, ein<br />

Gebiet gegen den Willen seiner Menschen festzuhalten. Der Wille der<br />

Nation ist letztlich <strong>und</strong> endlich der einzige rechtmäßige Maßstab, der<br />

immer wieder angelegt werden muss."<br />

In seiner Stellungnahme für die Ratifizierung hatte sich auch Barthou wieder auf<br />

jene Ansprüche berufen, die Renan als "<strong>das</strong> so genannte historische Recht"<br />

bezeichnete. Um zu beweisen, <strong>das</strong>s es sich bei diesem "historischen Recht" nur<br />

um eine intellektuelle Konstruktion handelte, führte Longuet <strong>das</strong> Beispiel<br />

Frankreichs an:<br />

"Ich habe mit großem Interesse den Bericht des Herrn Barthou in seiner<br />

gepflegten <strong>und</strong> eleganten Sprache gelesen. Aber ich finde darin immer<br />

wieder jene alten historischen Rechte, jene alte Theorie vom Recht des<br />

Stärksten, die besonders in seiner Auffassung von der Rheingrenze <strong>und</strong> der<br />

deutschen Einheit zum Ausdruck kommt.<br />

Ich möchte hierauf antworten mit einem nutzbringenden Hinweis aus<br />

einem Buch, <strong>das</strong> wir alle lesen sollten: ich meine die Arbeit unseres großen<br />

Fre<strong>und</strong>es Jaures über die diplomatischen Hintergründe des deutschfranzösischen<br />

Krieges, ein Werk, <strong>das</strong> in einer so bew<strong>und</strong>ernswerten<br />

Sprache geschrieben ist <strong>und</strong> so erhabene Gedanken <strong>und</strong> Gefühle ausdrückt,<br />

<strong>das</strong>s es von keinem anderen ersetzt werden kann. In seiner 'Geschichte des<br />

Krieges von 1870' zeigt Jaures sehr deutlich, <strong>das</strong>s der ganze Sieg<br />

Bismarcks auf jenen Ansprüchen beruht, die einige französische<br />

Diplomaten <strong>und</strong> Staatsmänner auf <strong>das</strong> linke Rheinufer erhoben, <strong>das</strong>s diese<br />

Ansprüche unaufhörlich der Bismarckschen Politik genützt haben <strong>und</strong><br />

dadurch auch zum Ausbruch des Konfliktes beitrugen. Jaures analysiert<br />

<strong>und</strong> kritisiert darin die Schritte, die unser Botschafter in Berlin 1866<br />

unternommen hat <strong>und</strong> die Verhandlungen, die er danach geführt hat um<br />

Frankreich in den Besitz des linken Rheinufers zu bringen, mit den Städten<br />

Köln, Mainz <strong>und</strong> Bonn.<br />

Jaures erwähnt auch, <strong>das</strong>s Benedetti, als Bismarck dazu nicht bereit war,<br />

einen anderen Vertrag vorschlug, der darauf abzielte, mit Hilfe der<br />

preußischen Armee Belgien zu erobern."<br />

199


Für <strong>das</strong> soviel schwerwiegendere Recht, den "eindeutigen Wunsch dieser<br />

Menschen, <strong>das</strong> gemeinsame Leben fortzusetzen", führte Longuet viele Beispiele<br />

an, von denen die überzeugendsten hier folgen: *<br />

________________<br />

*Anmerkung des Übersetzers: <strong>Die</strong> nachstehenden Zitate sind aus dem Französischen rückübersetzt.<br />

Note des Exekutivkomitees der provisorischen österreichischen<br />

Nationalversammlung an Präsident Wilson vom 30. November 1918:<br />

"Man kann nicht <strong>das</strong> Zeitalter der Demokratie in Mitteleuropa damit<br />

beginnen lassen, <strong>das</strong>s man ein Volk von dreieinhalb Millionen mit Gewalt<br />

einem Volk von 6.300.000 Seelen unterordnet. Man kann keinen<br />

dauerhaften Frieden in Europa schaffen, wenn man einen deutschen<br />

Irredentismus schafft, dessen fortwährende Appelle in Berlin <strong>und</strong> Wien den<br />

Frieden in Gefahr bringen würden."<br />

Protest der sudetendeutschen Gewerkschaften vom 4. März 1919:<br />

"Das Sudetenland ist durch Gewaltmaßnahmen des tschechoslowakischen<br />

Staates daran gehindert, sein Stimmrecht auszuüben. Es richtet an die<br />

Nationalversammlung Deutsch-Österreichs brüderliche <strong>und</strong> herzliche<br />

Grüße zu seiner ersten Sitzung. Zum Zeichen des Protestes gegen <strong>das</strong><br />

Wahlverbot ist heute am 4. März für ganz Deutschböhmen <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />

Sudetenland der Generalstreik ausgerufen worden. Eingedenk der<br />

unlösbaren Bande, die uns mit der deutschen Volksgemeinschaft<br />

verbinden, sind wir, Deutsch-Österreicher, im Geist <strong>und</strong> im Herzen mitten<br />

unter Euch. Vergesst uns nicht. Aus tiefer Seele sehnen wir den Tag herbei,<br />

an dem wir von dem unerträglichen Joch, <strong>das</strong> uns die Fremdherrschaft<br />

auferlegt, befreit sein werden."<br />

Rede Otto Bauers vor der österreichischen Nationalversammlung am 7.<br />

Juni 1919:<br />

"Wenn Deutschböhmen <strong>und</strong> <strong>das</strong> Sudetenland an die Tschechoslowakei<br />

ausgeliefert werden, wird man nicht nur dreieinhalb Millionen Deutsche<br />

ihres Selbstbestimmungsrechtes berauben, wird Österreich nicht nur seine<br />

Kohlengruben, fast seine ganze Textilindustrie, seine Glashütten <strong>und</strong> seine<br />

Porzellanfabriken verlieren, wird nicht nur unsere Produktionskapazität,<br />

unser nationales Erbe, unsere Wirtschafts- <strong>und</strong> Finanzkraft eine Einbuße<br />

von mehr als 50 Prozent erleiden, sondern es wird auch mitten in Europa<br />

ein Staat geschaffen, der den Schauplatz der wildesten<br />

Nationalitätenkämpfe, den Herd für einen deutschen, ungarischen <strong>und</strong><br />

polnischen Irredentismus, eine Quelle dauernder Feindschaft zwischen<br />

aneinandergrenzenden Völkern, eine immerwährende Gefahr für den<br />

200


Frieden abgeben wird. Wir sind außerstande, es zu verhindern, aber noch<br />

einmal, in letzter Minute, stoßen wir einen Warnruf aus."<br />

Rede des österreichischen Kanzlers Karl Renner vom 15. Juni 1919 in St.<br />

Germain-en-Laye:<br />

"<strong>Die</strong> Mächte würden dadurch (durch die gewaltsame Eingliederung der<br />

Sudetendeutschen in die Tschechoslowakei) in der Mitte Europas einen<br />

Bürgerkriegsherd schaffen, dessen Glut für die ganze Welt <strong>und</strong> für ihren<br />

sozialen Aufschwung noch gefährlicher werden könnten, als die dauernden<br />

Unruhen auf dem Balkan."<br />

Resolution des Nationalrats der französischen Sozialistischen Partei vom<br />

13. <strong>und</strong> 14. Juli 1919:<br />

"<strong>Die</strong>ser Vertrag ist geboren aus dem schändlichsten Missbrauch der<br />

Geheimdiplomatie, den es je gab. Er tritt ganz offen <strong>das</strong><br />

Selbstbestimmungsrecht der Völker mit Füßen, er führt ganze Völker in die<br />

Sklaverei, er vervielfältigt die Kriegsgefahr, er wird begleitet von<br />

Gewaltmaßnahmen gegen die Befreiungsbewegungen nicht nur in<br />

Russland <strong>und</strong> Ungarn, sondern in allen Ländern des ehemaligen<br />

Habsburger <strong>Reich</strong>es, im ganzen Orient <strong>und</strong> in Deutschland. Auf keinen Fall<br />

kann er die Zustimmung der Sozialisten erhalten ...<br />

Auf diese Weise haben sie (die alliierten Regierungen) die unstabile Lage<br />

<strong>und</strong> die Machtkämpfe, die früher auf dem Balkan herrschten <strong>und</strong> zu den<br />

Ursachen des Weltkrieges gehörten, auf ganz Europa ausgedehnt ...<br />

<strong>Die</strong> Begrenzung der Reparationen auf die materiellen Kriegsschäden war<br />

eine Vorbedingung für eine rasche <strong>und</strong> wirksame Hilfe für die geprüfte<br />

Bevölkerung. Ein unsinniger Nationalismus hat diesen Menschen ein neues<br />

Unrecht angetan, indem er die Forderungen in unerfüllbare Höhe<br />

hochjagte. <strong>Die</strong> Sozialistische Partei stellt fest, <strong>das</strong>s auf dem Gebiet der<br />

Wirtschaft nur der Geist des Chaos <strong>und</strong> die Profitgier die Führer der<br />

alliierten kapitalistischen Staaten geleitet haben.<br />

Vor dem Lande, vor der Internationale <strong>und</strong> vor der Geschichte stellt sie<br />

fest, <strong>das</strong>s der Versailler Vertrag nicht nur einer Teilrevision bedarf (wozu<br />

unsere Partei gegebenenfalls sogar beitragen würde) sondern einer<br />

vollkommenen Neugestaltung."<br />

Resolution der österreichischen Nationalversammlung vom 6. September<br />

1919 nach der Unterzeichnung des Vertrages:<br />

"<strong>Die</strong> Nationalversammlung protestiert feierlich vor der ganzen Welt gegen<br />

die Bestimmungen des Friedensvertrags, die unter dem Vorwand, die<br />

Unabhängigkeit Deutschösterreichs zu schützen, <strong>das</strong> deutschösterreichische<br />

Volk seines Selbstbestimmungsrechts berauben, ihm seinen<br />

201


glühenden Wunsch nach Vereinigung mit dem deutschen Mutterland<br />

verweigern, einen Wunsch, dessen Erfüllung eine lebenswichtige,<br />

wirtschaftliche, geistige wie politische Notwendigkeit ist. Noch herrscht in<br />

den Beziehungen zwischen den Völkern jener Geist des Hasses <strong>und</strong> der<br />

Rache, den der Krieg heraufbeschworen hat. Aber die<br />

Nationalversammlung hofft, <strong>das</strong>s an dem Tage, an dem dieser Geist weicht,<br />

eine Intervention des Völkerb<strong>und</strong>es auch dem deutschen Volk jenes Recht<br />

auf nationale Einheit <strong>und</strong> Freiheit einräumen wird, <strong>das</strong> man keinem<br />

anderen Volke abspricht.<br />

Mit großer Bitterkeit protestiert die Nationalversammlung gegen jenen<br />

leider unwiderruflichen Beschluss der alliierten <strong>und</strong> assoziierten Mächte,<br />

durch den 3,5 Millionen Sudetendeutsche mit Gewalt von den Deutschen<br />

der Alpen losgerissen werden, mit denen sie seit Jahrh<strong>und</strong>erten eine<br />

politische <strong>und</strong> wirtschaftliche Einheit gebildet haben. Durch diesen<br />

Beschluss werden sie ihrer nationalen Freiheit beraubt <strong>und</strong> der<br />

Fremdherrschaft eines Volkes unterworfen, <strong>das</strong> sich in demselben<br />

Friedensvertrag zu ihrem Feind erklärt.<br />

<strong>Die</strong> österreichische Nationalversammlung, der überhaupt keine<br />

Möglichkeit bleibt, um diese Verletzung der heiligsten Rechte einer Nation<br />

zu verhindern, diese Katastrophe abzuwenden <strong>und</strong> dadurch Europa jene<br />

Unruhe zu ersparen, die sich unweigerlich daraus ergeben werden, stellt<br />

vor der Geschichte fest, <strong>das</strong>s die Verantwortung für diese Entscheidung bei<br />

jenen Mächten liegt, die sie jetzt vollstrecken, unseren sehr ernsten<br />

Warnungen zum Trotz."<br />

Jean Longuet schloss seine Rede:<br />

"Wir können nicht zulassen, <strong>das</strong>s man diesen Vertrag als logische Folge<br />

eines Krieges darstellt, von dem man sagt, er sei ein Krieg für <strong>das</strong> Recht<br />

gewesen. Das ist kein Frieden des Rechts, den man uns bringt, sondern ein<br />

Frieden der Gewalt, ein brachialer Frieden, der an alle jene<br />

Friedensschlüsse erinnert, die in der Vergangenheit durch die Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

hindurch Streitigkeiten zwischen den Völkern beendet haben ...<br />

Ein Gedanke, den man, meines Erachtens, viel stärker hätte hervorheben<br />

müssen ist der, <strong>das</strong>s Frankreich, da es <strong>das</strong> Blut seiner Kinder für alle<br />

geopfert hat, auch erwarten darf, <strong>das</strong>s die wirtschaftlichen Lasten auch von<br />

allen Nationen zu gleichen Teilen übernommen werden.<br />

Wir sind entrüstet darüber (hier zitiert Jean Longuet die englische<br />

Zeitschrift The Nation), <strong>das</strong>s der eine Mensch sich durch den Krieg hat<br />

bereichern können - während der andere ruiniert wurde. Ebenso ist es<br />

ungerecht, <strong>das</strong>s von den Alliierten einige Nationen durch den Krieg reicher,<br />

andere ärmer geworden sind. Es besteht kein Zweifel, <strong>das</strong>s wir gegenwärtig<br />

in einer solchen Lage sind. Während die Finanzen Frankreichs <strong>und</strong> Italiens<br />

202


jetzt, am Ende des Krieges, hoffnungslos zerrüttet sind - dies schreibt eine<br />

englische Zeitschrift! - steht England aufrecht <strong>und</strong> stark da, <strong>und</strong> Amerika<br />

reich <strong>und</strong> wohlhabend. Mit etwas Redlichkeit, <strong>und</strong> wenn sich nur alle im<br />

gleichen Maße für <strong>das</strong> gemeinsame Ziel eingesetzt hätten, wäre eine solche<br />

ungerechte Lage vermieden worden ...<br />

Ich glaube, wenn man sich weniger um die territorialen Forderungen<br />

gekümmert, wenn man sich mehr um die ehrliche Verteilung der Lasten<br />

bemüht hätte <strong>und</strong> England <strong>und</strong> Amerika dazu gebracht, <strong>das</strong>s sie den ihnen<br />

zustehenden großen Teil der Kosten eines Sieges übernehmen, von dem sie<br />

so großen Nutzen gehabt haben, dann hätte man einen Frieden schließen<br />

können, der, sowohl vom französischen wie vom allgemein menschlichen<br />

Standpunkt aus, besser, gerechter <strong>und</strong> dauerhafter gewesen wäre."<br />

Im Jahre 1938 lautete freilich eine Entschließung der französischen<br />

Sozialistischen Partei auf ihrem Kongress in Royan:<br />

"Der französische Sozialismus wünscht den Frieden, selbst mit den<br />

imperialistischen totalitären Mächten, aber er ist nicht bereit, alle ihre<br />

Aktionen hinzunehmen. Sollte der französische Sozialismus zu jenem<br />

äußersten Schritt gezwungen werden, den er mit allen Mitteln zu<br />

verhindern versuchen würde - so würde er die Unabhängigkeit der<br />

Nationen <strong>und</strong> die Unabhängigkeit aller anderen Völker, die durch die<br />

Unterschrift Frankreichs garantiert worden ist, zu verteidigen wissen."<br />

<strong>Die</strong> gemeinte Unterschrift ist die unter den Versailler Vertrag oder unter jene<br />

Verträge, die später geschlossen wurden, um die Einhaltung des Versailler<br />

Vertrages zu garantieren. Mit anderen Worten: <strong>Die</strong> französischen Sozialisten<br />

waren bereit, in den Krieg zu ziehen zur Verteidigung eines Vertrages, gegen<br />

den sie sich zwanzig Jahre vorher mit soviel Schwung <strong>und</strong> Nachdruck<br />

aufgelehnt hatten!<br />

Damals haben meine Streitigkeiten mit der Sozialistischen Partei begonnen: Der<br />

Krieg - Nürnberg ... Nach Nürnberg vertrat ich weiterhin jenen Standpunkt, den<br />

wir zusammen 1919 vertreten hatten, <strong>und</strong> <strong>das</strong> war der Bruch. - Ich wurde durch<br />

Churchill gerächt, der 1952 in seinen Lebenserinnerungen folgendes schrieb:<br />

"<strong>Die</strong> wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrags waren so bösartig <strong>und</strong><br />

töricht, <strong>das</strong>s sie offensichtlich jede Wirkung verloren. Deutschland wurde<br />

dazu verurteilt, unsinnig hohe Reparationen zu leisten. <strong>Die</strong>se Diktate<br />

drückten sowohl die Wut der Sieger aus, wie den Irrtum ihrer Völker, die<br />

nicht begriffen, <strong>das</strong>s keine besiegte Nation oder eine besiegte Gemeinschaft<br />

die Kosten des modernen Krieges ersetzen kann.<br />

<strong>Die</strong> breiten Massen hatten von den einfachsten wirtschaftlichen Tatsachen<br />

keine Ahnung, <strong>und</strong> die Parteiführer wagten mit Rücksicht auf ihre Wähler<br />

nicht, sie darüber aufzuklären. <strong>Die</strong> Presse besprach <strong>und</strong> unterstrich nach<br />

203


altem Brauch die vorherrschenden Ansichten. Nur wenige Stimmen<br />

erhoben sich, um darzulegen, <strong>das</strong>s Reparationszahlungen lediglich auf dem<br />

Wege von <strong>Die</strong>nstleistungen oder durch den Transport von Waren in<br />

Wagenladungen über Landesgrenzen oder in Schiffen über See möglich<br />

seien; <strong>und</strong> <strong>das</strong>s diese Waren in den Gläubigerländern deren Industrie aus<br />

dem Geleise bringen müssten, außer in höchst primitiven oder unter<br />

Staatskontrolle stehenden Gemeinschaften. In der Praxis - <strong>das</strong> haben auch<br />

die Russen inzwischen gelernt - besteht der einzige Weg zur<br />

Ausplünderung eines besiegten Landes im Abtransport aller gewünschten<br />

beweglichen Güter <strong>und</strong> im Verschicken eines Teiles der männlichen<br />

Arbeitskräfte in dauernde oder vorübergehende Sklaverei. Der mit solchen<br />

Maßnahmen erzielte Gewinn steht jedoch in keinem Verhältnis zu den<br />

Kriegskosten. Niemand in führender Stellung besaß den Geist, die<br />

Überlegenheit oder die Unabhängigkeit von der öffentlichen Verblendung,<br />

um den wahlberechtigten Mitbürger diese gr<strong>und</strong>legenden, brutalen<br />

Tatsachen auseinanderzusetzen; auch wäre es keinem, der dies getan hätte,<br />

geglaubt worden. <strong>Die</strong> siegreichen Alliierten versicherten nach wie vor, <strong>das</strong>s<br />

sie Deutschland ausquetschen würden, 'bis die Kerne krachten'. Das alles<br />

übte auf <strong>das</strong> Gedeihen der Welt <strong>und</strong> auf die Stimmung des deutschen<br />

Volkes gewaltigen Einfluss aus." (Churchill: "Der Sturm zieht auf",<br />

Hamburg, 1949, S. 22).<br />

Und:<br />

"<strong>Die</strong> zweite große Tragödie war der vollständige Abbruch des<br />

Österreichisch-Ungarischen <strong>Reich</strong>es durch die Verträge von St. Germain<br />

<strong>und</strong> Trianon. Jahrh<strong>und</strong>ertelang hatte dieser letzte lebende Überrest des<br />

Heiligen Römischen <strong>Reich</strong>es einer großen Zahl von Völkern, zum Vorteil<br />

von Handel <strong>und</strong> Sicherheit, ein gemeinsames Leben ermöglicht, <strong>und</strong> keines<br />

dieser Völker besaß in unserer Zeit die Kraft oder Lebensenergie, um sich<br />

allein gegen den Druck eines wiederauflebenden Deutschland oder<br />

Russland zu behaupten. Alle diese Völker hatten den Wunsch, sich aus der<br />

Struktur des B<strong>und</strong>esstaates oder Kaiserreiches loszulösen, <strong>und</strong> die<br />

Förderung dieser Bestrebungen galt als liberale Politik. <strong>Die</strong> Balkanisierung<br />

Südosteuropas schritt rasch fort, wobei gleichzeitig die relative Macht<br />

Preußens <strong>und</strong> des Deutschen <strong>Reich</strong>es zunahm, <strong>das</strong> unversehrt <strong>und</strong> seinen<br />

einzelnen Nachbarn überlegen war, wenn auch erschöpft <strong>und</strong> von<br />

Kriegsspuren durchzogen. Es gibt keine einzige Völkerschaft oder Provinz<br />

des Habsburgischen <strong>Reich</strong>es, der <strong>das</strong> Erlangen der Unabhängigkeit nicht<br />

die Qualen gebracht hätte, wie sie von den alten Dichtern <strong>und</strong> Theologen<br />

für die Verdammten der Hölle vorgesehen sind. <strong>Die</strong> edle Hauptstadt Wien,<br />

die Heimstätte so großer, lang verteidigter Kultur <strong>und</strong> Tradition, der<br />

Knotenpunkt so vieler Straßen, Wasserwege <strong>und</strong> Bahnlinien, blieb elend<br />

204


<strong>und</strong> hungernd liegen wie ein mächtiges Kaufhaus in einem verarmten<br />

Viertel, dessen Bewohner zum größten Teil fortgezogen sind." (a. a. 0. S.<br />

24).<br />

Es ist wenig wahrscheinlich, <strong>das</strong>s Churchill gehört worden wäre, wenn er dies<br />

1919 gesagt hätte. Zur damaligen Zeit war er nur ein Mann aus der zweiten<br />

Reihe. Kein Zweifel besteht aber daran, <strong>das</strong>s es keinen Nürnberger Prozess<br />

gegeben haben würde, wenn er es 1945 ausgesprochen hätte. Das war es, was<br />

ich sagen wollte.<br />

*<br />

Zusammen mit einer kleinen Gruppe nichtkonformistischer Syndikalisten<br />

("Anarcho-Syndikalisten"), die sich "La Revolution proletarienne" nannte,<br />

besorgte ich 1932 in Frankreich die Herausgabe <strong>und</strong> Verbreitung des Buches<br />

"Precis de geographie economique" * von J. F. Horrabin. Es handelte sich um<br />

eine Reihe von Vorlesungen über Wirtschaftsgeographie, die der englische<br />

Nationalökonom vor Arbeiterschulen seines Landes gehalten hatte.<br />

Wir meinten, <strong>das</strong>s die zu lösende Frage nie klarer formuliert worden war - <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong>s niemand den Mangel an Unterscheidungsvermögen, <strong>das</strong> totale Fehlen<br />

jeglichen historischen Weitblicks, kurz die Mediokrität der Väter des Versailler<br />

Vertrages deutlicher herausgestellt hatte. Kurz, wir erkannten durch diese<br />

Vorlesungen die wesentlichen Ursachen aller Kriege, vom H<strong>und</strong>ertjährigen<br />

Krieg (1337-1453) angefangen bis zu jener Auseinandersetzung, deren<br />

Herannahen wir spürten. Auf die Gefahr hin, <strong>das</strong>s meine Leser mir vorwerfen<br />

werden, ich zitiere zuviel, möchte ich doch hier die nachstehenden Auszüge<br />

wiedergeben, ich habe sie verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> mit Untertiteln versehen. Meines<br />

Erachtens geben sie eine These recht klar wieder, die in dreißig Jahren nichts<br />

von ihrer Aktualität verloren hat:<br />

I. Geschichte der Seeherrschaft<br />

"Jahrtausendelang drehte sich die Geschichte der Welt um <strong>das</strong> Mittelmeer.<br />

<strong>Die</strong> Mittelmeerländer machten sehr beträchtliche Fortschritte auf<br />

technischem, wirtschaftlichem <strong>und</strong> sozialem Gebiet. Während dieser Zeit war<br />

für Großbritannien <strong>und</strong> für seine Bewohner dessen geographische Lage von<br />

Nachteil. Außerhalb der damaligen Handelswelt gelegen, weit entfernt von<br />

den Hauptverkehrswegen <strong>und</strong> -Zentren, hatte es keinen Platz in der bekannten<br />

Welt. Das blieb so, als die Phönizier <strong>und</strong> dann die Römer erschienen. Und als<br />

die römische Herrschaft erlosch, fand Großbritannien sich für weitere tausend<br />

Jahre unter den vergessenen Ländern. Aber es kam der Zeitpunkt, an dem sich<br />

der Handel der Mittelmeerländer durch <strong>das</strong> Rheintal nach Norden richtete <strong>und</strong><br />

an dem die Hanse aus Nord- <strong>und</strong> Ostsee ein neues Mittelmeer machte.<br />

205


Großbritannien fand sich nun - wenn auch immer noch sehr entfernt - in<br />

engerem Kontakt mit der übrigen Welt. Es wurde die nordwestliche<br />

Endstation der großen Handelsstraßen, die vom Mittelmeer aus den Kontinent<br />

durchquerten. Aber es war immer noch nicht mehr als eine Endstation, es war<br />

keine eigenständige Basis. Schließlich wurde der Atlantik erobert <strong>und</strong> die<br />

Neue Welt entdeckt, die westwärts von diesem Ozean liegt. Von nun an<br />

waren die Länder mit Atlantikküsten <strong>und</strong> nicht mehr die des Mittelmeers in<br />

besonders vorteilhafter Position, da sie den Küsten des neuen Erdteils<br />

gegenüberlagen.<br />

Erst jetzt wird die Lage Großbritanniens zu einem Vorteil: Von dieser Zeit<br />

datiert der Anfang der britischen Vorherrschaft in Europa <strong>und</strong> schließlich in<br />

der Welt. Bisher lag England an einem Seitensträßchen. Jetzt saß es am besten<br />

Platz in der Hauptstraße. <strong>Die</strong> überseeischen Entdeckungen verschoben die<br />

Schwerpunkte Europas. <strong>Die</strong>se wanderten von den Binnenmeeren an die Ufer<br />

des Atlantik. Venedig <strong>und</strong> Genua verloren an Bedeutung, während Bristol<br />

<strong>und</strong> Lagos an die ersten Plätze rückten. Der lebhafte, jedoch enge<br />

Ostseehandel, der vom XII. bis XVII. Jahrh<strong>und</strong>ert den Hansestädten<br />

<strong>Reich</strong>tum <strong>und</strong> überragende geschichtliche Bedeutung brachte, verlor an<br />

Interesse, als der Atlantik zum Meer der Geschichte wurde. Der Vorrang<br />

wanderte gegen Westen, von Lübeck <strong>und</strong> Strals<strong>und</strong> nach Amsterdam <strong>und</strong><br />

Bristol.<br />

<strong>Die</strong> Geschichte der drei folgenden Jahrh<strong>und</strong>erte ist die Geschichte des<br />

Kampfes um die Vorherrschaft dieser Länder des europäischen Nordwestens.<br />

Schon zwei Jahrh<strong>und</strong>erte vor dem Ende des Kapitels Mittelmeer finden wir<br />

einen portugiesischen Handelsvertrag, 1294 unterzeichnet, der einen nicht<br />

unbedeutenden Handel längs der Küsten des Atlantik verrät. Spanien <strong>und</strong><br />

Portugal kamen als Erste zu den großen Entdeckungen. Wenige Wochen nach<br />

Kolumbus Rückkehr von seiner ersten Reise ließ der Papst eine Bulle<br />

verkünden, in der die westliche Halbkugel Spanien <strong>und</strong> die östliche Portugal<br />

zuerkannt wurden. Das hieß praktisch, <strong>das</strong>s die nordischen Völker, besonders<br />

Holland <strong>und</strong> England, des Hauses verwiesen würden. <strong>Die</strong> Seefahrer dieser<br />

beiden Länder versuchten darauf mehrere Jahre lang in nordwestlicher <strong>und</strong><br />

nordöstlicher Richtung, um Nordamerika <strong>und</strong> um Nordsibirien herum,<br />

Zufahrtswege nach Indien zu finden. <strong>Die</strong> eine wie die andere Route erwies<br />

sich als unbrauchbar. Beide Länder konnten daher an den <strong>Reich</strong>tümern<br />

Indiens <strong>und</strong> Amerikas nur dann teilhaben, wenn sie <strong>das</strong> päpstliche Edikt<br />

missachteten. Infolgedessen hatten sie vor der Mitte des XVI. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

mit dem Papst gebrochen <strong>und</strong> waren protestantisch geworden. <strong>Die</strong> Macht des<br />

Papstes war damals recht groß. Aber er konnte weder die geographischen<br />

Gegebenheiten ändern noch den Einfluss dieser Gegebenheiten auf <strong>das</strong><br />

menschliche Denken. Als <strong>das</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert zu Ende war, hatten die Engländer<br />

die Armada Philipps von Spanien zerstört. Und die Holländer setzten sich,<br />

206


nachdem sie <strong>das</strong> spanische Joch abgeschüttelt hatten, in verschiedenen Teilen<br />

Ost- <strong>und</strong> Westindiens fest, die sie den Spaniern <strong>und</strong> Portugiesen entrissen<br />

hatten. <strong>Die</strong> Macht des Papstes, des Herrn über <strong>das</strong> Mittelmeer, verblich, so<br />

wie die Bedeutung des Mittelmeeres selbst dahinschwand. Das folgende<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert sah die große Rivalität des englischen <strong>und</strong> holländischen<br />

Bürgertums um die Herrschaft über die ozeanischen Verbindungswege, einen<br />

Kampf, an dem sich ein drittes Land Nordwest-Europas, Frankreich,<br />

beteiligte, mal auf dieser, mal auf jener Seite. Um zu verstehen, wie sehr die<br />

ganze Erde in diesem Moment an die Staaten Nordwest-Europas geb<strong>und</strong>en<br />

war - ja geb<strong>und</strong>en, wörtlich genommen verkettet war, genügt es, die<br />

folgenden Sätze mit dem Atlas in der Hand zu lesen:<br />

Auf dem Höhepunkt ihrer Macht, d. h. gegen die Mitte des XVII.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, waren die Holländer die Herren der Antillen. Sie besaßen<br />

Niederlassungen in Brasilien <strong>und</strong> in Guayana. Sie hatten Handelskontore an<br />

der Guinea-Küste. Sie saßen in Kapstadt (Kap der Guten Hoffnung) am Wege<br />

nach Indien. Sie waren Besitzer der Inseln Ceylon <strong>und</strong> Mauritius (so benannt<br />

nach Prinz Moritz von Nassau). Sie verfügten über die Schlüssel zu<br />

Nordamerika durch ihre Stadt Neu-Amsterdam, <strong>das</strong> heutige New York.<br />

Aber zu Anfang des XVIII. Jahrh<strong>und</strong>erts hatte Großbritannien Hollands Platz<br />

als Seefahrer <strong>und</strong> als Herr der strategischen Punkte der großen ozeanischen<br />

Weltverkehrswege eingenommen. Nach der stolzen Feststellung eines<br />

Schriftstellers "war England am Schluss des Krieges imstande, seinen<br />

Seehandel mit zunehmender Kraft auszubreiten. Es war bereit, an den Ufern<br />

aller Meere <strong>das</strong> Werk fortzusetzen, <strong>das</strong> Griechen, Phönizier <strong>und</strong> Venezianer<br />

längs der Küsten des Mittelmeeres getan hatten." Aber wir wollen dazu<br />

bemerken, <strong>das</strong>s diese Entwicklung nicht etwa dadurch bedingt gewesen wäre,<br />

<strong>das</strong>s eine gütige Vorsehung die Engländer aus einem besseren Holz schnitzte<br />

als die Franzosen oder Holländer; es war in erster Linie eine Folge der<br />

günstigen geographischen Lage Großbritanniens an den atlantischen<br />

Schifffahrtsstraßen, in zweiter Linie eine Folge der Tatsache, <strong>das</strong>s dieses<br />

Land weit mehr als seine Rivalen in seiner Landwirtschaft <strong>und</strong> Industrie eine<br />

kräftige Stütze für seine Expeditionen über See besaß. <strong>Die</strong> industrielle<br />

Revolution hatte dort in der Tat schon vor dem Ende des Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

begonnen. Von da an waren seine Eisen- <strong>und</strong> Kohlevorkommen die reale<br />

Ursache für seinen Vorrang vor anderen Völkern. Sie sicherten England<br />

endgültig die Gr<strong>und</strong>lagen für seine Vorherrschaft in der Welt des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

II. Geschichte Englands<br />

<strong>Die</strong> englische Völkerfamilie umfasst <strong>das</strong> Britische Empire im eigentlichen<br />

Sinne des Wortes <strong>und</strong> einige abhängige Staaten. Für diese Gruppe ist als<br />

erstes die gr<strong>und</strong>sätzliche Feststellung zu treffen, <strong>das</strong>s sie nicht aus einer<br />

207


geographischen Einheit besteht, wie <strong>das</strong> mehr oder weniger bei allen anderen<br />

Gruppen der Fall ist. <strong>Die</strong> britischen Dominien <strong>und</strong> Besitzungen sind über alle<br />

Meere verstreut nur verb<strong>und</strong>en durch den Ozean. Das Britische Empire beruht<br />

daher auf seiner Seemacht. In einer Welt imperialistischer Rivalitäten kann es<br />

nur als Einheit weiter bestehen, wenn es seine Überlegenheit zur See behält.<br />

Mit der Erschließung der transozeanischen Verkehrswege im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

begann England eine Weltmacht zu werden - im Laufe des folgenden<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts gelang es ihm, sich <strong>das</strong> Monopol des Warenverkehrs in der<br />

ganzen Welt zu sichern. In jedem Winkel der Erde richtete es Handelskontore<br />

<strong>und</strong> Häfen ein. Damals war es sein Ziel, seine Handelsstraßen, seine langen<br />

Seelinien, längs denen die Handelsschiffe mit ihren Ladungen fuhren,<br />

abzusichern. Es hatte kein Bedürfnis nach territorialer Ausdehnung, im<br />

Gegenteil! Im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert hielten zahlreiche Angehörige der englischen<br />

Handelswelt zwei Inselchen der Kleinen Antillen für wichtiger, als <strong>das</strong> ganze<br />

große Kanada, denn zu Zeiten der Segelschifffahrt beherrschten diese<br />

Antillen-Inseln die große Straße von Europa zu den amerikanischen Häfen.<br />

Vorwärtsgetrieben von den Passatwinden steuerte man südwestlichen Kurs<br />

bis zu den Antillen; von dort ab segelte man nach Norden oder Süden der<br />

Küste entlang. Daher gehörten Jamaika, die Bermu<strong>das</strong>- <strong>und</strong> Barbados-Inseln<br />

zu den ersten britischen Eroberungen. Das Kap der Guten Hoffnung hatte nur<br />

deshalb Bedeutung, weil es die Route nach Indien beherrschte. Wenn England<br />

zu dieser Zeit Land von einiger Ausdehnung erwarb, dann war <strong>das</strong> besonders<br />

in den Gegenden, in denen es gegen seinen Rivalen Frankreich Stützpunkte<br />

brauchte, wie in Indien oder Kanada, wo es zur Sicherung seiner Position<br />

große Gebiete in Besitz nehmen musste. Seine nordamerikanischen<br />

Besitzungen waren zwar mehr Strafkolonien für unerwünschte Bürger als<br />

wirkliche Kolonien, aber dennoch waren sie wichtig, denn sie lieferten <strong>das</strong><br />

Material für den Schiffbau; diese, Frankreich entrissenen, Gebiete waren fast<br />

die einzigen territorialen Besitzungen Großbritanniens am Ende des 18.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts. Aus dieser Ansammlung von Kontoren <strong>und</strong> Häfen entwickelte<br />

sich im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>das</strong> Britische Empire. Zwischen 1800 <strong>und</strong> 1850<br />

verdreifachte sich seine Oberfläche. 1919, nach Beendigung des Ersten<br />

Weltkrieges, hatte sich sein Gebiet erneut verdreifacht, umfasste 13 Millionen<br />

700.000 Quadratmeilen, bewohnt von 475 Millionen Menschen - mehr als ein<br />

Viertel der Landfläche <strong>und</strong> der Bevölkerung der Erde. <strong>Die</strong> Ursache für dieses<br />

außergewöhnliche Anwachsen war die Tatsache, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Dampfschiff den<br />

Menschen zum wirklichen Herrn des Meeres gemacht hatte. <strong>Die</strong> Vereinigten<br />

Staaten <strong>und</strong> Russland sind vornehmlich Eisenbahn-Länder. Das heutige<br />

Britische Empire ist dagegen nach einem Wort von Wells ein <strong>Reich</strong> der<br />

Dampfschiffe. Aber die Entfernung <strong>und</strong> außerordentliche Streuung der<br />

verschiedenen Teile des Empire machen seine Innenpolitik, die Regelung<br />

seiner gesellschaftlichen, religiösen, politischen <strong>und</strong> kommerziellen Fragen<br />

208


sehr kompliziert. Außerdem kann kaum in irgendeinem Winkel der Erde<br />

etwas passieren, ohne mehr oder weniger unmittelbar ein britisches Interesse<br />

zu berühren. Das Schicksal der ganzen Gruppe hängt von der Seeherrschaft<br />

<strong>und</strong> von der Freiheit der Meere ab. Das ist ihre Achilles-Ferse.<br />

