Wissenschaftliche Arbeit Mag. Fehringer_Langfassung.pdf
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Die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich<br />
von 1908 bis 1948<br />
unter besonderer Berücksichtigung<br />
der ‚Arisierung‘ und Rückstellung österreichischer Apotheken<br />
Forschungsprojekt zum 100-jährigen Jubiläum<br />
der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich<br />
von<br />
<strong>Mag</strong>. Alfred <strong>Fehringer</strong><br />
<strong>Mag</strong>. Leopold Kögler<br />
Wien, Juni 2008<br />
1
Inhalt<br />
Inhalt ...................................................................................................................................2<br />
Vorwort und Danksagung..................................................................................................5<br />
1. Gründung und Anfangsjahre der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
für Österreich 1902–1918...................................................................................................7<br />
1.1. Vorbereitungen zur Gründung 1902–1908............................................................7<br />
1.2. Die Gründung der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich...................12<br />
1.3. Die Pharmazeutische Gehaltskasse im Ersten Weltkrieg 1914–1918................18<br />
2. Die Pharmazeutische Gehaltskasse von 1918 bis 1927............................................21<br />
2.1 Die Vorbereitung zum Gehaltskassengesetz und das Ende der Freiwilligen<br />
Gehaltskasse 1919....................................................................................................21<br />
2.2. Der schwierige Start der gesetzlichen Gehaltskasse und die<br />
Sozialisierungsbestrebungen des Staatsamtes.........................................................25<br />
2.3. Soziale Erneuerungen und Ausbau der gesetzlichen<br />
Gehaltskasse 1922–1927..........................................................................................32<br />
2.4. Exkurs: Reform der pharmazeutischen Studienordnung.....................................40<br />
2.5. Exkurs: „Sonderfall“ Burgenland.........................................................................43<br />
3. Die Pharmazeutische Gehaltskasse von 1928 bis 1937............................................46<br />
3.1. Die Fortführung sozialpolitischer Innovationen...................................................46<br />
3.2. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929.........................................55<br />
3.3. Veränderungen durch den austrofaschistischen Ständestaat.............................58<br />
4. Der ‚Anschluß‘ 1938 und seine Auswirkungen auf die österreichische<br />
Apothekerschaft...............................................................................................................66<br />
4.1. Die Auflösung der pharmazeutischen Standesorganisationen und die<br />
Gleichschaltung der Standespresse..........................................................................66<br />
4.2. Die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich 1938....................................69<br />
4.3. Stand der österreichischen Apothekerschaft 1938.............................................72<br />
4.4. Jüdische PharmazeutInnen in Österreich von der Gewerbefreiheit 1860<br />
bis zum ‚Anschluß‘ 1938 ...........................................................................................75<br />
4.5. Die ‚Arisierung‘ österreichischer Apotheken.......................................................78<br />
2
5. ‚Arisierung‘ und Rückstellung österreichischer Apotheken.<br />
Fallbeschreibungen..........................................................................................................87<br />
5.1. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken in Wien........................................87<br />
5.1.1. Wien, Innere Stadt...................................................................................87<br />
5.1.2. Wien, Leopoldstadt ...............................................................................111<br />
5.1.3. Wien, Erdberg........................................................................................121<br />
5.1.4. Wien, Wieden........................................................................................128<br />
5.1.5. Wien, Margareten..................................................................................130<br />
5.1.6. Wien, Mariahilf.......................................................................................137<br />
5.1.7. Wien, Neubau........................................................................................139<br />
5.1.8. Wien, Josefstadt....................................................................................142<br />
5.1.9. Wien, Alsergrund...................................................................................143<br />
5.1.10. Wien, Favoriten...................................................................................151<br />
5.1.11. Wien, Simmering..................................................................................159<br />
5.1.12. Wien, Meidling.....................................................................................161<br />
5.1.13. Wien, Penzing.....................................................................................171<br />
5.1.14. Wien, Rudolfsheim-Fünfhaus..............................................................175<br />
5.1.15. Wien, Ottakring....................................................................................179<br />
5.1.16. Wien, Hernals......................................................................................183<br />
5.1.17. Wien, Währing.....................................................................................187<br />
5.1.18. Wien, Döbling......................................................................................194<br />
5.1.19. Wien, Brigittenau.................................................................................197<br />
5.2.20. Wien, Floridsdorf.................................................................................198<br />
5.1.21. Wien, Donaustadt................................................................................202<br />
5.1.22. Wien, Liesing.......................................................................................205<br />
5.2. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken in Niederösterreich....................209<br />
5.3. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken in Oberösterreich......................218<br />
5.4. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken im Burgenland...........................220<br />
5.5. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken in der Steiermark.......................224<br />
6. Nach der Enteignung.................................................................................................226<br />
6.1. Emigration und Exil...........................................................................................226<br />
6.2. Deportation und Shoa.......................................................................................227<br />
6.2.1 Lublin .....................................................................................................228<br />
6.2.2. Litzmannstadt (Lodz).............................................................................228<br />
3
6.2.3. Riga ......................................................................................................230<br />
6.2.4. Izbica und Sobibor.................................................................................230<br />
6.2.5. Minsk, Maly Trostinec............................................................................231<br />
6.2.6 Theresienstadt (Terezin).........................................................................232<br />
6.2.7. Auschwitz-Birkenau...............................................................................233<br />
6.2.8. Andere Deportationen...........................................................................233<br />
6.3. Exkurs: Die Nachkriegsjustiz als Werkzeug der Entnazifizierung.....................234<br />
6.3.1. Volksgerichte als Sondergerichte..........................................................234<br />
6.3.2. Das Verfahren gegen <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich vor dem Volksgericht Wien. .239<br />
6.3.3. Das Verfahren gegen Dr. Hans Portisch vor dem Volksgericht Wien....241<br />
6.3.4. Das Volksgerichtsverfahren gegen <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister...............242<br />
7. Die österreichische Apothekerschaft nach 1945.....................................................245<br />
7.1. Remigration und Rückstellung nach 1945........................................................245<br />
7.2. Die Wiedererrichtung der Standesvertretungen nach 1945..............................248<br />
7.3. Die Pharmazeutische Gehaltskasse nach 1945...............................................254<br />
Quellen und Methodik....................................................................................................257<br />
Analyse der Pharmazeutischen Standes- und Fachzeitschriften....................257<br />
Recherche in der Fachliteratur........................................................................258<br />
Archivforschung – Österreichisches Staatsarchiv ..........................................260<br />
Archivforschung – Wiener Stadt- und Landesarchiv........................................264<br />
Archivforschung – Archiv der Pharmazeutischen Gehaltskasse.....................267<br />
Archivforschung – Handelsgericht Wien..........................................................268<br />
Datenbankrecherche.......................................................................................268<br />
Datenerfassung...............................................................................................269<br />
Interview..........................................................................................................269<br />
Literaturverzeichnis.......................................................................................................270<br />
Monografien.....................................................................................................270<br />
Artikel und Beiträge in Zeitschriften und Sammelbänden................................273<br />
Verwendete Zeitungen und Zeitschriften.........................................................276<br />
Datenbanken...................................................................................................276<br />
World Wide Web .............................................................................................276<br />
Anhang............................................................................................................................277<br />
Abkürzungsverzeichnis....................................................................................277<br />
Interview mit Dr. Otto Nowotny........................................................................278<br />
4
Vorwort und Danksagung<br />
Der vorliegende Forschungsbericht ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts aus Anlass<br />
des 100-jährigen Jubiläums der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich. Es hatte<br />
die Aufarbeitung der Geschichte der Institution und – soweit möglich – der Pharmazie in<br />
Österreich zum Ziel. Ein solches Unterfangen könnte – will es genau und detailliert<br />
durchgeführt werden – mehrere ForscherInnen über viele Jahre hindurch beschäftigen.<br />
Um das Projekt im Rahmen der vorgegebenen Zeitspanne abschließen zu können, haben<br />
wir daher beschlossen, zwei Schwerpunkte zu setzen. Zum einen ist dies die Erarbeitung<br />
der Geschichte der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich von ihrer Gründung<br />
1908 bis ins Jahr 1948, in dem die Österreichische Apothekerkammer ihre Tätigkeit<br />
aufnahm und die Wiedererrichtung der pharmazeutischen Standesvertretungen erfolgte.<br />
Der zweite Schwerpunkt behandelt die ‚Arisierungen‘ österreichischer Apotheken während<br />
der NS-Herrschaft und ihre Rückstellungen nach 1945 sowie das Schicksal der von der<br />
nationalsozialistischen Verfolgung betroffenen jüdischen BesitzerInnen. Da dieses Thema<br />
auch von der Österreichischen Historikerkommission nicht umfassend erarbeitet wurde,<br />
erschien es uns nötig, die schon gewonnenen Erkenntnisse in diesem Forschungsprojekt<br />
zu vervollständigen. Wenn die pharmazeutischen Standesorganisationen heute zu Recht<br />
stolz auf ihre demokratische Verfasstheit sind, so schließt dieses Demokratieverständnis<br />
auch die Verpflichtung mit ein, das historische Verhältnis der Apothekerschaft zu einem<br />
Regime wie dem des NS-Staates zu klären. Dazu zählt nicht zuletzt die möglichst<br />
umfassende Aufarbeitung der historischen Bedingungen. Unsere Forschungsarbeit leistet<br />
dazu einen Beitrag.<br />
Anzumerken ist, dass einige der von uns anfangs zu diesem Projekt entwickelten Fragestellungen<br />
sich bald als methodisch sehr herausfordernd und im vorgegebenen Zeitrahmen<br />
kaum erarbeitbar herausstellten. Eine Frage, die nicht vollständig geklärt werden<br />
konnte, betraf das Weiterbestehen der Pharmazeutischen Gehaltskasse nach dem März<br />
1938 und ihre Rolle im Rahmen der NS-Herrschaft in Österreich. Die spärlich<br />
vorhandenen Unterlagen ließen nur Annäherungen an den historischen Sachverhalt zu,<br />
viele der in dieser Hinsicht gefällten Entscheidungen dürften auf informellen Wegen erfolgt<br />
sein. Eine alle Details erfassende Darstellung der damaligen Vorkommnisse war daher<br />
nicht möglich. Weiters ergab sich bei der versuchten Ermittlung von durch den National-<br />
5
sozialismus geschädigten <strong>Arbeit</strong>nehmerInnnen in der österreichischen Pharmazie das<br />
Problem, dass keine Namensliste der Verfolgten gefunden werden konnte und somit eine<br />
weitere Nachforschung zu deren Schicksalen unmöglich wurde – ein Problem, dass auch<br />
schon von der Österreichischen Historikerkommission festgestellt wurde. Die vorhandenen<br />
und bearbeiteten Archivalien ließen keine Rückschlüsse auf diese Fragestellung zu, die<br />
geschädigten <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen hinterließen in den Akten kaum Spuren. Erst ab der<br />
Karrierestufe „verantwortlicher Leiter“ oder „Leiterin“ eines Apothekenbetriebes konnten zu<br />
Angestellten verwertbare Informationen ermittelt werden.<br />
Darüber hinaus konnten einige Themenbereiche, die in Bezug auf die österreichische<br />
Apothekerschaft ebenfalls von Interesse sind, aufgrund der begrenzten Zeit nur<br />
fragmentarisch bearbeitet werden. Dies betrifft zum Beispiel die sanitäre Situation, die<br />
Versorgungsnot mit Medikamenten in der unmittelbaren Nachkriegszeit, das Schicksal von<br />
im Zuge des Kriegsendes vertriebenen PharmazeutInnen oder auch der Umgang der<br />
Nachkriegsgesellschaft mit den NutznießerInnen des NS-Regimes. Diese wären lohnende<br />
Themen für weitere Forschungen und es wäre wünschenswert, wenn in Zukunft solche<br />
<strong>Arbeit</strong>en unternommen würden.<br />
Es ist zur Zeit nicht üblich, dass junge und unbekannte HistorikerInnen mit einem so<br />
herausfordernden Projekt betraut werden und ihnen das nötige Vertrauen<br />
entgegengebracht wird, ein solches Projekt erfolgreich abzuschließen. Für dieses<br />
Vertrauen wollen wir uns besonders bei Dr. Wolgang Gerold und <strong>Mag</strong>. Gottfried Bahr, den<br />
Obmännern, sowie bei Dr. Wolfgang Nowatschek, dem Direktor der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse für Österreich, bedanken. Ihr Vertrauen und wohlwollende Unterstützung<br />
haben dieses Projekt ermöglicht. Unser Dank gebührt weiters Dr. Otto Nowotny und Helga<br />
Krischkowsky von der Bibliothek der Österreichischen Apothekerkammer, die uns mit<br />
Hinweisen auf Literatur und bei der Berarbeitung derselben großzügige Hilfe zu Teil<br />
werden ließen. Bedanken möchten wir uns auch bei <strong>Mag</strong>.ª Anja Brunner, die das Lektorat<br />
dieses Forschungsberichts übernahm und mit Engagement und Energie unsere Texte in<br />
die vorliegende Form brachte, sowie bei Konrad Manseer, der uns seine Forschungsergebnisse<br />
zur österreichischen Nachkriegsjustiz zur Verfügung stellte.<br />
<strong>Mag</strong>. Alfred <strong>Fehringer</strong> und <strong>Mag</strong>. Leopold Kögler<br />
Wien, Juni 2008<br />
6
1. Gründung und Anfangsjahre der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse für Österreich 1902–1918<br />
„Die Gehaltskasse ist für uns die Möglichkeit der moralischen Verpflichtung<br />
nachzukommen jenen jungen Leuten, welche sich der Pharmazie widmen, auch die<br />
Gewähr einer gesicherten sozialen Stellung zu bieten, wodurch sie dem Stande erhalten<br />
bleiben.“ 1<br />
1.1. Vorbereitungen zur Gründung 1902–1908<br />
Mit diesen Worten eröffnete der Apothekenbesitzer <strong>Mag</strong>. Rudolf Hauke am 14. Oktober<br />
1908 2 die Vorversammlung zur gründenden Generalversammlung des Vereins der<br />
Allgemeinen Gehaltskasse der Apotheker Österreichs im Saal des Ingenieurs- und<br />
Architektenvereines. Der Appell <strong>Mag</strong>. Haukes an die anwesenden VertreterInnen der<br />
Assistentenschaft und der ApothekenbesitzerInnen enthält nicht nur das Ziel der<br />
Gründung dieses Vereins, sondern – unserer Einschätzung nach – auch einen Aufruf an<br />
die StandesvertreterInnen, ihre Querelen und Streitigkeiten beiseite zu legen, um<br />
gemeinsam für die soziale Sicherung der angestellten ApothekerInnen zu arbeiten. Wie<br />
wichtig dieser Aufruf war, zeigte sich noch während dieser Vorversammlung. Davor aber<br />
stellt sich die Frage, wie es zur Gründung der Pharmazeutischen Gehaltskasse kam,<br />
welche Hürden und Schwierigkeiten es gab, wie diese überwunden werden konnten und<br />
welche Voraussetzungen zur Errichtung dieser Institution führten.<br />
1902 legten <strong>Mag</strong>. Hans Wagner und <strong>Mag</strong>. Ernst Baurek im Namen der Wiener<br />
Assistentenschaft den VertreterInnen der Wiener ApothekenbesitzerInnen einen Plan vor,<br />
der eine allgemeine Gehaltsregelung mit Alterszulagen zum Ziel hatte. Jeder<br />
Apothekenbesitzer und jede Apothekenbesitzerin sollte ihrem Vorschlag nach eine für<br />
jeden Assistenten und jede Assistentin gleich hohe Quote an das Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium überweisen, welches dann die Gehälter auszuzahlen hätte. Tatsächlich<br />
1 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1908–1918, Gründende Generalversammlung vom<br />
14.10.1908.<br />
2 Ebd.<br />
7
konnte nach massiven Streikandrohungen und längeren Verhandlungen mit den Wiener<br />
ApothekenbesitzerInnen eine Kompromisslösung gefunden werden. Diese ausgehandelte<br />
Gehaltsregelung für die Wiener Apotheken sah folgendermaßen aus: Die<br />
ApothekenbesitzerInnen zahlten ihren Angestellten ein Grundgehalt direkt aus,<br />
Dienstzeitzulagen, Alterszulagen und andere Sonderzahlungen wurden den Angestellten<br />
vom Wiener Apotheker-Hauptgremium überwiesen. Die Auszahlung der Zulagen wurde<br />
durch Quotenzahlungen der ApothekenbesitzerInnen an einen Fonds ermöglicht. 3 Obwohl<br />
die ApothekenbesitzerInnen dieser Regelung nur sehr zögerlich zugestimmt hatten, zeigte<br />
sich bald, dass sich die Lohnkosten dadurch kaum erhöht hatten, da auch einige<br />
Nebenkosten wegfielen. Der Vorteil dieser Regelung für die angestellten PharmazeutInnen<br />
war, dass vor allem ältere AssistentInnen von der Angst befreit wurden, ihren <strong>Arbeit</strong>splatz<br />
aufgrund zu hoher Gehaltskosten zu verlieren. Weiters war dieser Gehaltsregelung von<br />
1902 eine Regelung der Dienstzeiten angeschlossen, welche die tägliche effektive<br />
<strong>Arbeit</strong>szeit auf acht Stunden begrenzte, die Länge der Mittagspausen und anderer<br />
Dienstunterbrechungen bestimmte und den jährlichen Normalurlaub für AssistentInnen mit<br />
vierzehn Tagen festsetzte. Diese Allgemeinen Vereinbarungen des Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremiums mit den in Wien konditionierenden PharmazeutInnen traten am 1. Juli<br />
1902 in Kraft. 4 Das Zustandekommen dieser Vereinbarung zeigt, dass die pharmazeutischen<br />
AssistentInnen, allen voran <strong>Mag</strong>. Wagner und <strong>Mag</strong>. Baurek, die Entwicklung in<br />
der seit 1900 auch von den österreichischen Gewerkschaften propagierten Kollektivvertragspolitik<br />
für <strong>Arbeit</strong>erInnen beobachteten und einen für angestellte ApothekerInnen<br />
adaptierten Vorschlag ausarbeiteten. Diese Vereinbarung der Wiener ApothekenbesitzerInnen<br />
mit den Wiener angestellten PharmazeutInnen ist ein für Österreich sehr<br />
frühes Beispiel für eine kollektive Vereinbarung über <strong>Arbeit</strong>sverträge mit Angestellten – im<br />
Fall der ApothekerInnen sogar mit akademischer Ausbildung. 5<br />
Während diese Regelung die soziale Situation der Wiener AssistentInnen erheblich<br />
verbesserte, fehlte weiterhin eine einheitliche Gehaltsregelung für die angestellten<br />
ApothekerInnen im Gebiet der österreichischen Reichshälfte der k. k. Monarchie. Doch in<br />
3 Vgl. Otto Nowotny, Der Weg zur Gründung der Gehaltskasse, in: ÖAZ Nr. 46 (1983), 909; Albert Ullmer, Von der<br />
Wurzel zur Blüte. Die soziale und wirtschaftliche Lage in den ersten 40 Jahren, in: Pharmazeutischer Reichsverband,<br />
Hg., 100 Jahre. Organisation der angestellten Apotheker. Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich, Wien 1991,<br />
74.<br />
4 ÖStA, AVA, Ministerium des Inneren, Kt. 2685, 4539-08, Vereinbarung in Betreff der Dienstzeit, Gehalte.<br />
5 Vgl. Gerhard Ungersböck, Vom „Freien“ <strong>Arbeit</strong>svertrag zum Kollektivvertrag, in: Gerald Stourzh u. Margarete<br />
Grandner, Hg., Historische Wurzeln der Sozialpartnerschaft, Wien 1986, 133f.<br />
8
den Jahren zwischen 1904 und 1906 stand die Diskussion um das neue Apothekengesetz<br />
im Vordergrund. Sowohl ApothekenbesitzerInnen als auch die Assistentenschaft versuchten<br />
durch Eingaben, Fachexpertisen und eigenständige Gesetzesentwürfe ihre<br />
standespolitischen Ziele und Forderungen durchzusetzen. Dabei kam es immer wieder zu<br />
harten Konfrontationen in Sitzungen und Medien zwischen den VertreterInnen der beiden<br />
Interessensgruppen. Um älteren AssistentInnen den Erwerb einer Konzession und somit<br />
den Wechsel vom Status des/der Angestellten zum Status des Apothekenbesitzers/der<br />
Apothekenbesitzerin zu erleichtern, aber auch um den Vergabeprozess transparenter zu<br />
gestalten, forderten die AssistentInnen eine grundlegende Reform der Konzessionsvergabe.<br />
Die ApothekenbesitzerInnen wiederum forderten die wirtschaftliche Absicherung<br />
der bereits existierenden Apotheken und waren für eine Beibehaltung der bestehenden<br />
Ausschreibungs- und Konzessionsverfahren. 6 Das 1906 in Kraft getretene – und umstrittene<br />
– Apothekengesetz ist in diesem Zusammenhang eher als ein Erfolg für die<br />
ApothekenbesitzerInnen zu werten. Einerseits gestand die Regierung den AssistentInnen<br />
ein Recht auf Interessensvertretung zu und verpflichtete die ApothekenbesitzerInnen zur<br />
Schaffung einer angemessenen Altersversorgung für angestellte ApothekerInnen.<br />
Andererseits förderte und schützte der Gesetzgeber durch dieses Gesetz die Position der<br />
ApothekenbesitzerInnen, während auf Grund der eingeschränkten Berufsaussichten die<br />
materielle Unsicherheit der angestellten ApothekerInnen bestehen blieb. 7 Durch dieses<br />
Gesetz waren vor allem die älteren Angestellten praktisch von der beruflichen Selbstständigkeit<br />
ausgeschlossen.<br />
Infolge dieser unbefriedigenden Situation erarbeitete die Assistentenschaft den Plan zur<br />
Errichtung einer Gehaltskasse. Ziel war es, mit einer Gehaltskasse eine neutrale Stelle zu<br />
schaffen, welche eine nach Dienstalter steigende Gehaltstafel, ergänzt durch gestaffelte<br />
Ortszulagen, erstellte und das nach diesem System errechnete Gehalt allen Angestellten<br />
überwies. Die Finanzierung dieser Gehaltskasse sollte durch die Einhebung einer stets<br />
gleich hohen Umlage bei den ApothekenbesitzerInnen erfolgen, so dass es für diese<br />
unerheblich wäre, ob sie nach Dienstjahren junge oder ältere Angestellte beschäftigten.<br />
Bei der Ausarbeitung dieses Konzeptes orientierten sich die pharmazeutischen<br />
AssistentInnen allerdings nicht an den <strong>Arbeit</strong>erkollektivverträgen, sondern an den<br />
6 Vgl. hierzu zahlreiche Artikel in den Zeitschriften der jeweiligen Standesvertretungen, wie z.B. der Zeitschrift des<br />
Allgemeinen Österreichischen Apothekervereines oder der Pharmazeutischen Presse (Organ des Allgemeinen<br />
Österreichischen Assistenten-Vereins).<br />
7 Vgl. Karl Rauch, 50 Jahre Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich, in: ÖAZ Nr. 47 (1958), 625.<br />
9
Gehaltsregelungen der öffentlich-rechtlichen Beamten und Beamtinnen. Aufgrund ihrer<br />
Tätigkeit im Apothekenwesen, welches stark von staatlichen Regelungen und Gesetzen<br />
beeinflusst war, sahen sich die AssistentInnen als „Privatbeamte“. Unter der Führung des<br />
Präsidenten des Pharmazeutischen Reichsverbandes für Österreich <strong>Mag</strong>. Joseph<br />
Longinovits begannen wiederum zähe und schwierige Verhandlungen mit der Standesvertretung<br />
der ApothekenbesitzerInnen. 8<br />
Die meisten ApothekenbesitzerInnen standen dem Plan zur Errichtung einer Gehaltskasse<br />
skeptisch bis ablehnend gegenüber, da sie eine Steigerung der Lohnkosten befürchteten<br />
und somit eine zusätzliche finanzielle Belastung auf sich zukommen sahen. Aber auch<br />
nicht alle Angestellten waren von der Idee der Gehaltskasse begeistert. Vor allem jüngere<br />
Angestellte befürchteten dadurch eine Kürzung ihrer Bezüge. Longinovits konnte aber den<br />
Apotheker <strong>Mag</strong>. Paul Redtenbacher von den Argumenten des Reichsverbandes<br />
überzeugen und fand in ihm einen Verbündeten. Redtenbacher, der immer wieder wichtige<br />
Positionen in der Standesvertretung der ApothekenbesitzerInnen innehatte, scheute auch<br />
nicht davor zurück, den Plan einer Gehaltskasse seinen KollegInnen schmackhaft zu<br />
machen. Nach Überwindung zahlreicher Widerstände der ApothekenbesitzerInnen und<br />
langen, zähen Diskussionen war es Redtenbacher, der 1907 die Bewilligung des<br />
„Zentralausschusses der Apothekerkorporationen“ – die zentrale Entscheidungsstelle bei<br />
besonders heiklen und wichtigen Standesangelegenheiten – zur Errichtung einer zentralen<br />
Gehaltskasse auf Vereinsbasis erhielt. Beide Standesgruppen waren sich bewusst, dass<br />
eine Gehaltsreform in Form einer Gehaltskasse nur dann zu realisieren wäre, wenn die<br />
Regierung einen Zuschlag zur Arzneitaxe gewährte. Daraufhin traten die Vertreter beider<br />
Interessensgruppen mit dem Plan zur Errichtung einer Gehaltskasse und der Forderung<br />
nach einem Arzneitaxenzuschlag an die Regierung heran. 9 Das Innenministerium gab<br />
schließlich den ApothekenbesitzerInnen gegenüber eine unverbindliche Erklärung ab,<br />
dass bei einer den Wünschen der Assistentenschaft entgegenkommenden Regelung der<br />
Gehälter eine Anhebung der Arzneitaxe durch die Einführung einer Dispensationsgebühr<br />
von 20 Hellern möglich sei. 10 Als Gegenleistung forderte die Regierung Garantien der<br />
Apothekergremien, die geplante Gehaltsreform auch wirklich durchzuführen.<br />
Die Standesvertretungen begannen nach diesem positiven Signal der Regierung mit der<br />
Ausarbeitung von Statuten für die Pharmazeutische Gehaltskasse und überbrachten dem<br />
8 Vgl. Nowotny, Gehaltskasse, 911; Ullmer, Von der Wurzel zur Blüte, 77.<br />
9 Vgl. Franz Dittrich, Die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich 1908–1928, Wien 1929, 15f.<br />
10 Vgl. ebd., 911; Rauch, 50 Jahre, 625.<br />
10
Innenministerium als zuständiger Behörde die geforderten Garantien. Daraufhin setzte die<br />
Regierung per Verordnung vom 28. Jänner 1908 eine Dispensationsgebühr fest, welche<br />
bereits ab 1. Februar 1908 zur Anrechnung kommen sollte. 11 Wie sehr sich vor allem das<br />
Wiener Apotheker-Hauptgremium unter Druck gesetzt fühlte, zeigt ein Schreiben vom 26.<br />
März 1908 an das Innenministerium. In diesem wird über den Stand der Verhandlungen<br />
mit den AssistentInnen berichtet und betont, dass die Verhandlungen über eine dem<br />
Dienstalter entsprechende Erhöhung der Gehälter für den Wiener Sprengel abgeschlossen<br />
seien, aber noch einzelne Kronländer fehlten. Weiters wurde erwähnt, dass mit<br />
den Wiener AssistentInnen bis zur endgültigen Gehaltsreform ein Provisorium geschaffen<br />
wurde. Der Brief schloss mit der Bitte an das Ministerium, aus dem Brief der<br />
ApothekenbesitzerInnen deren Bestreben herauszulesen, die Wünsche der MitarbeiterInnen<br />
nach Möglichkeit zu erfüllen. 12 Nach dem Beschluss des Zentralausschusses der<br />
Apothekerkorporation sowie der Zustimmung der VertreterInnen der Assistentenschaft zu<br />
den Statuten des Vereins Allgemeine Gehaltskasse der Apotheker Österreichs wurden<br />
diese im Frühjahr 1908 eingereicht. Mit dem Erlass vom 31. August 1908, der die Statuten<br />
genehmigte, stand der Konstituierung nichts mehr im Wege. 13<br />
Mit der Überwindung der Streitereien und Diskussionen der Standesvertretungen und der<br />
Genehmigung des Vereins waren allerdings bei weitem nicht alle Probleme gelöst. Das<br />
Protokoll der Vorversammlung der gründenden Generalversammlung der Allgemeinen<br />
Gehaltskasse der Apotheker Österreichs zeigt, dass bis zuletzt an den genauen<br />
Statutenregelungen gefeilt und um jedes Zugeständnis gerungen wurde. So drückte zum<br />
Beispiel <strong>Mag</strong>. Paul Redtenbacher sein Unverständnis darüber aus, dass ein Teil der<br />
AssistentInnen, für welche die Gehaltskasse geschaffen worden war, den aufgestellten<br />
Gehaltsschemata gegenüber skeptisch war. <strong>Mag</strong>. Redtenbacher forderte recht drastisch,<br />
dass die Anwesenden in der Diskussion keine grundlegenden Veränderungen an den<br />
Statuten vornehmen sollen, „denn das Statut sei ein organisches Gebilde und wenn man<br />
demselben einen Arm oder einen Fuß ausreißt, so wird es ein Krüppel“ 14 .<br />
Im Laufe der Vorversammlung zeigte sich auch bereits ein weiteres Problem der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse in den Anfangsjahren: das Nationalitätenproblem. So<br />
stieß offenbar die Forderung der westgalizischen ApothekerInnen nach einer höheren<br />
11 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 16.<br />
12 ÖStA, AVA, Ministerium des Inneren, Kt. 2687, 11339.<br />
13 Vgl. Nowotny, Gehaltskasse, 911.<br />
14 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1908–1918, Gründende Generalversammlung vom<br />
14.10.1908.<br />
11
Anzahl westgalizischer VertreterInnen in den Entscheidungsgremien des Vereins auf<br />
heftiges Missfallen der „deutschen“ ApothekerInnen. Die ostgalizischen ApothekerInnen<br />
wollten abwarten, wie sich die Gehaltskasse entwickelte, und forderten für einen<br />
eventuellen Beitritt ebenfalls eine hohe Anzahl von VertreterInnen im Vorstand. Weiters<br />
forderten die böhmischen ApothekerInnen eine Filiale in Prag, die west- und ostgalizischen<br />
ApothekerInnen eine Filiale in Krakau. <strong>Mag</strong>. Redtenbacher legte dar, dass<br />
Filialen außerhalb Wiens vorerst aus finanziellen und verwaltungstechnischen Gründen<br />
noch nicht möglich seien, aber in späterer Zeit durchaus geplant wären. Schließlich<br />
beendete Dr. Grüner, der Präsident des Allgemeinen Österreichischen Apothekervereines,<br />
die harte Diskussion mit der Bemerkung, dass die Nationalitätenfrage bei allen fachlichen<br />
Anlässen aufgerollt werde, dass aber alle die Gehaltskasse als eine Interessensvertretung<br />
der ApothekerInnen und nicht als eine der Nationalitäten betrachten sollten. 15<br />
1.2. Die Gründung der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich<br />
Nach dieser durch letzte Streitigkeiten und Verhandlungen geprägten Vorversammlung<br />
fand unmittelbar anschließend die gründende Generalversammlung statt. In dieser wurde<br />
als erster Erfolgsbericht bekannt gegeben, dass bereits 300 Apotheken mit über 700<br />
AssistentInnen dem Verein beigetreten waren. Nach der Wahl des Vorstandes und des<br />
Aufsichtsrates wurden die Statuten des Vereins beschlossen. 16 Noch in der darauf<br />
folgenden ersten Vorstandssitzung des Vereins wählten die Vertreter des Vorstandes<br />
<strong>Mag</strong>. Paul Redtenbacher zum Präsidenten, Dr. Bibus zum Vizepräsidenten, Dr. Franz<br />
Stohr zum Kassier und <strong>Mag</strong>. Josef Longinovits zum Schriftführer. 17<br />
Schon im November 1908 erfolgte die erste Gehaltszahlung durch die Gehaltskasse. Der<br />
Vorstand hatte in den ersten Monaten ein enormes <strong>Arbeit</strong>spensum zu bewältigen, um die<br />
Verwaltung des Geschäftsbetriebes und die Finanzierung der Gehaltszahlungen zu<br />
garantieren sowie neue Mitglieder zu werben. Auch bei der Beitrittsstatistik und in den<br />
Protokollen des Vorstandes zeigt sich das Problem der Nationalitätenfrage. So traten die<br />
„deutschen“ ApothekerInnen recht zügig und in großer Zahl bei, die ApothekerInnen aus<br />
15 Ebd.<br />
16 Ebd.<br />
17 Ebd. Im Gegensatz hierzu gibt Otto Nowotny an, dass <strong>Mag</strong>. Josef Longinovits Vizepräsident wurde, vgl. Nowotny,<br />
Gehaltskasse, 911.<br />
12
den polnischen, galizischen und italienischen Gebieten der Monarchie folgten nur sehr<br />
zögerlich. Auch ein Stadt-Land-Gefälle war zu bemerken. ApothekerInnen aus größeren<br />
Städten schlossen sich dem Verein schneller an als LandapothekerInnen. Dies lag auch<br />
daran, dass die StadtapothekerInnen meist größere Betriebe führten, während am Land<br />
viele ApothekerInnen keine oder nur eineN Angestellten beschäftigten. Viele<br />
ApothekenbesitzerInnen zogen es vor, sich Gehaltsregelungen und andere soziale Zusatzleistungen<br />
nicht von einer zentralen Stelle vorschreiben zu lassen, also „unabhängig“ zu<br />
bleiben und der freiwilligen Gehaltskasse nicht beizutreten, und boten ihren AssistentInnen<br />
18<br />
als Ausgleich etwas mehr Gehalt.<br />
Welch großes diplomatisches Verhandlungsgeschick <strong>Mag</strong>. Longinovits und<br />
<strong>Mag</strong>. Redtenbacher bewiesen und wie viel Überzeugungsarbeit sie leisteten, um den Plan<br />
einer Gehaltskasse umzusetzen, zeigte sich auch daran, dass zur gleichen Zeit<br />
Verhandlungen zur Schaffung einer Zentralstelle der Versicherungsvorsorge für<br />
konditionierende PharmazeutInnen scheiterten. Das Apothekengesetz vom 18. Dezember<br />
1906 – vor allem Paragraph §11, welcher die ApothekenbesitzerInnen verpflichtete, für die<br />
konditionierenden PharmazeutInnen sowie deren Hinterbliebene im Rahmen einer<br />
Versicherung vorzusorgen – war der Anstoß für diese Verhandlungen. 19 Allerdings hatte<br />
der Gesetzgeber in diesem Paragraphen auch Interimsbestimmungen bis zur Einrichtung<br />
solch einer Versicherungsstelle eingeführt, so dass die ApothekerInnen nicht unmittelbar<br />
zur Gründung einer Versicherungsanstalt gezwungen waren. Ein Memorandum des k. k.<br />
Innenministeriums von Ende Oktober 1908 berichtet zusammenfassend über die<br />
Äußerungen der diversen Ausschüsse der konditionierenden PharmazeutInnen und der<br />
Apothekergremien zur Einrichtung einer Pharmazeutischen Zentralversicherungsanstalt.<br />
Während die Ausschüsse der angestellten ApothekerInnen sich einhellig positiv äußerten<br />
und auch die Grazer, Linzer und Wiener Apothekergremien ihre Zustimmung<br />
signalisierten, stellte das Prager Apotheker-Hauptgremium Forderungen, die zum<br />
Scheitern der Verhandlungen beitrugen. So forderten die tschechischen ApothekerInnen<br />
neben der Errichtung einer Zentralstelle in Wien die Eröffnung einer Filiale in Prag mit<br />
tschechischer Amtssprache sowie die Einstellung einer ausreichenden Anzahl<br />
tschechischer Beamter in der Wiener Zentralstelle für die Bearbeitung der böhmischen<br />
Agenden. Die „deutschen“ Apothekergremien wollten diesen Bedingungen der<br />
18 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1908–1918, Sitzung vom 24.10.1908, Sitzung vom<br />
07.11.1908, Sitzung vom 04.06.1909.<br />
19 RGBL 5/1907<br />
13
öhmischen KollegInnen offensichtlich nicht zustimmen, denn die Verhandlungen stockten<br />
und wurden nur sehr langsam weitergeführt. Das Innenministerium berief sich auf das<br />
Apothekergesetz und machte den diversen Standesvertretungen deutlich, dass die<br />
Initiative zur Errichtung der Versicherungsanstalt den beteiligten InteressentInnen überlassen<br />
sei. 20 Die ApothekenbesitzerInnen konnten sich bis 1918 nicht einigen. Erst 1927<br />
wurde in der Republik Österreich die Versicherungsanstalt für Pharmazeuten gegründet. 21<br />
Während die Verhandlungen zur Errichtung einer Versicherungsanstalt also scheiterten,<br />
konnte mit der Errichtung der Pharmazeutischen Gehaltskasse begonnen werden.<br />
In den ersten Jahre der Pharmazeutischen Gehaltskasse wurden die Einrichtung eines<br />
funktionierenden Betriebes mit Bürokräften und BuchhalterInnen sowie in weiterer Folge<br />
die Konsolidierung der Geschäftsbarung vorgenommen. Auch nach der Gründung musste<br />
vor allem in den österreichischen Kronländern massive Überzeugungsarbeit bei<br />
Apothekergremien und ApothekenbesitzerInnen, aber auch bei den AssistentInnen,<br />
geleistet werden. Die Mitgliederzahlen erhöhten sich unmittelbar nach der Gründung<br />
rasch, doch ab Sommer 1909 begannen die Mitgliedszahlen zu stagnieren. Bereits im<br />
Sommer 1909 traten einige ApothekerInnen wieder aus der Gehaltskasse aus. Als<br />
Reaktion darauf wurden immer wieder Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht, in denen<br />
die Vorteile für AssistentInnen und ApothekerInnen unterstrichen wurden, um für den<br />
Beitritt zur Gehaltskasse zu werben. Trotz zahlreicher Rundschreiben der Gehaltskasse<br />
und anderer beigetretener Apothekerorganisationen und Gremien mit dem Aufruf, der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse geschlossen beizutreten, konnte dies bei weitem nicht<br />
erreicht werden. 22<br />
Viele für die laufende <strong>Arbeit</strong> der Gehaltskasse wichtige Entscheidungen wurden durch<br />
langwierige Diskussionen im Vorstand verzögert. Auch die von Longinovits schon Anfang<br />
1909 vorgebrachte und der Pharmazeutischen Gehaltskasse vorgelegte Idee, ein<br />
Pharmazeutisches Pensionsinstitut zu gründen und dieses in einer Verwaltungsgemeinschaft<br />
mit der Gehaltskasse zu führen, wurde von den ApothekenbesitzerInnen<br />
immer wieder abgelehnt. Dies wurde unter anderem mit zu geringen Mitgliedszahlen, zu<br />
hohem verwaltungstechnischem Aufwand und der zu hohen finanziellen Belastung<br />
20 ÖStA, AVA, Ministerium des Inneren, Kt. 2688, 38984/08.<br />
21 Siehe Kapitel 2.3 „Soziale Erneuerungen und Ausbau der gesetzlichen Gehaltskasse 1922–1927“.<br />
22 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1908–1918, Sitzung vom 06.02.1909, Sitzung vom<br />
04.06.1909; vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 19.<br />
14
egründet. 23 Erst im Jahre 1912 konnten sich AssistentInnen und ApothekenbesitzerInnen<br />
auf die Gründung eines Pensionsinstituts einigen. 24 <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich berichtete in seiner<br />
Bilanz betreffend die ersten zwanzig Jahre der Gehaltskasse über den wieder<br />
erstarkenden „Egoismus“ der Anfangszeit sowohl in der Besitzerschaft als auch bei den<br />
AssistentInnen. Außerdem stellte er fest, dass beide Seiten den sozialen Vorteil dieser<br />
Institution nicht erkannten, sondern diese Einrichtung zu ihrem Vorteile nutzten. 25<br />
Ebenso belastete der Nationalitätenstreit weiterhin die <strong>Arbeit</strong> der Gehaltskasse. Wie<br />
schon ausgeführt, wurden nur relativ wenige ApothekerInnen aus Böhmen, Galizien und<br />
Italien Mitglieder. Am 24. Juni 1909 konnte aber in einer Vorstandssitzung auf Initiative von<br />
Gehaltskassenpräsident <strong>Mag</strong>. Redtenbacher im Streit zwischen den Prager<br />
ApothekenbesitzerInnen und AssistentInnen vermittelt werden. Mit Hilfe von Zugeständnissen<br />
der Gehaltskasse an die böhmischen ApothekerInnen beschlossen diese, der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse beizutreten. 26 Die Gehaltskasse sicherte den Prager<br />
ApothekerInnen zu, sie mit niedrigeren Quoten einzustufen. Obwohl der Beitritt solch einer<br />
großen Anzahl von ApothekerInnen für das Weiterbestehen der Gehaltskasse enorm<br />
wichtig war, bedeutete dieses Zugeständnis eine weitere Verschärfung des Nationalitätenkonflikts.<br />
Die „deutschen“ ApothekerInnen und AssistentInnen stellten sich in Folge gegen<br />
die Bevorzugung ihrer „böhmischen“ KollegInnen.<br />
Trotz all dieser Schwierigkeiten arbeitete die Gehaltskasse in den ersten zwei Jahren ihres<br />
Bestehens wirtschaftlich erfolgreich und hatte sogar einen Überschuss zu verzeichnen.<br />
Deshalb wurde auch in der Vorstandssitzung vom 26. November 1909 beschlossen<br />
dreißig Prozent des jeweiligen Überschusses in einem Reservefonds für Notzeiten anzulegen.<br />
Der Rest sollte an die Mitglieder ausgeschüttet werden. 27<br />
Die erste große Bewährungsprobe hatte die Pharmazeutische Gehaltskasse im Jahr 1911<br />
zu überstehen. Gleich mehrere Faktoren führten dazu, dass in diesem Jahr die<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse kurz vor ihrer Auflösung stand. Präsident <strong>Mag</strong>. Paul<br />
Redtenbacher gab in der Vorstandssitzung vom 21. Februar 1911 per Brief, den er selbst<br />
als Demissionsschreiben bezeichnete, seinen Rücktritt bekannt. Zu allererst bat er den<br />
23 Ebd., Sitzung vom 18.02.1909, Sitzung vom 21.04.1909, Sitzung vom 04.06.1909.<br />
24 Ebd., Sitzung vom 23.09.1918.<br />
25 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 18f.<br />
26 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1908–1918, Sitzung vom 26.11.1909.<br />
27 Ebd.<br />
15
Vorstand, ihm mögliche Vorbehalte gegen seine bisherige Amtsführung beziehungsweise<br />
gegen den Zustand der Gehaltskasse zum Zeitpunkt der Übergabe mitzuteilen. Daraufhin<br />
legte er sehr ausführlich die Gründe seines Rücktritts dar. Als Hauptgrund gab er die vom<br />
Aufsichtsratsvorsitzenden der Gehaltskasse <strong>Mag</strong>. Richard Seipel persönlich an ihn<br />
gerichtete Rücktrittsaufforderung an. Als Konsequenz einer zwischen <strong>Mag</strong>. Redtenbacher<br />
und <strong>Mag</strong>. Hauke – Oberdirektor des Apothekervereines – geführten Auseinandersetzung,<br />
befürchtete <strong>Mag</strong>. Seipel den demonstrativen Austritt einer größeren Gruppe von mit<br />
<strong>Mag</strong>. Hauke befreundeten ApothekenbesitzerInnen. Weitere Aktionen gegen seine Person<br />
überzeugten <strong>Mag</strong>. Redtenbacher, dass die Befürchtungen Seipels wahr werden könnten.<br />
Um der Gehaltskasse, „deren Schaffung und Ausbau seit jeher meine Lieblingsidee war“, 28<br />
keinen Schaden zuzufügen, ziehe er es vor, zurückzutreten. In seinem Demissionsschreiben<br />
legte <strong>Mag</strong>. Redtenbacher aber auch seine Gedanken zur Zukunft der Gehaltskasse<br />
dar. Seiner Ansicht nach machte die Zusammensetzung der Gehaltskasse eine<br />
sachliche <strong>Arbeit</strong> zum Wohle des Apothekerstandes unmöglich, da eine „beständige Gefahr<br />
von Zwistigkeiten unter Parteien, Korporationen, Nationen, Dienstgebern und -nehmern<br />
besteht“. 29 Weiter wies er auf die seiner Einschätzung nach notwendige Umwandlung der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse in ein Institut mit Pflichtmitgliedschaft hin. In der<br />
anschließenden Diskussion wurden <strong>Mag</strong>. Redtenbacher Dank und Anerkennung für seine<br />
<strong>Arbeit</strong> ausgesprochen und ihm bescheinigt, dass er die Gehaltskasse in einwandfreiem<br />
Zustand übergeben habe. Am Ende der Sitzung wurde der bisherige Vizepräsident<br />
Dr. Franz Stohr zum neuen Präsidenten gewählt. 30<br />
In der gleichen Sitzung gab die Prager Apothekerschaft ihren geschlossenen Austritt<br />
bekannt. Obwohl die Gründe im Protokoll nicht genau angeführt sind, ist anzunehmen,<br />
dass die schon beschriebenen Probleme dafür den Anlass gegeben haben. Jedenfalls war<br />
der plötzliche Austritt einer solch großen Anzahl von ApothekerInnen ein bedeutender<br />
finanzieller Rückschlag für die Pharmazeutische Gehaltskasse. Im Juli 1911 berichtete<br />
<strong>Mag</strong>. Longinovits über die wirtschaftliche Situation, welche sich seit Jänner 1911<br />
dramatisch verschlechtert hatte. Als Gegenmaßnahme schlug <strong>Mag</strong>. Longinovits eine<br />
Erhöhung der Quotenzahlungen um zwei Prozent vor, bis die Quoten so eingestellt<br />
werden können, dass die Gehaltskasse nur noch Grund- und Mindestlöhne bezahlen und<br />
keinerlei Orts- und Personalzulagen abrechnen müsse. Diese sollten wiederum von den<br />
28 Ebd., Sitzung vom 21.02.1911.<br />
29 Ebd.<br />
30 Ebd.<br />
16
jeweiligen ApothekenbesitzerInnen selbst verhandelt und ausbezahlt werden. Weiters<br />
schlug er vor, auch die AssistentInnen zu Mitgliedern zu machen und diesen einen<br />
Mitgliedsbeitrag von sechs Kronen pro Monat zu verrechnen. Dieser Vorschlag wurde<br />
schon früher von <strong>Mag</strong>. Longinovits gemacht, doch <strong>Mag</strong>. Adolf Fizia und Dr. Franz Stohr<br />
sprachen sich erneut vehement dagegen aus. Die Aufnahme von AssistentInnen als<br />
Mitglieder hätte eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen DienstgeberInnen und<br />
DienstnehmerInnen bedeutet. 31 Weiters wies Apothekenbesitzer <strong>Mag</strong>. Adolf Fizia als<br />
Vorstandsmitglied daraufhin, dass trotz des schlechten Ergebnisses der Reservefonds auf<br />
keinen Fall angegriffen werden dürfte, da sonst die Gehaltskasse in fünf bis sechs<br />
Monaten ihre Tätigkeit einstellen müsste. <strong>Mag</strong>. Longinovits machte den ApothekenbesitzerInnen<br />
aber auch klar, dass im Falle eines Scheiterns der Gehaltskasse die<br />
Assistentenschaft alles daran setzen würde die Dispensationsgebühr rückgängig zu<br />
machen und eine obligatorische Gehaltskasse anstreben würde. Diese Rute im Fenster<br />
veranlasste die ApothekenbesitzerInnen, engagierter für den Erhalt der Gehaltskasse<br />
einzutreten. Den StandeskollegInnen wurde in einer Aussendung klargemacht, dass die<br />
Gehaltskasse bei einer eventuellen Auflösung des Vereins für obligat erklärt werden<br />
würde. Die Quoten wurden schließlich um zwei Prozent erhöht, und nach Verhandlungen<br />
verzichtete die Assistentenschaft im Gegenzug auf einen Mehrbezug bei einem Postenwechsel.<br />
Durch diese Maßnahmen gelang es, die Gehaltskasse zu retten, und schon im<br />
Juli 1912 konnte die Gehaltskasse wieder positiv bilanzieren. 32<br />
Im Jahre 1913 und im Frühjahr 1914 wurde im Vorstand und im Aufsichtsrat der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse über eine Reform der Statuten verhandelt. Es wurden Pläne<br />
ausgearbeitet, für ApothekerInnen aus den Kronländern den Beitritt zur Gehaltskasse,<br />
welcher weiterhin schleppend verlief, attraktiver zu gestalten. Präsident Stohr schlug zum<br />
Beispiel bei der Generalversammlung im April 1914 vor, die Gehälter in den Klassen I bis<br />
V ohne eine Quotenänderung zu erhöhen, allerdings nur in jenen Kronländern, in denen<br />
mindestens siebzig Prozent der konditionierenden PharmazeutInnen durch die Gehaltskasse<br />
besoldet werden. In weiterer Folge sollte in jenen Kronländern, in denen neunzig<br />
Prozent der PharmazeutInnen durch die Gehaltskasse vertreten werden, das so genannte<br />
„D-Schema“ angenommen werden. Dieses von den AssistentInnen verlangte Schema sah<br />
eine Erhöhung der Gehaltsstufen I bis VII vor. Mit dieser Anregung sollten vor allem die<br />
31 Ebd., Sitzung vom 21.02.1911, Sitzung vom 07.07.1911.<br />
32 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 20; Rauch, 50 Jahre, 626; AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen<br />
der PhGK 1908–1918, Sitzung vom 19.07.1912.<br />
17
AssistentInnen angespornt werden, ihre <strong>Arbeit</strong>geberInnen zum Beitritt zur Gehaltskasse<br />
zu bewegen. Weiters wurde darüber nachgedacht, den Missbrauch der Gehaltskasse<br />
durch ApothekenbesitzerInnen zu unterbinden. Viele ApothekenbesitzerInnen hatten sich<br />
angewöhnt, bei Anstellung von älteren AssistentInnen der Gehaltskasse beizutreten und<br />
bei Änderung des Teams auf junge AssistentInnen wiederum auszutreten. Dies sollte<br />
durch eine erhöhte Wiedereintrittsgebühr verhindert werden. Es gab aber auch Überlegungen,<br />
jenen Mitgliedern, die mehr als fünf Jahre hindurch Mitglieder der Gehaltskasse<br />
waren, eine Ermäßigung der Quote zu gewähren, um sie so für ihre Treue zu belohnen. 33<br />
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 28. Juli 1914 wurden diese Reformpläne<br />
jedoch kaum noch verfolgt.<br />
1.3. Die Pharmazeutische Gehaltskasse im Ersten Weltkrieg 1914–1918<br />
Auswirkungen des Ersten Weltkrieges waren für die Pharmazeutische Gehaltskasse<br />
schon im September 1914 zu spüren. Das Einrücken einer großen Anzahl von jungen<br />
Assistenten und ihr damit verbundener Ausstieg aus der Gehaltskasse bewirkte eine<br />
große Verschiebung in den Ein- und Ausgaben. Da nun verhältnismäßig mehr ältere<br />
AssistentInnen über die Gehaltskasse mit höheren Gehältern besoldet wurden und die<br />
ApothekenbesitzerInnen weiterhin für jeden Assistenten, jede Assistentin, egal welchen<br />
Alters, eine festgelegte Quote einzahlten, bedeutete dies bei absolut verringerten<br />
Einnahmen relativ erhöhte Ausgaben. Wie schnell den Vorstandsmitgliedern diese<br />
finanzielle Misslage bewusst wurde, zeigt bereits die Vorstandssitzung vom 30. September<br />
1914, in der Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel Lohnkürzung bei hohen Gehältern diskutiert<br />
wurden. 34 Schon im Februar 1915 präsentierte der Büroleiter der Gehaltskasse<br />
Gustav Haagen einen <strong>Arbeit</strong>sbericht, der aufgrund des hohen allmonatlichen Gebarungsminus<br />
nur folgende mögliche Gegenmaßnahmen nannte: Die Suspendierung der Auszahlungen<br />
bis nach dem Krieg, die Kürzung der Gehälter von Dienstälteren oder die Beibehaltung<br />
des Zustandes und Weiterarbeiten bis zum Aufbrauchen sämtlicher Reserven.<br />
Nach längerer Diskussion beschlossen die Vorstandsmitglieder, die Gehaltskasse nicht zu<br />
suspendieren, aber sie konnten sich nicht auf eine weitere Vorgehensweise einigen und<br />
entschlossen sich, die Meinungen in den verschiedenen Gremien, Standesvertretungen<br />
33 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1908–1918, Generalversammlung vom 29.04.1914.<br />
34 Ebd., Sitzung vom 30.09.1914.<br />
18
und Vereinen einzuholen. 35 In einer weiteren Sitzung im Februar 1915 gaben die<br />
ApothekenbesitzerInnen bekannt, vehement für das Weiterbestehen der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse einzutreten. Weiters wurde beschlossen, an die Gremien und die<br />
Mitglieder der Gehaltskasse heranzutreten und diese um eine zusätzliche Beitragsleistung<br />
zu bitten. Die Apothekergremien wurden gebeten, eine Einmalzahlung der Gehaltskasse<br />
schenkungs- oder leihweise zur Verfügung zu stellen. Die Gehaltskassenmitglieder<br />
wurden aufgefordert mindestens zehn Kronen pro Monat und AssistentIn zu überweisen.<br />
Auch der Pharmazeutische Reichsverband forderte alle AssistentInnen, die durch die<br />
Gehaltskasse bezahlt wurden, auf, fünf Kronen pro Monat zu zahlen. Diesen Rundschreiben<br />
wurden Verpflichtungsschreiben beigelegt. Besagte Beiträge sollten als so<br />
genannte „Kriegssteuer“ 36 bis zum Ende des Krieges eingehoben werden. Weiters wurde<br />
beschlossen, bei Mitgliedern Außenstände intensiver als bisher einzutreiben. Die<br />
Einführung dieser Kriegssteuer war ein voller Erfolg: Bereits Anfang April 1915 hatte die<br />
Gehaltskasse 7800 Kronen überwiesen bekommen. Dadurch konnte das Bestehen für<br />
einige Zeit gesichert werden. 37<br />
Die konditionierenden PharmazeutInnen hatten unter der wirtschaftlichen Lage in der<br />
Monarchie besonders zu leiden. Durch die sich beschleunigende Inflation sank die<br />
Kaufkraft der Gehälter ständig. Immer öfters traten AssistentInnen an die Gehaltskasse<br />
heran und baten um Lohnerhöhungen und Vorschüsse. Doch die finanziell angeschlagene<br />
Gehaltskasse konnte immer seltener auf diese Wünsche eingehen. Im Juni 1915 trat der<br />
Pharmazeutische Reichsverband an die Gehaltskasse mit der Bitte heran, die AssistentInnen<br />
bei den Verhandlungen mit den Apothekergremien um eine Kriegsteuerungszulage<br />
zu unterstützen. Nach längerer Diskussion, ob dies in die Belange der Gehaltskasse<br />
falle und ob sie sich mit dieser Standesangelegenheit beschäftigen solle, beschloss<br />
der Vorstand, die Frage der Kriegsteuerungszulage auf Basis des Ortszulagenschemas<br />
der Gehaltskasse den ApothekenbesitzerInnen vorzuschlagen. Die ApothekenbesitzerInnen<br />
erklärten sich auch bereit, den AssistentInnen diese Kriegsteuerungszulage in der<br />
Höhe der Ortszulage ab Juni 1915 auszubezahlen. 38<br />
35 Ebd., Sitzung vom 09.02.1915.<br />
36 Ebd., Sitzung vom 09.02.1915, Sitzung vom 26.02.1915; Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 21; Diese<br />
„Kriegssteuer“ wurde in den Vorstandssitzungen vom 9. und 26. Februar 1915 beschlossen, im Unterschied hierzu gibt<br />
Franz Dittrich den 9. und 26. April als Beschlussdaten an.<br />
37 Ebd., Sitzung vom 26.02.1915, Sitzung vom 07.04.1915; vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 20.<br />
38 Ebd., Sitzung vom 22.06.1915.<br />
19
Ende März 1916 wurde die finanzielle Situation der Pharmazeutischen Gehaltskasse trotz<br />
der Einnahmen aus der „Kriegssteuer“ wiederum kritisch. Vorstandsmitglied und<br />
Delegierter der Mitarbeiterschaft <strong>Mag</strong>. Fritz Lehni stellte in einer Vorstandssitzung fest,<br />
dass die Zahlungsmittel nur noch für sechs bis sieben Monate den Weiterbetrieb garantierten.<br />
Als einzigen Weg, das Bestehen der Gehaltskasse zu sichern, sah er die<br />
Pflichtmitgliedschaft in der Gehaltskasse und schlug vor, mit Verhandlungen darüber zu<br />
beginnen. Der Vorstand beschloss zwar in einer Resolution, für die Pflichtmitgliedschaft<br />
als wirksamste Organisationsform einzutreten, doch es war allen bewusst, dass die<br />
Verhandlungen auch wegen des Krieges lange dauern und auf absehbare Zeit kaum<br />
abzuschließen wären. Auf Antrag von Vizepräsident <strong>Mag</strong>. Adolf Fizia beschloss der<br />
Vorstand, beim Ministerium des Inneren um Subventionen oder ein garantiertes Darlehen<br />
anzusuchen. 39 Während auf eine Antwort des Innenministeriums auf dieses Ansuchen<br />
gewartet wurde, wurde die wirtschaftliche Situation der Gehaltskasse immer prekärer,<br />
sodass wiederum beschlossen wurde, die Außenstände der Mitglieder bei Kriegssteuer<br />
und Differenzbeträgen verschärft einzufordern. Die Außenstände konnten bis November<br />
1916 auf 5000 Kronen reduziert werden, trotzdem drohte die Zahlungsunfähigkeit<br />
innerhalb der nächsten zwei Monate. Einige Vorstandsmitglieder sahen die Gehaltskasse<br />
am Ende und forderten den Vorstand auf, über Suspendierung oder Auflösung der<br />
Gehaltskasse nachzudenken. <strong>Mag</strong>. Lehni überzeugte jedoch den Vorstand, weiterhin alles<br />
zu versuchen, um die Pharmazeutische Gehaltskasse handlungsfähig zu erhalten, und<br />
kritisierte die Untätigkeit des Instituts beim Eintreiben der Kriegssteuer. <strong>Mag</strong>. Longinovits<br />
pflichtete <strong>Mag</strong>. Lehni bei und schlug vor, bei anderen Vereinen um Kredite anzusuchen. 40<br />
Schließlich gelang es <strong>Mag</strong>. Lehni in zähen Verhandlungen mit der Regierung im März<br />
1917, diese zu einer Unterstützung der Pharmazeutischen Gehaltskasse zu bewegen. Die<br />
Regierung gewährte der Gehaltskasse ein zinsen- und bürgschaftsfreies Darlehen von<br />
60.000 Kronen, rückzahlbar in Jahresraten zu je 10.000 Kronen, beginnend zwei Jahre<br />
nach Beendigung des Krieges. Damit konnte das Bestehen der Gehaltskasse bis<br />
September 1918 gesichert werden. 41<br />
39 Ebd., Sitzung vom 28.03.1916.<br />
40 Ebd., Sitzung vom 09.11.1916.<br />
41 Ebd., Sitzung vom 14.03.1917; vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 21; Rauch, 50 Jahre, 626.<br />
20
2. Die Pharmazeutische Gehaltskasse von 1918 bis 1927<br />
2.1 Die Vorbereitung zum Gehaltskassengesetz und das Ende der<br />
Freiwilligen Gehaltskasse 1919<br />
Nachdem die ärgsten finanziellen Probleme mit Hilfe des Darlehens der Regierung<br />
überstanden waren und der Weiterbestand der Pharmazeutischen Gehaltskasse gesichert<br />
war, begannen die Vorstandsmitglieder an Reformen zu denken. Noch im März 1917<br />
wurde auf Antrag von <strong>Mag</strong>. Lehni ein kleiner <strong>Arbeit</strong>sausschuss gegründet, der sich mit<br />
Fragen der Reorganisation der Gehaltskasse auseinandersetzen sollte. Dazu sollten die<br />
Meinungen und Ideen der diversen Standesorganisationen und Vereine gesammelt<br />
werden. 42<br />
Ein knappes Jahr später, in der Vorstandssitzung am 22. Jänner 1918, präsentierte<br />
<strong>Mag</strong>. Anton Trubrig einen Entwurf für ein Gehaltskassengesetz. In einem Vorwort zu<br />
diesem Entwurf verwies er auf das Ziel des Komitees, einen Plan auszuarbeiten, der die<br />
größtmögliche Leistungsfähigkeit der Gehaltskasse garantieren sollte. Der Aufruf an die<br />
Apothekerschaft, durch Vorschläge bei den Reformen mitzuhelfen, habe nur sehr geringen<br />
Erfolg gezeigt. Der einzige ausformulierte Vorschlag kam von <strong>Mag</strong>. Fritz Lehni, und dieser<br />
sah den einzig Erfolg versprechenden Weg in der Errichtung einer verpflichtenden<br />
Gehaltskasse. Noch in derselben Vorstandssitzung erklärten der Apothekerverein und die<br />
pharmazeutische Gesellschaft ihre prinzipielle Zustimmung zu einer Pflichtmitgliedschaft.<br />
<strong>Mag</strong>. Josef Longinovits begann einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten, der den<br />
Wünschen beider Standesvertretungen entsprechen sollte. Dieser Entwurf verpflichtete<br />
alle InhaberInnen, PächterInnen und LeiterInnen von inländischen öffentlichen Apotheken<br />
sowie von Anstaltsapotheken und alle in diesen Apotheken beschäftigten in- und<br />
ausländischen PharmazeutInnen, Mitglied der Gehaltskasse zu sein, und regelte deren<br />
Tätigkeit. Die Verpflichtung sollte allerdings nicht für staatlich angestellte ApothekerInnen<br />
gelten. Diesen Entwurf ließ der Vorstand dem zuständigen Minister und dem<br />
Abgeordnetenhaus zukommen. Die deutschnationalen Parlamentsabgeordneten Max<br />
42 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1908–1918, Sitzung vom 14.03.1917.<br />
21
Friedmann und Dr. Leopold Waber sollten um Intervention gebeten werden. 43 Schon am<br />
31. Jänner 1918 wurde der Gesetzesentwurf per Initiativantrag von Dr. Waber im<br />
Abgeordnetenhaus eingebracht. Die schwieriger werdende Kriegssituation verzögerte<br />
allerdings eine sofortige Behandlung beziehungsweise Entscheidung über diesen<br />
Gesetzesentwurf. 44<br />
Im September 1918 wurde in einer Vorstandssitzung das zehnjährige Jubiläum der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse begangen. Präsident Dr. Franz Stohr und <strong>Mag</strong>. Fritz<br />
Lehni erinnerten in Ansprachen an die Geschichte des Vereins. <strong>Mag</strong>. Lehni forderte dabei<br />
alle ApothekerInnen auf, für die Pflichtmitgliedschaft in der Gehaltskasse einzutreten, und<br />
wies darauf hin, dass ein Gesetzesentwurf hierfür schon längere Zeit dem Parlament zur<br />
Beratung vorliege. In derselben Sitzung gab auch Dr. Stohr, für viele überraschend, seinen<br />
Rücktritt bekannt. Zum neuen Präsidenten der Pharmazeutischen Gehaltskasse wurde der<br />
Apothekenbesitzer Kaiserlicher Rat <strong>Mag</strong>. Eduard Binder gewählt. 45<br />
Der Zerfall Österreich-Ungarns Ende Oktober und das Ende des Ersten Weltkrieges<br />
hatten auch große Auswirkungen auf die Pharmazeutische Gehaltskasse. Schon am 8.<br />
November 1918 wurde auf Grund der neuen, noch unsicheren politischen Lage eine<br />
Vorstandssitzung abgehalten. Vor allem stand die Frage im Vordergrund, wie mit jenen<br />
Mitgliedern verfahren werden sollte, welche nach dem Zerfall der Monarchie außerhalb<br />
des Gebiets Deutsch-Österreichs beheimatet waren. Nach längerer Diskussion beschloss<br />
der Vorstand diesen, Mitgliedern mitzuteilen, dass ihre Mitgliedschaft vorerst ruhe, keine<br />
Zahlungen geleistet oder angenommen werden könnten und somit beide Seiten jeglicher<br />
Verpflichtung enthoben seien. Innerhalb Deutsch-Österreichs konnten aufgrund der<br />
herrschenden Verhältnisse keine Bargelder überwiesen werden. Daher wurden die<br />
Mitglieder gebeten, die Gehaltsauszahlungen an die AssistentInnen selbst durchzuführen,<br />
nachdem die Gehaltskasse ihnen die Summen auf Scheckkonten überwiesen hatte. 46<br />
Das Staatsamt für Volksgesundheit, welches seit 1917 für die Apothekerbelange zuständig<br />
war, regelte in einem Erlass von Anfang Dezember 1918 den Wiedereinstieg jener<br />
Pharmazeuten, die eingerückt gewesen waren. Diese mussten von den Apotheken-<br />
43 Ebd., Sitzung vom 22.01.1918.<br />
44 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 23.<br />
45 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1908–1918, Sitzung vom 23.09.1918.<br />
46 Ebd., Sitzung vom 8.11.1918.<br />
22
esitzerInnen wieder eingestellt werden. Die Frage der Gehaltseinstufung wurde gestaffelt<br />
nach dem jeweiligen Einrückungsjahr geregelt. Der Vorstand musste aber auch auf die<br />
neuerliche Verschiebung der Mitarbeiterstruktur reagieren und arbeitete ein neues<br />
Schema für Gehälter und die von den ApothekenbesitzerInnen einzuzahlenden Quoten<br />
aus. Diese neuen Tarife sollten ursprünglich zwar ab November 1918 gelten, doch die<br />
Gehaltskasse sah sich erst ab Jänner 1919 im Stande, diese zu administrieren. Für die<br />
Monate November und Dezember 1918 sollten BesitzerInnen und MitarbeiterInnen privat<br />
eine Regelung finden. 47<br />
Zusätzlich zum Wegfall der Mitglieder aus den ehemaligen Kronländern war die Gehaltskasse<br />
Anfang 1919 mit zahlreichen Austritten deutsch-österreichischer ApothekerInnen<br />
konfrontiert. Die Gründe für diese Absetzbewegung sind zahlreich. Die wichtigsten waren<br />
die von vielen BesitzerInnen aufgrund der wirtschaftlichen Notsituation als zu hoch empfundenen<br />
Ortstaxen, die neuerliche Verschiebung der Dienstaltersstruktur bei den<br />
AssistentInnen und die unsichere Zukunft der Pharmazeutischen Gehaltskasse selbst. Ein<br />
weiteres Problem stellten die noch nicht gesicherten Staatsgrenzen dar: Wie sollte zum<br />
Beispiel mit ApothekenbesitzerInnen verfahren werden, die aus Grenzgebieten, wie zum<br />
Beispiel Brünn, um Aufnahme in die Gehaltskasse ansuchten? Der Vorstand entschied,<br />
jene ApothekerInnen, die innerhalb dieser ungesicherten Grenzen lagen, wie Deutsch-<br />
Österreichische StaatsbürgerInnen zu behandeln. 48<br />
Aufgrund dieser Komplikationen schlitterte die Pharmazeutische Gehaltskasse Ende 1918<br />
wiederum in Zahlungsschwierigkeiten. Der Staatsrat reagierte schnell: Schon Ende Jänner<br />
1919 wurde ein Darlehen von 20.000 Kronen gewährt. Dass die Summe geringer ausfiel<br />
als beantragt, wurde mit der Verkleinerung der Gehaltskasse durch die territorialen<br />
Veränderungen begründet. Obwohl die Bankschulden bisher durch die Kriegsanleihen<br />
gedeckt waren, reichten die Mittel der Gehaltskasse mit diesem Darlehen nur bis Ende<br />
Februar 1919. Durch das Engagement des interimistischen Büroleiters Franz Weber, das<br />
Sinken der Austritte sowie aufgrund von Auszahlungen, die trotz nicht vorhandener<br />
Deckung getätigt wurden, konnte die Zahlungsfähigkeit der Gehaltskasse bis Ende März<br />
1919 gesichert werden. Gleichzeitig wurde beschlossen, das Staatsamt für Volksgesundheit,<br />