In Wahrheit ist Großbritannien noch heute die dominierende Macht der<br />

Gruppe.<br />

Nach der industriellen Revolution begnügte sich England nicht damit, die<br />

Güter der ganzen Welt nur zu transportieren. Es wurde auch der bedeutendste<br />

Verkäufer der Welt. Seine Schiffe trugen seine Kohle <strong>und</strong> seine Fertigwaren<br />

über die Meere. Es besaß nicht nur große Kohlenvorkommen,<br />

vorteilhafterweise lagen diese auch noch nah an der Küste. Und solange die<br />

Zeit der Landtransporte noch nicht gekommen war, gab diese Tatsache ihm<br />

einen weiteren Vorsprung vor den Ländern mit Gruben im Innern. Im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert steht es auf dem Höhepunkt seiner Macht. Damals fühlten sich<br />

die englischen Kapitalisten so unangreifbar im Bewusstsein ihrer<br />

Seeherrschaft, ihrer Flotte, ihrer Hilfsquellen, <strong>das</strong>s sie zur Sicherung der<br />

englischen Weltherrschaft nichts anderes forderten als die Aufrechterhaltung<br />

des Freihandels.<br />

<strong>Die</strong> Bevölkerung Großbritanniens war in den Bergwerks- <strong>und</strong> Industrie-<br />

Gebieten konzentriert. Sie wurde dadurch in ihrer Ernährung mehr <strong>und</strong> mehr<br />

abhängig von den überseeischen Gebieten. Nur 6 Prozent der englischen<br />

Bevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, während <strong>das</strong> Verhältnis<br />

40 Prozent in Frankreich <strong>und</strong> 72 Prozent in Russland beträgt. <strong>Die</strong> Bewohner<br />

der britischen Inseln sind in großen Stadtgemeinden zusammengedrängt. Ihre<br />

Existenz ist auf Kohle, Eisen, Stahl 110 <strong>und</strong> der Freiheit der Meere aufgebaut.<br />

Nach Bowman ("The new World") kann man eine genaue Klassifizierung der<br />

verschiedenen Teile des Britischen Empire vornehmen. Es gibt:<br />

1. Sechs "Dominions" mit autonomer Regierung: Kanada, Australien,<br />

Südafrikanische Union, Neuseeland, Irischer Freistaat <strong>und</strong> Neuf<strong>und</strong>land. Es<br />

handelt sich bei allen um kapitalistische Staaten <strong>und</strong> ihre Interessen sind nicht<br />

notwendigerweise identisch mit denen des "Mutterlandes". <strong>Die</strong> Eingeborenen<br />

sind, außer in Südafrika, in der Minderheit. Kapitalisten <strong>und</strong> Angestellte sind<br />

Weiße.<br />

2. Besitzungen, wie Indien, Sudan, Ost- <strong>und</strong> Westafrika, Mesopotamien.<br />

Einige werden "Protektorate", andere 'Abhängige Gebiete' genannt, wieder<br />

andere 'Mandatsgebiete". England regiert in ihnen über eingeborene Rassen<br />

verschiedener Entwicklungsstufen. In Indien allerdings ist der<br />

Industrialisierungsprozess sehr weit fortgeschritten <strong>und</strong> hat die Bildung einer<br />

unabhängigen Kapitalistenklasse ermöglicht. <strong>Die</strong>se Gruppe bildet <strong>das</strong> Empire<br />

im eigentlichen Sinne des Wortes. 111<br />

3. "Marinebasen" <strong>und</strong> "strategische Schlüsselstellungen", wie Gibraltar, Aden,<br />

Singapur <strong>und</strong> Hongkong. Zu diesen Gliedern der britischen Gruppe muss man<br />

209


gewisse unabhängige Staaten rechnen, auch wenn sie politisch nicht in <strong>das</strong><br />

Empire integriert sind, wie Portugal <strong>und</strong> die portugiesischen Kolonien, ebenso<br />

Argentinien. Niederländisch-Indien ist mit Großbritannien durch die<br />

Kombination Royal-Dutch-Shell liiert, seine strategischen Kommandostellen<br />

sind Singapur <strong>und</strong> Australien, beide britisch. Ebenso sind Norwegen <strong>und</strong><br />

Dänemark mit Großbritannien eng verb<strong>und</strong>en durch Schifffahrtsinteressen<br />

<strong>und</strong> durch ihre geographische Lage. Schließlich Griechenland. Es hat die<br />

englischen Interessen im Mittelmeer unterstützt <strong>und</strong> daher als Entgelt<br />

verschiedenerlei Vorzugsbehandlungen genossen.<br />

________________<br />

110 Man kann heute "Erdöl" hinzufügen.<br />

111 Seit der Niederschrift dieses Textes (im Jahre 1933) hat Indien die politische Selbständigkeit erlangt.<br />

<strong>Die</strong> britischen Dominions sind weit verstreut. Aber in einem bestimmten<br />

Gebiet sind die wichtigsten britischen Interessen konzentriert: Das ist der<br />

Indische Ozean <strong>und</strong> die große Schifffahrtsstraße, die ihn mit Europa<br />

verbindet. Vor vier Jahrh<strong>und</strong>erten war der Indische Ozean ein portugiesischer<br />

See, jetzt ist er ein britischer See. <strong>Die</strong> Landerwerbungen nach dem Krieg<br />

haben den Kreis der britischen Besitzungen an seinen Gestaden geschlossen:<br />

die ganze Ostküste Afrikas ist nun britisch, außer zwei Gebieten, von denen<br />

eines portugiesisch ist. Dann kommt Aden, Schildwache am Eingang zum<br />

Roten Meer, weiter Arabien, der Persische Golf, der nach Mesopotamien<br />

leitet. Dann haben wir Indien selbst, dieses unschätzbare Juwel unter all den<br />

anderen Besitzungen, sowie Birma <strong>und</strong> die Straits-Settlements, die nach<br />

Hong-Kong <strong>und</strong> Indonesien <strong>und</strong> schließlich nach Australien führen. Da liegt<br />

also r<strong>und</strong> um einen Ozean eine Ländergruppe, die schon für sich allein für<br />

jede Industriemacht einen Besitz allererster Ordnung darstellt durch ihren<br />

<strong>Reich</strong>tum an Rohstoffen <strong>und</strong> ihre große Aufnahmefähigkeit für Fertigwaren.<br />

<strong>Die</strong> Vorteile, die diese Konzentration der britischen Interessen mit sich bringt,<br />

sind offensichtlich, schon im Hinblick auf die Sicherheit der Schifffahrt.<br />

Andererseits konzentrieren sich die britischen Interessen auch darum noch<br />

stärker auf diesen Raum, weil im Atlantik <strong>und</strong> im Pazifik die amerikanische<br />

Konkurrenz immer mehr in Erscheinung tritt. Im Indischen Ozean wenigstens<br />

verfügt England über eine unbestrittene Monopolstellung. Ein großer Nachteil<br />

ist dabei allerdings die große Entfernung - Tausende <strong>und</strong> Abertausende von<br />

Seemeilen - zwischen diesen Gebieten <strong>und</strong> England, dem industriellen <strong>und</strong><br />

finanziellen Zentrum der ganzen Gruppe. <strong>Die</strong> einzige Verbindung ist ein<br />

langer Seeweg, dessen sichere Beherrschung daher für England lebenswichtig<br />

ist.<br />

<strong>Die</strong>ser Seeweg verläuft durch <strong>das</strong> Mittelmeer, den Suezkanal <strong>und</strong> <strong>das</strong> Rote<br />

Meer. So rückt also <strong>das</strong> Mittelmeer, nachdem es vier Jahrh<strong>und</strong>erte abseits<br />

gelegen hat, wieder in den Vordergr<strong>und</strong> des Welttheaters, dank der<br />

210


technischen Entwicklung, die dem Menschen den Durchstich durch die<br />

Landenge von Suez ermöglichte.<br />

Wer die Bedeutung dieses Seeweges begriffen hat, wird auch leicht die<br />

großen Linien der englischen Außenpolitik verstehen. Vor dem Ersten<br />

Weltkrieg wurde dieser Seeweg durch <strong>das</strong> deutsche Eisenbahnprojekt Berlin-<br />

Bagdad bedroht. <strong>Die</strong>se "Bagdad-Bahn" hätte eine Landverbindung zwischen<br />

Nordwesteuropa <strong>und</strong> den Ufern des Indischen Ozeans geschaffen. Daher war<br />

die "Neuordnung" Europas nach dem Ersten Weltkriege zum Teil bedingt von<br />

dem englischen Wunsch, ein solches Projekt ein für allemal aus der Sphäre<br />

der politischen Möglichkeiten zu verbannen. Daher auch die Vergrößerung<br />

Griechenlands <strong>und</strong> die Aufteilung Österreichs <strong>und</strong> der Türkei auf viele kleine<br />

Staaten.<br />

Ebenso wie <strong>das</strong> Erdöl Persiens <strong>und</strong> Mesopotamiens muss Großbritannien<br />

auch diesen Seeweg schützen, da ohne ihn keine englische Nahostpolitik<br />

möglich wäre. <strong>Die</strong> Völker, die am Rande dieses Weges wohnen, müssen<br />

direkt oder indirekt unter britische Kontrolle gebracht <strong>und</strong> gehalten werden.<br />

Wer wird Konstantinopel besetzen? <strong>Die</strong>se Frage berührt <strong>das</strong> englische<br />

Interesse, denn Konstantinopel ist eines der Tore zum Mittelmeer. So ist auch<br />

eine echte Unabhängigkeit Ägyptens für England indiskutabel, denn Ägypten<br />

beherrscht den Suezkanal, den Schlüssel zum Seeweg überhaupt. Wenn<br />

Großbritannien es irgendeinem Staat gestatten würde, sich in Ägypten<br />

festzusetzen, so wäre <strong>das</strong> <strong>das</strong> Gleiche, als wenn die USA zuließen, <strong>das</strong>s Japan<br />

sich am Ufer des Panamakanals etablierte. Völker, die heutzutage unabhängig<br />

werden möchten, tun gut daran, nicht in Gebieten zu leben, die die großen<br />

Handelswege beherrschen.<br />

III. <strong>Die</strong> Welt nach 1919<br />

In der Nachkriegswelt sind es nicht mehr die Nationalstaaten, die die realen<br />

Kräfte darstellen, sondern die Staatengruppen, in denen jeweils eine große<br />

Industriemacht dominiert. <strong>Die</strong>se Gruppen umfassen jeweils eine mehr oder<br />

weniger große Anzahl von Kolonien oder kleineren Vasallen, die zwar zum<br />

Teil "de jure" unabhängig sind, die aber in wirtschaftlicher Hinsicht, also "de<br />

facto" alle in gleichem Maße abhängig sind von der zentralen Großmacht<br />

ihrer Gruppe. Jede dieser großen Gruppen möchte autark sein, <strong>das</strong> heißt, sie<br />

möchte direkt oder indirekt verfügen über:<br />

1. ausreichende Mengen aller wichtigen Rohstoffe: Kohle, Eisen, Kupfer,<br />

Erdöl, Kautschuk, Baumwolle, Getreide usw....;<br />

2. Absatzmärkte <strong>und</strong> unterentwickelte Gebiete, wohin sie Kapital ausführen<br />

kann;<br />

3. die See- <strong>und</strong> Landwege, die sie für den Transport <strong>und</strong> die Verteilung ihrer<br />

Rohstoffe <strong>und</strong> Fertigwaren, braucht.<br />

211


Wir können erkennen, <strong>das</strong>s es fünf solcher Gruppen gibt, wobei wir allerdings<br />

berücksichtigen müssen, <strong>das</strong>s die Aufteilung (der Erde) noch nicht zu Ende<br />

ist, <strong>das</strong>s es noch eine Reihe von weniger bedeutenden Gebieten gibt, die als<br />

formell unabhängig gelten <strong>und</strong> jedenfalls noch nicht endgültig einer der<br />

bestehenden Gruppen einverleibt worden sind. Wir müssen weiter den<br />

Vorbehalt machen, <strong>das</strong>s die Grenzen der Gruppen nicht überall ganz klar<br />

abgesteckt sind <strong>und</strong> <strong>das</strong>s um diese Grenzen eine Anzahl "Niemandsländer"<br />

liegen. <strong>Die</strong> fünf Gruppen sind:<br />

- die amerikanische Gruppe;<br />

- <strong>das</strong> Britische Empire;<br />

- die fernöstliche Gruppe (China <strong>und</strong> Japan);<br />

- die russische Gruppe;<br />

- die französische Gruppe (einschließlich Mitteleuropa <strong>und</strong> Nordafrika).<br />

<strong>Die</strong> wirkliche Regierung jeder dieser Staatengruppen - mit Ausnahme<br />

Russlands - ist ein Konsortium von Kapitalisten. 112<br />

________________<br />

112 In Russland ist es eine Gruppe von Bürokraten, eine Vorwegnahme der 'Revolution der Manager' des James<br />

Burnham.<br />

Es ist nicht immer <strong>das</strong>selbe Konsortium, aber es ist jedenfalls immer eine<br />

Handvoll Kapitalisten, unter deren Einfluss die ganze Regierungsmaschinerie<br />

steht, einschließlich der Politiker, die nach außen hin die Macht ausüben. Wenn<br />

wir also "Washington" sagen, oder "die Regierung der Vereinigten Staaten", so<br />

bezeichnen wir damit in Wirklichkeit die Standard Oil Company oder die<br />

Gruppe Pierpont Morgan oder irgendeine andere Wallstreetgruppe, die sich<br />

gerade in dem Augenblick für stark genug hält, oder deren Interessen in<br />

genügendem Maße von der Lösung einer bestimmten Frage betroffen sind, <strong>das</strong>s<br />

sie glaubt, die Politik Amerikas diktieren zu müssen. Ebenso müssten wir, wenn<br />

wir von der französischen Außenpolitik sprechen, sagen, <strong>das</strong>s wir die des<br />

"Comite des Forges" 113 meinen. Was die britische Regierung betrifft, so handelt<br />

es sich hier, je nachdem, um die "Royal-Dutch Shell", um die Besitzer der<br />

großen Unternehmen der Eisenschaffenden Industrie, oder aber um die fünf<br />

Großbanken <strong>und</strong> die Finanzleute.<br />

________________<br />

113 'Comite des Forges': Zusammenschluss der französischen Schwerindustrie.<br />

IV. <strong>Die</strong> französisch-deutsche Rivalität<br />

<strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>lage der deutschen Macht waren die großen Eisenerz- <strong>und</strong><br />

Kohlevorkommen. Der Friedensvertrag übereignete <strong>das</strong> Eisenerz, oder<br />

wenigstens dessen größten Teil, Frankreich. Nach dem Friedensschluss<br />

verfolgte die französische Politik dauernd <strong>das</strong> Ziel, sich die Kontrolle über die<br />

für die Verarbeitung der Eisenerze unumgänglich notwendige Kohle zu<br />

212


sichern. Vor dem Kriege waren die großen lothringischen Bergwerke teils in<br />

deutscher, teils in französischer Hand - Deutschland gewann 75 Prozent<br />

seiner Eisenerze aus Lothringen. Jetzt sind diese Bergwerke ganz in<br />

französischem Besitz. Frankreich verfügt jetzt über <strong>das</strong> billigste Eisenerz, <strong>das</strong><br />

es in Europa gibt oder <strong>das</strong> in Europa verarbeitet wird.<br />

<strong>Die</strong> entscheidende Tatsache für <strong>das</strong> Nachkriegs-Frankreich ist, <strong>das</strong>s seine<br />

Schwerindustrie seine mächtigste kapitalistische Gruppe bildet. Wie zahllose<br />

Veröffentlichungen immer wieder erklärt haben, war Frankreich vor dem<br />

Kriege vor allem eine Nation von kleinen eigenständigen Bauern. Es konnte<br />

sich praktisch selbst versorgen - <strong>das</strong> einzige Produkt, von dem es nicht genug<br />

besaß, war die Kohle. Außenpolitisch gesehen, war es vor allem eine Nation,<br />

die Geld verlieh. Es stellte die Ersparnisse seiner Bauern <strong>und</strong> Kleinbürger in<br />

Form von Anleihen fremden Regierungen zur Verfügung - so zum Beispiel<br />

der des Zaren. Aber die Gr<strong>und</strong>lage des neuen Frankreich ist, genau wie die<br />

des früheren Deutschland, wesentlich moderner, sie besteht aus Eisen <strong>und</strong><br />

Stahl. <strong>Die</strong> Politik Frankreichs wird jetzt von den Herren über Stahl <strong>und</strong> Eisen,<br />

vom "Comite des Forges" <strong>und</strong> den dahinter stehenden Geldleuten gesteuert.<br />

<strong>Die</strong>se Männer haben die Zügel der Macht an sich gerissen. Der Erwerb<br />

Lothringens gab ihnen dazu die Mittel, <strong>und</strong> die Reorganisation der<br />

französischen Wirtschaft - nötig geworden nach den kriegsbedingten<br />

Erschütterungen <strong>und</strong> Gewichtsverlagerungen - bot ihnen dazu die<br />

Gelegenheit. Ihr Werkzeug ist der französische Militarismus.<br />

Und die französische Sehnsucht nach "Sicherheit" ist <strong>das</strong> Gefühlsmoment, auf<br />

<strong>das</strong> sie bauen, um zu erreichen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> französische Volk ihren<br />

Hauptwunsch unterstützt. Es ist der Wunsch, Deutschland für immer zu<br />

schwächen.<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung der französischen Industrie ist erst jüngeren Datums. Sie<br />

wurde anfänglich gebremst durch den Mangel an Kohle. Dann aber<br />

entwickelte sie sich aus demselben Gr<strong>und</strong>e wie die deutsche, setzte auch zur<br />

gleichen Zeit ein, nämlich um die Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, als die ersten<br />

Eisenbahnen gebaut wurden. Aber während Deutschland viel Kohle hatte,<br />

besaß Frankreich nur wenig. Abgesehen von den Bodenschätzen im<br />

Nordosten nahe der belgischen Grenze, gab es nur hier <strong>und</strong> dort im Lande<br />

kleinere Vorkommen.<br />

Unter diesen Umständen konnte keine konzentrierte Kohle verbrauchende<br />

Schwerindustrie entstehen, die Bedingungen wirkten vielmehr auf <strong>das</strong><br />

Entstehen vieler nicht sehr großer Unternehmen mehr lokaler Bedeutung hin,<br />

<strong>und</strong> zwar vor allem solcher Betriebe, die keinen großen Brennstoffbedarf<br />

hatten. Und <strong>das</strong> war dann auch die Form, in der die Industrie entstand.<br />

Frankreich wurde <strong>das</strong> typische Beispiel für ein Land mit einer weit gestreuten<br />

Industrie, während England, Deutschland <strong>und</strong> Amerika stark konzentrierte<br />

Industrien bekamen, die in der Nähe der Kohlevorkommen lagen.<br />

213


Frankreich besaß sehr viel Eisenerz in jenem Teil Lothringens, der dem Lande<br />

nach 1871 verblieb. Hier wurde immer mehr Erz gefördert, <strong>das</strong> aber exportiert<br />

werden musste, weil der zur Verarbeitung erforderliche Koks nicht zur<br />

Verfügung stand. 1913 war Frankreich der größte Eisenerzexporteur der Welt.<br />

Dadurch war es mit Hinblick auf die modernen Gr<strong>und</strong>industrien, im<br />

Vergleich zu England, Deutschland <strong>und</strong> Amerika, nur ein simpler<br />

Rohstofflieferant, eine einfache Kolonie. Durch den Friedensvertrag von 1919<br />

verdoppelte sich der französische <strong>Reich</strong>tum an Erzen. Sollte es sich nun<br />

trotzdem weiterhin auf die Rolle eines einfachen Rohstoffexporteurs<br />

beschränken? Oder würden seine Kapitalisten den einträglicheren Weg<br />

beschreiten <strong>und</strong> die Erze im Lande selbst zu Eisen verarbeiten? <strong>Die</strong><br />

Beantwortung dieser Frage hing vollkommen davon ab, welche Menge Kohle<br />

Frankreich zur Verfügung stand. Und diese Tatsache hatte zur Folge, <strong>das</strong>s<br />

eine neue imperialistische Welle über Europa hinwegfegte. <strong>Die</strong>ser neue<br />

Imperialismus führte wieder zur Wegnahme von Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden <strong>und</strong> zur<br />

Ausbeutung der dortigen Bodenschätze - oder wenigstens zu dem Versuch<br />

einer Ausbeutung - ohne jede Rücksicht auf den Willen der dort lebenden<br />

Menschen.<br />

Der Vertrag von Versailles hatte Frankreich die Kohlengruben der Saar<br />

gegeben. Aber <strong>das</strong> Saarland erzeugte nur 15 Prozent der Koksmengen, die<br />

Deutschland zur Aufarbeitung der lothringischen Erze verbrauchte. <strong>Die</strong><br />

Hauptmenge, etwa zwei <strong>Dritte</strong>l, kam von der Ruhr. Und diese Überlegung<br />

brachte die Herren der französischen Metallindustrie dazu, <strong>das</strong> Ruhrgebiet zu<br />

besetzen. Man braucht eben mehrere Tonnen Kohle um eine einzige Tonne<br />

Eisenerz zu verarbeiten. Es ist daher wirtschaftlicher, <strong>das</strong> Erz zur Kohle zu<br />

transportieren als umgekehrt. Das lothringische Erz war fast wertlos ohne den<br />

Koks der Ruhr. <strong>Die</strong> beiden Landstriche sind durch zahlreiche billige<br />

Transportwege, durch Straßen <strong>und</strong> Kanäle verb<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong> politische Grenze,<br />

die sie trennte, war ein Anachronismus. Für seinen Einmarsch ins Ruhrgebiet<br />

brachte Frankreich als Entschuldigung vor, es müsse Druck auf Deutschland<br />

ausüben, damit die Reparationen geleistet würden. Aber um die Besetzung<br />

dauerhaft zu machen, brauchte man offensichtlich eine dauerhaftere<br />

Begründung. Daher stammte dann der Plan, eine Rheinrepublik zu gründen,<br />

einen "unabhängigen" Pufferstaat, der in Wahrheit ebenso unabhängig von<br />

Frankreich gewesen wäre wie es die Republik Panama von den USA sein<br />

kann. Als Besitzer der lothringischen Erze <strong>und</strong> des Ruhrkokses wären dann<br />

die französischen Eisenindustriellen die wahren Sieger des großen Krieges<br />

gewesen.<br />

Der Plan ließ sich aber nicht verwirklichen. England <strong>und</strong> Amerika, die letzten<br />

B<strong>und</strong>esgenossen Frankreichs, waren nicht bereit, einen so großen Teil der<br />

Siegesbeute in die Hände der französischen Schwerindustrie übergehen zu<br />

lassen. Sie schritten ein <strong>und</strong> legten Deutschland jenes wirtschaftliche Joch<br />

214


auf, <strong>das</strong> als Dawesplan <strong>und</strong> Youngplan bekannt geworden ist. <strong>Die</strong>se Pläne<br />

sollten sicherstellen, <strong>das</strong>s Deutschland seinen Tribut an England <strong>und</strong> Amerika<br />

wie an Frankreich leistete, was aber gleichzeitig eine gewisse Ermutigung für<br />

die deutsche Industrie mit sich brachte. Von da an bestand die französische<br />

Politik darin, zu fordern, <strong>das</strong>s Deutschland bezahlen sollte "bis zum<br />

Weißbluten" <strong>und</strong> weiter in jeder denkbaren Art zu verhindern, <strong>das</strong>s es sich<br />

frei <strong>und</strong> in jeder Hinsicht wie ein unabhängiger Staat entwickeln konnte ...<br />

Um Deutschland in diesem Zustand der Schwäche zu erhalten, musste man es<br />

unter anderem mit deutschfeindlichen Staaten umgeben, die selber durch<br />

möglichst enge wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Bande mit Frankreich<br />

verb<strong>und</strong>en waren. An der Ostgrenze Deutschlands lag Polen, <strong>das</strong> weite<br />

Gebiete Vorkriegs-Deutschlands besetzt hatte; es wurde sehr bald<br />

französische Einflusssphäre. Frankreich schloss 1924 Verträge mit der<br />

Tschechoslowakei. 1927 mit Rumänien <strong>und</strong> Jugoslawien. Es bekämpfte heftig<br />

den Vorschlag einer Vereinigung Österreichs mit Deutschland <strong>und</strong> seine<br />

Finanziers haben seitdem aus Osterreich fast einen Vasallenstaat gemacht. So<br />

ist der Ring um Deutschland vollständig geschlossen <strong>und</strong> eine Kette von<br />

Bündnissen sichert die französische Herrschaft über den größten Teil<br />

Mitteleuropas von der Ostsee bis zur Adria.<br />

J.F. Horrabin fügt die, damals prophetischen, Worte hinzu:<br />

"Auch Belgien ist ein Glied der französischen Gruppe. Durch seine<br />

Kohlenvorkommen ist es sogar ein sehr bedeutendes Glied. Solange<br />

Europa aus einem halben Dutzend rivalisierender, ungefähr gleichstarker<br />

Mächte bestand, sicherte sich Belgien eine Art Unabhängigkeit, indem es<br />

eine permanente Neutralität wahrte. Aber wenn die wirtschaftliche<br />

Entwicklung, wie <strong>das</strong> heute der Fall ist, zur Vorherrschaft einer einzigen<br />

Macht geführt hat, ist ein Staat wie Belgien gezwungen, Satellit dieser<br />

Macht zu werden, besonders wenn es ihr unmittelbarer Nachbar ist."<br />

*<br />

<strong>Die</strong> Seeherrschaft... Wenn J. F. Horrabin seine Überlegungen heute fortsetzen<br />

müsste, dann hätte er nur zu zeigen:<br />

1. <strong>das</strong>s der Atlantik <strong>und</strong> der Pazifik dazu berufen sind, abwechselnd<br />

oder gemeinsam die Rolle zu spielen, die <strong>das</strong> Mittelmeer bis zum 15.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert spielte;<br />

2. <strong>das</strong>s die Nervenzentren dieser Herrschaft im Begriff sind, sich von<br />

London <strong>und</strong> Tokio (man muss berücksichtigen, <strong>das</strong>s Japan <strong>das</strong><br />

England des Fernen Ostens ist) nach Washington zu verlagern;<br />

215


3. <strong>das</strong>s Amerika in ein solches Stadium wirtschaftlicher Entwicklung<br />

getreten ist <strong>und</strong> eine solche Ausstrahlung erreicht hat, <strong>das</strong>s es im<br />

Begriff ist, England abzulösen;<br />

4. <strong>das</strong>s der Mittelpunkt kontinentaler Reaktionen von Paris oder Berlin<br />

nach Moskau wandert - da liegt die Gefahr für Europa.<br />

5. <strong>das</strong>s der Schwerpunkt der Welt nicht mehr europäisch sondern<br />

indoafrikanisch ist <strong>und</strong> sein <strong>Reich</strong> bilden wird indem es die Ketten<br />

des Kolonialismus, dessen Zeit vorbei ist, zerreißt.<br />

<strong>Die</strong>ses <strong>Reich</strong> <strong>und</strong> China werden die Begehrlichkeit der beiden Interessenten auf<br />

sich ziehen <strong>und</strong> dazu verurteilt sein, zwischen diesen beiden hin- <strong>und</strong><br />

herzuschwanken. Unter den augenblicklichen Verhältnissen neigen die jetzt zu<br />

Staats-, Volks- <strong>und</strong> Vaterlands-Bewusstsein gelangenden ehemaligen<br />

Kolonialvölker gefährlich zu Moskau - weil dieses neue Bewusstsein<br />

dummerweise von den alten "Mutterländern" bekämpft wird. Also ein doppeltes<br />

Problem: <strong>das</strong> des Schwerpunkts der Welt <strong>und</strong> des Schwerpunkts Europas - <strong>das</strong><br />

antike "Mitteleuropa". Wenn wir <strong>das</strong> erste Problem zur Vermeidung eines<br />

<strong>Dritte</strong>n Weltkriegs lösen wollen, müssen wir offenbar zuerst dringend <strong>das</strong><br />

zweite, <strong>das</strong> Problem Europa, lösen.<br />

*<br />

Hier gestatte ich mir noch einmal, den Text eines anderen Historikers, diesmal<br />

des Franzosen Leon Emery anzuführen, der zwischen den beiden Kriegen die<br />

berühmten 'Feuilles libres' 114 herausgab, eine pazifistische Zeitschrift, deren<br />

Gr<strong>und</strong>sätze, obwohl mehr historisch als wirtschaftspolitisch, sich mit denen von<br />

J. F. Horrabin decken. Leon Emery sagt am 1. Oktober 1951 in "Les Cahiers<br />

Libres":<br />

________________<br />

114 Er veröffentlicht jetzt die "Cahiers Libres" in Nimes.<br />

"Es scheint, <strong>das</strong>s Europa seit mehreren Jahrh<strong>und</strong>erten die Neigung hat, <strong>das</strong><br />

Bild eines dreifach gegliederten Raumes zu zeigen. Im Westen, an den<br />

Ufern des Atlantik, muss eine Seemacht sein, die die Verbindung mit den<br />

anderen Kontinenten bildet; östlich an sie angrenzend sieht man eine<br />

Festlandsmacht entstehen, sterben <strong>und</strong> wiederauferstehen, die zwischen<br />

dem Tiber <strong>und</strong> Flandern, zwischen der Seine <strong>und</strong> der Elbe ihr<br />

Gleichgewicht sucht; endlich, noch weiter nach Osten, stößt sie an einen<br />

eurasiatischen, weiten <strong>und</strong> verwirrten Staat, der genau genommen nicht zu<br />

Europa gehört, da er an dessen entscheidenden kulturellen Erfahrungen<br />

nicht teilgenommen hat <strong>und</strong> in seinem tiefsten Innern <strong>das</strong> Wesen unserer<br />

Tradition nicht versteht. Da die Geschichte Napoleons I. allen bekannt ist,<br />

216


kann ich mich hier kurz fassen. Man weiß, wie er ein Imperium gründete,<br />

in dem durch Eroberung eingegliederte Satelliten-Staaten einen Gürtel um<br />

Frankreich bildeten, <strong>und</strong> wie es schließlich durch den zweifachen<br />

Widerstand des britischen Meeres <strong>und</strong> der russischen Steppe besiegt wurde.<br />

Dicht bei uns konnte <strong>das</strong> (geschickt durch begrenzte Kriege der Welt<br />

abgetrotzte) <strong>Reich</strong> Bismarcks entstehen, <strong>das</strong> sich rühmte, den Schwerpunkt<br />

Europas von Paris nach Berlin verlagert zu haben, es konnte solange<br />

Bestand haben <strong>und</strong> sogar eine Schiedsrichterrolle beanspruchen, als es<br />

Reibungen mit Russland <strong>und</strong> England sorgfältig vermied. Sobald aber <strong>das</strong><br />

wilhelminische Deutschland sich in die große maritime <strong>und</strong> koloniale<br />

Konkurrenz stürzen wollte, brachte es dieselbe Konstellation zum<br />

Wiederaufleben, die <strong>das</strong> Werk Napoleons zerstört hatte, <strong>und</strong> unterlag<br />

seinerseits. Hitlers Versuch machte durch die Wiederholung der Ereignisse<br />

<strong>und</strong> ihrer schicksalsbedingten Folgen einen wahrhaft sinnverwirrenden<br />

Eindruck. Seine historische Bedeutung ergibt sich aus der Tatsache, <strong>das</strong>s<br />

Hitler gegen die Schicksalsschläge, die er hartnäckig nicht als durch tiefe<br />

Ursachen bedingt, sondern aus Verrat <strong>und</strong> Unerfahrenheit erklärte,<br />

Berufung einlegen wollte. Er wollte ein W<strong>und</strong>er des Willens vollbringen,<br />

er wollte die Menschen, die Dinge <strong>und</strong> den Rhythmus der Zeit<br />

vergewaltigen; auch er schuf durch Intrige, Diplomatie <strong>und</strong> Eroberung für<br />

einige Monate ein <strong>Reich</strong> im Schwerpunkt der Ereignisse, <strong>das</strong> sich vom<br />

Atlantik bis zur Wolga erstreckte. Aber nachdem er geschworen hatte, er<br />

würde nicht in die Irrtümer seiner Vorgänger verfallen, konnte er nicht<br />

verhindern, zwischen die beiden Backen des Schraubstocks zu kommen<br />

<strong>und</strong> von ihnen zerquetscht zu werden. Sind wir also Zuschauer bei einer<br />

Tragödie im Stile des Aeschylos?"<br />

<strong>Die</strong> tiefen Ursachen, von denen Leon Emery spricht, legt J. F. Horrabin offen.<br />

<strong>Die</strong>se Tragödie des Aeschylos, die er auf Europa überträgt, ist auf die ganze<br />

Erde übertragen, die Geschichte der Völkerwanderungen <strong>und</strong> der<br />

Verschiebungen der Zivilisationszentren. Es ist <strong>das</strong> immer wieder<br />

heraufbeschworene <strong>und</strong> immer dunkel bleibende Problem der Invasionen, die<br />

früher ungeordnet erfolgten, heute nach Abstimmung <strong>und</strong> nach einer minutiös<br />

ausgearbeiteten Technik stattfinden, von Brückenköpfen ausgehend, die Staaten<br />

oder einheitlich organisierte Staatengruppen sind.<br />

So lässt sich <strong>das</strong> Problem des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts von den kriegerischen Pfaden des<br />

Gottes Mars lösen <strong>und</strong> durch die beiden nebeneinander gestellten Texte von J. F.<br />

Horrabin <strong>und</strong> Leon Emery umschreiben. Es kann danach zurückgeführt werden<br />

auf <strong>das</strong> Suchen nach einer Wirtschaftsstruktur <strong>und</strong> nach einer Politik der<br />

menschlichen Wanderungen, die geeignet sind, die große slawische Wanderung<br />

der Gegenwart zu neutralisieren <strong>und</strong> morgen vielleicht die große Wanderung der<br />

Gelben, die sich schon drohend abzeichnet.<br />

217


Daraus erkennt man, <strong>das</strong>s die Lösung des wahren Problems recht fern <strong>und</strong><br />

gleichzeitig über den kleinen Kombinationen von Versailles <strong>und</strong> erst recht über<br />

der makabren Parodie einer Rechtsprechung in Nürnberg liegt.<br />

218


ANHANG<br />

Anlage 1 - EINGABE DER GESAMTVERTEIDIGUNG AN DAS<br />

INTERNATIONALE MILITÄRTRIBUNAL IN NÜRNBERG,<br />

19. NOVEMBER 1945 115<br />

Zwei furchtbare Weltkriege <strong>und</strong> die gewaltsamen Zusammenstöße, durch die der<br />

Frieden unter den Staaten in der Zeit zwischen diesen großen erdumspannenden<br />

Konflikten verletzt worden ist, haben in den gepeinigten Völkern diese<br />

Erkenntnis reifen lassen: Eine wirkliche Ordnung zwischen den Staaten ist nicht<br />

möglich, solange jeder Staat kraft seiner Souveränität <strong>das</strong> Recht hat, zu jeder<br />

Zeit <strong>und</strong> zu jedem Zweck Krieg zu führen. <strong>Die</strong> öffentliche Meinung der Welt hat<br />

es in den letzten Jahrzehnten immer schärfer abgelehnt, <strong>das</strong>s der Entschluss zur<br />

Führung eines Krieges jenseits von Gut <strong>und</strong> Böse stehe. Sie unterscheidet<br />

zwischen gerechten <strong>und</strong> ungerechten Kriegen <strong>und</strong> verlangt, <strong>das</strong>s die<br />

Staatengemeinschaft den Staat, der einen ungerechten Krieg führt, zur<br />

Rechenschaft zieht <strong>und</strong> ihm, wenn er siegen sollte, die Früchte seiner Gewalttat<br />

versagt. Ja, es wird gefordert, <strong>das</strong>s nicht nur der schuldige Staat verurteilt <strong>und</strong><br />

haftbar gemacht wird, sondern darüber hinaus, <strong>das</strong>s die Männer, die an der<br />

Entfesselung des ungerechten Krieges schuldig sind, von einem internationalen<br />

Gericht zur Strafe verurteilt werden. Darin geht man jetzt weiter als selbst die<br />

strengsten Rechtsdenker seit dem frühen Mittelalter. <strong>Die</strong>ser Gedanke liegt der<br />

ersten der drei Anklagen zugr<strong>und</strong>e, die in diesem Prozess erhoben worden ist,<br />

nämlich der Anklage wegen Verbrechen wider den Frieden. <strong>Die</strong> Menschheit<br />

will, <strong>das</strong>s dieser Gedanke in Zukunft mehr als eine Forderung, <strong>das</strong>s er geltendes<br />

Völkerrecht ist.<br />

________________<br />

115 Das Gericht hat diesen Antrag am 21. November 1945 verworfen mit der Begründung, <strong>das</strong>s er die Zuständigkeit<br />

des Gerichts in Frage stelle <strong>und</strong> sich damit in Widerspruch zu Artikel 3 des Statuts befinde.<br />

Aber heute ist er noch nicht geltendes Völkerrecht. Weder die Satzung des<br />

Völkerb<strong>und</strong>es, dieser Weltorganisation gegen den Krieg, noch der Kellogg-<br />

Briand-Pakt, noch irgendein anderer Vertrag, der nach 1918 in jener ersten<br />

Welle der Versuche, den Angriffskrieg zu ächten, geschlossen worden ist, hat<br />

diesen Gedanken verwirklicht. Vor allem aber ist die Praxis des Völkerb<strong>und</strong>es<br />

bis in die allerjüngste Zeit in diesem Punkt ganz eindeutig. Er hatte mehrfach<br />

über Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit des gewaltsamen Vorgehens eines<br />

B<strong>und</strong>esmitgliedes gegen ein anderes zu entscheiden. Aber er hat stets <strong>das</strong><br />

gewaltsame Vorgehen nur als Verstoß des Staates gegen <strong>das</strong> Völkerrecht<br />

219


verurteilt, <strong>und</strong> nie auch nur daran gedacht, Staatsmänner, Generale <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsführer des gewaltübenden Staates zu beschuldigen, geschweige denn<br />

vor ein internationales Strafgericht zu stellen. Und als in diesem Sommer in San<br />

Francisco die neue Weltfriedensorganisation errichtet wurde, hat man keinen<br />

Rechtssatz geschaffen, nach dem in Zukunft ein internationales Gericht die<br />

Männer, die einen ungerechten Krieg auslösen, zu Strafe verurteilen werde. Der<br />

jetzige Prozess kann sich deshalb, soweit er Verbrechen wider den Frieden<br />

ahnden soll, nicht auf geltendes Völkerrecht stützen, sondern ist ein Verfahren<br />

auf Gr<strong>und</strong> eines neuen Strafgesetzes, eines Strafgesetzes, <strong>das</strong> erst nach der Tat<br />

geschaffen wurde. <strong>Die</strong>s widerstrebt einem in der Welt geheiligten Gr<strong>und</strong>satz der<br />

Rechtspflege, dessen teilweise Verletzung im Hitler-Deutschland außerhalb <strong>und</strong><br />

innerhalb des <strong>Reich</strong>es erregt missbilligt worden ist. Es ist der Satz: Bestraft<br />

werden darf nur, wer gegen ein zur Zeit seiner Tat bereits bestehendes Gesetz<br />

verstoßen hat, <strong>das</strong> ihm Strafe androht. <strong>Die</strong>ser Satz gehört zu den großen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen der Staatsordnung gerade der Signatarstaaten des Statuts für diesen<br />

Gerichtshof, nämlich Englands seit dem Mittelalter, der Vereinigten Staaten von<br />

Amerika seit ihrer Geburt, Frankreichs seit seiner großen Revolution, <strong>und</strong> der<br />

Sowjetunion. Und als jüngst der Kontrollrat für Deutschland ein Gesetz erließ,<br />

<strong>das</strong> die Rückkehr zu einer gerechten deutschen Rechtspflege sichern soll,<br />

verfügte er in erster Linie die Wiederherstellung des Satzes: Keine Strafe ohne<br />

ein Strafgesetz, <strong>das</strong> zur Zeit der Tat schon galt. <strong>Die</strong>ser Satz ist eben nicht eine<br />

Zweckmäßigkeitsvorschrift, sondern entspringt der Einsicht, <strong>das</strong>s sich jeder<br />

Angeklagte ungerecht behandelt fühlen muss, wenn er nach einem nachträglich<br />

geschaffenen Gesetz bestraft wird.<br />

<strong>Die</strong> Verteidiger aller anwesenden Angeklagten würden ihre Pflicht verletzen,<br />

wenn sie <strong>das</strong> Verlassen des geltenden Völkerrechts <strong>und</strong> die Zurücksetzung eines<br />

allgemein anerkannten Gr<strong>und</strong>satzes der modernen Strafrechtspflege schweigend<br />

hinnähmen <strong>und</strong> Bedenken unterdrückten, die heute auch außerhalb Deutschlands<br />

offen ausgesprochen werden. <strong>Die</strong>s umso mehr, als die Verteidigung einhellig<br />

überzeugt ist, <strong>das</strong>s dieser Prozess auch dann, ja gerade dann in hohem Maße<br />

dem Fortschritt der Weltordnung dienen könnte, wenn er sich nicht vom<br />

geltenden Völkerrecht entfernt. Er müsste sich eben dort, wo wegen Taten<br />

angeklagt wird, die zu ihrer Zeit nicht unter Strafandrohung standen, darauf<br />

beschränken, umfassend zu untersuchen <strong>und</strong> dann festzustellen, was geschehen<br />

ist, wobei die Verteidigung mit allen Kräften als echter Gehilfe des Gerichtes<br />

mitarbeiten wird. <strong>Die</strong> Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft müssten dann unter<br />

der Wucht dieser richterlichen Feststellung in rechtsschöpferischer<br />

Vereinbarung die Männer, die in Zukunft schuldhaft einen ungerechten Krieg<br />

beginnen, mit der Bestrafung durch ein internationales Gericht bedrohen.<br />

<strong>Die</strong> Verteidigung ist weiter der Anschauung, <strong>das</strong>s auch andere Normen<br />

strafrechtlichen Inhalts in dem Statut den Rechtsgr<strong>und</strong>satz: "Nulla poena sine<br />

lege" gegen sich haben.<br />

220


<strong>Die</strong> Verteidigung ist schließlich verpflichtet, schon jetzt auf eine andere Eigenart<br />

dieses Prozesses hinzuweisen, mit der er von allgemein anerkannten<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen der modernen Strafrechtspflege abweicht: <strong>Die</strong> Richter sind nur von<br />

Staaten bestellt, die in diesem Krieg die eine Partei gewesen sind. <strong>Die</strong>se eine<br />

Streitpartei ist alles in einem: Schöpfer der Gerichtsverfassung <strong>und</strong> der<br />

Strafrechtsnormen, Ankläger <strong>und</strong> Richter. Dass dies nicht so sein dürfte, war<br />

bisher gemeine Rechtsüberzeugung, wie denn auch die Vereinigten Staaten von<br />

Amerika als Vorkämpfer für die Einrichtung einer internationalen<br />

Schiedsgerichtsbarkeit <strong>und</strong> Gerichtsbarkeit stets verlangt haben, <strong>das</strong>s die<br />

Richterbank mit Neutralen unter Zuziehung von Vertretern aller Streitparteien<br />

besetzt werde. Im Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag ist dieser<br />

Gedanke in beispielgebender Weise verwirklicht worden.<br />

Im Hinblick auf die Vielfalt <strong>und</strong> die Schwierigkeit dieser Rechtsfragen stellt die<br />

Verteidigung den Antrag:<br />

Der Gerichtshof möge von international anerkannten Völkerrechtsgelehrten<br />

Gutachten über die rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen dieses auf dem Statut des<br />

Gerichtshofes beruhenden Prozesses einholen.<br />

gez. Dr. Sthamer<br />

Anlage 2 - ZUM "DOKUMENT GERSTEIN"<br />

"Aus dem dritten Vernichtungslager, von dem hier die Rede war (während<br />

der Sitzung des Eichmann-Prozesses vom 6. Juni) <strong>und</strong> zwar aus Belzec,<br />

zwischen Lublin <strong>und</strong> Lemberg gelegen, hat nur ein Mensch <strong>das</strong> Ende des<br />

Krieges erlebt - <strong>und</strong> auch dieser ist seitdem gestorben. Der Ankläger stützt<br />

sich auf eine Reihe von Aussagen, die von Kurt Gerstein, Leutnant 116 des<br />

Sanitätsdienstes der Waffen SS vor alliierten Offizieren gemacht wurden.<br />

Gerstein erhängte sich dann in einem Militärgefängnis in Paris. Er war von<br />

Eichmann beauftragt worden, schneller wirkende Gifte zu untersuchen."<br />

("Le Figaro" vom 7. Juni 1961)<br />

________________<br />

116 Der Journalist irrt sich hier im <strong>Die</strong>nstgrad.<br />

In den allerersten Tagen des Monats Mai 1945 (meines Wissens wurde <strong>das</strong><br />

genaue Datum nie bekannt gegeben) besetzten französische Truppen die<br />

Ortschaft Rottweil (Württemberg) <strong>und</strong> nahmen dabei einen gewissen Kurt<br />

Gerstein gefangen: er trug die SS-Uniform mit dem Totenkopf <strong>und</strong> auf der<br />

Uniform die Rangabzeichen eines Obersturmführers. Das war sicher der Gr<strong>und</strong> -<br />

obwohl wir nicht so kühn sein möchten, <strong>das</strong> zu behaupten - warum man ihn<br />

nicht wie die Masse der anderen Offiziere behandelte, sondern ihn nach Paris<br />

transportierte, wo er im "Cherche Midi"-Gefängnis eingesperrt wurde. Eines<br />

Morgens im Juli 1945 wurde er dann tot in seiner Zelle gef<strong>und</strong>en: er hatte<br />

221


während der Nacht Selbstmord verübt. An welchem Morgen wurde er gef<strong>und</strong>en?<br />

Auch <strong>das</strong> wurde nie mitgeteilt (soviel ich weiß) <strong>und</strong> ebenso wenig, wie er sich<br />

umgebracht hatte, übrigens scheint damals kein Mensch irgendwo die Tatsache<br />

bekannt gegeben zu haben, <strong>das</strong>s dieser Gefangene gestorben war.<br />

Erst am 30. Januar 1946 waren einige bedeutende Persönlichkeiten indiskret<br />

genug, den M<strong>und</strong> aufzutun. Der erste <strong>und</strong> bekannteste war Herr Dubost,<br />

französischer Ankläger beim Nürnberger Gericht: in den Akten der<br />

amerikanischen Abordnung hatte er eine Anzahl Rechnungen gef<strong>und</strong>en über von<br />

der Degesch-Gesellschaft, Frankfurt am Main an die Konzentrationslager<br />

Auschwitz <strong>und</strong> Oranienburg geliefertes Zyklon B; diese Rechnungen waren als<br />

Anlage einem Bericht in französischer Sprache beigefügt, der von Kurt Gerstein<br />

unterschrieben <strong>und</strong> "Rottweil, den 4. Mai 1945" datiert war. <strong>Die</strong> Franzosen, die<br />

den Mann fanden, hatten also offenbar mit ihrem sechsten Sinn festgestellt, <strong>das</strong>s<br />

es sich um einen sehr wichtigen Mann handelte; Beweise dafür aber hatten sie<br />

nicht gef<strong>und</strong>en; im Gegensatz zu einem damals weit verbreiteten Brauch trug<br />

der Mann sie nicht bei sich.<br />

Es ist nie bekannt geworden, wie die Amerikaner die Unterlagen aufgespürt<br />

haben <strong>und</strong> jetzt wird es wohl niemals mehr herauskommen. <strong>Die</strong> Amerikaner<br />

übrigens waren sich der Bedeutung dieser Dokumente gar nicht bewusst<br />

geworden <strong>und</strong> sie hatten auch nicht daran gedacht, sie dem Gericht als<br />

Belastungsmaterial vorzulegen.<br />

Aber glücklicherweise war Herr Dubost zur Stelle: am 30. Januar 1946 zog er<br />

die Unterlagen aus seiner Tasche hervor <strong>und</strong> legte sie dem Gericht vor; sie<br />

erhielten <strong>das</strong> Aktenzeichen PS 1553 - R.F. 350. Sehen wir, was dann geschah ...<br />

*<br />

Aber zuerst: wer war Kurt Gerstein?<br />

Auf diese erste Frage enthalten die 42 Protokollbände des Nürnberger Prozesses<br />

keine Antwort: aus Gründen, die der Leser bald verstehen wird, wollte <strong>das</strong><br />

Gericht weder von Kurt Gerstein noch von dessen Bericht etwas hören: von dem<br />

ganzen Stoß Unterlagen, den Herr Dubost vorlegte, erkannte <strong>das</strong> Gericht nur<br />

zwei Rechnungen vom 30. April 1944 an, aus denen hervorging, <strong>das</strong>s nach<br />

Auschwitz <strong>und</strong> Oranienburg je 555 Kilogramm Zyklon B geliefert worden sei.<br />

Das hinderte die Zeitungen der Welt keineswegs daran, den vom Gericht<br />

abgelehnten Bericht des Kurt Gerstein, am Tag nach der Ablehnung, am 31.<br />

Januar 1946, ihren Lesern vorzulegen. Natürlich jedes Blatt nach seiner Art ohne<br />

mit den Wimpern zu zucken, <strong>und</strong> natürlich in einer solchen Form, <strong>das</strong>s keinem<br />

Menschen Zweifel an der Echtheit des Dokumentes kommen konnten - auch so,<br />

<strong>das</strong>s niemand daran zweifeln konnte, es sei vom Gericht akzeptiert worden <strong>und</strong><br />

würde als Belastungsmaterial Verwendung finden.<br />

222


Seit dieser "Presseoffensive" also seit über fünfzehn Jahren - wird dieses<br />

Dokument von jenen eminenten Historikern, die jetzt den Eichmann-Prozess<br />

gewinnbringend verarbeiten, ausgebeutet - jeder verdient eben sein Brot wie er<br />

es am besten kann. - Ich meine vor allem jene großen Geschichtsforscher, die<br />

aus der Höheren Lehrerbildungsanstalt der Rue de la Liberation (Gründer Pater<br />

Loriquet) hervorgegangen sind: M. Poliakov ("Le Breviaire de la Haine" - "<strong>das</strong><br />

Brevier des Hasses" heißt sein Buch; welch ansprechender Titel) <strong>und</strong> einige<br />

andere wie die Deutschen (die sicher die richtige politische Farbe haben) H.<br />

Krausnick ("Dokumentation über die Vergasungen"), J. H. Heydecker <strong>und</strong> J.<br />

Leeb ("Der Nürnberger Prozess"), Gerhardt Schoenberner ("Der gelbe Stern")<br />

usw., usw. ... Man möge es mir nicht übel nehmen, aber ich habe nur die<br />

aufgeführten Bücher gelesen - man kann nicht alle Bücher lesen <strong>und</strong> sicher nicht<br />

alle Bücher dieser Art!<br />

Und wenn die Presse sich so etwa ein Jahr lang mit dem Eichmannprozess<br />

beschäftigt hat, dann treten alle großen Historiker jener Schule wieder mit einem<br />

Werk ins Rampenlicht der Publizistik, wie der Bodensatz in den Weinfässern<br />

auch erst nach einiger Zeit ans Licht tritt. Das gelingt jetzt nicht mehr so leicht,<br />

denn wir schreiben nicht mehr 1946 <strong>und</strong> die öffentliche Meinung ist<br />

erfreulicherweise etwas anspruchsvoller geworden. Also aus den<br />

Veröffentlichungen dieser brillanten Historiker kann man entnehmen, <strong>das</strong>s Kurt<br />

Gerstein chemische Technologie studiert hatte. 1938 hatte er<br />

Unannehmlichkeiten mit der Gestapo <strong>und</strong> wurde im KZ Welzheim interniert. Es<br />

ist nicht bekannt, wie es ihm gelang, wieder herauszukommen. Wie dem auch<br />

sei, 1941 finden wir ihn bei der SS (er hat sich dazu gemeldet, wie er erklärt, um<br />

<strong>das</strong> Vernichtungswerk von innen her zu sabotieren), <strong>und</strong> 1942 bei der Waffen<br />

SS als Obersturmführer im Hauptamt der Sanitätsdienste bei der Abteilung<br />

Entwesung <strong>und</strong> Entseuchung. Hier war es seine Aufgabe, die Zyklon B-<br />

Anforderungen zu bearbeiten. <strong>Die</strong>ses Produkt wurde von der <strong>Reich</strong>swehr schon<br />

seit 1924 als Desinfektionsmittel verwendet - <strong>und</strong> dann auch von der<br />

Wehrmacht, beide hatten eben noch nicht den Vorzug, <strong>das</strong> amerikanische Mittel<br />

DDT zu kennen.<br />

<strong>Die</strong>se Anforderungen schickte er dann, zusammen mit den entsprechenden<br />

Aufträgen an die Degesch-Gesellschaft, Frankfurt am Main oder an deren<br />

Tochterunternehmen, die "Testa" in Hamburg. Und natürlich erhielt er dann<br />

auch die Rechnungen.<br />

<strong>Die</strong> Tatsachen, die er erzählt - oder um es genauer zu sagen, die Tatsachen, die<br />

der ihm zugeschriebene Bericht erzählt 117 - sind vom Jahre 1942 datiert.<br />

Kurz: am 8. Juni 1942 erhielt er in seinem Büro den Besuch des SS-<br />

Sturmführers Günther, der erklärte, dringend 100 Kilogramm Zyklon B zu<br />

benötigen, die er an einen Ort transportieren müsste, den nur der Chauffeur des<br />

Lastkraftwagens erfahren dürfte. Einige Wochen später erscheint Günther mit<br />

dem betreffenden LKW-Fahrer; die 100 Kilogramm Zyklon B <strong>und</strong> Gerstein<br />

223


werden eingeladen <strong>und</strong> man fährt los. Zuerst nach Prag, von dort nach Lublin,<br />

wo man am 17. August eintrifft. Am gleichen Tage begegnen sie Gruppenführer<br />

Globocnik, der die <strong>Juden</strong> des Warthegaues vernichten soll <strong>und</strong> dazu noch kein<br />

geeigneteres Mittel gef<strong>und</strong>en hatte als die Auspuffgase von <strong>Die</strong>selmotoren.<br />

________________<br />

117 <strong>Die</strong>se Erzählung wurde von Herrn Dubost unter den oben beschriebenen Umständen <strong>und</strong> erst nach dem Tode des<br />

Gerstein gef<strong>und</strong>en. Und noch verwirrender ist die Tatsache, <strong>das</strong>s die Geschichte von einem Deutschen in Rottweil<br />

(Deutschland) in französischer Sprache niedergeschrieben sein soll. Wenn er sie im Pariser Gefängnis Cherche-Midi<br />

französisch geschrieben hätte, so hätte man dafür zur Not noch eine Erklärung finden können. Aber in Deutschland! Er<br />

muss wirklich ein großer Franzosenfre<strong>und</strong> gewesen sein, jener totenkopfgeschmückte SS-Obersturmführer.<br />

<strong>Die</strong>se Gase leitete er dann in eigens zu diesem Zweck eingerichtete Kammern.<br />

Der Gruppenführer, der ein vernünftiger Mann ist, beginnt natürlich damit, <strong>das</strong>s<br />

er alles erzählt. In seinem Gebiet gäbe es drei Anlagen, in denen <strong>Juden</strong> durch<br />

<strong>Die</strong>selauspuffgase vernichtet würden: zunächst Belzec (zwischen Lublin <strong>und</strong><br />

Lemberg) mit einer Tageskapazität von 15.000 Menschen; Sobidor (er weiß<br />

nicht genau, wo der Ort liegt) mit einer Tageskapazität von 20.000 Personen;<br />

<strong>und</strong> schließlich Treblinka (120 Kilometer nordnordöstlich von Warschau) ohne<br />

Angabe der Kapazität laut Herrn Poliakov, aber die Herren Heydecker <strong>und</strong> Loeb<br />

teilen mit, <strong>das</strong>s es 20.000 Menschen am Tage wären. (<strong>Die</strong>ses kuriose Dokument<br />

sagt nämlich dem einen Leser etwas anderes als dem anderen!) Eine vierte<br />

Anlage, Maidanek, sei geplant, aber es werden von keinem der Berichter<br />

irgendwelche Angaben über ihre Lage oder ihre voraussichtliche Kapazität<br />

gemacht.<br />

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, <strong>das</strong>s in der deutschen Ausgabe des<br />

Buches "Der gelbe Stern" von Herrn Gerhardt Schoenberner, der<br />

obenbesprochene Teil des Dokuments gar nicht enthalten ist; sicher handelt es<br />

sich um eine neue historische Methode. Immerhin erwähnt Herr Gerhardt<br />

Schoenberner die Namen der vier obengenanten Orte, um Gerstein dann erklären<br />

zu lassen, <strong>das</strong>s die Tageskapazität aller Anlagen zusammen 9000 Personen wäre<br />

(!).<br />

Aus dem "Brevier des Hasses" ("Breviaire de la Haine") des Herrn Poliakov<br />

sowie aus der "Dokumentation über die Vergasungen" ("Documentation sur<br />

l'extermination par les gaz") von Herrn Krausnick, kann man weiter noch<br />

entnehmen, <strong>das</strong>s Hitler mit Himmler zwei Tage vorher, am 15. August 1942, in<br />

Lublin gewesen sei <strong>und</strong> <strong>das</strong>s beide "ihm befohlen hätten, die ganze Aktion zu<br />

beschleunigen". Aber dieser Teil des Dokuments fehlt wieder in Schoenberners<br />

"gelbem Stern" wie auch in Heydecker <strong>und</strong> Leebs "Nürnberger Prozess".<br />

Schließlich, wie allerdings nur die beiden letztgenannten Autoren zu berichten<br />

wissen - informiert Globocnik Kurt Gerstein über seine Aufgabe: er soll dafür<br />

sorgen, <strong>das</strong>s die Gaskammern besser funktionieren, hauptsächlich durch den<br />

224


Einsatz eines giftigeren Gases <strong>und</strong> durch eine Vereinfachung der<br />

Anwendungsmethoden.<br />

Nachdem er nun also mitgeteilt hat, was ihm erzählt wurde, erzählt Gerstein,<br />

was er gesehen hat. Beim Eintreffen in Belzec am 18. August 1942 hat Herr<br />

Kurt Gerstein zuerst ein Lager besichtigt unter Führung eines Mannes, den<br />

Globocnik ihm dazu zur Verfügung stellt. Herr Poliakov hat den Namen dieses<br />

Mannes nicht lesen können. Aber mit etwas Mühe glaubte er dann doch, "Wirth"<br />

entziffern zu können. Herr Schoenberner hatte mehr Glück als Poliakov <strong>und</strong><br />

konnte deutlich "SS-Hauptsturmführer Obermeyer aus Pinnasens" lesen - sein<br />

Pech ist nur, <strong>das</strong>s, wenn er von einem SS-Führer Wirth spricht, der nicht<br />

identisch ist mit dem des Herrn Poliakov, er ihn als "Hauptmann" bezeichnet,<br />

einen <strong>Die</strong>nstgrad, den es bei der SS nie gegeben hat.<br />

Wie dem auch sei, während dieses Besuches hat er Gaskammern gesehen, die<br />

mit <strong>Die</strong>selauspuffgasen betrieben wurden <strong>und</strong> hat sie gemessen: 5x5 = 25<br />

Quadratmeter Fläche bei einer Höhe von 1,90m = 45 Kubikmeter, kalkuliert er;<br />

die 2,5 Kubikmeter um die er sich verrechnet, kann man ihm nachsehen. <strong>Die</strong><br />

Herren Krausnick, Heydecker, Leeb <strong>und</strong> Schoenberner haben übrigens auch<br />

nachts dazu gesagt. Aber Herr Poliakov, dem der Anschein der Wahrheit am<br />

Herzen lag, hat <strong>das</strong> Dokument berichtigt <strong>und</strong> hat die Fläche auf 93 Quadratmeter<br />

geschätzt (nach der französischen Ausgabe seines Buches "Le Breviaire de la<br />

Haine", S. 223 der 2. Auflage - ich habe die erste Auflage nicht gelesen) Herr<br />

Poliakov gibt weiter keine Einzelheiten - <strong>das</strong> ist auch vorsichtiger!<br />

Poliakov hatte recht, <strong>das</strong>s er dieses Dokument berichtigte. Anschließend erzählt<br />

Kurt Gerstein nämlich, <strong>das</strong>s er am nächsten Tag, am 19. August, die<br />

Gaskammern - vier! sagen die einen, zehn! protestieren die andern - in Betrieb<br />

gesehen habe: In den frühen Morgenst<strong>und</strong>en trifft ein Zug mit 6700 <strong>Juden</strong> in<br />

Belzec ein (6000 hat Herr Poliakov gelesen), Männern, Frauen <strong>und</strong> Kindern,<br />

etwa 45 Waggons, (also zwischen 148 <strong>und</strong> 150 Menschen per Waggon, <strong>und</strong> wer<br />

die polnischen Güterwagen kennt, wird zugeben, <strong>das</strong>s es <strong>das</strong> richtige Maß ist).<br />

Der Zug kommt aus Lemberg, <strong>das</strong> Lager Belzec liegt am Bahnhof ...<br />

Zweih<strong>und</strong>ert Ukrainer, Lederpeitschen in der Hand, stürzen sich auf die<br />

Wagenschläge, reißen sie herunter (!) <strong>und</strong> lassen alle aussteigen, was andere<br />

Ukrainer, mit geladenem Karabiner in der Hand, überwachen ... Der 'SS-<br />

Hauptmann' Wirth leitet die Angelegenheit, unterstützt von einigen SS-Männern<br />

... <strong>Die</strong> Angekommenen müssen sich ganz ausziehen, ihre Wertsachen abgeben,<br />

sich die Haare schneiden lassen <strong>und</strong> werden dann zu den Gaskammern geführt.<br />

<strong>Die</strong> Kammern füllen sich. Mehr zusammendrängen hat 'Hauptmann' Wirth<br />

befohlen. <strong>Die</strong> Leute stehen auf den Zehenspitzen: 700-800 auf 25 Quadratmeter<br />

Raum. <strong>Die</strong> SS stopft soviel hinein wie sie nur kann. <strong>Die</strong> Türen schließen sich -<br />

so berichtet Herr Schoenberner in seinem Buch "Der gelbe Stern", aber die<br />

anderen sagen praktisch <strong>das</strong>selbe, wenn sie auch einen anderen Stil anwenden.<br />

Nur Poliakov bleibt bei seiner Fläche von 93 Quadratmetern.<br />

225


In einer Hinsicht allerdings sind alle sich einig: über die Dauer, die Gerstein mit<br />

der Stoppuhr gemessen hat; erst hätten die 700-800 in den Gaskammern<br />

zusammengepferchten Menschen zwei St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> 49 Minuten warten müssen,<br />

bis es dem <strong>Die</strong>selmotor beliebte, anzulaufen, dann dauerte es noch 32 Minuten<br />

bis alle tot waren. Ich wiederhole, mit der Stoppuhr gemessen ...<br />

Und am 30. Januar 1946 verlangte Herr Dubost vom Internationalen<br />

Gerichtshof, <strong>das</strong>s er diese grausig-phantastische Geschichte als wahr anerkannte.<br />

Herr Dubost war nicht der erste beste: er war Ankläger <strong>und</strong> zweifelsohne ein<br />

bekannter Ankläger, denn er wurde aus seinen Konfratern ausgewählt um<br />

Frankreich in Nürnberg zu vertreten.<br />

Der Gerichtshof hat ihm den Gefallen nicht getan - wir wollen dem Kaiser<br />

geben, was des Kaisers ist ... wobei wir allerdings hervorheben wollen, <strong>das</strong>s es<br />

sich hier wirklich um einen recht starken Tabak gehandelt haben muss, denn<br />

derselbe Gerichtshof hat aus anderen Anlässen <strong>und</strong> anscheinend ohne mit der<br />

Wimper zu zucken noch ganz andere Brocken dieser Art geschluckt.<br />

Wobei natürlich, wie gesagt, die Tatsachen der Ablehnung seitens des Gerichts,<br />

die Presse nicht davon hat abhalten können, Kurt Gersteins Geschichte voller<br />

W<strong>und</strong>er schon am 31. Januar 1946 als einen unwiderlegbaren Tatsachenbericht<br />

zu servieren.<br />

Noch in unseren Tagen - fünfzehn Jahre später! - gibt es Männer, die sich selbst<br />

Historiker nennen <strong>und</strong> die es wagen, diese Angelegenheit in ihren Büchern als<br />

echt <strong>und</strong> unumstritten anzuführen, ohne dabei die Hochachtung <strong>und</strong> die Gunst<br />

der Weltpresse einzubüßen. Und die Geschichte ist auch noch beim<br />

Eichmannprozess erwähnt worden. Natürlich sollte man sich über nichts mehr<br />

w<strong>und</strong>em. Bei diesem Eichmann-Prozess haben die Richter Aussagen als wahr<br />

angenommen von Leuten, die behaupten, sie hätten in Bergen-Belsen<br />

Gaskammern in Betrieb gesehen - mit ihren eigenen Augen gesehen! - <strong>und</strong> dabei<br />

hat sogar ein solches Monument des Antinationalsozialismus wie <strong>das</strong> Institut für<br />

Zeitgeschichte in München, zugegeben, <strong>das</strong>s es dort nie Gaskammern gegeben<br />

hat. Als ob es noch nicht genug wirkliches Belastungsmaterial gegen den<br />

Nazismus gäbe.<br />

Und jeden Tag w<strong>und</strong>ert sich die große Presse erneut mit tremolierenden Federn<br />

über die Wiedergeburt des Nationalsozialismus, des Rassismus <strong>und</strong> des<br />

<strong>Juden</strong>hasses - wobei überhaupt kein Unterschied gemacht wird. Was mich<br />

w<strong>und</strong>ert ist, <strong>das</strong>s die Urk<strong>und</strong>enverdrehungen der Poliakov <strong>und</strong> Kompanie bisher<br />

den anti-jüdischen Rassismus <strong>und</strong> die <strong>Juden</strong>feindschaft nicht noch mehr<br />

angefacht haben. 118 Denn sie haben wirklich nichts unterlassen, um dazu<br />

beizutragen.<br />

________________<br />

118 Man muss wirklich genau sagen, was man meint, wenn man von Rassismus <strong>und</strong> Antisemitismus spricht, denn es<br />

gibt leider auch Antigoyim, Antiaraber, Negerfeinde <strong>und</strong> Weißenfeinde. Das übersehen die federführenden<br />

Einfaltspinsel, wenn sie von diesen Fragen sprechen. Oder sie tun wenigstens so, als ob sie es übersahen.<br />

226


Anlage 3 - DAS DOKUMENT KASZTNER<br />

Im Absatz D (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) des 2. Kapitels des<br />

vorliegenden Buches ist von diesem Dokument die Rede (Bericht des Dr. Rezso<br />

Kasztner, der von 1942 bis 1945 Vorsitzender des Budapester Komitees zur<br />

Rettung der <strong>Juden</strong> war). In diesem Bericht wird die Deportation der ungarischen<br />

<strong>Juden</strong> (1944) in allen Einzelheiten geschildert. Er wurde von dem Anwalt des<br />

Standartenführers Kurt Becher zur Entlastung seines Klienten in einem der<br />

dreizehn Nürnberger Prozesse vorgelegt.<br />

Der Bericht entlastete Kurt Becher - der, wie es scheint, ein Vorgesetzter<br />

Eichmanns gewesen ist (Eichmann war ja nur Obersturmbannführer), die<br />

entscheidende Figur für die ganzen Deportationen aus Ungarn, <strong>und</strong> derjenige der<br />

gegenüber Himmler die ganze Verantwortung dafür trug - kurz, dieser Bericht<br />

bedeutete eine solche Entlastung für Becher, <strong>das</strong>s er nicht angeklagt wurde.<br />

Dr. Kasztner, ein überzeugter Zionist, ließ sich sofort nach dem Kriege in Israel<br />

nieder <strong>und</strong> gewann dort sehr bald großen Einfluss in der Mapai, der Partei Ben<br />

Gurions. 1954 wurde Dr. Kasztner als Präsident des Budapester Komitees unter<br />

der deutschen Besetzung, von einem anderen nach Israel emigrierten Ungarn,<br />

der dort als Journalist für die konservativ-religiöse Partei tätig war, angeklagt.<br />

<strong>Die</strong>ser Journalist (der übrigens von allen anderen Parteien in Israel als "Faschist"<br />

bezeichnet wird, dem man Beziehungen zu den neofaschistischen Parteien<br />

nachsagt) behauptete, Dr. Kasztner habe sich dem Nationalsozialismus verkauft<br />

<strong>und</strong> hätte seine Familie dadurch retten können, <strong>das</strong>s er sie nach Bergen-Belsen<br />

schicken ließ (war man dann also gerettet, wenn man nach Bergen-Belsen<br />

geschickt wurde? Wie war es doch mit den dortigen Gaskammern?) Dr.<br />

Kasztner hätte Menschen der Gestapo ausgeliefert <strong>und</strong> außerdem mit ihnen die<br />

Wertsachen geteilt, die den deportierten <strong>Juden</strong> weggenommen worden seien ...<br />

usw., usw. Und weil Dr. Kasztners Bericht über die Tätigkeit des Budapester<br />

Komitees zur Entlastung Bechers vorgelegt worden ist, woraufhin letzterer dann<br />

auch freikam, behauptete der Journalist außerdem, Dr. Kasztner hätte "einen<br />

Kriegsverbrecher, mit dem er Geschäfte getätigt hatte", entnazifizieren lassen.<br />

Dr. Kasztner erhob Anklage wegen Verleumdung. Der Prozess fand 1955 in<br />

Jerusalem statt <strong>und</strong> nahm einen ungeahnten Umfang an: 73 Sitzungen, 2000<br />

Seiten Gerichtsprotokolle - <strong>das</strong> ganze Land in Aufregung, die Parteien<br />

bekämpften sich bis aufs Blut, die Gr<strong>und</strong>lagen des Staates wurden in Frage<br />

gestellt. In seinem Urteil gab <strong>das</strong> Gericht dem Journalisten Recht bis auf einen<br />

Punkt <strong>und</strong> sprach ihn frei. <strong>Die</strong> einzige Anschuldigung gegen Dr. Kasztner, die<br />

nicht für begründet erklärt wurde, war, <strong>das</strong>s er sich mit den Nationalsozialisten<br />

in den geraubten Besitz der Opfer geteilt hätte. Das war die Verurteilung<br />

Kasztners <strong>und</strong> seine Partei, die Ben Gurions verlor an Ansehen: bei den<br />

folgenden Kammerwahlen büßte sie eine beträchtliche Anzahl Stimmen <strong>und</strong><br />

227


Sitze ein, behielt freilich die absolute Mehrheit. <strong>Die</strong> nächsten Wahlen durften<br />

also nicht unter einem solchen Schatten stattfinden: Kasztner legte Berufung ein,<br />

<strong>das</strong> Oberste Gericht kassierte <strong>das</strong> Urteil am 20. Januar 1957. Der neue Prozess<br />

wurde eine noch schlimmere Wiederholung des ersten ...<br />

Ob die Regierung Ben Gurions nun einen Druck ausübte oder nicht - weil die<br />

Anti-Ben-Gurions Partei wuchs <strong>und</strong> durch die Debatten sich immer mehr<br />

verbreitete <strong>und</strong> immer genauer zielte - jedenfalls ließ <strong>das</strong> Oberste Gericht<br />

durchsickern, <strong>das</strong>s, seiner Ansicht nach, der Journalist verurteilt werden müsse,<br />

damit Ben Gurion nicht die Mehrheit einbüßte, <strong>und</strong> diese Haltung zog eine noch<br />

größere Aufregung der öffentlichen Meinung nach sich. Am 5. März 1957, zwei<br />

Monate nach der Eröffnung des Prozesses, dessen Debatten schon ins Uferlose<br />

zu schweifen <strong>und</strong> ein katastrophales Chaos hervorzurufen drohten, wurde Dr.<br />

Kasztner nach der Beendigung der 44. Sitzung auf den Treppen des<br />

Justizpalastes angeschossen <strong>und</strong> schwer verw<strong>und</strong>et. Täter war ein Terrorist,<br />

dessen Pistole von den maßlosen Angriffen gelenkt wurde, die die äußerste<br />

Rechte, die Rechte <strong>und</strong> die äußerste Linke in stillschweigendem Einvernehmen<br />

gegen Ben Gurion richteten. Dr. Kasztner starb einige Tage später.<br />

So endete der Prozess in einer Form, die für alle Seiten eine große Erleichterung<br />

bedeutete: Kasztners Mörder wurde weiter nicht belästigt. Im August 1958<br />

wurde Dr. Kasztner dann rehabilitiert durch ein Urteil, <strong>das</strong> seinen Ankläger nicht<br />

verurteilte. Und in einer Atmosphäre, die vielleicht nicht als Ausdruck der<br />

nationalen Einigkeit bezeichnet werden konnte, die aber jedenfalls durch dieses<br />

"salomonische Urteil" von ihren allergiftigsten Elementen gereinigt war,<br />

beschloss man, nicht mehr von der Sache zu sprechen. Um die Zwietracht nicht<br />

wieder heraufzubeschwören, einigte man sich auch leichten Herzens, aus<br />

Gründen der Staatsräson, den Kasztnerbericht nicht zu veröffentlichen, <strong>das</strong><br />

heißt, ihn nicht allgemein zugänglich zu machen.<br />

Dann kam der Eichmann-Prozess: um Becher rein zu waschen, hatte Kasztner<br />

Eichmann die ganze Verantwortung für die Deportation <strong>und</strong> ihre Schrecken<br />

aufgebürdet. Somit wurde Kasztner ein Hauptzeuge: im Einverständnis mit der<br />

israelischen Regierung ließen Kasztners Erben den Bericht im Verlag Kindler,<br />

München, veröffentlichen, mit einem Vorwort des Professor Carlo Schmid,<br />

eines B<strong>und</strong>estagsabgeordneten der SPD. Es durfte nichts unterlassen werden, um<br />

die Verurteilung Eichmanns in den Augen der Welt zu rechtfertigen. In der<br />

Form allerdings, in dem er vorlag, konnte der Kasztnerbericht von einem<br />

geschickten Anwalt doch zu Eichmanns Entlastung verwendet werden, denn er<br />

säte Zweifel an der Richtigkeit der offiziellen Angaben über die Behandlung der<br />