um ein weiteres zinsenfreies Darlehen in der Höhe von 40.000 Kronen zu<br />
47 Ebd., Sitzung vom 10.12.1918, Sitzung vom 14.12.1918.<br />
48 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1919, Sitzung vom 23.01.1919.<br />
23
itten. Außerdem sollte das Staatsamt an die Pläne zur Pflichtmitgliedschaft und den<br />
damit verbundenen Gesetzesantrag erinnert werden. Auf die politischen Verhältnisse<br />
wurde am 12. März 1919 mit der Namensänderung auf Pharmazeutische Gehaltskasse<br />
für Deutsch-Österreich reagiert. 49<br />
Ab März 1919 begann der gesamte Apothekerstand neuerlich, sich intensiv um die Durchsetzung<br />
des Gehaltskassengesetzes zu bemühen und somit die Pflichtmitgliedschaft<br />
sämtlicher Standesmitglieder bei der Gehaltskasse gesetzlich zu verankern. Nur so konnte<br />
eine dauerhafte soziale Sicherung der <strong>Arbeit</strong>ernehmerInnen erreicht werden. In diesem<br />
Punkt waren sich die Vertreter der angestellten PharmazeutInnen und jene der ApothekenbesitzerInnen<br />
einig. Zur Vorbereitung eines Gesetzesentwurf, der in der Konstituierenden<br />
Nationalversammlung für Deutsch-Österreich eingebracht werden sollte, und zur<br />
Rückversicherung des Staatsamts für Volksgesundheit fand dort – so berichtete<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Dittrich 50 – am 3. März 1919 eine interministerielle Beratung statt. Bereits in<br />
der Sitzung der Nationalversammlung vom 2. April 1919 brachte Dr. Leopold Waber<br />
neuerlich den Gesetzesantrag ein. Der Antrag wurde dem Ausschuss für soziale<br />
Verwaltung zugewiesen und von diesem nach weiteren Verhandlungen beschlossen.<br />
Schließlich wurde das Gehaltskassengesetz in der Sitzung der Nationalversammlung vom<br />
30. Juli 1919 beschlossen und trat am 1. September 1919 in Kraft. 51 Die letzte Vorstandssitzung<br />
der Freiwilligen Pharmazeutischen Gehaltskasse fand am 6. August 1919 statt. Bei<br />
dieser Gelegenheit dankte Präsident <strong>Mag</strong>. Eduard Binder vor allem <strong>Mag</strong>. Josef<br />
Longinovits und <strong>Mag</strong>. Fritz Lehni für deren großes Engagement, und der Vorstand<br />
diskutierte den Übergang in die neue Gehaltskasse. Dabei berichtete <strong>Mag</strong>. Longinovits<br />
von neuen Darlehen, die mit Hilfe von Dr. Leopold Wabers und Dr. Josef Ursins, dem<br />
Schriftführer des Sanitätsausschusses, gewährt wurden. Die Gewährung der staatlichen<br />
Darlehen zeigten auch die Bestrebungen des Staatsrates und des Unterstaatssekretärs im<br />
Staatsamt für soziale Verwaltung, Dr. Julius Tandler, die Gehaltskasse bis zum endgültigen<br />
Übergang in die Gesetzliche Gehaltskasse nicht zu sistieren. Schließlich beschloss der<br />
Vorstand, die Freiwillige Gehaltskasse per 31. August 1919 aufzulösen und so schnell wie<br />
möglich die Vorbereitungsarbeiten für die neue gesetzliche Gehaltskasse abzuschließen,<br />
um mit den Lohnauszahlungen Ende 1919 beginnen zu können. 52<br />
49 Ebd., Sitzung vom 12.03.1919.<br />
50 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 23.<br />
51 StGBL. Nr. 410/1919, Gehaltskassengesetz vom 30.07.1919; vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 23.<br />
52 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1919, Sitzung vom 12.03.1919, Sitzung vom 06.08.1919.<br />
24
2.2. Der schwierige Start der gesetzlichen Gehaltskasse und die<br />
Sozialisierungsbestrebungen des Staatsamtes<br />
Die Absicht, die Geschäfte der Pharmazeutischen Gehaltskasse rasch aufzunehmen,<br />
konnte aus mehreren Gründen nicht realisiert werden. Erst am 1. Jänner 1921<br />
beziehungsweise mit der Veröffentlichung der Verordnungen zur Geschäftsführung und<br />
Gebarung der Gehaltskasse durch das Staatsamt für Volksgesundheit im Februar 1921<br />
nahm die Gehaltskasse ihre volle Tätigkeit auf. Da in der bisherigen Literatur und<br />
Forschung zur Geschichte der Gehaltskasse diese Zeit des Überganges so gut wie nicht<br />
behandelt wurde, 53 möchten wir im Folgenden ausführlich auf diese Probleme eingehen.<br />
Als Quellen für die folgende Darstellung dienten die Jubiläumsbroschüren von <strong>Mag</strong>. Franz<br />
Dittrich zum 20-jährigen und 50-jährigen Bestehen der Gehaltskasse.<br />
Am 20. August 1919, also noch bevor das Gehaltskassengesetz in Kraft trat, wurde die<br />
erste Vollzugsanweisung erlassen, die den Pharmazeutischen Standesrat für Deutsch-<br />
Österreich als Geschäftsstelle der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Deutsch-<br />
Österreich bestimmte. Der Pharmazeutische Standesrat war aus den Standeskörperschaften<br />
der DienstgeberInnen und DienstnehmerInnen zusammengesetzt. Die<br />
Hoffnungen der jeweiligen StandesvertreterInnen, vor allem aber der angestellten PharmazeutInnen,<br />
auf eine schnelle Wiederaufnahme der Geschäfte der Kasse und auf zügige<br />
Verhandlungen zwischen <strong>Arbeit</strong>geberInnen und <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen selbst sowie mit dem<br />
Staatsamt erfüllten sich, wie bereits erwähnt, dennoch nicht. Einer der Umstände, die zur<br />
langen Verzögerung führten, waren die Streitigkeiten um das Gehaltsschema zwischen<br />
den angestellten PharmazeutInnen und den ApothekenbesitzerInnen. Erst im September<br />
1920 konnten sich laut <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich die beiden Gruppen einigen. 54<br />
Aber auch im Pharmazeutischen Reichsverband, der Standesvertretung der angestellten<br />
PharmazeutInnen, gab es zahlreiche Spannungen, welche durch die wirtschaftliche<br />
53 Dies mag daran liegen, dass für diese Zeit kaum Quellen zu finden sind, da zwischen August 1919 und Anfang 1921<br />
keine Protokolle des Vorstandes oder Aufsichtsrates vorhanden sind. Auch in den Dokumenten des Staatsamtes<br />
beziehungsweise des Ministeriums für soziale Verwaltung sind nur einzelne Schriftstücke zu finden. Vgl. Rauch, 50<br />
Jahre, 626; Otto Nowotny, Das österreichische Apothekerwesen zwischen 1918 und 1938. Von der Monarchie zur<br />
Republik, in: ÖAZ, Nr. 14 u. Nr. 16 (1995), 712; Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 25ff; Franz Dittrich,<br />
Entwicklung und Aufgaben der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich. Festrede anlässlich des 50jährigen<br />
Bestandes der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich, ÖAZ-Sonderdruck, Wien 1958.<br />
54 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 26.<br />
25
Notsituation und die hohe <strong>Arbeit</strong>slosigkeit bedingt waren. Die hohe <strong>Arbeit</strong>slosigkeit der<br />
PharmazeutInnen war einerseits Folge der Wiedereingliederung jener Assistenten, die als<br />
Soldaten gedient hatten, und andererseits der zahlreichen Flüchtlinge aus den ehemaligen<br />
Kronländern. Durch die wirtschaftliche Krisenzeit und das plötzliche Überangebot an<br />
PharmazeutInnen wurden die Reallöhne immer geringer und der Unmut innerhalb des<br />
Reichsverbandes stieg. Die Kaufkraft der Löhne der PharmazeutInnen war, wie auch bei<br />
allen anderen Berufsgruppen, seit Kriegsbeginn ständig gefallen und lag beim<br />
Existenzminimum und oft sogar noch darunter. 55 Im Vordergrund stand für die Angestellten<br />
daher nicht die Einrichtung der Gehaltskasse, sondern die soziale Absicherung, und für<br />
die <strong>Arbeit</strong>slosen die Suche nach einer Stelle. Dies führte dazu, dass sich zahlreiche<br />
PharmazeutInnen von dem eher konservativ-deutschnationalen Reichsverband ab- und<br />
der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung zuwandten. <strong>Mag</strong>. Franz Fischer<br />
verstand es, als Obmann des Wiener Assistentenausschusses 1920 in Verhandlungen mit<br />
den BesitzerInnen Lohnverbesserungen auszuverhandeln, um schließlich den größten Teil<br />
der angestellten PharmazeutInnen wieder für den Reichsverband zu gewinnen. 56 Diese<br />
Lohnzuschüsse und Teuerungsanpassungen waren den ApothekenbesitzerInnen 1920<br />
möglich, weil sich die gesamtwirtschaftliche Situation verbessert hatte und ein Konjunkturaufschwung<br />
zu verzeichnen war. Durch die hohe Inflation wurde die Lohnsituation der<br />
angestellten ApothekerInnen allerdings bald wieder schlechter. 57<br />
Ein Dokument, das diese Entwicklungen illustriert, findet sich im Aktenbestand des<br />
Staatsamtes für soziale Verwaltung. Es handelt sich um eine Eingabe des Wiener<br />
Apotheker-Hauptgremiums an das Staatsamt für soziale Verwaltung vom 26. Juli 1920. 58<br />
Das Apotheker-Hauptgremiums bat um Erhöhung der <strong>Arbeit</strong>staxe und der Dispensationsgebühr<br />
um fünfzig Prozent beziehungsweise nur der <strong>Arbeit</strong>staxe um hundert Prozent, um<br />
die Lohnforderungen der Assistentenschaft sowie die durch die Inflation rapide steigenden<br />
Ausgaben für Miete, Licht, Steuern und ähnliche Belastungen bezahlen zu können.<br />
Wichtig erscheint dieses Dokument auch durch den darin enthaltenen Hinweis auf die<br />
Bemühungen der ApothekenbesitzerInnen, die Pharmazeutische Gehaltskasse zu<br />
reaktivieren. Im abschließenden Teil des Briefes heißt es:<br />
55 Vgl. Ulrike Weber-Felber, Wege aus der Krise: Freie Gewerkschaften und Wirtschaftspolitik in der Ersten Republik,<br />
Wien u. Zürich 1990, 48.<br />
56 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 26; Dittrich, Entwicklung und Aufgaben, 12f.<br />
57 Vgl. Weber-Felber, Wege aus der Krise, 33f., 48.<br />
58 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1646, 17160-20.<br />
26
Die Assistentenschaft ist sicher ganz derselben Anschauung wie die Besitzerschaft,<br />
auch sie weiss, dass wir Besitzer bei der heutigen Taxe diese Lasten nicht zu tragen<br />
vermögen. Da dieselbe jedoch für die künftige Gehaltskasse, welche wie es den<br />
Anschein hat, trotz all unseren Bemühungen in diesem Jahr kaum mehr aktiviert<br />
wird, Gehaltstabellen vorlegen wird, welche wohl eine ausgiebige Erhöhung der<br />
<strong>Arbeit</strong>staxe notwendig machen wird, will sie derzeit an einer Aktion zur Erhöhung<br />
der <strong>Arbeit</strong>staxe nicht teilnehmen. Wenn die Gehaltskasse, wie ursprünglich erhofft<br />
wurde, mit August oder September dieses Jahres aktiv geworden wäre, hätte die<br />
Besitzerschaft auch diese schweren Belastungen ohne Kompensation getragen. 59<br />
Der bei weitem wichtigste Grund für die verspätete Aufnahme der vollständigen <strong>Arbeit</strong> der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse mit 1. Jänner 1921 steht mit dem Plan des Staatsamtes<br />
für soziale Verwaltung, die Apotheken in Österreich zu ‚sozialisieren‘, beziehungsweise zu<br />
„verstaatlichen“, der sowohl AssistentInnen als auch ApothekenbesitzerInnen in helle<br />
Aufruhr versetzte, in engem Zusammenhang.<br />
In den Akten des Staatsarchivs haben sich auch hinsichtlich dieser für die<br />
PharmazeutInnen so wichtigen, bisher in der Fachliteratur nur wenig beachteten Debatte<br />
Anfang der 1920er-Jahre wichtige Dokumente finden lassen. Es handelt sich dabei nicht<br />
nur um Eingaben der Standesvertretungen der PharmazeutInnen, sondern auch um<br />
Gesetzesentwürfe, Sitzungsprotokolle und ähnliche Dokumente. 60<br />
Ferdinand Hanusch, Staatssekretär für soziale Verwaltung ab Oktober 1918, und Dr. Julius<br />
Tandler, Unterstaatssekretär für Volksgesundheit im Staatsamt für soziale Verwaltung,<br />
planten, den Stand der ÄrztInnen und der ApothekerInnen zu verstaatlichen. Während die<br />
Verstaatlichungspläne bei den ÄrztInnen nie weit fortgeschritten waren, standen die Pläne<br />
bei den ApothekerInnen 1920 kurz vor ihrer Durchsetzung und wurden nur durch die<br />
Wahlniederlage der sozialdemokratischen Partei bei den Wahlen im Oktober 1920<br />
verhindert. Dr. Tandlers Plan zur ‚Sozialisierung‘ der Heilmittelversorgung war für die<br />
SozialdemokratInnen ein Mittel, die kapitalistischen Tendenzen in diesem Bereich zu<br />
bekämpfen, und sollte eine Reaktion auf die Armut breiter Bevölkerungskreise sein. Der<br />
unmittelbar nach dem Krieg herrschende Mangel an Medikamenten und der damit in<br />
Verbindung stehende hohe Preis verschärften und beschleunigten die Bemühungen<br />
59 Ebd.<br />
60 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1743, 31551-22.<br />
27
Dr. Tandlers. Unter dem Begriff ‚Sozialisierung‘ war die Umwandlung der kapitalistischen in<br />
eine soziale Wirtschaft zu verstehen. Der Begriff wurde in der damaligen Zeit vom Begriff<br />
der „Verstaatlichung“ getrennt. Anzumerken ist dabei, dass das Konzept der<br />
‚Sozialisierung‘ nicht nur bei Arztpraxen und Apotheken angewendet werden sollte. Die<br />
sozialdemokratischen Abgeordneten der Nationalversammlung von 1919 formulierten die<br />
systematische ‚Sozialisierung‘ aller Zweige der nationalen Wirtschaft, die dazu geeignet<br />
wären, als politisches und wirtschaftliches Ziel. Aber auch zahlreiche Vertreter anderer<br />
Parteien konnten sich mit dem Gedanken, einige Wirtschaftszweige zu ‚sozialisieren‘<br />
durchaus anfreunden, sodass die Nationalversammlung eine Sozialisierungskommisson<br />
einsetzte. 61 Der Plan zur Reformierung des Apothekenwesens war allerdings nur mit Hilfe<br />
einer Änderung des Apothekengesetzes von 1906 möglich. Der Apothekerstand reagierte<br />
– so lange noch keine genaueren Details bekannt waren – vorerst abwartend und<br />
begnügte sich mit dem Sammeln von Argumenten gegen die möglichen Pläne einer<br />
‚Sozialisierung‘. Im Laufe des Jahres 1919 versicherte Dr. Tandler den<br />
Standesvertretungen der ApothekerInnen immer wieder, dass es keine Gesetzesänderung<br />
ohne vorige Besprechungen mit ihnen geben werde. Im Juni 1919 wies Dr. Tandler die<br />
Landesregierungen an, genaue Verzeichnisse der bestehenden öffentlichen Apotheken<br />
sowie der Anstaltsapotheken zu erstellen und an das Staatsamt zu übersenden. Weiters<br />
sollten diese Listen Angaben über die Art der Konzession, den Sitz der Apotheke und die<br />
Anzahl der diplomierten und nichtdiplomierten Angestellten enthalten. Dr. Tandler forderte<br />
die Landesregierungen auf, das Staatsamt für soziale Verwaltung über abgeschlossene<br />
Konzessionsverhandlungen zu informieren, um „eine im Hinblick auf die erwähnte Aktion<br />
gegenwärtig unerwünschte Vermehrung der Apotheken“ verhindern zu können. In<br />
demselben Schreiben wurden die Landesregierungen auch davon in Kenntnis gesetzt,<br />
dass die Errichtung neuer Apotheken nicht erwünscht sei. 62 Die Stimmung zwischen<br />
Dr. Tandler und den ApothekenbesitzerInnen verschlechterte sich Ende 1919 zusehends,<br />
als dieser die Gründung der Österreichischen Heilmittelstelle gegen die massiven Proteste<br />
der ApothekerInnen vorantrieb und durchsetzte. Dr. Tandler verstand es dabei, geschickt<br />
die Standesorganisationen der ApothekerInnen gegeneinander auszuspielen. Während<br />
die ApothekenbesitzerInnen schon Anfang 1920 immer häufiger Aufklärung über die Pläne<br />
Tandlers zu einer Gesetzesänderung verlangten, versuchte er, die Vertreter der<br />
konditionierenden PharmazeutInnen durch Zugeständnisse in der Studienreform – die<br />
61 Vgl. Karl Sablik, Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer, Wien 1983, 178f.; Charles A. Gulick, Österreich von<br />
Habsburg zu Hitler, Berkeley 1948, 187.<br />
62 ÖStA, AdR, BMfsV, 8664/8/32, 6953-24, Dokument 14140-19.<br />
28
Matura sollte Vorbedingung für das pharmazeutische Studium werden – für die<br />
‚Sozialisierung‘ zu gewinnen. 63 Weiters setzte Dr. Tandler noch 1919 seinen Plan durch,<br />
die Vergabe von Neukonzessionen zu stoppen, und erklärte, dass dies eine Reaktion<br />
gegen den Apothekenschacher sei und der Vergabestopp bis zur Änderung des<br />
Apothekengesetzes aufrecht bleiben werde. Erst am 31. Mai 1920 informierte Dr. Julius<br />
Tandler die Vertreter der Standesorganisationen über den fertigen Gesetzesentwurf, der<br />
eine allmähliche ‚Sozialisierung‘ der Apotheken vorsah. Dies sollte dadurch geschehen,<br />
dass einerseits keine Konzessionen für Apothekenneuerrichtungen mehr verliehen werden<br />
sollten, und andererseits dem Staat bei Verkauf der Apotheke ein Vorkaufsrecht<br />
eingeräumt werden musste. Neue Apotheken sollten als Staatsapotheken errichtet und<br />
von befugten PharmazeutInnen als PächterInnen betrieben werden. Aus den Gewinnen<br />
dieser Staatsapotheken sollten in weiterer Folge weitere Betriebe aufgekauft werden,<br />
sodass nach und nach alle Apotheken in Staatsbesitz kommen sollten. 64 Dr. Tandler sah in<br />
dieser Gesetzesnovelle die Möglichkeit, den angestellten ApothekerInnen den Zugang zur<br />
Selbstständigkeit zu erleichtern, 65 und gab den Standesvertretungen bis Mitte Juli 1920<br />
Zeit, ihre Bedenken zu dieser Gesetzesnovelle zu äußern. In mehreren Eingaben der<br />
angestellten PharmazeutInnen wie auch der ApothekenbesitzerInnen wurde dieser<br />
Vorschlag einhellig und vehement abgelehnt, und es wurden Gegenentwürfe zur<br />
Gesetzesnovelle vorgelegt. So forderten die ApothekenbesitzerInnen einen klaren und<br />
detaillierten Ablösungsschlüssel sowie längere Übergangsfristen und wiesen nachdrücklich<br />
auf die Schwierigkeiten hin, die bei der Umsetzung eines solchen Gesetzes zu<br />
erwarten waren. Die angestellten ApothekerInnen kritisierten ihrerseits, dass das Staatsamt<br />
sich nicht an den Verhältnissen in Deutschland orientiere, und wollten der Novelle nur<br />
dann zustimmen, wenn die Altersversorgung der StaatspächterInnen und deren Angehörigen<br />
sowie das Selbstbestimmungsrecht des Standes gesichert wären. Sie bezeichneten<br />
den Gesetzesentwurf als „ein Werk nichtfachmännischer Hände“, 66 welches die<br />
Lage der angestellten PharmazeutInnen verschlechterte und daher unannehmbar sei. Der<br />
Pharmazeutische Standesrat brachte auch einen Gegenvorschlag zum bestehenden<br />
Gesetzesentwurf vor. Alle bestehenden Apotheken und alle neu zu errichtenden<br />
Apotheken sollten in einem einheitlichen, gesellschaftlich geführten Unternehmen<br />
63 Vgl. Sablik, Julius Tandler, 178f.; Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler, 181ff.; vgl. Pharmazeutische Presse,<br />
Nr. 25 (1920), 63 u. 69.<br />
64 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1743, 31551-22, 27321-21, 4232-20.<br />
65 Vgl. Julius Tandler, Das Volksgesundheitsamt in der Zeit von Mitte 1919 bis Mitte Mai 1920, Wien 1920, 6f.<br />
66 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1743, 31551-22, 16613/20, Äußerungen der angestellten Pharmazeuten und Äußerung der<br />
Apothekerschaft.<br />
29
zusammengefasst werden. Diesem Unternehmen sollte der Betrieb aller Apotheken und<br />
somit die Medikamentenversorgung der Bevölkerung obliegen – ein Kompromiss also, der<br />
die Sozialisierungsbestrebungen mit den Interessen der Apothekerschaft verbinden<br />
sollte. 67 Durch politische Turbulenzen und den Regierungswechsel im Sommer 1920<br />
wurde der Beginn der anstehenden Verhandlungen verzögert. Dr. Tandlers Einladung zu<br />
einer Verhandlungsrunde Ende August 1920 wurde vom Pharmazeutischen Standesrat mit<br />
der Begründung abgelehnt, die Einladung sei zu spät erfolgt, und es wurde ein neuer<br />
Verhandlungstermin Anfang September 1920 erwirkt. In den folgenden Verhandlungen<br />
vom 6. und 9. September 1920 versprach Sektionschef Dr. Stadler auf die Forderungen<br />
der Assistentenschaft – ausreichende Altersversorgung, Ternovorschlag bei Verpachtung<br />
und Inkrafttreten des Apothekenkammergesetzes – einzugehen und an deren Umsetzung<br />
zu arbeiten. Trotzdem konnte keine Einigung erzielt werden. Sowohl die ApothekenbesitzerInnen<br />
als auch die AssistentInnen lehnten den Gesetzesentwurf weiter ab. 68 Auch<br />
Vertreter der Ärzteorganisationen, vor allem aus Westösterreich, erklärten sich Ende<br />
September 1920 mit dem Apothekerstand solidarisch und forderten bei Staatssekretär<br />
Hanusch den Rücktritt Dr. Tandlers. Die anhaltenden Proteste und der beginnende Wahlkampf<br />
für am die 17. Oktober 1920 anberaumten Nationalratswahlen verhinderten, dass<br />
der Regierungsentwurf eingebracht werden konnte. Nachdem die SozialdemokratInnen<br />
die Wahl verloren hatten, schied Dr. Julius Tandler am 22. Oktober 1920 aus der<br />
Regierung aus, womit auch die Bestrebungen zur ‚Sozialisierung‘ der Apothekenbetriebe<br />
im Wesentlichen ihr Ende fanden. 69 Ein im März 1921 erneuerter und leicht abgeänderter<br />
Initiativantrag von Ferdinand Hanusch im Nationalrat war nicht erfolgreich. 70<br />
Durch den Kampf gegen die geplante ‚Sozialisierung‘ der Apotheken wurde die Ausarbeitung<br />
von Verordnungen zum Gehaltskassengesetz stark verzögert. Im gemeinsamen<br />
Vorgehen der Standesvertretungen gegen die Reformbemühungen Dr. Tandlers konnten<br />
die konditionierenden PharmazeutInnen den ApothekenbesitzerInnen jedoch eine Verpflichtung<br />
abringen, die Pharmazeutische Gehaltskasse per 1. Jänner 1921 zu aktivieren.<br />
Durch den Rücktritt Dr. Tandlers, das Verhindern des Gesetzesentwurfes und der Einigung<br />
auf ein Gehaltsschema konnte diese Verpflichtung auch eingehalten werden. Mit 31.<br />
Dezember 1920 wurde die Schlussbilanz für den Verein Allgemeine Gehaltskasse der<br />
67 Ebd., Kt. 1743, 31551-22, 16613/20, Äußerungen der angestellten Pharmazeuten und Äußerung der<br />
Apothekerschaft; vgl. Pharmazeutische Post, Nr. 53 (1920), 243ff. u. 249ff.<br />
68 Ebd., Kt. 1743, 31551-22, 27321/21.<br />
69 Vgl. Tandler, Volksgesundheitsamt, 6f.<br />
70 ÖStA, AdR, BM für soziale Verwaltung, Kt. 2049, 8664/8/32, 6953-24, 9001/22.<br />
30
Apotheker Österreichs gelegt und die neue gesetzliche Pharmazeutische Gehaltskasse<br />
als deren Rechtsnachfolgerin bestimmt werden. Dies bedeutete, dass sämtliche<br />
Verbindlichkeiten übernommen werden mussten. In Summe waren dies 189.190 Kronen.<br />
Der Zentralausschuss der gesetzlichen Gehaltskasse wurde im Jänner 1921 ernannt.<br />
Dieser führte die Geschäfte bis zum Februar 1923 und setzte sich aus Vertretern beider<br />
Stände zusammen. Seine Mitglieder waren unter anderen <strong>Mag</strong>. Josef Longinovits,<br />
<strong>Mag</strong>. Wilhelm Swoboda, <strong>Mag</strong>. Fritz Lehni, Dr. Franz Stohr auf Seite der DienstgeberInnen<br />
und <strong>Mag</strong>. Franz Fischer und <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich für die DienstnehmerInnen. Die Verordnungen<br />
zum Gehaltskassengesetz vom 30. Juli 1919 erfolgten im Februar 1921 und ab<br />
März 1921 gab es erstmals wirklich geregelte Verhältnisse, sodass alle pharmazeutischen<br />
MitarbeiterInnen ihre Gehälter über die neue gesetzliche Gehaltskasse bezogen. 71<br />
Mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit der Pharmazeutischen Gehaltskasse wurde nun<br />
rasch die nötige Administration geschaffen, um wieder schneller auf Notsituationen der<br />
angestellten PharmazeutInnen eingehen zu können. Ein großes Problem stellten zu<br />
Beginn des Jahres 1921 die stark steigende Inflation, der Währungsverfall und der<br />
Teuerungsprozess dar. Nachdem erst im März 1921 die Gehaltsschemata als Verordnung<br />
erlassen worden waren, musste gleich darauf um eine Erhöhung beim Bundesministerium<br />
für soziale Verwaltung angesucht werden, um den AssistentInnen ein Auskommen zu<br />
sichern. Dieser Erhöhung wurde im April 1921 zugestimmt, das Grundgehalt und die<br />
Ortszulagen wurden um je hundert Prozent, die Teuerungszulage um siebzig Prozent<br />
erhöht. Gleichzeitig führten <strong>Mag</strong>. Longinovits und <strong>Mag</strong>. Dittrich mit den Staatsämtern für<br />
soziale Verwaltung sowie für Finanzen Verhandlungen über eine Erhöhung der<br />
Apothekentaxen, da sich die ApothekenbesitzerInnen außerstande sahen, die neuerlichen<br />
Belastungen zu finanzieren. Erst nachdem die Standesvertreter der AssistentInnen durch<br />
Streikdrohung die Regierung unter Druck gesetzt hatten, wurde die Erhöhung der Taxen<br />
genehmigt. Doch die Inflation wurde immer schlimmer; bis November 1921 musste viermal<br />
das Gehaltsschema der AssistentInnen angepasst werden. Die Zulagen und Umlagen<br />
wurden im Oktober um sechzig Prozent erhöht und im November 1921 abermals um<br />
hundert Prozent. Da jede Erhöhung der Umlagen, Taxen und Zulagen langwierige<br />
Verhandlungen erforderte, versuchte der Vorstand ein der massiven Inflation<br />
angemessenes Besoldungsschema zu finden. Nach längeren Verhandlungen wurde in der<br />
Vorstandssitzung vom 18. Oktober 1921 beschlossen, das bisher geltende Besoldungs-<br />
71 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 26ff., 133; Dittrich, Entwicklung und Aufgaben, 12f.<br />
31
schema sowie die Umlagentarife vorerst auszusetzen und ab 1. November 1921 ein neues<br />
Gehaltssystem einzuführen. Dieses richtete sich nach dem von der statistischen Zentralkommission<br />
errechneten Indexziffer, welche den Lebenshaltungsindex anzeigte. Sämtliche<br />
über die Gehaltskasse auszuzahlende Gehälter, Zulagen und Taxen passten sich jeweils<br />
im folgenden Monat dieser Indexziffer an. Durch die Einführung dieses Berechnungsschemas<br />
musste über die Höhe der Löhne bis Ende 1924, als der Schilling als neues<br />
offizielles Zahlungsmittel festgesetzt wurde, nicht mehr verhandelt werden. Insgesamt<br />
wurden in den ersten Monaten 14 Verordnungen erlassen, welches ein zügiges und<br />
rasches <strong>Arbeit</strong>en aller Beteiligten erkennen lässt. 72<br />
2.3. Soziale Erneuerungen und Ausbau der gesetzlichen Gehaltskasse<br />
1922–1927<br />
Obwohl die Pharmazeutische Gehaltskasse 1921 zu Beginn ihres Bestehens<br />
Schwierigkeiten hatte und die wirtschaftliche Lage in Österreich Anfang der 1920er-Jahre<br />
mit zahlreichen Problemen (wie zum Beispiel einer stark steigenden Inflation und hoher<br />
<strong>Arbeit</strong>slosigkeit) konfrontiert war, fanden die Pharmazeutische Gehaltskasse beziehungsweise<br />
deren Vorstand Wege und Mittel, zahlreiche neue Sozialleistungen einzuführen. Die<br />
Zeit zwischen 1923 und 1927 ist für die Pharmazeutische Gehaltskasse somit eine Zeit<br />
der sozialen Reformen und der Neuerungen. Sowohl <strong>Arbeit</strong>geberInnen als auch<br />
<strong>Arbeit</strong>nehmerInnen konnten sich – offenbar beeindruckt durch die wirtschaftliche Not vieler<br />
<strong>Arbeit</strong>erInnen und Angestellter in anderen Branchen in Österreich – immer wieder auf<br />
Kompromisse einigen, um diese sozialen Reformen zu finanzieren, und die zuständigen<br />
PolitikerInnen von der Notwendigkeit dieser Neuerungen überzeugen.<br />
Basis für die Einführung neuer Sozialleistungen für die angestellten ApothekerInnen, aber<br />
auch für die ApothekenbesitzerInnen, war eine erfolgreiche wirtschaftliche Gebarung der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse. Schon im Jahre 1921 zeigten sich die Auswirkung und<br />
die Notwendigkeit der Pflichtmitgliedschaft. So ist in den Jahren 1921/1922 in den<br />
Vorstandsprotokollen, aber auch im Resümee <strong>Mag</strong>. Franz Dittrichs, zwar von einigen<br />
kritischen Momenten die Auszahlung der Gehälter betreffend zu lesen, doch konnten<br />
72 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1921–1927, Sitzung vom 08.06.1921, Sitzung vom<br />
18.10.1921; Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 29; Dittrich, Entwicklung und Aufgaben, 15.<br />
32
diese durch Kredite zu günstigen Bedingungen überbrückt werden. Diese Engpässe waren<br />
nicht durch ein ungünstiges Aktiva/Passiva-Verhältnis – die Aktiva haben die Passiva von<br />
Anfang an überwogen – begründet, sondern durch zu geringe Rücklagen, die rasche<br />
Geldentwertung und vor allem durch die Ausstände beziehungsweise die zu spät<br />
eintreffenden Zahlungen durch die ApothekenbesitzerInnen. Büroleiter Franz Weber<br />
berichtete in der Vorstandssitzung vom 10. Jänner 1922 von einem Überschuss von<br />
mindestens vier Millionen Kronen in der Rohbilanz des ersten Geschäftsjahres. 73 Schon ab<br />
August 1922 benötigte die Gehaltskasse laut <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich keine Kredite mehr, um<br />
die Gehälter auszuzahlen. Allerdings war dies nur erreicht worden, da die<br />
ApothekenbesitzerInnen den angestellten PharmazeutInnen zur Monatsmitte eine Akonto-<br />
Zahlung leisteten, welche dann bei den monatlichen Vorschreibungen der Kasse<br />
abgerechnet wurde. Diese Akonto-Auszahlungen waren notwendig um der rasanten<br />
Geldentwertung zu begegnen. Der Überschuss von 452 Millionen Kronen, den die<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse 1922 erwirtschaftete, war besonders in Anbetracht der<br />
hohen Inflation und der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Österreich erstaunlich. 74<br />
Eine der wichtigsten sozialen Errungenschaften der Pharmazeutischen Gehaltskasse war<br />
die Einführung des Notstandsfonds. Am 26. August 1921 erhielt die Pharmazeutische<br />
Gehaltskasse durch den Bundesminister für soziale Verwaltung Dr. Franz Pauer per Erlass<br />
die Erlaubnis, die Mittel des Reservefonds für Zwecke der Invaliden-, Alters- und<br />
Hinterbliebenenvorsorge zu verwenden. Der Reservefonds, in den jedes Mitglied über<br />
Umlagen einen Betrag einzahlte, wurde zum Grundstock des Notstandsfonds. Dieser war<br />
nicht nur im Hinblick auf die Versorgung von Versehrten und somit nicht arbeitsfähigen<br />
PharmazeutInnen und Hinterbliebenen wichtig, sondern hatte gerade in den 1920er-<br />
Jahren eine enorme Bedeutung für all jene ApothekerInnen, die damals dem<br />
Pensionsgesetz nicht unterstanden und daher auch keinen Anspruch auf eine Pension<br />
hatten. Noch im September und Oktober 1921 arbeitete der Vorstand an der Umsetzung<br />
der Verordnungen und sandte Umfragebögen an die ApothekerInnen, mit denen es<br />
möglich war, eine Hilfe über den Notstandsfonds zu beantragen. Im November 1921<br />
wurde über die ersten Fälle beraten und mit der Auszahlung von Geldern begonnen. In<br />
kurzer Zeit stieg die Anzahl der Ansuchen und Ende 1922 nahmen bereits über hundert<br />
Personen den Fonds in Anspruch. Die Behandlung von Anträgen, die Aktualisierung der<br />
73 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1921–1927, Sitzung vom 10.01.1922; Dittrich,<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse, 31ff.<br />
74 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1921–1927, Sitzung vom 18.10.1922.<br />
33
Beiträge und die Auszahlungen zählten auch in den nächsten Jahren immer wieder zu den<br />
wichtigsten Aufgaben des Vorstandes der Pharmazeutischen Gehaltskasse. 75<br />
Die erwirtschafteten Überschüsse der Jahre 1921/22 ermöglichten es der Gehaltskasse,<br />
die andauernd schwierige wirtschaftliche Situation 1923 und 1924 zu meistern und<br />
weiterhin an der Einführung sozialer Hilfeleistungen zu arbeiten. Ende 1923 trat der<br />
Präsident der DienstnehmerInnenseite <strong>Mag</strong>. Franz Fischer zurück, da er eine Konzession<br />
zur Neuerrichtung einer Apotheke erhalten hatte. An seiner Stelle wurde der bisherige<br />
Vizepräsident <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich zum Präsidenten gewählt, <strong>Mag</strong>. Adolf Grohmann wurde<br />
sein Stellvertreter. 76<br />
Das Jahr 1924 war einerseits geprägt von der Einführung zahlreicher neuer sozialer<br />
Hilfeleistungen der Gehaltskasse, andererseits aber auch durch sehr konfliktreiche<br />
Gehaltsverhandlungen der beiden Standesgruppen. Die harten Verhandlungen zwischen<br />
ApothekenbesitzerInnen und konditionierenden PharmazeutInnen um die Einführung eines<br />
neuen Gehalts- und Umlagenschemas und einer damit verbundenen Gehaltserhöhung<br />
hatten auch Auswirkungen auf die <strong>Arbeit</strong> der Gehaltskasse und sorgte für interne<br />
Konflikte. 77 Der stabilisierende Charakter der Pharmazeutischen Gehaltskasse – die<br />
Standesvertreter waren durch den Aufbau und die Organisation der Gehaltskasse zur<br />
Zusammenarbeit gezwungen – bewährte sich auch in diesen Situationen. Diesem<br />
Umstand dürfte es zu verdanken sein, dass zwar die harten Verhandlungen und<br />
Streitigkeiten zwischen den Standesvertretungen 1924 auf vielen anderen Ebenen<br />
weitergeführt wurden, nicht aber die <strong>Arbeit</strong> des Vorstandes der Gehaltskasse zu sehr<br />
belasteten. In sachlich geführten Gesprächen und Verhandlungen konnte sich der<br />
Vorstand auf folgende soziale Erneuerungen einigen: Im Mai 1924 wurden dem<br />
Notstandsfonds zehn Millionen Kronen überwiesen, womit Studienkostenbeiträge an<br />
bedürftige PharmaziestudentInnen ausbezahlt wurden. Weiters wurde 1924 der so<br />
genannte „Todfallsbeitrag“, auch „Sterbequartal“ genannt, eingeführt. Die gesetzlichen<br />
Erben und Erbinnen von konditionierenden PharmazeutInnen, die im gemeinsamen<br />
75 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 29ff.; Harald Steindl, Berufsständische Sozialpolitik, in:<br />
Pharmazeutischer Reichsverband, Hg., 100 Jahre. Organisation der angestellten Apotheker. Pharmazeutischer<br />
Reichsverband für Österreich, Wien 1991, 107; AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1921–1927,<br />
Sitzung vom 18.10.1922 u. 05.11.1922. Es finden sich in diesen Protokollen genaue Auflistungen über jene<br />
PharmazeutInnen, die um Unterstützung angesucht haben, ob diese genehmigt wurden und in welcher Höhe Zuschüsse<br />
und Leistungen ausbezahlt wurden.<br />
76 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1921–1927, Sitzung vom 01.12.1923.<br />
77 Vgl. Dittrich, Entwicklung und Aufgaben, 15.<br />
34
Haushalt gelebt hatten, bekamen eine Unterstützung im Ausmaß von drei Monatsbezügen<br />
ausbezahlt. Die Hinterbliebenen von stellenlosen PharmazeutInnen sollten den<br />
„Todfallsbeitrag“ ebenfalls bekommen, allerdings wurde eine Mitgliedschaft bei der<br />
Gehaltskasse ab dem Zeitpunkt des <strong>Arbeit</strong>splatzverlustes bis zum Todesfall angenommen<br />
und die für diese Zeit fällig gewordenen Gebühren in Abzug gebracht. 78 Auch die<br />
Übernahme der Abfertigung im Sterbefalle wurde von der Gehaltskasse übernommen.<br />
Darüber hinaus wurde stellenlosen PharmazeutInnen zugesichert, im Falle einer<br />
Erkrankung jene Leistungen der Krankenkasse durch Zuschüsse ersetzt zu bekommen,<br />
die nicht durch Krankenkassenfristen gewährleistet waren. 79 Eine weitere Erneuerung war<br />
die Auszahlung einer Stellenlosenunterstützung bei Kündigung der angestellten<br />
ApothekerInnen durch die DienstgeberInnen. Unter bestimmten Voraussetzungen konnte<br />
diese Unterstützung auch bei Kündigung durch den Angestellten oder die Angestellte<br />
gewährt werden. ApothekenbesitzerInnen wurde ab 1924 für jene Betriebe, die durch das<br />
Zusammentreffen einer größeren Anzahl von Urlauben belastet waren, eine<br />
Urlaubsvergütung zugesichert. Schließlich wurden Ende 1924 die schwierigen Gehaltsverhandlungen<br />
beendet – die Assistentenschaft konnte ihre Forderungen durchsetzen –<br />
und mit 16. Dezember 1924 wurde ein neues Gehaltsschema, welches nicht mehr der<br />
Indexregelung unterworfen war, eingeführt. Zeitgleich wurden die Gehälter erstmals in der<br />
neuen Schillingwährung ausbezahlt. 80<br />
Im Frühjahr 1926 kam es im Vorstand und in der Direktion der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse zu einigen Veränderungen. Zuerst trat der Vizepräsident der BesitzerInnengruppe<br />
<strong>Mag</strong>. Josef Klein aufgrund seines Gesundheitszustandes in der Vorstandssitzung<br />
vom 24. Februar 1926 zurück. An seiner Stelle wurde <strong>Mag</strong>. Fritz Lehni in den Vorstand<br />
kooptiert. Am 31. März 1926 starb überraschend der fachmännische Direktor <strong>Mag</strong>. Anton<br />
Trubrig. Sein Stellvertreter Franz Weber übernahm dessen Aufgaben bis Ende 1926. 81<br />
Ebenfalls aufgrund einer schweren Krankheit hatte Präsident und Mitbegründer<br />
<strong>Mag</strong>. Josef Longinovits schon 1925 und auch 1926 öfter Vorstandssitzungen versäumt; im<br />
Mai 1926 legte er sein Amt zurück. Dieses übernahm <strong>Mag</strong>. Fritz Lehni. Als neuer<br />
Vizepräsident der DienstgeberInnenseite wurde <strong>Mag</strong>. Franz Schweder gewählt. Als Dank<br />
für das jahrzehntelange Engagement und seine unermüdlichen Bemühungen für die<br />
78 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1921–1927, Sitzung vom 13.05.1924.<br />
79 Ebd., Sitzung vom 22.11.1924.<br />
80 Ebd., Sitzungen von Dezember 1923 bis Dezember 1924; vgl. die zusammengefasste Darstellung in Dittrich,<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse, 32ff; Dittrich, Entwicklung und Aufgaben, 15ff.<br />
81 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1921–1927, Sitzung vom 23.03.1926.<br />
35
Pharmazeutische Gehaltskasse wurde <strong>Mag</strong>. Josef Longinovits bei der Hauptversammlung<br />
am 31. Mai 1926 zum Ehrenpräsidenten der Pharmazeutischen Gehaltskasse ernannt. 82<br />
Gleichzeitig mit der Ernennung zum Ehrenpräsidenten wurde beschlossen, den<br />
„Longinovits-Fonds“ zu schaffen. In diesen Fonds wurden aus den Überschüssen der<br />
Jahre 1924 und 1925 50.000 Schilling überwiesen. Aufbauend auf diesem Betrag sollte für<br />
ein soziales Projekt, welches beiden Standesgruppen zugute kommen sollte, angespart<br />
werden. 83<br />
Die Leistungen der Gehaltskasse wurden 1926 weiter ausgebaut. So wurde im Dezember<br />
die Gründung einer kostenlosen Stellenvermittlung für beide Standesgruppen, welche mit<br />
1. Jänner 1927 den Betrieb aufnehmen sollte, beschlossen. Diese Stellenvermittlung<br />
wurde laut Geschäftsordnung von einem paritätischen Ausschuss geleitet, welcher aus<br />
dem Präsidenten der Pharmazeutischen Gehaltskasse oder dessen Stellvertreter sowie<br />
dem Gremialvorsteher und Obmann des Ausschusses der MitarbeiterInnen oder dessen<br />
Stellvertreter gebildet wurde. Die Stellenlosenvermittlung hatte zum Ziel, stellenlose<br />
PharmazeutInnen effektiver zu vermitteln und die <strong>Arbeit</strong>slosenzahlen zu senken. Die<br />
ApothekerInnen sollten der Stellenvermittlung freie Stellen melden und bekamen bei<br />
Bedarf eine Liste der stellenlosen BerwerberInnen zugesandt. Viele konditionierende<br />
PharmazeutInnen aus den ehemaligen Kronländern befanden sich immer noch in der<br />
Republik Österreich, denen es nicht möglich war oder die auch nicht vorhatten, die<br />
österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Staatenlose DienstnehmerInnen wurden<br />
verpflichtet, sich bei der Stellenvermittlung unter Angabe ihres letzten Dienstortes zu<br />
melden. In den Bewerberlisten wurden alle Stellenlosen mit Angaben über ihre<br />
Qualifikation, Dauer der <strong>Arbeit</strong>slosigkeit und ihre Familienverhältnisse verzeichnet.<br />
Alleinarbeitende ApothekerInnen, die an der Stellenvermittlung teilnahmen, konnten in<br />
Notfällen beim Vorstand der Gehaltskasse um die Einstellung eines stellenlosen<br />
Mitarbeiters oder einer stellenlosen Mitarbeiterin und Senkung der Umlagenquote<br />
ansuchen. 84 Im Dezember 1926 kam es erneut zu einem Wechsel im Vorstand der<br />
Gehaltskasse. <strong>Mag</strong>. Adolf Grohmann wurde vom Zentralausschuss zum fachmännischen<br />
Direktor bestimmt, an seiner Stelle trat <strong>Mag</strong>. Josef Holzinger in den Vorstand ein. 85<br />
82 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 35, 134, 140.<br />
83 Ebd., 35.<br />
84 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1906, 18071-27.<br />
85 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 35, 134.<br />
36
Nach der Verabschiedung eines neuen Angestelltenversicherungsgesetzes am<br />
29. Dezember 1926 durch den österreichischen Nationalrat, 86 das im §56 eine eigene<br />
Versicherungsgesellschaft für PharmazeutInnen in Verwaltungsgemeinschaft mit der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse vorsah, wurde begonnen, die rechtlichen Vorgaben<br />
umzusetzen. 87 Das Gesetz sah aber nicht nur die Verwaltungsgemeinschaft der beiden<br />
Organisationen vor, sondern im Rahmen dieser Sonderversicherungsanstalt auch die<br />
Schaffung von Erholungsheimen oder ähnlichen Einrichtungen, um eine erweiterte<br />
Heilbehandlung zu ermöglichen. In einer Zentralausschuss- und Vorstandssitzung vom<br />
11. März 1927 schlug Apotheker <strong>Mag</strong>. Louis Grellepois zur Durchführung dieses Teils des<br />
Gesetzes vor, die Mittel des Longinovitsfonds zu verwenden, um ein geeignetes Objekt –<br />
vorgeschlagen worden war das „Hotel Zur Schäferin“ in Baden – zu erwerben, um dort ein<br />
Erholungsheim einzurichten. 88 Auch Apotheker <strong>Mag</strong>. Gustav Hummer befürwortete diesen<br />
Kauf. Das Objekt sei relativ günstig, das Inventar in gutem Zustand und die Verpachtung<br />
eines Restaurants, welches sich im Hotel befand, würde die Ausgaben lindern. Nach<br />
kurzer Diskussion der Ausschussmitglieder wurde schließlich einstimmig beschlossen, das<br />
„Hotel Zur Schäferin“ in Baden um 160.000 Schilling anzukaufen. Dafür wurden einerseits<br />
die Mittel des Longinovitsfonds, welche sich laut Rechenschaftsbericht des Jahres 1926<br />
auf 53.000 Schilling beliefen, 89 verwendet. Andererseits begannen bald nach dem Tod von<br />
<strong>Mag</strong>. Longinovits – der Ehrenpräsident der Pharmazeutischen Gehaltskasse war am 12.<br />
Februar 1927 verstorben – Verhandlungen mit dessen Frau Cornelia Longinovits über von<br />
ihr eingebrachtes Kapital in der Höhe von 75.000 Schilling. Die Organisation der<br />
Apotheker Österreichs verpflichtete sich, dieses Kapital für den Kauf des „Badener Hofs“<br />
zu verwenden. Cornelia Longinovits sollte dafür eine Leibrente aus den Mitteln des<br />
Notstandsfonds der Gehaltskasse erhalten. 90 Weiters wurde zur Verwaltung des Hauses<br />
ein Kuratorium eingesetzt, welches mit Vertretern beider Stände – der ApothekenbesitzerInnen<br />
und der angestellten ApothekerInnen – besetzt wurde. Das Haus sollte von<br />
diesem Kuratorium hotelmäßig geführt, einheitlich eingerichtet und ausschließlich für<br />
soziale und gesundheitliche Zwecke des Standes verwendet werden. Wie schnell dieser<br />
Plan umgesetzt wurde, ist daran zu erkennen, dass bereits am 26. Mai 1927 die Eröffnung<br />
des Hauses „Badener Hof“ durch Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel erfolgte. 91<br />
86 Österreichische Nationalbibliothek. http://alex.onb.ac.at (29.09.2007)<br />
87 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1906, 18071-27; vgl. Nowotny, Von der Monarchie zur Republik, 712.<br />
88 Ebd.<br />
89 Ebd., Rechenschaftsbericht.<br />
90 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1921–1927, Sitzung vom 15.04.1927.<br />
91 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1906, 18071-27; vgl. Otto Nowotny, Res Socialis, in: ÖAZ, Nr. 25 (2000), 1239; Dittrich,<br />
37
Die weitaus wichtigste <strong>Arbeit</strong> betraf 1927 jedoch die Umsetzung der Verwaltungsgemeinschaft<br />
zwischen der Versicherungsanstalt für Pharmazeuten und der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse für Österreich. In einem internen Schreiben an den Bundesminister<br />
für soziale Verwaltung, Dr. Josef Resch, berichtete Bundeskommissär Dr. Heinrich<br />
Zichardt über die Beratungen und Vorbereitungen zur Vereinigung mit der Versicherungsanstalt<br />
für Pharmazeuten in der Ausschusssitzung der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
am 7. Mai 1927. Um die Verwaltungsgemeinschaft der beiden Institutionen verwirklichen<br />
zu können, mussten die Satzungen der Gehaltskasse geändert werden. Der Entwurf dafür<br />
wurde von <strong>Mag</strong>. Gustav Hummer ausgearbeitet, der die Umstellung von Seiten der<br />
ApothekerInnen organisierte, und Dr. Zichardt übergeben. Hummers Entwurf sah vor, dass<br />
zwar beide Institutionen eine gewisse Selbstständigkeit behalten würden, die gesamte<br />
Verwaltung jedoch zusammengelegt würde. Sowohl die neue Satzung der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse als auch die Satzung der Versicherungsanstalt mussten noch<br />
vor dem 1. Juli 1927, dem gesetzlich festgesetzten <strong>Arbeit</strong>sbeginn der Versicherungsanstalt,<br />
kundgemacht werden. 92 Die neuen Statuten der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
wurden schließlich in der Zentralausschusssitzung vom 29. Mai 1927 und der Hauptversammlung<br />
vom 30. Mai 1927 von beiden Gremien genehmigt. Durch diesen raschen und<br />
reibungslosen Ablauf, wofür Präsident <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich auch dem Bundeskommissär<br />
Dr. Zichardt in beiden Sitzungen dankte, konnte die Versicherungsanstalt für Pharmazeuten<br />
fristgerecht in Betrieb genommen werden. 93 <strong>Mag</strong>. Gustav Hummer wurde von<br />
Bundesminister Dr. Resch auf Vorschlag beider Standesorganisationen mit Erlass vom 27.<br />
Juni 1927 zum Verwalter der Versicherungsanstalt für Pharmazeuten bestellt. 94 Die neue<br />
Verwaltungsgemeinschaft mit der Versicherungsanstalt hatte eine Änderung der<br />
Führungsstruktur der Gehaltskasse zur Folge. Bis zur Neuwahl der nach den novellierten<br />
Gehaltskassenstatuten vorgesehenen Verwaltungsorgane übernahmen <strong>Mag</strong>. Hummer<br />
sowie der ihm zur Seite gestellte Beirat auch die interimistische Geschäftsführung der<br />
Gehaltskasse. Die Satzungen sahen vor, dass der zweite und der dritte Obmann der<br />
Versicherungsanstalt aus der Gruppe der DienstnehmerInnen beziehungsweise der<br />
DienstgeberInnen gleichzeitig als die beiden Obmänner der Gehaltskasse fungierten. Die<br />
Geschäftsführung sollte jährlich wechseln. Alle übrigen Vorstandsmitglieder waren in<br />
beiden Instituten dieselben Personen, und auch die Hauptversammlung setzte sich aus<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse, 35, 37f.<br />
92 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1906, 18071-27, III-37704-27.<br />
93 Ebd., Kt. 1928, 25 575-28, 42266-27.<br />
94 Im Gegensatz hierzu gibt Franz Dittrich als Datum des Erlasses den 23. Juni 1927 an, vgl. Dittrich, Pharmazeutische<br />
Gehaltskasse, 36.<br />
38
den gleichen Vertretern zusammen. Statt einem Aufsichtsrat überprüften nun Rechnungsprüfer<br />
die Geschäftsführung der Pharmazeutischen Gehaltskasse. 95<br />
Im April 1927 musste der bisherige Direktor der Pharmazeutischen Gehaltskasse Franz<br />
Weber zurücktreten. Da er mit unglücklichen Spekulationen einen Schaden von etwa<br />
100.000 Schilling verursacht hatte, legte ihm Vorstandsmitglied <strong>Mag</strong>. Hummer nahe, sich<br />
pensionieren zu lassen, was auch geschah. Interimistisch übernahm darauf <strong>Mag</strong>. Adolf<br />
Grohmann die Geschäftsleitung. Der Aufsichtsrat unter Vorsitz von Dr. Karl Zeidler<br />
verlangte in der Sitzung vom 6. Mai 1927 Aufklärung über die plötzliche Auflösung des<br />
Dienstverhältnisses von Franz Weber und eine Diskussion über die weitere<br />
Vorgangsweise. Um die „Angelegenheit so still als möglich beizulegen“, 96 wurde von einer<br />
Klage abgesehen. Franz Weber und die Pharmazeutische Gehaltskasse verpflichteten<br />
sich gegenseitig dazu, gegenüber der Öffentlichkeit keine schädigenden Äußerungen zu<br />
tätigen. Weiters verpflichtete sich Franz Weber dazu, die Haftung für eventuelle Folgeschäden<br />
aus seinen Spekulationen zu übernehmen. <strong>Mag</strong>. Andreas Eckert stellte diese<br />
Vorgehensweise in Frage und erklärte, dass eine Klage gegen Weber zu überlegen<br />
gewesen wäre. Er warf dem Vorstand leichtgläubiges Handeln vor. Schließlich stimmte<br />
nach weitere Debatte der Aufsichtsrat den Maßnahmen des Vorstandes zu, sodass der<br />
Fall für die Beteiligten abgeschlossen war. 97 Diese stille Lösung des Vorfalles schien den<br />
Beteiligten insofern wichtig gewesen zu sein, da die Verhandlungen mit dem Bundesministerium<br />
über die neuen Statuten der Pharmazeutischen Gehaltskasse und die Verwaltungsgemeinschaft<br />
mit der Versicherungsanstalt der Pharmazeuten in vollem Gange<br />
waren. Die Sorge schien nicht unbegründet gewesen zu sein, da Bundeskommissär<br />
Dr. Heinrich Zichardt ausdrücklich eine Überprüfung aller Geschäftsbücher durch einen<br />
beeideten Buchsachverständiger forderte und den Wunsch äußerte, das Provisorium in<br />
der Direktion – interimistische Leitung durch <strong>Mag</strong>. Adolf Grohmann – nicht zu lange andauern<br />
zu lassen. Bis Juli 1927 sollte ein leitender Beamter für die Direktion gefunden<br />
werden. Das Ministerium behielt den Fall Weber im Auge und ließ sowohl den Vorstand<br />
der Gehaltskasse als auch Franz Weber deren Sicht der Dinge nochmals darstellen.<br />
Aufgrund der Abmachung liefern diese Aussagen aber keine neuen Erkenntnisse. 98<br />
95 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1906, 86479-27; Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 36f.<br />
96 AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1921–1927, Sitzung vom 06.05.1927.<br />
97 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1906, 18071-27, III-37704-27; vgl. AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK<br />
1921–1927, Sitzung vom 18.05.1927; AdPHGK. Protokolle der Aufsichtsratssitzungen der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse 1922–1927. Sitzung vom 06.05.1927.<br />
98 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1906, 18071-27, III-37704-27; 44229-27; 54842-27.<br />
39
Trotz der beschriebenen großen Veränderungen in der Struktur der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse und der erforderlichen zahlreichen Beratungen und Verhandlungen wurde<br />
auch am Ausbau der sozialen Leistungen weitergearbeitet. Im März 1927 wurde ein<br />
dreizehntes Monatsgehalt für die angestellten PharmazeutInnen eingeführt. Jeweils im<br />
Juni und Dezember eines Jahres wurde je eine Hälfte dieses zusätzlichen Gehalts<br />
ausbezahlt. Gleichzeitig wurde die Regelung der Akonto-Auszahlungen, die seit 1922<br />
gültig war, abgeschafft, sodass die Auszahlung des gesamten Gehalts wieder einmal<br />
monatlich erfolgte. Mit dem Ende der Akonto-Zahlungen ging der Vorstand auch auf eine<br />
langjährige Forderung des Aufsichtsrates ein – eine Forderung, deren Umsetzung bis<br />
dahin vom Vorstand immer wieder vertagt wurde. 99<br />
2.4. Exkurs: Reform der pharmazeutischen Studienordnung<br />
Die Einführung der neuen Studienordnung für das Studium der Pharmazie am 18. August<br />
1922 veränderte nicht nur die Ausbildung der angehenden PharmazeutInnen von Grund<br />
auf, sondern steht auch direkt mit der Schließung der pharmazeutischen Schule in Wien<br />
im Jahr 1922 in Verbindung. 100<br />
Das Ausbildungssystem der PharmazeutInnen vor 1922 basierte auf den Ausbildungsund<br />
Studienreformen im Jahr 1889. Die Grundvoraussetzungen der alten Studienordnung<br />
zum Erlernen des Apothekerberufs waren der positive Abschluss der sechsten Klasse<br />
Gymnasium und eine dreijährige (für Maturanten zweijährige) Lehrzeit als AspirantIn oder<br />
Tiro in einer öffentlichen Apotheke. Da es in den österreichischen Kronländern keine<br />
Regelung gab, die den Besuch einer Berufsschule vorschrieb, hing die Qualität der Lehre<br />
vom Engagement der Lehrherren ab. Diese sollten den AspirantInnen nicht nur praktische<br />
Kenntnisse vermitteln, sondern ihnen auch die wichtigsten theoretischen Grundlagen der<br />
Pharmazie näher bringen. Nach der zwei- beziehungsweise dreijährigen Lehrzeit mussten<br />
die AspirantInnen eine Tirozinalprüfung vor VertreterInnen des jeweils zuständigen<br />
Apothekergremiums absolvieren. Nach erfolgreicher Ablegung dieser Prüfung erfolgte ein<br />
viersemestriges Studium der Pharmazie an einer österreichischen Universität. 101<br />
99 AdPhGK, Protokolle der Aufsichtsratssitzungen der Pharmazeutischen Gehaltskasse 1922–1927, speziell die Jahre<br />
von 1924 bis 1927.<br />
100 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1743, 29019-22.<br />
101 Vgl. Alois Kernbauer, Zwischen Zunft und Wissenschaft. Der österreichische Apotheker- und Pharmazeutenstand<br />
in der Krise. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1922, Graz 1989, 186ff.; Otto Nowotny, Von Maturität,<br />
40
Das unterschiedliche Niveau der Ausbildung in der Lehrzeit der AspirantInnen, welches<br />
von den Apothekergremien immer wieder kritisiert wurde, führte dazu, dass jene Lehrlinge,<br />
die als Apothekergesellen in den Apotheken bleiben wollten, oft eine ungenügende<br />
Ausbildung hatten, und Lehrlinge, die Pharmazie studieren wollten, nur schwer den<br />
Kursen an den Universitäten folgen konnten. Daher hatte der Allgemeine Österreichische<br />
Apothekerverein auf Anregung des Wiener Apothekers <strong>Mag</strong>. Schiffner schon im November<br />
1865 eine „Tyronenschule“ gegründet, welche ihren Lehrbetrieb in der Spitalgasse 31 im<br />
neunten Wiener Gemeindebezirk aufnahm. Gelehrt wurde in den Anfangsjahren nur<br />
theoretische Chemie, Botanik und Pharmakognosie. Später wurde der Unterrichtsplan<br />
immer weiter ausgebaut, sodass viele verschiedene Teilgebiete der Pharmazie abgedeckt<br />
wurden. Ab 1905 wurde für Wiener AspirantInnen der Besuch der Schule obligatorisch.<br />
Der Erfolg, den diese AspirantInnen bei den Abschlussprüfungen und im späteren Studium<br />
erzielen konnten, war ausschlaggebend dafür, dass auch in anderen Städten, wie zum<br />
Beispiel Prag, Lemberg, Krakau und Triest, solche Schulen gegründet wurden. 102<br />
Dennoch war die Studienordnung kurz nach der Einführung 1889 schon Gegenstand von<br />
Diskussionen in der Apothekerschaft. Der Umstand, dass der Abschluss der sechsten<br />
Klasse Gymnasium zum Erlernen des pharmazeutischen Berufs genügte, hatte zur Folge,<br />
dass Studenten der Pharmazie ohne Matura nicht als ordentliche Hörer an den Universitäten<br />
inskribieren konnten und nicht mit den anderen Studenten gleichberechtigt waren.<br />
Ein weiterer Effekt dieser Bestimmung war, dass viele Schüler, die Schule oder Matura<br />
nicht meisterten, oft aus Mangel an anderen Aussichten den Beruf des Pharmazeuten<br />
ergriffen. Damit war zwar für ausreichenden Nachwuchs gesorgt, einige ApothekerInnen<br />
fürchteten aber nicht nur eine Verminderung der Qualifikation der PharmazeutInnen,<br />
sondern auch die Degradierung des Apothekerstandes zu einem rein handwerklichen<br />
Beruf. Ein weiterer Diskussionspunkt war in den späten 1890er-Jahren die Zulassung von<br />
Frauen zum Pharmaziestudium und somit die Öffnung des Berufes für Frauen. Während in<br />
der ungarischen Reichshälfte Frauen schon ab 1895 zum Studium der Pharmazie<br />
zugelassen wurden, konnten in der österreichischen Reichshälfte Frauen erst 1900 die<br />
pharmazeutische Ausbildung zu gleichen Bedingungen wie Männer aufnehmen. Im<br />
Studienjahr 1903/04 bestanden die ersten Frauen die Tirozinalprüfungen, 1906 schlossen<br />
die ersten Frauen das Pharmaziestudium in der österreichischen Reichshälfte ab. 103<br />
Emanzipation und einem neuen Berufsbild, in: ÖAZ, Nr. 23 (1999), 1083.<br />
102 Vgl. Otto Nowotny, Zur Geschichte der pharmazeutischen Schule in Wien, in: ÖAZ, Nr. 31/32 (1976), 634f.<br />
103 Vgl. Elisabeth Fritsch, Wie die Pharmazie ein Frauenberuf wurde. Materialien zu den in Wien ausgebildeten und<br />
41
Die Diskussion über das Ausbildungssystem wurde innerhalb der Apothekerschaft nicht<br />
einheitlich geführt und war oft von standespolitischen Erwägungen geprägt. Während die<br />
AssistentInnen befürchteten, dass zu viele AssistentInnen ausgebildet würden, fürchteten<br />
einige ApothekerbesitzerInnen, dass es bei einer Anhebung der Grundvoraussetzung auf<br />
Maturaniveau nicht genügend Lehrlinge und AssistentInnen geben könnte. In diesem<br />
Streitpunkt sollte die Assistentenschaft Recht behalten: Nach 1905 kam es zu einem<br />
Überangebot an Apothekerlehrlingen und AssistentInnen, welches deren Position in<br />
standespolitischen Angelegenheiten schwächte. Die Assistentenvereine versuchten durch<br />
Verhandlungen und teilweise medienwirksame Aktionen dagegen anzukämpfen, aber die<br />
Diskussion um nötige Reformen in der Ausbildung wurden immer wieder von anderen<br />
Themen, wie zum Beispiel der Debatte um das Apothekergesetz 1906 und den damit<br />
verbundenen heftigen Streitigkeiten um die Einführung eines neuen Konzessionssystems<br />
überlagert. 104 Erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges wurden von der Assistentenschaft,<br />
aber auch den Universitäten Graz und Wien, Initiativen gestartet, die Matura als Voraussetzung<br />
zum Erlernen des pharmazeutischen Berufs festzusetzen. In Anbetracht der<br />
prekären sozialen und wirtschaftlichen Situation der AssistentInnen, aber auch der<br />
ApothekenbesitzerInnen, wurde schließlich im Februar 1920 vom Staatsamt für Inneres in<br />
Zusammenarbeit mit dem Staatsamt für soziale Verwaltung die Matura als Zugangsvoraussetzung<br />
zum Pharmazeutenberuf vorgeschrieben. 105 Wie weiter oben beschrieben,<br />
war das nach Ende des Krieges rasche Eingehen der Staatsverwaltung auf die Forderungen<br />
der Assistentenschaft ein Versuch Dr. Tandlers, die AssistentInnen für die Sozialisierungsbestrebungen<br />
des Staatsamtes für soziale Verwaltung zu gewinnen. 106<br />
Nach weiteren Verhandlungen zwischen den Standesvertretungen der ApothekerInnen<br />
und mit den medizinischen und philosophischen Fakultäten der Universitäten Wien, Graz<br />
und Innsbruck wurde schließlich im August 1922 eine neue Studienordnung für das<br />
Pharmaziestudium erlassen. Der neue Weg zum Apothekerberuf sah folgendermaßen<br />
aus: Nach der Matura konnte das sechssemestrige Studium der Pharmazie begonnen<br />
werden. Die bisherige Lehrzeit vor dem Studium wurde zum einen durch praktische<br />
berufstätigen Pharmazeutinnen mit Schwerpunkt 1905 bis 1945, Wien 2007, 21ff.; Borislava Dimitrijevic, Der Einzug<br />
des Weibes zur Pharmacie!, in: Pharmazie sozial, Nr. 3 (2006), 24f.<br />
104 Vgl. Kernbauer, Zwischen Zunft und Wissenschaft, 276ff.; Alois Kernbauer, Die Pharmazeutische Ausbildung seit<br />
dem Jahre 1891, in: Pharmazeutischer Reichsverband, Hg., 100 Jahre. Organisation der angestellten Apotheker.<br />
Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich, Wien 1991, 146.<br />
105 Vgl. Kernbauer, Zwischen Zunft und Wissenschaft, 297.<br />
106 Vgl. Sablik, Julius Tandler, 178f.<br />
42
Laborübungen in das Studium integriert und zum anderen durch eine Praxis nach dem<br />
Studium ersetzt. Nach Bestehen zweier Rigorosen (im dritten Semester und am Ende des<br />
Studiums) wurde das Studium abgeschlossen. Der Studienplan wurde auch um einige<br />
Pflichtfächer erweitert. Es mussten Lehrveranstaltungen in anorganischer Chemie,<br />
Toxikologie, Hygiene, Botanik, Physik, Geschichte der Pharmazie, Pharmakognosie,<br />
Grundlagen der Rezeptur, aber auch in kaufmännischer Korrespondenz und Buchhaltung<br />
besucht werden. 107 Nach dem Studium und dem Abschluss als <strong>Mag</strong>ister der Pharmazie<br />
musste noch eine einjährige Praxis als AspirantIn in einer öffentlichen Apotheke absolviert<br />
werden. Mit einer anschließend abgelegten praktischen Prüfung beim Volksgesundheitsamt<br />
wurde schließlich die Berechtigung zur selbstständigen Ausübung des Apothekerberufes<br />
oder einer fachlichen Tätigkeit in der pharmazeutischen Industrie erlangt.<br />
1928 wurde die AspirantInnenzeit auf zwei Jahre erhöht, da sich die praktischen<br />
Anforderungen in einer Apotheke als zu umfangreich herausstellten, um in einem Jahr<br />
erlernt werden zu können. Dieses Ausbildungssystem war mit Ausnahme der Zeit von<br />
1938 bis 1945 bis zur Studienreform des Jahres 1971 gültig. Durch den Wegfall der dreijährigen<br />
beziehungsweise zweijährigen Lehrzeit vor dem Studium verlor die pharmazeutische<br />
Schule in Wien ihren Sinn und mit September 1922 wurde der Betrieb eingestellt.<br />
108 Die Abschaffung der Lehrzeit und die Einführung der AspirantInnenzeit hatte auch<br />
auf die Gehaltskasse Auswirkungen. Die Altersstruktur der durch die Gehaltskasse<br />
besoldeten PharmazeutInnen veränderte sich und bedingte eine neue Berechnung der<br />
Gehaltshöhe. 109<br />
2.5. Exkurs: „Sonderfall“ Burgenland<br />
Das Burgenland stellt in der Geschichte der Pharmazeutischen Gehaltskasse einen<br />
„Sonderfall“ dar. Als Teil Ungarns während der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war<br />
es nach dem Zerfall der Monarchie keineswegs sicher, dass das Burgenland ein Teil<br />
Österreichs werden sollte. Auch Ungarn erhob Anspruch auf das Gebiet. Nach proösterreichischen<br />
Kundgebungen der deutschsprachigen Bevölkerung propagierte die<br />
107 Für den genauen Studienplan siehe Kernbauer, Zwischen Zunft und Wissenschaft, 304, Fußnote 30.<br />
108 ÖStA, AdR, Kt. 1743, 29019-22, Note des Wiener Apotheker-Hauptgremiums an das BMfsV; Nowotny,<br />
Geschichte der pharmazeutischen Schule, 634ff.; ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1861, 14422-25, Kt. 1743, 29019-22.<br />
109 Ebd., Kt. 1861, 14422-25.<br />
43
ungarische Regierung das Konzept eines autonomen westungarischen Territoriums<br />
innerhalb Ungarns. Erst nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Saint<br />
Germain, in welchem Österreich der westliche Teil Deutsch-Westungarns zugesprochen<br />
wurde, der Ratifizierung des Friedensvertrages der Entente mit Ungarn in Trianon im Juli<br />
1921 und der Unterzeichnung des Protokolls von Venedig im Dezember 1921, welches<br />
den Verbleib Ödenburgs (Sopron) bei Ungarn festlegte, war das Burgenland auch<br />
staatsrechtlich ein Teil der Republik Österreich geworden. 110 Als Teil der ungarischen<br />
Reichshälfte waren die Apotheken des Burgenlandes nie im Zuständigkeitsbereich der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse gelegen, weder zu Beginn 1908, als die Gehaltskasse<br />
eine freiwillige Einrichtung der ApothekerInnen der österreichischen Kronländer war, noch<br />
ab 1919 beziehungsweise 1921, als die Pflichtmitgliedschaft bei der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse für österreichische ApothekerInnen eingeführt wurde. Auch alle anderen<br />
gesetzlichen Bestimmungen der österreichischen Reichshälfte die ApothekerInnen betreffend<br />
genauso wie die pharmazeutische Studienordnung galten für die burgenländischen<br />
ApothekerInnen nicht. Erst mit der Gehaltskassenverordnung vom<br />
11. November 1922 wurden die burgenländischen ApothekerInnen Mitglieder der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse für Österreich. Während die Gehaltskasse nach Ende des Ersten<br />
Weltkrieges zahlreiche Mitglieder aus den ehemaligen Kronländern der österreichischen<br />
Reichshälfte verlor, waren die ApothekerInnen aus dem Burgenland also die einzigen, die<br />
in dieser Zeit in den Zuständigkeitsbereich der Gehaltskasse fielen und als Mitglieder<br />
aufgenommen wurden. Die meisten ApothekenbesitzerInnen des Burgenlandes, deren<br />
Apotheken häufig in kleinen Ortschaften lagen, hatten finanzielle Schwierigkeiten, so dass<br />
sich die Gehaltskasse gezwungen sah, diese finanziell zu unterstützen. 111 Wie schwierig<br />
die Umstellung und Einführung der österreichischen Gesetze und Bestimmungen im<br />
Burgenland war, kann daran ermessen werden, dass erst 1928 eine vollständige<br />
Rechtsangleichung erfolgte. Sämtliche pharmazeutischen Bereiche, wie zum Beispiel die<br />
Ausbildung, Arzneitaxen und die Einführung der österreichischen Pharmakopöe, waren<br />
von der rechtlichen Anpassung betroffen. Bis 1928 gab es immer wieder<br />
Sonderregelungen der Gehaltskasse für burgenländische ApothekerInnen. Zum Beispiel<br />
wurde es ApothekerInnen im ungarischen Grenzgebiet ab 1926 ausnahmsweise erlaubt,<br />
bei Kurzurlauben, Notfällen und Krankheiten ungarische PharmazeutInnen für bis zu drei<br />
Tage als Vertretung einzustellen. Diese Sonderregelung gab es, um die finanziell<br />
110 Vgl. August Ernst, Geschichte des Burgenlands, Wien 1987, 186ff.; Hugo Portisch u. Sepp Riefl, Österreich I. Die<br />
unterschätzte Monarchie, Wien 1989, 150f.<br />
111 Vgl. Dittrich, Entwicklung und Aufgaben, 15.<br />
44
angeschlagenen ApothekerInnen weniger zu belasten, da die ungarischen PharmazeutInnen<br />
billiger waren und näher der jeweiligen Apotheke wohnten als PharmazeutInnen<br />
aus Wien. Die ApothekerInnen hatten der Vertretung neben Gehalt und Unterkunft auch<br />
die Anfahrtskosten zu bezahlen. 112 Diese Sonderregelung war möglich, da zwar die Ausbildung<br />
der ungarischen PharmazeutInnen unterschiedlich geregelt war, es aber eine reziproke<br />
Anerkennung der Studienabschlüsse zwischen den Reichshälften und später den<br />
Staaten Österreich und Ungarn gab. Während in vielen Bereichen die Umstellung der<br />
burgenländischen Apotheken auf österreichische Verhältnisse eher schwierig war, wie das<br />
umfangreiche Material über Diskussionen, Vorschläge und Gesetzesentwürfe im Staatsarchiv<br />
113 und die spät erfolgte Rechtsangleichung zeigen, verlief die Aufnahme der burgenländischen<br />
ApothekerInnen in die Pharmazeutische Gehaltskasse offenbar problemlos.<br />
Dies ist daraus zu schließen, dass weder in den Protokollen des Vorstandes und<br />
Aufsichtsrates noch in den Reflexionen <strong>Mag</strong>. Franz Dittrichs über die 1920er-Jahre über<br />
Probleme berichtet wird.<br />
112 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1928, 18252-28, 8439-26.<br />
113 Ebd., Kt. 1928, 18252-28.<br />
45
3. Die Pharmazeutische Gehaltskasse von 1928 bis 1937<br />
3.1. Die Fortführung sozialpolitischer Innovationen<br />
Bei der <strong>Arbeit</strong> zur Einrichtung der Verwaltungsgemeinschaft der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse und der Versicherungsanstalt im Frühjahr 1927 zeigte sich, dass die neuen<br />
Statuten der Gehaltskasse nur sehr schwer mit dem Gehaltskassengesetz von 1919 in<br />
Einklang zu bringen waren. Weiters gab es in gewissen Bereichen, wie zum Beispiel der<br />
Regelungen zum Riskenausgleich oder der Absicherung der Einzahlungen von<br />
PächterInnen, Reformbedarf des Gesetzes. <strong>Mag</strong>. Gustav Hummer – ehemaliger, aus<br />
Mähren stammender Reichtagsabgeordneter und Mitglied der provisorischen<br />
Nationalversammlung 1918/1919 114 sowie interimistischer Geschäftsführer der Gehaltskasse<br />
– begann daher eine Gesetzesnovelle zu erarbeiten. Unterstützt wurde er dabei<br />
vom Nationalratsabgeordneten der Großdeutschen Volkspartei Dr. Iring Grailer, der schon<br />
seit Mitte der 1920er-Jahre vor allem die konditionierenden PharmazeutInnen mehrmals<br />
unterstützt hatte. 115 Dass die Novelle zum Gehaltskassengesetz auch im Sinne des<br />
Bundesministeriums für soziale Verwaltung war, ist daran zu ersehen, dass<br />
<strong>Mag</strong>. Hummers Entwurf bereits am 20. Oktober 1927 von Dr. Grailer im Nationalrat<br />
eingebracht wurde. Schon am 17. Dezember 1927 wurde die Novelle zum Gehaltskassengesetz<br />
verabschiedet. Mit der Verordnung vom 24. Dezember 1927 trat dieses neue<br />
Gesetz per 1. Jänner 1928 in Kraft. 116<br />
In den ersten Monaten des Jahres 1928 wurden die nach der Einführung der neuen<br />
Satzungen im Juni 1927 und der Schaffung einer neuen gesetzlichen Basis notwendig<br />
gewordenen Wahlen zur Bestellung einer neuen Geschäftsführung vorbereitet. Nach den<br />
am 20. April 1928 abgehaltenen Wahlen beider Standesgruppen wurde in der Hauptversammlung<br />
der Pharmazeutischen Gehaltskasse vom 28. April 1928 <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich<br />
(aus der DienstnehmerInnengruppe) und <strong>Mag</strong>. Fritz Lehni (aus der DienstgeberInnengruppe)<br />
zum zweiten beziehungsweise dritten Obmann der Versicherungsanstalt<br />
gewählt. Diese übernahmen laut den neuen Satzungen der Gehaltskasse jährlich<br />
114 http://www.parlinkom.gv.at (30.04.2008).<br />
115 http://www.parlinkom.gv.at (30.04.2008); vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 33.<br />
116 BGBl. Nr. 389/1927; vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 38f.<br />
46
alternierend, mit <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich 1928 beginnend, die Geschäftsführung. 117<br />
Nach Übernahme der Geschäftsführung begann <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich an einem weiteren<br />
Ausbau der Gehaltskasse und somit an der Einführung neuer sozialer Einrichtungen für<br />
die angestellten ApothekerInnen zu arbeiten. In einer Vorstandssitzung vom 10. August<br />
1928 betonte er, dass die Entwicklung der Pharmazeutischen Gehaltskasse erfreulich sei,<br />
auch in finanzieller Sicht, und die sozialen Einrichtungen, die zur Entlastung der<br />
ApothekenbesitzerInnen geschaffen worden waren, materiell weiter ausgebaut werden<br />
könnten. 118 <strong>Mag</strong>. Dittrich war seit 1920 nicht nur Vorstandsmitglied der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse, sondern auch Präsident des Pharmazeutischen Reichsverbandes für<br />
Österreich. Durch seine Bestätigungen, dass sich die Pharmazeutische Gehaltkasse<br />
finanziell gut entwickelte, sicherte er sich die Akzeptanz der BesitzerInnengruppe, welche<br />
die angestellten ApothekerInnen bei ihrer Forderung nach einer Gehaltsreform im Herbst<br />
1928 auch tatsächlich unterstützten. Die <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen forderten neben einer<br />
Gehaltserhöhung auch die Vorrückung in den Gehaltsstufen nach zwei Jahren anstatt wie<br />
bisher nach drei Jahren. Nach mehreren Verhandlungen der Assistentenschaft mit dem<br />
Bundesministerium sowie Protestaktionen – zum Beispiel am 30. Oktober 1928 Streik der<br />
AssistentInnen in Wien 119 – konnten die angestellten ApothekerInnen ihre Forderungen<br />
durchsetzten. Der Umstieg vom bisherigen Triennalsystem auf ein Biennalsystem hatte<br />
einerseits die Einführung neuer Gehaltsstufen (von 12 auf 18) und andererseits eine<br />
erneute Veränderung der Satzungen von 1927 zur Folge. Die damit in Verbindung<br />
stehenden, dem neuen Besoldungsschema und der Besoldungsumlage entsprechenden<br />
Verordnungen wurden vom Bundesministerium am 30. Jänner 1929, rückwirkend ab<br />
1. Jänner 1929 erlassen. 120<br />
Durch den fortwährenden Ausbau der sozialen Leistungen der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse und dem damit verbundenen erhöhten Finanzbedarf wurden die steigenden<br />
Umlagenrückstände der ApothekenbesitzerInnen zu einer wirtschaftlichen Belastung. Zwar<br />
wurde das Problem der Zahlungsrückstände einiger Apothekenbetriebe auch schon in den<br />
Vorstandssitzungen und Aufsichtratssitzungen Mitte der 1920er-Jahre öfters thematisiert,<br />
doch scheint die damalige Einmahnungspolitik recht kulant gewesen zu sein. Mit der<br />
117 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 134f.<br />
118 AdPhGK, Protokoll der Vorstandssitzung vom 10.08.1928.<br />
119 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1928, 78440-28.<br />
120 Vgl. Dittrich, Pharmazeutische Gehaltskasse, 39ff., 64f.; hier ist auch eine genaue Tabelle zu finden, die die<br />
Unterschiede des triennalen und biennalen Besoldungsschemas, samt Gehaltsstufen und Entlohnung, zeigt.<br />
47
Übernahme der Geschäftsführung durch <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich 1928 änderte sich dies.<br />
Zusätzlich zu den Zahlungsrückständen der Besitzerschaft wurde die Gehaltskasse mit<br />
vermehrten Ansuchen um Gewährung von Lohnvorschusszahlungen der Angestellten<br />
belastet. Die neue härtere Vorgehensweise der Gehaltskasse bei Exekutionen von<br />
Zahlungsrückständen wie auch bei der Ablehnung von Vorschüssen wurde von den<br />
Betroffenen oft heftig kritisiert. Offenbar so heftig, dass <strong>Mag</strong>. Dittrich sich bemüßigt sah,<br />
auf die Vorwürfe zu reagieren. In einem ausführlichen Bericht, der als Beilage zum<br />
Protokoll der Hauptversammlung der Pharmazeutischen Gehaltskasse vom 15. Mai 1929<br />
zu finden ist, versuchte <strong>Mag</strong>. Dittrich das Vorgehen der Gehaltskasse zu rechtfertigen. 121<br />
Er verwies darauf, dass er diesen Bericht nicht in den offiziellen Rechenschaftsbericht<br />
eingefügt habe, da er diese Probleme nicht in der Öffentlichkeit diskutieren wolle, er aber<br />
auf die harsche Kritik aus den Standeskreisen eingehen müsse. Sehr ausführlich<br />
schilderte <strong>Mag</strong>. Dittrich, dass er seit 1928 versucht habe die Rückstände der Mitglieder,<br />
die den Geldverkehr der Gehaltskasse massiv beeinträchtigt hatten, dauerhaft zu senken.<br />
So betrug 1927 der Anteil aushaftender Umlagen 56 Prozent. Bis April 1929 konnte dieser<br />
Anteil auf 30 Prozent gesenkt werden. Die Verringerung der Umlagenrückstände konnte<br />
nur dadurch erreicht werden, dass eine „erkleckliche Anzahl von Exekutionen“ veranlasst<br />
wurden. Diesbezüglich wies <strong>Mag</strong>. Dittrich darauf hin, dass diese Exekutionen nicht<br />
unangekündigt erfolgt wären, sondern erst nach zwei bis drei Mahnungen. <strong>Mag</strong>. Dittrich<br />
verteidigte in diesem Bericht auch den Stopp der Gehaltsvorschusszahlungen an<br />
angestellte ApothekerInnen. Diese mussten, nachdem sie Ende 1928 die Höhe von<br />
80.000 Schilling erreicht hatten, eingestellt werden. 122<br />
Die gegen Ende der 1920er-Jahre immer kritischer werdende Situation in der österreichischen<br />
Innenpolitik, vor allem durch die Machtkämpfe zwischen der sozialistischen<br />
Partei und dem christlich-sozialen Block, beeinträchtigte auch den Apothekerstand. So<br />
zerbrach 1929 die zwischen den ApothekenbesitzerInnen und den angestellten<br />
PharmazeutInnen existierende <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft. Diese war Ende 1926 als Ständiger<br />
Ausschuß beider Berufsgruppen des Apothekerstandes gegründet worden, um die<br />
Interessen beider Gruppen besser vertreten und durchsetzen zu können. 123 Die Auflösung<br />
dieser <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft hatte auch auf die <strong>Arbeit</strong> der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
121 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1952, 48502-1929.<br />
122 Ebd., Beilage I.<br />
123 Vgl. Otto Nowotny, Die Geschichte des Pharmazeutischen Reichsverbandes für Österreich. Von seiner Gründung<br />
bis zum Jahre 1938, in: Pharmazeutischer Reichsverband, Hg., 100 Jahre. Organisation der angestellten Apotheker.<br />
Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich, Wien 1991, 33ff.; Nowotny, Von der Monarchie zur Republik, 624.<br />
48
Auswirkungen und ließ die Spannungen zwischen ApothekenbesitzerInnen und<br />
angestellten ApothekerInnen deutlich anwachsen. Es verwundert daher nicht, dass<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Dittrich jene weiter oben erwähnte Hauptversammlung vom 15. Mai 1929 mit<br />
einem deutlichen Appell und Aufruf an die Standesvertretungen zur Einigkeit beendete<br />
und die Sonderstellung der Gehaltskasse „als einzige Möglichkeit über verschiedene<br />
Gegensätze hinwegzukommen“ betonte. 124 Trotz schwieriger werdendem <strong>Arbeit</strong>sklima<br />
konnten sich die StandesvertreterInnen auch 1929 auf soziale Erneuerungen einigen. So<br />
wurde zu Gunsten alleinarbeitender ApothekenbesitzerInnen die so genannte „Urlaubsaktion“<br />
eingeführt. Diese bestand darin, dass den BesitzerInnen bei freiwilliger Einzahlung<br />
eines zusätzlichen Beitrages von der Gehaltskasse zugesichert wurde, bei einem Urlaub<br />
entweder die gesamten Kosten oder einen Teil der Kosten für die Urlaubsvertretung zu<br />
übernehmen. Weiters wurde für angestellte PharmazeutInnen ein Sterbefonds eingerichtet,<br />
der bei freiwilliger Bezahlung eines Beitrages eine Abgeltung der Begräbniskosten<br />
garantierte. 125<br />
Die Radikalisierung zwischen den Parteien und das damit immer rauer werdende Klima<br />
hatte – wie schon weiter oben erwähnt – auch Auswirkungen auf den sonst zumindest in<br />
der Öffentlichkeit geeint auftretenden Berufsstand der ApothekerInnen. Aber nicht nur<br />
zwischen den ApothekenbesitzerInnen und angestellten ApothekerInnen verschlechterte<br />
sich das Klima, auch innerhalb der Standesgruppen kam es ab 1929 immer öfter zu<br />
Auseinandersetzungen. Schon 1926 hatte die Sozialistische Partei versucht, den<br />
Pharmazeutischen Reichsverband, dem nahezu alle angestellten PharmazeutInnen<br />
angehörten und der eher deutschnational geprägt war beziehungsweise der christlichsozialen<br />
Partei nahe stand, durch Gründung einer sozialistischen Gewerkschaft der<br />
PharmazeutInnen zu schwächen. Doch nur wenige PharmazeutInnen schlossen sich<br />
dieser neu gegründeten Gewerkschaft an. Diese konnte daher auch nie wirklich<br />
Bedeutung erlangen. 1929 – begünstig durch die Veränderung des politischen Klimas –<br />
gründeten die PharmazeutInnen, die bei der Österreichischen Heilmittelstelle beschäftigt<br />
waren, eine Berufsgruppe der Pharmazeuten im Bund der Industrieangestellten<br />
Österreichs, welche ebenfalls sozialdemokratisch orientiert war. Diese neue Gruppierung<br />
sozialistischer PharmazeutInnen erhoffte sich durch mehr finanzielle Mittel und Unterstützung<br />
durch die Heilmittelstelle bessere Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Anliegen.<br />
124 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1952, 48502-1929, Beilage I.<br />
125 Vgl. Rauch, 50 Jahre, 627.<br />
49
Auch innerhalb der ApothekenbesitzerInnen kam es 1929 zu einer politisch orientierten<br />
Aufspaltung. Der Allgemeine Österreichische Apotheker-Verein, in dem fast alle<br />
ApothekenbesitzerInnen organisiert waren, bekam durch den 1929 gegründeten Bund<br />
österreichischer Apotheker Konkurrenz. Während im Allgemeinen Österreichischen<br />
Apotheker-Verein fast alle ApothekenbesitzerInnen organisiert waren, versammelten sich<br />
im Bund österreichischer Apotheker eine kleinere Gruppe rechtsnationaler ApothekenbesitzerInnen.<br />
Diese hatten allerdings in <strong>Mag</strong>. Gustav Hummer, dem Obmann der<br />
Versicherungsanstalt, eine wichtige und bedeutende Person als Mitglied. 126 Bereits im Jahr<br />
1929 kam es zu einer Auseinandersetzung dieser beiden Vereine, in der sich der Bund<br />
österreichischer Apotheker durchsetzte. Der Allgemeine Österreichische Apotheker-Verein<br />
beeinspruchte beim Bundesministerium für soziale Verwaltung, wohl aus Sorge um eine<br />
für ihn ungünstige Zusammensetzung des Vorstandes der Versicherungsanstalt und somit<br />
auch der Pharmazeutischen Gehaltskasse, die Wahl von <strong>Mag</strong>. Karl Olensky zum<br />
Obmannstellvertreter aus der Gruppe der DienstgeberInnen. Der Verein begründete<br />
seinen Einspruch damit, dass <strong>Mag</strong>. Karl Olensky kein ordentliches Mitglied der<br />
Versicherungsanstalt sei und somit kein aktives Wahlrecht besitzen würde. In einer<br />
Stellungnahme an das Bundesministerium verwies <strong>Mag</strong>. Hummer auf die Statuten der<br />
Versicherungsanstalt und die darin verankerte Wahlordnung. Laut dieser Wahlordnung<br />
musste ein wählbarer Kandidat das 21. Lebensjahr vollendet haben und für den<br />
Nationalrat wählbar sein. Wären diese Bedingungen erfüllt, wären auch Vorstandsmitglieder<br />
und Beamte von Organisationen der DienstgeberInnen und DienstnehmerInnen<br />
wählbar, unabhängig davon, ob sie aktives oder passives Wahlrecht in der Versicherungsanstalt<br />
besäßen. In weiterer Folge wies <strong>Mag</strong>. Hummer nach, dass <strong>Mag</strong>. Olensky diesen<br />
Bedingungen entspreche, da dieser neben der Erfüllung der Grundvoraussetzungen auch<br />
Vorstandsmitglied des Bundes österreichischer Apotheker sei. Das Bundesministerium<br />
schloss sich dieser Argumentation an und erkannte die Wahl <strong>Mag</strong>. Olenskys an. 127<br />
Nach dieser Niederlage für den Allgemeinen Österreichischen Apotheker-Verein ist die<br />
Verschärfung des Konflikts innerhalb der <strong>Arbeit</strong>geberInnengruppe auch in den Sitzungsprotokollen<br />
der Hauptversammlung und der Vorstandssitzungen der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse ersichtlich. Die Auswirkung dessen auf die <strong>Arbeit</strong> der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse ist leicht auszumachen. Über jeden Antrag und Vorschlag entstanden lange<br />
126 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1983, 81589-30, vgl. Nowotny, Von der Monarchie zur Republik, 624.<br />
127 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1952, 66311-29, Entscheidung des Bundesministeriums und Stellungnahme der<br />
Versicherungsanstalt.<br />
50
und oft heftige Diskussionen und bei den meisten Abstimmungen kam es zu<br />
Stimmenthaltungen und Gegenstimmen. Auch die Befürchtungen des Allgemeinen<br />
Apotheker-Vereins bewahrheiteten sich. So erlangte der Bund österreichischer Apotheker<br />
nach der Wahl im August 1929 in den meisten Standesgremien die Mehrheit in der<br />
BesitzerInnenkurie. Verbunden mit der Tatsache, dass <strong>Mag</strong>. Hummer und <strong>Mag</strong>. Dittrich gut<br />
zusammenarbeiteten und die <strong>Arbeit</strong>nehmerInnengruppe unter Führung <strong>Mag</strong>. Dittrichs<br />
einheitlich abstimmte, wurde der standespolitische Einfluss des Allgemeinen Apotheker-<br />
Vereins stark eingeschränkt. 128<br />
Im Jahr 1930 initiierte der Vorstand der Pharmazeutischen Gehaltskasse eine weitere<br />
soziale Einrichtung der Gehaltskasse: den <strong>Arbeit</strong>slosenunterstützungsfonds. In den<br />
diesbezüglichen Eingaben an das Bundesministerium für soziale Verwaltung von Seiten<br />
der verschiedenen Interessensgruppierungen zeigte sich deutlich, wie zersplittert der<br />
Berufsstand der ApothekerInnen zu Beginn der 1930er-Jahre war und wie die politischen<br />
Auseinandersetzungen immer härter wurden. Der <strong>Arbeit</strong>slosenunterstützungsfonds, kurz<br />
auch Stellenlosenfonds genannt, welcher in der Hauptversammlung der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse vom 6. März 1930 beschlossen wurde, sollte jene<br />
PharmazeutInnen unterstützen, die nach einer 120 Monate überschreitenden Dienstzeit<br />
arbeitslos geworden waren. Die Teilnahme am Fonds war freiwillig, das heißt weder<br />
<strong>Arbeit</strong>geberInnen noch <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen konnten gezwungen werden, daran<br />
teilzunehmen. Die Gelder des Fonds sollten von der Versicherungsanstalt für Pharmazeuten<br />
verwaltet werden. Nach der Beschlussfassung in der Hauptversammlung der<br />
Gehaltskasse bedurfte es der Genehmigung des Bundesministeriums beziehungsweise<br />
des damaligen Bundesministers für Soziales, Dr. Theodor Innitzer. 129 Die verschiedenen<br />
Gruppierungen und Standesvertretungen versuchten nun Dr. Innitzer und die zuständigen<br />
Beamten in ihrem Sinne zu beeinflussen, um Änderungen im geplanten Regulativ zu<br />
erwirken. So beschwerte sich der Allgemeine Österreichische Apotheker-Verein in einem<br />
Brief an das Bundesministerium darüber, dass seine Vertreter in der Hauptversammlung<br />
aufgrund der für den Allgemeinen Österreichischen Apotheker-Verein ungünstigen<br />
Besetzung des Gremiums von den anderen Gremialmitgliedern überstimmt wurden und so<br />
Abänderungsvorschläge, obwohl berechtigt, nicht in das Regulativ eingeflossen wären.<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Schweder, der Verfasser besagten Briefes, stellte auch fest, dass der Bund<br />
128 Ebd., Kt. 1984, 59523-30 u. 73304-30, Protokolle der Hauptversammlungen vom 17.12.1929 u. 06.03.1930.<br />
129 Ebd., Kt. 1984, 73304-30, sowie als Beilage das Regulativ des Stellenlosenfonds.<br />
51
der österreichischen Apotheker zehn Stimmen habe, obwohl dieser Verein nur 1/10 der<br />
ApothekenbesitzerInnen vertrete. Außerdem – so <strong>Mag</strong>. Schweder – stimme dieser Verein<br />
unter Führung von <strong>Mag</strong>. Gustav Hummer „bei Abstimmungen in den Sitzungen der<br />
Standesinstitute stets mit den angestellten Apothekern“ 130 . Etwas unglücklich verlief auch<br />
die weitere Argumentation des Allgemeinen Österreichischen Apotheker-Vereins.<br />
<strong>Mag</strong>. Schweder unterstellte Bundeskommissär Dr. Max Fizia, dass er die Stichhaltigkeit<br />
der Vorschläge nicht gleich erkannt hätte, und forderte das Bundesministerium auf, die<br />
wahren Vertretungsverhältnisse innerhalb der Besitzerschaft zu beachten und die<br />
Abänderungsvorschläge des Apothekervereines in das Regulativ aufzunehmen. Eine der<br />
Forderungen des Allgemeinen Österreichischen Apotheker-Vereins war, dass kein<br />
Anspruch auf die Leistungen des Stellenlosenfonds bestehen sollte, wenn die<br />
DienstnehmerInnen freiwillig gekündigt oder aus eigenem Verschulden entlassen worden<br />
wären. 131 Die Pharmazeutische Gehaltskasse lehnte in ihrer Reaktion vom 21. März 1930<br />
die Forderungen des Allgemeinen Österreichischen Apotheker-Vereins ab und verwies auf<br />
den gültigen Beschluss der Hauptversammlung der Pharmazeutischen Gehaltskasse vom<br />
6. März 1930. 132<br />
Die Interessensvertretung sozialdemokratischer ApothekerInnen, die Freie Gewerkschaft<br />
angestellter Apotheker Österreichs, reagierte positiv auf den Plan der Errichtung eines<br />
Stellenlosenfonds. So wurden nur kleinere Änderungen beziehungsweise Zusätze im<br />
Regulativ gefordert, wie zum Beispiel die verpflichtende Teilnahme der <strong>Arbeit</strong>geberInnen<br />
und <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen am Fonds. 133 Umso erstaunlicher erscheint daher die harsche<br />
Reaktion des Pharmazeutischen Reichsverbandes für Österreich auf diese Vorschläge.<br />
Wohl auch um dem Bundesministerium den alleinigen Vertretungsanspruch der<br />
<strong>Arbeit</strong>nehmerInnen in der Apothekerschaft zu verdeutlichen, reagierte der Reichsverband<br />
auf diese positive Reaktion der sozialistischen <strong>Arbeit</strong>nehmerInnenvertretung mit<br />
Ablehnung. Die Pharmazeutische Gehaltskasse stellte fest, dass der Reichsverband 98<br />
Prozent der angestellten ApothekerInnen vertrete und an eine Verpflichtung des<br />
Stellenlosenfonds nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern auch, weil die Mehrheit der<br />
Angestellten gegen eine Zwangsmitgliedschaft sei, nicht zu denken wäre. 134<br />
130 Ebd., Brief des Allgemeinen Österreichischen Apotheker-Vereins an das Bundesministerium vom 17.03.1930.<br />
131 Ebd.<br />
132 Ebd., Brief der Pharmazeutischen Gehaltskasse an das Bundesministerium vom 21.03.1930.<br />
133 Ebd., Änderungsvorschläge der Freien Gewerkschaft angestellter Apotheker Österreichs.<br />
134 Ebd., Brief der Pharmazeutischen Gehaltskasse an das Bundesministerium vom 21.03.1930.<br />
52
Um die Entscheidung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung in seinem Sinne zu<br />
beeinflussen, ließ der Reichsverband den Nationalratsabgeordneten Dr. Iring Grailer vom<br />
Verband der Abgeordneten der Großdeutschen Volkspartei 135 einen Brief an Minister<br />
Dr. Innitzer schreiben, um diesen nochmals auf die Organisationsverhältnisse bei den<br />
angestellten ApothekerInnen hinzuweisen. Schließlich erklärte sich Dr. Innitzer und somit<br />
das Bundesministerium für soziale Verwaltung nach kleineren Abänderungen mit dem<br />
vorgelegten Regulativ für den Stellenlosenfonds einverstanden, ohne auf die Forderungen<br />
des Allgemeinen Österreichischen Apotheker-Vereins oder jene der Freien Gewerkschaft<br />
angestellter Apotheker Österreichs einzugehen. 136<br />
Ab 1930 begann sich noch ein weitere Konflikt innerhalb der österreichischen Apothekerschaft<br />
abzuzeichnen, nämlich ein Konflikt zwischen den ApothekerInnen im Westen und<br />
jenen im Osten Österreichs. Dieser Konflikt sollte 1938 seinen Höhepunkt erreichen, als<br />
nach dem ‚Anschluß‘ Österreichs an das Deutsche Reich das Weiterbestehen der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich innerhalb des nationalsozialistischen<br />
Deutschlands unsicher war. 137 Doch schon Jahre vorher stand die Pharmazeutische<br />
Gehaltskasse im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzungen.<br />
Am 5. Juni 1930 zweifelte die Tiroler Apothekervereinigung in Innsbruck die<br />
Rechtmäßigkeit einiger Beschlüsse und Statutenänderungen bezüglich der Stellenlosenvermittlung<br />
an. In der Hauptversammlung der Gehaltskasse am 17. Dezember 1929 wurde<br />
eine Erhöhung des Mitgliedsbeitrages für ApothekenbesitzerInnen beschlossen, welche<br />
aber nur dann zahlbar war, wenn die Bestimmungen des Regulativs der<br />
Stellenlosenvermittlung nicht beachtet würden. Dieser Beschluss erregte den besonderen<br />
Unmut der Tiroler ApothekenbesitzerInnen, die diese Regelung als eine Sanktion<br />
empfanden und die von <strong>Mag</strong>. Dittrich angestrebte Obligatorisierung des Stellenlosenfonds<br />
verwirklicht sahen. Sie werteten diesen Beschluss als einen unbefugten Eingriff in die<br />
Rechte der BesitzerInnen von Seiten des Vorstands und der Hauptversammlung und<br />
wiesen darauf hin, dass ihrer Einschätzung nach mit der neuen Regelung auch das Recht<br />
der <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen auf freie <strong>Arbeit</strong> eingeschränkt würde. Da diese Regelung als<br />
Satzungsänderung zu betrachten wäre, hätte diese das Bundesministerium für soziale<br />
Verwaltung als zuständige Behörde genehmigen müssen. Da dies nicht erfolgt war, wurde<br />
135 http://www.parlament.gv.at (30.09.2007)<br />
136 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1984, 73304-30.<br />
137 Siehe Kapitel 4.<br />
53
um die Aufhebung der umstrittenen Bestimmung gebeten. Nach den in der Beschwerde zu<br />
findenden handschriftlichen Kommentaren und Anmerkungen ist davon auszugehen, dass<br />
das Ministerium keine Ungesetzmäßigkeiten erkennen konnte und diese Regelung<br />
unverändert bestehen blieb. 138<br />
Obwohl die Zusammenarbeit in den Gremien der Versicherungsanstalt der Pharmazeuten<br />
und der Pharmazeutischen Gehaltskasse aufgrund der Differenzen der Gruppierungen<br />
schwieriger wurden, konnten auch 1930 neue soziale Leistungen eingeführt werden. So<br />
wurde für angestellte PharmazeutInnen ein Quartiersgeld eingeführt, welches für alle<br />
Gehaltsstufen in der Höhe eines 14. Monatsgehaltes ausbezahlt wurde. 139<br />
Zu Beginn des Jahres 1931 spitzte sich der Konflikt zwischen den VertreterInnen der<br />
Berufsgruppe der Pharmazeuten im Bund der Industrieangestellten Österreichs und dem<br />
Pharmazeutischen Reichsverband zu. In einem Rundschreiben der Berufsgruppe der<br />
Pharmazeuten im Bund der Industrieangestellten Österreichs im Februar 1931 wurde der<br />
Pharmazeutischen Reichsverband scharf angegriffen. Kritisiert wurden nicht nur der<br />
undemokratische Aufbau der Organisation, sondern auch die „hakenkreuzlerische“<br />
Tendenz zahlreicher Mitglieder und – als Hauptkritikpunkt – Abmachungen mit den<br />
VertreterInnen der <strong>Arbeit</strong>geberInnengruppe und somit ein gegen das Interesse der<br />
<strong>Arbeit</strong>nehmerInnen stehendes Verhalten. Otto Nowotny bezeichnete in seinen Artikeln<br />
über die Geschichte des Reichsverbandes diese Vorwürfe zwar als unbegründet, stellte<br />
aber fest, dass bereits 1919 innerhalb des Reichsverbandes eine Gruppe<br />
nationalsozialistischer PharmazeutInnen gegründet und im Dezember 1927 das<br />
„Führerprinzip“ eingeführt wurde. Er stellte weiters eine langsame und stille<br />
Unterwanderung des an sich unpolitischen Reichsverbandes durch nationalsozialistisch<br />
gesinnte PharmazeutInnen fest. Auch die Kritik bezüglich der Abmachungen des<br />
Reichsverbandes mit <strong>Arbeit</strong>geberInnen beurteilt Nowotny als unbegründet und weist auf<br />
die korrekte und stets im Sinne der angestellten ApothekerInnen erfolgte Vertretung des<br />
Standes durch den Reichsverband hin. 140 Wird die weiter oben erwähnte Klage des<br />
Allgemeinen Österreichischen Apotheker-Vereins über das Abstimmungsverhalten in den<br />
Gremien der Gehaltskasse in Betracht gezogen, ist der Vorwurf der Berufsgruppe der<br />
Pharmazeuten – unbegründet oder nicht – zumindest nachvollziehbar. Immerhin sah sich<br />
138 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1984, 59523-30; ebd., Kt. 1983, 112133-30; vgl. Franz Dittrich, Änderungen im<br />
Stellenlosenfonds, in: Pharmazeutische Post, Nr. 52 (1929), 645.<br />
139 Vgl. Rauch, 50 Jahre, 627.<br />
140 AdAKW, Rundschreiben der Pharmazeuten im Bund der Industrieangestellten Österreichs, Februar 1931; vgl.<br />
Nowotny, Von der Monarchie zur Republik, 624; Nowotny, Geschichte des Pharmazeutischen Reichsverbandes, 33ff.<br />
54
der Reichsverband nach diesem Angriff der sozialistischen PharmazeutInnen dazu<br />
angehalten, einen „Bericht über die Organisationsverhältnisse innerhalb der angestellten<br />
Apotheker Österreichs“ zu verfassen und ließ diesen auch dem Bundesministerium<br />
zukommen. Der Bericht ist eine Zusammenfassung der Organisationsverhältnisse der<br />
<strong>Arbeit</strong>nehmerInnen seit 1919, zeigt die Größenverhältnisse der jeweiligen Interessensgruppen<br />
und ihr Engagement in der Standespolitik auf und präsentiert den Reichsverband<br />
141<br />
als die einzige politisch relevante Organisation der angestellten Apotheker. Diese<br />
Darstellung entspricht zumindest in Bezug auf die Anzahl der Mitglieder und die politische<br />
Durchsetzungskraft des Reichsverbandes den damaligen Verhältnissen innerhalb der<br />
<strong>Arbeit</strong>nehmerInnengruppe.<br />
3.2. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929<br />
Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 wurden in der<br />
österreichischen Wirtschaft erst in den Jahren 1931 und 1932 spürbar. Die wirtschaftliche<br />
Situation der PharmazeutInnen und ApothekenbesitzerInnen wurde immer schwieriger und<br />
viele – vor allem LandapothekerInnen – hatten um ihr wirtschaftliches Überleben zu<br />
kämpfen. Die Wirtschaftskrise beeinträchtigte auch die Pharmazeutischen Gehaltskasse,<br />
die Außenstände der Mitglieder stiegen wieder an. Nach einem Bericht des Präsidenten<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Dittrich, erstattet in der Hauptversammlung der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
vom 16. Dezember 1931, stieg die Höhe der rückständigen Umlagen von 100.000<br />
Schilling im Jahr 1930 auf 360.000 Schilling im Jahr 1931. 142 Mit der kritischen wirtschaftlichen<br />
Situation, in der sich manche ApothekerInnen befanden, ging auch der Abbau<br />
von Dienstposten angestellter ApothekerInnen einher, der wiederum den erst 1930<br />
geschaffenen Stellenlosenfonds sowie den Notstandsfonds belastete. 143 Als Reaktion auf<br />
diese Probleme der Fonds stellte der Vorstand der Pharmazeutischen Gehaltskasse in<br />
besagter Hauptversammlung den Antrag auf Erhöhung der Mitgliedsbeiträge. Im zweiten<br />
Punkt dieses Antrages wurden auch die Bedingungen für eventuelle Ermäßigungen der<br />
erhöhten Mitgliedsbeiträge festgelegt. So sollte eine Ermäßigung möglich sein, wenn der<br />
Betrieb so geführt wurde, dass eine Beeinträchtigung der Zahlungsfähigkeit anderer<br />
141 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 1983, 81589-30.<br />
142 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 2017, 42910-1931, Protokoll der Pharmazeutischen Gehaltskasse vom 16.12.1931.<br />
143 Ebd.; zur Erinnerung: Der Notstandsfonds war zur Unterstützung von Angehörigen des Apothekerstandes und<br />
deren Hinterbliebenen geschaffen worden.<br />
55
Umlagenträger ausgeschlossen war. Die Voraussetzung für eine Ermäßigung war laut<br />
Antrag nur dann gegeben, wenn das jeweilige Mitglied einer „Konvention der Apotheker“<br />
beigetreten war. 144 Dieser recht unscheinbar anmutende Antrag führte zu einer recht<br />
außergewöhnlichen Krise in der Beziehung der Pharmazeutischen Gehaltskasse zum<br />
Bundesministerium für soziale Verwaltung. In den Dokumenten und Akten ab 1922 – also<br />
nach Beendigung der Verstaatlichungsbestrebungen durch Dr. Tandler und Ferdinand<br />
Hanusch – ist so gut wie nichts darüber zu finden, dass die zuständigen Beamten und<br />
auch der Bundesminister von ihrem Einspruchsrecht Gebrauch gemacht hätten. Im Zuge<br />
der Besprechung über die Erhöhung des Mitgliedsbeitrages kam es allerdings in der<br />
Hauptversammlung vom 16. Dezember 1931 zu einem recht heftigen Wortwechsel mit<br />
Bundeskommissär Dr. Max Fizia beziehungsweise zu heftigen verbalen Angriffen auf den<br />
damaligen Bundesminister für Soziales Dr. Josef Resch.<br />
Nachdem der Antrag auf Erhöhung der Mitgliedsbeiträge in einer namentlichen<br />
Abstimmung einstimmig angenommen wurde, ergriff Dr. Fizia das Wort und wies die<br />
Anwesenden darauf hin, dass diesem Beschluss von Seiten des Ministeriums Bedenken<br />
anhafteten. Es sei nicht eindeutig geklärt, ob die Erhöhung in dieser Form mit dem<br />
Gehaltskassengesetz von 1928 konform gehe. Weiters erklärte Dr. Fizia, dass sich<br />
Bundesminister Dr. Resch seine Zustimmung zu diesem Beschluss vorbehalte. 145 Nach<br />
dieser Anmerkung fragte Apotheker Dr. Karl Zeidler, ob die geplante Erhöhung der einzige<br />
Grund für den Einspruch sei oder ob der Einfluss Hofrat Mayers von den Krankenkassen,<br />
der bei Minister Resch gegen die Apotheker opponiere, nicht eher der Grund für eine<br />
etwaige Ablehnung sei. Dr. Fizia entgegnete daraufhin, dass es entscheidend sei, egal<br />
welche Regelung es betreffe, dass diese im Rahmen der Gesetze stehe. <strong>Mag</strong>. Dittrich<br />
verschärfte die Angriffe auf Minister Resch noch und meinte, dass dieser im Vorfeld über<br />
den Antrag informiert worden sei und erklärt hätte, dass es von seiner Seite keinen<br />
Einspruch gegen diesen Beschluss der Hauptversammlung geben würde. Er stellte<br />
weiters fest, dass nach diesem offensichtlichen Meinungsumschwung jemand den Minister<br />
beeinflusst haben müsse. Darüber hinaus lasse er sich als amtsführender Obmann der<br />
Gehaltskasse eine solche Vorgehensweise nicht gefallen und würde mit allen ihm zur<br />
Verfügung stehenden Mitteln die Autonomie der Gehaltskasse bewahren. Sollte der<br />
Bundesminister bei seiner ablehnenden Haltung zum Beschluss der Hauptversammlung<br />
144 Ebd., Kt. 2017, Z. 113686/10-1931 in 42910-1931, 1.<br />
145 Ebd., Kt. 2017, 42910-1931, Protokoll der Pharmazeutischen Gehaltskasse vom 16.12.1931.<br />
56
leiben, stellte Präsident <strong>Mag</strong>. Hummer schließlich fest, dann würde der Verwaltungsgerichtshof<br />
zu entscheiden haben, ob die Gehaltskasse im Recht sei. Abschließend wies<br />
Dr. Fizia nochmals daraufhin, dass dem Bundesminister laut §12 des Gehaltskassengesetzes<br />
ein Aufsichtsrecht zustände, um für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen. Die<br />
Debatte hatte Dr. Fizia offenbar so zugesetzt, dass er nach Ende der Diskussion die<br />
Hauptversammlung wegen Unwohlseins für einige Zeit verließ. 146<br />
Die Antwort des Bundesministeriums auf den Beschluss zur Beitragserhöhung fiel sachlich<br />
und kühl aus: Die beschlossene Erhöhung der Mitgliedsbeiträge wurde per Bescheid<br />
untersagt. Die Untersagung wurde damit begründet, dass der gefasste Beschluss mit<br />
bestehenden Gesetzen nicht konform gehe, dass Mitgliedsbeiträge nur für Anstaltszwecke<br />
eingehoben und verwendet werden dürften und dass diese Beiträge außerdem laut §2<br />
Abs. 2 des Gehaltskassengesetzes dem Notstandsfonds zufließen müssten. Eine Erhöhung<br />
oder Verringerung der Mitgliedsbeiträge dürfe nur aus Erfordernissen des<br />
Notstandsfonds heraus begründet werden, diese Erfordernisse seien aber weder im<br />
Antrag noch im Beschluss artikuliert worden. Nach Ansicht des Bundesministeriums liege<br />
der ausschließliche Zweck dieser geplanten Beitragserhöhung und der Bedingungen für<br />
eine Ermäßigung derselben darin, die ApothekenbesitzerInnen zur Unterzeichnung der in<br />
§2 des Antrages erwähnten Konvention anzuhalten. 147 Zusammenfassend stellte das<br />
Bundesministerium fest, dass der Beschluss zur Erhöhung der Mitgliedsbeiträge einzig<br />
den Zweck verfolgt hätte, dem Vorstand der Pharmazeutischen Gehaltskasse „ein einer<br />
Strafsanktion gleichkommendes Machtmittel zu bieten, um die Apothekenbesitzer zu<br />
einem bestimmten Verhalten zu veranlassen“ 148 . Es ist anzunehmen, dass die Pharmazeutische<br />
Gehaltskasse die Entscheidung des Bundesministeriums letztlich akzeptierte, da<br />
gerade in finanziell schwierigen Zeiten die Unterstützung der zuständigen Behörden von<br />
enormer Bedeutung für die Gehaltskasse war.<br />
Der Entwurf der erwähnten Konvention wurde am 7. Dezember 1931 vom<br />
Standesausschuß der österreichischen Pharmazie, der sich aus dem Allgemeinen<br />
Österreichischen Apotheker-Verein, dem Bund österreichischer Apotheker und dem<br />
Reichsverband für Österreich<br />
zusammensetzte, an die ApothekenbesitzerInnen<br />
ausgesandt. Offenbar hatten die beiden Organisationen der ApothekenbesitzerInnen ihre<br />
146 Ebd.<br />
147 Ebd., Kt. 2017, Z. 113686/10-1931 in 42910-1931, 2-4.<br />
148 Ebd., 6.<br />
57
Konflikte beigelegt oder sich zumindest für diese Aktion auf ein gemeinsames Vorgehen<br />
geeinigt. In einem Begleitbrief zur Konvention wurden die KollegInnen daran erinnert, dass<br />
die Not der Zeit es mit sich gebracht habe, das es auf dem Gebiet des Wettbewerbes<br />
unter den FachkollegInnen schwere Schädigungen und Verstöße gegeben habe. Um<br />
diesen „unlauteren Wettbewerb auszumerzen“, wurden die KollegInnen aufgefordert, die<br />
Konvention, die vom Standesausschuss als Mittel zur Bekämpfung des unlauteren<br />
Wettbewerbs ausgearbeitet worden war, zu unterschreiben. Am Schluss des Briefes<br />
wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben – dies konnte durchaus auch als Drohung<br />
verstanden werden –, dass alle KollegInnen, so sie nicht als „Standesschädlinge“<br />
betrachtet werden wollten, die Konvention unterzeichnen würden. 149 Mit der<br />
Unterzeichnung der Konvention verpflichteten sich die ApothekenbesitzerInnen unter<br />
anderem dazu, kein Medikament unterhalb des vom Bundesministerium für soziale<br />
Verwaltung festgelegten Preises zu verkaufen. Im Falle einer Verletzung dieser<br />
Verpflichtung durch einen beigetretenen Apotheker oder eine Apothekerin sollte eine<br />
Kommission zusammentreten, die Konvektionsstrafen von 10 bis 10.000 Schilling<br />
verhängen konnte. Die Konvention wurde auf vier Jahre befristet. Wie erfolgreich dieser<br />
Aufruf der Standesvertretung war, ist auch daran festzumachen, dass in einer Note des<br />
Bundeskommissärs Dr. Zichardt vom 12. Jänner 1932 festgestellt wird, dass nur acht<br />
Apotheker die Unterschrift verweigert hätten. Neben diesen acht Apothekern weigerte sich<br />
auch Bundesminister Resch diese Konvention für die Bundesapotheken zu<br />
unterschreiben. 150 Im Jänner 1936, als das Abkommen zwischen den ApothekenbesitzerInnen<br />
erneuert wurde, traten die Bundesapotheken diesem wiederum nicht bei.<br />
Sozialminister Dr. Josef Dobretsberger begründete dies damit, dass es durch<br />
Unterzeichnung des Abkommens unmöglich geworden wäre, Staatsbediensteten weiterhin<br />
Rabatte auf Medikamente zu gewähren. 151<br />
3.3. Veränderungen durch den austrofaschistischen Ständestaat<br />
Der Umbruch des Jahres 1933 in der österreichischen Politik – Ausschaltung des<br />
Parlaments am 4. März 1933 durch die christlich-soziale Partei und die Etablierung des<br />
austrofaschistischen Staates durch die Vaterländische Front – hatte auf die<br />
149 Ebd., Kt. 2222, 5762-36, 112102-31.<br />
150 Ebd., Kt. 2222, 5762-36, 10593-32.<br />
151 Ebd., Kt. 2222, 5762-36.<br />
58
Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich vorerst kaum Auswirkungen. Nach und<br />
nach häuften sich allerdings Anschuldigungen, in denen den führenden VertreterInnen der<br />
Standesorganisationen und der Pharmazeutischen Gehaltskasse fehlende Unterstützung<br />
für die Vaterländische Front und den Ständestaat vorgeworfen wurde. So kam es laut<br />
einem Artikel in der Wiener Zeitung vom 9. Juli 1933 bei der Hauptversammlung des<br />
Wiener Apothekergremiums zu einem Eklat, als Apotheker Dr. Arnold Ludwig Stumpf den<br />
Vorstand aufforderte, sich geschlossen hinter die Regierung Dollfuß zu stellen und sich zur<br />
Vaterländischen Front zu bekennen, um diese in den schwierigen Zeiten zu unterstützen.<br />
Der Vorsitzende des Apothekergremiums <strong>Mag</strong>. Gustav Hummer wertete diese Aufforderung<br />
als politische Demonstration, entzog Dr. Stumpf das Wort und schloss danach<br />
die Hauptversammlung vorzeitig. In diesem Artikel wurde weiters erwähnt, dass sich im<br />
Laufe des Frühjahres 1933 vierzig ApothekerInnen – unter ihnen zwei Beamte der von<br />
<strong>Mag</strong>. Hummer geleiteten Versicherungsanstalt, <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister und Oskar Teufel<br />
– dem sich zur aufgelösten NSDAP bekennenden Ärztebund angeschlossen hatten. Der<br />
Redakteur wies weiters darauf hin, dass das „Laimgrubenhaus“, in welchem damals die<br />
Versicherungsanstalt und die Pharmazeutische Gehaltskasse untergebracht waren, in<br />
Branchenkreisen als das „Braune Haus“ bekannt sei. Der unserer Einschätzung nach nicht<br />
unberechtigte Hinweis auf nationalsozialistische SympathisantInnen innerhalb des<br />
Apothekergremiums und der Pharmazeutischen Standesinstitute sowie die Anschuldigung<br />
mangelnder Unterstützung der Vaterländischen Front bargen eine gewisse Gefahr in sich.<br />
Der Vorstand des Apothekergremiums und <strong>Mag</strong>. Hummer sahen sich daher veranlasst,<br />
eine Gegenschrift über die Geschehnisse bei der Vorstandssitzung zu verfassen, in der sie<br />
Dr. Stumpf als Querulanten darstellten, um obigen Anschuldigungen die Spitze zu<br />
nehmen. 152<br />
Erst im Dezember 1933 beziehungsweise im Jänner 1934 mussten auch die<br />
pharmazeutischen Standesvertretungen auf die vom austrofaschistischen Staat<br />
gewünschten und geforderten ständestaatlichen Gesellschaftsreformen reagieren. In<br />
einem Brief vom 19. Jänner 1934 wurde das Bundesministerium für soziale Verwaltung<br />
über einen Beschluss der VertreterInnen der Gesamtheit des österreichischen Apothekerstandes<br />
vom 27. Dezember 1933 informiert, in der der österreichische Apothekerstand<br />
„ein feierliches Bekenntnis zum Ständegedanken ablegt und in diesem Sinne eine<br />
Zusammenlegung der gesetzlichen Vertretungskörper (Gremien und Ausschüsse)<br />
152 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 2089, 58477-33, Wiener Zeitung vom 09.07.1933.<br />
59
vollzieht“. 153 Zum Abschluss des Briefes wurde betont, dass die freiwillige<br />
Zusammenlegung der Vertretungskörper einen Akt des guten Willens darstelle, und darauf<br />
hingewiesen, dass der österreichische Apothekerstand ohnehin seit mehr als einem<br />
Jahrzehnt am ständischen Aufbau des Berufes gearbeitet habe. 154 In einem weiteren Brief<br />
vom 27. Jänner 1934 wurde von <strong>Mag</strong>. Schweder, Dr. Portisch, <strong>Mag</strong>. Hummer,<br />
<strong>Mag</strong>. Dittrich und <strong>Mag</strong>. Kurtics die Zusammenlegung der pharmazeutischen<br />
Organisationen zum Freien Berufsstand österreichischer Apotheker per 26. Jänner 1934<br />
bekannt gegeben. 155<br />
Ab Mitte 1933 häuften sich die Angriffe und Beschuldigungen gegen die Obmänner und<br />
den Vorstand der Pharmazeutischen Gehaltskasse. Auch die Tiroler Apothekervereinigung<br />
unter Führung des Apotheker <strong>Mag</strong>. Joseph Malfatti verschärfte die Konfrontation um<br />
Belange der Gehaltskasse. So reichte im September 1933 <strong>Mag</strong>. Malfatti eine Dienstbeschwerde<br />
gegen die Gehaltskasse ein und warf dem Vorstand und den Entscheidungsträgern<br />
willkürliche Kontingentierung bei der Vergabe von AspirantInnenplätzen vor. Die<br />
zuständigen Beamten im Bundesministerium forderten daraufhin eine Stellungnahme der<br />
Gehaltskasse. Diese wies die Vorwürfe zurück, verteidigte die Vergabepolitik bei<br />
AspirantInnenstellen und versuchte, <strong>Mag</strong>. Malfatti zu diskreditieren. 156 Am 15. Februar<br />
1934 wendete sich <strong>Mag</strong>. Malfatti daher direkt an Minister Dr. Kurt Schuschnigg, um diesen<br />
auf die Misswirtschaft in den Standesinstituten hinzuweisen, sich über den zu großen<br />
Verwaltungsapparat und die zu hohen Gehälter der Direktoren in der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse zu beschweren und über die nationalsozialistische Gesinnung der<br />
Präsidenten <strong>Mag</strong>. Hummer und <strong>Mag</strong>. Dittrich zu berichten. 157 Im Frühjahr 1934 beschwerte<br />
sich <strong>Mag</strong>. Malfatti als Vertreter des Wirtschaftsverbandes österreichischer Apotheker<br />
erneut über die Standesführung, über den Entwurf des Apothekenkammergesetzes und<br />
wiederum über <strong>Mag</strong>. Hummers und <strong>Mag</strong>. Dittrichs Nähe zur NSDAP. 158 Die Pharmazeutische<br />
Gehaltskasse musste zwar auf diese Kritik reagieren, im Großen und Ganzen<br />
hatten diese Beschwerden aber, wahrscheinlich auch aufgrund der geringen Anzahl von<br />
UnterstützerInnen, keine Auswirkungen. Erstaunlicherweise hatten auch die von anderen<br />
Personen vorgebrachten Hinweise auf die nationalsozialistische Gesinnung der Obmänner<br />
153 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 2089, 92261-33.<br />
154 Ebd.<br />
155 Ebd., Kt. 2179, 27221-35.<br />
156 Ebd., Kt. 2091, III-90307-33.<br />
157 Ebd., Kt. 2136, 110912-34.<br />
158 Ebd., Kt. 2135, 10144-34.<br />
60
<strong>Mag</strong>. Gustav Hummer und <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich keine Konsequenzen. Im Sommer 1934<br />
sorgte allerdings der Artikel „Memento“ von <strong>Mag</strong>. Gustav Hummer in den von ihm herausgegebenen<br />
„Freien Apothekerstimmen“, der Zeitschrift des Bundes österreichischer<br />
Apotheker, für einen Skandal. <strong>Mag</strong>. Hummers Artikel war ein kritischer Nachruf auf den<br />
beim nationalsozialistischen Putschversuch am 25. Juli 1934 ermordeten Bundeskanzler<br />
Engelbert Dollfuß. In seinem Artikel bagatellisierte er den Putschversuch, bezeichnete den<br />
Tod Dollfuß’ als nicht geplanten Zwischenfall und stellte dessen Politik als unglücklich und<br />
dessen Schicksal als unvermeidlich dar. Als Reaktion des austrofaschistischen<br />
Ständestaates auf diesen Artikel wurden die „Freien Apothekerstimmen“ verboten und<br />
<strong>Mag</strong>. Hummer musste als Obmann des Wiener Apotheker-Hauptgremiums, der<br />
Versicherungsanstalt der Pharmazeuten und der Pharmazeutischen Gehaltskasse für<br />
Österreich im Oktober 1934 zurücktreten. Als neuer Obmann wurden Dr. Hans Portisch<br />
und zum neuen Vizeobmann <strong>Mag</strong>. Robert Paul gewählt. 159 Außer dem Rücktritt von<br />
<strong>Mag</strong>. Hummer hatte dieser Skandal vorerst keine weiteren Auswirkungen auf die <strong>Arbeit</strong><br />
der Pharmazeutischen Gehaltskasse. Eine vom 3. bis 14. September 1934 durchgeführte<br />
Überprüfung der wirtschaftlichen Gebarung der Gehaltskasse durch den Rechnungshof<br />
kann allerdings ebenso wie der erzwungene Rücktritt <strong>Mag</strong>. Hummers als Reaktion der<br />
Regierung auf die vorangegangenen Ereignisse des Sommers 1934 gedeutet werden.<br />
Zwar brachte diese Untersuchung keine schwerwiegenden Verfehlungen der<br />
Verantwortlichen in der Gehaltskasse zum Vorschein, deckte aber immerhin einige<br />
Ungereimtheiten auf und setzte den Vorstand unter Druck. Beanstandet wurde unter<br />
anderem, dass der Bruder des zu dieser Zeit noch amtierenden Obmanns <strong>Mag</strong>. Gustav<br />
Hummer, Dr. Günther Hummer, und dessen beider Schwager, Dr. Josef Walters, sowohl<br />
kontrollierende Tätigkeiten ausübten als auch gleichzeitig in der Versicherungsanstalt als<br />
behandelnde Ärzte fungierten. So war Dr. Günther Hummer Chefarzt und Dr. Josef<br />
Walters Chefzahnarzt der Versicherungsanstalt für Pharmazeuten. Auch die recht<br />
undurchsichtigen finanziellen Transaktionen zwischen Versicherungsanstalt und<br />
Pharmazeutischer Gehaltskasse wurden beanstandet. Ferner brachte die Überprüfung<br />
durch den Rechnungshof zahlreiche Kreditvergaben an einzelne ApothekerInnen zu Tage,<br />
die aber als ordnungsgemäß abgewickelt qualifiziert wurden. Die Bücher und die<br />
Gebarung der Versicherungsanstalt wurden abschließend als im Großen und Ganzen<br />
korrekt bezeichnet. Trotzdem findet sich in einer internen ministeriellen Note die<br />
159 Ebd., Kt. 2179, 73556-34, 29702-35 u. 26973-35; vgl. Otto Nowotny, Die österreichischen pharmazeutischen<br />
Zeitschriften in Vergangenheit und Gegenwart, in: ÖAZ, Nr. 51/52(1981), 1008.<br />
61
Feststellung, dass die Ausgabenwirtschaft <strong>Mag</strong>. Dittrichs und <strong>Mag</strong>. Hummers außergewöhnlich<br />
großzügig gewesen wäre und sich beide für ihre Funktionärstätigkeiten<br />
reichlich hätten entlohnen lassen. Weiters stellte besagte Aktennotiz fest, dass nach der<br />
Untersuchung des Rechnungshofes in beiden Anstalten gegen <strong>Mag</strong>. Gustav Hummer und<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Dittrich Anzeige wegen Betrugs erstattet wurde. Die angestrengten Strafverfahren<br />
mussten allerdings später ergebnislos eingestellt werden. 160<br />
Im November 1934 richtete der Berufsstand der Österreichischen Apotheker ein Schreiben<br />
an den Vizekanzler und Sozialminister Fürst Ernst Rüdiger Starhemberg, in dem er sich<br />
darüber beklagte, dass kein Pharmazeut in den Staatsrat und den Bundeswirtschaftsrat<br />
berufen wurde. In einer recht langwierigen Argumentation versuchten die Vertreter des<br />
Berufsstandes auf die Eigenarten der Apothekenbetriebe und des pharmazeutischen<br />
Berufes hinzuweisen, um so die Berufung eines Pharmazeuten in eines dieser Gremien zu<br />
fordern. Weiters wendeten sich die PharmazeutInnen gegen die Eingliederung des<br />
Apothekerstandes in einen Bund der freien Berufe und verwiesen ein weiteres Mal auf die<br />
Besonderheiten des Berufes, auf die wegen dieser Eigenheiten geschaffenen Sondergesetze<br />
und die eigenen, bereits bestehenden Standesinstitute. Mit diesem Schreiben<br />
konnte tatsächlich die vollständige Eingliederung der ApothekerInnen in den Bund der<br />
freien Berufe verhindert werden und die Beibehaltung einer selbstständigen Stellung in<br />
diesem Bund erreicht werden. 161 Im März 1935 gab der Apothekerstand dem Sozialminister<br />
Odo Neustädter-Stürmer die Bildung des freiwilligen Berufsstandes der Apotheker<br />
mit Einbindung von Vertreter der Gewerkschaft des Personals in Apotheken, Bädern, Heilund<br />
Pflegeanstalten bekannt, der bisher nicht in den Berufsstand der Apotheker eingegliedert<br />
war. Die Gewerkschaft, welche die pharmazeutischen Hilfskräfte vertrat, war<br />
nun also ebenfalls mit Delegierten im Berufsstand der Apotheker vertreten. Damit gingen<br />
die Standesgruppen der ApothekenbesitzerInnen und AssistentInnen auf die Forderungen<br />
der Vaterländischen Front ein, diese einzubinden. 162<br />
1935 waren die massiven Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise im Apothekerstand<br />
immer noch zu spüren. Viele ApothekenbesitzerInnen waren hoch verschuldet, aber vor<br />
allem die angestellten ApothekerInnen hatten unter der wirtschaftlichen Rezession zu<br />
leiden. Die <strong>Arbeit</strong>slosigkeit war enorm gestiegen, und auch die Zahl der nur Teilzeit<br />
160 ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 2279, 34990-10/36, 48762-10/36.<br />
161 Ebd., Kt. 2179, 60641-35.<br />
162 Ebd. 27841-35.<br />
62
arbeitenden PharmazeutInnen wurde immer größer. Diese schlechte wirtschaftliche<br />
Situation hatte auch Auswirkungen auf die Pharmazeutische Gehaltskasse: Seit Ende<br />
1933 wurden keine sozialen Erneuerungen mehr eingeführt. Deshalb schaffte es der<br />
Vorstand, dass die Pharmazeutische Gehaltskasse positiv bilanzieren konnte. Ein weiteres<br />
Problem stellte auch die immer größer werdende Kluft zwischen relativ großen und trotz<br />
Wirtschaftskrise erfolgreichen Stadtapotheken und den kleinen, am Existenzminimum<br />
wirtschaftenden Landapotheken dar. Es verwundert daher kaum, dass immer wieder Kritik<br />
an der Geschäftsführung der Gehaltskasse laut wurde. Als Beispiel für die kritischen<br />
Stimmen soll hier ein Schreiben zweier Assistenten, <strong>Mag</strong>. Richter und <strong>Mag</strong>. Steiner, an<br />
den Bundesminister für soziale Verwaltung aus dem Jahr 1936 angeführt werden.<br />
<strong>Mag</strong>. Richter und <strong>Mag</strong>. Steiner warfen in diesen Brief den Funktionären des<br />
Reichsverbandes – allen voran <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich – vor, nichts gegen die furchtbare<br />
Situation der angestellten PharmazeutInnen, wie hohe <strong>Arbeit</strong>slosigkeit und massive<br />
Überstundendienste mit geringer Bezahlung, zu unternehmen, sondern im Gegenteil mit<br />
den ApothekenbesitzerInnen zu paktieren. Sie beriefen sich dabei auf einen Vortrag<br />
<strong>Mag</strong>. Dittrichs in Salzburg, laut dem Anfang 1936 nur zwanzig Prozent der PharmazeutInnen<br />
vollbeschäftigt waren, während die anderen achtzig Prozent der angestellten<br />
PharmazeutInnen so genannte „Teildienstler“ oder überhaupt arbeitslos waren. Die<br />
Verfasser führten diese Missstände auch auf die Praxis der BesitzerInnen zurück, die<br />
Familienangehörige, Verwandte oder Hilfskräfte für pharmazeutische Tätigkeiten herangezogen<br />
hätten, ohne diese bei der Gehaltskasse entsprechend anzumelden. Dies sei<br />
wohl – so die Autoren – nur deshalb möglich, weil <strong>Mag</strong>. Dittrich selbst zu jeweils fünfzig<br />
Prozent Mitbesitzer zweier Apotheken in Baden und Wien sei. Als Gegenmaßnahme zur<br />
hohen <strong>Arbeit</strong>slosigkeit forderten <strong>Mag</strong>. Richter und <strong>Mag</strong>. Steiner den durch die Gehaltskasse<br />
erwirtschafteten Überschuss zur Senkung der Beiträge der ApothekenbesitzerInnen<br />
zu verwenden, um diesen die Möglichkeit zu geben, mehr PharmazeutInnen<br />
anzustellen. 163 Diese und weitere Forderungen der beiden Assistenten wurden allerdings<br />
in der Folge nicht umgesetzt.<br />
Im Laufe des Jahres 1937 verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Dittrich in seiner Position als Präsident des Reichsverbandes und der<br />
zuständigen Behörde. <strong>Mag</strong>. Dittrich griff in einer Rede, welche er bei der Hauptversammlung<br />
des Vereins hielt, den Bundesminister und die Beamten des Ministeriums so<br />
163 Ebd., Kt. 2279, 34990-10/36.<br />
63
heftig an, dass diese die Versammlung aus Protest frühzeitig verließen. Er kritisierte die<br />
Unsicherheit des Rechtsschutzes auf dem Gebiet des Apothekerwesens sowie die<br />
Tätigkeit der österreichischen Heilmittelstelle und schloss seine Rede mit der Forderung,<br />
das Apothekerwesen wieder in den Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums<br />
einzugliedern. Die Regierung reagierte auf die Veröffentlichung dieser Rede in der<br />
Pharmazeutischen Presse, indem sie diese Nummer der Zeitschrift beschlagnahmen<br />
ließ. 164<br />
In den historischen Betrachtungen der Geschichte der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
der 1930er-Jahre ist festzustellen, dass die Entwicklung dieser Institution einerseits von<br />
den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1929 und andererseits von der politischen<br />
Zäsur 1933 geprägt war. Während der Vorstand der Gehaltskasse bis 1933 trotz<br />
zahlreicher Streitigkeiten und Konflikte zwischen den <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen und<br />
<strong>Arbeit</strong>geberInnen den Ausbau an sozialen Errungenschaften fortführen konnte, ist ab 1933<br />
in dieser Hinsicht auch durch die Umstellungen und Reformen der Berufsstände im<br />
austrofaschistischen Staat eine Stagnation zu bemerken. Es entsteht weiters der Eindruck,<br />
dass die Funktionäre der Gehaltskasse zwar bemüht waren, die sozialen<br />
Errungenschaften zu erhalten und das tägliche Geschäft der Institution zu gewährleisten,<br />
aber die gleichzeitige Führungsposition vieler Vorstandsmitglieder in anderen<br />
Standesorganisationen und die damit verbundenen Verwicklungen in politische<br />
Streitigkeiten, Skandale und Bemühungen, die Sonderstellung des Apothekerstandes zu<br />
erhalten, sie daran hinderten, ihre <strong>Arbeit</strong> voll und ganz auf die Gehaltskasse zu<br />
konzentrieren. Auch die durch die Machtergreifung der Vaterländischen Front und die<br />
Ausschaltung des österreichischen Parteienstaats ausgelöste Welle an Anzeigen,<br />
Denunziationen und Beschwerden gegenüber den Vorstandmitgliedern war für die<br />
Entwicklung der Gehaltskasse ab 1933 nicht förderlich. Die wirtschaftliche Krisensituation<br />
Mitte der 1930er-Jahre bedingte eine hohe <strong>Arbeit</strong>slosigkeit und ließ den Unmut vieler<br />
AssistentInnen steigen. Diese begannen bald damit, die Standespolitik des<br />
Reichsverbandes und die Politik der Gehaltskasse zu hinterfragen. Auch die großzügige<br />
Entlohnung und dubiose Geschäfte der leitenden Funktionäre halfen nicht, das Vertrauen<br />
der AssistentInnen in die Gehaltskasse zu stärken. Die von Otto Nowotny festgestellte<br />
nationalsozialistische Unterwanderung des Reichsverbandes ab 1929 steht in enger<br />
164 Vgl. Franz Dittrich, Bericht zur Hauptversammlung des Pharmazeutischen Reichsverbandes für Österreich, in:<br />
Pharmazeutische Presse, Nr. 21/22 (1937), o.S.; ÖStA, AdR, BMfsV, Kt. 2279, 55 333/37, IV-60282-10/37.<br />
64
Verbindung zu dem immer kritischer werdenden Verhältnis dieser Standesorganisation zu<br />
den Beamten des Bundesministeriums für soziale Verwaltung. Das schlechter werdende<br />
<strong>Arbeit</strong>sklima zwischen <strong>Mag</strong>. Dittrich und dem Bundesministerium für soziale Verwaltung<br />
belastete auch die <strong>Arbeit</strong> der Gehaltskasse. Trotzdem gelang es der Gehaltskasse, ihren<br />
wichtigsten Aufgaben nachzukommen, nämlich den Lohn an die angestellten<br />
ApothekerInnen auszuzahlen und die gröbsten sozialen Schwierigkeiten der Mitglieder<br />
durch Zahlungen aus diversen Fonds zu lindern.<br />
65
4. Der ‚Anschluß‘ 1938 und seine Auswirkungen auf die<br />
österreichische Apothekerschaft<br />
4.1. Die Auflösung der pharmazeutischen Standesorganisationen und<br />
die Gleichschaltung der Standespresse<br />
Mit dem ‚Anschluß‘ am 13. März 1938 erfolgte auch die Auflösung der Berufsverbände<br />
und Vereine der österreichischen PharmazeutInnen beziehungsweise deren Übernahme<br />
durch die Deutsche Apothekerschaft. Am 21. März wurde <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich zum<br />
Kommissarischen Leiter des Pharmazeutischen Reichsverbandes und der Freien<br />
Gewerkschaft der angestellten Apotheker Österreichs 165 und am 28. März 1938 – über<br />
Auftrag des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen<br />
Reich und Gauleiters Josef Bürckel – von Albert Hoffmann, dem Stillhaltekommissar für<br />
Vereine, Organisationen und Verbände, zum Kommissarischen Leiter sämtlicher<br />
pharmazeutischen Verbände und Vereine ernannt. <strong>Mag</strong>. Dittrich selbst ernannte daraufhin<br />
seinerseits mit Zustimmung von Gauleiter Josef Bürckel Unterbevollmächtigte für die<br />
einzelnen Verbände und Vereine in der österreichischen Apothekerschaft. Die Ernennung<br />
der Unterbevollmächtigten erfolgte nach dem Grundsatz, bewährte Partei- und<br />
Volksgenossen, die bisher die Leitung dieser Verbände und Vereine innehatten, auch<br />
weiter in ihren Leitungsfunktionen zu belassen. Dezidiert ausgenommen von der<br />
Verwaltung durch Kommissarische Leiter waren die Pharmazeutische Gehaltskasse für<br />
Österreich und die Versicherungsanstalt für Pharmazeuten. Die beiden Standesanstalten<br />
wurden weiterhin von den bisherigen Obmännern geführt. 166<br />
Bis zur endgültigen Entscheidung über die Zukunft der jeweiligen Organisationen hatten<br />
die Kommissarischen Leiter für die Aufrechterhaltung des Geschäftsverkehrs, die<br />
Sicherung der laufenden Einnahmen – Mitgliedsbeiträge wurden weiter eingehoben – und<br />
die Gewährleistung einer ordentlichen Finanzgebarung zu sorgen. Weiters hatten sie das<br />
Vermögen der Vereine festzustellen und etwaige Angestellte auf ihre politische Zuverlässigkeit<br />
hin zu überprüfen. Sie hatten die Anordnungen des Stillhaltekommissars<br />
165 Pharmazeutische Presse, Nr. 13 (1938), 110.<br />
166 Pharmazeutische Presse, Nr. 14 (1938), 120.<br />
66
durchzusetzen und die Interessen der NSDAP zu wahren. Veränderungen in den <strong>Arbeit</strong>sverhältnissen<br />
und Vertragsabschlüsse jeglicher Art vorzunehmen war ihnen allerdings<br />
genauso untersagt wie die Übernahme fremder Verbindlichkeiten, die Aufnahme von<br />
Krediten oder der Erwerb und die Belastung von Liegenschaften. 167<br />
Ein am 17. Mai 1938 168 verkündetes Gesetz über die Überleitung und Eingliederung von<br />
Vereinen, Organisationen und Verbänden und eine dazu am selben Tag erlassene Durchführungsverordnung<br />
des Reichsstatthalters definierte das Ziel der Tätigkeit des<br />
Stillhaltekommissars und seiner Bevollmächtigten eindeutig: die Ausrichtung des<br />
gesamten Vereins-, Organisations- und Verbandswesen nach den Richtlinien der NSDAP.<br />
Es sollte keinen Verein mehr geben, der nicht von der Partei geführt wurde. Der §1<br />
besagter Durchführungsverordnung stellte dies wie folgt fest:<br />
§1 Der Stillhaltekommisssar hat dafür zu sorgen, daß alle Vereine, Organisationen<br />
und Verbände nationalsozialistisch ausgerichtet und geführt werden. Er hat das<br />
Führungsrecht der NSDAP auf dem Gebiete der Menschenführung<br />
sicherzustellen. 169<br />
Sämtliche Standesorganisationen und Verbände der österreichischen PharmazeutInnen<br />
mit Ausnahme der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich und der Versicherungsanstalt<br />
für Pharmazeuten wurden am 8. August 1938 vom Stillhaltekommissar aufgelöst<br />
beziehungsweise im Falle der Freien Berufsverbände der Deutschen Apothekerschaft<br />
eingegliedert. Als Standesvertretung waren ab diesem Zeitpunkt nur mehr die Deutsche<br />
Apothekerschaft und die Reichsapothekerkammer zugelassen. 170 Das Vermögen der<br />
aufgelösten Vereine und Verbände erhielten die Bezirksverbände Donauland<br />
beziehungsweise Alpenland der Deutschen Apothekerschaft. 171 Zahlreiche wichtige<br />
Funktionen der österreichischen Standesvertretungen waren schon vor dem ‚Anschluß‘<br />
von nationalsozialistisch gesinnten Pharmazeuten übernommen worden, die Zerschlagung<br />
und ‚Abwicklung‘ der Organisationen verlief daher weitgehend friktionsfrei. So bescheingt<br />
ein in der Pharmazeutischen Presse vom 26. März 1938 abgedruckter Brief von Ludwig<br />
167 Vgl. Verena Pawlowsky, Edith Leisch-Prost u. Christian Klösch (Historikerkommission, Hg.), Vereine im<br />
Nationalsozialismus. Vermögensentzug durch den Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände und<br />
Aspekte der Restitution in Österreich nach 1945, Wien 2002, 112.<br />
168 GBlÖ Nr. 136/1938.<br />
169 GBlÖ Nr. 137/1938.<br />
170 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 34 (1938), 27f.<br />
171 Vgl. Pawlowsky, Leisch-Prost u. Klösch, Vereine im Nationalsozialismus, 192.<br />
67
Uhl, in der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) zuständig für die<br />
„berufsständische Durchdringung“ von Betrieben mit NationalsozialistInnen, an <strong>Mag</strong>. Franz<br />
Dittrich, Präsident des Pharmazeutischen Reichsverbandes und Obmann der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse, letzterem seine erfolgreiche Wühlarbeit im Sinne der<br />
NSDAP:<br />
Zur Information Ihrer Berufskreise bestätige ich Ihnen hiermit, daß sie seit mehr als<br />
zwei Jahren ständige Fühlungnahme mit mir und meinem Stellvertreter Herrn<br />
Hebein in politischer Hinsicht hatten. Wir selbst waren durch Reichsminister Ley<br />
beauftragt, Fühlungnahme mit nationalsozialistisch eingestellten Führern der<br />
einzelnen Berufsstände zu nehmen, um eine Durchsetzung dieser Berufsstände mit<br />
nationalsozialistisch eingestellten Männern zu vollziehen und zu veranlassen, daß in<br />
diesen Berufsständen eine nationalsozialistische Tätigkeit entfaltet werden kann.<br />
Sie erhielten von mir aus die Weisung, die bisher vollzogene Tarnung auch weiterhin<br />
beizubehalten, weil sie von mir und meinem Stellvertreter für mustergültig in dieser<br />
Hinsicht anerkannt wurden. Sie haben unser Ziel, die gesetzlichen Vertretungen mit<br />
Nationalsozialisten zu durchsetzen, 100%ig erreicht und es zu Wege gebracht, daß<br />
in der für die Nationalsozialisten so äußerst schwierigen Zeit des Schuschniggsystems<br />
der Apothekerberuf im nationalsozialistischen Sinne geführt wurde. 172<br />
Die österreichischen Standesvertretungen wurden durch zwei große Bezirksorganisationen<br />