<strong>Juden</strong> in den Lagern, <strong>und</strong> über die Vergasungen, die im Lager Auschwitz<br />

stattgef<strong>und</strong>en haben sollten.<br />

Der Bericht musste also ein wenig geändert werden - <strong>und</strong> man schreckte nicht<br />

davor zurück. Es ist mir nicht ohne List gelungen, Einblick in den<br />

Originalbericht zu erhalten. Ein Vergleich des Originals mit der deutschen<br />

228


Buchausgabe zeigt, <strong>das</strong>s Kasztners Worte in zahlreichen Fällen durch<br />

Streichungen <strong>und</strong> Änderungen verdreht worden sind. Ich möchte hier nur zwei<br />

solcher Fälle als Beispiel anführen:<br />

1. Es wurde ein Brief ausgelassen, den sechs in Theresienstadt internierte <strong>Juden</strong><br />

unter dem 24. Mai 1944 schrieben. <strong>Die</strong> Angaben dieses Briefes decken sich<br />

weder mit dem, was bis heute von den Leuten, die von dort zurückgekehrt sind,<br />

über dieses Lager berichtet worden ist, noch mit den Aussagen gewisser<br />

"Zeugen" im Jerusalemer Eichmann-Prozess.<br />

2. Ein Abschnitt über die Gaskammern in Auschwitz ist gefälscht. Ich bringe<br />

nachstehend eine Wiedergabe des Originals <strong>und</strong> der Fälschung:<br />

... vielleicht am Tage handeln. Nachrichten aus Bratislava bestätigen auch<br />

diese Befürchtungen. <strong>Die</strong> dortige Wache leitete uns die Meldungen ihres<br />

Nachrichtendienstes weiter. Demgemäß war die SS im Begriffe,<br />

Gaskammern <strong>und</strong> Krematorien in Auschwitz, die seit dem Herbst 1943<br />

außer Gebrauch waren auszubessern <strong>und</strong> zu renovieren. Man erhöhte die<br />

Zahl der Mannschaft, <strong>und</strong> einer der Unteroffiziere soll sich die Äußerung<br />

geleistet haben: "Bald essen wir ungarische Salami". [Er dachte hier<br />

allerdings an die mitgebrachten Lebensmittel der <strong>Juden</strong>.]<br />

... Meldungen aus Pressburg bestätigten diese Befürchtungen. Das dortige<br />

Komitee leitete uns die Meldungen seines Nachrichtendienstes weiter.<br />

Demgemäß war die SS im Begriff, die Gaskammern <strong>und</strong> Krematorien in<br />

Auschwitz auszubessern <strong>und</strong> zu renovieren. <strong>Die</strong> Zahl der Mannschaften<br />

wurde erhöht, <strong>und</strong> einer der Scharführer soll sich die Äußerung geleistet<br />

haben: "Bald essen wir eine ungarische Salami". [Er dachte hierbei<br />

offenk<strong>und</strong>ig an die mitgebrachten Lebensmittel der <strong>Juden</strong>.]<br />

Der in der deutschen Ausgabe des Kasztner-Berichts fehlende Brief ist auf den<br />

folgenden beiden Seiten faksimiliert wiedergegeben.<br />

**************************Bild**************************<br />

Lieber Chawer,<br />

Mit herzlichem Dank bestätigen wir Ihr Schreiben vom 8. ds. Mts.<br />

Mit großer Freude benutzten wir die Gelegenheit, Ihnen zu antworten <strong>und</strong> Sie zu<br />

bitten, allen Fre<strong>und</strong>en Grüsse zu bestellen <strong>und</strong> dafür zu danken, <strong>das</strong>s sie sich<br />

unserer annehmen. Wir dürfen davon ausgehen, da Sie auch dessen in Ihrem<br />

Brief Erwähnung tun, <strong>das</strong>s die Zahlreichen Sendungen aus Lissabon <strong>und</strong><br />

lstanbul ein Werk unserer Fre<strong>und</strong>e sind. Auch die Fre<strong>und</strong>e aus Wien, die hier<br />

mit uns zusammenleben, haben Sendungen aus den genannten Orten erhalten.<br />

Wenn unsere Verpflegungssituation auch durchaus geordnet ist <strong>und</strong> zu keinerlei<br />

229


Sorge Anlass gibt, so freuen uns doch diese Sendungen immer wieder, weil wir<br />

sie als ein Zeichen Ihrer Fre<strong>und</strong>schaft ansehen.<br />

In Theresienstadt ist eine richtige jüdische Stadt entstanden. In der alle Arbeiten<br />

von <strong>Juden</strong> besorgt werden, von der Straßenreinigung angefangen bis zu einem<br />

modernen Ges<strong>und</strong>heitswesen mit Krankenhäusern <strong>und</strong> einem durchorganisierten<br />

ärztlichen Betreuungsdienst mit einem großen Stab von Pflegepersonal, von<br />

sämtlichen technischen Arbeiten bis zur Verpflegung. In den<br />

Gemeinschaftsküchen, von der eigenen Polizei <strong>und</strong> Feuerwehr bis zu einem<br />

besonderen Gerichts-, Post- <strong>und</strong> Verkehrswesen, von einer Bank mit eigenem<br />

Siedlungsgeld <strong>und</strong> von Verkaufsläden für Lebensmittel, Kleidung <strong>und</strong> Hausrat<br />

bis zur Freizeitgestaltung, in deren Rahmen regelmäßig Vorträge,<br />

Theateraufführungen <strong>und</strong> Konzerte stattfinden. <strong>Die</strong> Kinder, denen besondere<br />

Sorge gilt, sind in Kinder- <strong>und</strong> Jugendheimen, die nicht arbeitsfähigen Alten in<br />

Alters- <strong>und</strong> Siechenheimen unter ärztlicher Aufsicht <strong>und</strong> Pflege untergebracht.<br />

<strong>Die</strong> Arbeitsfähigen sind vor allem für den inneren <strong>Die</strong>nst eingesetzt. Aus allen<br />

Gebieten sind hervorragende Fachkräfte zusammengekommen. <strong>Die</strong>s kommt<br />

nicht nur der hier zu leistenden Facharbeit auf technischem, hygienischem <strong>und</strong><br />

administrativem Gebiete zugute, auch in der Freizeit hat sich dadurch ein reiches<br />

kulturelles Leben auf jüdischem <strong>und</strong> allgemeinem Gebiet entwickeln können.<br />

Eine Bibliothek mit nahezu 50.000 Bänden mit mehreren Lesezimmern, ein<br />

Kaffeehaus mit ständigen Musikdarbietungen dienen der Zerstreuung,<br />

insbesondere für die älteren Menschen. Zentralbad <strong>und</strong> Zentralwäscherei fördern<br />

die allgemeine Hygiene, auf die naturgemäß besonderer Wert, gelegt wird. So<br />

kann man sich hier, wenn man die äußere <strong>und</strong> innere Umstellung <strong>und</strong><br />

Einordnung vollzogen hat, durchaus wohlfühlen. Eine Ansicht dar Stadt ersehen<br />

Sie aus dem Briefkopf.<br />

Der Ges<strong>und</strong>heitszustand ist als durchaus günstig anzusehen, was neben der<br />

klimatischen Lage von Theresienstadt In erster Linie der hingebenden,<br />

unverdrossenen Arbeit unserer Ärzte, der ausreischenden Versorgung mit<br />

Lebensmitteln <strong>und</strong> mit Medikamenten zu danken ist. Zuwendungen, die wir<br />

erhalten, stehen uns im Rahmen der Jüdischen Selbstverwaltung zur Verfügung<br />

<strong>und</strong> können zusätzlichen Verwendunszwecken Zugeführt werden. So haben wir<br />

jetzt von Ihrer Zuwendung Kenntnis erhalten <strong>und</strong> danken Ihnen <strong>und</strong> den<br />

Fre<strong>und</strong>en herzlichst dafür.<br />

Auch wir wären froh, wenn wir häufiger die Möglichkeit hätten, von Ihnen<br />

Nachricht zu erhalten. Wir denken oft an die Fre<strong>und</strong>e, die uns durch Sie haben<br />

grüssen lassen. Auch unsere Gedanken bewegen sich oft um Möglichkeiten<br />

einer Alijah; mit besonderem Interesse haben wir aus Ihren Zeilen entnommen,<br />

<strong>das</strong>s auch Ihre Bemühungen einer, wenn auch noch so bescheidenen Lösung<br />

dieses Problems gelten.<br />

230


Wir danken Ihnen für Ihr fre<strong>und</strong>schaftliches Gedenken <strong>und</strong> sind froh darüber,<br />

<strong>das</strong>s wir Ihrer Verb<strong>und</strong>enheit gewiss sein dürfen. Lassen Sie bald wieder von<br />

sich hören.<br />

Mit herzlichem Schalom<br />

Ihre<br />

Anlage 4 - "GERMANY MUST PERISH!" - "DEUTSCHLAND<br />

MUSS STERBEN"!<br />

von Theodore N. Kaufman<br />

Um den Leser verstehen zu lassen wie sehr dieses Buch <strong>das</strong> deutsche Volk<br />

gegen die <strong>Juden</strong> hat aufhetzen können, wird es genügen, wenn wir daraus die<br />

nachfolgend abgebildete Karte <strong>und</strong> die bezeichnendsten Abschnitte übernehmen<br />

<strong>und</strong> davon eine Übersetzung beifügen. Der Inhalt des Buches - <strong>das</strong> schon auf<br />

Seite 116 erwähnt wurde - ist von der Presse <strong>und</strong> dem R<strong>und</strong>funk des Dr. Joseph<br />

Goebbels allen Deutschen zur Kenntnis gebracht worden.<br />

<strong>Die</strong> Karte zeigt, wie sich der Verfasser die Neugestaltung Europas nach einer<br />

deutschen Niederlage vorstellte: Der Vollständigkeit halber muss noch<br />

hinzugefügt werden, <strong>das</strong>s dieser Theodore N. Kaufman sich trotzdem nicht vor<br />

dem Nürnberger Gericht hat verantworten müssen.<br />

DEUTSCHLAND MUSS STERBEN!<br />

<strong>Die</strong> Sterilisierung, die nicht mit Kastrierung verwechselt werden darf, ist eine<br />

einfache, gefahrlose Operation, harmlos <strong>und</strong> schmerzlos, die den Patienten<br />

231


weder verstümmelt, noch ihn zu einem geschlechtslosen Wesen macht. In den<br />

meisten Fällen sind die Nachwirkungen weniger unangenehm, als die einer<br />

Impfung <strong>und</strong> nicht schlimmer als die nach dem Ziehen eines Zahnes.<br />

Außerdem kostet die Operation nur sehr wenig Zeit - nicht mehr als zehn<br />

Minuten. Der Patient kann sofort danach wieder an die Arbeit gehen. Sogar bei<br />

Frauen, wo die Operation allerdings zeitraubender ist, kann sie ebenso gefahrlos<br />

<strong>und</strong> einfach durchgeführt werden.<br />

Sie wurde Tausende von Malen durchgeführt, ohne <strong>das</strong>s Komplikationen oder<br />

tödliche Folgen bekannt geworden wären. Wenn man bedenkt, <strong>das</strong>s<br />

ges<strong>und</strong>heitsfördernde Maßnahmen wie Impfungen <strong>und</strong> Serumbehandlungen als<br />

eine direkte Wohltat für die Bevölkerung betrachtet werden, muss man zu dem<br />

Schluss kommen, <strong>das</strong>s die Unfruchtbarmachung des deutschen Volkes eine<br />

großartige ges<strong>und</strong>heitsfördernde Maßnahme für die Menschheit darstellen<br />

würde, die sich dadurch für immer immun machen würde gegen den Virus des<br />

deutschen Wesens.<br />

Siehe auch: www.ety.com/berlin/kaufmand.htm<br />

Page -87- GERMANY MUST PERISH!<br />

By word of science, as the best means of ridding the human race of its<br />

misfits: the degenerate, the insane, the hereditary criminal. Sterilization is<br />

not to be confused with castration. It is a safe and simple Operation, quite<br />

harmless and painless, neither mutilating nor unsexing the patient. Its<br />

effects are most often Iess distressing than vaccination and no more serious<br />

than a tooth extraction. Too, the Operation is extremely rapid requiring no<br />

more than ten minutes to complete. The patient may resume his work<br />

immediatdy afterwards.<br />

Even in the case of the female the Operation, though taking longer to<br />

perform, is as safe and simple.<br />

Performed thousands of times, no records indicate cases of complication or<br />

death. When one realizes that such health measures as vaccination and<br />

serum treatments are considered as direct benefits to the community,<br />

certainly sterilization of the German people cannot but be considered a<br />

great health measure promoted by humanity to immunize itself forever<br />

against the virus of Germanism. The population of Germany, excluding<br />

conquered and annexed territories, is about 70,000,000, almost equally<br />

divided between male and female. To achieve the purpose of German<br />

extinction it would be necessary to only ...<br />

Wiedergabe mit Übersetzung aus der Kaufman-Schrift<br />

232


Wenn man die Bewohner der eroberten oder annektierten Gebiete abzieht, zählt<br />

die deutsche Bevölkerung etwa 70.000.000 Personen etwa zu gleichen Teilen<br />

männlichen <strong>und</strong> weiblichen Geschlechts. Um den Zweck ihrer völligen<br />

Auslöschung zu erreichen, müssten nur etwa 48.000.000 Menschen sterilisiert<br />

werden - die Männer über 60 <strong>und</strong> die Frauen über 45 bleiben außer Betracht, da<br />

deren Fortpflanzungsfähigkeit nur noch in sehr beschränktem Maße gegeben ist.<br />

Was die unfruchtbar zu machenden Männer betrifft, so wäre die Behandlung der<br />

organisierten Militärischen Einheiten am leichtesten <strong>und</strong> einfachsten<br />

durchzuführen. Wenn man, um nur eine Zahl zu nennen, davon ausgeht, <strong>das</strong>s<br />

20.000 Chirurgen zur Verfügung stehen <strong>und</strong> <strong>das</strong>s jeder mindestens 25<br />

Operationen am Tage durchführen könnte, so würde die Sterilisierung der in<br />

Militärischen Einheiten zusammengefassten Männern nicht mehr als einen<br />

Monat beanspruchen. Es braucht nicht betont zu werden, <strong>das</strong>s bei einer größeren<br />

Anzahl von Ärzten, <strong>und</strong> die Zahl würde sicher weit über 20.000 liegen, wenn<br />

man berücksichtigt, aus wie vielen Völkern sie rekrutiert werden konnten,<br />

entsprechend weniger Zeit erforderlich sein wurde. <strong>Die</strong> restliche männliche<br />

Bevölkerung Deutschlands könnte innerhalb von drei Monaten behandelt<br />

werden.<br />

Wenn man berücksichtigt, <strong>das</strong>s für die Sterilisierung von Frauen etwas mehr<br />

Zeit benötigt wird, lässt sich errechnen, <strong>das</strong>s die gesamte weibliche Bevölkerung<br />

Deutschlands in drei Jahren oder noch kürzerer Zeit unfruchtbar gemacht<br />

werden könnte. <strong>Die</strong> vollständige Sterilisierung beider Geschlechter, <strong>und</strong> nicht<br />

nur eines Geschlechts, muss als notwendig angesehen werden angesichts der<br />

heutigen deutschen Lehre, <strong>das</strong>s ein einziger Tropfen deutschen Blutes einen<br />

Menschen zu einem Deutschen macht.<br />

Natürlich wird es, nach erfolgter vollständiger Sterilisation keine Geburtenrate<br />

in Deutschland mehr geben. Bei der normalen Sterblichkeit von 2 Prozent im<br />

Jahr wird die Zahl der lebenden Deutschen alljährlich um 1.500.000 abnehmen.<br />

Demzufolge wäre <strong>das</strong> Ziel, <strong>das</strong> Millionen Leben <strong>und</strong> Jahrh<strong>und</strong>erte vergeblichen<br />

Mühens gekostet hat, nämlich die Ausschaltung des deutschen Wesens <strong>und</strong><br />

seiner Träger, nach zwei Generationen eine vollendete Tatsache. Der deutsche<br />

Wille wird durch Atrophie [Schrumpfung] verschwinden, da er nicht mehr<br />

übertragen werden kann <strong>und</strong> die Macht Deutschlands wird überhaupt keine<br />

Rolle mehr spielen.<br />

Anlage 5 - "ARZT IN AUSCHWITZ"<br />

Im Zusammenhang mit dem Buch "Arzt in Auschwitz" <strong>das</strong> von der deutschen<br />

Illustrierten "Quick", im Januar 1961 veröffentlicht wurde <strong>und</strong> <strong>das</strong> in Frankreich<br />

von dem Verleger Julliard erneut herausgebracht wurde, der es schon 1951 in<br />

der Zeitschrift des Jean-Paul Sartre, 'Les Temps Modernes' hatte erscheinen<br />

233


lassen, habe ich an den Verleger Julliard geschrieben. Mein Schreiben <strong>und</strong> seine<br />

Antwort folgen hier.<br />

Den 16. November 1961<br />

Monsieur Rene Julliard,<br />

Direktor des Verlages "Editions Julliard"<br />

Paris (7e)<br />

Sehr geehrter Herr Direktor!<br />

Ich habe soeben <strong>das</strong> Buch "Medecin a Auschwitz" von Dr. Miklos Nyiszli zu<br />

Ende gelesen, <strong>das</strong> im vorigen Monat bei Ihnen erschienen ist - von dem ich<br />

übrigens schon größere Teile unter dem Titel "SS-Obersturmführer Dr.<br />

Mengele" im März- <strong>und</strong> Aprilheft 1951 der Zeitschrift "Les Temps Modernes"<br />

gef<strong>und</strong>en hatte.<br />

Ich habe mich damals als Historiker <strong>und</strong> als Deportierter aufgelehnt gegen die<br />

Neigung der Verleger, über die Konzentrationslager jede beliebige Geschichte<br />

aus jeder beliebigen Feder herauszubringen, ich habe mich dagegen aufgelehnt<br />

aus der Überlegung heraus, <strong>das</strong>s die Veröffentlichung von Geschichten, die über<br />

die politischen Handlungen des Nazismus Behauptungen aufstellen, die<br />

offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechen, in der öffentlichen Meinung nur<br />

Zweifel säen können <strong>und</strong> schließlich - nachdem die Unwahrheit solcher<br />

Geschichten einige Male nachgewiesen wurde - die Überzeugung wecken, <strong>das</strong>s<br />

der ganze Nationalsozialismus nur eine Fabel gewesen sei. Da diese Erzählung,<br />

wenn ich sie nach den Abschnitten beurteile, die "Les Temps Modernes" daraus<br />

gebracht hatten, voller Unwahrscheinlichkeiten <strong>und</strong> Widersprüchen steckte, die<br />

durch die Einleitung des Tibere Kremer noch vermehrt wurden - schrieb ich an<br />

Herrn Dr. Nyiszli <strong>und</strong> schickte den Brief an "Les Temps Modernes" mit der<br />

Bitte um Weiterleitung. Über Herrn Tibere Kremer (11, rue des Moulins,<br />

Toulouse) erhielt ich eine Antwort, die Sie hier einsehen können; sie<br />

widerspricht dem von Ihnen veröffentlichten Bericht. So spricht zum Beispiel<br />

Herr Tibere Kremer 1951 in seiner Einleitung von 6.000.000 <strong>Juden</strong> <strong>und</strong> zwar so,<br />

<strong>das</strong>s die ganze Presse eine Information weiter verbreitete <strong>und</strong> sie auf <strong>das</strong> Konto<br />

der Auschwitzer Gaskammern setzte. Dr. Nyiszli hingegen nennt eine Zahl von<br />

2.500.000; <strong>das</strong> Krakauer Gericht, <strong>das</strong> den Lagerkommandanten Hoess am 4.<br />

April 1947 zum Tode durch den Strang verurteilte, übernahm diese Zahl.<br />

Ein weiteres Beispiel: Nyiszli war Ende Mai nach Auschwitz gekommen <strong>und</strong><br />

gibt an, <strong>das</strong>s täglich 20.000 <strong>Juden</strong> in den Gaskammern umgebracht würden<br />

sowie 5000 in den Feuern im Freien. Er sagt weiter, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> vier Jahre lang<br />

gedauert hätte - <strong>und</strong> Ihr Buch erwähnt die gleichen Zahlen auf Seite 50. Falls es<br />

aber in Auschwitz Gaskammern gegeben hat, so geht aus den in Nürnberg<br />

vorgelegten Dokumenten hervor:<br />

234


- <strong>das</strong>s diese am 8. August 1942 bei der Firma Topf in Erfurt bestellt wurden,<br />

wobei allerdings die Bezeichnungen "Leichenkeller" <strong>und</strong> "Badeanstalt"<br />

gebraucht wurden,<br />

- <strong>das</strong>s sie im Februar/März 1943 im Lager aufgestellt wurden. Und der Kasztner-<br />

Bericht stellt dazu noch fest (dieser Bericht wurde vom Nürnberger Gericht<br />

akzeptiert), <strong>das</strong>s sie "vom Herbst 1943 bis Mai 1944" nicht in Betrieb gewesen<br />

sind. usw. ... Ich könnte diese Liste noch wesentlich verlängern - da <strong>das</strong> aber<br />

sehr viel von meiner Zeit in Anspruch nehmen dürfte, werde ich es nur tun,<br />

wenn es Sie interessieren sollte.<br />

Ich möchte aber unbedingt Ihre Aufmerksamkeit auf die deutsche Fassung des<br />

Buches "Arzt in Auschwitz" lenken, die von der Münchener Illustrierten<br />

"Quick" vom 15. Januar 1961 an in Fortsetzungen veröffentlicht wurde. <strong>Die</strong>se<br />

Fassung widerspricht der Übersetzung des Herrn Tibere Kremer in nahezu allen<br />

Punkten. Ich habe 31 tatsächliche Widersprüche festgestellt, abgesehen von<br />

denen, die sich aus der mangelhaften Wiedergabe des Satzbaues ergeben oder<br />

die im Text selbst enthalten sind.<br />

Als ein Beispiel dieser Widersprüche möchte ich anführen, <strong>das</strong>s nach dem<br />

deutschen Text die Verbrennungsöfen täglich 10.000 Leichen einäschern - nach<br />

der französischen Version 20.000. Ein Beispiel für die Widersprüche in der<br />

Erzählung: auf einer Seite werden die Toten rasiert - zwanzig Seiten weiter wird<br />

gesagt, <strong>das</strong>s die Haare abgeschnitten werden bevor man die Menschen in die<br />

Gaskammern schickt.<br />

Zudem hat Herr Kremer eine Anzahl der in der ersten Ausgabe enthaltenen<br />

Angaben korrigiert: in der ersten Fassung trifft ein Pistolenschütze von 40-50<br />

Meter Abstand ins Schwarze - in der zweiten Fassung nur noch von 20 oder 30<br />

Meter.<br />

Ein Institut, <strong>das</strong> in der ersten Veröffentlichung <strong>das</strong> berühmteste des <strong>Dritte</strong>n<br />

<strong>Reich</strong>es genannt wurde, heißt in der zweiten Ausgabe "<strong>das</strong> berühmteste der<br />

Welt", usw. ... Nun eins von beiden: entweder handelt es sich hier um ein<br />

Dokument, <strong>das</strong> veröffentlicht wird, <strong>und</strong> dann muss die Fassung von 1951<br />

identisch sein mit der von 1961 <strong>und</strong> die französische identisch mit der deutschen<br />

- oder aber es handelt sich um eine unglaubwürdige Erzählung. Und da die<br />

Beschreibung der Örtlichkeit weder in der französischen noch in der deutschen<br />

Fassung übereinstimmt mit den Angaben der in Nürnberg vorgelegten<br />

Dokumente, muss gesagt werden, <strong>das</strong>s die Stimmen, die behaupten, <strong>das</strong>s dieser<br />

Nyiszli Auschwitz nie betreten hätte, für ihre Behauptung recht triftige Gründe<br />

haben.<br />

Noch ein Beispiel: Miklos Nyiszli erzählt uns, <strong>das</strong>s die Gaskammern 200 Meter<br />

lang wären <strong>und</strong> <strong>das</strong> in Nürnberg vorgelegte Dokument gibt an, <strong>das</strong>s die Fläche<br />

210, 400 oder 580 Quadratmeter betragen hätte: dann wären sie also 1,05 oder 2<br />

Meter oder 2,90 Meter breit gewesen <strong>und</strong> <strong>das</strong> gibt es nicht. Umso weniger als<br />

3000 Personen den Raum betreten <strong>und</strong> sich dort hätten bewegen können, als in<br />

235


der Mitte Pfeiler gestanden hätten <strong>und</strong> Bänke auf beiden Seiten. Ein weiteres<br />

Beispiel: nach der französischen Fassung ist der Abstand von einem Ende zum<br />

anderen 500 Meter - nach der deutschen 3 Kilometer oder umgekehrt usw...<br />

Als diese deutsche Fassung in "Quick" erschien, wollte ich wieder an Herrn<br />

Tibere Kremer schreiben, aber der Brief kam zurück mit dem Vermerk: "wohnt<br />

nicht mehr an der angegebenen Adresse". Ich habe an "Quick" geschrieben <strong>und</strong><br />

erhielt zur Antwort, <strong>das</strong>s mein Brief nicht an Dr. Nyiszli weitergeleitet werden<br />

könne, da dieser gestorben sei (!).<br />

Vielleicht können sie diese Bemerkungen Herrn Tibere Kremer zugehen lassen.<br />

Sie kennen sicher seine Anschrift, denn Sie haben ja von ihm die Übersetzung<br />

erhalten, die sie veröffentlichten.<br />

Zum Schluss möchte ich Sie nur noch bitten, den Sinn der Anmerkungen, die ich<br />

mir gestatte, Ihnen zu senden, nicht falsch zu verstehen. Geschichtliche<br />

Dokumente haben ein Recht darauf, respektiert zu werden, <strong>und</strong> es dürfen nicht<br />

leichtfertigerweise Versionen veröffentlicht werden, für die man nicht<br />

geradestehen kann. Was diesen Bericht betrifft, so möchte ich Ihnen sagen, <strong>das</strong>s<br />

ich seit fünfzehn Jahren <strong>das</strong> Original suche, da ich es für meine Arbeiten<br />

brauche; kein Mensch hat mir je zu sagen vermocht, wo man es einsehen könnte.<br />

<strong>Die</strong> größten lebenden Historiker können überhaupt keine Angaben darüber<br />

machen. <strong>Die</strong> Fassungen, die bisher <strong>das</strong> Licht gesehen haben, stimmen nicht<br />

miteinander überein <strong>und</strong> widersprechen sich von einer Seite zur anderen. Der<br />

Autor spricht von Örtlichkeiten, die er offensichtlich nie besucht hat, sonst<br />

würde er nicht behaupten, <strong>das</strong>s ein Raum ca. 30 Meter lang wäre, da <strong>das</strong><br />

bedeutete, <strong>das</strong>s er 1,05 Meter oder höchstens 2,90 Meter breit wäre, usw...<br />

<strong>Die</strong>se ganzen Punkte lassen den Schluss zu, <strong>das</strong>s es sich hierbei um ein unechtes<br />

Dokument handelt.<br />

Wenn es Ihnen daher möglich sein sollte, mir solche Beweise zu liefern, <strong>das</strong>s ich<br />

in meiner Arbeitskartei die Karte des Dr. Nyiszli mildem Vermerk "<strong>das</strong><br />

Dokument ist echt" versehen könnte, so wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar.<br />

Mit vorzüglicher Hochachtung<br />

P. R.<br />

Julliards Antwort:<br />

Sehr geehrter Herr Rassinier!<br />

Ich danke Ihnen für den Durchschlag Ihres Schreibens vom 16. 11. Ich werde<br />

ihn noch heute an Herrn Tibere Kremer, den Übersetzer des Buches "Medecin a<br />

Auschwitz" von Dr. Miklos Nyiszli weiterleiten, damit er Ihnen antwortet.<br />

Ich kann Ihnen inzwischen schon sagen, <strong>das</strong>s Dr. Nyiszli tatsächlich gestorben<br />

ist - aber seine Frau lebt. Ich habe übrigens sein Buch mehreren Deportierten<br />

gezeigt, die mir die Richtigkeit bestätigt haben.<br />

Hochachtungsvoll<br />

236


Pierre Javet<br />

*<br />

Auf die Antwort des Herrn Tibere Kremer warte ich noch immer.<br />

Wahrscheinlich werde ich sie nie erhalten. Zuerst hat Herr Tibere Kremer mir<br />

eine vom 24. Oktober 1951 datierte Antwort des Dr. Nyiszli auf mein Schreiben<br />

zukommen lassen. Auf diesen Briefwechsel beziehe ich mich in meinem<br />

Schreiben an Herrn Julliard. Dann, als ich weitere Nachforschungen nach dem<br />

merkwürdigen Augenzeugen anstelle, hörte ich aus New York, wo <strong>das</strong> Buch<br />

1951 in einer Übersetzung des Herrn Richard Seaver <strong>und</strong> mit einem Vorwort des<br />

Professor Bruno Bettelheim erschienen war, <strong>das</strong>s Dr. Nyiszli gestorben sei - <strong>und</strong><br />

zwar lange bevor sein Erlebnisbericht zum ersten Mal veröffentlicht wurde.<br />

Wenn <strong>das</strong> stimmen sollte, so würde sich dieser tote Augenzeuge - der wievielte<br />

wäre <strong>das</strong> eigentlich? - von den anderen dadurch unterscheiden, <strong>das</strong>s er mir noch<br />

nach seinem Tode geschrieben hätte. Dann wird allerdings auch <strong>das</strong> Schweigen<br />

des Herrn Tibere Kremer verständlich.<br />

Kommentar überflüssig.<br />

Anlage 6 - DOKUMENTATION<br />

Aus: DOKUMENTATION ÜBER DIE BEMÜHUNGEN DES<br />

INTERNATIONALEN KOMITEES DES ROTEN KREUZES ZUGUNSTEN<br />

DER IN DEUTSCHLAND IN KONZENTRATIONSLAGERN<br />

GEFANGENGEHALTENEN ZIVILPERSONEN (1939-1945) III. AUSGABE,<br />

GENF, APRIL 1947;<br />

übersetzt aus dem Französischen.<br />

Seite 91: 1. Besuch des Lagerkommandanten von Auschwitz durch einen<br />

Vertreter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (September<br />

1944).<br />

Auf der ganzen Strecke, genau genommen längs der polnischen Straßen, die von<br />

Teschen nach Auschwitz führen, sind wir Männer- <strong>und</strong> Frauengruppen<br />

begegnet, die von SS begleitet waren, gestreifte Kleider trugen <strong>und</strong> die kleine<br />

Arbeitskommandos bildeten.<br />

<strong>Die</strong> Kommandos arbeiten sowohl in der Landwirtschaft als auch in Bergwerken.<br />

<strong>Die</strong>se Leute haben alle, obwohl sie an der frischen Luft arbeiten, blasse, fahle<br />

Hautfarbe. Alle marschieren im Gleichschritt in Viererreihen; die Wachen,<br />

Gewehr unter dem Arm, sind SS-Leute der Division Totenkopf ...<br />

Wir kommen schließlich in Auschwitz an, <strong>und</strong> - nachdem wir die nötige Geduld<br />

aufgebracht haben - werden wir in <strong>das</strong> Innere des Kz-Lagers hereingelassen.<br />

237


Vom Lager selbst sehen wir nur sechs bis acht große, in roten Ziegelsteinen<br />

errichtete Kasernen. <strong>Die</strong> Gebäude scheinen neu zu sein; alle Fenster sind mit<br />

Gittern versehen. Das Lager ist mit einer sehr hohen, mit Stacheldraht<br />

beschickten Mauer aus Betonplatten umgeben.<br />

Unterhaltung mit dem Lagerkommandanten: Wie in Oranienburg <strong>und</strong> in<br />

Ravensbrück sind hier die Offiziere fre<strong>und</strong>lich, aber auch zur gleichen Zeit<br />

verschwiegen. (Jedes Wort ist wohl überlegt <strong>und</strong> man merkt die Befürchtung,<br />

die geringste Auskunft zu geben)<br />

1. <strong>Die</strong> Verteilung der RK-Pakete scheint gestattet <strong>und</strong> sogar durch eine<br />

für alle Kz's gültige Anordnung geregelt zu sein.<br />

2. Der Kommandant sagt uns, <strong>das</strong>s die persönlich an einen Gefangenen<br />

gerichteten Pakete immer vollständig ausgehändigt werden.<br />

3. Es gibt für jede Nationalität Vertrauensleute.<br />

4. Es gibt einen <strong>Juden</strong>ältesten, der für die gesamten jüdischen<br />

Interessen verantwortlich ist.<br />

5. <strong>Die</strong> Vertrauensleute <strong>und</strong> der <strong>Juden</strong>älteste können Sammelpakete<br />

empfangen; diese Pakete werden frei nach ihrem Ermessen verteilt.<br />

<strong>Die</strong> persönlichen, mit unbekannten Namen versehenen Pakete<br />

werden dem Vertrauensmann der entsprechenden Nationalität<br />

ausgehändigt.<br />

6. <strong>Die</strong> Verteilung der vom Komitee abgesandten Pakete scheint uns<br />

gesichert. Wir haben keinen Beweis, aber unser Eindruck ist, <strong>das</strong>s<br />

der Lagerkommandant die Wahrheit sagt, wenn er erklärt, die<br />

Verteilung finde regelmäßig statt <strong>und</strong> jeder <strong>Die</strong>bstahl werde streng<br />

bestraft ...<br />

Wir hoffen, <strong>das</strong>s wir Ihnen bald Namen, Vornamen, Nummern <strong>und</strong> Nationalität<br />

der Auschwitz-Häftlinge zukommen lassen können. Ein Kommando von<br />

englischen Kriegsgefangenen arbeitet nämlich in einem Auschwitzer Bergwerk<br />

zusammen mit den Kz-Häftlingen. Wir haben den Hauptvertrauensmann von<br />

Teschen gebeten, sein Möglichstes zu tun, um vom Vertrauensmann des<br />

Auschwitz-Kommandos alle erforderlichen Auskünfte zu erhalten.<br />

Der britische Vertrauensmann hat uns von sich aus gefragt, ob wir etwas über<br />

den "Brausesaal" wüssten. Es ginge nämlich <strong>das</strong> Gerücht um, <strong>das</strong>s im Lager ein<br />

sehr moderner Brausesaal bestünde, wo die Häftlinge reihenweise vergast<br />

würden.<br />

Der britische Vertrauensmann hat durch sein Auschwitz-Kommando versucht,<br />

eine Bestätigung dieser Behauptung zu erlangen. Es war unmöglich, etwas zu<br />

beweisen. <strong>Die</strong> Gefangenen selbst haben nicht darüber gesprochen. Als wir<br />

Auschwitz verließen, hatten wir jedenfalls den Eindruck, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Geheimnis<br />

sehr gehütet wird.<br />

238


Dennoch nehmen wir die Gewissheit mit, <strong>das</strong>s Pakete geschickt werden sollten,<br />

<strong>und</strong> zwar so viel <strong>und</strong> so schnell wie möglich. Wir sagen es noch einmal, <strong>das</strong>s wir<br />

an die vollständige Aushändigung aller Sendungen an die Häftlinge glauben.<br />

Analyse des Berichtes des RK-Vertreters über seinen Besuch im Kz-<br />

Auschwitz (September 1944)<br />

1. Auf der Strecke von 50 km (Luftlinie) zwischen Teschen <strong>und</strong><br />

Auschwitz - also weit ab vom Kz-Lager - hat der Beauftragte des RK<br />

zwar überall Kz-Arbeitskommandos angetroffen. Er berichtet aber<br />

nicht, ob er auf dieser langen Strecke den Versuch unternommen hat,<br />

die Häftlinge nach eventuellen Vergasungen zu fragen oder <strong>das</strong>s er<br />

von diesen darüber angesprochen worden sei.<br />

2. <strong>Die</strong> Kz-Häftlinge waren durchaus nicht hermetisch abgeriegelt <strong>und</strong><br />

somit für die Außenwelt nachrichtenmäßig abgeschnitten. Sie waren<br />

ganz im Gegenteil bis auf etwa 50 km außerhalb des Lagers im<br />

Bergbau <strong>und</strong> in der Landwirtschaft beschäftigt. Das bedeutet, <strong>das</strong>s<br />

die Häftlinge weitgehend mit der dortigen Bevölkerung <strong>und</strong> sogar<br />

mit englischen Kriegsgefangenen in Berührung kamen. Einer<br />

Weitergabe von Nachrichten aus dem Lager war damit Tür <strong>und</strong> Tor<br />

geöffnet. Wären der polnischen Bevölkerung <strong>und</strong> den englischen<br />

Kriegsgefangenen durch die Häftlinge über Grausamkeiten im Lager<br />

etwas zu Ohren gekommen, so darf man annehmen, <strong>das</strong>s diese für<br />

eine schnelle <strong>und</strong> ausgiebige Verbreitung dieser Meldungen, auch in<br />

der deutschen Bevölkerung <strong>und</strong> in der Wehrmacht, gesorgt hätten.<br />

Nichts von dem aber ist bekannt.<br />

3. In dem etwa 50 km entfernt gelegenen englischen<br />

Kriegsgefangenenlager in Teschen ging <strong>das</strong> Gerücht um, in<br />

Auschwitz würden Häftlinge vergast.<br />

4. Das englische Außenkommando, <strong>das</strong> in Auschwitz tagtäglich mit den<br />

Häftlingen des Kz-Lagers zusammenarbeitete <strong>und</strong> sich somit aus<br />

erster Quelle über den Wahrheitsgehalt dieses Gerüchts Klarheit<br />

verschaffen konnte, war nicht in der Lage, <strong>das</strong> Gerücht als eine<br />

Tatsache bestätigt zu erhalten. <strong>Die</strong> Häftlinge des Lagers, die es ja<br />

hätten wissen müssen <strong>und</strong> die ihren englischen Arbeitskameraden<br />

gewiss Mitteilung gemacht hätten, haben ganz im Gegenteil bei der<br />

Arbeit vor Ort, wo sie zweifellos weitgehend unbeobachtet waren,<br />

nichts von Vergasungen erzählt. Nach dem gescheiterten<br />

Klärungsversuch des englischen Hauptvertrauensmannes in Teschen<br />

durch sein Auschwitzer Außenkommando, wandte sich dieser an den<br />

Vertreter des RK. Genfs Abgesandter konnte erst recht nichts über<br />

Vergasungen berichten. Wenn der Vertreter des RK auch von dem<br />

239


Gerücht im Sinne "eines wohl behüteten Geheimnisses" orakelt, so<br />

ist er den hierfür zu erwartenden Beweis schuldig geblieben.<br />

5. Inwiefern mit Leichtigkeit alles Mögliche aus dem Lager nach außen<br />

gebracht werden konnte, geht daraus hervor, <strong>das</strong>s der Vertreter des<br />

RK nach Genf meldete, er hoffe, über die mit den Kz-Häftlingen<br />

zusammenarbeitenden englischen Kriegsgefangenen ganze Listen<br />

mit allen Einzelheiten über die Lagerinsassen zu erhalten.<br />

Anlage 7 - JUDEN KÄMPFEN FÜR DIE DEMOKRATIEN<br />

THE TIMES WEDNESDAY, September 6 1939<br />

Dr. Weizmanns Brief an Mr. Chamberlain<br />

<strong>Die</strong> Jüdische Agentur für Palästina in London veröffentlichte gestern den Text<br />

eines Briefwechsels zwischen Dr. Chaim Weizmann, Präsident der Agentur, <strong>und</strong><br />

dem Premierministe. Dr. Weizmann schrieb in seinem Brief an Mr. Chamberlain<br />

unter dem Datum des 29. August:<br />

Lieber Herr Premierminister - In dieser St<strong>und</strong>e äußerster Krise veranlasst mich<br />

<strong>das</strong> Bewusstsein, <strong>das</strong>s die <strong>Juden</strong> einen Beitrag zur Verteidigung geheiligter<br />

Werte zu leisten haben, diesen Brief zu schreiben. Ich wünsche in<br />

nachdrücklichster Weise die Erklärungen zu bestätigen, die ich <strong>und</strong> meine<br />

Kollegen während des letzten Monats <strong>und</strong> besonders in der vergangenen Woche<br />

abgegeben haben: <strong>das</strong>s die <strong>Juden</strong> zu Großbritannien stehen <strong>und</strong> an der Seite der<br />

Demokratien kämpfen werden.<br />

Es ist unser dringendes Begehren, diesen Erklärungen Wirksamkeit zu<br />

verschaffen. Wir wollen dies in einer Weise tun, die völlig mit dem allgemeinen<br />

Rahmen der britischen Aktion übereinstimmt, <strong>und</strong> wir wollen uns deshalb in<br />

großen wie in kleinen Dingen unter die koordinierende Leitung der Regierung<br />

Seiner Majestät stellen. <strong>Die</strong> Jüdische Agentur ist bereit, sofortige Vorkehrungen<br />

zu treffen, um <strong>das</strong> jüdische Menschenpotential, die technischen Fähigkeiten,<br />

Hilfsquellen usw. zu nutzen.<br />

<strong>Die</strong> Jüdische Agentur hatte kürzlich politische Meinungsverschiedenheiten mit<br />

der Mandatsmacht. Wir möchten diese Differenzen zurückstellen gegenüber den<br />

größeren <strong>und</strong> dringenderen Erfordernissen der St<strong>und</strong>e. Wir bitten Sie, diese<br />

Erklärung in dem Sinne anzunehmen, in dem sie gemacht wurde.<br />

<strong>Die</strong> Antwort des Premierministers<br />

<strong>Die</strong> Antwort des Premierministers, datiert vom 2. September, lautet:<br />

240


Lieber Dr. Weizmann, - Ich möchte meine warme Dankbarkeit für den Inhalt<br />

Ihres Schreibens vom 29. August <strong>und</strong> den Geist, der es bewegt, zum Ausdruck<br />

bringen.<br />

Es ist richtig, <strong>das</strong>s Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Mandatarstaat <strong>und</strong><br />

der Jüdischen Agentur hinsichtlich der Politik in Palästina bestehen, aber ich<br />

nehme erfreut die Zusicherungen an, die in Ihrem Brief enthalten sind.<br />

Ich stelle mit Befriedigung fest, <strong>das</strong>s in dieser Zeit größten Ernstes, in der die<br />

Dinge, die uns teuer sind, auf dem Spiel stehen, England sich auf die aufrichtige<br />

Mitwirkung der Jüdischen Agentur verlassen kann. Sie werden nicht erwarten,<br />

<strong>das</strong>s ich in diesem Stadium mehr sage als <strong>das</strong>s Ihre um <strong>das</strong> Gemeinwohl<br />

besorgten Zusicherungen willkommen sind <strong>und</strong> beherzigt werden.<br />

Original Text:<br />

JEWS TO FIGHT FOR DEMOCRACIES<br />

DR. WEIZMANNS LETTER TO MR. CHAMBERLAIN<br />

The Jewish Agency for Palestine in London yesterday issued the text of<br />

correspondence between Dr. Chaim Weizmann, President of the agency. and the<br />

Prime Minister. Dr. Weizmann in bis letter to Mr. Chamberlain, dated August!<br />

29, wrote:<br />

Dear Mr. Prime Minister.-In this hour of supreme critis the consciousnes that the<br />

Jews have a contribution to make to the defence of sacred values impels me to<br />

write this letter. l wish to confirm, in the most explicit manner, the declarations<br />

which l and my colleagues have made during the last month, and especially in<br />

the last week, that the Jews stand by Great Britain and will fight on the side of<br />

the democracies.<br />

Our urgent desire is to give effect to these declarations. We wish to do so in a<br />

way entirely consonant with the general scheme of British action, and therefore<br />

would place ourselves, in maners big and small. <strong>und</strong>er the coordinating direction<br />

of his Majesty's Government. The Jewish Agency is ready to enter into<br />

immediate arrangements for utilizing Jewish man-power, technical ability,<br />

resources. &c.<br />

The Jewish Agency has recently had differences in the political field with the<br />

Man-datory Power. We would like these differences to give way before the<br />

greater and more pressising necessities of the time. We ask you to accept this<br />

declaration in ihe spirit in which it is made.<br />

PRIME MINISTER'S REPLY<br />

The Prime Minister's reply, dated September 2, read:<br />

241


Dear Dr. Weizmann,-l should like to express my warm appreciation of the<br />

contents of your letter of Augml 29, and of the spirit which prompted it.<br />

It is true that differences of opinion exist between the Mandatory and the Jewish<br />

Agency as regards policy in Palestine, but l gladly accept the assurance<br />

contained in your letter.<br />

l note with pleasure that in this time of supreme emergency, when those things<br />

which we hold dear are at stake. Britain can rely upon the wholehearted<br />

cooperation of the Jewish Agency. You will not expect me to say more at this<br />

stage than that your public-spirited assurances are welcome and will be kept in<br />

mind.<br />

Anlage 8 - ANZAHL<br />

Sowohl die Anzahl der angeblich 6 Millionen in Deutschland umgekommenen<br />

so genannten Zwangs-Arbeiter als auch diejenige der 6 Millionen vernichteter<br />

<strong>Juden</strong> beruhen auf vagen Schätzungen, die meistenteils auf sowjetische Quellen<br />

zurückgeführt werden können, denen man im allgemeinen kein übermäßiges<br />

Zutrauen entgegenzubringen pflegt.<br />

Was insbesondere die letztere Zahl anbetrifft, so sind mir bisher nur die<br />

Berechnungen der Britisch-Amerikanischen Palästina-Kommission (am 1. Mai<br />

1946 gleichzeitig in Washington <strong>und</strong> London veröffentlicht) <strong>und</strong> diejenigen des<br />

Institute of Jewish Affairs in New York vom Anfang 1953 zu Gesicht<br />

gekommen. Beide stimmen in ihrer Endsumme fast genau überein, weisen aber<br />

t. T. recht beträchtliche Unterschiede in den einzelnen Summanden auf (z. B.<br />

Polen 3270 <strong>und</strong> 2900 Tausend, Rumänien 515 <strong>und</strong> 425 Tausend etc.). Das<br />

angewandte Berechnungsverfahren besteht darin, <strong>das</strong>s die z. T. erhobene, z. T.<br />

nur geschätzte Anzahl der im betreffenden Lande in den Jahren 1945/1946<br />

lebenden <strong>Juden</strong> von derjenigen der dort 1938/39 statistisch erfassten abgezogen<br />

<strong>und</strong> die Differenz als von Deutschen vernichtet postuliert wird. Es ist durchaus<br />

verständlich, <strong>das</strong>s bei diesem groben Verfahren weder der natürliche Zuwachs<br />

der jüdischen Bevölkerung im Laufe von rd. 7 Jahren, noch auch deren<br />

Auswanderung bzw. Flucht nach von Deutschen unbesetzten Gebieten<br />

berücksichtigt zu werden brauchen. Wesentlich bleibt aber der Umstand, <strong>das</strong>s<br />

von der 1953 geschätzten Zahl der vernichteten <strong>Juden</strong> (6.093.000) ganze<br />

5.512.000, oder mehr als 90%, auf Sowjet-Russland <strong>und</strong> die Satellitenstaaten<br />

fallen <strong>und</strong> folglich z. Z. unkontrollierbar sind. <strong>Die</strong> Zahlen sind die folgenden:<br />

Polen<br />

Sowjetrussland (besetzter Teil)<br />

Litauen <strong>und</strong> Lettland<br />

Rumänien<br />

Tschechoslowakei<br />

2.900.000<br />

1.500.000<br />

220.000<br />

425.000<br />

260.000<br />

242


Ungarn<br />

Bulgarien<br />

200.000<br />

7.000<br />

5.512.000<br />

Es fragt sich, ob die soeben von der deutschen Besetzung befreiten Länder nicht<br />

nur gewillt, sondern auch imstande waren, bereits 1945/56 eine ordentliche<br />

Bevölkerungszählung nach denselben Prinzipien wie 1938/39 durchzuführen. In<br />

den Nationalstaaten des Ostens <strong>und</strong> Südostens von Europa gehört bekanntlich<br />

die Feststellung der völkischen Zugehörigkeit zu denjenigen Fragen, die<br />

traditionsmäßig am meisten "manipuliert" werden. Es macht einen gewaltigen<br />

Unterschied, ob man über die Zugehörigkeit zum <strong>Juden</strong>tum auf Gr<strong>und</strong> des<br />

Mosaischen Glaubensbekenntnisses, der jiddischen Muttersprache, des<br />

Glaubensbekenntnisses der Eltern bzw. deren Muttersprache, oder der freien<br />

Zugehörigkeitserklärung des Befragten selbst entscheidet. Sogar die Definition<br />

der Muttersprache ist in Osteuropa schwankend: Sprache der Mutter, am besten<br />

beherrschte Sprache, usw. Es sind aber dort auch Fälle bekannt, wo nur<br />

derjenige einer völkischen Minorität zugezählt wurde, der die "Staatssprache"<br />

überhaupt nicht meistern konnte. Was insbesondere Polen anbetrifft, welchem<br />

allein beinahe die Hälfte aller getöteten <strong>Juden</strong> zugeschrieben wird, so darf man<br />

nicht vergessen, <strong>das</strong>s die schweren Pogrome, die dort 1946, also nach Abzug der<br />

Deutschen, in einer Reihe von Städten ausbrachen, keineswegs die Bereitschaft,<br />

sich als Jude offiziell zu erklären, besonders gefördert haben konnten.<br />

<strong>Die</strong> Kritik an der statistischen Methode, die zur Errechnung der Gesamtzahl der<br />

durch den Nationalsozialismus getöteten <strong>Juden</strong> geführt hat, hat<br />

selbstverständlich nicht <strong>das</strong> geringste mit unserer absoluten Abscheu vor den an<br />

diesen begangenen bestialischen Massenmorden zu tun. <strong>Die</strong> Verurteilung der<br />

letzteren hängt nicht von der bloßen Zahl der unschuldigen Opfer ab: Man denke<br />

etwa an Oradour oder an Lidice einerseits <strong>und</strong> Dresden oder Katyn andererseits.<br />

<strong>Die</strong> Erhaltung der völkischen Substanz des <strong>Juden</strong>tums würde jedenfalls<br />

gesicherter erscheinen, wenn es sich herausstellen sollte, <strong>das</strong>s der Umfang der<br />

1942 bis 1945 begangenen Massenmorde vielleicht doch wesentlich überschätzt<br />

worden ist.<br />

Zur Millionen-Ziffer (lt. Anderson: Probleme der statistischen Methodenlehre)<br />

Anlage 9 - RÜCKSCHLUSS<br />

Der Frankfurter Prozess gegen <strong>das</strong> Wachpersonal des Lagers Auschwitz<br />

<strong>und</strong> die Legende von Treblinka aus der Sicht von Paul Rassinier<br />

<strong>Die</strong> Eröffnungssitzung dieses Prozesses fand am 20. Dezember 1963 in<br />

Frankfurt am Main statt. Aber am Vorabend des Weihnachtsfestes war dies nur<br />

eine formelle Sache. <strong>Die</strong> eigentliche Verhandlung begann erst am 16. Januar<br />

1964. In einer künstlich geschaffenen Atmosphäre durch eine vorausgehende<br />

243


Bearbeitung der Öffentlichkeit, wie sie noch nie da war, <strong>und</strong> in seltener<br />

Unanständigkeit hat sich diese Verhandlung bis zum 19. August 1965<br />

hingezogen. An diesem Tag fand sie ihren Abschluss durch Verurteilung von 18<br />

von insgesamt 21 Angeklagten zu lebenslänglichen <strong>und</strong> zeitlichen<br />

Gefängnisstrafen <strong>und</strong> 3 Freisprüchen.<br />

Es geht hier nicht darum, gegen den Prozess gr<strong>und</strong>sätzlich anzugehen. Man<br />

müsste wiederholen, was von den bedeutendsten Juristen der ganzen Welt<br />

anlässlich der Nürnberger Prozesse schon gesagt worden ist <strong>und</strong> auch anlässlich<br />

des Verfahrens, <strong>das</strong> in Jerusalem Eichmann verurteilte <strong>und</strong> <strong>das</strong> aus der Menge<br />

herausragte. Das wäre unnütz, denn so wie jene nicht gehört worden waren,<br />

würde es einem selbst ergehen. Seit zwanzig Jahren setzt eine zügellose<br />

Propaganda die öffentliche Meinung unter Druck, <strong>und</strong> man kann nur abwarten,<br />

<strong>das</strong>s sie von selbst unter der Wucht der Tatsachen aufwacht.<br />

Wir haben indessen zwanzig Monate lang einer Justizkomödie beigewohnt,<br />

deren skandalöser Charakter im Hinblick auf die einfache geschichtliche<br />

Wahrheit unwiderstehlich den Vergleich mit den Hexenprozessen des<br />

Mittelalters herausfordert. So wie tatsächlich im Mittelalter Zeugen bestätigten,<br />

<strong>das</strong>s Hexen auf Besenstielen reitend, sich zur Walpurgisnacht begeben haben,<br />

wo Hüpfaufgeister <strong>und</strong> Nachtmahre Orgienfeste feierten, <strong>und</strong> ernste <strong>und</strong> fromme<br />

Richter diese Albernheiten als feste Tatsachen annahmen <strong>und</strong> die beschuldigten<br />

Unglücklichen schließlich gestanden, so erschienen auch in Frankfurt Zeugen,<br />

die zum größten Teil von einem Staat oder einer politischen Bewegung<br />

schamlos gekauft oder gezwungen wurden <strong>und</strong> dann bestätigten, <strong>das</strong>s Tausende<br />

von Menschen in Gaskammern geworfen worden sind, von denen einwandfreie<br />

Dokumente bewiesen haben, <strong>das</strong>s die Behörden des III. <strong>Reich</strong>s sie nie haben<br />

bauen lassen. Aber Richter, die ebenso ernst aber weniger fromm waren, haben<br />

diese Zeugenaussagen als wahr angenommen <strong>und</strong> die Angeklagten selbst haben,<br />

nachdem sie zunächst alles leugneten, schließlich die gegen sie erhobenen<br />

Beschuldigungen als im wesentlichen begründet anerkannt. Und auch ihre selbst<br />

wohl gesinnten Anwälte haben nicht gewagt, mehr als mildernde Umstände zu<br />

beantragen.<br />

In einer solchen Atmosphäre blieb den unglücklichen Angeklagten nur eine Art<br />

der Verteidigung übrig, nämlich einlenken, gestehen, wie die Hexen im<br />

Mittelalter, um sich die Gunst des Gerichts zu verschaffen <strong>und</strong> ein mildes Urteil<br />

zu erlangen.<br />

Es war allerdings <strong>das</strong> übelste System der Verteidigung. Sie haben sicher nicht<br />

alles gestanden, vielleicht nur was ihnen geeignet erschien, um nicht zu schwere<br />

Folgen herbeizuführen. Aber deshalb waren es nicht weniger die<br />

unwahrscheinlichsten Dinge - ebenso unwahrscheinlich wie die Geständnisse<br />

der Hexen im Mittelalter. Da sie andererseits zunächst begonnen hatten, alles<br />

abzustreiten, so hat man daraus geschlossen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong>, was sie nicht gestehen<br />

244


wollten, ebenso wahr ist wie <strong>das</strong>, was sie gestanden haben, so <strong>das</strong>s sie folglich<br />

schwer bestraft wurden.<br />

Ein einziger Angeklagter weigerte sich hartnäckig, irgendetwas anzuerkennen,<br />

<strong>und</strong> da seine Geschichte diesem Prozess eine völlig neue Note gab, verdient sie,<br />

erzählt zu werden.<br />

Am 17. Dezember 1960 verhaftete die deutsche Polizei im Raum Hamburg<br />

einen Mann, der hier seit mehr als fünfzehn Jahren unter einem falschen Namen<br />

gelebt hat. <strong>Die</strong> Polizei stellte rasch fest, <strong>das</strong>s es kein anderer als der ehemalige<br />

SS-Obersturmbannführer Richard Baer ist, der vom 1. Dezember 1943 bis 25.<br />

Januar 1945 - dem Tag, an dem er sich vor den heranrückenden russischen<br />

Truppen absetzte - der zweite <strong>und</strong> letzte Kommandant des Konzentrationslagers<br />

Auschwitz war. Man weiß, <strong>das</strong>s vom 14. Juni 1940 an, als <strong>das</strong> Lager eröffnet<br />

wurde, bis zum 1. Dezember 1943 der erste Kommandant des Lagers<br />

Obersturmbannführer Rudolf Hoess gewesen ist. 1 <strong>Die</strong>ser ist heute weltweit<br />

bekannt durch die ebenso riesige wie skrupellose Hetzkampagne in der<br />

Öffentlichkeit, die wegen der Veröffentlichung seiner Erinnerungen in fünf<br />

Sprachen unter dem Titel "Der Kommandant von Auschwitz spricht" (in franz.<br />

Sprache bei Julliard, 1959) entfacht wurde.<br />

Nachdem im April-Mai 1946 vom Nürnberger Gerichtshof trotz zahlreicher<br />

Widersprüche die unwahrscheinlichsten Beschuldigungen gegen Deutschland in<br />

puncto Kriegsverbrechen <strong>und</strong> Verbrechen gegen die Menschlichkeit sorgsam als<br />

authentisch erwiesen aufgestellt worden waren, wurde Rudolf Hoess am 2. April<br />

1947 vom höchsten polnischen Gericht zum Tode verurteilt, "weil er an der<br />

Ermordung ... durch Erstickungstod in den Gaskammern, durch Verbrennung<br />

lebender Personen, Erschießungen, tödliche Injektionen, medizinische Versuche,<br />

Hungerstod usw. von 2812 000 Menschen, zum größten Teil <strong>Juden</strong>,<br />

teilgenommen habe. 2<br />

________________<br />

1 Nicht zu verwechseln mit Rudolf Hess, der immer noch im Gefängnis in Spandau sitzt.<br />

2 Im Frankfurter Prozess hat Dr. Martin Broszac vorn Institut für Zeitgeschichte in München die Opfer dieses<br />

Konzentrationslagers auf 1.500.000 geschätzt <strong>und</strong> <strong>das</strong> Geschichtsinstitut des Jüdischen Weltkongresses auf 900.000<br />

(Eichmann confederates and the Third <strong>Reich</strong> Hierarchy, New York, 1961, S. 18).<br />

Am nächsten Tag, am 4. April, wurde Hoess in Auschwitz gehängt.<br />

Seitdem suchte man seinen Nachfolger, dem die Anklage anlastete, diese<br />

schreckliche Vernichtungsaktion übernommen <strong>und</strong> die Gesamtzahl der Opfer<br />

auf eine unbestimmte Höhe erweitert zu haben, die man jedoch nach der<br />

Literatur über Konzentrationslager allgemein auf etwa vier Millionen <strong>Juden</strong><br />

schätzt. Als man ihn schließlich fand, wurde er ins Gefängnis Frankfurt<br />

eingeliefert <strong>und</strong> die Voruntersuchung gegen ihn eingeleitet.<br />

<strong>Die</strong>ses Verfahren war nicht leicht. Wir glauben zu wissen, <strong>das</strong>s der ehemalige<br />

Sturmbannführer von Anbeginn erklärte, <strong>das</strong>s es während seines Kommandos<br />

245


nie Gaskammern in Auschwitz gegeben hat, <strong>das</strong>s er davon erstmals durch <strong>das</strong><br />

Echo aus Nürnberg gehört hat, <strong>das</strong> ihn in seiner Verborgenheit erreicht habe,<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong>s er nicht untergetaucht sei, weil er sich schuldig fühlte, sondern<br />

lediglich, um nicht gerade den Nürnberger Richtern in die Hände zu fallen ...<br />

Generalstaatsanwalt Bauer, der die Voruntersuchung führte, legte ihm die<br />

Aussagen von Rudolf Hoess vor, die dieser in Nürnberg <strong>und</strong> in seinen<br />

Memoiren gemacht hat. Baer erwiderte, <strong>das</strong>s er nicht wisse, was unter dem<br />

Kommando von Hoess passiert sei <strong>und</strong> führte Zeugen an. Je nach Bedarf ließ<br />

Generalstaatsanwalt Bauer sie einsperren <strong>und</strong> erhob Anklage wegen<br />

Mittäterschaft. Es sind heute noch 22 Zeugen, die darauf warten, vor dem<br />

Schwurgericht in Frankfurt erscheinen zu können.<br />

Baer hat jedoch bis zuletzt seinen Standpunkt vertreten, <strong>und</strong> nie konnte man ihn<br />

dazu bewegen, diesen aufzugeben. Ebenso gelang es nie, den geringsten Beweis<br />

gegen ihn beizubringen. Das war bitter. Sollte etwa Generalstaatsanwalt Bauer<br />

gezwungen sein, zugeben zu müssen, <strong>das</strong>s "die 434.351 ungarischen <strong>Juden</strong>, die<br />

in der Zeit vom 16. Mai bis 8. Juli 1944 in 147 Eisenbahnzügen nach Auschwitz<br />

verbracht worden sind", was Punkt 112 des Prozesses in Jerusalem festgehalten<br />

hat, nie durch Gas getötet worden sind? Von dieser Anklage ließ er nicht ab, er<br />

auch nicht, aber ... Nun, der Prozess, der für Herbst 1961 angesetzt war, wurde<br />

erstmals auf Frühjahr 1962 vertagt, ein zweites Mal auf Herbst 1962, ein drittes<br />

Mal auf Frühjahr 1963 <strong>und</strong> ein viertes Mal auf Frühjahr 1964. Plötzlich, am 17.<br />

Juni 1963, verkündete Generalstaatsanwalt Bauer, <strong>das</strong>s völlig unvorhergesehen<br />

der ehemalige Obersturmbannführer Richard Baer den Entschluss gefasst habe,<br />

an Herzschwäche zu sterben (Frau Baer hatte wenige Tage zuvor ihren Mann im<br />

Gefängnis besucht <strong>und</strong> ihn bei bester Ges<strong>und</strong>heit vorgef<strong>und</strong>en; er war voller<br />

Hoffnung, <strong>das</strong>s in allernächster Zeit <strong>das</strong> Verfahren gegen ihn eingestellt wird).<br />

Kaum eine Woche später hörte man von der gleichen Quelle, <strong>das</strong>s der auf<br />

Frühjahr 1964 angesetzte Auschwitz-Prozess auf Anfang Winter 1963<br />

vorverlegt werden konnte.<br />

Da der Hauptangeklagte tot war, war der Weg beachtlich frei geworden für die<br />

Betriebsamkeit des Generalstaatsanwalts Bauer. Wie einer seiner Vorgänger es<br />

bei einem namens Kurt Gerstein bezüglich der Gaskammern von Belzec,<br />

Chaimno, Sobibor, Maidanek <strong>und</strong> Treblinka deichselte, so konnte jetzt<br />

Generalstaatsanwalt Bauer ganz nach seinem Belieben alle nachträglichen<br />

Erklärungen, die er bezüglich Auschwitz brauchte, Richard Baer zuschreiben.<br />

Nach diesen Eingangsbetrachtungen kommen wir zur Lage der <strong>Juden</strong> in Hitler-<br />

Deutschland <strong>und</strong> wollen sie in historischem Zusammenhang darstellen. <strong>Die</strong> Zeit<br />

bis 1940 kennen wir zur Genüge, so <strong>das</strong>s es unnötig ist, im Einzelnen darauf<br />

zurückzukommen. Für die Folgezeit sind zwei Dinge zu unterscheiden,<br />

einerseits die Besonderheiten, welche der deutsch-französische Waffenstillstand<br />

1940 mit sich gebracht hat, andererseits diejenigen, die mit dem Kriegsbeginn<br />

246


Deutschland - Russland (22. Juni 1941) <strong>und</strong> mit dem Eintritt der USA in den<br />

Krieg (7. Dezember 1941) entstanden sind.<br />

<strong>Die</strong> Lage der <strong>Juden</strong> nach dem Waffenstillstand 1940<br />

Von 1933-1939 hatte die deutsche Diplomatie vergeblich versucht, von England<br />

<strong>das</strong> Recht zur Überstellung aller <strong>Juden</strong> des Großdeutschen <strong>Reich</strong>es nach<br />

Palästina zu erlangen. Seit 1895 hatte die internationale zionistische Bewegung<br />

durch die Stimme <strong>und</strong> die Feder Theodor Herzls diese Forderung vertreten, <strong>und</strong><br />

Hitler dachte, <strong>das</strong>s eine geschickte Anwendung der Balfour-Deklaration (2.<br />

November 1917) die Verwirklichung herbeiführen könnte. Aber die englische<br />

Diplomatie setzte dem stets ein entschiedenes Nein entgegen, da es mit ihrer<br />

Politik im Mittleren Orient, für welche der Versailler Vertrag ihr freie Hand<br />

gegeben hätte, unvereinbar wäre. Auch würde eine solche Forderung den<br />

nationalen Bestrebungen der Araber zuwiderlaufen. Andererseits habe man seit<br />

dem 16. Mai 1918, dem Geburtstag des Staates Israel, täglich die Erfahrung<br />

gemacht, <strong>das</strong>s seine Gründung nicht vernünftig war.<br />

Ab 10. Juli 1940 hat der Zusammenbruch der französischen Streitkräfte <strong>und</strong> der<br />

anschließende Waffenstillstand bei der Führung des III. <strong>Reich</strong>es die Hoffnung<br />

auf eine andere Lösung des <strong>Juden</strong>problems erweckt. <strong>Die</strong> Regierung Petain war<br />

stellvertretend für eine Meinungsströmung in Frankreich, die sich seit 1937<br />

darüber beklagte, <strong>das</strong>s Madagaskar an Unterbevölkerung leide, so <strong>das</strong>s seine<br />

wirtschaftliche Entwicklung nachgerade unheilbar gefährdet sei. Warum sollte<br />

also die Regierung nicht zustimmen, <strong>das</strong>s alle <strong>Juden</strong> aus dem europäischen<br />

Raum, soweit er von deutschen Truppen besetzt ist, dorthin geschafft werden?<br />

Seit dem 10. Juli 1940 sondierte die deutsche Diplomatie in diesem Sinn in<br />

Vichy.<br />

<strong>Die</strong> Geschichte dieses Vorgangs ist im Einzelnen in einer Denkschrift<br />

niedergelegt, die <strong>das</strong> Datum vom 24. September 1942 <strong>und</strong> die Unterschrift<br />

Martin Luthers, des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt des III. <strong>Reich</strong>s trägt;<br />

sie lag dem Nürnberger Gerichtshof am 2. April 1946 unter der Nummer P. S.<br />

3688 vor. Man liest darin, <strong>das</strong>s Pierre-Etienne Flandin, der nach dem 13.<br />

Dezember 1940 Nachfolger von Pierre Laval im Ministerium für Auswärtige<br />

Angelegenheiten wurde, stets dagegen war, <strong>das</strong>s davon gesprochen wurde.<br />

Da Otto Abetz Flandins geistige Einstellung in dieser Frage kannte, machte er<br />

Hitler schon am 13. Dezember 1940 davon Mitteilung; dieser regte sich jedoch<br />

darüber nicht auf. Er hatte den Plan, Marschall Petain zu bewegen, sich von P.<br />

E. Flandin zu trennen, dessen Englandfre<strong>und</strong>lichkeit bekannt war. Hitler<br />

zweifelte nicht an seinem raschen Erfolg in dieser Hinsicht <strong>und</strong> änderte seine<br />

augenblickliche Politik bezüglich der europäischen <strong>Juden</strong> in keiner Weise; er<br />

hoffte, <strong>das</strong>s die Regierung in Vichy eines Tages doch noch Madagaskar zur<br />

Verfügung stellen werde.<br />

247


<strong>Die</strong> Sondierungen in dieser Richtung wurden erneut aufgenommen, als P.-E.<br />

Flandin am 10. Dezember 1941 zurückgetreten war. Der europäische, von<br />

deutschen Truppen besetzte Raum, umfasste zu dieser Zeit außer Deutschland,<br />

<strong>das</strong> mit Österreich zusammen Großdeutschland bildete im Osten Böhmen-<br />

Mähren, aus welchem nach Auflösung der Tschechoslowakei ein Protektorat<br />

gebildet wurde mit Aussonderung der Slowakei, die einen unabhängigen Staat<br />

unter deutschem Einfluss bildete; ferner so gut wie die Hälfte von Polen.<br />

Im Westen: Dänemark, Holland, Belgien, Luxemburg <strong>und</strong> Frankreich bis zur<br />

Demarkationslinie, die es in zwei Teile trennte.<br />

Insgesamt wie viel <strong>Juden</strong>?<br />

In Böhmen-Mähren sozusagen keine. Sie sind nahezu alle in die Slowakei<br />

geflohen, von wo aus sie, da sie sich in <strong>Reich</strong>weite des Nationalsozialismus<br />

nicht sicher fühlten, langsam donauabwärts über Ungarn, Rumänien <strong>und</strong><br />

Bulgarien, die nicht besetzt <strong>und</strong> ihnen nicht feindlich gesinnt waren, nach<br />

Palästina entwichen. Es ging langsam, weil ein Devisenproblem auftrat, was<br />

wiederum zu einem Passproblem führte.<br />

Im April 1939 hatte England bestimmt, <strong>das</strong>s nur solchen <strong>Juden</strong> freier Zugang<br />

nach Palästina gestattet wird, die über £1000 Sterling in bar verfügen <strong>und</strong><br />

bezüglich aller übrigen die Einwanderungsquote auf 1500 Personen pro Jahr<br />

beschränkt wird. Deutschland seinerseits wollte aus dem von ihm besetzten<br />

Europa, so weit sein Einfluss reichte, alle <strong>Juden</strong> ausreisen lassen, widersetzte<br />

sich jedoch hartnäckig, <strong>das</strong>s sie die geforderten £ 1000 Sterling mitnehmen. Aus<br />

was für einem Gr<strong>und</strong> auch?<br />

Immerhin, wenn es für irgendeinen <strong>Juden</strong> noch leicht war, sich 1000 £ Sterling<br />

zu beschaffen (die jüdischen Gemeinden waren reich) so war es viel schwieriger,<br />

einen Pass zu bekommen. Man musste erst einmal in Budapest sein, wo - wie<br />

uns Joel Brand in seinem Buch "Eine Million <strong>Juden</strong> gegen 10.000<br />

Lastkraftwagen" erzählt - <strong>das</strong> "Jüdische Wohlfahrtskomitee" Pässe serienweise<br />

herstellte <strong>und</strong> flugs verteilte. Wenn man nackt wie ein Wurm nach Ungarn<br />

gelangen konnte, gab es kein Problem. <strong>Die</strong> Deutschen schlossen an der<br />

polnischen oder slowakisch-ungarischen Grenze die Augen. Wenn aber einer<br />

mit £ 1000 Sterling oder einem Gegenwert dahin kommen wollte, was<br />

gleichzeitig ein gr<strong>und</strong>sätzliches <strong>und</strong> allgemeines Anliegen war, so musste der<br />

Grenzübergang heimlich erfolgen, was lange Vorbereitung kostete <strong>und</strong> die<br />

Auswanderung verzögerte.<br />

Als indessen diese erste Schwierigkeit überw<strong>und</strong>en war, zeigte sich eine andere,<br />

nämlich bei der Ankunft in Palästina. Hier tauchte <strong>das</strong> Problem der in Budapest<br />

erhaltenen falschen Pässe auf. Der Betrug wurde von den englischen Behörden<br />

entdeckt, <strong>und</strong> die <strong>Juden</strong> wurden zurückgewiesen, selbst wenn sie die 1000 £<br />

Sterling vorzeigten. So blieb ihnen nichts übrig, als sich auf den Weg zu<br />

machen, um über Zentralasien Birobidjan zu erreichen, ein von Stalin in den<br />

248


dreißiger Jahren gegründeter jüdischer Staat der Sowjetunion. Von dort<br />

gelangten sie auch über Hongkong oder Schanghai nach USA, Kanada, Brasilien<br />

oder Argentinien. <strong>Die</strong> Zahl der europäischen <strong>Juden</strong>, die zwischen 1940 bis 1945<br />

diesen Weg einschlugen <strong>und</strong> denen es gelang, den amerikanischen Kontinent zu<br />

erreichen, ist beachtlich.<br />

In Polen sind die <strong>Juden</strong> vor den deutschen Truppen geflohen. Am 1. Mai 1961<br />

haben zwei polnische Israeliten, Zwi Patcher <strong>und</strong> Jacob Goldfine vor dem<br />

Gericht in Jerusalem erzählt, <strong>das</strong>s die polnischen <strong>Juden</strong> nicht nur in Massen<br />

fliehen konnten, sondern <strong>das</strong>s auch solche, die nicht fliehen wollten, von den<br />

deutschen Soldaten gefangen <strong>und</strong> in Gruppen zur Demarkationslinie gebracht<br />

wurden, die im deutsch-russischen Vertrag vom 23. August 1939 festgelegt<br />

worden war. <strong>Die</strong> Statistik aus jüdischen Quellen, die genau geprüft wurde, gibt<br />

an, <strong>das</strong>s ungefähr eine Million <strong>Juden</strong> (von drei Millionen in Polen vor dem<br />

Krieg lebenden <strong>Juden</strong>) in der deutsch besetzten Zone geblieben sind.<br />

Im Westen sind mit seltenen Ausnahmen alle französischen <strong>Juden</strong> in die nicht<br />

besetzte Zone geflohen <strong>und</strong> haben sich dort - wie im Prozess in Jerusalem<br />

ausgesagt wurde - mit 40.000 holländischen <strong>Juden</strong> (von insgesamt 120.000), mit<br />

ebenso vielen belgischen <strong>Juden</strong> (von insgesamt 60.000) <strong>und</strong> mit ungefähr<br />

250.000 polnischen <strong>und</strong> russischen <strong>Juden</strong> vereint, die alle versuchten, über<br />

Nordafrika nach Palästina zu gelangen. Der Deutsche Korherr,<br />

Generalinspekteur der Volkstumsstelle im III. <strong>Reich</strong>, behauptete einmal, <strong>das</strong>s es<br />

Ende 1940 in Frankreich ungefähr 750-800.000 europäische <strong>Juden</strong> aller<br />

Nationalitäten gegeben habe ...<br />

Schließlich berichtet uns die Statistik der "Weltzentrale für zeitgenössische<br />

jüdische Dokumentation", <strong>das</strong>s von etwa 540.000 deutschen <strong>und</strong> 240.000<br />

österreichischen <strong>Juden</strong> 510.000 <strong>Juden</strong> (330.000 deutsche <strong>und</strong> 180.000<br />