ersetzt: Donauland (für die Gaue Wien, Nieder- und Oberdonau) mit Sitz in<br />
Wien und Alpenland (für die Gaue Kärnten, Salzburg, Steiermark und Vorarlberg) mit Sitz<br />
in Innsbruck. Zum Bezirksapothekerführer für den Bezirk Donauland wurde SA-Obertruppführer<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Schweder, zu seinem Stellvertreter SA-Obertruppführer <strong>Mag</strong>. Franz<br />
Dittrich bestellt. Zum Bezirksapothekerführer für den Bezirk Alpenland wurde SA-<br />
Obertruppführer <strong>Mag</strong>. Robert Bichler, zu seinem Stellvertreter <strong>Mag</strong>. August Jungschaffer<br />
bestellt. 173<br />
Die Versicherungsanstalt der Pharmazeuten, seit 1927 auf gesetzlicher Basis in<br />
Verwaltungsgemeinschaft mit der Pharmazeutischen Gehaltskasse und mit eigenen<br />
Abteilungen für die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sowie für erweiterte<br />
Heilbehandlung, Krankheitsvergütung, Unterstützung in Notfällen und einer Sterbekassa<br />
172 Pharmazeutische Presse, Nr. 13 (1938), 110.<br />
173 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 34 (1938), 28.<br />
68
überdauerte das Jahr 1938 ebenfalls nicht. Mit der Verordnung über die Einführung der<br />
Sozialversicherung im Lande Österreich vom 22. Dezember 1938 wurde sie als<br />
selbständige Versicherungseinrichtung aufgelöst und der allgemeinen Sozialversicherung<br />
eingegliedert. 174<br />
Auch die Standespresse der österreichischen Apothekerschaft wurde von der nationalsozialistischen<br />
Gleichschaltung nicht verschont. Im Sinne einer zentralisierten Leitung des<br />
Standes und einer einheitlichen und konformen Meinungsbildung wurden die Fachzeitschriften<br />
Pharmazeutische Post, Pharmazeutische Presse, Pharmazeutische<br />
Monatshefte und Sciencia Pharmazeutica vom Deutschen Apotheker-Verlag Dr. Hans<br />
Hösel übernommen und ihr Erscheinen mit August 1938 eingestellt. Stattdessen erschien<br />
ab 6. August 1938 im Deutschen Apotheker-Verlag die Wiener Pharmazeutische<br />
Wochenschrift als nationalsozialistisches Einheitsorgan der österreichischen<br />
ApothekerInnen. 175<br />
4.2. Die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich 1938<br />
In den Tagen nach dem ‚Anschluß‘ wurden im damaligen Apothekerhaus in Wien-Mariahilf,<br />
Laimgrubengasse 27, die Räumlichkeiten des Pharmazeutischen Reichsverbandes, der<br />
Pharmakred, des Ausschusses der konditionierenden Pharmazeuten, der Pharmazeutischen<br />
Presse, der Pharmazeutischen Gehaltskasse und der Versicherungsanstalt der<br />
Pharmazeuten<br />
von illegalen NationalsozialistInnen besetzt, und selbsternannte<br />
Kommissarische Leiter beanspruchten die Übernahme der Geschäfte. Den versammelten<br />
Angestellten der Pharmazeutischen Gehaltskasse wurde erklärt, dass die Präsidenten<br />
außer Dienst gestellt seien und eine Kommissarische Leitung eingesetzt wäre. Um die<br />
Situation zu klären und wieder geordnete Verhältnisse herzustellen, wurde der<br />
Reichsapothekerführer Albert Schmierer nach Wien gerufen. 176 Dieser kam am 17. März<br />
1938 in Wien an und bestätigte vorerst die amtierenden Funktionäre und den<br />
Weiterbestand der Pharmazeutischen Gehaltskasse. 177 Einzig die Entlassung des<br />
174 Redaktion (ÖAZ), Die Wiedererrichtung der „Versicherungsanstalt für Pharmazeuten“, in: ÖAZ, Nr. 17/18 (1947),<br />
73.<br />
175 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 32 (1938), 2.<br />
176 Vgl. Franz Dittrich, Rede gehalten in der 37. Delegiertenhauptversammlung des Pharmazeutischen<br />
Reichsverbandes für Österreich am 15.11.1947 (Mitschrift), in: ÖAZ, Nr. 43/44 (1947), 187.<br />
177 Pharmazeutische Presse, Nr. 13 (1938), 111.<br />
69
Direktors der Pharmazeutischen Gehaltskasse und Hauptschriftleiters der Pharmazeutischen<br />
Presse Dr. Richard Kurtics – er war zu Zeiten des austrofaschistischen<br />
Ständstaates auch Verbindungsmann der Standesvertretungen zur Vaterländischen Front<br />
gewesen – wurde von Albert Schmierer gefordert. Er konnte sich mit seiner Forderung<br />
allerdings nicht durchsetzen, Dr. Richard Kurtics blieb Direktor der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse. Unterstützung erhielten die amtierenden Funktionäre der Standesanstalten<br />
bei ihrem Versuch, den status quo, zu erhalten durch Beamte im Büro des Stillhaltekommissars<br />
und vor allem durch <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister. 178 Dieser gehörte 1938 zu jener<br />
Fraktion der österreichischen NSDAP, die gerade an der Spitze der Partei stand, als die<br />
Machtübernahme in Österreich bewerkstelligt wurde, und die mit dem späteren Reichskommissar<br />
für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Gauleiter<br />
Josef Bürckel, kooperierte. 179<br />
Der Kampf um die Pharmazeutische Gehaltskasse kann daher auch als eine Auswirkung<br />
interner Kämpfe der österreichischen NationalsozialistInnen gesehen werden. Die<br />
Illegalität der NSDAP während des Ständestaats bewirkte Krisen und Spannungen, die vor<br />
allem zwischen den Emigranten und den im Land gebliebenen NationalsozialistInnen<br />
entstanden. Laut Gerhard Botz gab es, abgesehen von persönlichen Rivalitäten, im<br />
Frühjahr 1938 drei konkurrierende Gruppen innerhalb der österreichischen NSDAP: zum<br />
einen die in den Jahren 1933 und 1934 nach Deutschland geflüchteten NationalsozialistInnen<br />
um den späteren Gauleiter von Tirol Franz Hofer (von dieser Seite kamen<br />
auch später immer wieder Initiativen zur Auflösung der Pharmazeutischen Gehaltskasse),<br />
zum zweiten die zwischen 1934 und 1938 in Österreich aktiven, so genannten<br />
„revolutionären“ Illegalen, die allerdings kurz vor dem ‚Anschluß‘ von Hitler entmachtet<br />
wurden. Die dritte Fraktion, die so genannten „Kärntner“ mit ihren Verbündeten Dr. Hugo<br />
Jury – er war im Kabinett Seyß-Inquart Sozialminister und daher mit vielen NationalsozialistInnen<br />
in der österreichischen Apothekerschaft bekannt – und August Eigruber,<br />
wurde von Hitler seit Februar 1938 favorisiert und stand im März 1938 an der Spitze der<br />
österreichischen NSDAP. Vor allem zwischen der letzten Fraktion und den zurückgekehrten<br />
EmigrantInnen nahm der parteiinterne Konkurrenzkampf besonders heftige<br />
Formen an. 180<br />
178 Vgl. Dittrich, Rede, 187.<br />
179 Vgl. Gerhard Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des<br />
politisch-administrativen Anschlusses (1938–1940), Linz u.Wien 1972, 93f.<br />
180 Vgl. ebd., 93f.<br />
70
Mit dieser ersten Auseinandersetzung um die Pharmazeutische Gehaltskasse im März<br />
1938 war die Angelegenheit allerdings noch nicht endgültig geregelt. In einer Rede vor<br />
Delegierten des Pharmazeutischen Reichsverbandes im Jahr 1947 stellte <strong>Mag</strong>. Franz<br />
Dittrich die weiteren Ereignisse des Jahres 1938 in der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
wie folgt dar:<br />
[...] und schon einige Wochen nach diesen ersten Ereignissen erschienen die<br />
Vertreter der deutschen Apothekerschaft unter Führung des Reichsgeschäftsführers<br />
Dr. Genicke, die nunmehr die Kassenbestände unserer Verbände aufnahmen und<br />
erklärten, ihren Sitz in den Räumen des österreichischen Apothekervereines für die<br />
nächste Zeit aufzuschlagen. Wir erhielten die Mitteilung, daß wir aus der<br />
Berufsführung auszuscheiden haben und gleichzeitig wurde uns die Liste der vom<br />
Reichsapothekerführer ernannten Berufskollegen verlesen, die den Beruf nunmehr<br />
zu führen hätten. 181<br />
Die Reaktion von Seiten der österreichischen NationalsozialistInnen auf dieses Vorgehen<br />
der reichsdeutschen Standesvertretung war diesmal heftiger als noch im März 1938. Die<br />
Vertreter der deutschen Apothekerschaft wurden von den Behörden aufgefordert, das<br />
Land binnen 24 Stunden zu verlassen, und die Verlautbarungen des Reichsapothekerführers<br />
für die Ostmark wurden aufgehoben. Weiters wurde die Apothekerzeitung für die<br />
nächsten Wochen verboten und die Führung der deutschen Apothekerschaft mit einem<br />
dreimonatigem Einreiseverbot belegt. 182<br />
Als im Frühjahr 1939 im Sinne einer Anpassung an die Verhältnisse im Deutschen Reich<br />
das Besoldungsschema für die österreichischen PharmazeutInnen geändert werden<br />
sollte, 183<br />
wurde von <strong>Mag</strong>. Egon Moser, dem Bezirksapothekerführer der Deutschen<br />
Apothekerschaft Bezirk Alpenland, ein weiterer Versuch unternommen, die<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich abschaffen zu lassen. 184 Seine diesbezügliche<br />
Eingabe an das Ministerium für Innere und Kulturelle Angelegenheiten vom<br />
21. März 1939 wurde vom Gauleiter Tirols, Franz Hofer, in einem weiteren Schreiben an<br />
das Ministerium befürwortet. 185 Auch dieser Versuch, die Pharmazeutische Gehaltskasse<br />
181 Dittrich, Rede, 187.<br />
182 Ebd.<br />
183 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1939, Kt.2392, II8-255.155-K/1939, PhGK an das<br />
Ministerium für Innere und Kulturelle Angelegenheiten vom 25.02.1939.<br />
184 Ebd., <strong>Mag</strong>. Egon Moser an das Ministerium für Innere und Kulturelle Angelegenheiten vom 21.03.1939.<br />
185 Ebd., Gauleiter Franz Hofer an das Ministerium für Innere und Kulturelle Angelegenheiten vom 27.04.1939.<br />
71
abzuschaffen, scheiterte an <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister, der direkt beim Reichskommissar<br />
für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Josef Bürckel, für den<br />
Weiterbestand der Pharmazeutischen Gehaltskasse intervenierte. 186 Unterstützung erhielt<br />
die Pharmazeutische Gehaltskasse auch von Ministerialrat Max Fizia – er war als<br />
Bundeskommissär im Ministerium für Innere und Kulturelle Angelegenheiten zuständig für<br />
den Kontakt zur Pharmazeutischen Gehaltskasse – und dem Sektionschef im Ministerium,<br />
Dr. Hugo Jäckl. 187<br />
Die endgültige Entscheidung für den Fortbestand der Pharmazeutischen Gehaltskasse für<br />
Österreich dürfte dann am Deutschen Apothekertag des Jahres 1939 von 3. bis 6. Juni in<br />
Dresden gefallen sein. Bei dieser Tagung konnten sich die Vertreter der Bezirksorganisation<br />
Donauland gegen die Vertreter der Bezirksorganisation Alpenland durchsetzen.<br />
Letztere hatten seit dem ‚Anschluß‘ immer wieder versucht, die Pharmazeutische<br />
Gehaltskasse abzuschaffen. 188 Gesetzlich festgeschrieben wurde der Weiterbestand der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich schließlich mit der im Zuge der<br />
Umsetzung des Gesetzes über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark (Ostmarkgesetz)<br />
189 verlautbarten Dritten Verordnung über die Übertragung von Aufgaben und<br />
Befugnissen des Reichsstatthalters in Österreich (Österreichische Landesregierung) vom<br />
16. September 1939. 190 Dort wurde in §2 Abs. 2 der Reichsstatthalter von Wien als<br />
Aufsichtsorgan der österreichweit tätigen Pharmazeutischen Gehaltskasse bestimmt.<br />
4.3. Stand der österreichischen Apothekerschaft 1938<br />
Das Apothekengesetz von 1906 191 unterschied zwischen öffentlichen Apotheken<br />
(konzessionierte Apotheken oder Realapotheken), ärztlichen Hausapotheken und<br />
Anstaltsapotheken. Als Realapotheken wurden jene Apotheken bezeichnet, bei denen die<br />
Berechtigung zur Führung an eine Liegenschaft gebunden war. Neugründungen von<br />
Realapotheken waren ausgeschlossen. Konzessionierte Apotheken bedurften einer<br />
186 Ebd., <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister an Josef Bürckel vom 23.05.1939.<br />
187 Ebd., Aktenvermerk vom 16.07.1939.<br />
188 Vgl. Dittrich, Rede, 187.<br />
189 GBlÖ Nr. 500/1939.<br />
190 GBlÖ. Nr. 1188/1939; vgl. Helfried Pfeifer, Hg., Die Ostmark: Eingliederung und Neugestaltung. Historischsystematische<br />
Gesetzessammlung nach dem Stande vom 16. April 1941, mit Einführungen, Erläuterungen,<br />
Verweisungen und Schrifttumsangaben, Wien 1941, 624.<br />
191 RGBl Nr.5/1907, Gesetz vom 18.12.1906 betreffend die Regelung des Apothekenwesens.<br />
72
persönlichen Konzession, ihre Zahl richtete sich nach den Bedürfnissen der Bevölkerung<br />
und nach der Zahl der Apotheken und ärztlichen Hausapotheken in einer bestimmten<br />
Gegend, die durch die Errichtung einer neuen Apotheke in ihrem Bestand nicht gefährdet<br />
werden durften. Das traf auch auf die ärztlichen Hausapotheken zu, die nur dann<br />
genehmigt wurden, wenn keine öffentliche Apotheke im Ort selbst oder in der näheren<br />
Umgebung existierte. Anstaltsapotheken konnten von öffentlichen Heil- und<br />
Humanitätsanstalten sowie von Krankenversicherungsanstalten eingerichtet werden. In<br />
den meisten Fällen handelte es sich dabei um Krankenhausapotheken. Einen Sonderfall<br />
stellten die vorhandenen Apotheken von Klöstern dar. Sie werden im Apothekengesetz<br />
von 1906 nicht eigens erwähnt. Ihre Betriebsberechtigung ergab sich aus §61 des<br />
Gesetzes, der die auf Grund früherer Vorschriften erlangte Berechtigung zum Betrieb einer<br />
Apotheke fortschrieb.<br />
Um selbstständiger Apotheker oder selbstständige Apothekerin werden zu können, sah<br />
das Apothekengesetz vor, dass der Bewerber oder die Bewerberin das österreichische<br />
Staatsbürgerrecht besitzen und sich „im Vollgenuß der bürgerlichen Rechte“ befinden<br />
musste. Weiters musste der akademische Grad „<strong>Mag</strong>ister der Pharmazie“ erworben und<br />
mindestens fünf Jahre – im Falle der Konzessionsvergabe für eine neu zu errichtende<br />
Apotheke sogar fünfzehn Jahre – fachliche Tätigkeit nachgewiesen werden.<br />
Laut einer Statistik des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 25. Mai 1938 192<br />
stellte sich der Bestand an Apotheken in Österreich zur Mitte des Jahres 1938 wie in<br />
Tabelle 1 dar. Nicht berücksichtigt in dieser Auflistung sind etwaige Filialapotheken sowie<br />
Saisonapotheken als nur zeitweise betriebene zweite Geschäftsstelle (Kurort,<br />
Erholungsorte usw.) einer Stammapotheke.<br />
192 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1938, Kt. 2329, IV-3537-8/38, Apothekenstatistik.<br />
73
Tabelle 1: Apotheken in Österreich 1938<br />
öffentliche<br />
Apotheken<br />
Anstaltsapotheken<br />
Klosterapotheken<br />
ärztliche<br />
Hausapotheken<br />
Burgenland 30 – – 13<br />
Kärnten 35 2 2 50<br />
Niederösterreich 141 1 – 262<br />
Oberösterreich 82 2 2 147<br />
Salzburg 23 2 1 38<br />
Steiermark 83 3 2 107<br />
Tirol 26 – – 74<br />
Vorarlberg 10 – – 34<br />
Wien 222 14 4 –<br />
gesamt 652 24 11 825<br />
Dieselbe Statistik gibt auch Aufschluss über das Verhältnis von selbstständigen<br />
ApothekerInnen zu ihren angestellten KollegInnen:<br />
Tabelle 2: Selbstständige und angestellte ApothekerInnen in Österreich 1938<br />
selbstständige<br />
ApothekerInnen<br />
angestellte<br />
ApothekerInnen<br />
AspirantInnen<br />
DispensantInnen<br />
Burgenland 29 5 1 k.A.<br />
Kärnten 33 28 k.A. k.A.<br />
Niederösterreich 141 85 k.A. k.A.<br />
Oberösterreich 82 83 12 –<br />
Salzburg 19 30 k.A. k.A.<br />
Steiermark 68 107 k.A. k.A.<br />
Tirol 27 28 7 7<br />
Vorarlberg 7 9 k.A. k.A.<br />
Wien 207 474 33 10<br />
74
In den 1930er-Jahren stellte sich die Apothekerschaft als verkammerte und staatlicherseits<br />
stark kontrollierte und reglementierte Berufsgemeinschaft dar, in deren Gremialordnungen<br />
noch der alte Zunftgeist herrschte. 193 PharmazeutInnen galten als Angehörige eines Freien<br />
Berufs, waren allerdings sowohl als selbstständige ApothekerInnen als auch als<br />
Angestellte tätig. Der Anteil der Angestellten betrug dabei sechzig Prozent.<br />
4.4. Jüdische PharmazeutInnen in Österreich von der Gewerbefreiheit<br />
1860 bis zum ‚Anschluß‘ 1938<br />
In Österreich-Ungarn gab es vor 1829 kein Gesetz, das Juden den Zugang zum<br />
Apothekerberuf verwehrte. Erst eine allerhöchste Entschließung von Kaiser Franz I. vom<br />
16. Mai 1829 bestimmte, dass Juden die Ausübung des Apothekergewerbes nicht erlaubt<br />
sei. 194 Diese Entschließung und alle ähnlichen Verfügungen wurden am 10. Jänner 1860<br />
von Kaiser Franz Joseph I. wieder aufgehoben. 195 Die Freigabe des pharmazeutischen<br />
Gewerbes im Jahr 1860 und die endgültige rechtliche Gleichstellung aller StaatsbürgerInnen<br />
durch das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 196 – die bürgerlichen<br />
Rechte waren darin nicht mehr an das Religionsbekenntnis gebunden – führten vor allem<br />
in der Residenzstadt Wien zu einer wachsenden Zahl von ApothekerInnen jüdischer<br />
Herkunft, sodass sie um 1900 ungefähr zehn Prozent aller ApothekerInnen in Wien<br />
stellten. 197<br />
Zwischen 1900 und 1938 stieg die Zahl der Apotheken in Wien von 109 auf 222, von<br />
denen ungefähr ein Drittel als jüdisches Eigentum galt. 198 Der Zuwachs jüdischer<br />
PharmazeutInnen und ApothekenbesitzerInnen in Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
liegt in der Migration vieler jüdischer BürgerInnen der Donaumonarchie aus den östlichen<br />
Provinzen in die Reichshauptstadt Wien begründet. Mit Ende des ersten Weltkrieges<br />
wurde diese Binnenmigration noch durch Fluchtbewegungen aufgrund der Kriegshandlungen<br />
verstärkt. Ein Großteil der nach Wien zugewanderten jüdischen<br />
193 Vgl. Otto Nowotny, 50 Jahre Österreichische Apothekerkammer, in: ÖAZ, Nr. 19 (1997), 885.<br />
194 Vgl. Leopold Hochberger, Die Geschichte des Wiener Apotheker-Hauptgremiums. Geschichte der Apotheken und<br />
des Apothekerwesens in Wien von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Bd. 3, Teil II, Wien 1930, 53.<br />
195 Vgl. Hochberger, Wiener Apotheker-Hauptgremium, 76.<br />
196 RGBl. 142/1867.<br />
197 Vgl. Frank Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker: Emanzipation, Emigration, Restitution. Die Geschichte<br />
deutscher und österreichisch-ungarischer Pharmazeuten, Frankfurt/Main 1999, 69.<br />
198 Vgl. ebd., 71.<br />
75
PharmazeutInnen kam aus Galizien und der Bukowina, einige auch aus Böhmen und<br />
Bosnien. 199 Viele der aus den Provinzen der Donaumonarchie nach Wien zugewanderten<br />
PharmazeutInnen konnten die durch das Apothekengesetz 1906 vorgeschriebenen<br />
Anforderungen erfüllen. Sie hatten eine in Österreich anerkannte Ausbildung und konnten<br />
auch die geforderte langjährige Praxis vorweisen. Ihnen kamen die zahlreichen<br />
Ausschreibungen von Konzessionen für neu zu errichtende Apotheken zugute, die im<br />
Zuge des Ausbaus des Gesundheitssystems nach 1918, vor allem in den Wiener<br />
Randbezirken, vergeben wurden.<br />
Nach Aufhören der Inflation nach dem ersten Kriege und Einführung der<br />
Schillingwährung wurde in Wien eine große Anzahl von Apotheken neu<br />
konzessioniert, da die damalige Gemeindeverwaltung die Absicht verfolgte, durch<br />
eine Vermehrung der Apotheken der Bevölkerung die Arzneibeschaffung zu<br />
erleichtern. Ein weiterer Grund für Neukonzessionierungen waren die umfangreichen<br />
Wohnhausbauten der Gemeinde Wien. 200<br />
Modernisierungsbestrebungen, wie sie in Wien in der Zwischenkriegszeit zu konstatieren<br />
sind, veränderten allerdings nicht den traditionellen, katholischen und halbfeudalen<br />
Charakter der österreichische Gesellschaft. Auch der im 19. Jahrhundert begonnnene<br />
Prozess der Assimilation jüdischer ÖsterreicherInnen konnte nicht restlos gelingen und<br />
wurde zunehmend in Frage gestellt. 201 Der in weiten Bevölkerungskreisen vorhandene<br />
Antisemitismus erschwerte die berufliche Etablierung jüdischer PharmazeutInnen<br />
zusehens. So war es für jüdische PharmaziestudentInnen, die nach Beendigung des<br />
Studiums noch ein Praktikum zu absolvieren hatten, fast unmöglich, einen<br />
entsprechenden Praktikumsplatz in einer Apotheke zu finden. Konnten Kinder jüdischer<br />
ApothekenbesitzerInnen in der elterlichen Apotheke praktizieren, hatten andere zukünftige<br />
ApothekerInnen kaum eine Möglichkeit, ihre Ausbildung abzuschließen. 202 Diese<br />
Schwierigkeiten und die zunehmende antisemitische Stimmung Mitte der 1930er-Jahre –<br />
verstärkt durch die nationalsozialistische Gesetzgebung im Deutschen Reich –<br />
veranlassten jüdische PharmaziestudentInnen vermehrt, nach Abschluss des Studiums zu<br />
emigrieren. 203 Obwohl die antisemitischen Gesetze des Deutschen Reiches erst nach dem<br />
199 Vgl. ebd., 191.<br />
200 Redaktion (ÖAZ), Bewertung der öffentlichen Apotheken im Jahre 1938, in: ÖAZ, Nr. 13/14 (1947), 50.<br />
201 Vgl. John Bunzl, Der lange Arm der Erinnerung. Jüdisches Bewußtsein heute, Wien u.a. 1987, 20.<br />
202 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 71.<br />
203 Vgl. ebd., 72.<br />
76
sogenannten ‚Anschluß‘ 1938 in Österreich wirksam wurden, sorgten sie auch schon<br />
davor für berechtigte Sorge unter den jüdischen ÖsterreicherInnen.<br />
In Deutschland waren Juden und Jüdinnen nach der nationalsozialistischen<br />
Machtergreifung 1933 schrittweise aus dem Apothekerberuf verdrängt worden. Zunächst<br />
wurden sie im April 1933 mit der Einführung des ‚Arierparagraphen‘ aus dem Deutschen<br />
Apotheker-Verein ausgeschlossen, 204 im August desselben Jahres wurde ihnen untersagt,<br />
bei pharmazeutischen Prüfungen und Vorprüfungen als Prüfer mitzuwirken. 205 Am 17. April<br />
1934 untersagte der preußische Innenminister die Verleihung von Apothekenkonzessionen<br />
an ‚Nichtarier‘ und an Ehepartner von ‚Nichtariern‘. 206 Die Erste Verordnung zum Gesetz<br />
über die Verpachtung und Verwaltung öffentlicher Apotheken vom 26. März 1936 verbot<br />
schließlich die Verpachtung öffentlicher Apotheken an jüdische PharmazeutInnen, jüdische<br />
BesitzerInnen öffentlicher Apotheken durften ihre Apotheke nicht mehr selbst führen,<br />
sondern mussten sie verpachten. 207<br />
Tabelle 3: Apotheker-Gesetzgebung im Deutschen Reich 1933 bis 1936<br />
22.04.1933 Einführung des ‚Arierparagraphen‘ im Deutschen Apotheker-Verein mit<br />
Bezug auf das Beamtengesetz<br />
19.08.1933 Einführung des ‚Ariernachweises‘ für pharmazeutische Prüfer<br />
08.12.1934 Prüfungsordnung für Apotheker: Nichtarier werden zur Prüfung nicht<br />
zugelassen<br />
17.04.1934 Nichtarier und Ehepartner von Nichtariern erhalten in Preußen keine<br />
Apothekenkonzession mehr<br />
26.03.1936 Erste Verordnung zum Gesetz über die Verpachtung und Verwaltung von<br />
öffentlichen Apotheken. Juden sind als Pächter nicht zugelassen. Öffentliche<br />
Apotheken, deren Inhaber Jude ist, unterliegen dem Verpachtungszwang.<br />
16.06.1936 Verleihung der Apothekenkonzession nur mehr an Arier<br />
Bereits einen Monat nach dem ‚Anschluß‘ wurden die Vorraussetzungen geschaffen, dass<br />
im Apothekenwesen der ‚Ostmark‘ innerhalb kürzester Frist diejenigen Maßnahmen zum<br />
Vermögensentzug nachgeholt wurden, die im ‚Altreich‘ 1936 durch das Pachtgesetz<br />
204 Vgl. Joseph Walk, Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und<br />
Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Heidelberg u. Karlsruhe 1981, 17.<br />
205 Vgl. ebd., 47.<br />
206 Vgl. ebd., 74.<br />
207 Vgl. ebd., 158.<br />
77
eingeleitet worden waren. Am 13. April 1938 erließ die Reichsregierung ein Gesetz, das es<br />
dem Reichsstatthalter ermöglichte, Kommissare in jüdischen Unternehmen zu bestellen. 208<br />
Gleichzeitig verloren 208 angestellte jüdische PharmazeutInnen ihren <strong>Arbeit</strong>splatz. 209<br />
4.5. Die ‚Arisierung‘ österreichischer Apotheken<br />
Mit dem ‚Anschluß‘ Österreichs gerieten im März 1938 etwa 200.000 österreichische<br />
Juden und Jüdinnen unter nationalsozialistische Herrschaft. In Österreich erreichte die<br />
Judenverfolgung innerhalb kürzester Zeit ein Ausmaß, das die im ‚Altreich‘ schrittweise im<br />
Verlauf von mehreren Jahren geschaffene Situation an Radikalität übertraf und die<br />
antisemitischen Wellen von 1933 und 1935 in Deutschland in den Schatten stellte.<br />
Während dort Anfang 1938 noch an der gesetzlichen Expropriierung der Juden und<br />
Jüdinnen gearbeitet wurde, war in Österreich von Anfang an der direkte, gewaltsame<br />
Zugriff auf das jüdische Eigentum ein zentraler Bestandteil der Verfolgungsmaßnahmen. 210<br />
Ab der Jahreswende 1937/1938 wurde im Deutschen Reich die ‚Arisierung‘ – eine<br />
nationalsozialistische Wortschöpfung, die den Prozess der Entfernung von Juden und<br />
Jüdinnen aus dem Wirtschafts- und Berufsleben bezeichnete – von staatlicher Seite<br />
systematisiert. Die ‚Arisierung‘ umfasste sowohl die Enteignung jüdischen Besitzes und<br />
Vermögens zugunsten von Nichtjuden und -jüdinnen (‚ArierInnen‘) als auch Entlassungen,<br />
Berufsverbote und die Einschränkung gewerblicher Tätigkeit. Aufgrund der Verordnung zur<br />
Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 211 mussten Vermögen über<br />
5000 RM (Reichsmark) angemeldet werden. Mit der Dritten Verordnung zum<br />
Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 212 wurden die Bestandsaufnahme und Erfassung<br />
aller jüdischen Betriebe verfügt. Jüdische Geschäfte, Firmen und Grundstücke konnten<br />
nur noch mit Genehmigung verkauft werden. Bis Jahresende 1938 wurde Juden und<br />
Jüdinnen die Ausübung praktisch aller Berufe verboten. Der Novemberpogrom 1938 bot<br />
Anlass zur Radikalisierung der ‚Arisierung‘ mit dem Ziel einer entschädigungslosen<br />
staatlichen Zwangsenteignung jüdischer Unternehmen. Am 3. Dezember 1938 wurde mit<br />
208 Vgl. Peter Longerich, Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung,<br />
München u. Zürich 1998, 163.<br />
209 Vgl. Mitteilungen des Provisorischen Ausschusses österreichischer Apotheker, Nr. 1 (1946), 6.<br />
210 Vgl. Longerich, Politik der Vernichtung, 162.<br />
211 DRGBl. I, 414 bzw. GBlÖ 102/1938 vom 27.04.1938.<br />
212 DRGBl. I, 627 bzw. GBlÖ 193/1938 vom 24.06.1938.<br />
78
der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens 213 unter anderem die<br />
‚Zwangsarisierung‘ beziehungsweise Stilllegung der noch existierenden jüdischen<br />
Gewerbebetriebe angeordnet, Verkaufserlöse mussten auf Sperrkonten eingezahlt<br />
werden. 214 Ein Erlass des Reichsministeriums des Inneren vom 20. Dezember 1938<br />
verfügte den Ausschluss jüdischer PharmazeutInnen vom Apothekerberuf, Juden und<br />
Jüdinnen sowie ‚Mischlinge 1. Grades‘ wurden zur Ausbildung für den Apothekerberuf und<br />
zu den pharmazeutischen Prüfungen nicht mehr zugelassen, die Bestallung als<br />
ApothekerIn wurde ihnen versagt. 215 Mit der achten Verordnung zum Reichsbürgergesetz<br />
vom 17. Jänner 1939 erloschen zum 31. Januar 1939 alle Approbationen und Diplome,<br />
somit auch die Konzessionen und die Berufserlaubnis aller jüdischen PharmazeutInnen.<br />
Mietverträge, an denen sie beteiligt waren, wurden kündbar gestellt. 216 Der endgültige<br />
Ausschluss jüdischer PharmazeutInnen aus dem Apothekengewerbe erfolgte mit<br />
Runderlass des Reichsministeriums des Inneren vom 20. Mai 1939. Demzufolge wurde<br />
Juden und Jüdinnen jederlei pharmazeutische Beschäftigung in Apotheken verboten, sie<br />
hatten ihre Apothekenbetriebsrechte zu verpachten und bis zum 30. Juni 1939 zu<br />
verkaufen. Bestehende Personalkonzessionen jüdischer ApothekerInnen waren neu<br />
auszuschreiben. 217 Den Abschluss der ‚Arisierung‘ bildeten die 11. und die 13. Verordnung<br />
zum Reichsbürgergesetz (25. November 1941 218 beziehungsweise 1. Juli 1943 219 ), nach<br />
denen das gesamte Vermögen der ausgewanderten, der nach Osten deportierten und der<br />
im Deutschen Reich verstorbenen Juden und Jüdinnen dem Reich verfiel und für strafbare<br />
Handlungen von Juden und Jüdinnen nicht mehr die Justiz, sondern nur mehr die Polizei<br />
zuständig war.<br />
Die lückenlose ‚Arisierung‘ jüdischer Apothekenbetriebe in Österreich, die von den<br />
österreichischen NationalsozialistInnen schon vor dem März 1938 beschlossen wurde,<br />
wurde nach dem ‚Anschluß‘ als primäres Ziel der neuen Standespolitik ohne Verzögerung<br />
umgesetzt. So stellte der spätere Kommissarische Verwalter für sämtliche jüdische<br />
Apotheken in der Ostmark SA-Obersturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner in der Pharmazeutischen<br />
Wochenschrift vom 3. Juni 1939 fest:<br />
213 DRGBl. I, 1709 bzw. GBlÖ 633/1938 vom 06.12.1938.<br />
214 Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Frankfurt/Main 1999, 85ff.<br />
215 Vgl. Walk, Sonderrecht, 270.<br />
216 GBlÖ 106/1939.<br />
217 Vgl. Walk, Sonderrecht, 294.<br />
218 DRGBl. Nr. 133/1941.<br />
219 DRGBl. I, 372.<br />
79
Schon in der illegalen Zeit wurde bei Zusammenkünften der nationalsozialistischen<br />
Berufskameraden von der Arisierung der jüdischen Apothekenbetriebe in der<br />
Ostmark gesprochen, weil es als unerträglicher Zustand empfunden werden mußte,<br />
daß ein großer Teil der jüdischen Apothekenbesitzer in ihren Apotheken nicht die<br />
Sanitätsanstalt sahen, die zum Dienste an der Volksgesundheit berufen ist, sondern<br />
sie nur vom rein geschäftlichen, betont merkantilistischen Standpunkte aus<br />
betrachtete. Für diese jüdischen Apotheker waren die Apotheken lediglich Melkkühe<br />
und Mittel zum skrupellosen Gelderwerb. 220<br />
Über Intervention des Reichstagsabgeordneten <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister wurde<br />
<strong>Mag</strong>. Edwin Renner noch im März 1938 vom damaligen Minister für soziale Verwaltung,<br />
Dr. Hugo Jury, mit der ‚Arisierung‘ der österreichischen jüdischen Apothekenbetriebe<br />
betraut. 221 Für die angestrebten ‚Arisierungen‘ war allerdings vorerst keine gesetzlich<br />
gedeckte Handhabe vorhanden. Dies änderte sich am 13. April 1938 mit dem Gesetz über<br />
die Bestellung von Kommissarischen Verwaltern und Kommissarischen Überwachungspersonen,<br />
222 das es dem Reichsstatthalter ermöglichte, Kommissare in jüdischen<br />
Unternehmen zu bestellen, sowie mit der Verordnung zur Anmeldung des Vermögens von<br />
Juden vom 26. April 1938 223 und der darauf basierenden Gründung der ‚Vermögensverkehrsstelle‘<br />
im österreichischen Ministerium für Handel und Verkehr am 18. Mai<br />
1938. 224 Neben der Bestellung von Treuhändern, Kommissaren und ‚Abwicklern‘ für<br />
Unternehmen oblag der Vermögensverkehrsstelle die Kontrolle und die Gesamtorganisation<br />
der ‚Arisierungen‘ in Österreich. Sie kontrollierte Kaufverträge, setzte den<br />
Kaufpreis für zu ‚arisierende‘ Unternehmen fest und verordnete die Liquidierung von<br />
Betrieben. Jüdische Geschäfte, Firmen und Grundstücke konnten nur noch mit ihrer<br />
Genehmigung verkauft werden. Die Vermögensverkehrsstelle kooperierte mit Referaten<br />
des Ministeriums für Wirtschaft und <strong>Arbeit</strong>, mit gewerblichen Fachverbänden, mit NS-<br />
Wirtschaftsstellen der gewerblichen Wirtschaft und der NSDAP.<br />
Konzeptioniert wurde die umfassende Enteignung jüdischer Apotheken in Österreich ab<br />
Mitte Mai 1938 vom Staatskommissar in der Privatwirtschaft Walter Raffelsberger und<br />
220 Edwin Renner, Arisierung der Apotheken in der Ostmark, in: Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 22<br />
(1939), 326.<br />
221 Vgl. Renner, Arisierung, 327.<br />
222 GBlÖ 80/1938.<br />
223 GBlÖ 102/1938.<br />
224 GBlÖ 139/1938.<br />
80
dem SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner. Letzterer wurde von Walter Raffelsberger<br />
am 24. Mai 1938 zum Kommissarischen Verwalter der jüdischen Apotheken in der<br />
Ostmark ernannt. Erster Schritt im Hinblick auf die beschlossenen zentralisierten<br />
‚Arisierungen‘ bestand darin, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner in den zu enteignenden Apotheken als<br />
Kommissarischen Verwalter einzusetzen, der dann seinerseits die zukünftigen<br />
‚AriseurInnen‘ als verantwortliche LeiterInnen in den jüdischen Apotheken installierte. Der<br />
Grund für diese im Vergleich zu anderen Branchen, in denen ab März 1938 ebenfalls<br />
umfassend ‚arisiert‘ wurde, indirekte Vorgangsweise, lag darin, dass es nach der<br />
Dienstanweisung für Kommissarische Verwalter und Kommissarische Überwachungspersonen<br />
unter Punkt 10 den Kommissarischen Verwaltern untersagt war, die von ihnen<br />
überwachten Betriebe selbst im ‚Arisierungswe‘ zu erwerben. 225<br />
Im Folgenden wurden die jüdischen BesitzerInnen in die Vermögensverkehrsstelle zitiert,<br />
wo sie unter Androhung der Verhaftung einem formalisierten Gedächtnisprotokoll, dass die<br />
Übergabe ihrer Betriebe an die ‚AriseurInnen‘ zu einem noch festzulegenden Kaufpreis<br />
regelte, zuzustimmen hatten. 226 Diese Gedächtnisprotokolle wurden sodann von anwesenden<br />
Zeugen – <strong>Mag</strong>. Edwin Renner nennt in seinem Artikel die Herren <strong>Mag</strong>. Dittrich,<br />
<strong>Mag</strong>. Rentmeister, Dr. Portisch und <strong>Mag</strong>. Schweder – unterfertigt. <strong>Mag</strong>. Edwin Renner<br />
selbst beschreibt dieses Verfahren wie folgt:<br />
Über die Durchführung der Entjudungsaktion und über die Überleitung der jüdischen<br />
Apotheken in arischen Besitz ist noch besonders zu sagen, daß das gegenseitige<br />
Einvernehmen zwischen dem jüdischen Besitzer und dem arischen Erwerber<br />
hergestellt und dieses in Form eines Gedächtnisprotokolles mit Verträgen über<br />
Verkauf und Erwerbung festgehalten wurde. Hiemit besitzen sämtliche<br />
Übertragungen durch die Entjudungsaktion rechtliche Grundlagen und können von<br />
den gewesenen Besitzern der übertragenen Apotheken nicht mehr angefochten<br />
werden. 227<br />
Nach der Errichtung dieser Kaufverträge wurde von der Vermögensverkehrsstelle eine<br />
vorläufige Genehmigung für den ‚Ariseur‘ oder die ‚Ariseurin‘ eingeholt und der zu<br />
‚arisierende‘ Betrieb einer Wirtschaftsprüfung unterzogen, die im Wesentlichen dazu<br />
225 Vgl. Renner, Arisierung, 327.<br />
226 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, Aktennotiz vom 12.09.1938.<br />
227 Renner, Arisierung, 327.<br />
81
dienten, den Umsatz des Jahres 1937 zu ermitteln und eventuelle Passiva der Betriebe<br />
festzustellen. Mit den Betriebsüberprüfungen wurde von der Vermögensverkehrsstelle die<br />
Deutsche Wirtschaftsprüfungs- und Treuhand Ges.m.b.H. beauftragt. Mit den ermittelten<br />
Kenngrößen wurde später der Kaufpreis der zu ‚arisierenden‘ Apotheke festgelegt.<br />
Die Kaufpreise, die SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner für die jüdischen Apotheken<br />
bestimmte, errechneten sich alle nach dem gleichen Schema: Vom Umsatz des Jahres<br />
1937 wurden mit der Begründung, dass die Arzneimittelpreise durch den ‚Anschluß‘<br />
gesunken wären, dreißig Prozent pauschal abgezogen, die Summe ergab den offiziellen<br />
Kaufpreis. 228 Sechzig Prozent dieses Kaufpreises waren von den KäuferInnen als<br />
‚Arisierungsauflage‘ an die Vermögensverkehrsstelle zu überweisen, die somit Hauptnutznießerin<br />
der ‚Arisierungen‘ wurde. Um den oft nicht sehr finanzkräftigen ‚AriseurInnen‘ den<br />
Erwerb der vormals jüdischen Unternehmungen zu erleichtern, wurde die Begleichung der<br />
‚Arisierungsauflage‘ auf zehn Jahre gestundet 229 und konnte somit leicht aus den<br />
laufenden Erträgnissen der ‚arisierten‘ Unternehmungen beglichen werden. Vierzig<br />
Prozent des von der Vermögensverkehrstelle festgesetzten Kaufpreises erhielten nach<br />
Abzug etwaiger Außenstände die zum Verkauf genötigten BesitzerInnen; das Geld war auf<br />
ein Sperrkonto zu überweisen. 230 Die Verfügung über dieses Sperrkonto von Seiten der<br />
ehemaligen BesitzerInnen – um zum Beispiel die ‚Judenvermögensabgabe‘ oder die<br />
‚Reichsfluchtsteuer‘ zu begleichen – war an eine entsprechende Genehmigung der<br />
Vermögensverkehrsstelle gebunden.<br />
Wurde der Verkehrswert einer Apotheke vor 1938 mit bis zu 150 Prozent des zuletzt<br />
erzielten Jahresumsatzes angenommen, 231 so sank er dank dieser Vorgangsweise auf 28<br />
Prozent des Vorjahresumsatzes. Die so Geschädigten wurden auf diese Weise nicht nur<br />
um einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens gebracht, sondern stießen bei dem<br />
verständlichen Wunsch, das Land zu verlassen, auf zusätzliche bürokratische<br />
Hindernisse. Die ‚Reichsfluchtsteuer‘ und später auch die so genannte ‚Judenvermögensabgabe‘<br />
– eingeführt als antijüdische Strafsteuer nach dem Pogrom vom 10. November<br />
1938 – wurden nach den Wertangaben in den Vermögensanmeldungen, deren Grundlage<br />
die Bilanz von 1937 war, und nicht nach den erzielten Verkaufspreisen für die Betriebe<br />
228 Vgl. ebd.; ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, Aktennotiz vom 12.09.1938.<br />
229 Vgl. ÖAZ, Bewertung, 50.<br />
230 Vgl. Renner, Arisierung, 327; ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, AZ 2160/14/1.<br />
231 Vgl. ÖAZ, Bewertung, 49.<br />
82
erechnet. Emigrationswillige Juden und Jüdinnen sahen sich daher mit<br />
Steuerforderungen konfrontiert, die ihre verbliebenen finanziellen Möglichkeiten bei<br />
Weitem überstiegen. Dazu kam, dass die neuen BesitzerInnen ihren Zahlungspflichten nur<br />
sehr zögerlich nachkamen, die Begleichung aller offenen Steuerforderungen aber<br />
unabdingbar war, um die nötigen Ausreisepapiere zu erlangen.<br />
Eine Aktennotiz aus dem Büro des Reichskommissars für die Wiedervereinigung<br />
Österreichs mit dem Deutschen Reich, Josef Bürckel, vom 12. September 1938 beschreibt<br />
die Auswirkungen der im Sommer 1938 erfolgten Enteignungsmaßnahmen in der<br />
österreichischen Apothekerschaft recht drastisch:<br />
Für die Reichsfluchtsteuer werden jedoch im allgemeinen derartig hohe Werte<br />
angesetzt, dass es den Beteiligten nicht einmal möglich ist, aus dem wie vorstehend<br />
berechneten Kaufpreis ihre Reichsfluchtsteuer zu bezahlen, da aus dem<br />
verbleibenden Kaufpreis sämtliche Unkosten gedeckt werden müssen. Es wird uns<br />
ein Beispiel genannt, wonach bei einem Objekt, das am 1. Jänner 1938 einen Wert<br />
von RM 200.000.– hatte, ein Restbetrag von RM 4.000,– verblieb. Zahlungen aus<br />
dem verbleibenden Restbetrag werden angeblich nur unter größten Schwierigkeiten<br />
geleistet, sodass die Betroffenen ihren Lebensunterhalt aus Zuwendungen von<br />
Fremden bestreiten müssen. Einsprüche oder Einwendungen gegen das Verfahren<br />
sollen bis in die letzte Woche hinein mit Verhaftungen geahndet worden sein. 232<br />
Die ‚Arisierungen‘ der jüdischen Apotheken erfolgte somit in mehreren Schritten. Im Mai<br />
1938 wurde für alle zu arisierenden Apotheken zentral ein kommisarischer Verwalter<br />
eingesetzt. Im Sommer 1938 erfolgte sodann die Installierung von verantwortlichen<br />
LeiterInnen – meist die späteren AriseurInnen – in den jeweiligen Apotheken. Zeitgleich,<br />
ab Ende Juni 1938, wurden die BesitzerInnen von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner zum Verkauf ihrer<br />
Betriebe genötigt. Nach der Erstellung eines Wirtschaftsprüfungsgutachtens wurde sodann<br />
der Kaufpreis für die Apotheke errechnet und den ‚AriseurInnen‘ die endgültige<br />
Genehmigung zur ‚Arisierung‘ von Seiten der Vermögensverkehrsstelle erteilt. Nach den<br />
so erfolgten Eigentumsübertragungen wurden ab Ende September/Anfang Oktober 1938<br />
die Konzessionen für die ‚arisierten‘ Apotheken an die neuen BesitzerInnen erteilt. Den<br />
Abschluss des Verfahrens bildete der Eintrag der neuen InhaberInnen in das Handelsregister<br />
ab Dezember 1938. Zu beachten ist hierbei auch, dass einige der ‚Arisierungen‘<br />
232 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, Aktennotiz vom 12.09.1938.<br />
83
nicht die ganze Apotheke betrafen, sondern Anteilsrechte beziehungsweise Beteiligungen<br />
an Betreibergesellschaften zu Gunsten eines ‚arischen‘ Mitbesitzers enteignet wurden.<br />
Um bei den ‚Arisierungen‘ zum Zug zu kommen, war es sowohl nötig, Mitglied in der<br />
NSDAP oder zumindest „politisch unbedenklich“ zu sein, als auch eine längere<br />
Berufserfahrung zu haben, um später die Konzession für die Apotheke erlangen zu<br />
können. Viele der ‚AriseurInnen‘ waren daher schon vorher jahrelang als verantwortliche<br />
LeiterInnen in einer Apotheke tätig. Wer für eine ‚Arisierung‘ in Frage kam und wer nicht,<br />
wurde von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner wie folgt bestimmt:<br />
Von vornherein wurden sämtliche Berufskameraden, die schon im Besitze einer<br />
Apotheke sind, selbst wenn sie Parteigenossen waren, grundsätzlich ausgeschaltet,<br />
denn es konnte nicht angehen, daß ein Berufskamerad, der schon eine Apotheke<br />
sein Eigentum nennt, noch eine zweite erwirbt. Von den übrigen Berufskameraden,<br />
die als Bewerber auftraten, wurde die Auswahl auf Grund der Dauer der<br />
Parteizugehörigkeit, nach ihren charakterlichen Eigenschaften, nach der Anzahl<br />
ihrer Kinder, besonders aber nach ihrer Leistung für Partei und Volk, getroffen.<br />
Außerdem musste jeder Bewerber von seiner Kreisleitung ein Befürwortungsschreiben<br />
vorlegen und den Ariernachweis für sich und seine Frau erbringen. 233<br />
Viele der jüdischen ApothekenbesitzerInnen deuteten die Zeichen der Zeit richtig und<br />
versuchten, nach dem ‚Anschluß‘ – manche auch schon kurz zuvor – ihren Besitz rasch zu<br />
verkaufen, um Enteignungen zuvorzukommen. Doch auch in diesen Fällen muss von<br />
einem Vermögensentzug gesprochen werden, da der Vermögenstransfer ohne die<br />
nationalsozialistische Machtübernahme nicht erfolgt wäre. Die Argumentation einiger<br />
‚AriseurInnen‘ nach 1945, Verkaufsverhandlungen wären mit den jüdischen BesitzerInnen<br />
schon vor der Machtergreifung der NationalsozialistInnen gepflogen worden, ändert letztlich<br />
nichts an der Unfreiwilligkeit der Verkäufe nach dem 13. März 1938. Weder war ab<br />
diesem Zeitpunkt eine freie Käuferwahl gegeben, noch war eine marktkonforme Preisbildung<br />
möglich. Selbst in Fällen, wo die Verkaufsverhandlungen schon sehr früh einen<br />
Abschluss fanden, wurden die Vereinbarungen nach Intervention von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner<br />
durch die Vermögensverkehrsstelle für die VerkäuferInnen nachträglich verschlechtert. Mit<br />
dem System der Sperrkonten wurde darüber hinaus die freie Verfügbarkeit der<br />
VerkäuferInnen über den Kaufpreis aufgehoben.<br />
233 Renner, Arisierung, 328.<br />
84
Zwei Wiener Apotheker setzten sich mit Hilfe des Rechtsanwalts Dr. Josef Gutwenger – er<br />
brachte Ende Dezember 1938 bei Gauleiter Bürckel eine entsprechende Beschwerde ein<br />
– erfolgreich gegen die geplanten Enteignungen zur Wehr. 234 Im ersten Fall wurde, da der<br />
betroffene Apotheker erfolgreich darauf verwies, dass er ‚arischer‘ Abstammung sei, sein<br />
Einspruch von der Vermögensverkehrsstelle im September 1939 akzeptiert. 235 Im zweiten<br />
Fall hatte die Beschwerde erst nach der Scheidung des Apothekers von seiner jüdischen<br />
Frau und der Übertragung ihres Anteils und des Anteils der gemeinsamen Tochter an der<br />
Apotheke sowie der Konzession auf den Schwiegersohn Erfolg. 236 Einer dritten Eingabe<br />
Gutwengers zu Gunsten eines Apothekers in Niederösterreich war letztlich kein Erfolg<br />
beschieden. Wohl gab das Reichsministerium des Inneren im Februar 1940 der<br />
Beschwerde gegen die ‚Arisierung‘ der Apotheke recht, die betroffene Familie war<br />
allerdings schon vor dieser Entscheidung aus ihrer Heimatgemeinde vertrieben worden<br />
und zog es vor, Konzession und Betrieb zu veräußern, um weiteren Verfolgungen zu<br />
entgehen. 237<br />
Die Anzahl der ‚arisierten‘ Apotheken in Österreich beläuft sich nach unseren Erhebungen<br />
auf insgesamt neunzig. Ausgangspunkt dieser Erhebungen war eine von <strong>Mag</strong>. Edwin<br />
Renner wahrscheinlich Ende Dezember 1938 erstellte Liste ‚arisierter‘ Apotheken, die<br />
allerdings auch noch die oben erwähnten Beschwerdefälle enthält. Von den ‚arisierten‘<br />
Apotheken befanden sich 78 allein in Wien, zwölf weitere in den Bundesländern<br />
Niederösterreich (7), Oberösterreich (2), dem Burgenland (2) und der Steiermark (1). 238 Im<br />
Jänner 1939 bezifferte <strong>Mag</strong>. Edwin Renner in einem Bericht an den Gauleiter Josef<br />
Bürckel das finanzielle Gesamtmaß dieser ‚Arisierungsaktion‘ mit RM 3,876.820, wobei<br />
über die ‚Arisierungsauflagen‘ dem Deutschen Reich rund RM 1,783.828 zukamen. 239<br />
Für die weitere Erforschung der Vermögensentziehungen und Berufsschädigungen<br />
innerhalb der österreichischen Apothekerschaft dienten diese Zahlen als Grundlage und<br />
Richtlinie. Dies deshalb, da andernorts vorhandene Zahlenangaben oft widersprüchlich<br />
234 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1.<br />
235 Ebd.<br />
236 Ernestine Krug, Die Wiener Apotheken im 20. Jahrhundert. Erarbeitet nach den Akten der Gehaltskasse der<br />
Österreichischen Apothekerkammer, Wien 1977, ohne Seitenzahlen.<br />
237 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, AZ 2160/14/1; vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 74.<br />
238 Ebd. Die Liste von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner sieht im Detail etwas anders aus, da hierfür die damals gültigen<br />
Gaugrenzen – Gau Groß-Wien, das Burgenland aufgeteilt zwischen Niederdonau und Steiermark – zu Grunde gelegt<br />
wurden. Obige Zahlen richten sich nach den heutigen Landesgrenzen.<br />
239 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, AZ 2160/14/1.<br />
85
und nicht ausreichend dokumentiert sind. So wird vielfach nicht zwischen selbständigen<br />
ApothekerInnen, PächterInnen oder angestellten ApothekerInnen unterschieden und 1938<br />
und in den folgenden Jahren erfolgte Vermögensübertragungen werden – oft nicht näher<br />
untersucht – generell als ‚Arisierungsfälle‘ bewertet.<br />
86
5. ‚Arisierung‘ und Rückstellung österreichischer Apotheken.<br />
Fallbeschreibungen.<br />
5.1. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken in Wien<br />
5.1.1. Wien, Innere Stadt<br />
Alte Feldapotheke, Wien 1., Stephansplatz 8<br />
Besitzerin dieser Realapotheke war seit 1919 die offene Handelsgesellschaft „Alte<br />
Feldapotheke, M. Kris“. 240 Der Apotheke angeschlossen war die Großdrogenhandlung „M.<br />
Kris Söhne“, ebenfalls eine offene Handelsgesellschaft, die am selben Standort<br />
gemeinsam mit der Apotheke geführt und bilanziert wurde. 241 GesellschafterInnen dieser<br />
Unternehmungen waren zu gleichen Teilen Helene Kris – Witwe des 1913 verstorbenen<br />
Vorbesitzers <strong>Mag</strong>. Moriz Kris – und ihre Söhne Georg und Stefan Kris. 242 Geleitet wurde<br />
die Alte Feldapotheke seit 1. August 1935 von <strong>Mag</strong>. Friedrich Druschba. 243 Laut einem<br />
1938 erstellten Schätzgutachten repräsentierten beide Unternehmungen per 1. Jänner<br />
1938 einen Wert von S 1,810.500,– beziehungsweise RM 1,207.000,–. 244 Die Ereignisse<br />
nach dem 13. März 1938 stellte Anna Kris – die Frau des Gesellschafters Stefan Kris – am<br />
15. November 1946 in einer Eingabe an das Bundesministerium für Eigentumskontrolle<br />
und Planwirtschaft wie folgt dar:<br />
Da die 3 Gesellschafter Juden waren, wurden sie kurze Zeit nach der<br />
„Machtergreifung“ Hitlers in Österreich gezwungen, die Leitung der obbezeichneten<br />
Unternehmen einem eingesetzten kommissarischen Leiter zu überlassen, der in der<br />
Person des Oskar Teufel bestand. Kurze Zeit nach Aufnahme seiner Tätigkeit, somit<br />
schon Anfang Mai 1938, hat Herr Teufel die damaligen Gesellschafter Frau<br />
HELENE KRIS – damals 67 Jahre alt – und deren beide Söhne STEFAN und<br />
240 Ernestine Krug, Die Wiener Apotheken im 20. Jahrhundert. Erarbeitet nach den Akten der Gehaltskasse der Österr.<br />
Apothekerkammer, Wien 1977, ohne Seitenangaben.<br />
241 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 830, Anmeldung durch Karoline Eichinger vom 14.11.1946.<br />
242 Krug, Wiener Apotheken; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 829 u. 830, Vergleich vom 09.08.1949.<br />
243 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
244 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 527, Anna Kris an das BM f. Eigentumskontrolle und Planwirtschaft vom<br />
15.11.1946; die Umrechnung von Schilling in Reichsmark erfolgte 1938 im Verhältnis 1,5:1.<br />
87
GEORG KRIS, mit allen möglichen versteckten und offenen Drohungen zu<br />
veranlassen versucht, durch Verkauf das Unternehmen zu arisieren. Die<br />
Gesellschafter versuchten anfänglich, diesen gezwungenen Verkauf trotz<br />
Drohungen hinauszuschieben, als aber die Drohungen immer stärker wurden und<br />
schließlich alle 3 Gesellschafter grundlos in „Schutzhaft“ genommen wurden,<br />
mussten die drei Gesellschafter dem Drucke, unter dem sie standen, weichen und<br />
sich zu einem Verkauf der obigen Unternehmen zu solchen Bedingungen verstehen,<br />
zu welchen sie freiwillig niemals ihre Zustimmung gegeben hätten. Den<br />
Gesellschaftern wurde ein „Kaufvertrag“ zur Fertigung vorgelegt, wonach die<br />
Gesellschafter sich verpflichten mussten, die obigen Unternehmen samt allen<br />
Aktiven den „Käufern“ gegen Bezahlung der Passiven zu überlassen. Die<br />
Unternehmungen hatten damals, laut Schätzung über Veranlassung der<br />
Steuerbehörde mit Stichtag 1.1.1938, einen Wert von ca. S 1,800.000,– , dem<br />
gegenüber Passiva der Unternehmen von ca. S 600.000,– standen. Die „Käufer“<br />
erstanden sohin die Unternehmen um ein Drittel des Schätzwertes. Die<br />
Gesellschafter selbst gingen völlig leer aus diesen glänzend von ihnen bis dahin<br />
geführten Unternehmen aus. 245<br />
Besagte Käufer waren der Sohn des erwähnten Kommissarischen Verwalters Oskar<br />
Teufel, Dr. Harald Teufel – ein mehrfach dekoriertes ‚illegales‘ Mitglied der NSDAP – und<br />
Dkfm. Nikolaus Bujas, ein Geschäftsmann aus Herzogenburg. 246 Der von Anna Kris<br />
erwähnte Kaufvertrag wurde am 3. Oktober 1938 in Form eines Gedenkprotokolls errichtet<br />
und am 5. Oktober 1938 von der Vermögensverkehrsstelle genehmigt. Diese setzte den<br />
Kaufpreis vorerst mit RM 393.528,– fest, was den von Anna Kris erwähnten Passiven der<br />
Unternehmungen entsprach. Durch die Übernahme einer weiteren Steuerforderung durch<br />
die ‚Ariseure‘ erhöhte sich der Kaufpreis letztlich auf effektive RM 439.348,–. Die<br />
ehemaligen jüdischen BesitzerInnen erhielten nichts aus dem Zwangsverkauf ihrer<br />
Unternehmungen. 247<br />
Helene, Georg und Stefan Kris konnten 1938 mit ihren Familien vor den NationalsozialistInnen<br />
fliehen und emigrierten nach Shanghai, 248 wo Stefan Kris am 13. Mai 1944<br />
verstarb. Helene Kris und Georg Kis verstarben ebenfalls in Shanghai, erstere am 8.<br />
245 Ebd., Unterstreichungen im Original.<br />
246 Krug, Wiener Apotheken; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 527, Anna Kris an das BM f. Eigentumskontrolle<br />
und Planwirtschaft vom 15.11.1946.<br />
247 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 829, Anmeldung durch Karoline Eichinger vom 14.11.1946.<br />
248 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 221.<br />
88
Dezember, letzterer am 18. Juni 1946. 249<br />
Am 8. April 1945 wurde bei einem Bombenangriff die Alte Feldapotheke samt Einrichtung<br />
und Warenlager durch einen Brand vollständig vernichtet. Für die Drogengroßhandlung –<br />
diese wurde seit 1. Jänner 1941 getrennt von der Apotheke geführt – wurde am 19. Mai<br />
1945 Karoline Eichinger als öffentliche Verwalterin eingesetzt, die mangels eines<br />
Betriebslokals und wegen fehlender Vorräte das Geschäft in reduziertem Umfang weiterführte.<br />
Als Auslieferungslager der Drogengroßhandlung dienten zu dieser Zeit die Räume<br />
der Drogerie Willmitzer in Wien 7., Neubaugasse 12. Die Alte Feldapotheke wurde vorerst<br />
nicht wiedererrichtet. 250 Im Juni 1947 wurde Karoline Eichinger als öffentliche Verwalterin<br />
der Drogengroßhandlung durch Gisela Kris, Witwe und Erbin nach Georg Kris, in dieser<br />
Funktion ersetzt. 251<br />
Im November 1946 beantragte die Witwe und Erbin von Stefan Kris, Anna Kris, die<br />
Rückstellung der 1938 entzogenen Unternehmungen. 252 Das daraufhin 1948 eröffnete<br />
Rückstellungsverfahren endete am 9. August 1949 mit einem Vergleich, in dem Anna und<br />
Gisela Kris gegen die Übernahme der vorhanden Betriebsverbindlichkeiten sowohl die Alte<br />
Feldapotheke als auch die Drogengroßhandlung samt Konzessionen zurückgestellt<br />
wurden. 253 Nach der Rückstellung verkauften Anna und Gisela Kris die Alte Feldapotheke<br />
an die Wiener Gebietskrankenkasse. 254 Die Drogengroßhandlung wurde nach dem<br />
Verkauf der Apotheke nicht mehr weitergeführt und die Firma am 14. April 1958 im Wiener<br />
Handelsregister gelöscht. 255<br />
Alte Salvator-Apotheke, Wien 1., Kärntnerstraße 16 256<br />
Besitzerin der Alten Salvator-Apotheke war 1938 die offene Handelsgesellschaft „Alte<br />
Salvator-Apotheke Dr. Jaques Rainer“. Gesellschafter dieser OHG waren seit 1928 zu je<br />
30 Prozent Dr. Otto Lustig und Dr. Hilde Lustig. Dritter Gesellschafter mit einer 40-<br />
249 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 829 u. 830, Vergleich vom 09.08.1949.<br />
250 Ebd.,, Anmeldung durch Karoline Eichinger vom 14.11.1946 sowie Vergleich vom 09.08.1949.<br />
251 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 9277.<br />
252 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 527, Anna Kris an das BM f. Eigentumskontrolle und Planwirtschaft vom<br />
15.11.1946.<br />
253 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 829 u. 830, Vergleich vom 09.08.1949.<br />
254 Krug, Wiener Apotheken.<br />
255 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 9277.<br />
256 Die Apotheke existiert heute nicht mehr.<br />
89
prozentigen Beteiligung war seit 1936 Dr. Richard Kolm. 257 Konzessionär der Apotheke<br />
war seit 1935 Dr. Otto Lustig. 258 Der Betrieb erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 107.500,– und war schuldenfrei. 259 Am 19. Juli 1938 wurde die Alte Salvator-Apotheke<br />
vom Kommissarischen Verwalter der jüdischen Apotheken in der Ostmark, SA-<br />
Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner, mittels Gedächtnisprotokoll an <strong>Mag</strong>. Kamillo Winter<br />
– NSDAP-Mitglied seit 1932 und ‚Alter Kämpfer‘ der Partei 260 – übergeben. 261 Dieser wurde<br />
am 22. Juli 1938 zum Leiter der Apotheke bestellt. 262 Die ‚Arisierung‘ der Alten Salvator-<br />
Apotheke wurde am 18. Oktober 1938 von der Vermögensverkehrsstelle genehmigt und<br />
ein Kaufpreis von RM 77.150,– festgesetzt. Davon waren RM 46.290,– als ‚Arisierungsauflage‘<br />
im Laufe der nächsten zehn Jahre an die Vermögensverkehrsstelle abzuführen,<br />
RM 30.860,– wurden wurden zu Gunsten der ehemaligen BesitzerInnen auf ein Sperrkonto<br />
bei der Pharmakred eingezahlt. 263 Die Konzession für die Alte Salvator-Apotheke<br />
erhielt <strong>Mag</strong>. Kamillo Winter am 8. November 1938. 264<br />
Dr. Otto Lustig und Dr. Hilde Lustig konnten 1939 flüchten und emigrierten in die USA. 265<br />
Auch Dr. Richard Kolm konnte sich 1939 in die USA in Sicherheit bringen. 266<br />
Die Alte Salvator-Apotheke wurde im April 1945 bei Kampfhandlung vollständig zerstört 267<br />
und nicht wieder aufgebaut. 1951 beantragte Dr. Otto Lustig aus dem Exil die Rückstellung<br />
der 1938 entzogenen Apotheke. In einem daraufhin geführten Rückstellungsverfahren<br />
wurden ihm mit Vergleich vom 17. April 1951 die verbliebenen Aktiven der Apotheke –<br />
Standort der Apotheke, Kundenkreis, Marken- und Firmenrechte sowie die Konzession –<br />
zurückgestellt. 268 Da allerdings Dr. Otto Lustig innerhalb der von den Gesundheitsbehörden<br />
eingeräumten Fristen die Wiederinbetriebnahme der Apotheke nicht<br />
257 Krug, Wiener Apotheken; ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef<br />
Bürckel vom 31.01.1939.<br />
258 Krug, Wiener Apotheken.<br />
259 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
260 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, V-46.347-18/46, BMfI an BMfsV vom<br />
28.07.1946.<br />
261 WStLA, 2.3.3. A47, HRA-Registerakten der aufgelassenen Firmen 1939–1993, HRA 3615, Bescheid der<br />
Vermögensverkehrsstelle vom 18.10.1938.<br />
262 Krug, Wiener Apotheken.<br />
263 WStLA, 2.3.3. A47, HRA-Registerakten der aufgelassenen Firmen 1939–1993, HRA 3615, Bescheid der<br />
Vermögensverkehrsstelle vom 18.10.1938; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1554, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Kamillo<br />
Winter vom 10.11.1946.<br />
264 Krug, Wiener Apotheken.<br />
265 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 222.<br />
266 Vgl. www.henrykolm.com, (24.04.2008).<br />
267 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1554, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Kamillo Winter vom 10.11.1946.<br />
268 Ebd., Vergleich vom 17.04.1951.<br />
90
ewerkstelligte, wurde die Konzession für erloschen erklärt und am 27. Mai 1960 von der<br />
Landeshauptmannschaft Wien eingezogen. 269 Eine von Dr. Lustig eingebrachte Berufung<br />
gegen die Konzessionsentziehung wurde am 12. September 1961 mit Bescheid des<br />
Bundesministeriums für soziale Verwaltung abgewiesen. 270 Die noch unter „Alte Salvator-<br />
Apotheke Ph.Mr. Kamillo Winter“ im Wiener Handelsregister protokollierte Firma wurde<br />
daher am 30. Oktober 1963 von Amts wegen gelöscht. 271<br />
Apotheke „Zum heiligen Leopold“, Wien 1., Plankengasse 6 272<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zum heiligen Leopold“ war seit 1918<br />
<strong>Mag</strong>. Eduard Bloch. 273 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 57.566,03<br />
auf und war schuldenfrei. Am 24. Mai 1938 wurde auch für diese Apotheke der SA-<br />
Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner als Kommissarischer Verwalter eingesetzt; dieser<br />
verkaufte die Apotheke im Sommer 1938 an <strong>Mag</strong>. Georg Hugh-Bloch, den Adoptivsohn<br />
<strong>Mag</strong>. Eduard Blochs. 274 Die Vermögensverkehrsstelle setzte für die Apotheke einen<br />
Kaufpreis von RM 40.296,22 fest und verfügte eine ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 24.177,73. <strong>Mag</strong>. Eduard Bloch erhielt RM 16.118,49 aus dem Verkauf seiner Apotheke<br />
auf ein Sperrkonto gutgeschrieben. 275 Die Konzession für die Apotheke „Zum heiligen<br />
Leopold“ erhielt <strong>Mag</strong>. Hugh-Bloch am 8. November 1938. 276 Am 2. Februar 1939 wurden<br />
die neuen Besitzverhältnisse im Wiener Handelsregister protokolliert und der Name der<br />
Apotheke auf „Alte Leopoldsapotheke Ph. Mr. Georg Hugh-Bloch“ geändert. 277<br />
<strong>Mag</strong>. Eduard Bloch verstarb 1940 in Wien. 278<br />
1945 verblieb die Alte Leopoldsapotheke im Besitz von <strong>Mag</strong>. Georg Hugh-Bloch. Die<br />
Apotheke scheint zwar in einer Liste ‚arisierter‘ Apotheken der Sammelstellen auf,<br />
269 WStLA, 2.3.3. A47, HRA-Registerakten der aufgelassenen Firmen 1939–1993, HRA 3615, Kammer der<br />
gewerblichen Wirtschaft für Wien an das Handelsgericht Wien vom 18.03.1963; AdPhGK, Betriebsakt 01022, Bescheid<br />
vom 12.09.1961.<br />
270 AdPhGK, Betriebsakt 01022, Bescheid vom 12.09.1961.<br />
271 WStLA, 2.3.3.A 47, HRA-Registerakten der aufgelassenen Firmen 1939–1993, HRA 3615, Verfügung des<br />
Handelsgerichts Wien vom 29.10.1963.<br />
272 Heute: Alte Leopoldsapotheke.<br />
273 WStLA, Handelsregister A: offene Handelsgesellschaften 1906–1938, A 37, 250.<br />
274 Ebd.; Krug, Wiener Apotheken.<br />
275 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
276 Krug, Wiener Apotheken.<br />
277 WStLA, Handelsregister A: offene Handelsgesellschaften 1906–1938, A 37, 250.<br />
278 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 218<br />
91
wahrscheinlich wurde aber im Hinblick darauf, dass die Apotheke innerhalb der Familie<br />
weiterveräußert wurde von den Sammelstellen kein Rückstellungsantrag gestellt.<br />
Apotheke „Zum goldenen Reichsapfel“, Wien 1., Singerstraße 15<br />
Inhaberin und Konzessionärin der Apotheke „Zum goldenen Reichsapfel“ war seit 1922<br />
Sophie Pserhofer. Sie führte mit <strong>Mag</strong>. Johann Stuchlik als verantwortlichem Leiter die<br />
Apotheke seit Ableben ihres Mannes, <strong>Mag</strong>. Richard Pserhofer, als Witwenfortbetrieb. 279<br />
Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 47.646,30 280 und wies<br />
Betriebsschulden von RM 5.408,79 auf. 281 Am 27. Juli 1938 wurde der spätere ‚Ariseur‘<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Wratschko von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner als verantwortlicher Leiter der Apotheke<br />
eingesetzt. 282 Die endgültige ‚Arisierung‘ der Apotheke „Zum goldenen Reichsapfel“ wurde<br />
dann am 17. August 1938 von <strong>Mag</strong>. Renner und <strong>Mag</strong>. Wratschko mittels Kaufvertrag<br />
bewerkstelligt. In der Genehmigung dieser Transaktion setzte die Vermögensverkehrsstelle<br />
am 24. November 1938 den Kaufpreis für die Apotheke mit RM 33.352,41 fest. 283 60<br />
Prozent dieses Kaufpreises, somit RM 20.011,45, sollten als ‚Arisierungsauflage‘ zu<br />
Gunsten der Vermögensverkehrsstelle abgeführt, der Rest von RM 13.340,96 auf ein<br />
Sperrkonto für Sophie Pserhofer eingezahlt werden. 284 Die ehemalige Besitzerin der<br />
Apotheke „Zum goldenen Reichsapfel“ erhielt somit keine Gegenleistung aus dem<br />
Zwangsverkauf ihrer Apotheke. 285 Mit Bescheid der Abteilung 8 des Wiener <strong>Mag</strong>istrats<br />
vom 29. November 1938 wurde die Konzession für die Apotheke auf <strong>Mag</strong>. Franz<br />
Wratschko übertragen, 286 und am 6. Juni 1939 der neue Besitzer im Wiener<br />
Handelsregister protokolliert. 287<br />
Sophie Pserhofer hatte den Zwangsverkauf ihrer Apotheke nicht abgewartet und war<br />
schon im Sommer 1938 nach Opatija in Istrien geflohen. Später emigrierte sie nach Monte<br />
Carlo, wo sie die NS-Herrschaft überlebte. 288<br />
279 Krug, Wiener Apotheken.<br />
280 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
281 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 173 N, Anmeldung durch Helga Wratschko vom 17.01.1947.<br />
282 Krug, Wiener Apotheken.<br />
283 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 173 N, Anmeldung durch Helga Wratschko vom 17.01.1947.<br />
284 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
285 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 189, Anmeldung durch Sophie Pserhofer vom 23.10.1946.<br />
286 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 50 (1938), 257.<br />
287 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4889.<br />
288 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 795, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Johann Stuchlik vom 15.11.1946.<br />
92
Mit Bescheid der Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung II vom 30. Juni 1945 wurde <strong>Mag</strong>. Johann<br />
Stuchlik zum verantwortlichen Leiter der Apotheke „Zum goldenen Reichapfel“ bestellt 289<br />
und am 30. Oktober 1945 mit der öffentlichen Verwaltung betraut. 290 Er leitete die<br />
Apotheke in dieser Funktion bis zur Aufhebung der öffentlichen Verwaltung und Rückstellung<br />
der Apotheke an Sophie Pserhofer. Die Rückstellung der Apotheke „Zum<br />
goldenen Reichsapfel“ samt Konzession erfolgte am 25. September 1948 mit Bescheid<br />
des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung. 291 Das<br />
daraufhin gestellte Ansuchen von Sophie Pserhofer auf neuerlichen Witwenfortbetrieb<br />
wurde jedoch abgelehnt 292 und die Konzession am 7. September 1950 auf <strong>Mag</strong>. Johann<br />
Lehr übertragen. 293 Mit ihm gründete Sophie Pserhofer am 18. September 1950 eine<br />
offene Handelsgesellschaft zum weiteren Betrieb der Apotheke. 294<br />
Apotheke „Zum Heiligen Geist“, Wien 1., Operngasse 16<br />
Einen eher ungewöhnlichen ‚Arisierungsfall‘ stellt die Apotheke „Zum Heiligen Geist“,<br />
Wien 1, Operngasse 16, dar. Dies weniger auf Grund der ‚Arisierung‘ eines 1/10-Anteiles<br />
an dieser Apotheke, der <strong>Mag</strong>. Erich Peiser gehörte, sondern vielmehr aufgrund von<br />
historischen Details, die in der Begründung eines Rückstellungserkenntnisses aus 1950<br />
enthalten sind und die die pharmazeutischen Standesvertretungen betreffen.<br />
Besagte Apotheke gehörte Anfang 1938 zu 90 Prozent dem Pharmazeutischen<br />
Reichsverband für Österreich, der sie mit Kaufvertrag vom 21. Dezember 1937 – finanziert<br />
von der Pharmakred – von der Vedepha Ges.m.b.H. erworben hatte, 10 Prozent an dieser<br />
Apotheke besaß <strong>Mag</strong>. Erich Peiser. 295<br />
Seit 1913 war <strong>Mag</strong>. Erich Peiser in Deutschland Geschäftsführer des Verbandes<br />