österreichische) ihr Land vor dem 1. September 1939 verlassen konnten, was<br />

bedeutet, <strong>das</strong>s offenbar nur 270.000 <strong>Juden</strong> die Ausreise nicht gelang.<br />

Totalbestand am 13. 12. 1940: Etwa 2,5 Millionen <strong>Juden</strong> im europäischen von<br />

deutschen Truppen besetzten Raum. Ich wiederhole: diese <strong>Juden</strong> waren in<br />

Auswanderung nach Palästina begriffen, denn die im Westen waren vom<br />

gleichen Wunsch beseelt wie die im Osten, nämlich so schnell wie möglich<br />

außer <strong>Reich</strong>weite der Maßnahmen des Nationalsozialismus zu gelangen, von<br />

denen sie befürchteten, <strong>das</strong>s sie auf sie zukommen werden. Über Spanien,<br />

Korsika <strong>und</strong> selbst Italien - <strong>das</strong> Regime Mussolinis war nicht rassistisch<br />

eingestellt - kamen sie nach Nordafrika, von wo aus sie Palästina zu erreichen<br />

versuchten. Als sie aber an der Grenze Ägyptens ankamen, verzichteten sie im<br />

Allgemeinen auf die Weiterreise mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, die<br />

ihnen hier England bereitete. Sie sind indessen reicher als die Ostjuden, der<br />

Zionismus begeistert sie weniger. So nehmen sie dann <strong>das</strong> Flugzeug <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />

Schiff in Richtung amerikanischer Kontinent. Daher ist die Zahl der<br />

249


europäischen <strong>Juden</strong>, denen es gelang, die Vereinigten Staaten, Kanada, Brasilien<br />

oder Argentinien zu erreichen, beachtlich.<br />

Mit Ausnahme des Geldtransfers, den die Deutschen an der Demarkationslinie<br />

genau überwachten, haben sie bis zum 13. Dezember 1940 genau wie im Osten<br />

keinerlei Maßnahmen gegen die <strong>Juden</strong> unternommen. Man war zufrieden, wenn<br />

diese in die nichtbesetzte Zone gingen. <strong>Die</strong> Demarkationslinie war leichter<br />

heimlich zu überschreiten als die polnische oder slowakisch-ungarische Grenze.<br />

Heute weiß man - <strong>das</strong> Urteil von Jerusalem erkennt dies ausdrücklich an - <strong>das</strong>s<br />

die Politik der Regierung in Vichy sich stets gegen alle Ausnahmemaßnahmen<br />

gewandt hat, die ihr von den Besatzungsstellen vorgeschlagen worden waren.<br />

Bis zum 8. November 1942, dem Tag, an welchem auch die Südzone von<br />

deutschen Truppen besetzt wurde, konnte man sagen, <strong>das</strong>s wer in die unbesetzte<br />

Zone gelangt war, als gerettet gelten konnte. 3<br />

Und man kam leicht dahin. <strong>Die</strong> Deutschen selbst erleichterten den <strong>Juden</strong>, die<br />

keine Devisen besaßen, den Zugang. In Punkt 77 des Urteils von Jerusalem wird<br />

Eichmann beschuldigt, er habe Millionen europäischer <strong>Juden</strong>, deren<br />

überwältigende Mehrheit nie im Befehlsbereich Eichmanns gelegen hat - in die<br />

problematischen Gaskammern von Auschwitz deportiert. Gleichfalls wird ihm<br />

auch angelastet - paradoxerweise - darunter hätte sich ein Eisenbahnzug mit<br />

7400 <strong>Juden</strong> aus den Provinzen Baden <strong>und</strong> Pfalz bef<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong>ser fragliche<br />

Eisenbahnzug ist im Oktober 1940 nach Gurs (Untere Pyrenäen), also in Freiheit<br />

<strong>und</strong> Wohlergehen geleitet worden ...<br />

________________<br />

3 Erinnern wir uns, <strong>das</strong>s Punkt 100 des Urteils von Jerusalem Eichmann vorwirft, er habe aus Frankreich 52.000 <strong>Juden</strong><br />

deportiert, von denen, wie uns die Jüdin Dr. Hannah Arendt ("De la banalite, du mal", Seite 185, Gallimard) mitteilt,<br />

6000 französische <strong>Juden</strong> waren <strong>und</strong> nicht 120.000, wie offiziell die jüdischen Statistiken behaupten.<br />

Man kam also sehr leicht aus der deutschen Einflusszone heraus <strong>und</strong> noch<br />

leichter über die französisch-schweizer Grenze als über Spanien, Korsika oder<br />

Italien. Viele <strong>Juden</strong> gelangten ganz offiziell in die Schweiz, wo in Genf Sally<br />

Meyer als "Verteilerkopf" in Zusammenarbeit mit den Schweizer<br />

B<strong>und</strong>esbehörden alle diejenigen, die zu ihm kamen, unmittelbar zum<br />

amerikanischen Kontinent weiterleitete. Wenn der Flugplatz von Cointrain<br />

sprechen könnte ... Mit Beginn des Krieges Deutschland gegen die Sowjetunion,<br />

den Verbündeten vom Vorabend, nahm der Fall der europäischen <strong>Juden</strong> einen<br />

dramatischen Verlauf.<br />

<strong>Die</strong> Lage der <strong>Juden</strong> nach Beginn des Ostfeldzugs <strong>und</strong> die Endlösung<br />

Im Morgengrauen des 22. Juni 1941 begannen die deutschen Truppen auf einer<br />

Frontlänge von mehr als 700 km in die Weite Russlands einzudringen. <strong>Die</strong><br />

Soldaten trugen Sommeruniformen. Hitler <strong>und</strong> <strong>das</strong> OKW (Oberkommando der<br />

250


Wehrmacht) zweifelten nicht, <strong>das</strong>s sie vor Einbruch der Kälte Moskau erreicht<br />

<strong>und</strong> Stalin zur Kapitulation gezwungen haben werden.<br />

Es gibt viele <strong>Juden</strong> in Russland. Am Vorabend des Kriegs gab es dort nach der<br />

Statistik jüdischer Quellen drei Millionen <strong>Juden</strong>. Hinzurechnen muss man noch<br />

mehr als zwei Millionen polnischer <strong>Juden</strong>, die während des Polenfeldzugs vor<br />

den deutschen Truppen geflohen waren <strong>und</strong> in Russland Zuflucht gef<strong>und</strong>en<br />

haben. Insgesamt also ungefähr fünf Millionen.<br />

Während des Polenfeldzugs sind sicher viele geflohen. Am 5. Dezember 1942<br />

schrieb der israelische Journalist David Bergelson in der in Moskau<br />

erscheinenden zionistischen Zeitschrift "<strong>Die</strong> Einheit" <strong>das</strong>s, ohne genaue Zahlen<br />

anzugeben, "dank der Evakuierung 80% der <strong>Juden</strong> gerettet werden konnten".<br />

<strong>Die</strong> restlichen 20%, die demnach in deutsche Hände gefallen waren, betrugen<br />

immerhin eine Million <strong>Juden</strong>. Mit den 2,5 Millionen, die schon dort waren,<br />

belief sich die Gesamtsumme der <strong>Juden</strong>, die sich im von deutschen Truppen<br />

besetzten europäischen Raum befanden, auf etwa 3,5 Millionen.<br />

Aber wir haben erst den 22. Juni 1941 <strong>und</strong> Hitler wie auch <strong>das</strong> OKW <strong>und</strong> die<br />

mit dem <strong>Juden</strong>problem beauftragten <strong>Die</strong>nststellen Himmlers befürchten, wie wir<br />

bald sehen werden, <strong>das</strong>s die doppelte Anzahl <strong>Juden</strong> erreicht wird. Noch läuft der<br />

Blitzkrieg, der zwar immer noch einer bedeutenden Anzahl, aber doch nur in<br />

begrenztem Umfang die Flucht ermöglicht.<br />

Der Feldzug entwickelt sich zunächst planmäßig. Ende Juli lässt Hitler Göring<br />

zu sich kommen, setzt ihn von den Gegebenheiten des Problems in Kenntnis <strong>und</strong><br />

beauftragt ihn, als Verantwortlichen für die deutsche Wirtschaft, eine passende<br />

Lösung für den wohl unwahrscheinlichen aber ins Auge zu fassenden Fall zu<br />

finden, <strong>das</strong>s Russland, auch wenn Moskau eingenommen wird, nicht kapituliert.<br />

Göring ruft Heydrich, den Chef des <strong>Reich</strong>ssicherheitshauptamts (RSHA) zu sich<br />

<strong>und</strong> lässt ihn eine Ministerkonferenz mit dem Ziel, eine zweckdienliche Lösung<br />

zu finden, vorbereiten. Zur Bestätigung dieses Auftrags überreicht er ihm einen<br />

schriftlichen Befehl mit dem Datum vom 31. Juli 1941. <strong>Die</strong>ser liegt später dem<br />

Nürnberger Gerichtshof unter der Nummer P.S. 710 (C. R. des debats, Tome<br />

XXVI, Seite 267) vor. Es ist darin nicht die Rede von dieser "Endlösung" die so<br />

mörderisch klingt, sondern von der "Gesamtlösung der <strong>Juden</strong>frage". <strong>Die</strong>ser<br />

Ausdruck stammt aus der letzten Ziffer des Befehls in der Form einer<br />

"endgültigen Lösung" <strong>und</strong> nicht "Endlösung". <strong>Die</strong>ser Ausdruck wurde übrigens<br />

1895 erstmals von Theodor Herzl in seinem berühmten Buch "Der <strong>Juden</strong>staat"<br />

verwendet.<br />

Heydrich wandte sich an Müller, den Chef der Gestapo, von dem die Presse jetzt<br />

berichtet, <strong>das</strong>s er einen bedeutenden Posten bei der DDR-Polizei innehat.<br />

Damals führte er die bekannte Abt. IV b, 4, <strong>das</strong> <strong>Juden</strong>referat. Müller schickte<br />

Eichmann ... Heydrich unterrichtete ihn vom Schriftverkehr über Vorbereitung<br />

<strong>und</strong> Einberufung dieser Ministerkonferenz, die heute in die Geschichte des<br />

251


Dramas der europäischen <strong>Juden</strong> unter dem Namen "Konferenz von Wannsee"<br />

(<strong>das</strong> Berliner Stadtviertel, wo sie stattfand) eingegangen ist.<br />

<strong>Die</strong> Konferenz von Wannsee<br />

Sie war auf den 9. Dezember 1941 einberufen worden. Pearl-Harbour <strong>und</strong> der<br />

Eintritt Japans in den Krieg gegen die Vereinigten Staaten sowie der Beitritt<br />

Deutschlands an der Seite Japans (Abkommen der Achse Berlin -Rom - Tokio)<br />

nötigten zur Verlegung der Konferenz auf den 20. Januar 1942.<br />

An diesem Tage waren die Teilnehmer (es waren 30), die von den interessierten<br />

Ministerien entsandt worden waren, mit folgender Lage konfrontiert: <strong>Die</strong><br />

deutschen Truppen stehen vor Moskau (sie sind festgefahren, was nicht<br />

vorgesehen war). Nach der von dem Deutschen Korherr, dem Inspekteur der<br />

Volkstumsstelle des III. <strong>Reich</strong>s, erstellten Statistik kann gefolgert werden, <strong>das</strong>s<br />

es im von deutschen Truppen besetzten oder unter deutschem Einfluss<br />

Stehenden europäischen Raum, der beachtliche Ausmaße angenommen hat,<br />

zwischen 4 <strong>und</strong> 4,5 Millionen <strong>Juden</strong> gibt. Streng genommen entsprach diese<br />

Zahl derjenigen der wirklich festgestellten.<br />

Welche Folgerungen sind gezogen worden? Einerseits ist der Plan Madagaskar,<br />

dem Frankreich immer noch nicht zugestimmt hat, seit Kriegseintritt der<br />

Vereinigten Staaten strategisch unanwendbar geworden (die deutsche Flotte<br />

kann die Sicherheit großer Transporte mit <strong>Juden</strong> zu einer so entfernten Insel<br />

nicht mehr gewähren - man müsste um <strong>das</strong> Kap der Guten Hoffnung<br />

herumfahren. Andererseits befinden sich von diesen 4-4,5 Millionen <strong>Juden</strong><br />

dreiviertel im europäischen Osten. Daher kam ihnen der Gedanke, <strong>das</strong>s es im<br />

offenen Krieg leichter <strong>und</strong> auch wirtschaftlicher ist, die eine Million <strong>Juden</strong> im<br />

Westen in den Osten zu schaffen, als umgekehrt die 3,5 Millionen im Osten in<br />

den Westen (z. B. in <strong>das</strong> unbesetzte Frankreich) zu verlegen. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

beschloss die Konferenz von Wannsee die Zurückdrängung (dies ist <strong>das</strong> Wort,<br />

<strong>das</strong> sich in der Niederschrift der Konferenz findet <strong>und</strong> <strong>das</strong> mit "elimination" im<br />

Sinn von "physischer Elimination" = Auslöschung übersetzt wurde) aller <strong>Juden</strong><br />

aus dem deutschen Lebensraum. Sie sollten nach Osten in Marsch gesetzt, dort<br />

zur Arbeit eingesetzt werden <strong>und</strong> <strong>das</strong> Ende des Krieges abwarten müssen, <strong>das</strong><br />

dann über ihr weiteres Los entscheiden soll.<br />

Im Gegensatz zu allem, was bisher skrupellose Historiker gesagt haben,<br />

existieren in den Unterlagen Worte wie "Vernichtung" oder "Ausrottung" nicht.<br />

Dr. Kubory, der Direktor des zeitgenössischen jüdischen Dokumentenzentrums<br />

in Tel-Aviv, hat übrigens laut der Zeitschrift "La terre retrouvee" vom 15. 12.<br />

1960 anerkannt, "<strong>das</strong>s es kein Dokument gibt, <strong>das</strong> von Hitler, Himmler oder<br />

Heydrich unterzeichnet ist <strong>und</strong> <strong>das</strong> von Auslöschung der <strong>Juden</strong> spricht, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s<br />

<strong>das</strong> Wort 'Vernichtung' in dem Brief Görings an Heydridi über die Endlösung<br />

der <strong>Juden</strong>frage nicht vorkommt."<br />

252


Osteuropa, von dem in Wannsee gesprochen wurde, ist zunächst der Raum<br />

Auschwitz, wo seit 14. Juni 1940 ein Konzentrationslager bestand, in welchem<br />

Himmler 100.000 Kriegsgefangene einsammelte; sodann die Umgebung:<br />

Cheimno, Belzec, Sobibor, Maidanek <strong>und</strong> Treblinka, Orte, an denen die kämpf<br />

enden deutschen Truppen ab 22. Juni 1941 notdürftig ausgerüstete<br />

Konzentrationslager errichten, um darin gefangene Partisanen <strong>und</strong> besonders<br />

<strong>Juden</strong> zu sammeln.<br />

Nachdem man ab 13. Dezember 1940 die Überzeugung gewonnen hatte, <strong>das</strong>s<br />

der Plan Madagaskar so gut wie gescheitert war, hat Eichmann vorgeschlagen,<br />

in diesem Raum einen <strong>Juden</strong>staat nach den von Theodor Herzl 1895 erstellten<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen zu schaffen. Mit Einwilligung Himmlers hat er ab Frühjahr 1941<br />

begonnen, mehrere h<strong>und</strong>erttausend <strong>Juden</strong> zusammenzuziehen. <strong>Die</strong>ser Vorgang,<br />

"Nisko" genannt, wurde ihm in Punkt 72 der Urteile in Jerusalem besonders<br />

heftig zur Last gelegt.<br />

<strong>Die</strong> Gaskammern<br />

Nach dem 21. Januar 1942 wurden die Beschlüsse der Konferenz von Wannsee<br />

allen interessierten <strong>Die</strong>nststellen mitgeteilt mit dem Auftrag, alle Lager <strong>und</strong><br />

Lagerbaustellen r<strong>und</strong> um Auschwitz fertig zu machen <strong>und</strong> einzurichten <strong>und</strong> mit<br />

Auschwitz selbst zu beginnen. Es ging darum, <strong>das</strong> darf man nicht vergessen,<br />

Einrichtungen für die Aufnahme von Millionen von Menschen zu schaffen.<br />

Um es genau zu sagen: <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nststellen des R.S.H.A. <strong>und</strong> besonders die<br />

Bauleitung war schon vorher an der Arbeit. Aber zu dieser Zeit war eine viel<br />

geringere Anzahl Internierter vorgesehen. Jetzt mussten sie ihre Projekte auf die<br />

neuen Dimensionen ausdehnen. Im Dokument N. 4.401 (<strong>das</strong> zum Prozess der<br />

nationalsozialistischen Organisationen in Nürnberg gefertigt wurde) findet man<br />

unter dem Namen Bauleitung mit Datum vom 28. Januar 1942 bei N. 932 <strong>und</strong><br />

938 Konstruktionspläne von vier Verbrennungsöfen mit je 15 Kammern, die im<br />

Untergeschoß namentlich aufgeführte Räume enthalten, davon zwei<br />

Leichenkeller <strong>und</strong> zwei Baderäume. Unter N.N. 11; 450/42/B/I. H. findet man<br />

auch eine Bestellung vom 3. August 1942 über diese Verbrennungsöfen,<br />

gerichtet an die Firma Topf & Söhne in Erfurt. Schließlich steht in einem<br />

weiteren Dokument mit der Nummer N.O. 4463, <strong>das</strong> für den Prozess gefertigt<br />

wurde, <strong>das</strong>s diese Verbrennungsöfen am 20. Februar 1943 an <strong>das</strong> Lager<br />

Auschwitz ausgeliefert worden sind. Rechnet man die Installationszeit hinzu, so<br />

konnten sie Anfang März zum Gebrauch bereit gestanden haben ... <strong>Die</strong>se<br />

Leichenkeller <strong>und</strong> Baderäume sind also, wie gesagt, nach der Gesetzessprache<br />

Gaskammern.<br />

Das wenigste, was man hierzu sagen kann, ist, <strong>das</strong>s man doch ein wenig stark<br />

aufgetragen hat.<br />

<strong>Die</strong>s gilt um so mehr, als, wie Dr. Kubovy, der Direktor der zeitgenössischen<br />

jüdischen Dokumentenzentrale in Tel-Aviv behauptet, von den <strong>Die</strong>nststellen des<br />

253


III. <strong>Reich</strong>es niemals irgend ein Befehl zur Ausrottung der <strong>Juden</strong> gegeben<br />

worden ist.<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Opfer<br />

Es waren also insgesamt sechs Millionen. <strong>Die</strong>s behauptet wenigstens die<br />

internationale zionistische Presse. Und die andere Presse, in welcher die<br />

Geldleute der Diaspora genügend beteiligt sind, um sie dazu zu bringen, sich<br />

gefügig ihrer Meinung anzuschließen, tritt in die gleichen Fußstapfen. Also<br />

sechs Millionen mit allen Mitteln Vernichtete, durch Gaskammern, schlechte<br />

Behandlung, Erschießungen, oder nach Gefangennahme durch die<br />

Einsatzgruppen erschlagen.<br />

Bei der Untersuchung dieses Punktes in Nürnberg am 21. November 1945 war<br />

der amerikanische Hauptankläger Jackson etwas bescheidener: "Von 9.600.000<br />

<strong>Juden</strong>, die in dem von den Nazis beherrschten Europa lebten", sagte er, "schätzt<br />

man nach Sachlage die Zahl der Umgekommenen auf 60%. 5,7 Millionen <strong>Juden</strong><br />

fehlen in den Ländern, wo sie vorher lebten, <strong>und</strong> mehr als 4,5 Millionen können<br />

weder als normal Verstorbene noch als in andere Länger Ausgewanderte<br />

betrachtet werden".<br />

Wie viel waren in Auschwitz?<br />

Von Seiten der Historiker <strong>und</strong> Statistiker der zeitgenössischen jüdischen<br />

Weltdokumentenzentrale sind die unterschiedlichsten Zahlen - auch die<br />

fantastischsten - behauptet worden. "Birkenau war", schreibt eiskalt einer<br />

namens Henri Michel, "die internationalste europäische Todesfabrik, <strong>und</strong> seine<br />

Erde ist mit der Asche von vier Millionen durchsetzt". Mister Jackson hat also in<br />

Nürnberg fast die Gesamtheit aller europäischen <strong>Juden</strong> als fehlend erklärt!<br />

In seinen Erinnerungen gibt Hoess jedoch folgende Einzelheit über die<br />

Gesamtzahl der in Auschwitz internierten <strong>Juden</strong> bekannt.<br />

Von Oberschlesien oder vom<br />

Generalgouvernement in Polen 250.000<br />

Von Deutschland <strong>und</strong> Theresienstadt 100.000<br />

Von Holland<br />

95.000<br />

Von Belgien<br />

20.000<br />

Von Frankreich<br />

110.000<br />

Von Griechenland<br />

65.000<br />

Von Ungarn<br />

400.000<br />

Von der Slowakei<br />

90.000<br />

insgesamt 1.130.000<br />

Es ist offensichtlich, <strong>das</strong>s wenn es insgesamt nur 1.130.000 <strong>Juden</strong> gab, die<br />

dorthin gebracht worden sind, die Deutschen unmöglich mehr vernichten<br />

konnten. Sicherlich sagt auch aus diesem Gr<strong>und</strong> <strong>das</strong> "Institute of Jewish Affairs<br />

254


of World Jewish Congress" in einer 1961 in New-York veröffentlichten<br />

Broschüre, <strong>das</strong>s in diesem Lager 900.000 <strong>Juden</strong> umgekommen sind (Eichmann<br />

Confederates and the Third Hierardiy, Seite 18).<br />

Bedeutung der Frage<br />

Es war bestimmt nützlich, in dieser kurzen Abhandlung alle wesentlichen<br />

Vorgänge, die im Lauf dieser Studie da <strong>und</strong> dort auftauchten,<br />

zusammenzustellen. Dadurch wird dem Leser alles klarer. Welche Bedeutung<br />

hat nun diese Arbeit?<br />

Jedes Mal, wenn in Westeuropa die Beziehungen zwischen Deutschland <strong>und</strong> den<br />

anderen Völkern sich zu normalisieren scheinen, hält Chrustschow (oder<br />

Breschnew, d. Übs.) einen Vortrag, in welchem die Rede von dem<br />

rachsüchtigen, neo-nazistischen Deutschland ist, von der Wiedergeburt des<br />

deutschen Militarismus, von der Alleinschuld Deutschlands am II. Weltkrieg<br />

usw. ... <strong>und</strong> als Kommunisten, die mit jenen befre<strong>und</strong>et sind, die nicht wagen,<br />

ihren Namen zu sagen, stimmen alle Zeitungen, denen die zionistische Presse<br />

den Ton angibt, <strong>das</strong> gleiche Lied an, indem sie die Gaskammern von Auschwitz,<br />

die Vernichtung von 6 Millionen <strong>Juden</strong>, vorsätzlicher Völkermord usw.<br />

aufzählen.<br />

Man täusche sich nicht. <strong>Die</strong>se Hetze dringt in die Volksmassen ein, ohne die ein<br />

Europa, ganz gleich in welcher Form, nicht möglich ist. Jedes Mal, wenn ein<br />

bedeutender Historiker die Alleinschuld Deutschlands am II. Weltkrieg in Frage<br />

stellt <strong>und</strong> jedes Mal, wenn ein Politiker von der Notwendigkeit einer Einigung<br />

Europas spricht, sofern man nicht will, <strong>das</strong>s die Kosakenpferde des<br />

Panslawismus am Rhein Wasser saufen <strong>und</strong> die steinernen Augen der Heiligen<br />

Odilie zum Weinen bringen (nach einem alten elsässischen Volksglauben), dann<br />

wirft man jedem die Gaskammern von Auschwitz <strong>und</strong> die 6 Millionen <strong>Juden</strong> an<br />

den Kopf. Solange aber die öffentliche Meinung überzeugt ist, <strong>das</strong>s ein Volk,<br />

<strong>das</strong> solcher Übeltat fähig war, zu allem fähig ist <strong>und</strong> nicht verdient, <strong>das</strong>s man<br />

sich um seinen Fall bemüht, so lange kommt sie beim Studium der Frage nicht<br />

weiter.<br />

Und Europa bleibt zur höchsten Zufriedenheit Chruschtschows (bzw.<br />

Breschnews, d. Übs.), dem Wortführer des Panslawismus' in sich selbst<br />

gespalten, weil es sich weigert, Deutschland ganz zu integrieren; oder es zeigt<br />

sich nur in der karikierten Form, wie sie die Ältestenherrschaft des Gespanns De<br />

Gaulle - Adenauer geträumt hat. Es ist also dringend nötig, diesem Argument,<br />

<strong>das</strong> verhindert, <strong>das</strong>s die Geschichte wieder einen normalen Gang nimmt, die<br />

Flügel zu stutzen <strong>und</strong>, ich möchte sagen, was die zwingende Notwendigkeit des<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>erts ist, Europa von dieser unsinnigen Leidenschaft, die sich bald<br />

20 Jahre unaufhörlich über Deutschland austobt, freizumachen.<br />

Oder man muss die andere Alternative annehmen, was bedeutet, <strong>das</strong>s nicht nur<br />

die Kosakenpferde am Rhein Wasser saufen, sondern auch ihre Panzer in der<br />

255


Sahara stehen <strong>und</strong> ihre Flugzeuge zwischenlanden, um ihre Bomben auf die<br />

USA zu werfen.<br />

<strong>Die</strong>se Aussichten scheinen die internationale zionistische Bewegung nicht<br />

abzuschrecken. Sie verlangt zur fortgesetzten Beweiserhärtung für die<br />

Entschädigungspflicht Deutschlands gegenüber dem Staat Israel (46 Milliarden<br />

bis zur St<strong>und</strong>e) die Verlängerung der Verfolgungsfrist für Kriegsverbrechen bis<br />

1969 (neuerdings Ausschluss jeglicher Verjährungsfrist gefordert, d. Übs.) <strong>und</strong><br />

die Eröffnung von 500 weiteren Prozessen da <strong>und</strong> dort, ähnlich wie in Frankfurt.<br />

Im Gegenteil.<br />

Und dies zwingt uns, selbst einige Fragen zu stellen, besonders folgende:<br />

Wenn sich die internationale zionistische Bewegung den Stellungen der Russen<br />

in Europa anpasst, <strong>das</strong> heißt, ihnen den Weg zum Atlantik durch Aufopferung<br />

Deutschlands öffnet, sucht sie dann etwa damit zu erreichen, <strong>das</strong>s jene der<br />

Expansionspolitik des Staates Israel im Mittleren Orient - wegen des Erdöls -<br />

zustimmen?<br />

<strong>Die</strong> Streitfragen<br />

Über die Deportationen <strong>und</strong> die Schrecken in den deutschen<br />

Konzentrationslagern habe ich mehrere Bücher geschrieben, die, ganz<br />

bescheiden gesagt, Sensation hervorgerufen haben. <strong>Die</strong> darin aufgestellten<br />

Thesen haben nichts gemein mit denen, welche die Akkordarbeiter einer so<br />

genannten Kz-Literatur verfertigt haben, die eines Tages zur Schande unserer<br />

Zeit gereichen wird. Ich habe besonders hervorgehoben, <strong>das</strong>s die Gräuel weitaus<br />

mehr die Taten von Kommunisten waren, die in allen Lagern die Verwaltung<br />

<strong>und</strong> die Polizeigewalt innehatten, als die der SS, der sie angelastet worden sind.<br />

Ich habe beweisen können, was ich von allen Lagern diesseits bis zum Eisernen<br />

Vorhang in dem damals von den Deutschen besetzten Europa behauptet habe,<br />

insbesondere von Buchenwald <strong>und</strong> Dora, wohin ich selbst für beinahe zwei<br />

Jahre gebracht worden war. Ich ging von den Beobachtungen aus, die ich in<br />

diesen beiden Lagern gemacht habe <strong>und</strong> konnte zu einer Zeit (1948), als alle<br />

alten Lagerinsassen angaben, <strong>das</strong>s in allen deutschen Konzentrationslagern<br />

Gaskammern gewesen seien, nachweisen, <strong>das</strong>s es solche in keinem dieser Lager<br />

diesseits bis zum Eisernen Vorhang gegeben hat. Nach einer Vortragsreise, die<br />

ich 1960 in Deutschland gemacht habe, in deren Verlauf ich diesen Punkt<br />

hervorhob, was einen großen Widerhall hervorrief, habe ich sogar Dr. Broszat<br />

vom Institut für Zeitgeschichte in München genötigt, diese Tatsache<br />

anzuerkennen, was in nachstehender Form durch einen Presseartikel vom 19.<br />

August 1960 geschah:<br />

"... weder in Buchenwald noch in Dachau oder Bergen-Belsen noch in<br />

einem andern im Gebiet des III. <strong>Reich</strong>s gelegenen Lager gab es<br />

Gaskammern, sondern nur in einigen im Ostraum, besonders im besetzten<br />

Polen gelegenen." ("<strong>Die</strong> Zeit" 19. 8. 1960)<br />

256


Gegen alle Zeugenaussagen der Deportierten bestätigen sodann die Dokumente<br />

von Nürnberg, <strong>das</strong>s die <strong>Die</strong>nststellen des III. <strong>Reich</strong>es nie Gaskammern in<br />

irgendeinem KZ errichten ließen (vergl. Dokumente Nr. 4403 <strong>und</strong> 4463), <strong>und</strong><br />

selbst Dr. Kubovy, Direktor der zeitgenössischen jüdischen Dokumentenzentrale<br />

in Tel-Aviv, anerkennt, "<strong>das</strong>s es kein Dokument gibt mit der Unterschrift<br />

Hitlers, Himmlers oder Heydrichs, welches die Vernichtung der <strong>Juden</strong><br />

anordnete, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Wort "Vernichtung" auch nicht in dem Brief Görings an<br />

Heydrich vom 31. Juli 1941 vorkommt, in welchem die Endlösung des jüdischen<br />

Problems verfügt wurde" "Terre Retrauvee" 15. 12. 1962). Ich wollte wissen<br />

was eigentlich an den Gaskammern im besetzten Polen wahr war.<br />

Der Prozess der Wachmannschaft des Lagers Auschwitz kam wie gerufen, um<br />

meine Neugierde zu stillen, die auch zwei amerikanische historische<br />

Gesellschaften teilten, die sich für meine Arbeiten interessierten <strong>und</strong> mir<br />

dringend rieten, diesem Prozess beizuwohnen, um ihnen dann zu berichten, was<br />

ich sehen <strong>und</strong> hören würde.<br />

Unter Ausweisung meiner Person habe ich, auch in ihrem Namen, beim<br />

Präsidenten des Frankfurter Gerichts eine Pressekarte beantragt, damit ich den<br />

Verhandlungen beiwohnen konnte. Sie wurde mir bewilligt <strong>und</strong> ich wurde<br />

eingeladen, sie ab 18. 12. 1963 bei der Kanzlei des Gerichts abzuholen.<br />

Auf diese Nachricht hin habe ich am 18. Dezember 1963 den Zug nach<br />

Frankfurt genommen. Bei der Ankunft in Saarbrücken wurde ich jedoch von der<br />

deutschen Polizei angehalten <strong>und</strong> ohne die geringste Erklärung nach Frankreich<br />

abgeschoben.<br />

Ich habe dann die deutsche Regierung unmittelbar <strong>und</strong> auch auf diplomatischem<br />

Weg um eine Erklärung gebeten. Associated Press <strong>und</strong> dpa taten <strong>das</strong> gleiche. Sie<br />

bekamen Antwort, ich nicht. Am 19. Dezember 1963 veröffentlichte<br />

B<strong>und</strong>esinnenminister Höcherl, "<strong>das</strong>s Herrn Rassinier <strong>das</strong> Betreten deutschen<br />

Gebiets wegen seiner Zugehörigkeit zu einer internationalen faschistischen<br />

Gruppe seit langen Jahren verboten sei". Das war unwahr, da ich von 1960-62<br />

völlig ungehindert drei Vortragsreisen in Deutschland gemacht hatte.<br />

Da er dann genötigt war, sagen zu müssen, welcher internationalen<br />

faschistischen Gruppe ich angehöre, antwortete Höcherl, "<strong>das</strong>s er aus guten<br />

Gründen auf die Frage keine Antwort geben würde". Aber er war sich im<br />

Klaren, <strong>das</strong>s er ein wenig zu weit gegangen war. Daher gab er am 20. Dezember<br />

der Presse eine neue Erklärung, die nur besagte, "<strong>das</strong>s die Anwesenheit von<br />

Herrn Paul Rassinier auf deutschem Boden eine ernste Störung der öffentlichen<br />

Ordnung hervorrufen würde <strong>und</strong> er für meine Sicherheit nicht garantieren<br />

könnte".<br />

<strong>Die</strong>se zweite Erklärung war ebenso unwahr wie die erste. Keine meiner Reden<br />

hat in Deutschland die geringste Störung der öffentlichen Ordnung erzeugt, <strong>und</strong><br />

257


meine Sicherheit war nie bedroht. Im Gegenteil, man hat sich um mich bemüht<br />

<strong>und</strong> mir immer große Sympathie entgegengebracht.<br />

In Wirklichkeit hat die Regierung Erhard dem auf sie ausgeübten Druck der<br />

kommunistischen <strong>und</strong> zionistischen Internationale nachgegeben <strong>und</strong> mir <strong>das</strong><br />

Betreten deutschen Bodens verweigert, damit ich im Prozess in Frankfurt nicht<br />

auftreten konnte <strong>und</strong> keinen Zugang zu den Auschwitz betreffenden<br />

Beweisstücken bekam mit der Möglichkeit, den hinterlistigen Betrug durch<br />

Zeugenbeweis aufdecken zu können. Das war kindisch; man dachte wohl, die<br />

Dokumente würden genügen. Ich habe trotzdem Verbindung bekommen <strong>und</strong><br />

kann mich heute trotzdem über ihren Wert äußern, denn die Post ist eine<br />

internationale Einrichtung, die sehr gut funktioniert, trotz aller Fallen, die die<br />

Regierungen stellen.<br />

Aber ich kann mich nur nach dem Schlag äußern. Eine französische Zeitung<br />

meinte damals: "Auf diese Weise kann die Anklagebehörde die fantasievollsten<br />

Zeugen vor die Schranken des Gerichts laden <strong>und</strong> ihre Aussagen auf Dokumente<br />

stützen, die ebenso schmählich falsch sind wie jenes Dokument, auf dem die<br />

Argumentation des Stückes von Herrn Hochhuth beruht, <strong>das</strong> augenblicklich in<br />

Paris jeden Abend unter dem Schutz der Polizei Staub aufwirbelt" ("Rivarol", 1.<br />

l. 1964). Sicher, man war ganz unter sich. 4<br />

"Ganz unter sich" ist wohl <strong>das</strong> richtige Wort. Mir war es untersagt, dem Prozess<br />

beizuwohnen, der ostdeutsche Kommunist, Rechtsanwalt Kaul, wurde<br />

zugelassen ... als Nebenkläger!<br />

________________<br />

4 Meine Fre<strong>und</strong>e haben mir oft vorgeworfen, ich würde nicht tatkräftig genug auf die "profaschistischen" oder "neonazistischen"<br />

Anschuldigungen antworten, die fast täglich von nahezu der gesamten Presse gegen mich erhoben<br />

werden, mit Ausnahme der rechtsgerichteten Presse, der des Namens würdigen pazifistischen Presse <strong>und</strong> ein Jahr lang<br />

der anarchistischen Presse. Ich meinte, <strong>das</strong>s dies nicht so nötig sei. Ich bin seinerzeit von der Polizei des III. <strong>Reich</strong>s<br />

wegen meiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus nach Deutschland deportiert worden. Ich habe andererseits fast<br />

40 Jahre lang in so genannten Linksparteien gekämpft <strong>und</strong> bin sogar sozialistischer Abgeordneter gewesen. Ich bin<br />

noch bis heute ein anerkannter, kämpfender Pazifist, was alle meine Schriften beweisen. Anlässlich meiner<br />

Zurückweisung aus Deutschland habe ich dennoch eine Ausnahme gemacht. Ich habe nämlich alle deutschen <strong>und</strong><br />

französischen Zeitungen, welche die gegen mich erhobenen Beschuldigungen des Ministers Höcherl veröffentlicht<br />

haben, gezwungen, Berichtigungen zu bringen. Ich muss anerkennen, <strong>das</strong>s sie es alle hochanständig getan haben, mit<br />

einer einzigen Ausnahme. <strong>Die</strong>s war "<strong>Die</strong> Rheinische Post", genau die Zeitung des Herrn Höcherl. Ich habe aber<br />

erreicht, <strong>das</strong>s sie zur Berichtigung verurteilt wurde <strong>und</strong> zu einer hohen Geldstrafe.<br />

In Frankreich habe ich nicht <strong>das</strong> gleiche Glück gehabt. Herr Bernard Lecache, Direktor der jüdischen Zeitung 'Le droit<br />

de vivre', hatte behauptet, ich wäre ein Agent der Nazi-Internationalen. <strong>Die</strong> 17. Kammer des Seine-Strafgerichts unter<br />

Vorsitz von Herrn Monzein hatte entschieden, <strong>das</strong>s "Herr Bernard Lecache keinen Beweis für seine gegen mich<br />

vorgetragene Behauptung erbracht hat", aber "er hat im guten Glauben gehandelt". Meine Klage wurde abgewiesen.<br />