deutscher Apotheker sowie seit 1929 Vorsitzender der Internationalen Apothekergewerkschaft<br />
in Prag. 296 1922 wurde unter seinem Vorsitz der Verband deutscher<br />
289 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt.3, IV-161.524-15/45, Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung II<br />
an das StAfsV vom 14.09.1945.<br />
290 Krug, Wiener Apotheken.<br />
291 Ebd.<br />
292 WStLA, M.Abt. 13, Kartei K 1/3, Apotheken.<br />
293 Krug, Wiener Apotheken.<br />
294 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4889.<br />
295 Krug, Wiener Apotheken.<br />
296 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 30.<br />
93
Apotheker in die Gewerkschaft der Angestellten eingegliedert und 1933 durch die<br />
NationalsozialistInnen aufgelöst. <strong>Mag</strong>. Erich Peiser floh nach Österreich und wurde<br />
Mitbesitzer an der Apotheke „Zum heiligen Geist“. 297<br />
Am 18. März 1938 musste <strong>Mag</strong>. Peiser seinen Anteil an der Apotheke um RM 30.000,– an<br />
Richard Kurtics verkaufen, der diesen Anteil am 5. April 1938 an Louise Schäffer<br />
weiterveräußerte. 298 Später wurde der Kaufpreis für diesen Geschäftsanteil auf<br />
RM 10.992,22 vermindert, von dem die Vermögensverkehrsstelle RM 6.595,42 als<br />
‚Arisierungsauflage’ einbehielt. Die restlichen RM 4.396,88 gingen an <strong>Mag</strong>. Peiser. 299 Am<br />
1. April 1938 wurde Dr. Eduard Schäffer im Auftrag des Pharmazeutischen Reichsverbandes<br />
als verantwortlicher Leiter der Apotheke eingesetzt. Der 90-prozentige Anteil an<br />
der Apotheke blieb vorerst im Besitz des Pharmazeutischen Reichsverbandes für<br />
Österreich. Als mit Verfügung des Stillhaltekommissars Albert Hoffmann am 8. August<br />
1938 auch der Pharmazeutische Reichsverband aufgelöst wurde, wurde sein<br />
Vereinsvermögen, sohin auch der Anteil an der Apotheke „Zum Heiligen Geist“, dem<br />
Bezirksverband Donauland der Deutschen Apothekerschaft übertragen. 300 Diese verkaufte<br />
den Geschäftsanteil am 28. Mai 1940 um RM 270.000,– an Dr. Eduard Schäffer. Der Kaufpreis<br />
entsprach der Verpflichtung, die der Pharmazeutische Reichsverband für Österreich<br />
1937 zum Kauf seines 90-prozentigen Anteiles bei der Pharmakred eingegangen war, die<br />
aushaftende Schuld wurde von Dr. Schäffer übernommen. 301 Da Louise Schäffer am<br />
11. Juni 1941 ihren 10-prozentigen Anteil an der Apotheke per Notariatsakt unentgeltlich<br />
ihrem Gatten abtrat, war Dr. Eduard Schäffer ab diesem Zeitpunkt Alleininhaber der<br />
Apotheke „Zum Heiligen Geist“. 302<br />
<strong>Mag</strong>. Erich Peiser floh nach dem ‚Anschluß‘ aus Österreich und wurde nach einer Odysee<br />
durch Belgien, Frankreich und Italien in einem französischen Lager interniert. Von dort<br />
gelang es ihm später, in die Schweiz zu entkommen. 303 Nach Beschluss des Dritten<br />
Rückstellungsgesetzes im Februar 1947 machte <strong>Mag</strong>. Erich Peiser – er hatte sich nach<br />
Basel in Sicherheit bringen können – seinen Anspruch auf Rückstellung seines Anteils an<br />
297 Vgl. ebd., 30 sowie 118.<br />
298 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1314, Anmeldung durch Dr. Eduard Schäffer vom 13.11.1946.<br />
299 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
300 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 34 (1938), 27.<br />
301 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1314, Enderkenntnis vom 23.06.1950.<br />
302 Ebd., Anmeldung durch Dr. Eduard Schäffer vom 13.11.1946.<br />
303 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 118.<br />
94
der Apotheke „Zum heiligen Geist“ geltend. In einem am 29. August 1949 geschlossenen<br />
Vergleich verzichtete er gegen Zahlung von ÖS 10.000,– auf seinen Anteil an der<br />
Apotheke zu Gunsten von Dr. Eduard Schäffer. 304<br />
Auch der inzwischen neu konstituierte Pharmazeutische Reichsverband für Österreich<br />
machte Ansprüche auf Rückstellung seines Anteils an der Apotheke „Zum Heiligen Geist“<br />
geltend. Dieses Rückstellungsbegehren wurde allerdings von der Rückstellungskommission<br />
Wien I mit Enderkenntnis vom 23. Juni 1950 abgewiesen. Begründet wurde<br />
dies damit, dass weder der Pharmazeutische Reichsverband für Österreich noch der<br />
Österreichische Apothekerverein politischer Verfolgung durch den Nationalsozialismus<br />
ausgesetzt gewesen wären, sondern im Gegenteil sich schon am 12. März 1938, also<br />
einen Tag vor dem ‚Anschluß‘, selbst aufgelöst hätten. Auch seien alle maßgebenden<br />
Funktionäre weiterhin in führender Stellung verblieben und hätten über die Fachpresse<br />
alle ehemaligen Mitglieder aufgefordert, sich der Deutschen Apothekerschaft geschlossen<br />
einzugliedern. Auch sei das Vermögen des Pharmazeutischen Reichsverbandes durch<br />
den Stillhaltekommissar dem Bezirksverband Donauland der Deutschen Apothekerschaft<br />
mit der ausdrücklichen Auflage zweckentsprechender Verwendung innerhalb der Ostmark<br />
eingewiesen und nicht zu Gunsten des Stillhaltekommissars und der NSDAP eingezogen<br />
worden. Im Weiteren hätte die Veräußerung der Apothekenanteile durch den Bezirksverband<br />
Donauland keiner Genehmigung durch reichsdeutsche Stellen bedurft, und es sei<br />
auch die freie Wahl des Käufers beziehungsweise der Käuferin gegeben gewesen. 305<br />
Apotheke „Zum Kronprinz Rudolf“, Wien 1., Rudolfsplatz 5 306<br />
Besitzerin der Apotheke „Zum Kronprinz Rudolf“ war seit 1929 eine Stiftung der<br />
Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, das Benno Rothziegel’sche Stiftungskapital Wien.<br />
Auf Wunsch des am 26. Jänner 1929 verstorbenen Vorbesitzers <strong>Mag</strong>. Benno Rothziegel<br />
wurde diese Stiftung nach seinem Tod zur Unterstützung des Blindenheims des<br />
Israelitischen Blindeninstitutes eingerichtet und enthielt neben Wertpapieren und Bargeld<br />
auch die Apotheke „Zum Kronprinz Rudolf“. In seinem Testament bestimmte Benno<br />
Rothziegel weiter, dass die beiden bei ihm angestellten PharmazeutInnen<br />
<strong>Mag</strong>.ª Bronislawa Friedmann und <strong>Mag</strong>. Wilhelm Szapu ein lebenslanges Fruchtgenuss-<br />
304 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1314, Vergleich vom 29.08.1949.<br />
305 Ebd., Enderkenntnis vom 23.06.1950.<br />
306 Heute: Werdertor-Apotheke, Wien 1., Werdertorgasse 5.<br />
95
echt an der Apotheke besitzen und nach deren Ableben die Apotheke in das Eigentum<br />
der Israelitischen Kultusgemeinde Wien übergehen sollte. 307 Konzessionärin der Apotheke<br />
war seit 1931 <strong>Mag</strong>.ª Bronislawa Friedmann. 308 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen<br />
Jahresumsatz von RM 93.333,33 und war schuldenfrei. 309 Im September 1938 wurde der<br />
‚illegale‘ Nationalsozialist 310 und spätere ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Josef Ehrlich zum verantwortlichen<br />
Leiter der Apotheke bestellt, der im selben Monat eine Standortverlegung der Apotheke<br />
nach Wien 1, Franz Josefskai 47, beantragte. 311 Bei der Finalisierung dieser Enteignung<br />
kam es allerdings zu Kompetenzdifferenzen innerhalb der NS-Bürokratie. So sah sich die<br />
Vermögensverkehrsstelle für die ‚Arisierung‘ des Betriebes zuständig, setzte den Kaufpreis<br />
mit RM 65.300,– fest und schrieb eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 39.200,– vor. Mit dem<br />
Argument, dass Stiftungen in seine Kompetenz fielen, nahm der Stillhaltekommissar für<br />
Vereine, Organisationen und Verbände Albert Hoffmann gegen diese Regelung Stellung<br />
und verlangte, dass der gesamte Kaufpreis für die Apotheke der in seinem Einflussbereich<br />
gelegenen Allgemeinen Stiftung für jüdische Fürsorge – eine zur Aufnahme des<br />
Vermögens liquidierter jüdischer Stiftungen dienende Einrichtung – zuzufallen hätte. 312<br />
Albert Hoffmann konnte sich durchsetzten und <strong>Mag</strong>. Josef Ehrlich bezahlte 40 Prozent des<br />
Kaufpreises bei Übernahme der Apotheke und den Rest in Monatsraten zu RM 333,33 313<br />
an den Unterbevollmächtigten des Stillhaltekommissars, den Rechtanwalt Dr. Ludwig<br />
Mattausch. 314 Die Konzession für die Apotheke „Zum Kronprinz Rudolf“ erhielt <strong>Mag</strong>. Josef<br />
Ehrlich am 23. Februar 1939. 315<br />
<strong>Mag</strong>.ª Bronislawa Friedmann konnte 1939 fliehen 316 und emigrierte nach Venezuela. 317<br />
Auch <strong>Mag</strong>. Wilhelm Szapu konnte sich 1939 in Sicherheit bringen und floh nach Palästina,<br />
wo er wieder als Apotheker tätig wurde. Er kehrte 1948 nach Wien zurück. 318<br />
Am 17. April 1945 wurde die Apotheke „Zum Kronprinz Rudolf“ an ihrem neuen Standort<br />
307 Vgl. Angelika Shoshana Duizend Jensen (Historikerkommission Hg.), Jüdische Gemeinden, Vereine, Stiftungen<br />
und Fonds. „Arisierung“ und Restitution, Wien 2002, 112f.<br />
308 Fritsch, Pharmazie, 33f.<br />
309 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
310 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
311 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 39 (1938), 103.<br />
312 Vgl. Duizend Jensen, Jüdische Gemeinden, 113.<br />
313 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 249, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Josef Ehrlich vom 12.11.1946.<br />
314 Vgl. Duizend Jensen, Jüdische Gemeinden, 113.<br />
315 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
316 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 219.<br />
317 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 249, Vergleich vom 23.07.1952.<br />
318 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 219.<br />
96
Wien 1., Franz Josefskai 47, durch einen Brand vollständig zerstört. <strong>Mag</strong>. Josef Ehrlich<br />
wurde nach dem Krieg von einem Volksgericht wegen missbräuchlicher Bereicherung<br />
beim Erwerb der Apotheke zu einem Jahr Haft verurteilt. Dieses Volksgerichtsurteil wurde<br />
später vom Obersten Gerichtshof aufgehoben und <strong>Mag</strong>. Ehrlich wieder zur<br />
Berufsausübung zugelassen. 319<br />
1949 beantragten <strong>Mag</strong>.ª Bronislawa Friedmann und <strong>Mag</strong>. Wilhelm Szapu die Rückstellung<br />
der Konzession sowie je ÖS 190.000,– für entgangene Erträgnisse aus der Apotheke<br />
„Zum Kronprinz Rudolf“. Diesem Rückstellungsbegehren schloss sich die Israelitische<br />
Kultusgemeinde Wien an und forderte ihrerseits ÖS 352.760,– als Entschädigung. 320 Da<br />
<strong>Mag</strong>.ª Friedmann vom Rechtsbüro der IKG Wien geraten wurde, zu Gunsten von<br />
<strong>Mag</strong>. Szapu auf die Konzession zu verzichten, um eine neuerliche Verleihung derselben<br />
an <strong>Mag</strong>. Ehrlich zu verhindern, 321 endete das Rückstellungsverfahren am 23. Juli 1952 mit<br />
einem Vergleich, in dem <strong>Mag</strong>. Wilhem Szapu die Konzession für die Apotheke „Zum<br />
Kronprinz Rudolf“ sowie alle noch vorhandenen Betriebsmittel zurückgestellt wurden und<br />
<strong>Mag</strong>. Josef Ehrlich eine Entschädigung von in Summe ÖS 5.000,– bezahlte. 322 Die 1945<br />
zerstörte Apotheke wurde in den folgenden Jahren in Wien 1., Werdertorgasse 5, neu<br />
aufgebaut und 1964 in „Werdertor-Apotheke“ umbenannt. 323<br />
Apotheke „Zum römischen Kaiser“, Wien 1., Wollzeile 13<br />
Konzessionär und Alleininhaber der Apotheke „Zum römischen Kaiser“ war seit 1914<br />
<strong>Mag</strong>. Ignaz Zilz. 324 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 129.000,– und war schuldenfrei. 325 Am 8. Juni 1938 setzte sich der Kommissarische<br />
Verwalter der jüdischen Apotheken in der Ostmark, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner, selbst als<br />
verantwortlicher Leiter der Apotheke ein, um die ‚Arisierung‘ derselben voranzutreiben.<br />
Indem er am 10. Juni 1938 <strong>Mag</strong>.ª Milica Manzoni als verantwortliche Leiterin einzusetzen<br />
versuchte, unternahm <strong>Mag</strong>. Zilz einen letzten Versuch, der drohenden ‚Arisierung‘ seiner<br />
Apotheke durch <strong>Mag</strong>. Renner zuvorzukommen beziehungsweise eine bessere Ver-<br />
319 Vgl. Duizend Jensen, Jüdische Gemeinden, 228.<br />
320 Vgl. Ebd.<br />
321 Vgl. Ebd.<br />
322 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 249, Vergleich vom 23.07.1952.<br />
323 Krug, Wiener Apotheken.<br />
324 Ebd.<br />
325 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
97
handlungsposition zu erreichen. Dieser Versuch scheiterte allerdings, und am 1. August<br />
1938 wurde von <strong>Mag</strong>. Renner der spätere ‚Ariseur‘ Dr. Josef Salomon als verantwortlicher<br />
Leiter eingesetzt. 326 <strong>Mag</strong>. Zilz wurde genötigt, seine Apotheke zu veräußern, der entsprechende<br />
Kaufvertrag wurde am 22. November 1938 von der Vermögensverkehrsstelle<br />
genehmigt. Als ‚Arisierungsauflage‘ wurden RM 67.740,– bestimmt, <strong>Mag</strong>. Zilz erhielt aus<br />
dem Verkauf RM 36.901,31, die in drei Monatsraten auf ein Sperrkonto einbezahlt<br />
wurden. 327 Die Konzession für die Apotheke „Zum römischen Kaiser“ erhielt Dr. Salomon<br />
am 10. November 1938. 328 Mit 1. Jänner 1939 wurde eine offene Handelsgesellschaft zum<br />
Betrieb der Apotheke gegründet, der neben Dr. Salomon auch Dr. Werner Schrutka als<br />
Gesellschafter mit je 50-prozentiger Beteiligung angehörten. 329<br />
<strong>Mag</strong>. Ignaz Zilz flüchtete noch 1939 nach Großbritannien, 330 wo er 14. September 1941 in<br />
Harrogate verstarb. 331<br />
Am 11. April 1946 wurde <strong>Mag</strong>. Maximilian Winternitz als öffentlicher Verwalter für die<br />
Apotheke „Zum römischen Kaiser“ eingesetzt, 332 und 1948 beantragte schließlich die<br />
Witwe von <strong>Mag</strong>. Zilz, Margarethe Zilz, von London aus die Rückstellung der 1938 ihrem<br />
Mann entzogenen Apotheke. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am<br />
16. November 1948 mit einem Vergleich vor der Rückstellungskommission Wien V, in dem<br />
ihr die Apotheke „Zum römischen Kaiser“ samt der Konzession zum Betrieb derselben<br />
zurückgestellt wurde. 333<br />
Apotheke „Zum Schwan“, Wien 1., Schottenring 14<br />
Eigentümer- und Betreibergesellschaft der Apotheke „Zum Schwan“ war seit 1924 die<br />
offene Handelsgesellschaft „B.V. Bibus Apotheke zum Schwan“. 334 GesellschafterInnen<br />
dieser OHG waren 1938 Helene Ahl und ihr Sohn <strong>Mag</strong>. Heinrich Ahl, 335 letzterer war seit<br />
326 Krug, Wiener Apotheken.<br />
327 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 164, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Maximilian Winternitz vom 05.11.1946.<br />
328 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 46 (1938), 200.<br />
329 Krug, Wiener Apotheken; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 164, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Maximilian Winternitz<br />
vom 05.11.1946.<br />
330 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 225.<br />
331 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 164, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Maximilian Winternitz vom 05.11.1946.<br />
332 Krug, Wiener Apotheken.<br />
333 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 164, Vergleich vom 16.11.1948.<br />
334 Krug, Wiener Apotheken.; Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 5193.<br />
335 WStLA, LGZ, A 29, Rk 105 /61, Teilerkenntnis vom 24.09.1949.<br />
98
1934 auch Konzessionär der Apotheke. 336 Der Betrieb erwirtschaftete 1937 einen<br />
Jahresumsatz von RM 17.487,– und war schuldenfrei. 337 Um der drohenden ‚Arisierung‘<br />
ihres Betriebes zuvorzukommen, schlossen die jüdischen BesitzerInnen Anfang April 1938<br />
mit dem langjährigen Angestellten <strong>Mag</strong>. Franz Foldina einen Pachtvertrag ab, der aber<br />
von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner und der Vermögensverkehrsstelle nicht akzeptiert wurde. Ende<br />
Mai 1938 übernahm daher der spätere ‚Ariseur‘ und Mitglied der NSDAP 338 <strong>Mag</strong>. Robert<br />
Knotek die Leitung der Apotheke. 339 Die drohende Vernichtung seiner Existenz durch den<br />
Verlust seiner Apotheke vor Augen nahm sich <strong>Mag</strong>. Heinrich Ahl am 16. Mai 1938 das<br />
Leben. Am 30. Juli 1938 wurden Helene Ahl und Erna Ahl – Ehefrau und Erbin nach<br />
<strong>Mag</strong>. Heinrich Ahl – von den NationalsozialistInnen genötigt, ihre Apotheke an<br />
<strong>Mag</strong>. Robert Knotek zu übertragen. Als Übernahmepreis wurden von der Vermögensverkehrsstelle<br />
RM 82.440,90 festgelegt. 340 Nach Abzug einer ‚Arisierungsauflage‘ in Höhe<br />
von RM 49.394,55 verblieben den ehemaligen Besitzerinnen RM 32.896,35, die auf ein<br />
Sperrkonto einzuzahlen waren. 341 Am 19. Oktober 1938 wurde zum Betrieb der ‚arisierten‘<br />
Apotheke eine offene Handelsgesellschaft gegründet, der neben <strong>Mag</strong>. Knotek mit einer<br />
Beteiligung von 50 Prozent auch <strong>Mag</strong>. Foldina als öffentliche Gesellschafter mit einer<br />
Beteiligung von 25 Prozent und <strong>Mag</strong>. Edwin Renner mit einer Beteiligung von 25 Prozent<br />
als stiller Gesellschafter angehörten. 342 Die Konzession zum Betrieb der Apotheke erhielt<br />
<strong>Mag</strong>. Robert Knotek schließlich am 7. November 1938. 343<br />
Helene und Erna Ahl konnten noch Ende 1938 beziehungsweise Anfang 1939 vor der<br />
nationalsozialistischen Verfolgung flüchten 344 und emigrierten in die USA. 345<br />
Die Apotheke „Zum Schwan“ wurde am 10. April 1945 durch Bombeneinwirkung und<br />
Kampfhandlungen sowie darauffolgende Plünderungen vollständig zerstört. 346 Am<br />
18. Dezember 1948 beantragten Helene und Erna Ahl die Rückstellung ihrer 1938<br />
336 Krug, Wiener Apotheken.<br />
337 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
338 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-31.599-18/46, Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium an das BMfsV vom 25.04.1946.<br />
339 Krug, Wiener Apotheken.<br />
340 WStLA, LGZ, A 29, Rk 105 /61, Teilerkenntnis vom 24.09.1949.<br />
341 Ebd.; ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
342 WStLA, LGZ, A 29, Rk 105 /61, Gegenäußerung <strong>Mag</strong>. Franz Foldina vom 09.03.1949 und <strong>Mag</strong>. Robert Knotek an<br />
die Rückstellungskommission vom 31.05.1949.<br />
343 Krug, Wiener Apotheken.<br />
344 Fritsch, Pharmazie, 112.<br />
345 WStLA, LGZ, A 29, Rk 105 /61, Rückstellungsantrag vom 18.12.1948.<br />
346 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1019, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Robert Knotek vom 14.11.1946.<br />
99
entzogenen Apotheke. 347 In einem ersten Teilerkenntnis der Rückstellungskommission<br />
Wien V vom 24. September 1949 wurde die Nichtigkeit der 1938 erfolgten Vermögensübertragung<br />
sowie der Umstand, dass bei dieser Transaktion die Regeln des redlichen<br />
Verkehrs nicht eingehalten wurden, festgestellt. Allerdings wurde kein sich daraus<br />
ergebender Leistungsauftrag erteilt. Der entsprechende Passus des Teilerkenntnisses<br />
lautete:<br />
Da die Erstantragstellerin und der verstorbene Heinrich Ahl bzw. dessen<br />
Verlassenschaft zu den in §2 Abs.1 3. Rst.Ges. genannten Personen gehören, liegt<br />
in der Übertragung der Apotheke an den Erstantragsgegner zweifellos eine<br />
Entziehung im Sinne des 3. Rst.Ges. Diese Entziehung ist gem. §3 leg.cit. nichtig.<br />
Die Nichtigkeit hätte die Rückstellungspflicht zur Folge, wenn von dem durch die<br />
nichtige Rechtshandlung übertragenen Vermögen noch etwas vorhanden wäre. Dies<br />
ist jedoch nicht der Fall, da die vorhandenen Sachwerte zur Gänze vernichtet<br />
wurden und die Konzession durch den Entzug untergegangen ist. Die Kommission<br />
musste sich daher auf das Feststellungserkenntnis beschränken, das die<br />
angefochtene Vermögensübertragung nichtig sei. 348<br />
Dieses Teilerkenntnis hatte nun zur Folge, dass sowohl die Antragstellerinnen Helene und<br />
Erna Ahl – es wurde ihnen durch dieses Teilerkenntnis nichts zurückgestellt – als auch die<br />
Antragsgegner <strong>Mag</strong>. Knotek und <strong>Mag</strong>. Foldina – sie sahen in diesem Teilerkenntnis die<br />
Chance, dass der Rückstellungsantrag abgewiesen werden könnte – gegen dieses<br />
Teilerkenntnis Beschwerde einlegten. Das Verfahren wurde somit an die nächste Instanz,<br />
die Rückstellungsoberkommission, verwiesen. Diese bestätigte am 14. März 1950 das<br />
erste Teilerkenntnis und ergänzte es dahingehend, dass den Antragstellerinnen alle noch<br />
vorhandenen Aktiven des Unternehmens – das Firmenrecht, die Konzession und der<br />
ideelle Wert des Unternehmens – zurückzustellen und von den Antragsgegnern alle zu<br />
diesem Zwecke erforderlichen Erklärungen abzugeben seien. 349 In Folge dieses<br />
Beschlusses der Rückstellungsoberkommission wurde zwischen den Streitparteien ein<br />
außergerichtlicher Vergleich zur Bereinigung verbliebener Forderungen – sie betrafen die<br />
Erträgnisse des Unternehmens seit seiner Entziehung 1938 – geschlossen. 350 Helene und<br />
347 WStLA, LGZ, A 29, Rk 105 /61, Rückstellungsantrag vom 18.12.1948.<br />
348 Ebd., Teilerkenntnis vom 24.09.1949.<br />
349 Ebd., Beschluss der Rückstellungsoberkommission vom 14.03.1950.<br />
350 Ebd., RA Dr. Karl Chmela an die Rückstellungskommission vom 10.05.1961 sowie Enderkenntnis vom<br />
03.10.1961.<br />
100
Erna Ahl verkauften die Rechte an der Apotheke „Zum Schwan“ an Dr. Ernst Krug. 351 Die<br />
Konzession für die Apotheke erhielt Dr. Ernst Krug am 28. Mai 1951. 352<br />
Apotheke „Zur Goldenen Krone“, Wien 1., Himmelpfortgasse 14<br />
Die Real-Apotheke „Zur Goldenen Krone“ befand sich seit 1928 im Besitz der offenen<br />
Handelsgesellschaft „Apotheke zur goldenen Krone, Anton Waldheim“. Verantwortlicher<br />
Leiter der Apotheke war seit 7. April 1934 <strong>Mag</strong>. Eugen Löwy. 353 Die GesellschafterInnen<br />
dieser OHG waren Anfang 1938 <strong>Mag</strong>. Hugo Thorsch und Camilla Eisler zu je 33 Prozent<br />
sowie <strong>Mag</strong>. Eugen Löwy und <strong>Mag</strong>. Erwin Diehl zu je 17 Prozent. 354 Die Apotheke wies<br />
1937 einen Jahresumsatz von RM 101.423,83 auf, war allerdings auch mit Betriebsschulden<br />
in unbekannter Höhe belastet. 355 <strong>Mag</strong>. Eugen Löwy verließ noch im Juni 1938<br />
Österreich, um der nationalsozialistischen Verfolgung zu entkommen; die Leitung der<br />
Apotheke „Zur goldenen Krone“ übernahm daher am 29. Juni 1938 <strong>Mag</strong>. Erwin Diehl. 356<br />
Da er aber den neuen Machthabern politisch nicht einwandfrei erschien – er war kein<br />
Mitglied der NSDAP – und überdies in einer Mischehe lebte, 357 wurde ihm von <strong>Mag</strong>. Edwin<br />
Renner die Leitung entzogen und diese am 1. Juli 1938 Dr. Robert Baur übertragen. 358<br />
Weiters ließ sich <strong>Mag</strong>. Edwin Renner zum Abwesenheitskurator des geflüchteten<br />
<strong>Mag</strong>. Eugen Löwy einsetzen 359 und bereitete im Laufe des Sommers 1938 die ‚Arisierung‘<br />
des Mehrheitsanteils an der Apotheke „Zur goldenen Krone“ vor. Die Anteile von<br />
<strong>Mag</strong>. Hugo Thorsch und Camilla Eisler – zusammen 2/3 der Beteiligungen an der<br />
Apotheke – wurden schließlich mit Kaufvertrag vom 1. September 1938 an Gisela<br />
Asztalos um in Summe RM 66.666,67 veräußert. Der Kaufpreis wurde zur Abdeckung der<br />
Betriebverbindlichkeiten verwendet. 360 Warum bei dieser ‚Arisierung‘ der langjährige<br />
Mitbesitzer der Apotheke <strong>Mag</strong>. Diehl nicht zum Zug kam, sondern eine branchenfremde<br />
Beweberin von <strong>Mag</strong>. Renner ausgewählt wurde, erklärte <strong>Mag</strong>. Diehl in seiner „Anmeldung<br />
351 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 5193.<br />
352 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
353 Krug, Wiener Apotheken.<br />
354 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1308, <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den<br />
I. Wiener Gemeindebezirk vom 21.10.1946.<br />
355 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
356 Krug, Wiener Apotheken.<br />
357 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1308, <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den<br />
I. Wiener Gemeindebezirk vom 21.10.1946.<br />
358 Krug, Wiener Apotheken.<br />
359 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1308, <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den<br />
I. Wiener Gemeindebezirk vom 21.10.1946.<br />
360 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1638, Anmeldung durch Gisela Hattwig, geb. Asztalos, vom 21.10.1946.<br />
101
entzogener Vermögen“ wie folgt:<br />
Ich habe keinen Druck auf die Gesellschafter ausgeübt, auszuscheiden. Dies ergibt<br />
sich auch daraus, dass ich nach wie vor mit den ausscheidenden Gesellschaftern in<br />
bestem Einvernehmen blieb und dass ich infolge meiner Ehe mit einem Mischling<br />
(nach den Nürnberger Gesetzen) selbst belastet war, und man mir z.B. die<br />
Übernahme von Apothekenanteilen als politisch unverlässlich strikte abgelehnt<br />
hatte. 361<br />
Nachdem nun der Großteil des ehemaligen jüdischen Besitzes an der Apotheke „Zur<br />
goldenen Krone“ ‚arisiert‘ worden war, wurde Dr. Robert Baur von <strong>Mag</strong>. Renner als<br />
verantwortlicher Leiter dieser Apotheke wieder enthoben und am 23. September 1938 in<br />
der Apotheke des Dr. Arnold Stumpf – dieser wollte sich mit der geplanten ‚Arisierung’<br />
seiner Apotheke nicht abfinden und setzte sich dagegen zur Wehr – als verantwortlicher<br />
Leiter installiert. 362 Die nun noch in jüdischem Besitz stehende 17-prozentige Beteiligung<br />
des <strong>Mag</strong>. Eugen Löwy an der Apotheke „Zur goldenen Krone“ wurde vom<br />
Abwesenheitskurator <strong>Mag</strong>. Edwin Renner am 14. Oktober 1938 um RM 16.667,– an<br />
<strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg verkauft. Da dieser Geschäftsanteil <strong>Mag</strong>. Löwys mit<br />
S 40.000,– an <strong>Mag</strong>. Diehl verpfändet war, wurde der Kaufpreis zur Abdeckung dieser<br />
Verbindlichkeit verwendet, und <strong>Mag</strong>. Eugen Löwy erhielt nichts aus dem Zwangsverkauf<br />
seiner Beteiligung. 363 Nach somit erfolgter vollständiger ‚Arisierung‘ aller ehemals<br />
jüdischen Beteiligungen an der Apotheke „Zur goldenen Krone“ wurde am 26. November<br />
1938 <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg zum verantwortlichen Leiter der Apotheke bestellt. 364<br />
<strong>Mag</strong>. Hugo Thorsch – er war amerikanischer Staatsbürger – kehrte noch 1938 zurück in<br />
die USA. 365 Auch Camilla Eisler konnte vor den NationalsozialistInnen fliehen und<br />
emigrierte nach London. 366 Sie kehrte 1950 nach Wien zurück. 367 <strong>Mag</strong>. Eugen Löwy – er<br />
hatte Österreich schon im Juni 1938 verlassen – flüchtete nach Frankreich, wo er später<br />
361 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1029, <strong>Mag</strong>. Erwin Diehl an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den I. Wiener<br />
Gemeindebezirk vom 12.11.1946.<br />
362 Krug, Wiener Apotheken.<br />
363 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1308, <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den<br />
I. Wiener Gemeindebezirk vom 21.10.1946.<br />
364 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
365 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1029, <strong>Mag</strong>. Erwin Diehl an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den I. Wiener<br />
Gemeindebezirk vom 12.11.1946.<br />
366 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1638, Beilage zur Anmeldung durch Gisela Hattwig, geb. Asztalos, vom<br />
21.10.1946.<br />
367 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 219.<br />
102
gefasst und im Lager Pithiviers interniert wurde. Von dort wurde er am 17. Juli 1942 nach<br />
Auschwitz deportiert und ermordet. 368<br />
Anlässlich der Kampfhandlungen zur Befreieung Wiens im April 1945 wurde das<br />
Warenlager der Apotheke „Zur goldenen Krone“ geplündert, die Apotheke selbst blieb<br />
bestehen. 369 Am 29. Oktober 1945 wurde <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg wiederum als<br />
verantwortlicher Leiter der Apotheke eingesetzt. 370 1947 beantragte Camilla Eisler die<br />
Rückstellung der ihr 1938 entzogenen Anteile an der Apotheke „Zur goldenen Krone“. In<br />
einem daraufhin geführten Rückstellungsverfahren wurden ihr am 25. Februar 1949 gegen<br />
die Zahlung von ÖS 60.000,– an Gisela Hattwig-Asztalos für den von dieser 1938<br />
entrichteten Kaufpreis die 1/3-Beteiligung an der Apotheke zurückgestellt. 371 Auch Emma<br />
Thorsch, die Erbin nach <strong>Mag</strong>. Hugo Thorsch, erhielt 1949 in außergerichtlichen<br />
Vergleichen mit Gisela Hattwig-Asztalos und <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg – er hatte im<br />
Jahre 1940 um RM 23.000,– einen Anteil von 17 Prozent an der Apotheke von Gisela<br />
Asztalos erworben 372 – ihre Geschäftsanteile an der Apotheke zurückgestellt. 373 1953<br />
beanspruchte auch der Erbe nach <strong>Mag</strong>. Eugen Löwy, sein Neffe Frederic Barany, die<br />
Rückstellung der seinem Onkel 1938 entzogenen Anteile an der Apotheke „Zur goldenen<br />
Krone.“ Das darufhin gegen <strong>Mag</strong>. Erwin Diehl und <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg eröffnete<br />
Rückstellungsverfahren endete am 2. Oktober 1956 mit einem Vergleich, in dem Frederic<br />
Barany gegen die Zahlung von ÖS 30.000,– auf die Rückstellung der geforderten<br />
Geschäftsanteile verzichtete. 374<br />
Apotheke „Zum König von Ungarn“, Wien 1., Rotenturmstraße 18 375<br />
Die Apotheke „zum König von Ungarn“ wurde seit 1921 von der „C. Brady OHG“<br />
betrieben. Neben der Apotheke besaß die Geselllschaft auch einen Großhandels- und<br />
Erzeugungsbetrieb von pharmazeutischen Spezialitäten und Kosmetika in Wien 2., Obere<br />
368 Yad Vashem – The Holocaust Martyrs’ and Heroes’ Remembrance Authority, The Central Database of Shoah<br />
Victims’ Names, http://www.yadvashem.org (Oktober 2007).<br />
369 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1308, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg vom 11.11.1946.<br />
370 Krug, Wiener Apotheken.<br />
371 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1638, Vergleich vom 25.02.1949.<br />
372 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1308, <strong>Mag</strong>. Adolf Grimus-Grimburg an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den<br />
I. Wiener Gemeindebezirk vom 21.10.1946.<br />
373 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1638, RA Dr. Kurt Schreiber an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den I.<br />
Wiener Gemeindebezirk vom 01.08.1949; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1307, RA Dr. Kurt Schreiber an das<br />
<strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den I. Wiener Gemeindebezirk vom 01.10.1949.<br />
374 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1308, Vergleich vom 03.10.1956.<br />
375 Heute: Brady-Apotheke „Zum roten Turm“, Wien 1., Rotenturmstraße 23.<br />
103
Donaustraße 91. 376 Konzessionärin dieser Unternehmungen war seit dem Tod des<br />
früheren Konzessionärs und Mitbesitzers <strong>Mag</strong>. Hermann Brady – er verstarb am 4. August<br />
1929 – seine Witwe Olga Brady. 377 GesellschafterInnen der offenen Handelsgeselllschaft<br />
C. Brady OHG waren 1938 Olga Brady, ihr Adoptivsohn Dr. Walter Khünl-Brady und der<br />
langjährige Mitarbeiter <strong>Mag</strong>. Max Todres. 378<br />
Schon vor März 1938 wurden zwischen den Gesellschaftern Dr. Walter Khünl-Brady und<br />
<strong>Mag</strong>. Max Todres Verhandlungen zum Zwecke der Übertragung der Geselllschaftsanteile<br />
von <strong>Mag</strong>. Todres – sein Anteil belief sich auf 50 Prozent der Unternehmungen 379 – an<br />
Dr. Khünl-Brady aufgenommen. Am 17. März 1938 wurde in diesem Sinne ein Vertrag<br />
geschlossen, in dem der Kaufpreis der Anteile mit ÖS 100.000,– vereinbart wurde. 380<br />
Dr. Walter Khünl-Brady beschrieb im November 1946 die Umstände dieser Transaktion in<br />
seiner „Anmeldung entzogener Vermögen“ wie folgt:<br />
Die Verhandlungen zogen sich hinaus und waren Anfangs März 1938 nahezu<br />
abgeschlossen. Unmittelbar vor dem endgültigen Abschluss erfolgte die Annexion<br />
Oesterreichs und machte die Abschließung einer Vereinbarung wie sie geplant war<br />
deshalb unmöglich, weil Mr. Todres damals als Jude nach den Nürnberger<br />
Rassegesetzen angesehen wurde. Erst viel später stellte das Sippenamt die arische<br />
Abstammung des Herrn Mr. Todres fest. Durch den Einmarsch der deutschen<br />
Truppen wurde die Verhandlungsgrundlage und die Preisbestimmung wesentlich<br />
beeinflusst. – Es wurde ein Kommissar für die Arisierung österreichischer<br />
Apotheken in der Person des Herrn Ph.Mr. Edwin Renner eingesetzt, der<br />
freihändige Apothekenverkäufe unmöglich machte. 381<br />
Am 22. Juli 1938 wurde daher unter dem Diktat der Vermögensverkehrsstelle ein neuer<br />
Kaufvertrag errichtet, in dem der Preis für die Geschäftsanteile von <strong>Mag</strong>. Todres mit<br />
RM 36.667,– festgesetzt wurde. 382 10 Prozent davon musste <strong>Mag</strong>. Todres als ‚Arisierungsauflage‘<br />
an die Vermögensverkehrsstelle abführen, den Rest erhielt er bar ausbezahlt. 383<br />
376 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 858, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Max Todres vom 15.11.1946.<br />
377 Krug, Wiener Apotheken.<br />
378 Ebd.; Leopold Hochberger und Josef Noggler, Geschichte der Wiener Apotheken. Geschichte der Apotheken und<br />
des Apothekerwesens in Wien von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Bd. 2, Wien 1919, 53.<br />
379 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 858, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Max Todres vom 15.11.1946.<br />
380 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1234, Anmeldung durch Dr. Walter Khünl-Brady vom 13.11.1946.<br />
381 Ebd.<br />
382 Ebd.<br />
383 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 858, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Max Todres vom 15.11.1946.<br />
104
Am 21. November 1938 legte Olga Brady ihre Konzession zurück, die daraufhin Dr. Walter<br />
Khünl-Brady erteilt wurde. 384<br />
<strong>Mag</strong>. Max Todres blieb in Wien und strengte vor dem Reichssippenamt ein Verfahren zur<br />
Feststellung seiner ‚arischen‘ Abstammung an. Diese wurde auch 1942 vom Reichssippenamt<br />
bestätigt. 385<br />
Die Apotheke „Zum König von Ungarn“ wurde im April 1945 durch einen Brand vollständig<br />
zerstört. Auch der Großhandelsbetrieb wurde im März 1945 durch Bomben beschädigt<br />
und in Folge geplündert. 386 Da sich Dr. Walter Khünl-Brady bis Juli 1945 in amerikanischer<br />
Kriegsgefangenschaft befand, 387 übernahm <strong>Mag</strong>. Max Todres am 2. Juni 1945 die Leitung<br />
der Apotheke und wurde am 5. Juli 1945 zum öffentlichen Verwalter ernannt. <strong>Mag</strong>. Max<br />
Todres verstarb in dieser Funktion am 26. März 1947. 388<br />
1948 beantragte Friederike Todres die Rückstellung der ihrem Mann 1938 entzogenen<br />
Gesellschaftsanteile. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am<br />
18. Februar 1957 vor der Rückstellungskommission Wien V mit einem Vergleich, in dem<br />
Dr. Walter Khünl-Brady die Geschäftsanteile zurückstellte und ÖS 2.603,54 an Friederike<br />
Todres bezahlte. 389<br />
Mohren-Apotheke, Wien 1., Wipplingerstraße 12<br />
Besitzerinnen dieser Realapotheke waren 1938 zu gleichen Teilen die Schwestern Edith<br />
Solka, geb. Korwill, und <strong>Mag</strong>.ª Gertrude Saphir, geb. Korwill. 390 Geleitet wurde die Mohren-<br />
Apotheke seit 1936 von <strong>Mag</strong>.ª Gertrude Saphir. 391 Der Betrieb erwirtschaftete 1937 einen<br />
Jahresumsatz von RM 89.979,20 und war schuldenfrei. 392 Anfang Mai 1938 wurde die<br />
Leitung der Apotheke von der späteren ‚Ariseurin‘ <strong>Mag</strong>.ª Frieda Kahls übernommen 393 und<br />
am 19. Mai 1938 SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner auch in dieser Apotheke als<br />
384 Krug, Wiener Apotheken.<br />
385 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 224.<br />
386 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 1234, Anmeldung durch Dr. Walter Khünl-Brady vom 13.11.1946.<br />
387 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
388 Krug, Wiener Apotheken.<br />
389 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 858 u. 1234, Vergleich vom 18.02.1957.<br />
390 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
391 Fritsch, Pharmazie, 106, Anmerkung 726.<br />
392 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
393 Pharmazeutische Presse, Nr. 20 (1938), 172.<br />
105
Kommissarischer Verwalter eingesetzt. 394 Mit Kaufvertrag vom 12. Juli 1938 wurde die<br />
Mohren-Apotheke schließlich auf <strong>Mag</strong>.ª Frieda Kahls und <strong>Mag</strong>. Anton Datz übertragen. 395<br />
Als Übernahmepreis wurde von der Vermögensverkehrsstelle ein Betrag von<br />
RM 62.985,40 festgesetzt und eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 37.791,24 vorgeschrieben.<br />
<strong>Mag</strong>.ª Getrude Saphir und Edith Solka bekamen in Summe RM 25.194,16<br />
zuerkannt, die auf Sperrkonten überwiesen wurden. 396 Die Eigentumsübertragung wurde<br />
im Oktober 1938 abgeschlossen 397 und am 17. Oktober 1938 erhielten <strong>Mag</strong>.ª Kahls und<br />
<strong>Mag</strong>. Datz die Genehmigung zur Führung der Realapotheke. 398<br />
<strong>Mag</strong>.ª Gertrude Saphir konnte noch 1938 Österreich verlassen, emigrierte in die USA und<br />
lebte bis zu ihrer Rückkehr nach Wien im Jahr 1949 in Chicago. 399 Edith Solka blieb in<br />
Wien und überlebte die NS-Herrschaft.<br />
Angesichts der bevorstehenden Befreiung Wiens durch die Rote Armee verübte<br />
<strong>Mag</strong>. Anton Datz am 10. April 1945 Selbstmord. 400 <strong>Mag</strong>.ª Frieda Datz, geb. Kahls – sie<br />
hatte zwischenzeitlich ihren Geschäftspartner <strong>Mag</strong>. Datz geheiratet – flüchtete nach<br />
Ostermiething in Oberösterreich. 401 Die somit verwaiste Mohren-Apotheke wurde daher ab<br />
14. Juni 1945 in „treuhändiger Führung für Rechnung des zukünftigen Besitzers“ von<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Foldina, dem ehemaligen ‚Ariseur‘ der inzwischen vollständig zerstörten<br />
Apotheke „Zum Schwan“ geleitet. Am 22. August 1945 wurde die ehemalige Mitbesitzerin<br />
der Mohren-Apotheke Edith Röder, vormals Solka – sie hatte am 22. April 1945 ein<br />
zweites Mal geheiratet – zur öffentlichen Verwalterin der Mohren-Apotheke bestellt. 402<br />
1947 beantragten <strong>Mag</strong>.ª Gertrude Saphir und Edith Röder die Rückstellung ihrer 1938<br />
entzogenen Apotheke. Im daraufhin eröffneten Rückstellungsverfahren wurde ihnen mit<br />
Teilerkenntnis der Rückstellungskommission Wien V vom 9. Juni 1948 die Mohren-<br />
Apotheke zurückgestellt. 403 Am 26. November 1948 wurde auch die öffentliche Verwaltung<br />
394 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, Gedächtnisniederschrift vom 17.05.1938.<br />
395 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 409 u. 410, Anmeldungen durch <strong>Mag</strong>.ª Frieda Datz und Charlotte Wuschko<br />
vom 15.11.1948.<br />
396 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
397 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 43 (1938), 162.<br />
398 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
399 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
400 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 891, Anmeldung durch Edith Röder vom 15.11.1946; WStLA, M.Abt. 212,<br />
Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
401 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 410, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Frieda Datz vom 15.11.1946.<br />
402 Krug, Wiener Apotheken.<br />
403 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 409, Teilerkenntnis vom 09.06.1948.<br />
106
aufgehoben und die Genehmigung zur Führung der Apotheke den Rückstellungswerberinnen<br />
erteilt. 404<br />
Rathaus-Apotheke, Wien 1., Stadiongasse 10<br />
Besitzerin dieser Apotheke war Anfang 1938 die offene Handelsgesellschaft „Rathaus-<br />
Apotheke, Mr. pharm. Robert Kronstein“. Gesellschafter dieser OHG waren zu je 50<br />
Prozent Dr. Georg Burger und <strong>Mag</strong>. Robert Kronstein, 405 letzterer war seit 1920<br />
Konzessionär der Rathaus-Apotheke. 406 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 156.667,– auf und war schuldenfrei. 407 Am 1. Juni 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Gustav Hlas –<br />
Mitglied der NSDAP, der, um als ‚Illegaler‘ zu gelten und somit bei den geplanten<br />
‚Arisierungen‘ eher zum Zug zu kommen, seinen Beitritt zur Partei auf 1934 vordatieren<br />
ließ 408 – als veratwortlicher Leiter der Rathaus-Apotheke eingesetzt. 409 Am 30. Juli 1938<br />
wurde schließlich mittels Gedächtnisprotokoll die Apotheke von <strong>Mag</strong>. Gustav Hlas und RA<br />
<strong>Mag</strong>. Rudolf Kretschmer ‚arisiert‘. 410 Diese ‚Arisierung‘ wurde am 16. November 1938 von<br />
der Vermögensverkehrsstelle genehmigt 411 und ein Übernahmepreis von RM 109.667,–<br />
festgelegt. 412 Davon sollten RM 65.820,– als ‚Arisierungsauflage‘ im Laufe der nächsten<br />
zehn Jahre zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle bei der Pharmakred eingezahlt<br />
werden. 40 Prozent des von der Vermögensverkehrsstelle festgelegten Kaufpreises<br />
gingen zum einen an das Finanzamt, um die für <strong>Mag</strong>. Kronstein geforderte<br />
‚Reichsfluchtsteuer‘ abzudecken, zum anderen an Hildegard Burger, die Gattin des<br />
ehemaligen Teilhabers Dr. Georg Burger. 413 Die Konzession für die Rathaus-Apotheke<br />
wurde schließlich am 17. Jänner 1939 auf <strong>Mag</strong>. Kretschmer übertragen. 414<br />
<strong>Mag</strong>. Robert Kronstein verließ 1939 Österreich und flüchtete nach Liechtenstein, 415 wo er<br />
in Vaduz die Leitung der St. Franziskus-Apotheke übernahm. 416 Auch Dr. Georg Burger<br />
404 Krug, Wiener Apotheken.<br />
405 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 517, Anmeldung durch RA Dr. <strong>Mag</strong>. Robert Röhrl vom 02.01.1947.<br />
406 Krug, Wiener Apotheken.<br />
407 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
408 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
409 Krug, Wiener Apotheken.<br />
410 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 517, Anmeldung durch RA Dr. <strong>Mag</strong>. Robert Röhrl vom 02.01.1947.<br />
411 Ebd.<br />
412 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
413 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 517, Anmeldung durch RA Dr. <strong>Mag</strong>. Robert Röhrl vom 02.01.1947.<br />
414 Krug, Wiener Apotheken.<br />
415 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 221.<br />
416 Vgl. ebd., 147.<br />
107
achte sich 1939 vor den NationalsozialistInnen in Sicherheit und floh nach Großbritannien.<br />
Später emigrierte er von dort nach Australien, wo er sich in Melbourne<br />
niederließ. 417<br />
Am 1. Juli 1946 418 traten die beiden ‚Ariseure‘ aus dem Unternehmen aus und einigten<br />
sich mit den ehemaligen Besitzern über die Rückstellung der Rathaus-Apotheke. 419 Auf<br />
Grund §19 des Verbotsgesetzes vom Mai 1945 420 – es untersagte NationalsozialistInnen<br />
die Veräußerung oder Belastung ihres unbeweglichen Vermögens bis zu einem durch<br />
Verordnung noch zu bestimmenden späteren Zeitpunkt – konnte ein entsprechender<br />
Übergabevertrag im Sommer 1946 nicht realisiert werden. Die Rathaus-Apotheke wurde<br />
daher in Folge von <strong>Mag</strong>.ª Irene Pusch als Provisorin geleitet und von den ehemaligen<br />
Besitzern <strong>Mag</strong>. Kronstein und Dr. Burger ihre Bestellung zur öffentlichen Verwalterin<br />
beantragt. 421 Am 4. November 1947 schlossen <strong>Mag</strong>. Kronstein und Dr. Burger mit den<br />
‚Ariseuren‘ ihrer Apotheke, <strong>Mag</strong>. Kretschmer und <strong>Mag</strong>. Hlas, einen außergerichtlichen<br />
Vergleich, in dem ihnen gegen Übernahme eines Teiles der Betriebsschulden bei der<br />
Apothekerbank die Rathaus-Apotheke samt Konzession zurückgestellt wurde. 422 §13 des<br />
Dritten Rückstellungsgesetzes vom 6. Februar 1947 423 ermöglichte nun diese Vorgangsweise.<br />
Schweden-Apotheke, Wien 1., Schwedenplatz 2<br />
Besitzer und Konzessionär der Schwedenapotheke war Anfang 1938 <strong>Mag</strong>. Ignaz Bauer,<br />
der die Apotheke 1933 von Anna Teichner erworben hatte. 424 Die Apotheke erwirtschaftete<br />
1937 einen Jahresumsatz von RM 102.400.- 425 und war mit Verbindlichkeiten – im<br />
Wesentlichen Warenschulden – in Höhe von RM 35.490,– belastet. Darüberhinaus haftete<br />
aus dem Erwerb der Apotheke durch <strong>Mag</strong>. Bauer noch eine Restforderung von S 200.000<br />
aus. Diese war zum Großteil mit einer Forderung gegen <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen –<br />
<strong>Mag</strong>. Bauer verkaufte ihr 1933 die Apotheke „Zur Maria Lourdes“ in Wien-Meidling, um die<br />
417 Vgl. ebd., 218.<br />
418 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
419 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 517, Anmeldung durch RA Dr. <strong>Mag</strong>. Robert Röhrl vom 02.01.1947.<br />
420 BGBl. Nr. 13/1945.<br />
421 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 517, Anmeldung durch RA Dr. <strong>Mag</strong>. Robert Röhrl vom 02.01.1947.<br />
422 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 517, Vergleich vom 04.11.1947.<br />
423 BGBl. Nr. 54/1947.<br />
424 Krug, Wiener Apotheken.<br />
425 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
108
Schweden-Apotheke erwerben zu können – in der Höhe von S 125.000 abgedeckt. 426 Am<br />
11. Juli 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Bauer vom Kommissarischen Verwalter der jüdischen Apotheken<br />
in der Ostmark, SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner, genötigt, die Schweden-<br />
Apotheke an Dr. Friedrich Reichel zu verkaufen. 427 Vier Tage später, am 15. Juli 1938,<br />
wurde Dr. Reichel als verantwortlicher Leiter der Apotheke eingesetzt. 428 Da es erklärtes<br />
Ziel der nationalsozialistischen ‚Ariseure‘ war, die österreichschen jüdischen Apotheken<br />
möglichst belastungsfrei zu ‚arisieren‘, wurde <strong>Mag</strong>. Ignaz Bauer im September 1938<br />
aufgefordert, auf seine Forderungen an <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen, deren Apotheke in Wien-<br />
Meidling ebenfalls ‚arisiert‘ wurde, zu verzichten. Um für sich selbst und für seine<br />
Berufskollegin die Ausreise zu ermöglichen, verzichtete <strong>Mag</strong>. Bauer am 13. Oktober 1938<br />
auf seine Forderungen gegen <strong>Mag</strong>.ª Kirschen 429 und legte auch seine Konzession für die<br />
Schweden-Apotheke zurück. 430 Die Konzession wurde am 17. November 1938<br />
Dr. Friedrich Reichel erteilt. 431 Der Kaufvertrag in Form eines Gedächtnisprotokolls wurde<br />
am 1. Dezember 1938 von der Vermögensverkehrsstelle per Bescheid genehmigt. Als<br />
‚Arisierungsauflage‘ wurde in diesem Bescheid ein Betrag von RM 37.080,– vorgeschrieben,<br />
<strong>Mag</strong> Bauer erhielt aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke RM 28.672,– auf<br />
ein Sperrkonto gutgeschrieben. 432<br />
<strong>Mag</strong>. Ignaz Bauer konnte 1939 fliehen und emigrierte über Bolivien nach Argentinien. Er<br />
verstarb am 10. April 1943 in Buenos Aires. 433<br />
Am 5. März 1943 wurde die Schweden-Apotheke auf eine Kommanditgesellschaft<br />
übertragen, deren persönlich haftender Gesellschafter Dr. Friedrich Reichel und deren<br />
Kommanditistin Mathilde Reichel waren. 434 Die Apotheke wurde am 11. April 1945 durch<br />
Kampfhandlungen vollständig zerstört 435 und vorerst nicht wieder aufgebaut. Dr. Friedrich<br />
Reichel verstarb am 17. Juli 1951, 436 die Konzession für die Schwedenapotheke ging in<br />
426 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, C 49, Erkenntnis vom 17.10.1952.<br />
427 WStLA, LGZ, A 29, Rk 102/62, Rückstellungsantrag vom 27.06.1953 und Gegenäußerung vom 22.10.1953.<br />
428 Krug, Wiener Apotheken.<br />
429 WStLA, LGZ, A 29, Rk 102/62, Rückstellungsantrag vom 27.06.1953 und Gegenäußerung vom 22.10.1953.<br />
430 Ebd., Teilerkenntnis vom 21.09.1954.<br />
431 Krug, Wiener Apotheken.<br />
432 WStLA, LGZ, A 29, Rk 102/62, Teilerkenntnis vom 21.09.1954 und Gegenäußerung vom 22.10.1953.<br />
433 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 103, Anmeldung durch Dr. Friedrich Reichel vom 16.10.1946; WStLA, LGZ,<br />
A 29, Rk 102/62, Teilerkenntnis vom 21.09.1954.<br />
434 WStLA, LGZ, A 29, Rk 102/62, Rückstellungsantrag vom 27.06.1953.<br />
435 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 103, Anmeldung durch Dr. Friedrich Reichel vom 16.10.1946.<br />
436 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
109
Folge auf seinen Sohn, den Pharmaziestudenten Fritz Herbert Reichel, über. 437<br />
1952 forderte Emmerich Paul Teichner, Sohn der inzwischen verstorbenen Anna Teichner,<br />
von der Verlassenschaft nach Dr. Friedrich Reichel den aus dem Verkauf der Apotheke<br />
1933 noch immer aushaftenden Kaufpreisrest von S 200.000,– zurück. Mit Vergleich vom<br />
20. März 1952 wurde die bestehende Kommanditgesellschaft „Schweden-Apotheke,<br />
Dr. Friedrich Reichel, KG“ dergestalt geändert, dass Emmerich Paul Teichner als<br />
persönlich haftender Gesellschafter in die Gesellschaft eintrat und Mathilde Reichel als<br />
Kommanditistin ausschied. Fritz Herbert Reichel trat als Kommanditist mit einer<br />
Kommanditeinlage von ÖS 3.000,– in die Gesellschaft ein. Für die Konzession erhielt er<br />
den Betrag von ÖS 37.000,– und die Zusicherung, seine zukünftige Aspiranten- und<br />
Praktikantentätigkeit in der Schweden-Apotheke absolvieren zu können, sowie das<br />
Anrecht auf einen späteren Dienstvertrag. Der Firmennamen wurde geändert in<br />
„Schweden-Apotheke, Emmerich Paul Teichner, KG“ und die Apotheke im Lauf des Jahres<br />
1952 wiedererrichtet. Die Neueröffnung der Schweden-Apotheke erfolgte am<br />
24. Dezember 1952. 438<br />
Am 27. Juni 1953 stellte die Tochter des 1943 im Exil verstorbenen <strong>Mag</strong>. Ignaz Bauer,<br />
Margarete Weingarten, einen Antrag auf Rückstellung der ihrem Vater 1938 entzogenen<br />
Apotheke. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren wurde in der ersten Instanz<br />
dahingehend entschieden, dass der Antrag auf Rückstellung der Schweden-Apotheke<br />
abgewiesen wurde. Im entsprechenden Teilerkenntnis vom 21. September 1954 wurde<br />
diese Abweisung wie folgt begründet:<br />
Wenn auch nach der ständigen Rechtsprechung die Rückstellungspflicht zu bejahen<br />
ist, wenn ein gleichartiges Unternehmen in einem Lokal eröffnet wird, das von einem<br />
rassisch Verfolgten infolge der nationalsozialistischen Machtübernahme stillgelegt<br />
oder liquidiert worden ist, so gilt dies nur unter der Vorraussetzung, dass nicht<br />
zwischen der Einstellung des alten und der Wiedereröffnung des neuen Betriebes<br />
ein so langer Zeitraum vergangen war, dass die Erinnerung an das ehemals<br />
bestandene gleichartige Unternehmen verblasst war. Letzteres kann aber im<br />
gegenständlichen Fall umsomehr angenommen werden, als es sich um eine<br />
Betriebsstätte handelt, die dem Erdboden gleichgemacht wurde, deren Umgebung<br />
437 Krug, Wiener Apotheken.<br />
438 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 1, 103, Vergleich vom 20.03.1952; WStLA, LGZ, A 29, Rk 102/62,<br />
Gegenäußerung vom 22.10.1953.<br />
110
gleichfalls weitgehend zerstört wurde und die durch fast 8 Jahre bis zum<br />
Wiederaufbau eine Trümmerstätte geblieben war. 439<br />
Gegen diese Entscheidung ergriffene Rechtsmittel – das Verfahren wurde in Folge durch<br />
alle Instanzen geführt – blieben erfolglos. Das Verfahren endete am 7. Februar 1955 mit<br />
einem Beschluss der Obersten Rückstellungskommission, in dem das Teilerkenntnis der<br />
ersten Instanz bestätigt und das Rückstellungsbegehren somit endgültig abgewiesen<br />
wurde. 440<br />
5.1.2. Wien, Leopoldstadt<br />
Apotheke „Zur Hoffnung“, Wien 2., Heinestraße 37<br />
Besitzer der Apotheke „Zur Hoffnung“ waren seit 1934 <strong>Mag</strong>. Fritz Schwarz zu 75 Prozent<br />
und Dr. Paul Hirsch zu 25 Prozent. Konzessionär der Apotheke war seit 1921 <strong>Mag</strong>. Fritz<br />
Schwarz. 441 Der Betrieb erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 91.523,76 und<br />
war mit ungefähr RM 27.000,– verschuldet. 442 Anfang Juni 1938 übernahm der spätere<br />
‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Egon Fleischmann die verantwortliche Leitung der Apotheke „Zur Hoffnung“<br />
und mit Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle vom 18. November 1938 ging die<br />
Apotheke in seinen Besitz über. 443 Der von der Vermögensverkehrsstelle festgesetzte<br />
Kaufpreis für die Apotheke „Zur Hoffnung“ betrug dabei RM 64.066,63. Davon wurde eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ von RM 36.263,35 zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle abgezogen<br />
und der Rest des Kaufpreises zur Abdeckung der Betriebsverbindlichkeiten<br />
verwendet. <strong>Mag</strong>. Fritz Schwarz und sein Teilhaber Dr. Paul Hirsch erhielten nichts aus<br />
dem Zwangsverkauf ihrer Apotheke. 444 Die Konzession für die Apotheke „Zur Hoffnung“<br />
erhielt <strong>Mag</strong>. Egon Fleischmann am 31. Dezember 1938. 445<br />
<strong>Mag</strong>. Fritz Schwarz floh 1939 mit seiner Familie nach Jugoslawien, wo er 1941 in<br />
439 WStLA, LGZ, A 29, Rk 102/62, Teilerkenntnis vom 21.09.1954.<br />
440 Ebd., Beschluss vom 07.02.1955.<br />
441 Krug, Wiener Apotheken.<br />
442 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939,<br />
Verschuldung errechnet als Differenz von Kaufpreis und ‚Arisierungsauflage‘.<br />
443 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 70, Anmeldung durch Gabriele Schwarz vom 05.11.1946.<br />
444 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
445 Krug, Wiener Apotheken.<br />
111
Orohovice an den Folgen des nationalsozialistischen Terrors verstarb. 446 Dr. Paul Hirsch<br />
konnte sich nach Australien in Sicherheit bringen, wo er später in Brisbane in der<br />
chemischen Industrie tätig wurde. 447<br />
Die Apotheke „Zur Hoffnung“ wurde am 7. September 1945 unter öffentliche Verwaltung<br />
gestellt und von <strong>Mag</strong>. Karl Schmiedel geleitet. 448 Als eine der ersten RückkehrerInnen aus<br />
dem Exil bemühte sich Gabriele Schwarz – Witwe und Erbin nach <strong>Mag</strong>. Fritz Schwarz –<br />
vorerst vergeblich um die Rückstellung der ihrem Mann 1938 entzogenen Apotheke. Auch<br />
ein Gesuch an Bundeskanzler Leopold Figl, das sie zusammen mit anderen<br />
RückkehrerInnen wie <strong>Mag</strong>. Bronislaw Herz und <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen verfasste, 449<br />
zeitigte vorerst kein befriedigendes Ergebnis. Die Antwort des Bundesministeriums für<br />
soziale Verwaltung auf ihr Rückstellungsbegehren liest sich wie folgt:<br />
Über ihr an den Herrn Bundeskanzler gerichtetes, von ihm mir zur Prüfung<br />
übersandtes Gesuch, muss ich ihnen leider mitteilen, dass ich Ihnen zur Zeit nur die<br />
Mitarbeit in der Ihnen seinerzeit entzogenen Apotheke bewilligen kann. Ihr seinerzeit<br />
eingereichtes Ansuchen um Gewährung eines Unterhaltsbeitrages aus der<br />
Apotheke „Zur Hoffnung“ in Wien, II., Heinestr. 37, wurde an das Bundesministerium<br />
für Vermögensicherung und Wirtschaftsplanung in Wien, I., Hofburg, Amalientrakt,<br />
zuständigkeitshalber befürwortet weitergeleitet und hoffe ich, dass ihrem Anbringen<br />
Folge gegeben wird. Bezüglich Rückgabe der Ihnen seinerzeit entzogenen<br />
Apotheke wird die gesetzliche Regelung der gesamten Wiedergutmachungsfrage<br />
abgewartet werden müssen. 450<br />
Am 28. August 1946 gelang es Gabriele Schwarz dennoch, zur öffentlichen Verwalterin<br />
der Apotheke „Zur Hoffnung“ bestellt zu werden, 451 und 1948 wurde die Apotheke an sie<br />
und ihren Sohn <strong>Mag</strong>. Herbert Schwarz zurückgestellt. 452 Am 24. Mai 1950 wurde von<br />
Gabriele Schwarz und ihrem Sohn sowie <strong>Mag</strong>. Isidor Gingold eine offene Handelsgesellschaft<br />
zum Weiterbetrieb der Apotheke gegründet. 453 Die Konzession für die<br />
446 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223; ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-<br />
11.480-18/46, <strong>Mag</strong>. Bronislaw Herz u.a. an Bundeskanzler Leopold Figl vom 08.03.1946.<br />
447 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 221.<br />
448 Krug, Wiener Apotheken.<br />
449 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-11.480-18/46, <strong>Mag</strong>. Bronislaw Herz u.a. an<br />
Bundeskanzler Leopold Figl vom 08.031946.<br />
450 Ebd., BMfsV an Gabriele Schwarz vom 10.04.1946.<br />
451 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 70, Anmeldung durch Gabriele Schwarz vom 05.11.1946.<br />
452 WStLA, M.Abt. 13, Kartei K 1/3, Apotheken; Fritsch, Pharmazie, 112.<br />
453 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 3894.<br />
112
Apotheke „Zur Hoffnung“ erhielt <strong>Mag</strong>. Isidor Gingold am 10. Juli 1950. 454<br />
Bären-Apotheke, Wien 2., Taborstraße 26<br />
Besitzerinnen dieser Real-Apotheke waren seit 1936 Martha Raditz zu 25 Prozent und ihre<br />
Tochter <strong>Mag</strong>.ª Elisabeth Brüll zu 75 Prozent. Seit 1930 führte <strong>Mag</strong>.ª Elisabeth Brüll die<br />
Apotheke als verantwortliche Leiterin. 455 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 72.054,88 auf und war schuldenfrei. 456 Auch in diesem Betrieb wurde <strong>Mag</strong>. Edwin<br />
Renner als Kommissarischer Verwalter eingesetzt 457 und die Apotheke schließlich an<br />
<strong>Mag</strong>. Rudolf Trnkoczy verkauft. Als Kaufpreis wurden von der Vermögensverkehrsstelle<br />
RM 50.438,42 festgelegt, wovon RM 30.263,05 als ‚Arisierungsauflage‘ an die Vermögensverkehrsstelle<br />
und RM 20.175,37 auf Sperrkonten zu Gunsten der ehemaligen<br />
Besitzerinnen zu zahlen waren. 458 Die Bären-Apotheke wurde daraufhin mit Bescheid des<br />
Besonderen Stadtamtes in Wien vom 30. November 1938 in das Eigentum des<br />
<strong>Mag</strong>. Trnkoczy übertragen 459 und im Februar 1939 dieser Besitzwechsel im Handelsregister<br />
protokolliert. 460<br />
Zum weiteren Schicksal der ehemaligen jüdischen Besitzerinnen der Bären-Apotheke und<br />
ihrer Anteile an der Apotheke machte <strong>Mag</strong>. Rudolf Trnkoczy in seiner „Anmeldung<br />
entzogener Vermögen“ vom 12. November 1946 folgende Angaben:<br />
Ausserdem habe ich die Vorbesitzer, mit denen ich von Anfang an in bestem<br />
Einvernehmen gestanden bin, durch monatliche Barleistungen und Naturalzubussen<br />
unterstützt. Die Vorbesitzer verblieben bis zu ihrer Verschickung in Lager durch ca 4<br />
Jahre in Wien. Während dieser ganzen Zeit habe ich sie in jeder nur erdenklichen<br />
Art und Weise unterstützt und war mit ihnen in ständigem persönlichen und<br />
freundschaftlichen Kontakt. [...] Als die Vorbesitzer, welche ich auch während ihrer<br />
Verschickung in Lager unterstützt hatte, wieder nach Wien zurückgekehrt waren,<br />
und zwar Frau Elisabeth Reif im Mai 1945 und Frau Martha Raditz im Juni 1934<br />
[gemeint ist sicher Juni 1945], habe ich dieselben sofort bei mir aufgenommen und<br />
454 Krug, Wiener Apotheken.<br />
455 Ebd.<br />
456 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
457 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 8 (1939), 112<br />
458 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
459 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 50 (1938), 257.<br />
460 Ebd., Nr. 8 (1939), 112.<br />
113
efinden sich beide seit dieser Zeit in gemeinsamen Haushalt mit mir. Bezüglich der<br />
Fortführung des gemeldeten Unternehmens ist ein Gesellschaftsvertrag errichtet<br />
worden, dessen notariell beglaubigte Abschrift ich beilege. In diesem Vertrag haben<br />
wir uns vollkommen ausgeglichen und gehört das Unternehmen jetzt: Frau Martha<br />
Raditz zu 25%, Frau Elisabeth Reif zu 25% und mir zu 50%. Dieser Vertrag ist<br />
zwecks Protokollierung der Gesellschaft beim Gericht, Wien I. Riemergasse<br />
eingereicht worden und ist seit 1. Aug. 1945 in Geltung. 461<br />
<strong>Mag</strong>.ª Elisabeth Raditz – sie hatte zwischenzeitlich ein zweites Mal geheiratet und trug<br />
nun den Namen Reif – wurde am 23. Oktober 1941 in das Getto Litzmannstadt deportiert,<br />
wo sie die nächsten Jahre als Apothekerin tätig war. 462 Am 9. Juli 1944 wurde sie von<br />
Litzmannstadt nach Auschwitz deportiert. <strong>Mag</strong>.ª Elisabeth Reif überlebte ihren Aufenthalt<br />
in dem nationalsozialistischen Vernichtungslager und wurde am 25. Juli 1944 in das<br />
Konzentrationslager Gross-Rosen überstellt. Am 17. April 1945 wurde sie schließlich im<br />
Lager Mährisch Weisswasser von der Roten Armee befreit. 463 Sie kehrte im Mai 1945 nach<br />
Wien zurück und emigrierte später in die USA. 464 Martha Raditz versuchte nach der<br />
Deportation ihrer Tochter im Oktober 1941, dem nationalsozialistischen Terror zu<br />
entkommen. Sie wurde beim Versuch, die Grenze des Deutschen Reiches zu überschreiten,<br />
von der Geheimen Staatspolizei im Jänner 1942 festgenommen 465 und am<br />
1. April 1943 nach Theresienstadt deportiert. 466 Sie überlebte, obwohl bereits 70 Jahre alt,<br />
das Konzentrationslager Theresienstadt und kehrte im Juni 1945 nach Wien zurück. 467<br />
Erzherzog Karl-Apotheke, Wien 2., Ennsgasse 23<br />
BesitzerInnen der Erzherzog Karl-Apotheke waren nach dem Ableben des Vorbesitzers<br />
<strong>Mag</strong>. Emil Silberstein am 12. November 1934 seine Witwe Clothilde Silberstein zu 70<br />
Prozent und sein Sohn <strong>Mag</strong>. August Silberstein zu 30 Prozent. Letzterer erhielt die<br />
Konzession zum Betrieb der Apotheke am 19. Jänner 1937. 468 Der Betrieb erwirtschaftete<br />
461 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1402, Beilagen zur Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Rudolf Trnkoczy vom 12.11.1946.<br />
462 DÖW, Deportationskartei der IKG Wien.<br />
463 Ebd.<br />
464 Ebd.<br />
465 DÖW, Gestapo.<br />
466 ÖStA, AdR, E- u. Reang., FLD 26730, FA Innere Stadt-Ost an die Länderbank AG vom 11.09.1943.<br />
467 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1402, Beilage 4/b zur Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Rudolf Trnkoczy vom<br />
12.11.1946.<br />
468 Krug, Wiener Apotheken; ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef<br />
Bürckel vom 31.01.1939.<br />
114
1937 einen Jahresumsatz von RM 92.516,80 und war mit RM 40.168,85 verschuldet. 469 Im<br />
Juni 1938 wurde der spätere ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Karl Juffmann – er war seit 1. Oktober 1928<br />
Angestellter der Apotheke 470 und seit 1. Jänner 1937 Mitglied der NSDAP 471 – zum<br />
verantwortlichen Leiter bestellt. 472<br />
Anfang August 1938 wurde SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Renner als Kommissarischer<br />
Verwalter für die Erzherzog Karl-Apotheke eingesetzt, der seinerseits <strong>Mag</strong>. Karl Juffman<br />
als verantwortlichen Leiter bestätigte. 473 Im November 1938 wurde schließlich ein<br />
Kaufvertrag errichtet, in dem die Vermögensverkehrsstelle den Kaufpreis für die Apotheke<br />
mit RM 64.761,– festsetzte. Die Übernahme der Betriebsverbindlichkeiten durch<br />
<strong>Mag</strong>. Juffmann wurden dabei als Teil des Kaufpreises erachtet und weiters eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ von RM 22.054,– vorgeschrieben, die in gleichen Monatsraten über<br />
die nächsten zehn Jahre zu begleichen wäre. Chlothilde Silberstein und <strong>Mag</strong>. August<br />
Silberstein erhielten nichts aus dem Zwangsverkauf ihrer Apotheke. 474 <strong>Mag</strong>. Juffmann<br />
erhielt die Konzession zum Betrieb der Erzherzog Karl-Apotheke am<br />
29. November 1938. 475 Sofort nach Abschluss des Kaufvertrages trat <strong>Mag</strong>. Franz<br />
Wollmann – NSDAP-Mitglied seit 1933 476 – dem Unternehmen als Gesellschafter bei 477<br />
und im Jänner 1939 wurden die neuen Inhaber im Wiener Handelsregister protokolliert. 478<br />
<strong>Mag</strong>. August Silberstein und seine Mutter Clothilde Silberstein konnten noch 1938 fliehen<br />
und emigrierten über Panama nach Sao Paulo in Brasilien. 479<br />
Im Juli 1945 wurde die Erzherzog Karl-Apotheke unter öffentliche Verwaltung gestellt 480<br />
469 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939;<br />
WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1834, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Karl Juffmann vom 15.11.1950.<br />
470 Krug, Wiener Apotheken.<br />
471 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt. 2, IV-160.442-15/45, Provisorischer Ausschuß<br />
Österreichischer Apotheker an das StAfsV vom 03.07.1945.<br />
472 Pharmazeutische Presse, Nr. 25 (1938), 217.<br />
473 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 33 (1938), 26, u. Nr. 34 (1938), 39.<br />
474 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939;<br />
WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1834, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Karl Juffmann vom 15.11.1950.<br />
475 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 50 (1938), 257.<br />
476 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt. 2, IV-160.442-15/45, Provisorischer Ausschuß<br />
Österreichischer Apotheker an das StAfsV vom 03.07.1945.<br />
477 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1834, RA Dr.ª Elisabeth Pann an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den<br />
2. Wiener Gemeindebezirk vom 15.11.1950.<br />
478 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 3 (1938), 44.<br />
479 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 224; Fritsch, Pharmazie, 112.<br />
480 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1834, RA Dr.ª Elisabeth Pann an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den<br />
2. Wiener Gemeindebezirk vom 15.11.1950.<br />
115
und zuerst von <strong>Mag</strong>. Fritz Gruber und ab 21. Jänner 1947 bis zur Aufhebung der<br />
öffentlichen Verwaltung am 10. Jänner 1951 von <strong>Mag</strong>.ª Dr. Juliane Trauner geleitet. 481<br />
<strong>Mag</strong>. Karl Juffmann wurde im Oktober 1946 vom Volksgericht Wien wegen Denunziation<br />
und missbräuchlicher Bereicherung während der NS-Zeit zu zweieinhalb Jahren<br />
verschärften Kerkers, Ersatz der Kosten des Strafverfahrens und Vermögensverfall zu<br />
Gunsten der Republik Österreich verurteilt. 482<br />
1947 beantragte <strong>Mag</strong>. August Silberstein die Rückstellung der Erzherzog Karl-Apotheke.<br />
Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am 18. November 1950 mit einem<br />
Vergleich, in dem ihm gegen die Bezahlung einer Gegenforderung der ‚Ariseure‘ in Höhe<br />
von ÖS 40.000,– die Apotheke samt Konzession zurückgestellt wurde. 483 1951 verkaufte<br />
<strong>Mag</strong>. August Silberstein die Apotheke an die am 29. September 1951 gegründete offene<br />
Handelsgesellschaft „Erzherzog Karl-Apotheke, Perner & Co“. 484 <strong>Mag</strong>. Silberstein kehrte<br />
nicht nach Österreich zurück und verstarb Anfang der 1970er-Jahre in Sao Paulo. 485<br />
Franzensbrücken-Apotheke, Wien 2., Franzensbrückenstraße 17<br />
Besitzerin und Konzessionärin der Franzensbrücken-Apotheke war seit 1933 Dr. Minna<br />
Huppert. 486 1937 erwirtschaftete der Betrieb einen Umsatz von RM 46.123,96 und war<br />
schuldenfrei. 487 Mit Kaufvertrag vom 18. Juli 1938 ‚arisierte’ Dr. Wilhelm Koch die<br />
Apotheke. 488 Er wurde am 25. August 1938 zum verantwortlichen Leiter bestellt. 489 Als<br />
Kaufpreis wurde von der Vermögensverkehrsstelle der Betrag von RM 32.286,80 festgelegt.<br />
Davon erhielt die Vermögensverkehrsstelle RM 19.372,10 als ‚Arisierungsauflage‘,<br />
der Rest von RM 12.914,70 wurde für Dr. Minna Huppert auf ein Sperrkonto hinterlegt. 490<br />
Die Konzession für die Franzensbrücken-Apotheke erhielt Dr. Koch am 12. Oktober<br />
1938, 491 die endgültige Genehmigung für den Vermögenstransfer wurde am 21. November<br />
1938 von der Vermögensverkehrsstelle erteilt. 492 Im Jänner 1939 wurden die veränderten<br />
481 Krug, Wiener Apotheken.<br />
482 Ebd.<br />
483 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1834, Vergleich vom 18.11.1950.<br />
484 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 9290.<br />
485 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 224.<br />
486 Krug, Wiener Apotheken.<br />
487 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
488 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1893, Teilerkenntnis vom 21.04.1951.<br />
489 Krug, Wiener Apotheken.<br />
490 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
491 Krug, Wiener Apotheken.<br />
492 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1893, Anmeldung durch Dr. Wilhelm Koch vom 01.02.1952.<br />
116
Besitzverhältnisse schließlich auch im Handelsregister protokolliert. 493<br />
Dr. Minna Huppert konnte sich 1939 nach Shanghai in Sicherheit bringen. Später<br />
emigrierte sie nach Melbourne in Australien, wo sie wieder als Pharmazeutin arbeitete. 494<br />
Am 8. April 1945 wurde die Franzensbrücken-Apotheke durch Kampfhandlungen<br />
vollständig zerstört. 495 1949 beantragte Dr. Minna Huppert die Rückstellung ihrer 1938<br />
entzogenen Apotheke. Nachdem ihr in einem Teilerkenntnis der Rückstellungskommission<br />
Wien V vom 21. April 1951 die Apotheke zugesprochen wurde, 496 schloss Dr. Huppert am<br />
26. Juni 1951 mit Dr. Koch einen Vergleich, in dem sie gegen die Zahlung von<br />
ÖS 85.000,– auf die Rückstellung ihrer Apotheke verzichtete. 497<br />
Freudenauer-Apotheke, Wien 2., Handelskai 426 498<br />
Besitzer und Konzessionär der Freudenauer-Apotheke war seit ihrer Eröffnung im<br />
September 1932 <strong>Mag</strong>. Arthur Boltuch. 499 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen<br />
Jahresumsatz von RM 45.400,– 500 und war mit RM 18.134,– verschuldet. 501 Mit Kaufvertrag<br />
vom 1. Oktober 1938 wurde die Apotheke von <strong>Mag</strong>. Karl Löschnigg – er war seit<br />
Februar 1935 Mitglied und Organisationsleiter der NSDAP 502 – ‚arisiert‘. 503 Als Kaufpreis<br />
wurden von der Vermögensverkehrsstelle RM 31.780,– und eine ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 18.019,55 vorgeschrieben. 504 <strong>Mag</strong>. Arthur Boltuch erhielt, mit dem Argument, dass die<br />
Verbindlichkeiten der Apotheke vom ‚Ariseur‘ übernommen worden waren, nichts aus dem<br />
Zwangsverkauf seiner Apotheke. 505 Am 31. Dezember 1938 erhielt <strong>Mag</strong>. Karl Löschnigg<br />
auch die Konzession für die Freudenauer-Apotheke. 506<br />
493 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 6 (1939), 86.<br />
494 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 221.<br />
495 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1893, Anmeldung durch Dr. Wilhelm Koch vom 01.02.1952.<br />
496 Ebd., Teilerkenntnis vom 21.04.1951.<br />
497 Ebd., Vergleich vom 26.06.1951.<br />
498 Heute: Freudenauer-Apotheke, Wien 2., Wehlistraße 307.<br />
499 Krug, Wiener Apotheken.<br />
500 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
501 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1084, Anmeldung durch Hedwig Boltuch vom 11.11.1946.<br />
502 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, V-5709-18/46, Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium an das BMfsV vom 08.02.1946.<br />
503 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1084, Anmeldung durch Hedwig Boltuch vom 11.11.1946.<br />
504 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
505 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1084, Anmeldung durch Hedwig Boltuch vom 11.11.1946.<br />
506 Krug, Wiener Apotheken.<br />
117
<strong>Mag</strong>. Arthur Boltuch verstarb am 20. Jänner 1940 im Alter von 59 Jahren an den Folgen<br />
der zahlreichen Verfolgungen und Schädigungen, die er durch die NationalsozialistInnen<br />
erleiden musste. 507<br />
In den Apriltagen 1945 wurde die Freudenauer-Apotheke durch Kampfhandlungen schwer<br />
beschädigt und geplündert. 508 Bei der Befreiung Wiens durch die Rote Armee verübte<br />
<strong>Mag</strong>. Karl Löschnig am 10. April 1945 Selbstmord, 509 die Apotheke wurde in Folge bis<br />
Ende 1945 von den sowjetischen Truppen zu Wohnzwecken beschlagnahmt. 510<br />
Am 21. Jänner 1947 wurde Hedwig Boltuch, die Witwe nach <strong>Mag</strong>. Arthur Boltuch, zur<br />
öffentlichen Verwalterin der Freudenauer-Apotheke bestellt. Da sie die gesetzlichen<br />
Erfordernisse zur selbständigen Leitung nicht erbringen konnte, wurde ihr die Auflage<br />
erteilt, für die pharmazeutische Leitung der Apotheke einen Provisor durch das Apotheker-<br />
Hauptgremium bestellen zu lassen. 511 In einem am 13. Februar 1951 vor der Rückstellungskommission<br />
Wien I geschlossenen Vergleich wurde Hedwig Boltuch von den<br />
Erbinnen des <strong>Mag</strong>. Karl Löschnigg die Freudenauer-Apotheke und die Konzession zum<br />
Betrieb derselben zurückgestellt. 512<br />
Mathilden-Apotheke, Wien 2., Gaußplatz 3<br />
Besitzer und Konzessionär der Mathilden-Apotheke war seit September 1911<br />
<strong>Mag</strong>. Friedrich Altschul. 513 Die Apotheke erwirtschafte 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 48.696,76 und war schuldenfrei. 514 Am 24. August 1938 wurde zum Zwecke der<br />
‚Arisierung‘ <strong>Mag</strong>. Karl Foilt als verantwortlicher Leiter eingesetzt, 515 der am 28. November<br />
1938 in dieser Position von <strong>Mag</strong>. Hans Ledwinka ersetzt wurde, der die Apotheke letztlich<br />
‚arisieren‘ sollte. 516 Von der Vermögensverkehrsstelle wurde der Übernahmepreis für die<br />
507 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, IV-1842-15/46, Hedwig Boltuch an das StAfsV<br />
vom 28.12.1945.<br />
508 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1084, Anmeldung durch Hedwig Boltuch vom 11.11.1946.<br />
509 Krug, Wiener Apotheken.; ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, IV-8524-18/47,<br />
Aktenvermerk vom 06.08.1945.<br />
510 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, IV-1842-15/46, Hedwig Boltuch an das StAfsV<br />
vom 28.12.1945.<br />
511 Ebd., Bescheid des BMfVuW vom 21.01.1947.<br />
512 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1084, Vergleich vom 13.02.1951.<br />
513 Vgl. Wiener Apotheker-Hauptgremium, Apothekerwesen in Wien, 79; Krug, Wiener Apotheken.<br />
514 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
515 Krug, Wiener Apotheken; Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 37 (1938), 76.<br />
516 Krug, Wiener Apotheken; Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 51 (1938), 267.<br />
118
Mathilden-Apotheke mit RM 34.087,70 festgelegt und davon eine ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 20.452,62 bestimmt. Für <strong>Mag</strong>. Altschul sollten RM 13.635,08 auf ein Sperrkonto<br />
eingezahlt werden. 517 Die Konzession zum Betrieb der Apotheke wurde am 31. Dezember<br />
1938 auf <strong>Mag</strong>. Hans Ledwinka übertragen. 518<br />
<strong>Mag</strong>. Friedrich Altschul verstarb am 2. Juni 1941 im Alter von 60 Jahren im<br />
Rothschildspital und wurde zwei Tage später am Wiener Zentralfriedhof beerdigt. 519<br />
Im April 1945 wurde die Apotheke geplündert und am 26. April unter öffentliche<br />
Verwaltung durch <strong>Mag</strong>. Karl Martin Weeber gestellt. Diesem folgte am 15. Oktober 1945<br />
<strong>Mag</strong>. Hermann Liebig als öffentlicher Verwalter, 520 der am 15. Dezember 1947 durch<br />
<strong>Mag</strong>.ª Cilli Baumgarten in dieser Position abgelöst wurde. 521<br />
1948 beantragten Susanne Skrein und Johanna Locker, die Töchter <strong>Mag</strong>. Friedrich<br />
Altschuls, von London aus die Rückstellung der ihrem Vater 1938 entzogenen Mathilden-<br />
Apotheke. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am 11. November 1948<br />
mit einem Vergleich, in dem den Antragstellerinnen gegen die Zahlung von ÖS 1.500,– die<br />
Apotheke samt Miet- und Betriebsrechten zurückgestellt wurde. 522 Die öffentliche Verwaltung<br />
der Apotheke wurde am 14. Jänner 1949 aufgehoben 523 und <strong>Mag</strong>.ª Cilli<br />
Baumgarten – auch sie eine von den NationalsozialistInnen verfolgte Pharmazeutin, die<br />
sich im Februar 1939 nach England in Sicherheit bringen konnte und im März 1946 nach<br />
Wien zurückkehrte – am 25. Jänner 1949 als verantwortliche Leiterin der Apotheke<br />
eingesetzt. 524<br />
Apotheke „Zur Rotunde“, Wien 2., Ausstellungsstraße 53 525<br />
Besitzer der Apotheke „Zur Rotunde“ waren seit 1936 Dr. Hans Spitzer und Dr. Franz<br />
Klein, letzterer besaß auch die Konzession zum Betrieb der Apotheke. 1937<br />
517 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
518 Krug, Wiener Apotheken.<br />
519 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 218; IKG Wien, Friedhofsdatenbank, http://www.ikg-wien.at (Oktober<br />
2007).<br />
520 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 11, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Hermann Liebig im Oktober1946.<br />
521 Krug, Wiener Apotheken.<br />
522 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 11, Vergleich vom 11.11.1948.<br />
523 Krug, Wiener Apotheken.<br />
524 Vgl. Fritsch, Pharmazie, 88.<br />
525 Heute: Rotunden-Apotheke.<br />
119
erwirtschaftete die Apotheke einen Jahresumsatz von RM 76.564,50 und war<br />
schuldenfrei. 526 Noch im März 1938 wurde der spätere ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Alois Wahl – er war<br />
seit 1932 Mitglied der NSDAP 527 – zum verantwortlichen Leiter bestellt 528 und mit Dekret<br />
des Staatskommissars in der Privatwirtschaft am 24. Mai 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Edwin Renner<br />
als Kommissarischer Verwalter der Apotheke eingesetzt. 529 Am 15. Juli 1938 wurde<br />
sodann ein Kaufvertrag zur Übergabe der Apotheke an <strong>Mag</strong>. Alois Wahl errichtet. 530 Als<br />
Kaufpreis wurde von der Vermögensverkehrsstelle ein Betrag von RM 53.595,15 bestimmt<br />
und eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 32.157,10 vorgeschrieben. 531 Die ehemaligen<br />
Besitzer der Apotheke erhielten nach Angabe des ‚Ariseurs‘ <strong>Mag</strong>. Wahl RM 21.448,70 bar<br />
ausbezahlt. 532 <strong>Mag</strong>. Alois Wahl erhielt die Konzession zum Betrieb der Apotheke „Zur<br />
Rotunde“ am 12. Oktober 1938, 533 die neuen Besitzverhältnisse wurden schließlich im<br />
Jänner 1939 im Handelsregister protokolliert. 534<br />
Dr. Hans Spitzer konnte noch 1938 nach Australien emigrieren, wo er bis zu seinem<br />
Ableben 1975 als Chemiker tätig war. 535 Auch Dr. Franz Klein konnte sich vor der nationalsozialistischen<br />
Verfolgung in Sicherheit bringen und emigrierte über Belgien in die USA. 536<br />
Die Apotheke „Zur Rotunde“ wurde am 10. April 1945 durch Kampfhandlungen vollständig<br />
zerstört. 537 Zur Aufrechterhaltung der Medikamentenversorgung errichtete <strong>Mag</strong>. Alois Wahl<br />
im Sommer 1945 in Wien 2, Sebastian Kneippgasse 8, einen Notbetrieb, den er im<br />
September 1945 eröffnete. 538 1948 beantragten Dr. Franz Klein und Dr. Hans Spitzer die<br />
Rückstellung ihrer Apotheke. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am<br />
10. Mai 1949 mit einem Vergleich, in dem die Antragsteller gegen die Zahlung von<br />
ÖS 70.000,– auf die Rückstellung der Apotheke „Zur Rotunde“ verzichteten. 539<br />
526 Krug, Wiener Apotheken; AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom<br />
31.01.1939.<br />
527 Krug, Wiener Apotheken.<br />
528 Pharmazeutische Presse, Nr. 15 (1938), 132.<br />
529 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 33 (1938), 26.<br />
530 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1041, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Alois Wahl vom 12.11.1946.<br />
531 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
532 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1041, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Alois Wahl vom 12.11.1946.<br />
533 Krug, Wiener Apotheken.<br />
534 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 3 (1938), 44.<br />
535 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 224.<br />
536 Ebd., 221.<br />
537 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1041, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Alois Wahl vom 12.11.1946.<br />
538 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-34.288-18/46, Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium an Bundesministerium für soziale Verwaltung vom 06.07.1946<br />
539 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 2, 1041, Vergleich vom 10.05.1949.<br />
120
5.1.3. Wien, Erdberg<br />
Apotheke „Zum heiligen Othmar“, Wien 3., Löwengasse 35 540<br />
Besitzerin der Apotheke war seit 1934 die offene Handelsgesellschaft „Apotheke zum heil.<br />
Othmar Ph. Mr. Hans Schuh & Co“. 541 Gesellschafter dieser OHG waren Anfang 1938<br />
<strong>Mag</strong>. Betty Püringer mit einer Beteiligung von 25 Prozent, die Verlassenschaft nach<br />
<strong>Mag</strong>. Hedwig Neumann mit 17 Prozent, Dr. Ferdinand Neumann mit 33 Prozent sowie<br />
<strong>Mag</strong>. Hans Schuh mit einer Beteiligung von 25 Prozent. 542 Konzessionär der Apotheke<br />
„Zum heiligen Othmar“ war seit Mai 1934 <strong>Mag</strong>. Hans Schuh, 543 an Dr.ª Gisela Weiss, die<br />
Schwester von <strong>Mag</strong>.ª Püringer, war seit 1930 die Prokura für die Firma erteilt. 544 Das<br />
Unternehmen erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 62.933,60 und war<br />
schuldenfrei. 545 Ursprünglich sollte nur die Beteiligung von <strong>Mag</strong>.ª Püringer ‚arisiert‘ werden.<br />
Wie es zur Übernahme aller Gesellschaftsanteile durch Dr. Christine Vogl kam, erklärte<br />
diese in ihrer Beilage zur „Anmeldung entzogener Vermögen“ vom 12. November 1946 wie<br />
folgt:<br />
Im Sommer 1938 wurde mir durch den Beamten der Apothekerkammer in Wien,<br />
Herrn Anton Bartolschitz, die Apotheke zum heil. Othmar Hans Schuh & Co in Wien<br />
III., Löwengasse 35, zum Kaufe angeboten. [...] Sowohl die Verlassenschaft Ph. Mr.<br />
Hedwig Neumann wie Frau Ph. Mr. Betty Püringer wollten verkaufen, letztere weil<br />
sie Jüdin nach den Nürnberger Gesetzen war. Dem Verkaufe schlossen sich dann<br />
die anderen Gesellschafter, Mr. Schuh und Dr. Neumann an. Frau Mr. Betty Püringer<br />
war zur Zeit des Kaufabschlusses bereits in Prag und wurde durch ihre Schwester,<br />
Frau Dr. Gisela Weiss, die Generalvollmacht von ihr hatte, vertreten. 546<br />
Der entsprechende Kaufvertrag wurde am 2. August 1938 errichtet 547 und die Übertragung<br />
der Geschäftsanteile von <strong>Mag</strong>.ª Püringer an Dr. Vogl im Herbst 1938 von der<br />
Vermögensverkehrsstelle genehmigt. Letztere setzte den Kaufpreis für die Anteile von<br />
540 Heute: Wien 3., Hetzgasse 37.<br />
541 WStLA, Handelsregister A: offene Handelsgesellschaften 1906–1938, A 3, 57.<br />
542 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 427, Beilage zur Anmeldung durch Dr.ª Christine Vogel vom 12.11.1946.<br />
543 Krug, Wiener Apotheken.<br />
544 WStLA, Handelsregister A: offene Handelsgesellschaften 1906–1938, A 3, 57.<br />
545 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939. Der<br />
dort angegebene Jahresumsatz 1937 bezieht sich nur auf den Anteil von <strong>Mag</strong>.ª Püringer und wurde für die obige<br />
Darstellung auf den Gesamtumsatz hochgerechnet.<br />
546 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 427, Beilage zur Anmeldung durch Dr.ª Christine Vogel vom 12.11.1946.<br />
547 Ebd.<br />
121
<strong>Mag</strong>.ª Püringer mit RM 11.013,47 fest und schrieb eine ‚Arisierungsauflage’ von<br />
RM 6.618,09 vor. RM 4.405,38 gingen an ein Sperrkonto für <strong>Mag</strong>.ª Betty Püringer bei der<br />
Pharmakred. 548 Die Konzession für die Apotheke „Zum heiligen Othmar“ erhielt<br />
Dr. Christine Vogl am 5. November 1938, 549 der ehemalige Konzessionär <strong>Mag</strong>. Hans<br />
Schuh blieb als Angestellter in der Apotheke. 550<br />
<strong>Mag</strong>.ª Betty Püringer, die schon vor dem Zwangsverkauf ihrer Geschäftsanteile nach Prag<br />
geflüchtet war, emigrierte später nach Palästina, wo sie 1941 in Tel Aviv verstarb. 551 Auch<br />
ihre Schwester Dr. Gisela Weiss konnte sich vor der nationalsozialistischen Verfolgung<br />
nach Tel Aviv in Sicherheit bringen. 552<br />
Die Apotheke „Zum heiligen Othmar“ wurde am 8. April 1945 durch einen während der<br />
Kampfhandlungen um Wien von der SS gelegten Brand vollständig zerstört. Dr.ª Christine<br />
Vogl richtete daher in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Standortes der Apotheke in der<br />
Hetzgasse 40 einen Notbetrieb ein. 553 1948 beantragten Dr. Gisela Weiss und ihr Bruder<br />
Theodor G. White die Rückstellung der ihrer Schwester 1938 entzogenen Geschäftsanteile<br />
an der Apotheke „Zum heiligen Othmar“. Ein daraufhin geführtes Rückstellungsverfahren<br />
endete am 31. August 1949 mit einem Vergleich, in dem die AntragstellerInnen<br />
gegen die Zahlung von ÖS 35.000,– auf die Rückstellung der Gesellschaftsanteile<br />
verzichteten. 554<br />
Carolus-Apotheke, Wien 3., Rennweg 41<br />
Die Carolus-Apotheke war seit 1935 zu gleichen Teilen im Besitz von <strong>Mag</strong>. Karl Rosner<br />
und <strong>Mag</strong>. Josef Epstein, letzterer hatte die Konzession zum Betrieb der Apotheke am<br />
16. Februar 1924 erhalten. 555 Die Apotheke erzielte 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 64.200,– 556 und war mit RM 49.903,– verschuldet. 557 Am 15. Juli 1938 wurde zwischen<br />
548 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
549 Krug, Wiener Apotheken.<br />
550 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
551 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 748, Beilage zur Anmeldung durch die Trofaiacher Eisen- & Stahlwerke AG<br />
vom 12.11.1946.<br />
552 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 427, Vergleich vom 26.10.1949.<br />
553 Ebd., Anmeldung durch Dr.ª Christine Vogel vom 05.11.1946.<br />
554 Ebd., Vergleich vom 26.10.1949.<br />
555 Krug, Wiener Apotheken; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 61, Anmeldung durch Dr. Julius Hahn vom<br />
07.11.1946.<br />
556 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
557 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 390, Anmeldung durch Dr. Theodor Heinrich Mayer vom 14.11.1946.<br />
122
den jüdischen Besitzern und dem ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Josef Hannl ein mündlicher Kaufvertrag<br />
vereinbart, 558 der später von der Vermögensverkehrsstelle neu festgelegt wurde. Der<br />
Kaufpreis für die Carolus-Apotheke wurde amtlich mit RM 44.940,– bestimmt, 559 für die<br />
ehemaligen Besitzer sollten RM 17.979,– auf Sperrkonten überwiesen werden. Davon<br />
erhielt <strong>Mag</strong>. Karl Rosner allerdings nur RM 3.000,–, um seine Ausreise zu finanzieren. 560<br />
Als ‚Arisierungsauflage‘ wurden in diesem Fall nur RM 729,50 von der Vermögensverkehrsstelle<br />
vorgeschrieben, 561 da der Großteil des Kaufpreises für die Begleichung der<br />
Verbindlichkeiten verwendet wurde. Die Konzession zum Betrieb der Carolus-Apotheke<br />
erhielt <strong>Mag</strong>. Josef Hannl schließlich am 20. Februar 1939. 562<br />
<strong>Mag</strong>. Karl Rosner konnte noch 1938 fliehen 563 und emigrierte nach New York. 564<br />
<strong>Mag</strong>. Josef Epstein blieb in Wien und wurde von dort am 15. Oktober 1941 nach<br />
Litzmannstadt deportiert. 565 Er war noch ein halbes Jahr im Getto als Apotheker tätig und<br />
verstarb im Alter von 66 Jahren am 10. Mai 1942 im Getto Litzmannstadt. 566<br />
Am 2. Juli 1945 verstarb <strong>Mag</strong>. Josef Hannl in Wien, die Carolus-Apotheke wurde am<br />
19. September 1945 unter öffentliche Verwaltung gestellt und von <strong>Mag</strong>. Theodor Heinrich<br />
Mayer bis zu seinem Tod am 3. November 1949 geleitet. Vom 25. Jänner 1950 bis zum<br />
29. Dezember 1953 wurde <strong>Mag</strong>. Rudolf Zaininger von Amts wegen mit der Leitung der<br />
Apotheke betraut. 567<br />
1953 beantragten <strong>Mag</strong>. Karl Rosner und die ErbInnen nach <strong>Mag</strong>. Josef Epstein, seine<br />
Kinder Camillo Epstein und Gertrud Auerbach, die Rückstellung der Carolus-Apotheke.<br />
Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am 28. Dezember 1953 mit einem<br />
Vergleich, in dem die AntragstellerInnen gegen die Zahlung von ÖS 455.000,– auf die<br />
Rückstellung der Apotheke verzichteten. 568<br />
558 Ebd.<br />
559 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
560 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 61, Anmeldung durch Dr. Julius Hahn vom 07.11.1946.<br />
561 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
562 Krug, Wiener Apotheken.<br />
563 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
564 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 61, Anmeldung durch Dr. Julius Hahn vom 07.11.1946.<br />
565 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
566 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (Oktober 2007).<br />
567 Krug, Wiener Apotheken.<br />
568 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 61 u. 390, Vergleich vom 28.12.1953.<br />
123
Erdberg-Apotheke, Wien 3., Schlachthausgasse 11<br />
Besitzer und Konzessionär der Erdberg-Apotheke war seit 1928 <strong>Mag</strong>. Isaak Schatz. 569 Der<br />
Betrieb erzielte 1937 einen Jahresummsatz von RM 34.990,60 570 und wies Schulden in der<br />
Höhe von RM 33.758,– auf. Am 1. Juli 1938 ‚arisierte‘ <strong>Mag</strong> Rudolf Steiner die Erdberg-<br />
Apotheke und stellte am 13. Juli 1938 ein Ansuchen um Erwerbung der Apotheke an die<br />
Vermögensverkehrsstelle. Diese setzte den Kaufpreis mit RM 24.493,– fest. Von diesem<br />
Übernahmepreis sollten RM 14.696,– an die Vermögensverkehrsstelle überwiesen und<br />
RM 9.797.- auf ein Sperrkonto des geschädigten Eigentümers einbezahlt werden. Die<br />
Vermögensverkehrsstelle verzichtete später in Anbetracht des von <strong>Mag</strong>. Steiner übernommenen<br />
Schuldenstandes auf die Überweisung der vorgeschriebenen ‚Arisierungsauflage’<br />
und gab auch das Sperrkonto von <strong>Mag</strong>. Schatz zur Abdeckung der Schulden frei.<br />
Von dem Kaufpreis ist <strong>Mag</strong>. Isaak Schatz somit nichts zur freien Verfügung zugekommen.<br />
<strong>Mag</strong>. Steiner bezahlte lediglich einen Betrag von RM 600,– als Unterstützung für die<br />
Auswanderung von Adam Schatz, dem Sohn von <strong>Mag</strong>. Isaak Schatz. 571 Die Konzession<br />
für die Erdberg-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong> Rudolf Steiner am 7. November 1938, 572 der Erwerb<br />
der Apotheke wurde schließlich am 18. November 1938 von der Vermögensverkehrsstelle<br />
genehmigt. 573<br />
<strong>Mag</strong>. Isaak Schatz wurde am 15. Juli 1942 von Wien nach Theresienstadt deportiert und<br />
am 21. September 1942 von dort nach Treblinka gebracht. Er hat die Shoa nicht<br />
überlebt. 574<br />
Am 7. September 1945 wurde die Apotheke unter öffentliche Verwaltung gestellt und in<br />
Folge von <strong>Mag</strong>.ª Melanie Nitsche bis zum 21. Mai 1947 und darauf bis zum 8. November<br />
1948 durch <strong>Mag</strong>.ª Maria Kless geleitet. 575 Mit Urteil des Volksgerichts Wien vom 12. Juni<br />
1947 wurde Rudolf Steiner als ‚Illegaler‘ und NS-Funktionär nach §11 Verbotsgesetz zu<br />
einem Jahr schweren Kerkers und Verfall seines Vermögens zu Gunsten der Republik<br />
verurteilt. 576 Da dadurch die Apotheke Eigentum der Republik wurde, war nach §3 des<br />
569 Krug, Wiener Apotheken.<br />
570 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
571 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 935, Bescheid der FLD vom 28.09.1949.<br />
572 Krug, Wiener Apotheken.<br />
573 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 935, Bescheid der FLD vom 28.09.1949.<br />
574 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (Oktober 2007).<br />
575 Krug, Wiener Apotheken.<br />
576 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 935, Bescheid der FLD vom 28.09.1949.<br />
124
Zweiten Rückstellungsgesetzes die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und<br />
Burgenland für die Rückstellung zuständig. 577 Ein von Adam Schatz am 26. März 1948<br />
eingebrachtes Rückstellungsbegehren wurde daher mit Bescheid der Finanzlandesdirektion<br />
vom 28. September 1949 entschieden. Adam Schatz erhielt mit diesem Bescheid<br />
die seinem Vater 1938 entzogene Erdberg-Apotheke zurückgestellt. 578<br />
Fasan-Apotheke, Wien 3., Hohlweggasse 21<br />
Besitzer und Konzessionär der Fasan-Apotheke war seit 26. Juni 1909 <strong>Mag</strong>. Gustav<br />
Schüller. 579 1937 erwirtschaftete diese Apotheke einen Jahresumsatz von RM 91.832,19<br />
und war schuldenfrei. 580 Am 19. Juli 1938 wurde zwischen <strong>Mag</strong>. Schüller und <strong>Mag</strong>. Karl<br />
Pucher ein Kaufvertrag errichtet, in dem von der Vermögensverkehrsstelle der Kaufpreis<br />
für die Apotheke mit RM 64.282,53 festgelegt wurde. Davon erhielt die<br />
Vermögensverkehrsstelle RM 38.569,52 als ‚Arisierungsauflage‘, die restlichen<br />
RM 25.713,01 wurden zu Gunsten <strong>Mag</strong>. Schüllers auf ein Sperrkonto hinterlegt. 581<br />
<strong>Mag</strong>. Karl Pucher wurde im August 1938 zum verantwortlichen Leiter bestellt 582 und erhielt<br />
die Konzession zum Betrieb der Fasan-Apotheke mit Bescheid vom 26. September<br />
1938. 583 Im Februar 1939 wurden die veränderten Besitzverhältnisse im Handelsregister<br />
protokolliert. 584<br />
<strong>Mag</strong>. Gustav Schüller verließ Wien und starb am 12. Februar 1939 im Alter von 61 Jahren<br />
im Sanatorium Auersberg. 585<br />
Am 21. Juni 1945 wurde <strong>Mag</strong>. Hans Brauner von der Abteilung II des Wiener <strong>Mag</strong>istrats<br />
zum Leiter der Fasan-Apotheke bestellt 586 und am 7. September 1945 als öffentlicher<br />
Verwalter eingesetzt. 587 Ab 21. Jänner 1947 wurde die Apotheke dann von <strong>Mag</strong>.ª Maria<br />
577 BGBl. Nr. 53/1947.<br />
578 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 935, Bescheid der FLD vom 28.09.1949.<br />
579 Vgl. Wiener Apotheker-Hauptgremium, Apothekerwesen in Wien, 98.<br />
580 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
581 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 394, Anmeldung durch Karoline Pucher vom 13.11.1946.<br />
582 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 34 (1938), 39.<br />
583 Ebd., Nr. 40 (1938), 117.<br />
584 Ebd., Nr. 7 (1939), 102.<br />
585 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 394, Anmeldung durch Karoline Pucher für <strong>Mag</strong>. Karl Pucher vom<br />
13.11.1946.<br />
586 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt.3, IV-161.524-15/45, Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung II<br />
an das StAfsV vom 14.09.1945.<br />
587 Krug, Wiener Apotheken.<br />
125
Eibel geleitet, bis <strong>Mag</strong>. Karl Pucher am 11. Februar 1949 wieder die Leitung der Fasan-<br />
Apotheke übernahm. 588 1948 beantragte die Erbin nach <strong>Mag</strong>. Gustav Schüller, Ibolya<br />
Suranyi, die Rückstellung der 1938 entzogenen Apotheke. Im folgenden Rückstellungsverfahren<br />
einigte sie sich am 20. Oktober 1949 mit <strong>Mag</strong>. Pucher auf einen Vergleich, in<br />
dem sie gegen die Zahlung von ÖS 90.000,– auf die Rückstellung der Fasan-Apotheke<br />
verzichtete. 589<br />
Neuling-Apotheke, Wien 3., Neulinggasse 15 590<br />
Inhaber und Konzessionär der Neuling-Apotheke war seit 1925 <strong>Mag</strong>. Adalbert Glaser. 591<br />
Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 73.532,04 auf und war<br />
schuldenfrei. 592 Am 25. Juli 1938 wurde der Nationalsozialist 593 <strong>Mag</strong>. Franz Fitz zum<br />
verantwortlichen Leiter der Apotheke bestellt. 594 Im September 1938 genehmigte die<br />
Vermögensverkehrsstelle die ‚Arisierung‘ der Neuling-Apotheke durch <strong>Mag</strong>. Fitz 595 und<br />
schrieb einen Kaufpreis von RM 51.472,40 für die Apotheke vor. 596 Als ‚Arisierungsauflage‘<br />
waren RM 30.883,45 an die Vermögensverkehrsstelle zu entrichten, RM 20.588,95<br />
wurden als Anteil für <strong>Mag</strong>. Adalbert Glaser bestimmt. 597 Die Konzession für die Neuling-<br />
Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Franz Fitz am 27. September 1938 und änderte den Namen der<br />
Apotheke in „Viktoria-Apotheke“. 598<br />
<strong>Mag</strong>. Adalbert Glaser blieb in Wien und wurde am 29. Juli 1942 nach Theresienstadt<br />
deportiert. Dort fiel er am 27. September 1942 der nationalsozialistischen Verfolgung zum<br />
Opfer. 599<br />
Am 20. Oktober 1945 wurde die Neuling-Apotheke unter öffentliche Verwaltung gestellt<br />
und bis März 1950 von <strong>Mag</strong>. Walter Blabensteiner geleitet. 600 Die Apotheke wurde 1949 an<br />
588 Ebd.<br />
589 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 394 u. 462, Vergleich vom 20.10.1949.<br />
590 Heute: Wien 3., Ungargasse 51.<br />
591 Krug, Wiener Apotheken.<br />
592 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
593 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
594 Krug, Wiener Apotheken.<br />
595 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
596 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
597 Ebd.<br />
598 Krug, Wiener Apotheken.<br />
599 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (Oktober 2007).<br />
600 Krug, Wiener Apotheken.<br />
126
Margarete Werner, die Erbin nach <strong>Mag</strong>. Adalbert Glaser, zurückgestellt. Da Margarete<br />
Werner die Apotheke nicht selbst führen konnte, gründete sie am 4. Mai 1950 zusammen<br />
mit Dr. Ernst Krug eine offene Handelsgesellschaft zum Betrieb der Apotheke. Die<br />
Apotheke erhielt auch wieder ihren alten Namen, nämlich „Neuling-Apotheke Mr. pharm.<br />
601<br />
Adalbert Glaser“. Die Konzession für die Neuling-Apotheke erhielt Dr. Krug am 29. April<br />
1950. 602<br />
St. Markus-Apotheke, Wien 3., Landstraßer Hauptstraße 130<br />
Die St. Markus-Apotheke war seit 1931 zu gleichen Teilen im Besitz von <strong>Mag</strong>. Elias<br />
Rosenberg und <strong>Mag</strong>. Arthur Löw, letzterer erhielt die Konzession zum Betrieb der<br />
Apotheke am 11. Jänner 1909. 603 Der Betrieb wies 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 61.333,34 auf und war schuldenfrei. 604 Am 24. Mai 1938 wurde SA-Sturmbannführer<br />
<strong>Mag</strong>. Edwin Renner als Kommissarischer Verwalter eingesetzt, der daran ging, die<br />
‚Arisierung‘ des Betriebes durch Dr. Otto Türk in die Wege zu leiten. 605 Dieser wurde<br />
Anfang Oktober 1938 zum verantwortlichen Leiter bestellt 606 und übernahm am<br />
21. November 1938 um den von der Vermögensverkehrsstelle festgesetzten Kaufpreis von<br />
RM 42.933,34 die St. Markus-Apotheke. 607 Von dem Übernahmepreis gingen<br />
RM 25.759,99 als ‚Arisierungsauflage‘ an die Vermögensverkehrsstelle, RM 17.173,34<br />
wurden auf Sperrkonten der ehemaligen Besitzer überwiesen. 608 Am 8. Februar 1939<br />
erhielt Dr. Otto Türk auch die Konzession zum Betrieb der Apotheke. 609<br />
<strong>Mag</strong>. Arthur Löw konnte 1939 Österreich verlassen. Er emigrierte über Italien in die USA,<br />
wo er 1943 in New York verstarb. 610 Auch <strong>Mag</strong>. Elias Rosenberg verließ 1939 Wien 611 und<br />
flüchtete nach Shanghai. Er verstarb dort am 4. August 1945. 612<br />
Am 16. August 1945 wurde die St. Markus-Apotheke unter öffentliche Verwaltung gestellt<br />
601 WStLA, M.Abt. 13, Kartei K 1/3, Apotheken; Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 7529.<br />
602 Krug, Wiener Apotheken.<br />
603 Ebd.<br />
604 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
605 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 33 (1938), 26.<br />
606 Ebd., Nr. 41 (1938), 128.<br />
607 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 65, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Anna Schlichtinger vom 06.11.1946.<br />
608 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
609 Krug, Wiener Apotheken.<br />
610 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 222.<br />
611 Ebd., 223.<br />
612 DÖW, Überlebende.<br />
127
und – mit einer Unterbrechung vom 18. Jänner 1946 bis 3. Oktober 1947, in der die<br />
Apotheke durch die amerikanische property-control verwaltet wurde – von <strong>Mag</strong>.ª Anna<br />
Schlichtinger bis zum 16. Mai 1950 geleitet. 613 1947 wurde von den ErbInnen nach<br />
<strong>Mag</strong>. Arthur Löw, seiner Frau Anna Loew und seinem Sohn Peter C. Loew, sowie von der<br />
Erbin nach <strong>Mag</strong>. Elias Rosenberg, seiner Frau Dorit Rosenberg, ein Antrag auf<br />
Rückstellung der Apotheke gestellt. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren<br />
endete am 29. November 1949 mit einem Vergleich, in dem den AntragstellerInnen die St.<br />
Markus-Apotheke zurückgestellt wurde. 614<br />
5.1.4. Wien, Wieden<br />
Belvedere-Apotheke, Wien 4., Prinz Eugen-Straße 24<br />
Besitzer und Konzessionär der Belvedere-Apotheke war seit 1932 Dr. Siegmund Becker, 615<br />
seine Frau Gabriele Becker war mit RM 50.000,– an der Apotheke beteiligt. 616 Der Betrieb<br />
erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 55.245,98 617 und hatte Warenschulden<br />
von RM 19.653,99. 618 Nach dem ‚Anschluß‘ im März 1938 versuchten Dr. Becker und<br />
seine Frau Gabriele, Österreich möglichst rasch zu verlassen, und suchten aus diesem<br />
Grund einen Käufer oder eine Käuferin für ihre Apotheke. Schon am 23. März 1938 nahm<br />
daher Dr. Becker mit der aus Graz stammenden Dr.ª Senta Fischer Kontakt auf, um über<br />
einen Verkauf seiner Apotheke in Verhandlung zu treten, er verkaufte die Belvedere-<br />
Apotheke an Dr.ª Fischer am 4. April 1938. Als Kaufpreis wurde die Summe von<br />
RM 84.000,– bestimmt – das Eineinhalbfache des letzten Jahresumsatzes, wie vor dem<br />
‚Anschluß‘ üblich – und in der Rechtsanwaltskanzlei Dr. Gutwenger ein entsprechender<br />
Kaufvertrag errichtet. Die verantwortliche Leitung der Apotheke erhielt Dr.ª Fischer am 9.<br />
April 1938. Die Konzessionsübertragung von Dr. Becker auf Dr.ª Fischer verzögerte sich<br />
allerdings durch die im Frühjahr 1938 von den neuen Machthabern initiierte Umbildung der<br />
zuständigen Behörden, und am 30. Mai 1938 wurde Dr.ª Senta Fischer vor den<br />
Kommissarischen Verwalter der jüdischen Apotheken in der Ostmark, SA-Sturmbann-<br />
613 Krug, Wiener Apotheken.<br />
614 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 3, 179, Anmeldung durch Franz Mayer vom 16.11.1946 sowie Vergleich vom<br />
29.11.1949.<br />
615 Krug, Wiener Apotheken.<br />
616 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
617 Ebd.<br />
618 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 4, 424, Vermögensverkehrsstelle an Dr.ª Senta Fischer vom 22.11.1938.<br />
128
führer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner, zitiert. Dieser eröffnete ihr, dass der am 4. April 1938 errichtete<br />
Kaufvertrag in Hinblick auf die nationalsozialistische Rechtsauffassung ungültig sei, dass<br />
sie aber weiters gnadenhalber als Provisorin unter seiner Aufsicht die Belvedere-Apotheke<br />
weiter leiten dürfe. Um aber die Apotheke erwerben zu können, müsse sich Dr.ª Fischer<br />
als ‚Ariseurin‘ bewerben und jedenfalls ein politisches Führungszeugnis beibringen.<br />
Letzteres wurde ihr von Ing. Josef Helfrich, dem Wahlgauleiter der Steiermark, ausgestellt,<br />
und am 7. Juli 1938 wurde vom Bezirksapothekenführer <strong>Mag</strong>. Robert Bichler ein neuer<br />
Kaufvertrag in Form eines Gedächtnisprotokolls aufgesetzt. 619 Dieser neue Kaufvertrag<br />
enthielt nun die üblichen Verschlechterungen für die jüdischen VerkäuferInnen. Der Kaufpreis<br />
wurde mit RM 38.672,18 festgesetzt und somit im Vergleich zum ursprünglich vereinbarten<br />
Preis um mehr als die Hälfte vermindert. Dieser zweite Kaufvertrag wurde am<br />
22. November 1938 von der Vermögensverkehrsstelle genehmigt, die eine ‚Arisierungsauflage‘<br />
zu ihren Gunsten in der Höhe von RM 19.018,19 vorschrieb. Der Rest des Kaufpreises<br />
wurde zur Abdeckung der Betriebsverbindlichkeiten verwendet. Dr. Siegmund<br />
Becker und seine Frau Gabriele erhielten nichts aus dem Zwangsverkauf ihrer<br />
Apotheke. 620 Die Konzession für die Belvedere-Apotheke erhielt Dr.ª Senta Fischer am<br />
26. September 1938. 621<br />
Dr. Siegmund Becker und seine Frau Gabriele konnten vorerst nach Belgrad fliehen, 622 wo<br />
Dr. Siegmund Becker allerdings später in das von der kroatischen Ustascha geführte<br />
Konzentrationslager Jasenovac deportiert und dort im Frühjahr 1942 ermordet wurde. 623<br />
Gabriele Becker konnte sich mit ihrer Tochter Eva in Sicherheit bringen und emigrierte<br />
nach Palästina. 624<br />
Am 19. September 1945 wurde die Belvedere-Apotheke unter öffentliche Verwaltung<br />
gestellt und in Folge von verschiedenen PharmazeutInnen geleitet. 625 1948 beantragten<br />
Gabriele und Eva Becker die Rückstellung des 1938 entzogenen Betriebes. Im daraufhin<br />
geführten Rückstellungsverfahren wurde ihnen mit Teilerkenntnis vom 26. Juli 1950 sowie<br />
mit Beschluss der Rückstellungsoberkommission vom 31. Oktober 1950 die Belvedere-<br />
619 Ebd., Dr.ª Senta Fischer an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den 4. Wiener Gemeindebezirk vom 14.11.1946.<br />
620 Ebd., Vermögensverkehrsstelle an Drª. Senta Fischer vom 22.11.1938.<br />
621 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 40 (1938), 117.<br />
622 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 218.<br />
623 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (Oktober 2007).<br />
624 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 4, 424, Erkenntnis vom 26.07.1950.<br />
625 Krug, Wiener Apotheken.<br />
129
Apotheke samt dem Anrecht auf die Konzession gegen die Zahlung von ÖS 15.000,–<br />
zurückgestellt. 626<br />
5.1.5. Wien, Margareten<br />
Apotheke „Zum heiligen Georg“, Wien 5., Wimmergasse 33 627<br />
Die Apotheke „Zum Heiligen Georg“ war seit 1929 im Besitz einer offenen Handelsgesellschaft<br />
und wurde als Witwenfortbetrieb geführt. GesellschafterInnen waren 1938<br />
Hedwig Friedjung – sie war auch im Besitz der Konzession – und ihre Söhne Hans<br />
Friedjung und Dr. Georg Friedjung. Die Apotheke wurde Anfang 1938 von <strong>Mag</strong>.ª Klara Eibl<br />
geleitet. 628 Der Betrieb erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 95.032,– und<br />
war mit RM 8.438,57 verschuldet. 629 Am 19. Juli 1938 wurde der spätere ‚Ariseur‘ Dr. Ernst<br />
Krug als verantwortlicher Leiter für die Apotheke „Zum heiligen Georg“ eingesetzt. 630<br />
Mittels Kaufvertrag vom 22. Juli 1938 wurde die Apotheke endgültig ‚arisiert‘, 631 die<br />
Konzession zum Betrieb der Apotheke erhielt Dr. Ernst Krug am 14. Oktober 1938. 632 In<br />
der Genehmigung des erwähnten Kaufvertrages schrieb die Vermögensverkehrsstelle am<br />
18. November 1938 einen Übernahmewert von RM 66.522,40 vor, von dem RM 39.913,44<br />
als ‚Arisierungsauflage‘ zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle vom Käufer abzuführen<br />
waren. Den VerkäuferInnen wurden RM 20.533,60 zugesprochen. Davon waren noch die<br />
Verpflichtungen des Betriebes abzudecken, der Rest war auf ein Sperrkonto zu<br />
deponieren. 633 Protokolliert im Wiener Handelsregister wurde diese Besitzübertragung<br />
noch im Dezember 1938. 634<br />
Hedwig Friedjung wurde am 28. Oktober 1941 von Wien nach Litzmannstadt deportiert. 635<br />
Sie hat die Shoa nicht überlebt. 636 Hans Friedjung, der sich zur Zeit der national-<br />
626 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 4, 424, Erkenntnis vom 26.07.1950 sowie Beschluss vom 31.10.1950; WStLA,<br />
2.3.3. A47, HRA-Registerakten der aufgelassenen Firmen 1939–1993, HRA 4570, Vergleich vom 26.04.1951.<br />
627 Heute: Siebenbrunnen-Apotheke, Wien 5., Siebenbrunnengasse 32.<br />
628 Krug, Wiener Apotheken.<br />
629 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
630 Krug, Wiener Apotheken.<br />
631 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 528, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Ludwig Roniger vom 09.11.1946.<br />
632 Krug, Wiener Apotheken.<br />
633 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 528, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Ludwig Roniger vom 09.11.1946.<br />
634 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 52 (1938), 283.<br />
635 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
636 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (Oktober 2007).<br />
130
sozialistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei befand, 637 konnte später von<br />
dort nach Italien fliehen und überlebte die nationalsozialistische Verfolgung in Rom. 638<br />
Dr. Georg Friedjung wurde 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. 1939<br />
konnte er sich in die Schweiz in Sicherheit bringen, wo er später in Zürich wieder die<br />
Leitung einer Apotheke übernahm. 639<br />
Am 21. Juni wurde <strong>Mag</strong>. Ludwig Roniger von der Abteilung II des Wiener <strong>Mag</strong>istrats als<br />
verantwortlicher Leiter der Apotheke „Zum heiligen Georg“ eingesetzt und am 27. August<br />
1945 mit der öffentlichen Verwaltung der Apotheke betraut. 640 1948 beantragten Dr. Georg<br />
Friedjung und Hans Friedjung die Rückstellung ihrer Apotheke. Ein daraufhin geführtes<br />
Rückstellungsverfahren endete am 18. Juni 1949 mit einem Vergleich, in dem den Antragstellern<br />
die Apotheke samt Konzession zurückgestellt wurde. 641<br />
Apotheke „Zur heiligen Margarethe“, Wien 5., Margaretenstraße 75 642<br />
Besitzerin der Apotheke „Zur heiligen Margarethe“ war seit 1913 die offene Handelsgesellschaft<br />
„Apotheke zur heiligen Margarethe Grünberg & Metall“, Konzessionär der<br />
Apotheke war ebenfalls seit 1913 <strong>Mag</strong>. Heinrich Grünberg. GesellschafterInnen der<br />
offenen Handelsgesellschaft waren Anfang 1938 zu je 25 Prozent <strong>Mag</strong>. Heinrich Grünberg<br />
und dessen Sohn <strong>Mag</strong>. Fritz Grünberg sowie Adele Metall und deren Tochter <strong>Mag</strong>.ª Vilma<br />
Lichtenstern. 643 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 70.390,98 auf und<br />
war schuldenfrei. 644 Am 22. Juli 1938 wurde der Nationalsozialist <strong>Mag</strong>. Arthur Sauer – er<br />
war von August 1934 bis März 1938 Mitglied der Österreichischen Legion im Deutschen<br />
Reich – zum verantwortlichen Leiter der Apotheke bestellt. 645 Mit Genehmigung der<br />
Vermögensverkehrsstelle ‚arisierte‘ er die Apotheke „Zur heiligen Margarethe“ am<br />
18. November 1938. 646 Der dabei von der Vermögensverkehrsstelle vorgeschriebene<br />
Kaufpreis für die Apotheke betrug RM 49.210,78, die zu leistende ‚Arisierungsauflage‘<br />
wurde mit RM 29.526,41 festgesetzt. Die jüdischen EigentümerInnen der Apotheke<br />
637 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
638 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 528, Vergleich vom 18.06.1949.<br />
639 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 219<br />
640 Krug, Wiener Apotheken.<br />
641 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 528, Vergleich vom 18.06.1949.<br />
642 Heute: Margareten-Apotheke.<br />
643 Krug, Wiener Apotheken.<br />
644 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
645 Krug, Wiener Apotheken.<br />
646 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 264, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Hermine Urvary vom 15.11.1946.<br />
131
erhielten in Summe RM 19.684,27 auf ein Sperrkonto bei der Pharmakred überwiesen. 647<br />
Die Konzession für die Apotheke „Zur heiligen Margarethe“ erhielt <strong>Mag</strong>. Arthur Sauer am<br />
8. November 1938. 648 Am 1. Jänner 1939 wurde mit der Gründung einer offenen Handelsgesellschaft<br />
<strong>Mag</strong>.ª Angela Hopfer – auch sie ein Mitglied der NSDAP 649 – von <strong>Mag</strong>. Sauer<br />
an dem Unternehmen beteiligt. 650<br />
<strong>Mag</strong>. Heinrich Grünberg blieb nach der Enteignung der Apotheke „Zur heiligen<br />
Margarethe“ in Wien. Am 19. Oktober 1941 wurde er mit seiner Frau Paula Grünberg von<br />
Wien nach Litzmannstadt deportiert, 651 wo <strong>Mag</strong>. Heinrich Grünberg im Getto als Apotheker<br />
tätig war. 652 <strong>Mag</strong>. Heinrich Grünberg und Paula Grünberg haben die Shoa nicht überlebt. 653<br />
<strong>Mag</strong>. Fritz Grünberg brachte sich 1939 in Sicherheit und emigrierte mit seiner Familie nach<br />
Bolivien. 654 Er gründete in La Paz eine chemische Fabrik, die er auch selbst leitete, und<br />
verstarb 1948 in der bolivianischen Hauptstadt im Alter von nur 37 Jahren an den Folgen<br />
einer Herzerkrankung. 655 Adele Metall und ihre Tochter <strong>Mag</strong>.ª Vilma Lichtenstern konnten<br />
noch 1938 nach Großbritannien fliehen, wo <strong>Mag</strong>.ª Lichtenstern nach Absolvierung eines<br />
einjährigen Kurses Member of the Pharmazeutical Society of Great Britain (MPS) werden<br />
und somit in ihrem erlernten Beruf arbeiten konnte. 656<br />
Da <strong>Mag</strong>. Arthur Sauer nach Ende seines Wehrdienstes als Oberstabsapotheker 657 nicht<br />
nach Wien zurückkehrte, sondern sich nach Westösterreich absetzte, und auch<br />
<strong>Mag</strong>.ª Angela Hopfer aus Wien flüchtete, 658<br />
wurde mit Bescheid der Wiener<br />
<strong>Mag</strong>istratsabteilung II <strong>Mag</strong>. Alexander Girg am 30. Juni 1945 zum verantwortlichen Leiter<br />
der verwaisten Margareten-Apotheke bestellt. 659 Da allerdings auch <strong>Mag</strong>. Girg ein Mitglied<br />
der NSDAP war, 660 wurde die Apotheke am 16. August 1945 unter öffentliche Verwaltung<br />
647 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939;<br />
WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 264, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Hermine Urvary vom 15.11.1946.<br />
648 Krug, Wiener Apotheken.<br />
649 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
650 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4104.<br />
651 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
652 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (Oktober 2007).<br />
653 Ebd.<br />
654 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 220.<br />
655 Vgl. Fritsch, Pharmazie, 113.<br />
656 Vgl. Ebd., 89 u. 113; Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 104 u. 222.<br />
657 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt. 2, IV-160.868-15/45, Wiener Gebietskrankenkasse<br />
an das StAfsV vom 24.07.1945.<br />
658 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 264, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Hermine Urvary vom 15.11.1946.<br />
659 Krug, Wiener Apotheken.<br />
660 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt. 2, IV-160.868-15/45, Wiener Gebietskrankenkasse<br />
an das StAfsV vom 24.07.1945.<br />
132
gestellt und von <strong>Mag</strong>.ª Hermine Urvary geleitet. 661 Am 30. Jänner 1948 wurde sie in dieser<br />
Funktion durch <strong>Mag</strong>.ª Fanny Tritt ersetzt. 662<br />
1947 beantragten Adele Metal, <strong>Mag</strong>.ª Vilma Lichtenstern, Friederike Grünberg, die Witwe<br />
und Erbin nach Fritz Grünberg, sowie ihr Sohn Alexander Thomas Grünberg die<br />
Rückstellung der 1938 entzogenen Apotheke. 663 Mit Teilerkenntnis vom 6. November 1947<br />
wurde ihnen die Apotheke „Zur heiligen Margarethe“ zurückgestellt 664 und am selben Tag<br />
von den RückstellungswerberInnen eine offene Handelsgesellschaft zum Betrieb der<br />
Apotheke gegründet. 665 Da aber keine der GesellschafterInnen über die Vorraussetzungen<br />
zum Erwerb der Konzession verfügte, wurde am 1. Februar 1949 <strong>Mag</strong>.ª Fanny Tritt zur<br />
Leiterin der Apotheke bestellt. 666 <strong>Mag</strong>.ª Vilma Lichtenstern kam nach der Rückstellung der<br />
Apotheke zurück nach Wien und erhielt am 7. April 1949 vom Bundesministerium für<br />
soziale Verwaltung die Bewilligung, bis Ende 1949 in ihrer Apotheke zu arbeiten. Mit<br />
Bescheid des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 12. Dezember 1949 wurde<br />
auch ihrem Ansuchen entsprochen, die für die Erwerbung der Konzession nötige<br />
fünfjährige Praxis zu verkürzen. Diese wurde auf zweieinhalb Jahre vermindert. Die<br />
Konzession zum Betrieb der Apotheke „Zur heiligen Margarethe“ erhielt <strong>Mag</strong>.ª Vilma<br />
Lichtenstern schließlich am 27. Juni 1950. 667 Am 7. August 1950 übergab sie die Leitung<br />
der Apotheke an <strong>Mag</strong>. Stephan Ubl 668 und kehrte noch im selben Jahr nach London<br />
zurück. 669 1952 verkauften die GesellschafterInnen der Apotheke „Zur heiligen<br />
Margarethe“ diese an <strong>Mag</strong>. Stephan Ubl, der am 20. Dezember 1952 auch die Konzession<br />
für die Apotheke erhielt. 670<br />
Haydn-Apotheke, Wien 5., Margarethengürtel 98<br />
Besitzerin der Haydn-Apotheke war seit ihrer Eröffnung am 22. Dezember 1926 671 die<br />
offene Handelsgesellschaft „Haydn-Apotheke, <strong>Mag</strong>. Pharm. Josef Kramer“, deren<br />
661 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 264, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Hermine Urvary vom 15.11.1946.<br />
662 Krug, Wiener Apotheken.<br />
663 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 264, Vergleich vom 25.04.1950.<br />
664 Ebd.<br />
665 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4104.<br />
666 Krug, Wiener Apotheken.<br />
667 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/2, ausgeschiedene Apotheker.<br />
668 Krug, Wiener Apotheken.<br />
669 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/2, ausgeschiedene Apotheker.<br />
670 Krug, Wiener Apotheken; Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4104.<br />
671 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 29, V-107.947-18/47, Volksgerichtsurteil gegen<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Jaksch vom 25.04.1947.<br />
133
Gesellschafter Berthold Mayer, Max Eisner und <strong>Mag</strong>. Josef Kramer waren. 672 Letzterer war<br />
auch seit 1926 Inhaber der Konzession. 673 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen<br />
Jahresumsatz von RM 57.328,04 674 und war mit RM 12.603,– (zum Großteil Lieferantenverbindlichkeiten)<br />
verschuldet. 675 Am 18. Juli 1938 wurde die Haydn-Apotheke von<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Jaksch – NSDAP-Mitglied seit 1921 und Ende 1938 mit dem goldenen Parteiabzeichen<br />
dekorierter ‚Alter Kämpfer‘ – mittels Kaufvertrag in Form eines Gedächtnisprotokolls<br />
‚arisiert‘, 676 und <strong>Mag</strong>. Jaksch am 22. Juli 1938 zum verantwortlichen Leiter der<br />
Apotheke bestellt. 677 Diese ‚Arisierung‘ wurde am 27. Oktober 1938 von der Vermögensverkehrsstelle<br />
genehmigt, die einen Kaufpreis von RM 40.129,63 für die Apotheke<br />
festsetzte. Auf Basis dieses Kaufpreis wurde eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 24.077,78<br />
vorgeschrieben, die vom Käufer zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle abzuführen war.<br />
Von den den ehemaligen Besitzern zugebilligten RM 16.051,31 wurden zuerst die<br />
Betriebsverbindlichkeiten abgedeckt, den Rest von RM 3438,31 erhielt <strong>Mag</strong>. Josef Kramer.<br />
Die Kapitalkonten von je S 35.000,– der beiden anderen Gesellschafter, Berthold Mayer<br />
und Max Eisner, blieben bei der Berechnung des Kaufpreises vollkommen<br />
unberücksichtigt und wurden auch nicht abgelöst. 678 Die Konzession für die Haydn-<br />
Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Otto Jaksch am 21. Dezember 1938. 679<br />
Berthold Mayer konnte vor den NationalsozialistInnen fliehen und emigrierte mit seiner<br />
Familie in die USA, wo er sich in Kalifornien niederließ. 680 Er verstarb am 1. Juli 1947 im<br />
Exil. 681 <strong>Mag</strong>. Josef Kramer blieb in Wien und wurde am 19. Oktober 1941 mit seiner Frau<br />
Grete nach Litzmannstadt deportiert. 682 Er war dort im Getto als Apotheker tätig, bevor sich<br />
seine Spuren verlieren. 683 <strong>Mag</strong>. Josef Kramer und Grete Kramer haben die Shoa nicht<br />
überlebt, sie wurden 1949 für tot erklärt. 684 Auch Max Eisner blieb in Wien, von wo er mit<br />
672 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 259 u. 319, Bescheid der FLD vom 22.11.1951.<br />
673 Krug, Wiener Apotheken.<br />
674 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
675 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 29, V-107.947-18/47, Volksgerichtsurteil gegen<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Jaksch vom 25.04.1947.<br />
676 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 259 u. 319, Bescheid der FLD vom 22.11.1951.<br />
677 Krug, Wiener Apotheken.<br />
678 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 259 u. 319, Bescheid der FLD vom 22.11.1951; ÖStA, AdR 03, BMfsV,<br />
Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 29, V-107.947-18/47, Volksgerichtsurteil gegen <strong>Mag</strong>. Otto Jaksch vom<br />
25.04.1947.<br />
679 Krug, Wiener Apotheken.<br />
680 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 259 u. 319, Bescheid der FLD vom 22.11.1951.<br />
681 WstLA, 2.3.1.1(I).A4/19A-194/1950, Verlassenschaft nach Berthold Mayer.<br />
682 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
683 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (Oktober 2007).<br />
684 WstLA, 2.3.1.1(I).A4/1A-160/1949 u. 1A-161/1949, Verlassenschaften nach <strong>Mag</strong>. Josef Kramer und Grete Kramer.<br />
134
seiner Frau Irma am 14. September 1942 nach Maly Trostinec deportiert wurde. Max und<br />
Irma Eisner wurden dort am 18. September 1942 ermordet. 685<br />
Am 19. Februar 1945 wurde die Haydn-Apotheke bei einem Bombenangriff auf Wien<br />
beschädigt, im April 1945 flüchtete <strong>Mag</strong>. Otto Jaksch während der Befreiung Wiens durch<br />
die Rote Armee nach Linz. 686 Die somit verwaiste Haydn-Apotheke wurde am<br />
26. September 1945 unter öffentliche Verwaltung gestellt und die nächsten Jahre von<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Eder geleitet. 687<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Jaksch wurde am 25. April 1947 vom Volksgericht Wien wegen Hochverrats und<br />
missbräuchlicher Bereicherung im Zuge der ‚Arisierung‘ der Haydn-Apotheke zu zwei<br />
Jahren verschärften Kerkers, Ersatz der Verfahrenskosten sowie Verfall seines Vermögens<br />
zu Gunsten der Republik Österreich verurteilt. Die Haydn-Apotheke ging somit in das<br />
Eigentum der Rebuplik über. Am 9. September 1947 wurde Otto Jaksch – mit der<br />
Verurteilung ging auch der Verlust des akademischen Grades einher – von der Wiener<br />
<strong>Mag</strong>istratsabteilung 16 die Konzession für die Apotheke entzogen. 688<br />
Mit Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland<br />
vom 22. November 1951 wurde den Erben nach <strong>Mag</strong>. Josef Kramer, Berthold Mayer und<br />
Max Eisner, schließlich die Haydn-Apotheke zurückgestellt. 689 Da von diesen niemand<br />
über die Berechtigung zur Leitung einer öffentlichen Apotheke in Österreich verfügte,<br />
wurde am 1. Jänner 1952 eine Kommanditgesellschaft „Haydn-Apotheke, Mr.Pharm.<br />
Franz Eder & Co“ zum Betrieb der Apotheke gegründet, der neben dem persönlich<br />
haftenden Gesellschafter <strong>Mag</strong>. Eder auch Pauline Hertzka und Emma Konetschny als<br />
Kommanditistinnen angehörten. 690 Am 8. Jänner 1952 wurde <strong>Mag</strong>. Franz Eder zum<br />
verantwortlichen Leiter bestellt, die Konzession für die Haydn-Apotheke erhielt er am 29.<br />
Juli 1952. 691<br />
685 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
686 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 319, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Franz Eder vom 15.11.1946.<br />
687 Krug, Wiener Apotheken.<br />
688 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 29, V-107.947-18/47, Volksgerichtsurteil gegen<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Jaksch vom 25.04.1947 und Bescheid der M.Abt. 16 vom 09.09.1947.<br />
689 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 259 u. 319, Bescheid der FLD vom 22.11.1951.<br />
690 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 10315.<br />
691 Krug, Wiener Apotheken.<br />
135
Muttergottes-Apotheke, Wien 5., Schönbrunnerstraße 50<br />
BesitzerInnen der Muttergottes-Apotheke waren seit 1931 zu gleichen Teilen Karoline<br />
Fuchs und ihr Sohn Heinrich Ferdinand Fuchs. Karoline Fuchs führte seit dem Tod ihres<br />
Mannes <strong>Mag</strong>. Siegmund Ferdinand Fuchs im Jahr 1929 die Apotheke als<br />
Witwenfortbetrieb, verantwortliche Leiterin war Anfang 1938 <strong>Mag</strong>.ª Klara Schönfeld. 692 Der<br />
Betrieb erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 56.305,21 693 und war mit<br />
ungefähr RM 30.000,– verschuldet. 694 Am 20. Juli 1938 wurde von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner der<br />
spätere ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Wenzel Bernhard als verantwortlicher Leiter für die Muttergottes-<br />
Apotheke eingesetzt. 695 Mit Gedächtnisprotokoll vom 1. August 1938 und der Genehmigung<br />
der Besitzübertragung durch die Vermögensverkehrsstelle vom 5. November<br />
1938 wurde die Apotheke sodann von <strong>Mag</strong>. Bernhard ‚arisiert‘. 696 Der von der Vermögensverkehrsstelle<br />
bestimmte Übernahmepreis betrug dabei RM 39.413,65, als ‚Arisierungsauflage‘<br />
zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle wurden RM 9.764,65 festgesetzt. Der<br />
Rest des Kaufpreises wurde zur Abdeckung der Betriebsverbindlichkeiten benutzt.<br />
Karoline und Heinrich Ferdinand Fuchs erhielten nichts aus dem Zwangsverkauf ihrer<br />
Apotheke. 697 Die Konzession für die Muttergottes-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Wenzel Bernhard<br />
am 26. September 1938. 698<br />
Heinrich Ferdinand Fuchs konnte sich 1939 nach Italien in Sicherheit bringen, von wo er<br />
später in die USA emigrierte 699 und sich in Los Angeles niederließ. 700 Auch seiner Mutter<br />
Karoline Fuchs gelang die Flucht nach Los Angeles. 701<br />
Im Frühjahr 1945 wurde die Muttergottes-Apotheke durch Bomben beschädigt und das<br />
Warenlager geplündert. 702 Da <strong>Mag</strong>. Bernhard wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP mit<br />
Berufsverbot belegt war, 703 wurde am 4. April 1946 <strong>Mag</strong>.ª Eva Gerhard zur verantworlichen<br />
692 Ebd.<br />
693 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
694 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 259, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Wenzel Bernhard vom 14.11.1946.<br />
695 Krug, Wiener Apotheken.; Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 33 (1938), 24.<br />
696 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 259, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Wenzel Bernhard vom 14.11.1946.<br />
697 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
698 Krug, Wiener Apotheken.<br />
699 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 220.<br />
700 WStLA, M 812/1, Handelsregister Wien 1949.<br />
701 Ebd.<br />
702 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 5, 259, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Wenzel Bernhard vom 14.11.1946.<br />
703 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
136
Leiterin bestellt. 704 Anfang 1948 wurde die Apotheke an Karoline und Heinrich Ferdinand<br />
Fuchs zurückgestellt. Sie gründeten am 21. Februar 1948 mit <strong>Mag</strong>. Johann Mladenow<br />
eine offene Handelsgesellschaft zum Betrieb der Apotheke. 705 Die Konzession für die<br />
Muttergottes-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Mladenow am 1. Oktober 1949. 706<br />
5.1.6. Wien, Mariahilf<br />
Apotheke am Naschmarkt, Wien 6., Linke Wienzeile 20<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke am Naschmarkt war seit Juli 1936 Dr. Julius<br />
Becker. 707 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 72.559,40 708<br />
und war mit RM 50.066,– (vornehmlich Lieferantenverbindlichkeiten) verschuldet. 709 Nach<br />
der nationalsozialistischen Machtübernahme im März 1938 versuchte Dr. Becker, seine<br />
Apotheke zu verkaufen, und nahm zu diesem Zweck mit <strong>Mag</strong>. Otto Ehrmann Verkaufsverhandlungen<br />
auf, in denen schließlich ein Kaufpreis von RM 80.000,– für die Apotheke<br />
vereinbart wurde. Diese Vereinbarung enthielt auch die Verpflichtung des Käufers, in<br />
Anrechnung auf den Kaufpreis, die Geschäftsschulden zu übernehmen. Der Verkauf<br />