Aus was für einem Gr<strong>und</strong>? Nun, wie der Müller von Sanssouci sagte, haben wir immer noch Richter in Berlin.<br />

258


Aus den obigen Ausführungen erklärt sich, <strong>das</strong>s ich dem Prozess in Frankfurt<br />

nur von weitem habe folgen können. Wenn ich sagte, <strong>das</strong>s ich ihn nur durch die<br />

Zeitung verfolgt habe, könnte man mir vorwerfen, <strong>das</strong>s dies nicht ausreicht, um<br />

eine Meinung zu vertreten, die unverdächtig ist. Ich habe mich jedoch bemüht,<br />

laufend Kopien der Urk<strong>und</strong>en zu bekommen, die beim Gericht gefertigt worden<br />

sind, sowie vollständige Zeugenaussagen, die dort gemacht wurden.<br />

Ich kann daher in Kenntnis der Sache über <strong>das</strong> Geschehene sprechen. Ich muss<br />

gleich bemerken, <strong>das</strong>s ich nicht die Absicht habe, hier ein Stenogramm der<br />

Verhandlungen wiederzugeben. Ein Deutscher, Bernd Naumann, der dies<br />

gemacht <strong>und</strong> sich nur an die Anklage gehalten hat <strong>und</strong> alle ihre Ausdrücke<br />

verwendete, brauchte dazu ein Buch von 552 Seiten. Was wäre entstanden,<br />

wenn er noch die Beweisführung, die Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die Zeugenaussagen der<br />

Verteidigung berücksichtigt hätte. <strong>Die</strong> These der Verteidigung findet der Leser<br />

ebenso gut <strong>und</strong> reichlich ausgeführt in dem Buch, <strong>das</strong> Dr. Laternser, ein<br />

Hauptverteidiger der Angeklagten, über diesen Prozess unter dem Titel "<strong>Die</strong><br />

andere Seite des Problems" geschrieben hat.<br />

Man wird also hier nur die Überlegungen finden, die mir bei den wichtigsten<br />

Anomalien einfielen, die ich im Lauf des Prozesses entdeckte, <strong>und</strong> die Urk<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> Zeugen der Anklage betreffen, sowie <strong>das</strong> Verhalten des Gerichts, der<br />

Angeklagten <strong>und</strong> der Staatsanwälte.<br />

Ehre, wem Ehre gebührt. Zuerst <strong>das</strong> Gericht.<br />

Den Vorsitz hatte ein Mann, der übel gelaunt zu sein schien, <strong>und</strong> dies ist zu<br />

verstehen. Er ist gleich alt wie der Angeklagte Hans Stark. Im Jahr 1943 waren<br />

sie beide 17 Jahre alt <strong>und</strong> gehörten der NSDAP an. Der eine kam zur SS nach<br />

Auschwitz (Hans Stark), der andere, Hofmeyer, zu einem Gebirgsjägerregiment<br />

nach Italien. Der eine ist heute Universitätsprofessor (Agrarwissenschaft) <strong>und</strong><br />

Angeklagter, der andere Ratsherr <strong>und</strong> - Richter. Jetzt stehen sie einander<br />

gegenüber, nachdem sie lange Seite an Seite standen ...<br />

Der Zweite hatte <strong>das</strong> Glück, <strong>das</strong>s er nicht zu einem Erschießungskommando<br />

abgestellt worden war, soweit bis heute bekannt ist.<br />

Am 14. Februar 1964 vertraute er dem Korrespondenten von "FranceSoir" an:<br />

"Zum Glück musste ich nie an einer dieser Handlungen teilnehmen".<br />

Nebenbei gesagt. Glück hatten auch Eugen Gerstenmaier (s. Zt.<br />

B<strong>und</strong>estagspräsident) <strong>und</strong> Heinrich Lübke (s. Zt. B<strong>und</strong>espräsident), die unter<br />

Hitler auch bedeutende Persönlichkeiten waren. Der erste war Parteimitglied<br />

<strong>und</strong> während des Kriegs an einer Universität. Was den Letzteren betrifft, so war<br />

sein Fall ernsterer Natur. Er war Chef eines industriellen Unternehmens, <strong>das</strong> mit<br />

Hilfe von hungrigen Deportierten aus dem Kz Peenemünde (Ostsee) am Bau der<br />

V l <strong>und</strong> V 2 arbeitete.<br />

Er saß nie auf einer Anklagebank in irgendeinem Prozess wie dem in Frankfurt<br />

wegen ... Teilnahme an Gräueln im KZ Peenemünde.<br />

259


Doch da gab es Unterschiede! <strong>Die</strong>se Sachlage zwingt den Vorsitzenden zur<br />

Vorsicht.<br />

Bei Vernehmung der Angeklagten zur Sache fragte er sie zum Beispiel nicht, ob<br />

sie Millionen von <strong>Juden</strong> in die Gaskammern geschickt haben, oder ob sie an<br />

Vernichtungsaktionen teilgenommen haben, sondern nur ob sie Befehle zu<br />

Selektionen gegeben oder an solchen teilgenommen hätten. <strong>Die</strong> Antwort war<br />

unvermeidlich: Ja.<br />

In Verfolg der weiteren Vernehmung stellte man jedoch fest, <strong>das</strong>s keiner von<br />

ihnen wusste, <strong>das</strong>s es in Auschwitz Gaskammern gab <strong>und</strong> <strong>das</strong>s es Zweck der<br />

Selektionen war, die <strong>Juden</strong> dorthin zu schicken. Und <strong>das</strong> aus guten Gründen!<br />

<strong>Die</strong> Selektionen wurden vorgenommen, um die kranken Arbeitsunfähigen von<br />

den ges<strong>und</strong>en Einsatzfähigen zu trennen. <strong>Die</strong> ersteren wurden in für sie<br />

bestimmte Sonderlager geschafft. <strong>Die</strong>s ergibt sich aus der Vernehmung von<br />

Robert Mulka (heute eine der größten Export-Import-Firmen in Hamburg) <strong>und</strong><br />

von Höcker. Beide waren Gehilfen, der eine beim ersten Kommandanten des<br />

Lagers, Hoess (in Auschwitz von den Polen am 4. April 1947 gehenkt), der<br />

andere beim zweiten, Baer (gestorben im Lauf der Untersuchung).<br />

Insgesamt haben sie Leute ausgesucht, die in besondere Lager geschickt werden<br />

mussten (z. B. Bergen-Belsen). Über die Behandlung dieser Leute wissen sie<br />

nichts. Das ist gut möglich, obwohl sie der SS angehört haben, die <strong>das</strong> Lager<br />

bewachte <strong>und</strong> über die sie <strong>das</strong> Kommando hatten. Aber sie waren am<br />

Lagereingang <strong>und</strong> wussten nicht, was im Innern vor sich ging - dies gilt<br />

wenigstens für die beiden - oder sie versicherten überdies, <strong>das</strong>s sie nie einen Fuß<br />

bewegen brauchten, da ihnen keine bösen Zwischenfälle gemeldet wurden, was<br />

auch möglich war. Man muss eben bei dem bestehenden allgemeinen Aufbau<br />

der Konzentrationslager zwei Lagerarten unterscheiden: <strong>das</strong>jenige der SS-<br />

Wache am Eingang <strong>und</strong> <strong>das</strong>jenige der Häftlinge. Wir haben eine Erklärung des<br />

großen Nazifressers (nachträglich) Eugen Kogon vorliegen, der auch deportiert<br />

wurde <strong>und</strong> der in offiziellen Kreisen schlechthin als Spezialist für<br />

Konzentrationslager gilt: "<strong>Die</strong> SS-Wache am Lagereingang (Seite 275 seines<br />

Buches "<strong>Die</strong> organisierte Hölle") wusste nicht, was hinter dem Stacheldraht<br />

wirklich passierte". Man muss wissen, <strong>das</strong>s alle Konzentrationslager unter der<br />

Selbstverwaltung der Häftlinge standen.<br />

Des Weiteren fußt die Anklage bezüglich des Lagers Auschwitz auf die<br />

Entdeckung von Rechnungen für ein tödliches Gas, <strong>das</strong> Cyclon B. Aber Cyclon<br />

B war von den NS-<strong>Die</strong>nststellen nicht vorgesehen, um damit Leute zu ersticken.<br />

Es war ein Insektizid, <strong>das</strong> seit 1924 in der deutschen Wehrmacht im Gebrauch<br />

war. Während des II. Weltkriegs wurde es nicht nur in der Wehrmacht, sondern<br />

auch bei den Ges<strong>und</strong>heitsdienststellen des III. <strong>Reich</strong>s <strong>und</strong> in allen<br />

Konzentrationslagern verwendet. In Nürnberg hatte man am 30. Januar 1946 den<br />

Angeklagten zwei Rechnungen über dieses Gas vom 30. Mai 1944 vorgehalten,<br />

die eine für Auschwitz, die andere für Oranienburg. In Oranienburg gab es<br />

260


überhaupt keine Gaskammern (Niederschrift der Verhandlung, Bd. 27, Seite<br />

740-42).<br />

Frage: Was machte man mit Cyclon B in Oranienburg, da ja dort niemand<br />

erstickt wurde. Es scheint nicht, <strong>das</strong>s man darin etwas anderes finden kann als<br />

den unwiderlegbaren Beweis dafür, <strong>das</strong>s die Regierung des III. <strong>Reich</strong>s Cyclon B<br />

nie dazu verwandt hat, um die <strong>Juden</strong> zu vernichten. Übrigens hat ein Mann<br />

namens Breitwieser (einer von 22 Angeklagten), der angeklagt war, er habe an<br />

der Vernichtung von 850 Sowjetkommissaren durch Cyclon B teilgenommen,<br />

erklärt:<br />

"Ich? Jawohl, ich habe Cyclon B gebraucht, jedoch zur Desinfektion von<br />

Bekleidung <strong>und</strong> nicht, um damit Menschen zu ersticken."<br />

Und er beschreibt uns gleichzeitig <strong>das</strong> Cyclon B <strong>und</strong> seine Verwendungsweise.<br />

So erfahren wir, <strong>das</strong>s dieses berühmte Gas, <strong>das</strong> man uns bisher vorgestellt hat<br />

"als Tablette, aus der bei Berührung mit Luft Gas austritt" (so die einen in<br />

Nürnberg) oder "bei Berührung mit Wasserdampf" (so die anderen vor dem<br />

gleichen Gericht) in Wirklichkeit "flüssig in großen Flaschen" geliefert wird <strong>und</strong><br />

sich rasch verflüchtigt.<br />

Wenden wir uns nun den Zeugen der Anklage zu. Wir wollen nicht alle<br />

aufführen. Viele von ihnen sind gekommen <strong>und</strong> haben bedeutungslose Dinge<br />

ausgesagt; andere haben in der Hauptverhandlung <strong>das</strong> Gegenteil von dem<br />

gesagt, was sie in der Voruntersuchung erklärt hatten. Weitere haben nicht<br />

gewagt, vor der Reaktion der Angeklagten oder ihrer Verteidiger ihre<br />

niederdrückende Aussage aufrecht zu erhalten. . <strong>Die</strong>jenigen, die wir aufführen,<br />

sind nur solche, deren Zeugenaussagen in unmittelbarer Beziehung zur<br />

Hauptursache der Gräuel stehen, die <strong>das</strong> Lager Auschwitz betreffen, <strong>und</strong> die<br />

ohne ihr Wissen die Gräuel anders als mit Gaskammerberichten geschildert<br />

haben. Unter ihnen sind zwei, die besondere Aufmerksamkeit verdienen: Herr<br />

Hermann Langbein, Generalsekretär des internationalen Komitees ehemaliger<br />

Auschwitz-Häftlinge <strong>und</strong> Dr. Münch, der ehemalige SS-Arzt des Lagers.<br />

Am 27. Februar ist der erste gehört worden. Seine Zeugenaussage wurde mit<br />

großem Getöse vorbereitet, besonders durch einen von ihm in der Frankfurter<br />

Allgemeinen Zeitung vom 26. 1. 1964 geschriebenen Artikel, der nach meiner<br />

Meinung die Sensation der Woche gewesen war.<br />

Zunächst durch die Überschrift "<strong>Die</strong> Kapazität der Verbrennungsöfen von<br />

Auschwitz: 4756 Leichen täglich". Das war genau. Unglücklicherweise wurde<br />

im Jahr 1951 diese Kapazität von den Gerichten auf 20.000 Leichen pro Tag<br />

geschätzt. Damals stützte man sich auf die Angaben eines verstorbenen Zeugen,<br />

eines jüdischen Arztes aus Ungarn, namens Miklos Nyiszli. 6 Seine Aussage<br />

wurde im Einzelnen in Frankreich in "Les Temps modernes" (Ausgaben März<br />

<strong>und</strong> April 1951) veröffentlicht <strong>und</strong> in der Folgezeit in einem Buch in vier oder<br />

fünf Sprachen herausgegeben. Im Jahr 1951 bin ich von der kommunistischen<br />

261


<strong>und</strong> zionistischen Presse reichlich beleidigt worden, weil ich die Ansicht vertrat,<br />

<strong>das</strong>s die von Dr. Miklos Nyiszli angegebenen Zahlen offensichtlich übertrieben<br />

seien. Im Jahr 1964 hat der Prozess in Frankfurt diese Ziffer von 20.000 auf<br />

4756 gekürzt. Es gab keinen Protest. Das war ein Fortschritt.<br />

________________<br />

6 Um eine Vorstellung von der Leichtigkeit zu geben, mit welcher man in unserer Zeit authentische Zeugenaussagen<br />

herstellt, muss ich hier besonders erwähnen, <strong>das</strong>s ich in meinen Archiven einen Brief sorgfältigst aufbewahre, den<br />

dieser Zeuge mir geschrieben hat, <strong>und</strong> zwar einige Jahre - nach seinem Tod.<br />

Aber dieser Artikel in der FAZ war noch überraschender durch seinen Inhalt. Es<br />

wurde darin gesagt, <strong>das</strong>s Hermann Langbein zwei Jahre lang in Auschwitz<br />

interniert war, wo er die Stelle eines Sekretärs des SS-Arztes Dr. Wirth,<br />

innehatte, des unmittelbaren Chefs der Vernichtungen durch Gas, <strong>und</strong>, <strong>das</strong>s in<br />

diesem Lager die Verpflegung so unzureichend war (1800 Kalorien täglich vom<br />

RSHA vorgesehen), <strong>das</strong>s man dort nicht länger als vier Monate überleben<br />

konnte, wenn man nichts "organisierte". Im Jargon der Lagersprache heißt<br />

"organisieren" links <strong>und</strong> rechts stehlen, Brot hier, Margarine dort, Suppe sonst<br />

wo - auf Kosten der Rationen der Lagerinsassen.<br />

Hermann Langbein selbst hat zwei Jahre überlebt. Folgerung: Er hat<br />

Verpflegung "organisiert" - Verpflegung, die anderen Häftlingen weggenommen<br />

wurde. Nicht erstaunlich. Als Sekretär von Dr. Wirth gehörte er der<br />

Lagerselbstverwaltung an - dieser Bande von Häftlingen, welche die Verwaltung<br />

<strong>und</strong> die Polizei in Händen hatte - <strong>und</strong> deren Hauptbeschäftigung darin bestand,<br />

sich zuerst aus der Masse der Rationen von 1800 Kalorien pro Mann, die täglich<br />

ins Lager kamen, zu bedienen <strong>und</strong> unter sich so 3000 oder 4000 Kalorien<br />

aufzuteilen, wodurch die Masse der Häftlinge verdammt war, mit 600, 800 oder<br />

1000 Kalorien auszukommen, <strong>das</strong> heißt nach <strong>und</strong> nach an Hunger zu sterben.<br />

Nicht ich, sondern Herr Hermann Langbein hat solches eingestanden. Wenn er<br />

nun zwei Jahre in einem Lager durchgestanden hat, in welchem man mit den<br />

angewiesenen Rationen nur vier Monate überleben kann, es sei denn, man<br />

entschließt sich, die Verpflegung seiner Leidensgefährten zu stehlen, so drängt<br />

sich die Folgerung auf, <strong>das</strong>s er selbst unter den <strong>Die</strong>ben war, <strong>das</strong>s er eine Anzahl<br />

seiner Mithäftlinge an Hunger sterben ließ, <strong>das</strong>s er zu den Lager-Gräueln<br />

beigetragen hat <strong>und</strong> <strong>das</strong>s er demnach auf der Anklagebank sitzen müsste, statt<br />

als Anklägergehilfe aufzutreten.<br />

"Le Monde" hat einen andern Zeugen angeführt, der die weibliche Kehrseite<br />

Langbeins darstellt, eine Frau Hacha Speter-Ravine, die im Auschwitzer Spital<br />

Krankenschwester war (er selbst war ja Sekretär eines der Hauptärzte des<br />

Lagers); sie hat 26 Monate überlebt. Frau Dominique Aucleres vom "Figaro" hat<br />

eine weitere Zeugin erwähnt, Frau Lindgens, die drei Jahre durchgestanden hat.<br />

<strong>Die</strong>se Frau Lingdens war auch Krankenschwester im Spital <strong>und</strong> erwähnt selbst<br />

einen weiblichen Häftling, der vier Jahre überlebt hat ... betont aber gleichfalls,<br />

262


<strong>das</strong>s "wenn man keine Lebensmittel stahl, man nicht mehr als vier Monate<br />

durchhalten konnte" ...<br />

Wenn man jetzt <strong>das</strong> Protokoll des Prozesses von Nürnberg heranzieht, so sieht<br />

man (Tome VI, Seite 211-237), <strong>das</strong>s auch dort eine Frau Vaillant-Couturier, geb.<br />

Vogel, als Krankenschwester im Spital ebenso wie die Genannten zwei Jahre<br />

durchgehalten hat.<br />

Was meinen zweiten Zeugen betrifft, so ist Dr. Münch am 4. März erschienen,<br />

um vor den Schranken des Gerichts <strong>das</strong> zu bekräftigen, was schon Hermann<br />

Langbein am 27. Februar gesagt hat, nachdem er es am 26. Januar in der FAZ<br />

geschrieben hatte. Und Dr. Münch war noch ausführlicher:<br />

"Um <strong>das</strong> menschliche Leben zu erhalten, braucht man im Zustand völliger<br />

Ruhe in 24 St<strong>und</strong>en 1500 Kalorien. Jede Art Betätigung fordert 300<br />

Kalorien mehr. Der Mehrbedarf wächst rasch mit der Härte der Arbeit, so<br />

<strong>das</strong>s ein guter Arbeiter etwa 4000-5000 Kalorien täglich braucht" (zitiert<br />

von Leon Poliakow in seinem Buch "Auschwitz", Seite 202). Etwas weiter<br />

(a.a.O. Seite 214-215) sagt er "die <strong>Die</strong>be unter den Häftlingen stellten 25%<br />

der Lagerinsassen dar" <strong>und</strong> er bezeichnet sie als "leichte Arbeiter" oder als<br />

"alte Häftlinge". Dr. Wellers vom C.N.R.S. Paris bezeichnet sie als<br />

"Stamm" (a.a.O. Seite 200).<br />

"Stamm" ... "alte Häftlinge" ... "leichte Arbeiter", es ist alles <strong>das</strong> gleiche, wenn<br />

man es richtig verstehen will, nämlich <strong>das</strong>s die "alten Häftlinge", <strong>das</strong> heißt in<br />

allen Lagern diejenigen, die zuerst eintrafen, sich herausnahmen, der "Stamm"<br />

zu sein. Sie beanspruchten daher für sich die leichtesten Arbeiten oder gar keine.<br />

Da die ersten Eingelieferten in allen Lagern Kommunisten waren, so bestand<br />

also der "Stamm" aus Kommunisten <strong>und</strong> hatte daher in jedem Lager <strong>das</strong><br />

unbegrenzte Vorrecht, die Verwaltung <strong>und</strong> die Polizei zu führen.<br />

Man wird also nachstehende Folgerung ziehen müssen: Wenn in einer<br />

Gemeinschaft, in der jeder Anspruch auf 1500 Kalorien pro Tag hat, 25% der<br />

Angehörigen, die die Oberherrschaft besitzen, 4-5000 Kalorien an sich nehmen,<br />

also 3 Rationen statt einer, so haben die 75% Restlichen nur noch Anspruch auf<br />

ein <strong>Dritte</strong>l der Ration, <strong>das</strong> sind 500 Kalorien pro Tag, was tatsächlich so gut wie<br />

ein Todesurteil aus Entkräftung in wenigen Monaten, maximal in 3-4 Monaten<br />

bedeutet.<br />

Das ist auch die Schlussfolgerung, die Dr. Münch am 17. März 1964 vor dem<br />

Gericht gezogen hat. Darüber schwieg aber die gesamte Presse bei ihren<br />

Berichten.<br />

Also, zum Tod verurteilt, aber durch wen? Durch die SS oder durch die<br />

kommunistischen Häftlinge, welche die Herren des Lagers waren? So fragte<br />

auch Professor Gilbert Dreyfus, der in Mauthausen saß, in seinem Buch "<strong>Die</strong><br />

großen Friedhöfe ohne Gräber".<br />

263


Während des Prozesses habe ich diese Dinge in den nichtkonformistischen<br />

Zeitungen geschrieben, während alle anderen Zeitungen schwiegen. Hermann<br />

Langbein hat mich nicht wegen Verleumdung verklagt. Weil ich aber gesagt<br />

habe, <strong>das</strong>s die Damen Vaillant-Couturier <strong>und</strong> Speter-Ravine (siehe oben), beides<br />

Kommunistinnen <strong>und</strong> Jüdinnen, im Lager Auschwitz überlebt haben, die eine<br />

22, die andere 26 Monate, <strong>und</strong> dabei an die Aussage von Hermann Langbein<br />

erinnerte, dafür wurde ich wegen Verleumdung zu 5000 Frs Geldstrafe <strong>und</strong> 4<br />

Monate Gefängnis mit Bewährung verurteilt.<br />

Ich muss daraus schließen, <strong>das</strong>s die von Hermann Langbein ausgehende<br />

Beschuldigung sich auf alle alten Häftlinge des Lagers Auschwitz bezieht<br />

einschließlich auf ihn selbst, da er nicht protestiert hat - mit Ausnahme der<br />

Damen Vaillant-Couturier <strong>und</strong> Speter-Ravine.<br />

Es bleibt jetzt übrig, den Fall der Angeklagten <strong>und</strong> ihre psychische Einstellung<br />

zu prüfen.<br />

Um ihr Verhalten zu verstehen, empfehle ich dem Leser, aufmerksam <strong>das</strong><br />

beachtenswerte Buch von Meister Maurice Carcon zu studieren: "Das<br />

erbärmliche Leben der Guillemette Babin". <strong>Die</strong>se Hexe hatte im Mittelalter<br />

gestanden, <strong>das</strong>s sie jeden Abend um Mitternacht auf einem Besenstiel zu<br />

Orgienfesten des Hexensabbats reiten <strong>und</strong> dort Geister <strong>und</strong> Nachtmahre treffen<br />

würde. Sie hatte <strong>das</strong> Geständnis gegen <strong>das</strong> Versprechen abgegeben, <strong>das</strong>s man sie<br />

dann nicht als Hexe verbrennen würde. Man verbrannte sie auch nicht, man<br />

richtete sie mit dem Beil hin, eine im Prinzip weniger grausame Strafe. Aber<br />

man hatte der Unglücklichen auch nicht verraten, <strong>das</strong>s man sie statt verbrennen<br />

mit dem Beil hinrichten würde.<br />

Das gleiche ist in einer etwas menschlicheren Form im Prozess in Frankfurt vor<br />

sich gegangen. Mit Rücksicht auf <strong>das</strong> Geständnis der Angeklagten sind sie zu<br />

schweren Strafen verurteilt worden, aber zu weniger schweren, als wenn sie<br />

nichts gestanden hätten.<br />

Um es klar auszudrücken: Nach der dritten Sitzung im Prozess, nachdem die<br />

Angeklagten bislang mit letzter Energie alles geleugnet hatten, haben sie<br />

verstanden, <strong>das</strong>s sie auf Bewährung verurteilt werden. So mussten sie sich nach<br />

<strong>und</strong> nach sagen, <strong>das</strong>s es <strong>das</strong> Beste für sie wäre, zu versuchen, die Milde des<br />

Gerichts zu verdienen. Daher sind dann auch nach <strong>und</strong> nach ihre Erklärungen<br />

weniger kategorisch geworden. So haben z. B. die beiden Gehilfen des<br />

Lagerkommandos schließlich ausgesagt, wobei sie sich an ihr allgemeines<br />

Verteidigungskonzept auch weiterhin hielten, <strong>das</strong>s sie im Lager "sagen gehört<br />

haben", <strong>das</strong>s im Innern des Lagers Birkenau "schreckliche Dinge" passieren<br />

würden. Dabei verschanzten sie sich hinter den Hinweis, <strong>das</strong>s es sich um eine<br />

"geheime <strong>Reich</strong>ssache" gehandelt habe, die von den höchsten Stellen des lll.<br />

<strong>Reich</strong>s befohlen worden sei, sie "dagegen nichts hätten tun können", ja, "es<br />

sogar gefährlich gewesen wäre, sich da einzumischen".<br />

264


Der Gerichtspräsident erwartete nun nichts mehr, denn: außer den Angeklagten<br />

gab es noch einen Schuldigen. Nicht jene waren zu verurteilen, sondern<br />

Deutschland selbst, um eine Rechtsgr<strong>und</strong>lage zu schaffen für die<br />

astronomischen Ziffern von Reparationen, zu welchen Deutschland verpflichtet<br />

wurde - hauptsächlich zugunsten des Staates Israel - nämlich DM 5000 pro<br />

jüdisches Opfer. Man führte den Beweis, <strong>das</strong>s alle den Angeklagten zur Last<br />

gelegten Grausamkeiten <strong>und</strong> Verbrechen auf Befehl der Regierung begangen<br />

worden sind.<br />

Nachdem sie einmal auf dieses Gleis gebracht worden waren, antworteten sie,<br />

was es auch sei. Bei der Verhandlung am 14. Januar erklärte der Angeklagte<br />

Klaus Dylewsky, er habe gesehen, <strong>das</strong>s an der Verladerampe des Lagers<br />

Birkenau 70 Transportzüge mit <strong>Juden</strong> eingetroffen waren. Ich rechnete innerlich<br />

nach: In Punkt 112 des Prozesses in Jerusalem wird uns gesagt, <strong>das</strong>s jeder der<br />

Züge ungefähr 3000 Personen enthielt. Das waren demnach 210.000 Menschen<br />

pro Tag. Ich überlasse es dem Leser, die Gesamtzahl der <strong>Juden</strong> auszusprechen,<br />

die zwischen März 1942 (Zeit der Ankunft der ersten Transporte der<br />

systematischen Verschickung) <strong>und</strong> dem 8. Juli 1944, an welchem der letzte<br />

Transport eingetroffen zu sein scheint, in <strong>das</strong> Lager Auschwitz eingeliefert<br />

worden sind. Niemand - nicht einmal die Verteidigung -hat diesen Blödsinn<br />

gerügt. Am nächsten Tag stellte ich fest, <strong>das</strong>s er in Paris von "France-Soir" ohne<br />

mit der Wimper zu zucken in 1.500.000 Exemplaren den Lesern mitgeteilt<br />

wurde.<br />

Der Angeklagte Klaus Dylewsky war ganz bestimmt nicht für die<br />

Einlieferungen ins Lager verantwortlich. Es war die Regierung, die diese<br />

massierte Konzentration befohlen hatte, <strong>und</strong> der Schuldige war Deutschland<br />

insgesamt, <strong>das</strong> sich diese Regierung gegeben hatte. Welch zufriedenes Lächeln<br />

im Gesicht des Präsidenten. Endlich hatte er sie - die Verurteilung<br />

Deutschlands!<br />

Ein anderer Angeklagter hatte anerkannt, im Oktober 1941 an der Vernichtung<br />

von sowjetischen Kommissaren teilgenommen zu haben. Aber dies hatte nicht,<br />

wie man behauptet, in den Gaskammern des Lagers Birkenau stattgef<strong>und</strong>en,<br />

sondern im Krematorium. Ein anderer, Hans Starke, heute Professor für<br />

Agrarwissenschaft, war bestimmt worden, an einem Erschießungskommando<br />

teilzunehmen, <strong>das</strong> Leute hinrichtete, die von den Gerichten des III. <strong>Reich</strong>es in<br />

einem regelrechten Verfahren verurteilt worden sind. Der besondere Fall war die<br />

Erschießung des Oberleutnants Degueldre. Wir brauchen nicht darauf<br />

zurückzukommen.<br />

Ein <strong>Dritte</strong>r, der Unteroffizier Klaehr, hat anerkannt, <strong>das</strong>s er mit Phenolspritzen<br />

ins Herz 200-300 jüdische Häftlinge getötet hat. Ich empfehle nochmals dem<br />

Leser die gründliche Lektüre des Buches von Meister Maurice Carcon "Das<br />

erbärmliche Leben der Guillemette Babin" (siehe oben). Der genannte Klaehr<br />

war also angeklagt worden, am Weihnachtsabend 1942 mit Herzspritzen 200-<br />

265


300 jüdische Häftlinge getötet zu haben. Er leugnete. Im Verlauf des Verfahrens<br />

entdeckte man zwei Dinge: am Weihnachtsabend 1942 war er nicht in<br />

Auschwitz, <strong>und</strong> 200-300 Personen an einem Abend zu spritzen <strong>und</strong> von einem<br />

einzigen Mann ausgeführt, <strong>das</strong> war doch ein wenig zuviel. Man möge den ersten<br />

besten Medizinstudenten fragen. Nach dieser Feststellung hat er gestanden, <strong>das</strong>s<br />

er dieses Ergebnis in zwei Monaten erreicht hat, bei je 12-15 Personen pro<br />

Termin. Ein vierter hat ebenfalls gestanden, an der Tötung sowjetischer<br />

Kommissare durch Gaskammern beteiligt gewesen zu sein. Das Pech war, <strong>das</strong>s<br />

dieser schon 1948 im Dachauer - Prozess wegen dieser Sache angeklagt war <strong>und</strong><br />

dort "zugegeben" hatte, <strong>das</strong>s es im Dachauer Lager eine Gaskammer gab, er<br />

jedoch keinesfalls an einer Vernichtung beteiligt war. Nun, seit 1948 hat man<br />

gewusst, <strong>das</strong>s es in Dachau nie eine Gaskammer gegeben hat (siehe a.a.O.<br />

Erklärung des Instituts für Zeitgeschichte in München). Wenn seine<br />

Geständnisse vor dem Gericht in Frankfurt den gleichen Wert haben wie<br />

diejenigen im Fall Dachau ... aber warum nicht?<br />

Und alles im Verhältnis entsprechend.<br />

Je nun, nur nicht nachgeben.<br />

In Wirklichkeit muss ich Ihnen sagen: Lesen Sie nochmals "Das erbärmliche<br />

Leben der Guillemette Babin" <strong>und</strong> Sie werden verstehen, wie es möglich war,<br />

der öffentlichen Meinung beizubringen, <strong>das</strong>s Millionen von <strong>Juden</strong> in<br />

Gaskammern vernichtet worden sind, nachdem doch die <strong>Die</strong>nststellen des III.<br />

<strong>Reich</strong>s nie die Vernichtung der <strong>Juden</strong> befohlen haben (siehe oben, Erklärung Dr.<br />

Kubovy, Direktor der jüdischen Dokumentenzentrale in Tel-Aviv) <strong>und</strong> die in<br />

Nürnberg gefertigten Dokumente bestätigen, <strong>das</strong>s in keinem<br />

Konzentrationslager Gaskammern gebaut worden sind.<br />

Zu diesem Punkt kann man mindestens sagen, <strong>das</strong>s der Frankfurter Prozess die<br />

Lösung des Rätsels nicht weiter gebracht hat.<br />

Werden die 500 Fälle, die noch Gegenstand des Untersuchungsverfahrens sind,<br />

was sich bis 1969 hinziehen wird, zur Lösung beitragen? Oder wird man eines<br />

Tages erkennen, <strong>das</strong>s diese Verfahren sowohl vom Bolschewismus ins Werk<br />

gesetzt worden sind, damit er Deutschland weiter entehren <strong>und</strong> seine Achtung<br />

bei den Nationen <strong>und</strong> sein Verschwinden von der Karte Europas erreicht wird,<br />

als auch von der internationalen zionistischen Bewegung, um damit weiterhin<br />

Reparationen zu erlangen <strong>und</strong> sie zu rechtfertigen ad vitam eternam, zum ewigen<br />

Wohl des Staates Israel?<br />

Anlage 10 - DIE JUDEN UND DIE KONZENTRATIONSLAGER<br />

Das Buch von J. F. Steiner "Treblinka" hat schon viel Tinte gekostet. Was <strong>das</strong><br />

Golgatha angeht, <strong>das</strong> die Häftlinge in den Nazi-Konzentrationslagern<br />

mitgemacht haben, so sind zu der tragischen Wahrheit Fabeln hinzugekommen.<br />

266


Paul Rassinier, Widerstandskämpfer <strong>und</strong> selbst ehemaliger KZ-Häftling, stellt<br />

hier richtig.<br />

Treblinka war ein deutsches Konzentrationslager in Polen, etwa 128 km von<br />

Warschau entfernt. Es ist am 23. Juli 1942 speziell für <strong>Juden</strong> aufgemacht <strong>und</strong> am<br />

2. August 1943 geschlossen worden. Es hat also ein Jahr bestanden. Gründe,<br />

warum die Deutschen es geschlossen haben? Am 20. Januar 1942 hatten sie bei<br />

einer interministeriellen Konferenz in Berlinwannsee beschlossen, alle<br />

europäischen <strong>Juden</strong> in einer großflächigen Konzentration zusammenzufassen,<br />

wo sie <strong>das</strong> Ende des Krieges abwarten <strong>und</strong> inzwischen zum Ruhm des<br />

Großdeutschen <strong>Reich</strong>es arbeiten sollten. <strong>Die</strong> Deutschen waren überzeugt, den<br />

Krieg zu gewinnen. Sie würden der Welt dann eine Lösung des Problems<br />

vorlegen, die Europa von allen Schwierigkeiten, die nach ihrer Meinung die<br />

<strong>Juden</strong> bereiten, befreien würde.<br />

Eine Sofortlösung<br />

Bis Ende 1941 hatte man auf eine Sofortlösung gehofft: Madagaskar. Im Januar-<br />

Februar dieses Jahres hatte die Regierung Flandin <strong>das</strong> Projekt noch torpediert.<br />

Aber diese Regierung verschwand <strong>und</strong> die Deutschen hofften, <strong>das</strong>s der<br />

Nachfolger (Darlan) auf die getroffene Entscheidung zurückkommen werde.<br />

Am 7. Dezember 1941 trat plötzlich Japan in den Krieg gegen die Vereinigten<br />

Staaten ein, was seinen Verbündeten Deutschland verpflichtete, ihm zur Seite zu<br />

stehen. Der Seeweg nach Madagaskar über <strong>das</strong> Kap der Guten Hoffnung, der<br />

bisher einzige freie Zugang, blieb der deutschen Flotte versagt. <strong>Die</strong> Überstellung<br />

der europäischen <strong>Juden</strong> auf die Insel, ein riesiges Unternehmen bei ungefähr 4<br />

Millionen <strong>Juden</strong>, wurde unmöglich. Demzufolge waren die Deutschen am 20.<br />

Januar 1942 in Berlin-Wannsee auf Polen angewiesen. Der größte Teil der <strong>Juden</strong><br />

befand sich schon dort, was <strong>das</strong> Transportproblem zu einer Zeit vereinfachte, als<br />

alle Transportmittel, über die Deutschland verfügte, mit Vorrang militärischem<br />

Bedarf zugeteilt werden mussten (es war genau der Zeitpunkt, als die Pläne der<br />

Offensive auf Stalingrad entworfen wurden, die ja <strong>das</strong> Schicksal des Kriegs<br />

entscheiden sollten). So wurde der Komplex Auschwitz, den Himmler (April<br />

1941) für 100.000 Kriegsgefangene vorgesehen hatte, für die <strong>Juden</strong> bestimmt.<br />

Auschwitz war jedoch nicht für 4 Millionen Menschen aufnahmebereit; es<br />

musste erst vorbereitet werden. Man schickte also nur <strong>Juden</strong> hin, soweit sie Platz<br />

hatten (die Verschickung in Polen, die am 20. Januar 1942 beschlossen wurde,<br />

begann im Frühjahr; der erste Transport traf am 20. 6. 1942 im Lager ein), die<br />

ändern wurden in Notlager gebracht, die in aller Eile <strong>und</strong> nur oberflächlich<br />

hergerichtet wurden, so in Cheimno, Belzec, Sobibor, Maidanek <strong>und</strong> Treblinka.<br />

Ab Frühjahr 1943, als <strong>das</strong> Lager Auschwitz fertig war, wurden alle <strong>Juden</strong><br />

Europas unmittelbar dorthin geleitet, <strong>und</strong> diejenigen, welche in den kleinen<br />

Notlagern lagen <strong>und</strong> im Ghetto von Warschau usw. sollten dazu stoßen. Im<br />