wurde jedoch nicht finalisiert, da Dr. Becker am 11. Mai 1938 Selbstmord verübte. Die<br />
weiteren Verkaufsverhandlungen fanden daraufhin zwischen dem Bruder des<br />
verstorbenen Dr. Julius Becker, Dr. Sigmund Becker, und <strong>Mag</strong>. Ehrmann statt. Der auch<br />
bei diesen Verhandlungen in Aussicht genommene Kaufpreis von RM 80.000,– wurde<br />
jedoch von der Vermögensverkehrsstelle nicht akzeptiert. Diese setzte den vereinbarten<br />
Kaufpreis auf RM 50.819,58 herab und schrieb RM 448,18 als ‚Arisierungsauflage‘ vor.<br />
Der restliche Kaufpreis wurde zur Abdeckung der Warenschulden verwendet. Weiters<br />
wurde von Rudolf Titz, Schwiegervater des <strong>Mag</strong>. Ehrmann und Kunstseidenfabrikant in<br />
Marburg, ein Betrag von 350.000,– Dinar (dies entsprach in etwa dem Wert von<br />
RM 40.000,–) an Dr. Sigmund Becker bezahlt. Auf Druck der ‚Ariseure’ erklärten Anna<br />
Becker und ihr Sohn Fritz Becker in der im Sommer 1938 geführten Verlassenschaftsabhandlung<br />
nach Dr. Julius Becker, dass sie die Erbschaft nicht annehmen und auch vom<br />
ihrem Recht, die Apotheke als Witwen- oder Deszendentenfortbetrieb zu führen, keinen<br />
704 Krug, Wiener Apotheken.<br />
705 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4439.<br />
706 Krug, Wiener Apotheken.<br />
707 Ebd.<br />
708 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
709 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 6, 1138 u. 155, Bescheid der FLD vom 25.11.1950.<br />
137
Gebrauch machen würden. 710 Nachdem Anna Becker auch die Konzession zum Betrieb<br />
der Apotheke am Naschmarkt zu Gunsten <strong>Mag</strong>. Ehrmanns zurückgelegt hatte, erhielt sie<br />
dieser mit Bescheid des Wiener <strong>Mag</strong>istrats vom 26. September 1938. 711<br />
Anna Becker und Fritz Becker emigrierten nach Italien, wo sie in Rom den Krieg<br />
überlebten und am 11. Dezember 1946 die Rückstellung der Apotheke am Naschmarkt<br />
beantragten. 712<br />
Am 10. Oktober 1945 wurde die Apotheke am Naschmarkt unter öffentliche Verwaltung<br />
gestellt und <strong>Mag</strong>. Max Prihoda als Verwalter eingesetzt. 713 Ab 24. April 1946 wurde die<br />
Apotheke von <strong>Mag</strong>.ª Theodora Doblhammer als verantwortlicher Leiterin geführt. 714<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Ehrmann wurde im Februar 1946 inhaftiert 715 und am 20. Februar 1947 716 vom<br />
Volksgericht Wien wegen Hochverrats, Denunziation und Betrugs verurteilt. 717 Vom<br />
Vorwurf der missbräuchlichen Bereicherung im Zuge der ‚Arisierung‘ der Apotheke am<br />
Naschmark wurde er freigesprochen. 718 Die Verurteilung durch das Volksgericht zog auch<br />
den Verlust des akademischen Grades und den Verfall des Vermögens von Ehrmann zu<br />
Gunsten der Republik Österreich nach sich. Aus diesem Grund war nach §3 des Zweiten<br />
Rückstellungsgesetzes die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und<br />
Burgenland für die Rückstellung zuständig. 719 Am 28. August 1948 wurde bis zur<br />
Beendigung des Rückstellungsverfahrens durch die Finanzlandesdirektion in der Person<br />
des <strong>Mag</strong>. Viktor Kainzmayer ein Bevollmächtigter der Republik Österreich für die Apotheke<br />
am Naschmark bestellt. 720 Mit Bescheid vom 25. November 1950 wurde die Apotheke<br />
schließlich an Anna und Fritz Becker zurückgestellt. 721<br />
710 Ebd.<br />
711 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 40 (1938), 117.<br />
712 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 6, 155, Anmeldung durch Anna Becker vom 12.11.1946.<br />
713 Krug, Wiener Apotheken.<br />
714 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 6, 1138, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Theodora Doblhammer vom 11.11.1946.<br />
715 Ebd.<br />
716 Ebd., Bescheid der FLD vom 25.11.1950.<br />
717 Krug, Wiener Apotheken.<br />
718 Ebd.<br />
719 BGBl. Nr. 53/1947.<br />
720 Krug, Wiener Apotheken.<br />
721 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 6, 1138 u. 155, Bescheid der FLD vom 25.11.1950.<br />
138
5.1.7. Wien, Neubau<br />
Babenberger-Apotheke, Wien 7., Mariahilferstraße 8<br />
Einen besonderen Fall in der Geschichte der ‚Arisierungen‘ österreichischer Apotheken<br />
1938 stellt jener der Babenberger-Apotheke in Wien Neubau dar, da es sich hierbei um<br />
keine ‚Arisierung‘ im eigentlichen Sinn – Entzug jüdischen Vermögens – handelte, sondern<br />
um eine Besitzübertragung, die – wäre sie einige Monate früher passiert – keine<br />
Komplikationen ausgelöst hätte. Durch den tatsächlichen Zeitpunkt des Geschehens<br />
wurden aber alle Beteiligten mit der Methodik der ‚Arisierungen‘ und der Art der<br />
Durchsetzung nationalsozialistischer Herrschaftsansprüche konfrontiert.<br />
Besitzerinnen der Babenberger-Apotheke waren seit 1936 Hermine Wurst und ihre Tochter<br />
Hermine Zaluzansky, beide ‚Arierinnen‘, keine von ihnen war Pharmazeutin. Sie erwarben<br />
die Apotheke 1936 in Unkenntnis, dass für deren Betrieb eine Personalkonzession<br />
notwendig wäre, die mangels Befähigung keine von ihnen erteilt werden würde. 722 Der<br />
Vorbesitzer und Konzessionseigner Dr. Philipp Sobel führte daher vorerst die Apotheke<br />
weiter, bis am 23. Juli 1937 die Konzession auf den langjährigen Mitarbeiter der Apotheke<br />
<strong>Mag</strong>. Josef Rieber übertragen 723 und dieser mit einem geringen Prozentsatz am Ertrag der<br />
Apotheke beteiligt wurde. 724 Da der Betrieb aber nicht den von den Besitzerinnen erhofften<br />
Gewinn abwarf (der Umsatz des Jahres 1937 belief sich auf etwa RM 50.000,–)<br />
versuchten sie Anfang 1938, die Babenberger-Apotheke zu verkaufen. Sie fanden<br />
allerdings keinen Käufer und keine Käuferin, der oder die den von ihnen verlangten<br />
Kaufpreis zu entrichten bereit gewesen wäre. 725 Mit dem ‚Anschluß‘ im März 1938 und den<br />
darauf folgenden Übergriffen gegen jüdisches Eigentum wurde auch die Babenberger-<br />
Apotheke – durch den jüdischen Konzessionär <strong>Mag</strong>. Rieber galt sie nach allgemeinem<br />
Dafürhalten als jüdische Apotheke – zur Zielscheibe antisemitischer Aktionen. So wurden<br />
die Fenster der Apotheke mit Plakaten, die die Aufschrift „jüdische Apotheke“ trugen<br />
beklebt, durch SS-Uniformierte den KundInnen der Eintritt in die Apotheke verwehrt und<br />
unter dem Titel „Requirierungen“ Waren aus der Apotheke entwendet. 726 Noch im Frühjahr<br />
722 WStLA, LGZ, A 29, Rk 246/60 Sammelstelle B vs. <strong>Mag</strong>. Theodor Watzlawick.<br />
723 Krug, Wiener Apotheken.<br />
724 WStLA, LGZ, A 29, Rk 246/60, Sammelstelle B an die Rückstellungskommission vom 14.02.1961.<br />
725 Ebd., <strong>Mag</strong>. Theodor Watzlawick an die Rückstellungskommission vom 21.12.1960<br />
726 Ebd., Sammelstelle B an die Rückstellungskommission vom 14.11.1960 sowie Zeugenaussage Hermine Schinzel<br />
vom 08.05.1961.<br />
139
1938 wurde <strong>Mag</strong>. Franz Heger als Kommissarischer Verwalter der Apotheke eingesetzt,<br />
der daraufhin versuchte, die Babenberger-Apotheke zu den von der Vermögensverkehrsstelle<br />
für jüdische Apotheken festgesetzten Bedingungen zu ‚arisieren‘. 727 Die<br />
beiden Besitzerinnen setzten sich allerdings gegen diese Versuche zur Wehr und<br />
erreichten schließlich, dass die Vermögensverkehrsstelle ihre Rechte als ‚arische‘<br />
Besitzerinnen akzeptierte und die Apotheke zum freihändigen Verkauf freigab. Am 20. Juli<br />
1938 verkauften Hermine Wurst und Hermine Zaluzansky die Babenberger-Apotheke um<br />
RM 53.333,33 und Übernahme der Betriebsverbindlichkeiten in Höhe von RM 26.299,32<br />
an <strong>Mag</strong>. Theodor Watzlawick, der schon im Jänner 1938 als Kaufwerber aufgetreten<br />
war. 728 Noch am selben Tag legte <strong>Mag</strong>. Rieber die Konzession für die Apotheke zurück, 729<br />
die am 27. September 1938 auf <strong>Mag</strong>. Watzlawick übertragen wurde. 730 Da die Wiener<br />
Pharmazeutische Wochenschrift in ihrer Ausgabe vom 20. August 1938 den Verkauf der<br />
Babenberger-Apotheke als ‚Arisierung‘ meldete, 731 begehrte <strong>Mag</strong>. Watzlawick diesen aus<br />
seiner Sicht unrichtigen Sachverhalt zu berichtigen und folgende Gegendarstellung zu<br />
veröffentlichen:<br />
Ich habe die Babenberger-Apotheke in Wien VII., Mariahilferstraße 8, nicht von<br />
Herrn Dr. Philipp Sobel, der schon lange nicht mehr Besitzer dieser Apotheke war,<br />
sondern von den beiden arischen Besitzern, Frau Wurst und Frau Zaluzansky als<br />
arischen Besitz gegen Barzahlung erworben. Der bisherige, allerdings jüdische<br />
Treuhänder der Konzession, Ph.Mr. Josef Rieber, war an dem Besitz durch<br />
Eigenkapital nicht beteiligt, sondern vertraglich verpflichtet, im Verkaufsfalle die<br />
Konzession zurückzulegen. 732<br />
Durch die Veröffentlichung dieser Gegendarstellung sah sich nun der Kommissarische<br />
Verwalter der jüdischen Apotheken in der Ostmark, SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin<br />
Renner, veranlasst, <strong>Mag</strong>. Watzlawick vorzuladen und ihn zu verwarnen.<br />
Auf diese Richtigstellung hin stellte mich Mr. Renner zur Rede und sagte mir, dass<br />
diese zwar vollkommen zutreffe, dass sie aber auffallend sei. Ob ich mich etwa<br />
schämen würde, als Arisierer zu gelten? Wegen meiner bejahenden Antwort wurde<br />
727 Ebd., Sammelstelle B an die Rückstellungskommission vom 14.11.1960.<br />
728 Ebd., <strong>Mag</strong>. Theodor Watzlawick an die Rückstellungskommission vom 21.12.1960.<br />
729 Ebd., Sammelstelle B an die Rückstellungskommission vom 14.11.1960.<br />
730 Krug, Wiener Apotheken.<br />
731 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 34 (1938), 39.<br />
732 Ebd., Nr. 35 (1938), 49.<br />
140
ich von ihm verwarnt und mir mein gänzlicher Ruin und noch mehr angedroht.<br />
Bezeichnend hierfür war nur beispielsweise die bekannte Geste des<br />
Aufgehängtwerdens. So musste ich die Sache auf sich beruhen lassen und konnte<br />
nicht meinen Entschluss ausführen, bei der Vermögensverkehrsstelle gegen diesen<br />
Übergriff zu protestieren. Es lag ja auf der Hand, dass dies ein Übergriff war, denn<br />
die Konzession war in diesem speziellen Fall nur eine reine Formsache, weil Mr.<br />
Rieber eben nur Treuhänder und nicht wirklicher Besitzer war [...]. 733<br />
Am 30. November 1938 genehmigte die Vermögensverkehrsstelle die Übertragung der<br />
Konzession – sie betrachtete diese im Unterschied zur Apotheke anscheinend als<br />
jüdisches Eigentum – an <strong>Mag</strong>. Watzlawick und schrieb eine ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 500,– vor. 734 Auch dagegen protestierte <strong>Mag</strong>. Watzlawick, allerdings erfolglos.<br />
Ich habe gegen die Vorschreibung dieser Zahlung von RM 500,– unter Hinweis<br />
darauf, dass die gegenständliche Apotheke selbst nach den Festlegungen der<br />
Vermögensverkehrsstelle rein arischer Besitz war, sofort remonstriert. Ich habe<br />
hiebei mit Recht auch darauf verwiesen, dass ich den Betrieb nicht von den<br />
jüdischen Vorbesitzern Sobel sondern von dessen Nachfolgern, den arischen<br />
Frauen Wurst und Zaluzansky erworben habe. Diese meine Einwendungen wurden<br />
auch für stichhältig befunden. Da ich jedoch kein Mitglied der NSDAP war, wurde<br />
mir gleichzeitig nahegelegt, den Betrag als Parteispende zu betrachten und<br />
einzuzahlen, wozu ich mich schließlich veranlasst sah, weil ich mir<br />
begreiflicherweise als Nichtparteigenosse die damals allmächtigen<br />
Parteidienststellen nicht zum Feinde machen wollte. 735<br />
Weit härter trafen die nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen <strong>Mag</strong>. Josef Rieber.<br />
Er wurde am 5. März 1941 von Wien nach Modliborzyce deportiert. 736 Weder sein Todesort<br />
noch das Datum seiner Ermordung sind bekannt, sehr wahrscheinlich wurde <strong>Mag</strong>. Josef<br />
Rieber im Frühjahr oder Sommer 1942 im Rahmen der Aktion Reinhardt in Belzec,<br />
Sobibor oder Treblinka ermordet. 737<br />
733 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-162.718-15/45, <strong>Mag</strong>. Theodor Watzlawick an<br />
das Apotheker Hauptgremium vom 18.06.1946.<br />
734 WStLA, LGZ, A 29, Rk 246/60, <strong>Mag</strong>. Theodor Watzlawick an die Rückstellungskommission vom 21.12.1960.<br />
735 Ebd.<br />
736 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
737 Vgl. Florian Freund u. Heinz Safrian, Vertreibung und Ermordung. Zum Schicksal der österreichischen Juden<br />
1938–1945. Das Projekt „Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer“, Wien 1993, 19ff.<br />
141
Die Besitzübertragung der Babenberger-Apotheke im Jahre 1938 – wiewohl nur in Bezug<br />
auf <strong>Mag</strong>. Josef Rieber eine ‚Arisierung‘ – beschäftigte dennoch nach 1945 die<br />
Rückstellungskommission Wien V. Da <strong>Mag</strong>. Josef Rieber Jude war und keine ErbInnen<br />
hinterließ, nahm die Sammelstelle B seine Rechte auf Rückstellung war und brachte am<br />
14. November 1960 gegen <strong>Mag</strong>. Theodor Watzlawick einen Antrag auf Rückstellung der<br />
Babenberger-Apotheke ein. 738 Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am<br />
28. Juni 1961 zum einen mit der Feststellung, dass <strong>Mag</strong>. Theodor Watzlawick beim<br />
Erwerb der Babenberger-Apotheke die Regeln des redlichen Verkehrs eingehalten hatte<br />
und somit die Sammelstelle B den Antrag auf die Rückstellung der Apotheke und die<br />
Verrechnung der Erträgnisse seit dem Zeitpunkt der Erwerbung zurückziehe, zum anderen<br />
mit einem Vergleich, der gegen die Zahlung von ÖS 50.000,– an die Sammelstelle B alle<br />
gegenseitigen Forderungen für bereinigt erklärte. 739<br />
5.1.8. Wien, Josefstadt<br />
Kaiser Josef-Apotheke, Wien 8., Alserstraße 51<br />
BesitzerInnen der Kaiser Josef-Apotheke waren Anfang 1938 zu gleichen Teilen<br />
<strong>Mag</strong>. Stefan Bressler und seine Frau Marie Bressler, 740 Konzessionär der Apotheke war<br />
seit 1932 <strong>Mag</strong>. Stefan Bressler. 741 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Umsatz von<br />
RM 47.276,–, 742 war allerdings mit RM 107.920,–, davon eine Forderung der Pharmakred<br />
in Höhe von RM 71.310,–, belastet. 743 Schon am 24. März 1938 wurde die Konzession der<br />
Apotheke an Dr. Franz Vitez übertragen 744 und am 15. Juni 1938 wurden <strong>Mag</strong>. Stefan und<br />
Marie Bressler vom Kommissarischen Verwalter <strong>Mag</strong>. Edwin Renner mittels Androhung<br />
von Gestapo- und SA-Einsatz genötigt, ihre Apotheke an Dr. Franz Vitez zu verkaufen. 745<br />
Im für ‚Arisierungen‘ von Apotheken üblichen Genehmigungsverfahren setzte die<br />
Vermögensverkehrsstelle den Kaufpreis mit RM 33.088,– fest und bestimmte, dass sowohl<br />
der Anteil der VerkäuferInnen in Höhe von RM 13.235.- als auch die ‚Arisierungsauflage‘<br />
738 WStLA, LGZ, A 29, Rk 246/60, Sammelstelle B an die Rückstellungskommission vom 14.11.1960.<br />
739 Ebd., Protokoll der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 28.06.1961.<br />
740 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
741 AdPhGK, Betriebsakt 08052, <strong>Mag</strong>. Stefan Bressler an die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich vom<br />
25.05.1932.<br />
742 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
743 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 8, 72, Beilage zur Anmeldung durch Dr. Franz Leiter vom 17.10.1946.<br />
744 Krug, Wiener Apotheken.<br />
745 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 8, 21, Anmeldung durch Dr. Propper vom 30.10.1946.<br />
142
zur Abdeckung eines Teiles der Außenstände zu verwenden sei. Der Kaufpreis wurde von<br />
Dr. Vitez mittels eines langfristigen Darlehens der Pharmakred – von dem allerdings bis<br />
1945 nur die Zinsen bedient wurden – beglichen. Die Übernahme der Kaiser Josef-<br />
Apotheke durch Dr. Franz Vitez wurde schließlich am 30. November 1938 von der<br />
Vermögensverkehrsstelle genehmigt. 746<br />
<strong>Mag</strong>. Stefan Bressler und Marie Bressler konnten noch Ende 1939 ausreisen und<br />
emigrierten nach Rio de Janeiro. 747<br />
Im April 1945 flüchtete Dr. Franz Vitez vor der Roten Armee nach Bad Ischl, wurde aber<br />
später von den amerikanischen Besatzungsbehörden ausgeforscht und als ehemaliger<br />
aktiver Nationalsozialist und SA-Funktionär 748 im Lager Marcus W. Orr des Counter<br />
Intelligence Corps in Glasenbach interniert. 749 Die Kaiser Josef-Apotheke wurde noch<br />
1945 unter öffentliche Verwaltung durch die Wiener Gebietskrankenkasse gestellt. 750 1948<br />
wurde die Apotheke an <strong>Mag</strong>. Stefan Bressler zurückgestellt 751 und auf seinen Vorschlag<br />
am 28. Juli 1949 die Leitung der Apotheke von Amts wegen auf <strong>Mag</strong>.ª Maria Kubicek<br />
übertragen. 752 1950 verkaufte <strong>Mag</strong>. Bressler die Kaiser Josef-Apotheke an <strong>Mag</strong>. Robert<br />
Schmid, der am 15. November 1950 auch die Konzession für die Apotheke erhielt. 753<br />
5.1.9. Wien, Alsergrund<br />
Apotheke „Zum Biber“, Wien 9., Porzellangasse 5<br />
Besitzer der Apotheke „Zum Biber“ waren seit 1928 <strong>Mag</strong>. Martin Sobel und sein Bruder<br />
Dr. Philipp Sobel, letzterer hatte am 6. Oktober 1937 von seinem älteren Bruder die<br />
Konzession für die gemeinsame Apotheke übernommen. 754 Die Apotheke wies 1937 einen<br />
Jahresumsatz von RM 69.600,– auf und war schuldenfrei. 755 Am 9. Juli 1938 wurde die<br />
746 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 8, 72, Beilage zur Anmeldung durch Dr. Franz Leiter vom 17.10.1946.<br />
747 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 8, 21, Anmeldung durch Dr. Propper vom 30.10.1946.<br />
748 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 6 (1939), 86.<br />
749 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 8, 72, Anmeldung durch Dr. Franz Leiter vom 17.10.1946.<br />
750 Ebd., Beilage zur Anmeldung durch Dr. Franz Leiter vom 17.10.1946.<br />
751 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4479.<br />
752 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 29, V-69.422-18/47; Krug, Wiener Apotheken.<br />
753 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4479; Krug, Wiener Apotheken.<br />
754 Krug, Wiener Apotheken.<br />
755 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
143
Apotheke von <strong>Mag</strong>. Anton Greger – seit 15. Jänner 1931 Mitglied der NSDAP und<br />
anerkannter ‚Alter Kämpfer‘ für die Partei – ‚arisiert‘. 756 Am 29. August 1938 übernahm<br />
<strong>Mag</strong>. Greger auch die Leitung der Apotheke „Zum Biber“. 757 Die ‚Arisierung‘ der Apotheke<br />
wurde am 13. Oktober 1938 von der Vermögensverkehrsstelle genehmigt, die in ihrem<br />
Bescheid als Kaufpreis RM 48.700,– festgesetzte und eine ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 29.220,– bestimmte. <strong>Mag</strong>. Martin und Dr. Philipp Sobel sollten RM 19.480,– abzüglich<br />
eventueller Betriebsverbindlichkeiten erhalten. 758 Von diesem Betrag überwies <strong>Mag</strong>. Anton<br />
Greger im Jahr 1939 RM 13.860,– auf ein Sperrkonto bei der Pharmakred, die<br />
Begleichung eines Teiles der ‚Arisierungsauflage‘ erfolgte in monatlichen Raten aus den<br />
Erträgnissen der Apotheke. 759 <strong>Mag</strong>. Martin Sobel und Dr. Philipp Sobel erhielten nichts aus<br />
dem Zwangsverkauf ihrer Apotheke. 760 Die Konzession für die Apotheke „Zum Biber“<br />
erhielt <strong>Mag</strong>. Anton Greger am 28. September 1938, 761 im Jänner 1939 wurde der Besitzerwechsel<br />
im Wiener Handelsregister protokolliert. 762<br />
Dr. Philipp Sobel konnte noch im Sommer 1938 nach Italien fliehen. 763 Von dort emigrierte<br />
er nach Chile, wo er in Vina del Mar als Chemiker Beschäftigung fand. 764 <strong>Mag</strong>. Martin<br />
Sobel blieb in Wien und wurde am 29. Juni 1942 von Wien nach Theresienstadt<br />
deportiert. 765 Er verstarb im Getto Theresienstadt 766 und wurde mit 26. März 1943 für tot<br />
erklärt. 767<br />
Am 7. September 1945 wurde die Apotheke „Zum Biber“ unter öffentliche Verwaltung<br />
gestellt und von der schon am 29. April 1945 als verantwortliche Leiterin eingesetzten<br />
<strong>Mag</strong>.ª Hertha Beischer geführt. 768 Diese wurde am 6. Dezember 1947 von <strong>Mag</strong>. Otto<br />
Wieninger in der öffentlichen Verwaltung der Apotheke abgelöst. 769 Im Jänner 1948 wurde<br />
der ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Anton Greger vom Volksgericht Wien wegen Hochverrats und<br />
756 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15565, Urteil des Volksgerichtes Wien vom 22.01.1948.<br />
757 Krug, Wiener Apotheken.<br />
758 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15565, Urteil des Volksgerichtes Wien vom 22.01.1948.<br />
759 Ebd., Betriebsprüfungsbericht von Dr. Otto Lippert vom 16.09.1948.<br />
760 Ebd., Protokoll der Vernehmung Dr. Philipp Sobels vom 09.07.1948.<br />
761 Krug, Wiener Apotheken.<br />
762 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 5 (1939), 71.<br />
763 ÖStA, AdR 06, E- und Reang., FLD 15565, Protokoll der Vernehmung Dr. Philipp Sobels vom 09.07.1948; vgl.<br />
Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 113.<br />
764 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 148.<br />
765 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
766 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (März 2008).<br />
767 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15565, Einantwortungsurkunde vom 26.01.1949.<br />
768 Krug, Wiener Apotheken.<br />
769 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15565, Betriebsprüfungsbericht von Dr. Otto Lippert vom 16.09.1948.<br />
144
missbräuchlicher Bereicherung bei der ‚Arisierung‘ der Apotheke „Zum Biber“ zu 18<br />
Monaten schweren, verschärften Kerkers, Ersatz der Verfahrenskosten sowie Verfall<br />
seines Vermögens zu Gunsten der Republik Österreich verurteilt. 770 In Anrechnung einer<br />
achtmonatigen Untersuchungshaft vom Juni 1946 bis Februar 1947 771 wurde er am 1. Juli<br />
1948 vom Bundespräsidenten begnadigt und am 4. Juli 1948 bedingt aus der Haft<br />
entlassen. 772<br />
Dr. Philipp Sobel – er kehrte 1947 mit seiner Familie aus Chile nach Wien zurück 773 –<br />
beantragte am 5. Mai 1948 bei der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und<br />
Burgenland die Rückstellung seiner ihm und seinem Bruder 1938 entzogenen Apotheke. 774<br />
Mit Bescheid der Finanzlandesdirektion vom 23. Oktober 1948 wurde ihm vorerst die<br />
ehemals ihm gehörende Hälfte der Apotheke zurückgestellt. 775 Nach Abhandlung der<br />
Verlassenschaft nach <strong>Mag</strong>. Martin Sobel, der in seinem Testamant seinen Bruder Philipp<br />
als Universalerben einsetzte, wurde mit Bescheid der Finanzlandesdirektion vom 31.<br />
Jänner 1949 auch die zweite Hälfte der Apotheke „Zum Biber“ an Dr. Philipp Sobel<br />
zurückgestellt. 776 Um auch wieder in den Besitz der Konzession für die Apotheke zu<br />
gelangen, arbeitete Dr. Philipp Sobel vom 19. April 1948 bis zum 12. April 1949 als<br />
angestellter Pharmazeut in der Apotheke „Zum Biber“. Er erhielt die Konzession<br />
schließlich am 12. April 1949. 777<br />
Apotheke „Zum goldenen Elephanten“, Wien 9., Liechtensteinstraße 72 778<br />
Besitzer der Real-Apotheke „Zum goldenen Elephanten“ war seit Juni 1917 <strong>Mag</strong>. Eugen<br />
Hacker. 779 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 60.200,– und<br />
war schuldenfrei. 780 Die Apotheke wurde am 13. Juni 1938 mittels Kaufvertrag durch<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Nikoladoni – Parteimitglied der NSDAP seit Februar 1933 – ‚arisiert‘. 781 Am<br />
16. August 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Nikoladoni auch als verantwortlicher Leiter für die Apotheke<br />
770 Ebd., Urteil des Volksgerichtes Wien vom 22.01.1948.<br />
771 Ebd.<br />
772 Ebd., Betriebsprüfungsbericht von Dr. Otto Lippert vom 16.09.1948.<br />
773 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 148.<br />
774 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15565, Dr. Philipp Sobel an die FLD vom 05.05.1948.<br />
775 Ebd., Bescheid der FLD vom 23.10.1948.<br />
776 Ebd., Bescheid der FLD vom 31.01.1949.<br />
777 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
778 Heute: Wien 9., Liechtensteinstraße 93.<br />
779 Krug, Wiener Apotheken.<br />
780 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
781 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 763, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Otto Nicoladoni vom 08.11.1946.<br />
145
„Zum goldenen Elephanten“ eingesetzt. 782 Der im Juni 1938 errichtete Kaufvertrag wurde<br />
am 24. November 1938 vom Besonderen Stadtamt III genehmigt, von der Vermögensverkehrsstelle<br />
wurde ein Übernahmepreis von RM 42.140,– bestimmt. 783 Davon waren<br />
RM 25.284,– als ‚Arisierungsauflage‘ abzuführen, 784 die restlichen RM 16.856,– wurden<br />
von <strong>Mag</strong>. Otto Nikoladoni auf ein Sperrkonto bei der Pharmakred erlegt. 785 Die neuen<br />
Besitzverhältnisse wurden schließlich im Jänner 1939 im Wiener Handelsregister<br />
protokolliert. 786<br />
<strong>Mag</strong>. Eugen Hacker wurde nach dem Zwangsverkauf seiner Real-Apotheke aufgefordert,<br />
Wien zu verlassen. Er begab sich nach Ungarn in seine Geburtsstadt Sopron, von wo er<br />
später nach Polen deportiert wurde. 787 Sein weiteres Schicksal ist unbekannt, er hat die<br />
Shoa nicht überlebt und wurde 1947 für tot erklärt. 788<br />
Am 30. Oktober 1945 wurde die Apotheke „Zum goldenen Elephanten“ unter öffentliche<br />
Verwaltung gestellt und in Folge von <strong>Mag</strong>. Thomas Mauracher geleitet. 789 Am 28. Jänner<br />
1947 beantragte Samuel Hacker, der Neffe und Erbe nach <strong>Mag</strong>. Eugen Hacker, die<br />
Rückstellung der seinem Onkel 1938 entzogenen Apotheke. 790 Ein daraufhin geführtes<br />
Rückstellungsverfahren endete am 10. Oktober 1948 mit einem Vergleich, in dem Samuel<br />
Hacker die Apotheke „Zum goldenen Elephanten“ samt Anrecht auf die Konzession zum<br />
Betrieb derselben zurückgestellt wurde. 791 Am 8. Februar 1948 wurde der vormalige<br />
öffentliche Verwalter <strong>Mag</strong>. Thomas Mauracher als verantwortlicher Leiter für die Apotheke<br />
bestellt und am 3. März 1950 die Apotheke „Zum goldenen Elephanten“ von Samuel<br />
Hacker an ihn verpachtet. 792<br />
782 Krug, Wiener Apotheken.<br />
783 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 452, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Thomas Mauracher vom 14.11.1946; ÖStA, AdR<br />
04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
784 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
785 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 14767, RA Dr. Friedrich Zabransky an den Oberfinanzpräsidenten Wien-<br />
Niederdonau vom 05.02.1943.<br />
786 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 3 (1939), 44.<br />
787 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 14767, RA Dr. Wilhelm Popper als Abwesenheitskurator an die FLD vom<br />
16.10.1947; vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 220.<br />
788 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 14767, Einantwortungsurkunde vom 18.05.1948.<br />
789 Krug, Wiener Apotheken.<br />
790 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 251, Samuel Hacker an das BMfVuW vom 28.01.1947.<br />
791 Ebd., Vergleich vom 12.11.1948.<br />
792 Krug, Wiener Apotheken.<br />
146
Apotheke „Zur Universität“, Wien 9., Universitätsstraße 10<br />
Besitzerinnen der Apotheke „Zur Universität“ waren seit dem Ableben des Vorbesitzers<br />
<strong>Mag</strong>. Cäsar Axelrad im Jahr 1930 dessen Witwe Luise Axelrad und ihre Tochter Hilde<br />
Axelrad. Die Apotheke wurde seit 1933 als Witwenfortbetrieb geführt, verantwortlicher<br />
Leiter war <strong>Mag</strong>. Julius Königsberg. 793 Der Betrieb erwirtschaftete 1937 einen<br />
Jahresumsatz von RM 108.703,54 und war mit RM 25.191,98 verschuldet. 794 Am 6. April<br />
1938 wurde der spätere ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Stephan Biegl als verantwortlicher Leiter<br />
eingesetzt 795 und ‚arisierte‘ die Apotheke „Zur Universität“ mit 1. August 1938. 796 Die<br />
Konzession für die Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Biegl am 14. Oktober 1938. 797 Der Besitzwechsel<br />
wurde am 22. November 1938 von der Vermögensverkehrsstelle genehmigt, als<br />
Kaufpreis setzte diese den Betrag von RM 76.092,40 fest und schrieb eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ von RM 45.655,40 vor. Nach Abdeckung der Betriebsverbindlichkeiten<br />
bezahlte <strong>Mag</strong>. Biegl RM 300,– bar an Luise und Hilde Axelrad sowie RM 112,70 auf ein<br />
Konto der beiden. RM 4817,36 überwies er auf ein Sperrkonto der ehemaligen<br />
Besitzerinnen bei der Pharmakred. 798 Somit erhielten Luise und Hilde Axelrad aus dem<br />
Zwangsverkauf ihrer Apotheke RM 412,70, über die sie auch verfügen konnten.<br />
Luise Axelrad wurde am 6. Mai 1942 von Wien nach Maly Trostinec deportiert und dort am<br />
11. Mai 1942 ermordet. Ihre Tochter Hilde Axelrad wurde am 24. September 1942<br />
ebenfalls aus Wien deportiert und nach Theresienstadt gebracht. Sie fiel dort am<br />
7. Dezember 1942 der nationalsozialistischen Verfolgung zum Opfer. 799 <strong>Mag</strong>. Julius<br />
Königsberg konnte 1939 nach Frankreich fliehen, sein weiteres Schicksal ist unbekannt. 800<br />
Am 1. Juli 1946 wurde <strong>Mag</strong>.ª Josefa Handl zur verantwortlichen Leiterin der Apotheke „Zur<br />
Universität“ bestellt, sie leitete die Apotheke bis zum 10. Juni 1950. 801 1948 beantragte<br />
Helene Kitay, die Erbin nach Luise und Hilde Axelrad die Rückstellung der 1938<br />
entzogenen Apotheke. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am<br />
793 Ebd.<br />
794 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
795 Krug, Wiener Apotheken.<br />
796 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 115, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Stephan Biegl vom 09.11.1946.<br />
797 Krug, Wiener Apotheken.<br />
798 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 115, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Stephan Biegl vom 09.11.1946.<br />
799 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
800 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 221.<br />
801 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/2, ausgeschiedene Apotheker.<br />
147
16. März 1949 mit einem Teilerkenntnis der Rückstellungskommission, in dem ihr die<br />
Apotheke sowie das Anrecht auf die Konzession zugesprochen wurden. In einem<br />
Vergleich mit <strong>Mag</strong>. Stephan Biegl vom 2. Juni 1949 wurde Helene Kitay gegen die Zahlung<br />
von ÖS 10.000,– für getätigte Investitionen die Apotheke „Zur Universität“ samt<br />
Konzession und Mietrechten zurückgestellt. 802 Da Helene Kitay die Anforderungen zur Verleihung<br />
einer Konzession nicht erfüllen konnte, wurde diese am 10. Juni 1950 auf<br />
<strong>Mag</strong>.ª Josefa Handl übertragen und das Unternehmen in Folge von einer Betreibergesellschaft,<br />
der Helene Kitay als Gesellschafterin angehörte, weitergeführt. 803<br />
Salvator-Apotheke, Wien 9., Zimmermannplatz 1<br />
Besitzer und Konzessionär der Salvator-Apotheke war seit 1925 <strong>Mag</strong>. Isidor Gross, sein<br />
Schwiegersohn Dr. Hanina (Hans) Lehr war seit November 1934 Ertragsteilhaber und<br />
Mitarbeiter der Apotheke. 804 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 69.549,07 auf 805 und hatte Betriebsschulden in der Höhe von RM 52.642,05. 806 Wie<br />
sich die ‚Arisierung‘ der Apotheke zutrug, erläuterte Dr. Lehr in einer persönlichen<br />
Mitteilung an den Historiker Frank Leimkugel wie folgt:<br />
Der als kommissarische Verwalter eingesetzte SA-Obersturmbannführer Renner<br />
betrat die Apotheke, um <strong>Mag</strong>ister Groß nach Übernahme des Schlüssels und der<br />
Kasse unverzüglich seines Geschäftes zu verweisen. Hans Lehr (geb. 1908<br />
Zadagora), approbierter Angestellter seines Schwiegervaters, durfte zunächst unter<br />
dem von Renner eingesetzten Geschäftsführer in der Apotheke weiterarbeiten. Im<br />
September 1938 blieb er ohne Ankündigung der <strong>Arbeit</strong> fern, um sich unverzüglich in<br />
die Schweiz abzusetzen. 807<br />
Am 10. Juli 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Isidor Gross noch genötigt, seine Apotheke mittels<br />
Kaufvertrag an <strong>Mag</strong>. Alois Barfuß zu übertragen. 808 Von der Vermögensverkehrsstelle<br />
wurde dabei ein Kaufpreis von RM 48.684,35 festgesetzt und eine ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 5.760,67 bestimmt. 809 <strong>Mag</strong>. Isidor Gross erhielt nichts aus dem Zwangsverkauf seiner<br />
802 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 115, Vergleich vom 02.06.1949.<br />
803 Krug, Wiener Apotheken.<br />
804 Ebd.<br />
805 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
806 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 404, Anmeldung durch Franz Jiresch vom 15.11.1946.<br />
807 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 73.<br />
808 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 404, Anmeldung durch Franz Jiresch vom 15.11.1946.<br />
809 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
148
Apotheke, da nach Abzug der ‚Arisierungsauflage‘ zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle<br />
der Rest des Kaufpreises zur Abdeckung der Betriebsverbindlichkeiten<br />
benützt wurde. 810 Die Konzession zum Betrieb der Salvator-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Alois<br />
Barfuß am 14. Oktober 1938 811 und noch im Dezember 1938 wurde der Eigentümerwechsel<br />
im Wiener Handelsregister protokolliert. 812<br />
Nach dem Zwangsverkauf seiner Apotheke flüchtete <strong>Mag</strong>. Isidor Gross noch 1938 nach<br />
Palästina und arbeitete als angestellter Apotheker in Tel Aviv. 1945 ging er in die USA, wo<br />
er sich in New York niederließ, und eine Beschäftigung in einer dortigen Apotheke<br />
annahm. 813 <strong>Mag</strong>. Hanina Lehr konnte sich im September 1938 in die Schweiz in Sicherheit<br />
bringen und emigrierte später in die USA, wo er bei Hoffmann-La Roche in New Jersey als<br />
Chemiker tätig wurde. 814<br />
Nach dem Krieg wurde die Salvator-Apotheke vorübergehend von der Roten Armee<br />
beschlagnahmt. 815 Am 22. August 1945 wurde die Apotheke unter öffentliche Verwaltung<br />
gestellt und bis zur Rückstellung an <strong>Mag</strong>. Gross von <strong>Mag</strong>. Ernst Richter verwaltet. 816<br />
<strong>Mag</strong>. Isidor Gross kehrte am 1. September 1947 aus dem amerikanischen Exil nach Wien<br />
zurück 817 und beantragte die Rückstellung der 1938 entzogenen Apotheke. In einem<br />
daraufhin geführten Rückstellungsverfahren wurde ihm mit Erkenntnis vom 14. Oktober<br />
1947 die Salvator-Apotheke zurückgestellt. 818 Nach der Wiedererteilung der Konzession<br />
am 3. Juni 1948 führte er die Apotheke noch bis 1. Juni 1953 und verkaufte sie dann. 819<br />
<strong>Mag</strong>. Gross emigrierte erneut in die USA, wo er 1966 verstarb. 820<br />
Vindobona-Apotheke, Wien 9., Bauernfeldplatz 4<br />
Besitzer und Konzessionär der Vindobona-Apotheke war seit April 1927 Dr. Norbert<br />
Silber. 821 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 73.000,– auf und war<br />
810 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 404, Anmeldung durch Franz Jiresch vom 15.11.1946.<br />
811 Ebd.<br />
812 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 52 (1938), 283.<br />
813 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 149 u. 220.<br />
814 Vgl. Ebd., 73 u. 221.<br />
815 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 404, Anmeldung durch Franz Jiresch vom 15.11.1946.<br />
816 Krug, Wiener Apotheken.<br />
817 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
818 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 404, Erkenntnis vom 14.10.1947.<br />
819 Krug, Wiener Apotheken.<br />
820 Vgl. Leimkugel, Wege, 149.<br />
821 Krug, Wiener Apotheken.<br />
149
schuldenfrei. 822 Am 23. Juni 1938 wurde der spätere ‚Ariseur‘ und ‚illegales‘ Mitglied der<br />
NSDAP 823 <strong>Mag</strong>. Maximillian Billeg als verantwortlicher Leiter für die Vindobona-Apotheke<br />
eingesetzt. 824 Im Juli 1938 wurde Dr. Norbert Silber genötigt, seine Apotheke an ihn zu<br />
verkaufen. 825 Von der Vermögensverkehrsstelle wurde daraufhin der Kaufpreis der<br />
Apotheke mit RM 52.000,– festgelegt, 826 wovon eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 30.600,–<br />
an die Vermögensverkehrsstelle abzuführen gewesen wäre. RM 20.400,– sollte<br />
Dr. Norbert Silber erhalten. 827 Da aber der ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Maximillian Billeg in Summe nur<br />
RM 20.000,– bezahlte, erhielt Dr. Silber für seine Apotheke nur RM 5.000,–. 828 Die<br />
Konzession zum Betrieb der Vindobona-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Billeg schließlich am<br />
28. September 1938. 829<br />
<strong>Mag</strong>. Norbert Silber wurde mit seiner Frau Hilde Silber am 6. Mai 1942 von Wien nach<br />
Maly Trostinec deportiert, wo beide am 11. Mai 1942 ermordet wurden. 830<br />
Die Vindobona-Apotheke wurde am 16. August 1945 unter öffentliche Verwaltung gestellt<br />
und von <strong>Mag</strong>. Ernst Kanicky geleitet. 831 1949 beantragte <strong>Mag</strong>. Ernst Silber, der Sohn von<br />
<strong>Mag</strong>. Norbert Silber, von New York aus die Rückstellung der 1938 seinem Vater<br />
entzogenen Apotheke. Im daraufhin geführten Rückstellungsverfahren wurde ihm mit<br />
Teilerkenntnis vom 9. September 1950 – bestätigt mit Erkenntnis der Rückstellungsoberkommission<br />
vom 31. Juli 1951 – die Vindobona-Apotheke zurückgestellt. 832 Gegenforderungen<br />
von <strong>Mag</strong>. Billeg in Höhe von ÖS 22.500,– wurden schließlich am 3. Juli 1952<br />
in einer mündlichen Verhandlung vor der Rückstellungskommission Wien V verglichen. 833<br />
822 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
823 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt. 2, IV-160.868-15/45, Wiener Gebietskrankenkasse<br />
an das StAfsV vom 24.07.1945.<br />
824 Krug, Wiener Apotheken.<br />
825 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 28, Anmeldung durch RA Dr. Julius Hahn vom 07.11.1946.<br />
826 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 112, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Ernst Kanicky vom 07.11.1946.<br />
827 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
828 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 28, Anmeldung durch RA Dr. Julius Hahn vom 07.11.1946.<br />
829 Krug, Wiener Apotheken.<br />
830 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
831 Krug, Wiener Apotheken.<br />
832 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 9, 28 u. 112, Teilerkenntnis vom 09.09.1950 und Erkenntnis vom 31.07.1951.<br />
833 Ebd., Vergleich vom 03.07.1952.<br />
150
5.1.10. Wien, Favoriten<br />
Apotheke „Zum heiligen Johann“, Wien 10., Reumannplatz 16 834<br />
Besitzer der Apotheke „Zum heiligen Johann“ waren seit 1925 zu gleichen Teilen<br />
<strong>Mag</strong>. Paul Fischer und <strong>Mag</strong>. Jakob Kreider, 835 letzterer war auch Inhaber der Konzession.<br />
Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 121.665,20 auf und war<br />
schuldenfrei. 836 Noch vor der Installierung der Vermögensverkehrsstelle wurde zwischen<br />
den jüdischen Besitzern und dem ‚Ariseur‘ Dr. Richard Kaurek am 20. April 1938 ein<br />
Übergabevertrag errichtet, 837 dessen Bestimmungen allerdings später von der<br />
Vermögensverkehrsstelle neu festgelegt wurden. Als Kaufpreis für die Apotheke „Zum<br />
heiligen Johann“ wurde ein Betrag von RM 85.165,64 festgelegt. Davon sollten die<br />
Vorbesitzer RM 34.066,26 auf ein Sperrkonto gutgeschrieben erhalten, RM 51.099,38<br />
waren als ‚Arisierungsauflage‘ an die Vermögensverkehrsstelle abzuführen. 838 Wie viele<br />
andere ‚Arisierungen‘ benützte der Kommissarische Verwalter sämtlicher jüdischer<br />
Apotheken in der Ostmark <strong>Mag</strong>. Edwin Renner auch diese ‚Arisierung‘ dazu, sich an der<br />
Apotheke beteiligen zu lassen. 839 Am 8. August 1938 wurde Dr. Kaurek zum<br />
verantwortlichen Leiter der Apotheke bestellt, 840 die Konzession erhielt er im September<br />
1938. 841 Die geänderten Besitzverhältnisse wurden schließlich im Februar 1939 im Wiener<br />
Handelsregister protokolliert. 842<br />
<strong>Mag</strong>. Paul Fischer trat im April 1938 aus der Betriebsgesellschaft aus 843 und verließ Wien<br />
im August 1938, um nach Jugoslawien zu flüchten. 844 Er verstarb am 13. Februar 1943 in<br />
Zagreb. 845 Auch <strong>Mag</strong>. Jakob Kreider konnte vor der nationalsozialistischen Verfolgung<br />
fliehen. Er emigrierte 1938 in die USA und lebte später in Chicago. 846<br />
834 Heute: Apotheke am Reumannplatz.<br />
835 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, IV-875-15/46.<br />
836 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
837 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 113, Anmeldung durch Anna Maria Fischer vom 02.01.1947.<br />
838 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
839 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, IV-875-15/46.<br />
840 Krug, Wiener Apotheken.<br />
841 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 41 (1938), 128.<br />
842 Ebd., Nr. 7 (1939), 102.<br />
843 Krug, Wiener Apotheken.<br />
844 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 113, Walter Maux an die Devisenstelle Wien vom 20.11.1939.<br />
845 Ebd., Anmeldung durch Anna Maria Fischer vom 02.01.1947.<br />
846 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 221; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 455 u. 113, Vergleich vom<br />
10.05.1951.<br />
151
Mitte April 1945 wurde die Apotheke „Zum heiligen Johann“ durch Fliegerangriffe und<br />
Artilleriebeschuss vollständig zerstört. Dr. Kaurek floh vor der Roten Armee nach Landeck<br />
in Tirol, wo er 1946 im Landesgericht Innsbruck inhaftiert wurde. 847<br />
1949 brachten die ehemaligen Eigentümer <strong>Mag</strong>. Jakob Kreider und <strong>Mag</strong>. Paul Fischer –<br />
letzterer vertreten durch einen Abwesenheitskurator – einen Rückstellungsantrag ein. Das<br />
daraufhin geführte Verfahren endete am 10. März 1951 mit einem Vergleich, in dem die<br />
noch vorhandenen Aktiven der Apotheke „Zum heiligen Johann“ – Firmen- und Mietrechte<br />
sowie das Anrecht auf die Konzession – den früheren Besitzern zurückgestellt und ihnen<br />
die Kosten des Verfahrens ersetzt wurden. 848 Sie verkauften daraufhin noch im selben<br />
Jahr die zurückgestellten Rechte an die am 31. Juli 1951 gegründete offene Handelsgesellschaft<br />
„Apotheke zum heiligen Johann, Dr. et <strong>Mag</strong>. pharm. Scholda & Co“. 849<br />
Apotheke „Zur Mutter Gottes“, Wien 10., Gudrunstraße 150<br />
Besitzer der Apotheke zur Mutter Gottes war seit Mai 1932 Dr. Rudolf Zifferer, die<br />
Konzession zum Betrieb der Apotheke erhielt er am 14. Februar 1936. 850 Die Apotheke<br />
erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 145.168,34 und war schuldenfrei. 851 Am<br />
28. März 1938 wurde mit <strong>Mag</strong>. Eugen Traunsteiner ein nichtjüdischer Pharmazeut und<br />
Mitarbeiter der Apotheke zum verantwortlichen Leiter bestellt, was aber die drohende<br />
‚Arisierung‘ nicht verhindern konnte. Am 15. Juli 1938 852 wurde Dr. Zifferer genötigt, seine<br />
Apotheke an den SA-Obersturmbannführer, Reichsredner und Mitglied des Reichstages 853<br />
<strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister zu verkaufen. Als Kaufpreis für die florierende Apotheke „Zur<br />
Mutter Gottes“ wurde von der Vermögensverkehrsstelle ein Betrag von RM 101.617,84<br />
festgelegt, wovon für Dr. Zifferer RM 40.647,14 854 auf ein Sperrkonto bei der Creditanstalt<br />
Wien hinterlegt wurden. 855 RM 60.969,– waren als ‚Arisierungsauflage‘ an die Vermögens-<br />
847 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 4, IV-162.375-15/45; WStLA, M.Abt. 119, VEAV<br />
Bez. 10, 455, Anmeldung durch Dr. Richard Kaurek vom 16.11.1946.<br />
848 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 113 u. 455, Vergleich vom 10.03.1951.<br />
849 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 14356.<br />
850 Krug, Wiener Apotheken.<br />
851 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
852 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 108, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Juliana Trauner, geb. Adelpoller, vom<br />
10.11.1946.<br />
853 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 42 (1938), 132.<br />
854 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
855 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 108, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Juliana Trauner, geb. Adelpoller, vom<br />
10.11.1946.<br />
152
verkehrsstelle abzuführen. 856 Am 14. Oktober 1938 erhielt <strong>Mag</strong>. Rentmeister auch die<br />
Konzession für die Apotheke „Zur Mutter Gottes“ und benannte sie um in „Saarland-<br />
Apotheke“. 857<br />
Dr. Zifferer konnte noch 1938 nach Kananda fliehen, wo er später in Vancouver als Rudolf<br />
John Stanford 858 einen pharmazeutischen Großhandelsbetrieb aufbaute. 859<br />
Obige ‚Arisierung‘ dürfte, wie ein am 19. September 1950 zwischen Dr. Rudolf John<br />
Stanford und <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister geschlossener Vergleich nahelegt, überwiegend<br />
mittels Krediten der Wiener Apothekerbank und der Pharmazeutischen Gehaltskasse für<br />
Österreich finanziert worden sein. 860 In einem Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse<br />
an das Staatsamt für soziale Verwaltung vom 24. Juli 1945 wird auf den Schuldenstand<br />
der Saarland-Apotheke Bezug genommen und die Einsetzung einer öffentlichen<br />
Verwaltung gefordert:<br />
Gudrun (Saarland-) Apotheke in Wien 10., Gudrunstrasse 150. Eigentümer der<br />
Apotheke Mr. Walter Rentmeister ist geflüchtet. Der derzeitige verantwortliche<br />
Mr. Alfred Axmann ist Mitglied der NSDAP und zwar Illegaler. Hier sind die<br />
Mißstände besonders auffallend, da die Apotheke einen Schuldenstand von über<br />
RM 200.000,– aufweist. Als öffentlicher Verwalter wird vorgeschlagen: Mra. Juliane<br />
Adelpoller [...]. 861<br />
Am 16. August 1945 wurde <strong>Mag</strong>.ª Juliane Adelpoller von Staatsamt für soziale Verwaltung<br />
dann auch als öffentliche Verwalterin der Saarland-Apotheke eingesetzt. Die Apotheke<br />
wurde schließlich am 11. Juli 1948 an Dr. Rudolf J. Stanford zurückgestellt, der den<br />
Firmenwortlaut wieder änderte in Apotheke „Zur Mutter Gottes“ und am 1. Juli 1949 mit<br />
<strong>Mag</strong>. Erwin Stögermayer als Komplementär eine Kommanditgesellschaft zum Betrieb der<br />
Apotheke gründete. 862<br />
856 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
857 Krug, Wiener Apotheken.<br />
858 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 108, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Juliana Trauner, geb. Adelpoller, vom<br />
10.11.1946; Krug, Wiener Apotheken.<br />
859 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 225.<br />
860 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 108, Vergleich vom 19.09.1950.<br />
861 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt. 2, IV-160.868-15/45, Wiener Gebietskrankenkasse<br />
an das StAfsV vom 24.07.1945.<br />
862 Krug, Wiener Apotheken.<br />
153
Apotheke „Zur Spinnerin am Kreuz“, Wien 10., Fliederhof 8 863<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zur Spinnerin am Kreuz“ war seit der Eröffnung<br />
1930 <strong>Mag</strong>. Max Markovits. 864 Die Apotheke wies im Jahr 1937 einen Umsatz von<br />
RM 36.160,99 auf und war schuldenfrei. 865 Am 26. August 1938 wurde der spätere<br />
‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Adolf Urmann zum verantwortlichen Leiter der Apotheke eingesetzt. 866 Im<br />
Folgenden wurde <strong>Mag</strong>. Urmann von der Vermögensverkehrsstelle die Genehmigung zum<br />
Erwerb der Apotheke erteilt. Der Kaufpreis wurde mit RM 25.312,69 festgelegt, wovon<br />
RM 15.187,61 als ‚Arisierungsauflage‘ an die Vermögensverkehrsstelle zu bezahlen<br />
waren. RM 10.125,08 wurden für <strong>Mag</strong>. Markovits auf ein Sperrkonto überwiesen. 867 Die<br />
Konzession für die Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Urmann am 29. September 1938. 868 Da<br />
<strong>Mag</strong>. Adolf Urmann im Juni 1940 verstarb, 869 wurde die Apotheke nach beendeter<br />
Verlassenschaftsabhandlung von Emilie Urmann als Witwenfortbetrieb weitergeführt. Am<br />
7. April wurde die Apotheke „Zur Spinnerin am Kreuz“ an <strong>Mag</strong>. Klemens Koziel<br />
verpachtet. 870<br />
<strong>Mag</strong>. Max Markovits verstarb am 8. Mai 1942 in einem Wiener Sammellager im Alter von<br />
67 Jahren und wurde am 14. Mai 1942 am Wiener Zentralfriedhof beerdigt. 871<br />
Vom 1. April bis 1. August 1945 blieb die Apotheke infolge Bombenschäden und<br />
Plünderungen geschlossen. Bei ihrer Wiedereröffnung wurde <strong>Mag</strong>. Maryan Senzer als<br />
verantwortlicher Leiter bestellt und am 12. Dezember 1945 als öffentlicher Verwalter<br />
eingesetzt. 872 Gertrude Veith, die Tochter von <strong>Mag</strong>. Max Markovits, machte 1948 ihre<br />
Ansprüche auf Rückstellung der ihrem Vater entzogenen Apotheke geltend und strengte<br />
ein Rückstellungsverfahren an. Dieses endete am 25. November 1949 damit, dass<br />
Gertrude Veith gegen eine Zahlung von ÖS 50.000,– und die Übernahme der Verfahrens-<br />
863 Heute: Wien 10., Wienerbergstraße 6.<br />
864 Krug, Wiener Apotheken.<br />
865 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
866 Krug, Wiener Apotheken.<br />
867 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
868 Krug, Wiener Apotheken.<br />
869 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 16, <strong>Mag</strong>. Maryan Senzer an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den 10. Bezirk<br />
vom 05.03.1947.<br />
870 Krug, Wiener Apotheken.<br />
871 IKG Wien, Friedhofsdatenbank, http://www.ikg-wien.at (Oktober 2007); Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker,<br />
222.<br />
872 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 16, <strong>Mag</strong>. Maryan Senzer an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den 10. Bezirk<br />
vom 05.03.1947.<br />
154
kosten in Höhe von ÖS 10.000,– auf ihre Rückstellungsansprüche verzichtete. 873<br />
Löwen-Apotheke, Wien 10., Oberlaa, Hauptstraße 110 874<br />
Besitzer und Konzessionär der Löwen-Apotheke war seit ihrer Eröffnung 1914 <strong>Mag</strong>. Leo<br />
Hellmann. 875 Seit 1. August 1937 war die Apotheke – <strong>Mag</strong>. Leo Hellman war zu diesem<br />
Zeitpunkt bereits 74 Jahre alt – an <strong>Mag</strong>. Friedrich Kirschbaum verpachtet. 876 Die Apotheke<br />
erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 18.920,– und hatte Betriebsschulden in<br />
der Höhe von RM 7424,45. 877 Die ‚Arisierung‘ der Löwen-Apotheke im Herbst 1938 stellte<br />
der ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Josef Passl in einem Schreiben an den Provisorischen Ausschuß<br />
Österreichischer Apotheker Ende Juni 1946 wie folgt dar:<br />
Von dem mir nicht näher bekannten Mr. Edwin Renner, der bekanntlich mit der<br />
Arisierung der in Wien gelegenen jüdischen Apotheken betraut war, wurde ich ab<br />
7. Oktober 1938 mit der Leitung der dem Mr. Leo Hellmann gehörigen öffentlichen<br />
Apotheke in Oberlaa betraut und trat ich in der Folgezeit mit dem oben angeführten<br />
Besitzer der Apotheke wegen Ankaufs dieser Apotheke gegen Zahlung einer<br />
lebenslänglichen Leibrente in Unterhandlungen. Da Herr Mr. Leo Hellmann bereits<br />
das 70. Lebensjahr überschritten hatte, war Mr. Edwin Renner mit dem Ankauf<br />
obiger Apotheke gegen Zahlung einer lebenslänglichen Leibrente einverstanden,<br />
doch wurde sein diesbezüglicher Antrag seitens der Vermögensverkehrsstellle<br />
abgelehnt. Ich wurde sohin von Mr. Edwin Renner aufgefordert mich um den Ankauf<br />
dieser Apotheke gegen Barzahlung des Kaufschillings zu bewerben, da er mich,<br />
wiewohl ich kein Parteimitglied war, dafür entschädigen wollte, dass mein<br />
Dienstverhältnis in der öffentlichen Apotheke am Arthaberplatz nach 10 jähriger<br />
Dauer infolge Arisierung dieser Apotheke einverständlich zur Auflösung gebracht<br />
worden war. Ich habe mich nun um die Arisierung der Apotheke in Oberlaa, welche<br />
im Jahre 1937 einen Umsatz von 25.207 S 64 g erzielt hatte, beworben. Seitens der<br />
Vermögensverkehrsstelle wurde der Kaufschilling dieser Apotheke mit 70% des<br />
obigen Umsatzes, demnach mit 13.234 RM festgesetzt. Den Teilbetrag von<br />
RM 9824,45 habe ich teilweise durch Übernahme der Schulden und teilweise durch<br />
873 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 16, Vergleich vom 25.11.1949.<br />
874 Heute: Kur-Apotheke Oberlaa, Wien 10., Kurbadstraße 12.<br />
875 Krug, Wiener Apotheken.<br />
876 AdPhGK, Betriebsakt 10146, Gedenkprotokoll vom 23.06.1937.<br />
877 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939:<br />
Schuldenstand errechnet aus der Differenz zwischen dem von <strong>Mag</strong>. Renner angegebenen Kaufpreis und der<br />
‚Arisierungsauflage‘.<br />
155
Einzahlung auf das Sperrkonto sofort bezahlt, während mir zur Bezahlung des<br />
Restbetrages von RM 3409,55, seitens des Reichsfiskus die Bewilligung erteilt<br />
wurde, diesen Betrag in monatlichen Raten im Laufe von 10 Jahren zur Abstattung<br />
zu bringen. 878<br />
Da von dem durch die Vermögensverkehrsstelle festgesetzten Kaufpreis erst die<br />
Betriebsverbindlichkeiten und sodann die ‚Arisierungsauflage‘ zu begleichen waren, erhielt<br />
<strong>Mag</strong>. Leo Hellman nichts aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke. Die Konzession für<br />
die Löwen-Apotheke wurde am 22. Februar 1939 auf <strong>Mag</strong>. Josef Passl übertragen. 879<br />
Welche Auswirkungen die entschädigungslose ‚Arisierung‘ seiner Apotheke auf <strong>Mag</strong>. Leo<br />
Hellmann hatte, illustriert ein Schreiben, dass er am 21. Oktober 1938 an die Pharmazeutische<br />
Gehaltskasse mit der Bitte um Unterstützung aus dem Notstandsfonds richtete:<br />
Im Jahre 1937 musste ich wegen meines hohen Alters und schmerzhaften<br />
Erkrankung die Apotheke verpachten. Ich habe für eine kranke Frau (Arierin) zu<br />
sorgen und war die Einnahme durch die Verpachtung meiner Apotheke die einzige<br />
Einnahmequelle. Ich besitze kein Vermögen oder irgendwelche andere Bezüge und<br />
bin seit der Arisierung der Apotheke vollständig subsistenzlos ohne welche<br />
Geldeinnahme um wenigstens den Lebensunterhalt für mich und meine kranke Frau<br />
zu beschaffen. Ich weis praktisch nicht aus und ein und weis nicht woher ich die<br />
Beträge für Miete und den Lebensunterhalt hernehmen soll. Schon durch 2 Monate<br />
habe ich fast nichts zu essen. In dieser meiner Not wende ich mich an den<br />
Notstandsfonds mit der höfl. Bitte mir doch als alter Pharmazeut der auch zu diesen<br />
Beträgen beigesteuert hat mir für meine alten Tage eine monatliche Unterstützung<br />
zu gewähren um wenigstens auf meinen alten Tagen vor der gröbsten Not geschützt<br />
zu sein. 880<br />
Die Antwort der Pharmazeutischen Gehaltskasse erfolgte umgehend und in bürokratischer<br />
Kürze:<br />
In Erledigung ihres Schreibens vom 21.ds.M. um eine Zuwendung einer<br />
monatlichen Unterstützung aus dem Notstandsfonds teilen wir mit, dass dem<br />
878 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-162.718-15/45, <strong>Mag</strong>. Josef Passl an den<br />
Provisorischen Ausschuß Österreichischer Apotheker, undatiert, wahrscheinlich Ende Juni 1946.<br />
879 Krug, Wiener Apotheken.<br />
880 AdPhGK, Betriebsakt 10146, <strong>Mag</strong>. Leo Hellmann an die PhGK, undatiert, dort eingelangt am 22.10.1938.<br />
156
Ansuchen nicht entsprochen werden kann. 881<br />
<strong>Mag</strong>. Leo Hellmann verstarb am 23. Juni 1939 in Wien und wurde zwei Tage später am<br />
Wiener Zentralfriedhof beerdigt. Der ehemalige Pächter der Löwen-Apotheke<br />
<strong>Mag</strong>. Friedrich Kirschbaum verstarb im Alter von nur 49 Jahren am 18. September 1943 in<br />
Wien. Auch er wurde am Wiener Zentralfriedhof bestattet. 882<br />
Nach 1945 verblieb die Löwen-Apotheke im Besitz von <strong>Mag</strong>. Josef Passl, der am<br />
2. Oktober 1947 von der §19-Kommission im Bundesministerium für soziale Verwaltung –<br />
sie entschied über Berufsverbote für PharmazeutInnen, die als NationalsozialistInnen<br />
registriert waren – wieder zur Berufsausübung zugelassen wurde. 883 Zwar erscheint die<br />
Löwen-Apotheke in einer für Rückstellungsbegehren angelegten Liste der Sammelstellen<br />
auf, es wurde aber von diesen kein Rückstellungsantrag betreffend der Löwen-Apotheke<br />
gestellt. 884 Ob zwischen den Sammelstellen und <strong>Mag</strong>. Josef Passl ein außergerichtlicher<br />
Vergleich geschlossen wurde, konnte nicht festgestellt werden. Die Apotheke wurde<br />
jedenfalls nicht zurückgestellt.<br />
St. Antonius-Apotheke, Wien 10., Arthaberplatz 11 885<br />
Besitzer und Konzessionär der St. Antonius-Apotheke war seit 1924 <strong>Mag</strong>. Isidor<br />
Rosenbaum. 886 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 66.894,67 auf und<br />
war schuldenfrei. 887 Mit Dekret vom 24. Mai 1938 des Staatskommissars in der<br />
Privatwirtschaft wurde SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner auch für diese Apotheke<br />
zum Kommissarischen Verwalter bestellt. 888 Da keine anderen InteressentInnen für die<br />
‚Arisierung‘ der St. Antonius-Apotheke bei ihm vorstellig geworden waren und die NSDAP-<br />
Parteimitglieder innerhalb der angestellten Apothekerschaft schon befriedigt waren,<br />
stimmte er unter der Auflage, dass zumindest einer der beiden KaufwerberInnen ein<br />
Ansuchen um Aufnahme in die NSDAP zu stellen habe, der ‚Arisierung‘ der St. Antonius-<br />
881 Ebd., PhGK an <strong>Mag</strong>. Leo Hellman vom 26.10.1938.<br />
882 IKG Wien, Friedhofsdatenbank, http://www.ikg-wien.at (Oktober 2007).<br />
883 AdPhGK, Betriebsakt 10146, Erkenntnis vom 02.10.1947.<br />
884 WStLA, B 13/1-3 Namensverzeichnisse der Rückstellungskommission 1955–1959 sowie B 14/1<br />
Namensverzeichnisse der Rückstellungskommission 1960–1966.<br />
885 Heute: Antonius-Apotheke.<br />
886 Krug, Wiener Apotheken.<br />
887 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
888 WStLA, LGZ, A 29, Rk 202/60, Sammelstelle A an die Rückstellungskommission Wien V vom 12.07.1960.<br />
157
Apotheke durch <strong>Mag</strong>.ª Maria Sickinger und Dr. Norbert Scholda zu. 889 Mit Kaufvertrag vom<br />
18. Juli 1938 verkaufte <strong>Mag</strong>. Isidor Rosenbaum seine Apotheke an die beiden<br />
‚AriseurInnen‘ und verpflichtete sich, die Konzession zu Gunsten von <strong>Mag</strong>.ª Maria<br />
Sickinger zurückzulegen. 890 Diese wurde am 24. August 1938 zur verantwortlichen Leiterin<br />
der Apotheke bestellt. 891 Nachdem Dr. Scholda im Sommer 1938 einen Antrag auf<br />
Aufnahme in die NSDAP gestellt hatte, 892 wurde die ‚Arisierung‘ der St. Antonius-Apotheke<br />
am 18. November 1938 von der Vermögensverkehrsstelle genehmigt. 893 Als Kaufpreis für<br />
die Apotheke wurde ein Betrag von RM 46.826,27 festgesetzt und davon eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ von RM 28.095,76 vorgeschrieben. 894 Diese sollte binnen zehn Jahren<br />
in gleichen Monatsraten an die Pharmakred zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle<br />
überwiesen werden. RM 18.730,51 wurden für <strong>Mag</strong>. Isidor Rosenbaum auf ein Sperrkonto<br />
bei der Pharmakred eingezahlt. 895 Die Konzession für die St. Antonius-Apotheke erhielt<br />
<strong>Mag</strong>.ª Sickinger am 14. Oktober 1938. 896 Am 27. Dezember 1938 wurde der Besitzwechsel<br />
im Wiener Handelsregister protokolliert. 897<br />
<strong>Mag</strong>. Isidor Rosenbaum blieb in Wien und verstarb dort 1942. 898<br />
Im Frühjahr 1945 wurde die St. Antonius-Apotheke durch Kampfhandlungen beschädigt<br />
und das Warenlager geplündert. 899 Da <strong>Mag</strong>.ª Maria Sickinger mit Beginn der<br />
Kampfhandlungen zur Befreiung Wiens die Stadt verlassen hatte und bis August 1938 in<br />
der amerikanischen Besatzungszone blieb, 900 wurde am 14. Juni 1945 <strong>Mag</strong>. Robert Klotz<br />
von der Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung II zum verantwortlichen Leiter der verwaisten<br />
Apotheke bestellt. 901 Im September 1945 wurde <strong>Mag</strong>.ª Sickinger vom Bundesministerium<br />
für soziale Verwaltung auf ihr Ansuchen hin gestattet, die verantwortliche Leitung der St.<br />
889 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-10409-18/46, <strong>Mag</strong>.ª Maria Sickinger an das<br />
BMfsV vom 05.02.1946.<br />
890 WStLA, LGZ, A 29, Rk 202/60, Sammelstelle A an die Rückstellungskommission Wien V vom 12.07.1960.<br />
891 Krug, Wiener Apotheken.<br />
892 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-10409-18/46, <strong>Mag</strong>.ª Maria Sickinger an das<br />
BMfsV vom 05.02.1946.<br />
893 WStLA, LGZ, A 29, Rk 202/60, Sammelstelle A an die Rückstellungskommission Wien V vom 12.07.1960.<br />
894 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
895 WStLA, LGZ, A 29, Rk 202/60, Sammelstelle A an die Rückstellungskommission Wien V vom 12.07.1960.<br />
896 Krug, Wiener Apotheken.<br />
897 WStLA, LGZ, A 29, Rk 202/60, Sammelstelle A an die Rückstellungskommission Wien V vom 12.07.1960.<br />
898 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
899 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 10, 713, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Maria Sickinger vom 12.11.1946.<br />
900 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-191659-15/45, <strong>Mag</strong>.ª Maria Sickinger an das<br />
StAfsV vom 29.08.1945.<br />
901 Ebd., Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung II an das StAfsV vom 14.09.1945.<br />
158
Antonius-Apotheke wieder zu übernehmen; von einer öffentlichen Verwaltung der<br />
Apotheke wurde Abstand genommen. 902<br />
Da <strong>Mag</strong>. Isidor Rosenbaum 1942 ohne Erben verstarb, wurde von der Sammelstelle A am<br />
12. Juli 1960 ein Antrag auf Rückstellung der 1938 entzogenen Apotheke eingebracht. 903<br />
Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am 25. Juli 1960 mit einem<br />
Vergleich, in dem die Sammelstelle A gegen die Zahlung von ÖS 1,450.000,– auf die<br />
Rückstellung der St. Antonius-Apotheke verzichtete. 904<br />
5.1.11. Wien, Simmering<br />
Herder-Apotheke, Wien 11., Ehamgasse 4<br />
Besitzer und Konzessionär der Herder-Apotheke war seit ihrer Eröffnung im Jahr 1925<br />
<strong>Mag</strong>. Josef Roth. 905 Die Apotheke wies im Jahre 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 54.534,– auf und war schuldenfrei. 906 Die Herder-Apotheke wurde am 1. Juli 1938 von<br />
<strong>Mag</strong>. Wenzel Wenig ‚arisiert‘, der dazu in seiner „Anmeldung entzogener Vermögen“<br />
feststellt:<br />
Ich war vor dem Jahre 1938 auf Grund eines Vertrages durch 8 Jahre lang<br />
Angestellter <strong>Mag</strong>ister der „Herder-Apotheke“ in Wien XI., Ehamgasse 4, deren<br />
Konzessionär und Inhaber <strong>Mag</strong>ister Josef Roth war. Schon vor dem Umbruch war<br />
zwischen mir und dem <strong>Mag</strong>ister Roth, der die kommenden Ereignisse<br />
vorausgesehen hatte und mit dem ich persönlich in bestem Einvernehmen stand,<br />
besprochen worden, dass ich die Apotheke im Falle einer nationalsozialistischen<br />
Machtübernahme übernehmen sollte. 907<br />
Nach dem ‚Anschluß‘ wurde daher am 14. April 1938 zwischen <strong>Mag</strong>. Josef Roth und<br />
seinem angestellten Pharmazeuten <strong>Mag</strong>. Wenzel Wenig vereinbart, dass letzterer die<br />
Apotheke übernehmen sollte. Als Kaufpreis waren RM 68.334,– vorgesehen. 908 Diese<br />
902 Ebd., StAfsV an <strong>Mag</strong>.ª Maria Sickinger, undatiert, wahrscheinlich Anfang September 1945.<br />
903 WStLA, LGZ, A 29, Rk 202/60, Sammelstelle A an die Rückstellungskommission Wien V vom 12.07.1960.<br />
904 Ebd., Vergleich vom 25.07.1960.<br />
905 Krug, Wiener Apotheken.<br />
906 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong> Edwin Renners an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