August 1943 war Treblinka an der Reihe zur Evakuierung. Jedes Lager wurde<br />

267


nämlich der Reihe nach geräumt, da die Deutschen, wie gesagt, nur in<br />

begrenztem Umfang Transportmittel hatten (<strong>das</strong> Kommando Eichmann, <strong>das</strong> mit<br />

dieser Aufgabe betraut war, verfügte nur über 150 Mann <strong>und</strong> 1000<br />

Eisenbahnwagen).<br />

Man weiß, <strong>das</strong>s die <strong>Juden</strong> des Warschauer Ghettos sich weigerten, wegzugehen.<br />

Im Oktober 1941 zählte man in diesem Ghetto 500.000 <strong>Juden</strong>. Als 1943<br />

entschieden wurde, sie zu evakuieren, blieben noch ungefähr 200.000 zurück.<br />

<strong>Die</strong>se weigerten sich, zu den von der Besatzungsmacht bezeichneten<br />

Sammelstellen zum Abtransport zu gehen <strong>und</strong> versteckten sich in Kellern,<br />

Kanalisationen, Dachstühlen usw. Das Ghetto war groß, ungefähr im Umfang<br />

von zwei Pariser Arrondissements. Es war zuerst eine wahre Menschenjagd, <strong>und</strong><br />

da nicht viel dabei herauskam, befahlen die Deutschen schließlich, um die <strong>Juden</strong><br />

zu fangen, die sich wie Dachse im Bau versteckten, die Zerstörung des Ghettos.<br />

Das war schrecklich.<br />

Es ist jedoch nicht erwiesen - mit Ausnahme des Augenblicks der Befreiung, als<br />

die alliierten Truppen (es waren in den Ostlagern gelegentlich Russen) sich<br />

näherten - <strong>das</strong>s in ändern jüdischen oder nichtjüdischen Lagern Revolten<br />

stattgef<strong>und</strong>en hätten. <strong>Die</strong>s ist die geschichtliche Wahrheit. Sie ist dramatisch,<br />

aber einfach.<br />

Wenig Urk<strong>und</strong>enmaterial<br />

Bei dieser Geschichte hat man viel hinzugedichtet. In seinem Buch über<br />

Treblinka hat der junge Jean-Francois Steiner bis zum Exzess gedichtet, bis zu<br />

einem Punkt, <strong>das</strong>s selbst manche seiner Glaubensgenossen ihm Vorwürfe<br />

gemacht haben. Es ist in der Tat so: wenn man zu viel beweisen will, beweist<br />

man gar nichts mehr.<br />

Jean-Francois Steiner ist Jude. Er wurde 1938 geboren <strong>und</strong> war zwei Jahre alt,<br />

als Hitlers Heere Frankreich eroberten. Er hat also die Ereignisse nicht erlebt,<br />

von denen er erzählt. Er war zu jung, um sie zu erfassen <strong>und</strong> hatte dazu <strong>das</strong><br />

Glück, nicht deportiert worden zu sein (vielleicht ist er von einer dieser<br />

religiösen Organisationen des so oft schlecht gemachten Pius XII. gerettet<br />

worden), kann also als Zeuge nicht mitreden. Im Gegensatz dazu sind sein Vater<br />

<strong>und</strong> seine Mutter in Auschwitz gestorben. <strong>Die</strong>ses Verschwinden verfolgt ihn wie<br />

besessen, was ganz natürlich ist. Dass er zu erfahren versucht hat, wie sie<br />

gestorben sind, ist also völlig in Ordnung. Aber dann hätte er in Auschwitz<br />

suchen müssen. Er hat aber Treblinka aufgesucht <strong>und</strong> hatte daher keinerlei<br />

Chance, etwas zu finden.<br />

Wenn er andererseits <strong>das</strong> Leben im Lager Treblinka hätte rekonstruieren wollen,<br />

so hätte es zwei sich ergänzende Methoden dafür gegeben; zunächst <strong>das</strong><br />

Studium von Urk<strong>und</strong>en, die den Aussagen der Überlebenden gegenübergestellt<br />

werden. Aber Urk<strong>und</strong>en gibt es nicht oder nur wenige (David Rousset hat sie in<br />

"Candide" aufgezeigt). Blieb die Aussage von Überlebenden übrig. Steiner hat<br />

268


etwa 40 befragt <strong>und</strong> hat alles für bare Münze genommen, was sie ihm erzählt<br />

haben. Er vergaß, <strong>das</strong>s Fustel de Coulanges den Erzählungen von Zeugen einer<br />

Tat kein Zutrauen mehr schenkte, nachdem er festgestellt hatte, <strong>das</strong>s Herodot,<br />

der betont als Zeuge aussagte, die unwahrscheinlichsten Dinge berichtet hat.<br />

Auch Rousset bestätigt dies:<br />

"Steiner scheint sich wenig um die nötige Kritik an Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

Zeugenaussagen gekümmert zu haben. <strong>Die</strong> Zeugen verlieren sich oft ins<br />

Dichten, auch dann, wenn sie wirklich erstaunliche Abenteuer erlebt haben.<br />

Schließlich bringt es auch manchmal der Zeitabstand mit sich, <strong>das</strong>s etwas<br />

seine echte Gestalt verliert oder übertrieben wird."<br />

Eine ansehnliche Mafia<br />

Steiners Buch würde also von geringem Interesse sein, da es mehr Roman als<br />

ernste historische Studie ist, wenn sich nicht darin bezüglich der Struktur <strong>und</strong><br />

des Wesens der deutschen Konzentrationslager <strong>und</strong> ihres Betriebs eine These<br />

befinden würde, die ich in allen meinen seit mehr als zwanzig Jahren<br />

veröffentlichten Schriften vertreten habe, besonders in "<strong>Die</strong> Lüge des<br />

Odysseus", in "Der Prozess Eichmann oder die unverbesserlichen Sieger", in<br />

"Odysseus von den seinigen verraten" <strong>und</strong> in "Das Drama der europäischen<br />

<strong>Juden</strong>". <strong>Die</strong>se These lautet: Man muss wissen, <strong>das</strong>s die KZ-Häftlinge, welche in<br />

Verwaltung <strong>und</strong> Geschäftsbetrieb saßen <strong>und</strong> die Lagerpolizei führten, im<br />

wesentlichen Kommunisten <strong>und</strong> deren Spießgesellen waren. Sie brachten über<br />

die Massen der Häftlinge <strong>das</strong> Elend, misshandelten sie, plünderten ihre<br />

Verpflegung, schickten sie in den Tod, gleichgültig ob <strong>Juden</strong> oder nicht. Sie<br />

waren nur darauf bedacht, sich selbst <strong>und</strong> ihre Sympathisanten zu retten. Kapos,<br />

Blockwalter, Stubendienst, Sanitäter <strong>und</strong> bevorzugt Beschäftigte, sie bildeten in<br />

allen Lagern eine beachtliche Mafia (d. s. 25% der Insassen, nach dem, was im<br />

Prozess in Frankfurt von Angehörigen der Wachmannschaft des Lagers<br />

Auschwitz ausgesagt worden ist).<br />

Sie teilten sich die Verpflegung unter sich auf, die sie an alle gleichmäßig hätten<br />

austeilen müssen. Sie schickten andere in den Tod usw. Und da von den anderen<br />

Häftlingen, bis auf Ausnahmen wie ich, nur diejenigen zurückgekehrt sind, die<br />

erst später deportiert worden waren, so ist es offensichtlich, <strong>das</strong>s die Wahrheit<br />

nur schwerlich ans Licht dringt.<br />

Steiner stellt fest: "die <strong>Juden</strong> haben mit ihren Henkern zusammengearbeitet." Er<br />

fügt hinzu: "<strong>Die</strong> <strong>Juden</strong> sind wie die Hammel zum Schlachthof gegangen" <strong>und</strong> er<br />

bezeichnet es als seine "Schande", diesem Volk anzugehören.<br />

Dass die <strong>Juden</strong> wie Hammel zum Schlachthof gegangen sind, ist eine in der<br />

israelischen Jugend "Sabra" (in Palästina entstanden) ziemlich verbreitete<br />

Ansicht. Sie ist sogar derart verbreitet, <strong>das</strong>s sie schon ein Regierungsproblem<br />

geworden ist. Sie ist kürzlich seitens des Herrn Levy Eskhol in einer offiziellen<br />

269


Erklärung behandelt worden, die sich empört gegen solche Betrachtung der<br />

Vorgänge auflehnt.<br />

Nun, wenn es offenbar wahr ist, <strong>das</strong>s die <strong>Juden</strong> wie die Hammel zum<br />

Schlachthof gegangen sind, so kann Steiner beruhigt sein, <strong>das</strong>s sie nicht die<br />

einzigen waren. Wir alle, Widerständler, Jude oder Nichtjude, haben uns gefügig<br />

verhaften <strong>und</strong> ins Lager schicken lassen. Einmal eingesperrt war gegen die<br />

Gewalt kein Widerstand möglich <strong>und</strong> jedes Lebensopfer wäre in der damaligen<br />

Lage völlig nutzlos gewesen. Ich, der ich selbst Widerständler war, empfinde es<br />

keineswegs als Schande, dies einzugestehen.<br />

<strong>Die</strong> Statistiken sind deutlich<br />

Es ist leicht begreiflich, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> jüdische Volk diese Wahrheiten nicht<br />

anerkennen kann, insbesondere <strong>das</strong>s er sich gefügig in den Schlachthof habe<br />

führen lassen. Der Gott Israels hat sein Volk nicht für solche Denkart<br />

auserwählt. Aber man kann dieses Volk an unserem Beispiel trösten <strong>und</strong> am<br />

Beispiel von Leon Blum, der kein beliebiger Jude war, den man auf jeden Fall<br />

nicht mit der Masse der <strong>Juden</strong> gleichsetzen kann. Auch er hat sich sehr gefügig<br />

verhaften <strong>und</strong> in ein Konzentrationslager bringen lassen, <strong>das</strong> er nicht weniger<br />

gefügig mehrere Jahre erlebt hat. <strong>Die</strong>s geschah zu Bedingungen, die - in seinem<br />

Fall sehr erträglich - von den Deutschen festgesetzt worden waren, <strong>und</strong> er hat<br />

nie Widerstand geleistet <strong>und</strong> nie verlangt, <strong>das</strong> gemeinsame Schicksal zu teilen.<br />

"Lieber aufrecht sterben als auf den Knien leben" war einer seiner Gr<strong>und</strong>sätze<br />

schon vor Hitler. Wir haben in der Folgezeit gesehen, <strong>das</strong>s es nur eine Stilblüte<br />

war.<br />

Weder vor dem Krieg noch während des Krieges haben die <strong>Juden</strong> - von ein paar<br />

Ausnahmen abgesehen, die die Regel bestätigen - Hitler Widerstand geleistet.<br />

Sie sind vor ihm geflohen. Als Sachkenner kann ich mitreden, da ich von 1933<br />

bis zu meiner Verhaftung durch die Gestapo 1943 ein Stützpunkt auf ihrem<br />

Fluchtweg war. Ich habe ihnen die "Wegzehrung" verschafft - falsche<br />

Kennkarten <strong>und</strong> Lebensmittelkarten ab 1940 - die es ihnen ermöglichte, die<br />

Schweiz zu erreichen, wo Sally Meyer, der Agent der "Verteilerstelle" sie nach<br />

mir in die Hände nahm <strong>und</strong> über Nordafrika nach Möglichkeit nach Palästina<br />

(die Engländer hatten die Einwanderung in dieses Land beschränkt) <strong>und</strong> nach<br />

Nord- oder Südamerika usw. weiterleitete.<br />

<strong>Die</strong> Statistiken zu diesem Punkt sind deutlich: Von 1933 bis 1939 sind 480.000<br />

deutsche <strong>und</strong> österreichische <strong>Juden</strong> aus Europa (mit etwa 750.000) geflohen <strong>und</strong><br />

etwa 100.000 nach 1939. Zwei Millionen polnische <strong>Juden</strong> (lt. Aussage des<br />

jüdischen Journalisten David Bergelson) sind nach Russland gelangt, sei es, <strong>das</strong>s<br />

sie sich sowieso schon in der sowjetischen Zone befanden, als Polen von Hitler<br />

<strong>und</strong> Stalin aufgeteilt worden war, sei es, <strong>das</strong>s sie ab 1941 vor den deutschen<br />

Truppen geflohen sind. Im Übrigen hat der ungarische Jude Kasztner die Zahl<br />

der <strong>Juden</strong> aller Nationalitäten, die in Ungarn bis zum 19. März 1944 2 Asyl<br />

270


gef<strong>und</strong>en haben, auf 500.000 geschätzt. <strong>Die</strong>se sind ebenfalls Menschen, die<br />

glücklich dem Tod entronnen sind (gewisse skrupellose Historiker mischen sie<br />

dennoch unter die Opfer der Konzentrationslager oder der Einsatzgruppen).<br />

<strong>Die</strong>jenigen, die nicht fliehen konnten, sind also wie Hammel in die Schlachthöfe<br />

gegangen. Und ich wiederhole: wie wir alle, wie auch ich. Man kann ihnen<br />

somit keinen Vorwurf machen.<br />

________________<br />

2 Bei Eintreffen der deutschen Truppen in Ungarn am 19. 3. 1944 befanden sich 850.000 <strong>Juden</strong> im Land. Das Gericht<br />

in Jerusalem schätzte, <strong>das</strong>s 437.000 nach Auschwitz gebracht worden waren, demnach müssten 413.000 gerettet<br />

worden sein.<br />

Nur eine Minderheit hat zusammengearbeitet<br />

Noch ein Wort zur Zusammenarbeit mit ihren Henkern <strong>und</strong> zur Zusammenarbeit<br />

im Prinzip. Zunächst ist es insgesamt gesehen nicht wahr, <strong>das</strong>s die <strong>Juden</strong> die<br />

Komplizen ihrer Mörder gewesen seien. <strong>Die</strong>s waren nur jene in der Verwaltung<br />

<strong>und</strong> in der Polizei der Konzentrationslager, jene die also mitgemacht haben bei<br />

der Lagerselbstverwaltung, welche die Deutschen mit "Häftlingsführung"<br />

bezeichneten. Jene haben alles angenommen, um ihre Haut zu retten, <strong>und</strong> ich<br />

wiederhole, <strong>das</strong>s sie sich in der Mehrheit aus Kommunisten <strong>und</strong> deren<br />

Spießgesellen zusammengesetzt haben. Da die Kommunisten als erste verhaftet<br />

worden waren, hatten sie schon alle Stellen besetzt, als die andern ankamen. Wir<br />

andere der Masse, wir halten sie für übler als die SS selbst. Denn nach dem<br />

Eifer, den sie an den Tag legten <strong>und</strong> wie sie den Wünschen der Wächter<br />

vorauseilten <strong>und</strong> von uns mehr verlangten als ihnen aufgegeben war, waren sie<br />

für uns wirklich viel schrecklicher <strong>und</strong> mörderischer als die SS. Aber die<br />

anderen waren nur Opfer, keine Komplizen <strong>und</strong> verdienen unendliche Achtung.<br />

Und nochmals: <strong>Die</strong>s gilt für alle Lager, nicht nur für jüdische.<br />

Kollaboration haben nur die betrieben, die es wirklich wollten. Ich, der ich 19<br />

Monate im Konzentrationslager war, tat es nicht. Ich hätte es wohl leicht tun<br />

können, denn ich sprach genügend deutsch, wenn auch schlecht. Ich bin auch<br />

nicht durch die Kommunisten gerettet worden, mit denen ich nicht einmal im<br />

Widerstand etwas gemein haben wollte (sie hatten mich zum Tod verurteilt, weil<br />

ich ein antikommunistischer Sozialist war!). Ich bin auch nicht von ihnen<br />

ermordet worden, da es mir gelang, mich ganz klein zu machen <strong>und</strong> ihren Augen<br />

zu entschlüpfen. Schlicht gesagt, reiner Zufall. Und vielleicht war es auch meine<br />

damalige robuste Bauernnatur, der ich es auch heute noch immer verdanke, den<br />

Gebrechen, die ich im Lager erlitten habe, zu trotzen.<br />

Was die Generallinie der Kollaboration betrifft, so ist es übrigens sehr pikant,<br />

die Leute zu betrachten, die in den Lagern mit der SS zusammengearbeitet<br />

haben, wie sie Marschall Petain <strong>das</strong> Recht absprachen, mit den <strong>Die</strong>nststellen des<br />

III. <strong>Reich</strong>s zusammenzuarbeiten, ebenso denjenigen, die ihm auf diesem Weg<br />

gefolgt sind. Und zu behaupten, <strong>das</strong>s ihre Kollaboration für die Gesamtheit der<br />

271


Deportierten vorteilhaft, im Fall des französischen Staatsoberhaupts aber für<br />

Frankreich schädlich gewesen sei ... Meine persönliche Überzeugung ist die,<br />

<strong>das</strong>s die Kollaboration des Marschalls Petain für mich ein Unglück, aber für<br />

Frankreich gut war. Schaut doch, was in Belgien <strong>und</strong> Holland passierte, die<br />

keinen Marschall Petain hatten.<br />

Wer zuviel beweisen will ...<br />

Um nochmals auf <strong>das</strong> Buch Steiners zurückzukommen. Ich muss wiederholen,<br />

was ich oben gesagt habe: wer zuviel beweisen will, beweist nichts. Ein<br />

Beispiel: "Man vergaste in Treblinka", so schrieb er, "täglich durchschnittlich<br />

15.000 <strong>Juden</strong>". Das ist offensichtlich falsch. In einem Jahr würde <strong>das</strong> 5.475.000<br />

Tote ausmachen ... Aber man wird merken, <strong>das</strong>s diese Zahl von täglich 15.000<br />

Opfern diejenige ist, die in dem berühmten Dokument Gerstein auftaucht, <strong>das</strong><br />

nie jemand gefertigt haben konnte, <strong>das</strong> aber manche festgehalten haben, um die<br />

Geschichte der Konzentrationslager der Nazi zu schreiben. Übrigens sagen die<br />

jüdischen Statistiken selbst, <strong>das</strong>s zwischen 1933-1945 die Deutschen zu keiner<br />

Zeit 6 Millionen <strong>Juden</strong> in der Hand hatten.<br />

Im Interesse der Sache selbst, der zu dienen Jean-Francois Steiner angibt, hat er<br />

schlechte Arbeit geleistet. 3 Bevor er sein "Treblinka" schrieb, hätte er über jenes<br />

Wort eines bedeutenden jüdischen Schriftstellers, Manès Sperber, nachdenken<br />

sollen; "<strong>Die</strong> Waffen des Feindes sind nicht mörderischer als die Lügen, mit<br />

denen die Wortführer der Opfer die Welt füllen" ("Der brennende Busch"), "La<br />

Terre retrouvee" hat übrigens am 15. April 1966 geschrieben: "Durch ein<br />

Missverständnis, für <strong>das</strong> der Verfasser verantwortlich ist, wird "Treblinka", <strong>das</strong><br />

geschrieben wurde, um freizusprechen <strong>und</strong> zu rechtfertigen, dazu dienen, die<br />

Opfer zu besudeln <strong>und</strong> die Henker zu entschuldigen."<br />

________________<br />

3 Was ihn nicht hinderte, den Preis der Widerstandsbewegung zu empfangen (! ...)<br />

<strong>Die</strong> Opfer? Nein. Sie bleiben stets achtbar <strong>und</strong> ewig des Mitleids würdig. Aber<br />

sicher ihre Wortführer, von denen Manes Sperber spricht. <strong>Die</strong> geschichtliche<br />

Wahrheit war dramatisch genug, ohne <strong>das</strong>s es nötig war, wie man es seit<br />

zwanzig Jahren getan hat, sie bis zur Groteske zu übertreiben.<br />

PAUL RASSINIER<br />

272


ZUSATZ ZUM ARTIKEL IN "LE CHARIVARI"<br />

Trotz des Umfangs der Diskussionen, die <strong>das</strong> Buch in der Presse entfacht hat<br />

wegen der unzähligen geschichtlichen Irrtümer, hervorgerufen durch die Manie<br />

zu übertreiben, durch die Deutschenfurcht <strong>und</strong> die Unehrlichkeit des Verfassers,<br />

sowie durch die Zwietracht, die es in <strong>das</strong> Widerständlerlager von Agramant<br />

gesät hat (David Dousset gegen Simone Beauvoir <strong>und</strong> Edmond Michelet.<br />

Widerständler gegen Widerständler, <strong>Juden</strong> gegen <strong>Juden</strong> usw...) ist es dennoch<br />

der bedeutendste Fortschritt zur geschichtlichen Wahrheit, der uns seit zwanzig<br />

Jahren vom Himmel gefallen ist.<br />

273


NAMENSVERZEICHNIS<br />

ADENAUER Konrad 136f., 263<br />

ADLER H. G. 115<br />

d'ALBORA Francisco 139<br />

ALEXANDER I. Zar 22. 182<br />

ALEXANDER König 170<br />

ALEXANDRE Jcanne 12, 45<br />

ALEXANDRE Midiel 12, 45, 81f.<br />

ALEXANDROW Staatsawalt 24, 97, 115<br />

AMEN Oberst 118<br />

ARENDT Hanna 257<br />

BACH-ZELEWSKY von dem 133<br />

BAER RiAard 252, 268<br />

BALACHOWSKY Professor 122, 130, 143<br />

BALFOUR Arthur James 41, 108, 173<br />

BARDECHE Maurice 45<br />

BARNES Harry E. 12<br />

BARON Shalom 97, lOOf., 135<br />

BARTHOU Louis 75, 80, "2, 170, 205<br />

BAUER Fricz 28f.<br />

BAUER Occo 206<br />

BAUER Major 21<br />

BAYLE Francois 88, 95<br />

BECHER Kurt 94f., 106, 232f.<br />

BELGION Montgomery 46<br />

BELL Johann 200<br />

BENEDETTI Vincent Graf 205<br />

BENOIST-MECHIN Jacques 74, 150, 200<br />

BERCHTOLD Leopold Graf 186<br />

BERGELSON David 98f., 258<br />

BETHMANN-HOLLWEG Theobald von 73, 77, 158, 162, 186<br />

BETTELHEIM Bruno 245<br />

BILLIG Josef 97, 110, 115<br />

BISMARCK Otco von 180, 205, 221<br />

BLAHA Franz 85, 123<br />

BLONDEL Jules Francois 155<br />

BOCK Fedor von 23<br />

BONNET Georges 193<br />

BORMANN Martin 38<br />

BRAND Joel 41f" 99, 129, 256<br />

BRESCHNEW Leonid 262f.<br />

274


BROSZAT Martin 264<br />

BROCKDORFF-RANTZAU Ulrich Graf von 191, 193, 195, 199<br />

BUBER-NEUMANN Margarete 12<br />

BUCH Walter 111<br />

BULLITT William C. 171<br />

BURNHAM Jamei 216<br />

CAESAR Julius 34<br />

CANARIS Walter Wilhelm 24<br />

CARGON Maurice 272<br />

CASTRO Fidel 61 f., 123<br />

CHAMBERLAIN Neville 115<br />

CHRUSCHTSCHOW Nikita 62, 137, 262f.<br />

CHURCHILL Winston S. 29f., 37, 53,155, 209f.<br />

CLEMENCEAU George" 163, 173<br />

COTY Rene 64<br />

COX James Midditton 201<br />

DELBOS Yvon 75<br />

DENIKIN Anton A. 172<br />

DIBELIUS Otto 44<br />

DING-SCHULER Dr. 130<br />

DÖNIT2 Karl 38, 45, 50f., 122, 131<br />

DOLLFUSS Engelbert 129<br />

DOUMERGUE Gascon "O<br />

DREYFUS Gilben 271<br />

DREWS Bill 167<br />

DUBOST Charles 226f., 231<br />

DULEWSKY Klaus 273<br />

EBERT Friedrich 167f., 193<br />

EDEN Anihony 29, 58<br />

EICHMANN Adolf 12, 42, 83, 85, 90-92, 96, 103, 105, 115, 122, 127-131, 134,<br />

136f., 139, 233f., 251, 259, 262<br />

E1SENHOWER Dwight D. 27. 49, 137<br />

EMERY Leon 220f.<br />

ENGHIEN Louis Antoine Herzog von 127, 132<br />

EPPSTE1N Paul 106. 236<br />

ERHARD Ludwig 265<br />

ERZBERGER Matthias 166-168. 198<br />

EUGEN Prinz von Savoycn 185<br />

EXNER Franz 45<br />

275


EYCK Kapitänleutnant 59<br />

FALCO Robert 31<br />

FALKENHAYN Erich von 184<br />

FALLIERES Armand 36<br />

FAY Sidncy B. 12<br />

FERDINAND König 184<br />

FLAND1N Etienne 116, 255, 275<br />

FOCH Ferdinand 161f.. 166, 168<br />

FRANCE Anatole 12, 36f., 45<br />

FRANCO Francisco 61f.<br />

FRANCOIS-PONCET Andre 119<br />

FRANK Hans 37f., 141 ,<br />

FRANZ JOSEF Kaiser 147, 158, 186<br />

FREEMANTLE Admiral 199<br />

FRICK Wilhelm 38, 113<br />

FRITZSCHE Hans 38<br />

FUNK Walter 38, 113<br />

GALLIENI Joseph Simon 149<br />

GALT1ER-BOSSIERE Jean 81f.<br />

GAULLE Charles de 64, 68, 263<br />

GAWLIK Hans 55<br />

GEOUFFRE DE LA PRADELLE Raymond de 39, 46, 131f., 134<br />

GERSTEIN Kurt 94, 96, 119, 124, 226-231, 254<br />

GERSTENMAIER Eugen 267<br />

GILBERT G. M. 40<br />

GIOLITTI Giovanni 158<br />

GLOBKE Staatssekretär 137<br />

GLOBOCNIK Odilo 228f.<br />

GLÜCKS Richard 103, 117<br />

GOEBBELS Josef 111, 116, 126, 237<br />

GÖRING Hermann 38, 46, 54, 58f., 90, 97, 111-114, 117, 125, 258-260<br />

GOLDFINE Jakov 99, 256<br />

GOLDMAN Nahum 100, 135<br />

GOLLANCZ Victor 44<br />

GOURFINKEL Nina 129<br />

GROSCH Wolfgang 91-94<br />

GRYNSPAN HersAel 20, 111<br />

GUDERIAN Heinz 15f.<br />

GUENDELL General von 166<br />

GÜNTHER Hans 103. 228<br />

276


GUINAY Alain 138<br />

GURION David Ben 42. 128, 135, 137, 139 232f.<br />

GUYAU Jean-Marie 36f.<br />

HAIG Douglai Earl 150<br />

HALDER Franz 23, 125<br />

HANKEY Maurice P. Lord 44, 282<br />

HANIEL Gesandter von 199<br />

HARDING Warren G. 201<br />

HART Liddell 44<br />

HAUSNER Gideon 105<br />

HERRIOT Edouard 119<br />

HERTER Christian 135<br />

HERTL1NG Georg Graf 162<br />

HERZL Theodor 254, 259f.<br />

HESS Rudolf 38, 55, 252f.<br />

HESSE Hermann 12<br />

HEYDECKER Joe Jakob 227, 229f.<br />

HEYDRICH Reinhard 90, 92, 111-113, 116f., 259<br />

HIMMLER Heinrich 24f., 38, 41, 54f., 58, 90-92, 95, 113, 116f., 130, 134, 229,<br />

254, 264, 275<br />

HINDENBURG Paul von 64, 166f.<br />

HITLER Adolf 15-18, 20f., 23-25, 28, 37, 41, 53, 56, 58-61, 64f., 68f., 75, 80f.,<br />

90, 92, 99, 107, 110, 113, 116, 122, 150, 177f.. 180, 221, 229, 255, 258, 278<br />

HOCHHUTH Rolf 266<br />

HOECHERL Hermann 265, 266<br />

HOESS Rudolf 87., 90, 94-%, 103-105, 118-120, 124, 141, 252, 268<br />

HOETTL Wilhelm 90, 96, 123, 134<br />

HOOVER Herbert 194<br />

HORRAB1N J. F. 210-221<br />

HORTHY Nikolaus 99, 188<br />

HOSSBACH Friedrich 68f.. 123<br />

HUGENBERG Alfred 64<br />

HUGO Victor 9, 11, 132<br />

HÜLL Cordell 29<br />

HUSSEIN Emir 171, 179<br />

INSAURRAIDE Leopolde 139<br />

ISAAC Jules 175, 177<br />

JACKSON Robert H. 31, 96f., 102, 112. 261<br />

JAHREISS Hermann 45<br />

277


JAURES Jean 205<br />

JELLICOE John Viscount 160<br />

JODL Alfred 38, 45, 54, 126<br />

JOUVENEL Bertrand de 80<br />

JULLIARD Rent 242<br />

KAHN Franz 106, 236<br />

KALTENBRUNNER Ernst 38, 55, 58. 118, 129f.<br />

KARL der Große Kaiser 180, 191<br />

KARL Kaiser 158, 162, 186f.<br />

KAROLYI Michael Graf 187<br />

KASZTNER Reszö 94, 99, 103, 105, 232-234<br />

KAUFMAN Theodore N. 116-118. 237-246<br />

KAVL 266<br />

KAUTSKY Benedikt 89<br />

KEITEL Wilhelm 38, 47, 54f.. 58, 68<br />

KEMPNER Robert M. W. 92<br />

KHUN Bela 187, 194<br />

KITCHENER Horatio Herbert Lord 150<br />

KLEIST Ewald von 22, 27<br />

KLEIST Peier 28, 191<br />

KLUCK Alexander von 149<br />

KORBEL Gert 106, 236<br />

KOESTLER Arthur 40<br />

KOGON Eugen 19<br />

KOLTSCHAK Alexander 172<br />

KORHERR 256, 259<br />

KORNILOW Lawr 184<br />

KÖRTEN Günter 54<br />

KRANZBÜHLER Otto 45<br />

KRAUSNICK Helmut 227, 229, 230<br />

KREMER Tibcre 242-245<br />

KRUPP VON BOHLEN UND HALBACH Gustav 38<br />

KUBOVY Dr. 90, 92, 260, 261. 264, 274<br />

KUTUSOW Michail 22<br />

LA FONTAINE Jean de 70, 72, 78<br />

LAMMERS Hans-Heinrich 116<br />

LANGBEIN Hermann 269 f.<br />

LANSING Robert 156, 172f., 201<br />

LATERNSER Hans 266<br />

LAVAL Pierre 116, 255<br />

278


LECACHE Bernard 266<br />

LECHTINSKY Jakob 97<br />

LEDEBOUR Georg 192<br />

LEEB Johannes 227, 229f. .<br />

LENIN Wladimir IIjksA 61 ,<br />

LEY Robert 38f. .<br />

LIEBKNECHT Karl 167f., 192f.<br />

LIGHT John 155<br />

LITWINOW Maxim 75<br />

LLOYD GEORGE David 79, 163, 173<br />

LOESENER Ministeriadirektor 141<br />

LONGUET Jean 204f-, 208<br />

LORIQUET Pater 227<br />

LUDENDORFF Erich 150, 161f.<br />

LÜBKE Heinrich 267<br />

LUTHER Martin 115, 255<br />

LUXEMBURG Rosa 167f., 192f.<br />

MACKENSEN August 184<br />

MAC DONALD Ramsey 79<br />

MANNERHEIM Karl Gustav Freiherr von 182<br />

MAO Tse Tung 123<br />

MARX Karl 204<br />

MAX VON BADEN Prinz 162f., 165-168<br />

MAXWELL-FYFE David 50, 97<br />

MENGELE Dr. 88, 138, 242<br />

METTERNICH Klemens Wenzel Fürst von 62<br />

MEYER Sally 258<br />

MICHAELIS Georg 162<br />

MICHEL Henri 93<br />

MOLTKE Helmuth von 147, 149f.<br />

MONTGOMERY Bernard Lord 28<br />

MORHARDT Matthias 45<br />

MORITZ VON NASSAU Prinz 212<br />

MÜLLER Hermann 200<br />

MÜLLER Heinrich 130, 259<br />

MÜNCH Dr. 269t.<br />

MUNK EriA 106, 236<br />

MURAWIEW Michael Graf 183<br />

MURRAY Gilben 44<br />

MUSSOLINI Benito 15, 29, 61. 257<br />

279


NAPOLEON I. Kaiser 35, 127, 132, 178, 221<br />

NAPOLEON III. Kaiser 35, 132<br />

NASSER Gamal Abd et 180<br />

NAUMANN 266<br />

NEUHAUSLER Johann 83f., 1011.<br />

NEURATH Konstantin von 38<br />

NIEMÖLLER Martin 83<br />

NIKITSCHENKO I. T. 31<br />

NIKOLAUS II. Zar 18, 147, 182<br />

NIMITZ Chester William 50f.<br />

NOSKE Gustav 192f.<br />

NYISZLI Miklos 88f., 93, 95, 119, 242-245, 269<br />

OBERNDORF Graf 166<br />

OESTERREICHER EriA 106, 236<br />

ORLANDO Vittorio Emmanuele 173<br />

PADRE' ,gn"z Johann 171 ?<br />

PANGE , de 47, 114 ?<br />

PAPEN Franz von 38, 64<br />

PATCHER Zwi 99, 256<br />

PAULUS FriedriA von 22f" 26f.<br />

PETA1N MarsAall 280<br />

PETER der Große Zar 182<br />

PHILIPP II. König 212<br />

PICHON Stephan 173<br />

PILSUDSKI Josef 170f.<br />

POHL Oswald 130<br />

POINCARE Raymond 73<br />

POLIAKOV Leon 87, 97. 109, 134, 229, 231, 271<br />

PREUSS Hugo 193<br />

PRINCIP Gavrile 186<br />

RAEDER EriA 38, 69<br />

RASCHER Sigm<strong>und</strong> 85<br />

RATH Ernst vom 20, lllf<br />

RATHENAU Walter 195<br />

RE1TLINGER Gerald 87<br />

RENAN Ernest 204f.<br />

RENARD Jean Paul 86<br />

RENNER Karl 206<br />

RENOUVIN Pierre 203<br />

280


REUTER Admiral von 200<br />

REYNAUD Paul 79<br />

RIBBENTROP JoaAim von 38, 45, 54, 58<br />

RICHELIEU Armand Jean Duplessis 11<br />

ROLLAND Romain 12, 45<br />

ROMMEL Erwin 16, 27<br />

ROOSEVELT Franklin D. 29-31, 37, 79, 113<br />

ROOSEVELT Theodore 18, 144. 158<br />

ROSENBERG Alfred 24, 38, 91<br />

RUDENKO R. A. 46<br />

RUPPIN Arhtur 98<br />

RUSSELL Bercrand 45<br />

SAINT-JUST Antoine de 61<br />

SAIONJI Kimmotsai 173<br />

SARTRE Jean Paul 242<br />

SAUCKEL Fritz 18, 25, 38, 45<br />

SAUTER Fritz 44<br />

SCHACHT Hjalmar 38, 41, 109f., 113f.<br />

SCHEIDEMANN Philipp 162, 167, 193. 195<br />

SCHIRACH Baldur von 38<br />

SCHLIEFFEN Alfred Graf 150<br />

SCHMID Carlo 234<br />

SCHOENBERNER Gerhardt 227, 229f.<br />

SCHRODER Kurt von 64<br />

SCHWERIN-KROSIGK Lutz Graf von 113<br />

SEAVER RiAard 245 l<br />

SERVATIUS Robcrc 45, 122<br />

SEYSS-INQUART Arthur 38<br />

SHIRER William L. 51-53. 68f., 125f., 192f.<br />

S1EMERS Walter 69<br />

SIMS Admiral 161<br />

SIXTUS VON BOURBON Prinz 158<br />

SMENTONA Anton 183<br />

SONN1NO Sidney Baron 173<br />

SPAlüHT I. M. 51-53<br />

SPEER Albert 18, 38, 117<br />

STHAMER Otto 44. 225 '<br />

STALIN Josef 21f., 28-31. 80, 99, 116, 258<br />

STARK Hans 267<br />

STEINERT J. F. 275, 276<br />

STOKES R. R. 44<br />

281


STOREY Robert G. 89<br />

STREICHER Julius 38<br />

SUTTNER Bcrtha von 12<br />

TAFT William Howard 44<br />

THIERS Louis Adolphe 76<br />

TIRPITZ Alfred von 154-156<br />

TISZA Stefan 186<br />

TOYNBEE Arnold 108<br />

TRAININE A. N. 31<br />

TSCHIANG Kai Tschek 29<br />

VANSELOW Kapitän zur See 166<br />

VOLTAIRE Francois-Maric Arouet 8<br />

WALCH William F. 96<br />

WARLIMONT Walter 54f.<br />

WEISSBERG Alex 41<br />

WEIZMAN Chaim 109, 114f.<br />

WELLERS Georges 101<br />

WELLS Herbert George 213<br />

WENDEL Francois de 82<br />

WENTRITT Harry 96<br />

WENNERSTRUM Charles F. 44<br />

WETZEL Ernst 87<br />

WEYGANG Maxime 170<br />

WILHELM II. Kaiser 34, 77, 147, 150, 162, 167, 180, 186, 197<br />

WILSON Woodrow 144f., 158-160, 162-166, 169, 171-175, 177, 189f., 194,<br />

200f., 206<br />

WINTERFELDT General von 166<br />

WIRTH Dr. 270<br />

WISLICENY <strong>Die</strong>ter 90. 96, 123, 134<br />

WLASSOW Andrej 24<br />

WORONOW Nikolai N. 26f.<br />

WOROSCHILOW Kliment J. 26<br />

ZUCKER Otto 106, 236<br />

282

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