907 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 11, 23, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Wenzel Wenig vom 09.11.1946.<br />
908 Ebd.<br />
159
Vereinbarung sollte allerdings keinen Bestand haben, denn die von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner<br />
zentral gelenkte ‚Arisierungs-Kampagne‘ ließ Initiativen dieser Art nicht zu.<br />
Durch das Dazwischentreten des späterhin bestellten Arisierungskommissäres für<br />
sämtliche Wiener Apotheken, <strong>Mag</strong>ister Edwin Renner, nahm jedoch die<br />
Angelegenheit einen anderen Verlauf. Mr. Renner erklärte den zwischen Mr. Roth<br />
und mir abgeschlossenen Vertrag für null und nichtig und erklärte weiters, dass die<br />
Apotheke ein illegaler Parteimann bekommen werde. Gleichzeitig gab er mir jedoch<br />
zu verstehen, dass er die Apotheke eventuell auch mir geben würde, wenn ich mich<br />
entschliessen könnte, ihn an den Erträgnissen intern zu beteiligen. [...] Die mir von<br />
<strong>Mag</strong>ister Renner aufgezwungene Beteiligung erstreckte sich auf 50% der<br />
Einnahmen der Apotheke, ohne dass dieser irgend eine Einlage oder eine Mitarbeit<br />
geleistet hätte. Er sicherte sich also auf diese Weise ein vollkommen arbeitsloses<br />
Einkommen. <strong>Mag</strong>ister Renner ist auch noch in einer ganzen Reihe anderer Fälle in<br />
gleicher Weise vorgegangen. 909<br />
Am 1. Juli 1938 wurde ein neuer Kaufvertrag errichtet, der am 18. Oktober 1938 mit einem<br />
Kaufpreis von mittlerweile nur mehr RM 38.173,80 von der Vermögensverkehrsstelle<br />
genehmigt wurde. 910 Nach Abzug der ‚Arisierungsauflage‘ von RM 22.904,30 verblieben<br />
<strong>Mag</strong>. Roth noch RM 15.269,50 aus dem Verkauf seiner Apotheke. 911 Die Konzession für<br />
die Herder-Apotheke wurde am 29. September 1938 auf <strong>Mag</strong>. Wenzel Wenig übertragen.<br />
912 Aus der oben von <strong>Mag</strong>. Wenig beschriebenen Beteiligung an der Herder-<br />
Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Renner im Laufe der folgenden Jahre in Summe RM 62.709,08. 913<br />
Am 11. Oktober 1944 wurde die Herder-Apotheke durch einen Luftangriff vollständig<br />
zerstört und von <strong>Mag</strong>. Wenig eine Notapotheke im gegenüberliegenden Haus, Ehamgasse<br />
3, eingerichtet. 914 Nach Kriegsende übernahm <strong>Mag</strong>. Josef Roth am 25. Mai 1945 wieder<br />
die Leitung der Herder-Apotheke an ihrem neuen Standort. 915 Da er aber am 5. Oktober<br />
1945 verstarb, wurden seine Rückstellungsansprüche von seiner Witwe und Erbin, Agnes<br />
Roth, wahrgenommen. Mit Teilerkenntnissen vom 20. September 1947 und 15. April 1949<br />
909 Ebd.<br />
910 Ebd.<br />
911 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renners an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
912 Krug, Wiener Apotheken; Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 41 (1938), 128.<br />
913 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 11, 23, Enderkenntnis vom 29.09.1953.<br />
914 Ebd., Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Wenzel Wenig vom 09.11.1946.<br />
915 Krug, Wiener Apotheken.<br />
160
wurden ihr sowohl die Apotheke als auch die zugehörige Konzession zurückgestellt. 916<br />
Agnes Roth verkaufte daraufhin die Apotheke an <strong>Mag</strong>.ª Theodora Doblhammer, 917 die am<br />
15. Juli 1950 auch die Konzession für diese Apotheke erhielt. 918<br />
5.1.12. Wien, Meidling<br />
Apotheke „Am Fuchsenfeld“, Wien 12., Längenfeldgasse 31 919<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Am Fuchsenfeld“ war seit ihrer Gründung 1933<br />
<strong>Mag</strong>. Isidor Senz. 920 Der Betrieb erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 37.712,60 und war mit Betriebsschulden von ungefähr RM 11.200,– belastet. 921 Am<br />
1. Juli 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Ferdinand Thomann – Mitglied der NSDAP seit Februar 1931 922 –<br />
als verantwortlicher Leiter der Apotheke bestellt, 923 die er später mit Genehmigung der<br />
Vermögensverkehrsstelle ‚arisierte‘. Die Vermögensverkehrsstelle setzte dabei einen<br />
Kaufpreis von RM 26.399,– fest und verfügte, dass davon eine ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 15.227,31 zu ihren Gunsten abzuführen sei. Der Rest des Kaufpreises wurde zur<br />
Abdeckung der Betriebsschulden verwendet. <strong>Mag</strong>. Isidor Senz erhielt nichts aus dem<br />
Zwangsverkauf seiner Apotheke. 924 Die Konzession für die Apotheke „Am Fuchsenfeld“<br />
erhielt <strong>Mag</strong>. Ferdinand Thomann am 8. November 1938. 925<br />
<strong>Mag</strong>. Isidor Senz wurde mit seiner Frau Maria Felicia Senz am 20. Mai 1942 von Wien<br />
nach Maly Trostinec deportiert, wo beide am 26. Mai 1942 ermordet wurden. 926 Ihr<br />
gemeinsamer Sohn Wilhelm Senz konnte sich 1939 nach Großbritannien in Sicherheit<br />
bringen, wo er als Apotheker tätig wurde. 927<br />
Im Februar 1945 wurde die Apotheke „Am Fuchsenfeld“ bei einem Bombenangriff<br />
916 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 11, 23, Teilerkenntnisse vom 20.09.1947 und 15.04.1949.<br />
917 Ebd., Enderkenntniss vom 29.09.1953.<br />
918 Krug, Wiener Apotheken.<br />
919 Heute: Wien 12., Längenfeldgasse 33.<br />
920 Krug, Wiener Apotheken.<br />
921 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renners an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
Schuldenstand errechnet aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis und der ‚Arisierungsauflage‘.<br />
922 AdPhGK, Betriebsakt 12106, Erkenntnis der §19-Kommission vom 17.10.1947.<br />
923 Ebd., Anmeldung bei der Pharmazeutischen Gehaltskasse vom 01.07.1938.<br />
924 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
925 Krug, Wiener Apotheken.<br />
926 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
927 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 224.<br />
161
eschädigt und anschließend geplündert, sodass der Betrieb eingestellt werden musste. 928<br />
Im April 1945 flüchtete <strong>Mag</strong>. Ferdinand Thomann mit seiner Familie nach Tirol, 929 wo er ab<br />
1. September 1945 in der Stadtapotheke in Rattenbach angestellt war. 930 Die somit<br />
verwaiste Apotheke „Am Fuchsenfeld“ wurde über Auftrag des Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremiums ab September 1945 von <strong>Mag</strong>. Franz Thomann, dem Bruder von<br />
<strong>Mag</strong>. Ferdinand Thomann, geleitet. 931 <strong>Mag</strong>. Ferdinand Thomann wurde am 28. Juni 1946<br />
in Rattenbach verhaftet. 932 Es wurde ein Volksgerichtsverfahren gegen ihn wegen<br />
missbräuchlicher Bereicherung im Zuge der ‚Arisierung‘ der Apotheke „Am Fuchsenfeld“<br />
eingeleitet, weiters am 17. Oktober 1947 ein Berufsverbot über ihn verhängt. 933 Für die<br />
Apotheke „Am Fuchsenfeld“ wurde daher am 24. März 1948 <strong>Mag</strong>.ª Emma Litawsky als<br />
Leiterin von Amts wegen bestellt. 934 Das Volksgerichtsverfahren gegen <strong>Mag</strong>. Ferdinand<br />
Thomann endete am 23. Juli 1948 mit einem Freispruch 935 – durch die Amnestie für<br />
‚Minderbelastete‘ vom 5. Juni 1948 936 war das gegen <strong>Mag</strong>. Thomann verhängte Berufsverbot<br />
schon vorher gegenstandslos geworden, die Gesundheitsbehörden sahen daher<br />
keinen weiteren Grund für die Aufrechterhaltung der Apothekenleitung durch<br />
<strong>Mag</strong>.ª Litawsky. Diese wurde am 13. Oktober 1948 als Leiterin abberufen und die<br />
Apotheke „Am Fuchsenfeld“ mit 1. November 1948 wieder an <strong>Mag</strong>. Ferdinand Thomann<br />
übergeben. 937<br />
1951 beantragte Wilhelm Senz, der Sohn von <strong>Mag</strong>. Isidor Senz, die Rückstellung der<br />
seinem Vater 1938 entzogenen Apotheke. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren<br />
endete am 11. Jänner 1952 mit einem Vergleich, in dem Wilhelm Senz gegen die<br />
Erstattung seiner Verfahrenskosten in der Höhe von ÖS 2.000,– auf die Rückstellung der<br />
Apotheke verzichtete. 938<br />
928 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 49, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Franz Thomann vom 05.11.1946.<br />
929 AdPhGK, Betriebsakt 12106, BMfsV an die Staatspolizei vom 06.08.1946.<br />
930 Ebd., Aktenvermerk des Stellenlosenfonds vom 22.10.1946.<br />
931 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 49, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Franz Thomann vom 05.11.1946.<br />
932 AdPhGK, Betriebsakt 12106, BMfsV an die Sicherheitsdirektion für das Land Tirol vom 09.01.1947.<br />
933 Ebd., Erkenntnis der §19-Kommission vom 17.10.1947.<br />
934 Ebd., Bescheid der M.Abt. 15 vom 24.03.1948.<br />
935 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-119.863-18/46, Urteil vom 23.07.1948.<br />
936 BGBl. Nr. 99/1948.<br />
937 AdPhGK, Betriebsakt 12106, Bescheid der M.Abt. 15 vom 13.10.1948 sowie Anmeldung bei der PhGK vom<br />
01.10.1948.<br />
938 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 49, Vergleich vom 11.01.1952.<br />
162
Apotheke „Zum heiligen Josef“, Wien 12., Schönbrunnerstraße 182 939<br />
Besitzer der Apotheke „Zum heiligen Josef“ war seit 1927 Dr. Hans Löwy, der 1929 auch<br />
die Konzession für die Apotheke von seinem Vater <strong>Mag</strong>. Leopold Löwy übernahm. 940 Der<br />
Jahresumsatz der Apotheke „Zum heiligen Josef“ belief sich 1937 auf RM 68.124,99, der<br />
Betrieb war schuldenfrei. 941 Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde<br />
Dr. Hans Löwy, um gegen die geplante ‚Arisierung‘ seiner Apotheke keinen Widerstand<br />
leisten zu können, verhaftet und im Konzentrationslager Dachau interniert. 942 Der von<br />
<strong>Mag</strong>. Edwin Renner für die ‚Arisierung‘ der Apotheke „Zum heiligen Josef“ vorgesehene<br />
Dr. Friedrich Schiller wurde am 16. August 1938 als verantwortlicher Leiter für die<br />
Apotheke eingesetzt 943 und diese mittels der Vermögensverkehrsstelle an ihn übertragen.<br />
Der Übernahmepreis für die Apotheke wurde dabei von der Vermögensverkehrsstelle mit<br />
RM 47.700,89 festgesetzt, eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 28.620,05 wurde<br />
vorgeschrieben. Dr. Hans Löwy wurden RM 19.080,04 aus dem Zwangsverkauf seiner<br />
Apotheke zugesprochen. 944 Die Konzession zum Betrieb der Apotheke „Zum heiligen<br />
Josef“ erhielt Dr. Friedrich Schiller am 28. September 1938. 945<br />
Dr. Hans Löwy wurde nach der ‚Arisierung‘ seiner Apotheke wieder aus der KZ-Haft<br />
entlassen und konnte 1939 vor den NationalsozialistInnen flüchten. Er emigrierte in die<br />
USA, wo er sich in New York niederließ. 946<br />
Am 24. November 1945 wurde die Apotheke „Zum heiligen Josef“ unter öffentliche<br />
Verwaltung gestellt und in Folge von <strong>Mag</strong>. Isidor Gingold – auch er ein von der<br />
nationalsozialistischen Verfolgung betroffener jüdischer Pharmazeut – geleitet. 947<br />
<strong>Mag</strong>. Isidor Gingold war seit Dezember 1925 in der Neulerchenfelder-Apotheke als<br />
angestellter Apotheker tätig. Nach der ‚Arisierung‘ dieser Apotheke verlor er seine<br />
Anstellung mit Jahresende 1938. 948 Im Oktober 1939 wurde er nach Polen deportiert und<br />
im März 1944 nach Auschwitz gebracht. Er überlebte dieses Vernichtungslager und kehrte<br />
939 Heute: Wien 12., Schönbrunnerstraße 195.<br />
940 Krug, Wiener Apotheken.<br />
941 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
942 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 222.<br />
943 Krug, Wiener Apotheken.<br />
944 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
945 Krug, Wiener Apotheken.<br />
946 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 222.<br />
947 Krug, Wiener Apotheken.<br />
948 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
163
nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee am<br />
4. Oktober 1945 nach Wien zurück. 949<br />
1947 beantragte Dr. Hans Löwy von New York aus die Rückstellung seiner Apotheke. Das<br />
daraufhin eingeleitete Rückstellungsverfahren endete am 21. April 1950 mit einem<br />
Vergleich, in dem ihm gegen die Zahlung von ÖS 12.500,– die Apotheke „Zum heiligen<br />
Josef“ samt Konzession zurückgestellt wurde. 950 Dr. Löwy verkaufte seine Apotheke an<br />
<strong>Mag</strong>. Hans Fontana 951 und kehrte nach Wien zurück, wo er 1971 verstarb. 952<br />
Apotheke „Zum Schutzengel“, Wien 12., Meidlinger Hauptstraße 45<br />
Alleininhaber und Konzessionär der Apotheke „Zum Schutzengel“ war seit Anfang 1924<br />
<strong>Mag</strong>. Marco Birnholz. 953 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 78.734,– und war schuldenfrei. 954 Am 9. Juli wurde <strong>Mag</strong>. Edwin Renner von der<br />
Vermögensverkehrsstelle als Kommissarischer Verwalter eingesetzt und <strong>Mag</strong>. Birnholz<br />
genötigt, seine Apotheke zu verkaufen. Am Tag darauf, am 10. Juli 1938, wurde mittels<br />
mündlicher Vereinbarung die Apotheke „Zum Schutzengel“ von <strong>Mag</strong>. Rudolf Huber<br />
‚arisiert‘. Diese ‚Arisierung‘ wurde per Bescheid vom 10. Oktober 1938 von der<br />
Vermögensverkehrsstelle genehmigt, die einen Kaufpreis von RM 55.114,– für die<br />
Apotheke festsetzte. 955 Davon waren RM 33.068,– als ‚Arisierungsauflage‘ an die<br />
Vermögensverkehrsstelle abzuführen, RM 22.046,– sollte <strong>Mag</strong>. Marco Birnholz erhalten. 956<br />
Die Konzession für die Apotheke „Zum Schutzengel“ erhielt <strong>Mag</strong>. Rudolf Huber am 29.<br />
September 1938. 957 Die Eigentumsübertragung wurde schließlich im Jänner 1939 im<br />
Wiener Handelsregister protokolliert. 958<br />
<strong>Mag</strong>. Marco Birnholz konnte 1939 vor der nationalsozialistischen Verfolgung flüchten und<br />
emigrierte in die USA, wo er später in New York als Krankenhausapotheker tätig war. 959<br />
949 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, 162.194/45, <strong>Mag</strong>. Isidor Gingold an das StAfsV<br />
vom 12.10.1945.<br />
950 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 7, Vergleich vom 21.04.1950.<br />
951 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 5911.<br />
952 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 222.<br />
953 Krug, Wiener Apotheken.<br />
954 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
955 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 9, Enderkenntnis vom 29.10.1949.<br />
956 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
957 Krug, Wiener Apotheken.<br />
958 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 5 (1939), 71.<br />
959 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 218.<br />
164
Die Apotheke „Zum Schutzengel“ wurde am 20. Februar 1945 durch einen Bombenangriff<br />
– das Materiallager wurde dabei völlig zerstört – schwer beschädigt. 960 Am 7. Juli 1945<br />
wurde <strong>Mag</strong>. Ernest Geiger zum öffentlichen Verwalter bestellt. 961 Er ging an den<br />
Wiederaufbau der Apotheke, sodass Ende 1945 der Betrieb wieder aufgenommen werden<br />
konnte. 962<br />
1947 beantragte <strong>Mag</strong>. Marco Birnholz die Rückstellung seiner Apotheke. Mit<br />
Enderkenntnis der Rückstellungskommission Wien I vom 29. Oktober 1949 wurde ihm die<br />
Apotheke „Zum Schutzengel“ samt Konzession zurückgestellt. 963<br />
Apotheke „Zur Maria Heil der Kranken“, Wien 12., Albrechtsbergergasse 25 964<br />
Seit dem Tod von <strong>Mag</strong>. David Citron am 27. Juni 1921 war seine Witwe Anna Citron<br />
Besitzerin und Konzessionärin der Apotheke „Zur Maria Heil der Kranken“. 965<br />
<strong>Mag</strong>.ª Margarethe Citron, die Tochter der Besitzerin, war seit 1936 als Aspirantin in der<br />
mütterlichen Apotheke tätig. 966 Der Witwenfortbetrieb wies im Jahre 1937 einen<br />
Jahresumsatz von ungefähr RM 80.000,– auf und war mit RM 21.707,52 verschuldet. 967<br />
Am 31. Mai 1938 wurde von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner der seit 1922 in der Apotheke angestellte<br />
‚illegale‘ Nationalsozialist 968 und SA-Rottenführer 969 <strong>Mag</strong>. Franz Berzl zum verantwortlichen<br />
Leiter der Apotheke ernannt. 970 Am 6. Juli 1938 wurde ein Kaufvertrag in Form eines<br />
Gedächtnisprotokolls errichtet 971 und mit Bescheid der Vermögensverkehrsstelle vom<br />
18. Oktober 1938 die ‚Arisierung‘ der Apotheke „Zur Maria Heil der Kranken“ durch<br />
<strong>Mag</strong>. Berzl genehmigt. Die Vermögensverkehrsstelle wies ihm dabei mit <strong>Mag</strong>. August Moll<br />
einen Gesellschafter zu, 972 mit dem er am 1. November 1938 die offene Handelsgesellschaft<br />
„Apotheke Berzl & Moll“ zum Betrieb der ‚arisierten‘ Apotheke gründete. 973 Als<br />
Kaufpreis für die Apotheke setzte die Vermögensverkehrsstelle den Betrag von<br />
960 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 9, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Ernest Geiger vom 14.10.1946.<br />
961 Krug, Wiener Apotheken.<br />
962 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 9, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Ernest Geiger vom 14.10.1946.<br />
963 Ebd., Enderkenntnis vom 29.10.1949.<br />
964 Heute: Apotheke Meidling, Wien 12., Albrechtsberggasse 13.<br />
965 Krug, Wiener Apotheken.<br />
966 Vgl. Fritsch, Pharmazie, 68<br />
967 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15850, Betriebsprüfungsbericht von Dr. Josef Bauer vom 30.03.1949.<br />
968 Ebd., Urteil des Wiener Volksgerichtes vom 30.10.1946.<br />
969 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 6 (1939), 86.<br />
970 Krug, Wiener Apotheken.<br />
971 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15850, Bescheid der FLD vom 26.09.1949.<br />
972 Ebd., <strong>Mag</strong>. Josef Böhm an die FLD vom 18.01.1949.<br />
973 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4746.<br />
165
RM 52.196,67 fest und schrieb eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 31.318,– vor. Der Anteil<br />
für Anna Citron wurde im Bescheid der Vermögensverkehrsstelle mit RM 20.878,67<br />
festgelegt. 974 Da von diesem Anteil, der der ehemaligen Besitzerin zukommen sollte, noch<br />
die Betriebsverbindlichkeiten abzudecken waren, erhielt Anna Citron nichts aus dem<br />
Zwangsverkauf ihrer Apotheke. 975 Die Konzession für die Apotheke „Zur Maria Heil der<br />
Kranken“ erhielt <strong>Mag</strong>. Franz Berzl am 8. November 1938. 976 Schon im September 1938<br />
suchte <strong>Mag</strong>. Berzl um die Genehmigung einer Standortverlegung der Apotheke in die<br />
Albrechtsberggasse 13 an, 977 da der alte Standort sich als sehr ungünstig erwiesen hatte<br />
und den Anforderungen an einen zeitgemäßen Apothekenbetrieb nicht entsprach. 978 Die<br />
Verlegung der Apotheke wurde am 17. Jänner 1939 von der Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung 8<br />
genehmigt. 979<br />
Anna Citron konnte sich mit ihren Kindern Karl und Margarethe vor der nationalsozialistischen<br />
Verfolgung in Sicherheit bringen und emigrierte nach New York. 980<br />
Im April 1945 floh <strong>Mag</strong>. Franz Berzl vor der Roten Armee aus Wien und übergab die<br />
Leitung der Apotheke an seinen Kompagnon <strong>Mag</strong>. August Moll. 981 Die Apotheke „Zur<br />
Maria Heil der Kranken“ wurde am 25. Jänner 1946 unter öffentliche Verwaltung gestellt<br />
und in Folge von <strong>Mag</strong>. Josef Böhm geleitet. 982 <strong>Mag</strong>. Franz Berzl wurde am 29. Juni 1946<br />
verhaftet und am 30. Oktober 1946 vom Wiener Volksgericht wegen Hochverrats und<br />
missbräuchlicher Bereicherung bei der ‚Arisierung‘ der Apotheke „Zur Maria Heil der<br />
Kranken“ zu 18 Monaten schweren, verschärften Kerkers, Ersatz der Verfahrenskosten<br />
sowie Verfall seines Vermögens zu Gunsten der Republik Österreich verurteilt. 983 Die<br />
ehemals dem <strong>Mag</strong>. Berzl gehörige Hälfte der Apotheke ging somit in das Eigentum der<br />
Republik über, womit nach §2 Abs. 1 des Zweiten Rückstellungsgesetzes die<br />
Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland für die Rückstellung<br />
zuständig wurde. Bei dieser beantragte Anna Citron am 21. Juni 1947 die Rückstellung<br />
974 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
975 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15850, Bescheid der FLD vom 26.09.1949.<br />
976 Krug, Wiener Apotheken.<br />
977 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 39 (1939), 103.<br />
978 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15850, Betriebsprüfungsbericht von Dr. Josef Bauer vom 30.03.1949.<br />
979 Krug, Wiener Apotheken.<br />
980 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 81, Vergleich vom 17.03.1950.<br />
981 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, M.Abt. 2/2 an das BMfsV vom 12.02.1946.<br />
982 Krug, Wiener Apotheken.<br />
983 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 15850, Urteil des Wiener Volksgerichtes vom 30.10.1946.<br />
166
der einen Hälfte ihrer 1938 entzogenen Apotheke 984 und initiierte 1948 ein Rückstellungsverfahren<br />
gegen <strong>Mag</strong>. August Moll wegen Rückstellung der zweiten Apothekenhälfte. Das<br />
gegen <strong>Mag</strong>. Moll geführte Verfahren endete am 23. November 1948 mit einem Vergleich,<br />
in dem einerseits Anna Citron die Hälfte der Apotheke „Zur Maria Heil der Kranken“<br />
zurückgestellt wurde, andererseits der redliche Erwerb der Apothekenhälfte durch<br />
<strong>Mag</strong>. Moll anerkannt wurde und Anna Citron auf die Verrechnung und Herausgabe der<br />
Erträgnisse dieser Apothekenhälfte seit der Entziehung verzichtete. 985 Am 26. September<br />
1949 wurde Anna Citron schließlich mit Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien,<br />
Niederösterreich und Burgenland auch die zweite Hälfte ihrer Apotheke sowie ein Betrag<br />
von ÖS 24.302,59 für entgangene Erträgnisse zurückgestellt. 986<br />
Da Anna Citron nicht über die für die Leitung einer öffentlichen Apotheke nötige<br />
Qualifikation verfügte, wurde am 28. Oktober 1949 <strong>Mag</strong>.ª Else Kronstein von Amts wegen<br />
als Leiterin der Apotheke eingesetzt. 987 1950 verkaufte Anna Citron die Apotheke an die<br />
offene Handelsgesellschaft „Zur Maria Heil der Kranken, Lorenzoni & Co“, 988 die<br />
Konzession für die Apotheke wurde am 28. Juli 1950 <strong>Mag</strong>. Wolfgang Lorenzoni erteilt. 989<br />
Apotheke „Zur Maria Lourdes“, Wien 12., Tivoligasse 34 990<br />
Besitzerin und Konzessionärin der Apotheke „Zur Maria Lourdes“ war seit 1933<br />
<strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen. 991 Sie kaufte die Apotheke in diesem Jahr von <strong>Mag</strong>. Ignaz Bauer,<br />
der seinerseits im selben Jahr die Schwedenapotheke erwarb. 992 Die Apotheke wies 1937<br />
einen Jahresumsatz von RM 38.600,– auf 993 und war mit RM 31.465,26 verschuldet. 994<br />
Darüberhinaus war die Konzession für die Apotheke mit dem Rest des Kaufpreises in der<br />
Höhe von S 125.000,– aus dem Erwerb der Apotheke im Jahre 1933 belastet. 995 Am 6. Juli<br />
1938 wurde <strong>Mag</strong>.ª Kirschen von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner unter Androhung der Verschickung in<br />
984 Ebd., Aktenvermerk vom 25.07.1947.<br />
985 Ebd., Vergleich vom 23.11.1948.<br />
986 Ebd., Bescheid der FLD vom 26.09.1949.<br />
987 Krug, Wiener Apotheken.<br />
988 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 4746.<br />
989 Krug, Wiener Apotheken.<br />
990 Heute: Maria-Lourdes-Apotheke, Wien 12., Tivoligasse 50.<br />
991 Krug, Wiener Apotheken.<br />
992 Vgl. Kapitel 5.2.1., Schwedenapotheke.<br />
993 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
994 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, IV-162.905-15/45, <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen an<br />
das BMfsV vom 28.11.1945.<br />
995 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, C 49, Erkenntnis vom 17.10.1952.<br />
167
ein Konzentrationslager gezwungen ihre Apotheke an die ‚illegale‘ Nationalsozialistin<br />
<strong>Mag</strong>.ª Ilse Taschler zu übergeben. 996 Diese wurde am 22. Juli 1938 zur verantwortlichen<br />
Leiterin der Apotheke bestellt. 997 Um die Apotheke „Zur Maria Lourdes“ möglichst lastenfrei<br />
übergeben zu können, wurde von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner eine Sitzung einberufen, an der<br />
<strong>Mag</strong>. Renner selbst, <strong>Mag</strong>. Bauer, <strong>Mag</strong>.ª Kirschen und <strong>Mag</strong>.ª Taschler teilnahmen.<br />
<strong>Mag</strong>. Renner verlangte bei dieser Zusammenkunft von <strong>Mag</strong>. Bauer, auf seine Forderung<br />
gegen <strong>Mag</strong>.ª Kirschen zu verzichten, damit die Apotheke von <strong>Mag</strong>.ª Taschler ohne die<br />
Schulden, die auf der Konzession pfandrechtlich sichergestellt waren, übernommen<br />
werden könne. <strong>Mag</strong>. Ignaz Bauer kam dieser Forderung nach und ermöglichte somit<br />
<strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen die spätere Ausreise aus Österreich. 998 Im Herbst 1938 wurde die<br />
Besitzübertragung der Apotheke von der Vermögensverkehrstelle genehmigt und ein<br />
Kaufpreis von RM 27.000,– bestimmt. Dieser Betrag wurde vollständig zur Abdeckung der<br />
Betriebsverbindlichkeiten verwendet, <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen erhielt nichts aus dem<br />
Zwangsverkauf ihrer Apotheke. 999 Die Konzession für die Apotheke „Zur Maria Lourdes“<br />
erhielt <strong>Mag</strong>.ª Ilse Taschler am 31. Dezember 1938. 1000<br />
Im April 1940 1001 flüchtete <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen nach Ungarn, wo sie sich unter<br />
falschem Namen in verschiedenen Orten versteckt hielt und so die nationalsozialistische<br />
Verfolgung überlebte. Sie kehrte am 20. November 1945 nach Wien zurück. 1002<br />
Da <strong>Mag</strong>.ª Taschler zu Beginn der Kampfhandlungen zur Befreiung Wiens aus der Stadt<br />
flüchtete, übernahm Mitte April 1945 <strong>Mag</strong>. Richard Stwrtecka die Leitung der verwaisten<br />
Apotheke „Zur Maria Lourdes“ 1003 und wurde am 27. August 1938 zu deren öffentlichem<br />
Verwalter ernannt. 1004 Ihm folgte als öffentlicher Verwalter mit 1. November 1945 das<br />
ehemalige NSDAP-Mitglied <strong>Mag</strong>. Erwin Stögermayer. 1005 Nach ihrer Rückkehr aus Ungarn<br />
stellte <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen beim Staatsamt für soziale Verwaltung am 29. November<br />
996 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, IV-162.905-15/45, <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen an<br />
das BMfsV vom 28.11.1945.<br />
997 Krug, Wiener Apotheken.<br />
998 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, C 49, Erkenntnis vom 17.10.1952.<br />
999 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1000 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1001 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
1002 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, IV-162.905-15/45, <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen an<br />
das BMfsV vom 28.11.1945.<br />
1003 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, IV-161.144-15/45, <strong>Mag</strong>. Richard Stwrtecka an<br />
das StAfsV vom 16.08.1945.<br />
1004 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1005 Krug, Wiener Apotheken; WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
168
1945 den Antrag, sie bis zur Klärung der Besitzverhältnisse zur öffentlichen Verwalterin<br />
ihrer Apotheke zu bestellen. 1006 Mit Hinweis auf den Umstand, dass für die Apotheke „Zur<br />
Maria Lourdes“ schon ein öffentlicher Verwalter bestellt sei und sie auch die für die<br />
selbstständige Leitung einer öffentlichen Apotheke geforderten Vorraussetzungen –<br />
gemeint war das einjährige Praktikum in einer österreichischen Apotheke zur<br />
Wiedererlangung der Leitungsbefugnis – nicht erfüllte, wurde ihr Ansuchen abgelehnt. 1007<br />
Weitere Interventionen in dieser Angelegenheit von Seiten ihres Anwalts Dr. Weller und<br />
des Provisorischen Ausschusses Österreichischer Apotheker beim Staatsamt für soziale<br />
Verwaltung blieben erfolglos. 1008<br />
Am 31. Jänner 1946 wurde der öffentliche Verwalter der Apotheke „Zur Maria Lourdes“<br />
<strong>Mag</strong>. Erwin Stögermayer von der Staatspolizei verhaftet – er wurde der ‚illegalen‘<br />
Mitgliedschaft in der NSDAP, des Registrierungsbetrugs und der Verschiebung von<br />
Medikamenten verdächtigt. 1009 Daraufhin wurde <strong>Mag</strong>.ª Maria Kless mit 1. Februar 1946 zur<br />
provisorischen Leiterin der Apotheke ernannt, 1010 und am selben Tag <strong>Mag</strong>.ª Malvine<br />
Kirschen in ihrer Apotheke als Pharmazeutin angestellt. 1011 Die Zusammenarbeit der<br />
beiden Apothekerinnen erwies sich allerdings als sehr konfliktreich, 1012 und am 22.<br />
Februar 1946 wurde <strong>Mag</strong>.ª Kirschen auf Weisung des Staatsamtes für soziale Verwaltung<br />
wieder aus ihrer Anstellung entlassen. 1013 Da es <strong>Mag</strong>.ª Kirschen in Folge nicht möglich<br />
war, in einer anderen Wiener Apotheke eine Anstellung zu finden und sie so die<br />
Berechtigung zur Leitung ihrer Apotheke nie erwerben hätte können, wurde ihr Anfang<br />
April von Bundesminister Maisel gestattet, in ihrer Apotheke als Angestellte weiter zu<br />
arbeiten. 1014 Um möglichst rasch wieder die Leitung ihrer Apotheke übernehmen zu<br />
können, wandte sie sich zusammen mit anderen ApothekerInnen, die mit ähnlichen<br />
Problemen konfrontiert waren, im Sommer 1946 mit der Bitte um Intervention an die<br />
1006 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, IV-162.905-15/45, <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen an<br />
das BMfsV vom 28.11.1945.<br />
1007 Ebd., Kt. 28, IV-162.905-15/45 u. IV-2578-15/46, StAfsV an <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen vom Jänner und Februar<br />
1946.<br />
1008 Ebd., Kt. 28, IV-2578-15/46, Aktenvermerk vom Jänner 1946 und Provisorischer Ausschuß Österreichischer<br />
Apotheker an das BMfsV vom 18.01.1946.<br />
1009 Ebd., Kt. 28, V-7473-18/46, Polizeidirektion Wien an das BMfsV vom 05.03.1946<br />
1010 Ebd., Kt. 28, V-4135-18/46, Wiener Apotheker Haupt-Gremium an das BMfsV vom 01.02.1946.<br />
1011 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1012 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, V-7038-18/46, Aktenvermerk vom Februar<br />
1946.<br />
1013 Ebd., <strong>Mag</strong>.ª Maria Kless an das BMfsV vom 23.02.1946.<br />
1014 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-11.480-18/46, BMfsV an <strong>Mag</strong>.ª Malvine<br />
Kirschen vom 10.04.1946.<br />
169
itische Militärregierung. 1015 Diese Vorgangsweise hatte Erfolg und <strong>Mag</strong>.ª Kirschen wurde<br />
am 17. August 1946 von der Britischen property control zur öffentlichen Verwalterin ihrer<br />
Apotheke bestellt. 1016<br />
1947 brachte <strong>Mag</strong>.ª Malvine Kirschen einen Antrag auf Rückstellung ihrer 1938<br />
entzogenen Apotheke ein. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am<br />
30. Juli 1947 mit einem Vergleich, in dem ihr die Apotheke „Zur Maria Lourdes“<br />
zurückgestellt wurde. 1017 Die Konzession für die Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>.ª Kirschen am 23.<br />
Dezember 1947. 1018<br />
Schubert-Apotheke, Wien 12., Gierstergasse 5 1019<br />
BesitzerInnen der Schubert-Apotheke waren seit Mai 1930 <strong>Mag</strong>. Max Philipp und seine<br />
Frau Stephanie Philipp. Die Konzession für die Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Max Philipp am<br />
5. August 1930. 1020 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 20.502,– auf 1021<br />
und war mit RM 16.751,08 verschuldet. 1022 Am 29. November 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Philipp<br />
von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner genötigt, seine Apotheke an <strong>Mag</strong>. Felix Porsche zu<br />
übertragen. 1023 Als Kaufpreis wurden am 1. Dezember 1938 von der Vermögensverkehrsstelle<br />
RM 14.373,– festgesetzt. Da die Betriebsschulden diesen Kaufpreis<br />
überschritten, wurde seitens der Vermögensverkehrsstelle auf die Vorschreibung einer<br />
‚Arisierungsauflage‘ verzichtet und der Kaufpreis zur Abdeckung der Verbindlichkeiten<br />
verwendet. <strong>Mag</strong>. Max Philipp und Stephanie Philipp erhielten nichts aus dem<br />
Zwangsverkauf ihrer Apotheke. 1024 Die Konzession zum Betrieb der Schubert-Apotheke<br />
erhielt <strong>Mag</strong>. Felix Porsche am 17. Jänner 1939. 1025<br />
<strong>Mag</strong>. Max Philipp und Stephanie Philipp konnten 1939 vor den NationalsozialistInnen<br />
1015 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, V-52.136-18/46, BMfsV an BMfVuW vom<br />
08.08.1946.<br />
1016 Ebd., Bescheid der britischen Militärregierung vom 17.08.1946.<br />
1017 Ebd., Bescheid des BMfVuW vom 16.12.1946<br />
1018 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
1019 Heute: Wien 12., Arndtstraße 88.<br />
1020 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1021 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1022 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, V-7473-18/46, MA 2/2 an BMfsV vom<br />
12.02.1946.<br />
1023 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 8, Anmeldung durch Dr. Emil Reem vom 24.10.1946.<br />
1024 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, V-7473-18/46, MA 2/2 an BMfsV vom<br />
12.02.1946.<br />
1025 Krug, Wiener Apotheken.<br />
170
fliehen und emigrierten in die USA. 1026<br />
Am 19. Juni 1946 wurde <strong>Mag</strong>. Felix Porsche verhaftet und <strong>Mag</strong>. Richard Harwald zum<br />
verantwortlichen Leiter der Schubert-Apotheke bestellt. <strong>Mag</strong>. Porsche wurde im Sommer<br />
1946 zu zwei Jahren verschärften, schweren Kerkers verurteilt, was in der Folge die<br />
Aberkennung des akademischen Grades, den Verlust der Konzession und ein<br />
Berufsverbot bis 1948 nach sich zog. 1027<br />
1947 beantragte <strong>Mag</strong>. Max Philipp von New York aus die Rückstellung der 1938<br />
entzogenen Apotheke, 1028 die 1948 auch zurückgestellt wurde. 1029 Die von <strong>Mag</strong>. Porsche<br />
1938 mit der ‚Arisierung‘ der Apotheke übernommenen Betriebsschulden erhielt dieser mit<br />
Vergleich vom 13. Dezember 1949 von <strong>Mag</strong>. Philipp rückerstattet. 1030<br />
5.1.13. Wien, Penzing<br />
Apotheke „Zum grünen Kreuz“, Wien 14., Linzerstraße 42<br />
Alleininhaber und Konzessionär der Apotheke „Zum grünen Kreuz“ war seit 1924<br />
<strong>Mag</strong>. Heinrich Nass. 1031 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 51.457,59<br />
auf und war mit RM 38.755,46 verschuldet. 1032 Am 10. Juni 1938 wurde der spätere<br />
‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Martin Aufschnaiter zum verantwortlichen Leiter bestellt 1033 und im Juli 1938<br />
<strong>Mag</strong>. Nass genötigt, diesem seine Apotheke zu verkaufen. 1034 Als Kaufpreis setzte die<br />
Vermögensverkehrsstelle einen Betrag von RM 36.020,30 fest. Da die Betriebsverbindlichkeiten<br />
diesen Kaufpreis überstiegen, sah die Vermögensverkehrsstelle auf<br />
Antrag von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner davon ab, eine ‚Arisierungsauflage‘ vorzuschreiben,<br />
sondern verfügte, dass der Kaufpreis zur Abdeckung der Betriebsschulden zu verwenden<br />
wäre. <strong>Mag</strong>. Heinrich Nass erhielt nichts aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke. 1035 Die<br />
1026 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 222.<br />
1027 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1028 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 8 u. 26, Vergleich vom 13.12.1949.<br />
1029 WStLA, M.Abt. 13, Kartei K 1/3, Apotheken.<br />
1030 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 12, 8 u. 26, Vergleich vom 13.12.1949.<br />
1031 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1032 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1033 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1034 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 14, 17, Anmeldung durch Maria Aufschnaiter vom 23.10.1946.<br />
1035 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
171
Konzession für die Apotheke „Zum grünen Kreuz“ erhielt <strong>Mag</strong>. Martin Aufschnaiter am<br />
8. November 1938, 1036 protokolliert im Wiener Handelsregister wurde der Besitzerwechsel<br />
der Apotheke schließlich im Februar 1939. 1037<br />
<strong>Mag</strong>. Heinrich Nass meldete sich noch 1938 mit unbekanntem Ziel aus Wien ab. 1038 Sein<br />
weiteres Schicksal ist unbekannt.<br />
<strong>Mag</strong>. Martin Aufschnaiter verstarb am 25. November 1941 1039 und die Apotheke „Zum<br />
grünen Kreuz“ ging im Erbwege an seine Frau Maria Aufschnaiter. 1040 Diese verpachtete<br />
den Betrieb mit 1. Februar 1942 an <strong>Mag</strong>. Viktor Pollner. 1041 Da <strong>Mag</strong>. Viktor Pollner am<br />
10. Jänner 1945 verstarb, übernahm seine Frau <strong>Mag</strong>.ª Karoline Pollner den Pachtvertrag.<br />
1042 Am 30. April 1947 trat <strong>Mag</strong>.ª Karoline Pollner von diesem Pachtvertrag zurück<br />
und die Apotheke wurde bis zur Zurücklegung der Konzession durch Maria Aufschnaiter<br />
am 18. September 1951 von wechselnden verantwortlichen Leitern geführt. 1043<br />
1949 beantragte Emanuel Nass, Dentist in Kattowice und Erbe nach <strong>Mag</strong>. Heinrich Nass,<br />
die Rückstellung der Apotheke „Zum grünen Kreuz“. In einem am 30. Juni 1951 vor der<br />
Rückstellungskommission Wien V geschlossenen Vergleich wurde zwischen Emanuel<br />
Nass und Maria Aufschnaiter vereinbart, dass Emanuel Nass im Falle eines Verkaufs der<br />
Apotheke ÖS 600.000,– vom Verkaufserlös als Entschädigung für den 1938 erfolgten<br />
Vermögensentzug bekommen sollte. 1044 Die Apotheke „Zum grünen Kreuz“ wurde daher<br />
noch im selben Jahr an die am 1. Juli 1951 gegründete offene Handelsgesellschaft<br />
„Apotheke zum grünen Kreuz, <strong>Mag</strong>. Wieninger & Dr. Zipperer“ verkauft. 1045 Die Konzession<br />
für die Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Otto Wieninger am 18. September 1951. 1046<br />
1036 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1037 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 7 (1939), 102.<br />
1038 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 222.<br />
1039 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1040 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-34.288-18/46, Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium an BMfsV vom 06.07.1946.<br />
1041 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1042 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-34.288-18/46, Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium an BMfsV vom 06.07.1946.<br />
1043 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1044 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 14, 17, Vergleich vom 30.06.1951.<br />
1045 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 7081.<br />
1046 Krug, Wiener Apotheken.<br />
172
Apotheke „Zur göttlichen Vorsehung“, Wien 14., Linzerstraße 373 1047<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zur göttlichen Vorsehung“ war seit 1921<br />
<strong>Mag</strong>. Heinrich Semis. 1048 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Umsatz von<br />
RM 30.148,– und war schuldenfrei. 1049 Nach dem ‚Anschluß‘ wurde <strong>Mag</strong>. Heinrich Semis<br />
verhaftet und im Konzentrationslager Dachau interniert. Von dort stellte er im Juli 1938<br />
mittels eines Abwesenheitskurators an die Vermögensverkehrsstelle einen Antrag um<br />
Genehmigung zur Veräußerung seiner Apotheke. Eine erste Vereinbarung vom 9 August<br />
1938 sah als Käufer für die Apotheke <strong>Mag</strong>. Friedrich Doskar vor. Da <strong>Mag</strong>. Doskar kein<br />
Parteigenosse war, wurde von der Vermögensverkehrsstelle mit Unterstützung der<br />
NSDAP-Kreisleitung Wien VII der ‚illegale‘ Parteigenosse <strong>Mag</strong>. Hermann Reibmayr als<br />
Käufer vorgeschlagen und am 27. November 1938 der Verkauf der Apotheke an diesen<br />
genehmigt. Als Kaufpreis wurden von der Vermögensverkehrsstelle RM 21.103,60<br />
bestimmt, die <strong>Mag</strong>. Reibmayr in zehn Jahresraten abzahlen sollte. <strong>Mag</strong>. Heinrich Semis<br />
sollte RM 9.441,44 erhalten. Am 25. November 1938 wurde zwischen <strong>Mag</strong>. Reibmayr und<br />
<strong>Mag</strong>. Heinrich Semis – letzterer war mittlerweile Häftling des Konzentrationslagers<br />
Buchenwald – in diesem Sinne ein Kaufvertrag zur Übertragung der Apotheke errichtet,<br />
der von der Vermögensverkehrsstelle unter Vorschreibung einer ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 12.662,16 am 14. Jänner 1939 genehmigt wurde. 1050 Die Konzession für die Apotheke<br />
wurde <strong>Mag</strong>. Reibmayr am 24. März 1939 erteilt. 1051 Am 10. Juni 1941 wurde das<br />
Unternehmen in eine offene Handelsgeselschaft umgewandelt, der Gisela Reibmayr als<br />
Gesellschafterin beitrat. 1052<br />
<strong>Mag</strong>. Heinrich Semis war zumindest bis 1940 im Konzentrationslager Buchenwald<br />
inhaftiert. Er wurde später nach Polen deportiert, wo sich seine Spuren verlieren. Er hat<br />
die Shoa nicht überlebt. 1053<br />
Mit Bescheid der Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung 15 vom 19. Juni 1946 wurde <strong>Mag</strong>.ª Edith<br />
Hufeisen zur verantwortlichen Leiterin der Apotheke „Zur göttlichen Vorsehung“ bestellt.<br />
1047 Heute: Belladonna-Apotheke, Wien 14., Linzerstraße 383.<br />
1048 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1049 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1050 WStLA, LGZ, A 29, Rk 11/60, Antrag vom 22.02.1960.<br />
1051 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1052 WStLA, LGZ, A 29, Rk 11/60, Antrag vom 22.02.1960.<br />
1053 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 224.<br />
173
Sie führte die Apotheke bis zur Übergabe der Geschäftsleitung an <strong>Mag</strong>. Reibmayr am<br />
12. November 1948. 1054 Da Wilhelm Semis, der Erbe nach <strong>Mag</strong>. Hermann Semis, in der<br />
vom Dritten Rückstellungsgesetz dafür vorgesehenen Frist keinen Antrag auf Rückstellung<br />
der Apotheke stellte, 1055 wurde am 22. Februar 1960 von der Sammelstelle B ein<br />
entsprechender Antrag bei der Rückstellungskommission Wien V eingebracht. Das<br />
Rückstellungsverfahren endete am 3. Juni 1960 mit einem Vergleich, in dem die Sammelstelle<br />
B gegen die Zahlung von ÖS 1,100.000,– auf die Rückstellung der Apotheke „Zur<br />
göttlichen Vorsehung“ verzichtete. 1056<br />
St. Lukas-Apotheke, Wien 14., Penzingerstraße 99<br />
Besitzer und Konzessionär der St. Lukas-Apotheke war seit 1934 Dr. Albert<br />
Wolkenberg. 1057 Das Unternehmen erzielte 1937 einen Jahresumsatz von RM 40.519,– 1058<br />
und war mit Außenständen in der Höhe von ungefähr RM 48.600,– belastet. 1059 Am 29.<br />
September 1938 wurde der spätere ‚Ariseur‘ der Apotheke, <strong>Mag</strong>. Bruno Gräser, ‚illegales‘<br />
Mitglied der NSDAP, 1060 zum verantwortlichen Leiter bestellt. 1061 In Folge wurde ihm von<br />
der Vermögensverkehrsstelle der Erwerb der Apotheke unter Übernahme der<br />
Außenstände und Bezahlung des festgesetzten Kaufpreises von RM 28.350,– genehmigt.<br />
Dr. Albert Wolkenberg erhielt weiter nichts aus dem Verkauf seiner Apotheke. 1062 Am 6.<br />
Juni 1939 wurde, nachdem Dr. Albert Wolkenberg darauf verzichtete, die Konzession für<br />
die Apotheke an <strong>Mag</strong>. Bruno Gräser erteilt. 1063<br />
Dr. Albert Wolkenberg konnte sich vor der nationalsozialistischen Verfolgung in Sicherheit<br />
bringen und emigrierte nach London. 1064<br />
Am 15. April 1946 wurde <strong>Mag</strong>.ª Walfriede Korber zur verantwortlichen Leiterin für die<br />
1054 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1055 WStLA, LGZ, A 29, Rk 11/60, Gegenäußerung vom 21.03.1960.<br />
1056 Ebd., Vergleich vom 03.06.1960.<br />
1057 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1058 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1059 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 14, 329, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Bruno Gräser vom 16.11.1946.<br />
1060 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-31.599-18/46, Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium an das BMfsV vom 25.04.1946.<br />
1061 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1062 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 14, 329, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Bruno Gräser vom 16.11.1946.<br />
1063 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1064 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 14, 283, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Walfriede Korber vom 14.11.1946<br />
174
Apotheke bestellt, da <strong>Mag</strong>. Bruno Gräser mit Berufsverbot belegt war. 1065 1947 machte<br />
Dr. Albert Wolkenberg von London aus seine Rückstellungsansprüche geltend und 1948<br />
wurde ihm seine Apotheke zurückgestellt. 1066 Zur Bereinigung sämtlicher Gegenansprüche<br />
seitens <strong>Mag</strong>. Bruno Gräser wurde am 12. April 1950 vor der Rückstellungskommission<br />
Wien I ein Vergleich geschlossen, durch den mit Zahlung von ÖS 10.000,– an<br />
<strong>Mag</strong>. Gräser sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus der Entziehung der Apotheke ausgeglichen<br />
wurden. 1067 Dr. Albert Wolkenberg verkaufte daraufhin seine Apotheke an<br />
<strong>Mag</strong>. Maximilian Winternitz, der am 25. April 1950 auch die Konzession für die St. Lukas-<br />
Apotheke erhielt. 1068<br />
5.1.14. Wien, Rudolfsheim-Fünfhaus<br />
Adler-Apotheke, Wien 15., Märzstraße 49<br />
Besitzerin der Adler-Apotheke war Anfang 1938 eine offene Handelsgesellschaft, deren<br />
Gesellschafter zu gleichen Teilen Dr. Maximilian Barber und <strong>Mag</strong>. Alfred Müller waren. 1069<br />
Konzessionär der Apotheke war seit April 1919 <strong>Mag</strong>. Alfred Müller. 1070 Der 1937 erzielte<br />
Jahresumsatz der Adler-Apotheke belief sich auf etwa RM 100.000,– dem allerdings<br />
Betriebsschulden von RM 102,903,70 gegenüberstanden. 1071 Am 7. Mai 1938 wurde der<br />
langjährige Mitarbeiter <strong>Mag</strong>. Josef Cassel – er war seit Jänner 1920 in der Adler-Apotheke<br />
angestellt 1072 – zum verantwortlichen Leiter ernannt. 1073 Mit Hilfe der Vermögensverkehrsstelle<br />
‚arisierte‘ er am 1. August 1938 die Adler-Apotheke, 1074 wobei die<br />
Übernahme der Betriebsverbindlichkeiten den Kaufpreis darstellte. 1075 Weder wurde bei<br />
dieser ‚Arisierung‘ eine ‚Arisierungsauflage‘ vorgeschrieben, noch erhielten die Vorbesitzer<br />
auf offiziellem Weg irgendeine Gegenleistung. 1076<br />
Inoffiziell erhielten Dr. Barber<br />
1065 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1066 WStLA, M.Abt. 13, Kartei K 1/3, Apotheken.<br />
1067 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 14, 283 u. 329, Vergleich vom 12.04.1950.<br />
1068 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1069 Krug, Wiener Apotheken; ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef<br />
Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1070 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1071 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 128, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Margarete Kaunitz vom 10.11.1946; ÖStA,<br />
AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939<br />
1072 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1073 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1074 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 128, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Margarete Kaunitz vom 10.11.1946.<br />
1075 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-34.288-18/46, Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium an BMfsV vom 06.07.1946.<br />
1076 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
175
RM 5.000,– und <strong>Mag</strong>. Müller RM 7.000,– vom ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Josef Cassel ausbezahlt. 1077<br />
Die Konzession für die Adler-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Cassel am 21. Dezember 1939. 1078<br />
<strong>Mag</strong>. Alfred Müller konnte am 14. September 1939 Österreich verlassen und emigrierte in<br />
die USA, 1079 wo er später in Los Angeles die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb und<br />
als Krankenhausapotheker tätig wurde. 1080 Auch Dr. Barber konnte sich 1939 vor den<br />
NationalsozialistInnen in Sicherheit bringen und flüchtete nach Belgien, 1081 wo er in Brüssel<br />
die NS-Herrschaft überlebte. 1082<br />
Am 28. Februar 1947 wurde die Apotheke unter öffentliche Verwaltung gestellt und in<br />
Folge von <strong>Mag</strong>.ª Margarete Kautz geleitet. 1083 Noch im selben Jahr beantragten Dr. Barber<br />
und <strong>Mag</strong>. Müller aus dem Exil die Rückstellung ihrer 1938 entzogenen Apotheke. In einem<br />
daraufhin geführten Rückstellungsverfahren wurde ihnen mit Teilerkenntnis der<br />
Rückstellungskommission Wien V vom 30. April 1948 die Adler-Apotheke samt dem<br />
Anrecht auf die Wiedererlangen der Konzession zurückgestellt. 1084 <strong>Mag</strong>. Alfred Müller und<br />
Dr. Maximilian Barber setzten 1948 ihre durch die nationalsozialistischen Zwangsmaßnahmen<br />
aufgelöste Sozietät fort und kehrten nach Wien zurück. 1085 Um die für die<br />
Wiedererlangung der Konzession nötige Praxis in einer österreichischen Apotheke<br />
nachweisen zu können, arbeitete <strong>Mag</strong>. Müller ab 1. November 1948 als Angestellter in<br />
seiner eigenen Apotheke und erhielt schließlich die Konzession für die Adler-Apotheke am<br />
3. Oktober 1949. 1086<br />
Apotheke „Zur heiligen Corona“, Wien 15., Sechshauserstraße 104<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zur heiligen Corona“ war seit 1914<br />
<strong>Mag</strong>. Leopold Goranin. 1087 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 34.308,08 und war mit RM 16.862,12 – zum Großteil Warenschulden bei der Herba –<br />
1077 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 128, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Margarete Kaunitz vom 10.11.1946.<br />
1078 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1079 Ebd.<br />
1080 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 148.<br />
1081 Vgl. ebd., 218.<br />
1082 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 198, Anmeldung durch Dr. Maximilian Barber vom 09.06.1947.<br />
1083 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1084 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 128 u. 198, Teilerkenntnis vom 30.04.1948.<br />
1085 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 148.<br />
1086 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1087 Krug, Wiener Apotheken.<br />
176
verschuldet. <strong>Mag</strong>. Goranin versuchte der ab März 1938 drohenden ‚Arisierung‘ seiner<br />
Apotheke zuvorzukommen und verpachtete sie am 24. April 1938 an <strong>Mag</strong>. August<br />
Hambek. Dieses Arrangement wurde allerdings – wie in anderen Fällen auch – vom<br />
Kommissarischen Verwalter der jüdischen Apotheken in der Ostmark, SA-<br />
Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner, nicht akzeptiert, und <strong>Mag</strong>. Goranin wurde am 8. Juli<br />
1938 genötigt, seine Apotheke an <strong>Mag</strong>. August Hambek zu veräußern. 1088 Letzterer wurde<br />
am 22. Juli 1938 zum verantwortlichen Leiter der Apotheke „Zur heiligen Corona“ bestellt<br />
und erhielt die Konzession für die Apotheke am 14. Oktober 1938. 1089 Die ‚Arisierung‘ der<br />
Apotheke wurde am 11. November 1938 von der Vermögensverkehrsstelle genehmigt und<br />
ein Kaufpreis von RM 24.015,66 festgesetzt. Nach Abzug der Betriebsverbindlichkeiten<br />
wurden RM 7.153,24 als ‚Arisierungsauflage‘ zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle<br />
vorgeschrieben. <strong>Mag</strong>. Goranin erhielt nichts aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke. 1090<br />
Im Jänner 1939 wurde dieser Besitzerwechsel schließlich im Wiener Handelsregister<br />
protokolliert. 1091<br />
<strong>Mag</strong>. Leopold Goranin konnte 1939 vor den NationalsozialistInnen fliehen und emigrierte<br />
über Großbritannien in die USA. 1092<br />
Am 20. Oktober 1945 wurde die Apotheke „Zur Corona“ unter öffentliche Verwaltung<br />
gestellt und ab 6. November 1945 von <strong>Mag</strong>. Walter Santi geleitet. 1093 1947 beantragte<br />
<strong>Mag</strong>. Leopold Goranin von Chicago aus die Rückstellung seiner Apotheke. Im daraufhin<br />
geführten Rückstellungsverfahren wurde ihm mit Teilerkenntnis vom 6. November 1947 die<br />
Apotheke „Zur heiligen Corona“ samt Mietrechten und dem Anrecht auf die Wiedererlangung<br />
der Konzession zum Betrieb derselben zurückgestellt. 1094 <strong>Mag</strong>. Goranin kehrte<br />
1948 nach Wien zurück, konnte allerdings die Leitung seiner Apotheke nicht sofort<br />
übernehmen, da ihm die nach dem Apothekengesetz nötige Praxis in einer<br />
österreichischen Apotheke fehlte. Erst nach Absolvierung eines sechsmonatigen<br />
Praktikums in einer fremden Apotheke sollte er am 1. Juli 1949 wieder die Leitung seiner<br />
Apotheke übernehmen können. Tragischerweise verstarb <strong>Mag</strong>. Leopold Goranin zwei<br />
1088 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 140, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. August Hambeck vom 08.11.1946.<br />
1089 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1090 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 140, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. August Hambeck vom 08.11.1946.<br />
1091 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 3 (1939), 44.<br />
1092 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 220.<br />
1093 Krug, Wiener Apotheken; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 140, Vergleich vom 19.10.1948.<br />
1094 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 140, Teilerkenntnis vom 06.11.1947.<br />
177
Tage vor der geplanten Übernahme seiner Apotheke am 29. Juni 1949. 1095<br />
Apotheke „Zur heiligen Maria vom Siege“, Wien 15., Mariahilferstraße 154 1096<br />
Konzessionär und Inhaber der Apotheke „Zur heiligen Maria vom Siege“ war seit 1926<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Luka. 1097 Der Apothekenbetrieb erwirtschaftete im Jahre 1937 einen Umsatz von<br />
RM 46.700,– und war schuldenfrei. 1098 Am 15. Juli 1938 wurde die Apotheke von<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Lemmerhofer und <strong>Mag</strong>. Rudolf Zaininger ‚arisiert‘. 1099 Der von der<br />
Vermögensverkehrsstelle festgesetzte Kaufpreis sollte RM 32.960,– betragen, 1100 es<br />
wurden allerdings von <strong>Mag</strong>. Lemmerhofer und <strong>Mag</strong>. Zaininger nur RM 13.076,– als<br />
‚Entjudungsauflage‘ und weitere RM 5.671,12 als restlicher Kaufpreis an die Vermögensverkehrsstelle<br />
überwiesen, <strong>Mag</strong>. Otto Luka hat für seine Apotheke nichts erhalten. 1101 Die<br />
Konzession für die Apotheke wurde am 29. September 1938 an <strong>Mag</strong>. Franz Lemmerhofer<br />
übertragen. Mit 1. Oktober 1938 wurde von den ‚Ariseuren‘ eine offene Handelsgesellschaft<br />
als Betriebsgesellschaft gegründet und die Apotheke umbenannt in „Sieg-<br />
Apotheke“. 1102 1940 wurde der Standort der Apotheke in die Mariahilferstraße 151<br />
verlegt. 1103<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Luka konnte noch 1938 aus Österreich flüchten, 1104 wurde aber später in Italien<br />
gefasst und von dort – Ort und Zeit seiner Deportation sind nicht bekannt – in ein Lager<br />
gebracht und ermordet. 1105<br />
Die Apotheke „Zur heiligen Maria vom Siege“ wurde vom 16. August 1945 bis zum 20. Juli<br />
1946 von <strong>Mag</strong>.ª Edith Feigl als öffentliche Verwalterin und danach bis zum 22. Dezember<br />
1948 – <strong>Mag</strong>. Franz Lemmerhofer war auf Grund seiner NSDAP-Mitgliedschaft mit Berufsverbot<br />
belegt – von <strong>Mag</strong>.ª Hedwig Deml als verantwortliche Leiterin geführt. Am<br />
25. Jänner 1949 übernahm wieder <strong>Mag</strong>. Franz Lemmerhofer die Leitung und Geschäfts-<br />
1095 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 148.<br />
1096 Heute: Apotheke „Maria vom Siege“.<br />
1097 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1098 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1099 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 15, 380, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Hedwig Deml vom 15.11.1946.<br />
1100 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1101 WStLA, LGZ, A 29, Rk 97/59, Rückstellungsantrag vom 06.11.1959.<br />
1102 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 49 (1938), 237.<br />
1103 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1104 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 222.<br />
1105 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
178
führung der Apotheke. 1106<br />
Da <strong>Mag</strong>. Otto Luka keine RechtsnachfolgerInnen hinterließ, brachte die Sammestelle A am<br />
6. November 1959 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien V einen Rückstellungsantrag<br />
gegen <strong>Mag</strong>. Franz Lemmerhofer und <strong>Mag</strong>. Rudolf Zaininger ein. Das Verfahren<br />
endete am 18. November 1959 mit einem Vergleich, in dem die Sammelstelle A gegen<br />
eine Zahlung von ÖS 1.000.000,– auf die Rückstellung der Apotheke verzichtete. 1107<br />
5.1.15. Wien, Ottakring<br />
Adler-Apotheke, Wien 16., Kirchstetterngasse 36<br />
Konzessionär und Inhaber der Adler-Apotheke in Ottakring war Anfang 1938 Dr. Karl<br />
Blaskopf. Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Umsatz von RM 74.466,30 und war<br />
lastenfrei. 1108 Die Apotheke wurde vor August 1938 – ein Datum der<br />
Eigentumsübertragung und Details dazu sind nicht bekannt, der ‚Ariseur‘ verfasste<br />
allerdings eine Eröffnungsbilanz datiert vom 1. August 1938 – von <strong>Mag</strong>. Josef Stumm<br />
‚arisiert‘. 1109 Als Kaufpreis wurde von der Vermögensverkehrsstelle ein Betrag von<br />
RM 52.126,41 festgesetzt, wovon RM 31.275,85 als ‚Arisierungsauflage‘ an die<br />
Vermögensverkehrsstelle zu überweisen waren, RM 20.850,56 erhielt Dr. Karl Blaskopf<br />
auf ein Sperrkonto gutgeschrieben. 1110 Die Übertragung der Konzession an <strong>Mag</strong>. Josef<br />
Stumm erfolgte im September 1938. 1111<br />
Dr. Karl Blaskopf wurde am 28.Oktober 1941 von Wien nach Litzmannstadt deportiert, wo<br />
er am 7. April 1942 ermordet wurde. 1112<br />
Als sich die Rote Armee im April 1945 Wien näherte, flüchtete <strong>Mag</strong>. Josef Stumm aus<br />
Wien. 1113 Die Leitung der verwaisten Apotheke übernahm am 8. Juni 1945 <strong>Mag</strong>.ª Hermine<br />
1106 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1107 WStLA, LGZ, A 29, Rk 97/59, Vergleich vom 18.11.1959.<br />
1108 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1109 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 263, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Hermine Paukert vom 14.11.1946.<br />
1110 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1111 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 41 (1939), 128.<br />
1112 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
1113 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt. 2, IV-160.868-15/45, Wiener Gebietskrankenkasse<br />
an das StAfsV vom 24.07.1945.<br />
179
Paukert. 1114 Am 16. August 1945 wurde sie zur öffentlichen Verwalterin der Adler-Apotheke<br />
bestellt und führte die Apotheke bis zur Aufhebung der öffentlichen Verwaltung am 11.<br />
November 1950. 1115 1948 stellten die ErbInnen nach Dr. Karl Blaskopf, <strong>Mag</strong>.ª Marianne<br />
und <strong>Mag</strong>. Hans Blaskopf, einen Antrag auf Rückstellung der 1938 entzogenen Apotheke<br />
und deren Betriebsrechten. Am 7. Februar 1950 wurde die Apotheke samt Konzession<br />
und Großdrogenkonzession an <strong>Mag</strong>. Hans Blaskopf und <strong>Mag</strong>.ª Marianne Blaskopf<br />
zurückgestellt. 1116<br />
Apotheke Dr. E. Kolda, Wien 16., Nepomuk Berger-Platz 2 1117<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke war seit 1922 <strong>Mag</strong>. Ephraim David Beres. 1118 Der<br />
Jahresumsatz des Betriebes betrug 1937 RM 77.762,34, die Passiven beliefen sich auf<br />
RM 69.730,20. 1119 Unter Regie der Vermögensverkehrsstelle wurde <strong>Mag</strong>. Beres am 11. Juli<br />
1938 genötigt, seine Apotheke an <strong>Mag</strong>. Oskar Bittner zu verkaufen. 1120 Am 22. Juli wurde<br />
<strong>Mag</strong>. Bittner als verantwortlicher Leiter der Apotheke eingesetzt. 1121 Als Kaufpreis für die<br />
Apotheke wurde bei dieser Transaktion von der Vermögensverkehrsstelle der Betrag von<br />
RM 54.433,60 festgesetzt. Da die Betriebsverbindlichkeiten diesen Kaufpreis überstiegen,<br />
sah die Vermögensverkehrsstelle auf Ansuchen <strong>Mag</strong>. Edwin Renners davon ab, eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ vorzuschreiben, sondern übergab die Apotheke mit der Auflage, die<br />
Schulden zu begleichen, an <strong>Mag</strong>. Bittner. 1122 <strong>Mag</strong>. David Beres erhielt offiziell nichts aus<br />
dem Zwangsverkauf seiner Apotheke, nach Angabe des späteren öffentlichen Verwalters<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Höss bezahlte jedoch <strong>Mag</strong>. Bittner RM 10.000,– in bar an <strong>Mag</strong>. Beres. 1123 Die<br />
Konzession für die Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Oskar Bittner am 11. November 1938 und<br />
änderte ihren Namen in „Neulerchenfelder-Apotheke“. 1124<br />
<strong>Mag</strong>. Ephraim David Beres verstarb am 15. Oktober 1939 in Wien und wurde drei Tage<br />
1114 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt.3, IV-161.524-15/45, Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung II<br />
an das StAfsV vom 14.09.1945.<br />
1115 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1116 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 263, Vergleich vom 07.02.1950.<br />
1117 Früher: Apotheke „Zur Mariahilf“, heute: Neulerchenfelder-Apotheke. Obiger Name nach Wiener Adreßbuch.<br />
Lehmanns Wohnungsanzeiger, Bd. 1, Teil III , Jg. 79 (1938), 9.<br />
1118 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1119 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1120 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 82, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Franz Höss vom 11.11.1946.<br />
1121 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1122 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1123 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 82, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Franz Höss vom 11.11.1946.<br />
1124 Krug, Wiener Apotheken.<br />
180
später am Wiener Zentralfriedhof beerdigt. 1125 Seine Frau Helene Beres und sein Sohn<br />
Kurt wurden am 12. Mai 1942 von Wien nach Izbica deportiert und dort ermordet. 1126 Die<br />
beiden Töchter von <strong>Mag</strong>. Beres, Gerda und Luise, konnten sich nach Großbritannien und<br />
Belgien in Sicherheit bringen und überlebten die nationalsozialistische Verfolgung. 1127<br />
Die Neulerchenfelder-Apotheke wurde am 10. August 1945 unter öffentliche Verwaltung<br />
gestellt und in der Folge von <strong>Mag</strong>. Josef Holzinger und <strong>Mag</strong>. Franz Höss geleitet. 1128 1948<br />
beantragten die Töchter und Erbinnen von <strong>Mag</strong>. David Beres, Gerda Gichner und Luise<br />
Mammes, die Rückstellung der ihrem Vater 1938 entzogenen Apotheke. Das daraufhin<br />
geführte Rückstellungsverfahren endete am 16. Mai 1950 mit einem Vergleich vor der<br />
Rückstellungskommission Wien I. Gegen eine Ausgleichszahlung von ÖS 75.000,– an<br />
<strong>Mag</strong>. Oskar Bittner und seine Frau Ottilie Bittner erhielten die Antragstellerinnen die<br />
Neulerchenfelder-Apotheke samt Mietrechten und Konzession zurückgestellt. 1129<br />
Herbst-Apotheke, Wien 16., Herbststraße 99<br />
Besitzer 1130 und Konzessionär 1131 der Herbst-Apotheke war Anfang 1938 <strong>Mag</strong>. Simon<br />
Keitsch. Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 34.991,13 auf und war mit<br />
etwa RM 11.000,– verschuldet. 1132 Dass die nationalsozialistischen ‚Ariseure‘ alle ihnen zur<br />
Verfügung stehenden Mittel einsetzten, um die jüdischen BesitzerInnen österreichischer<br />
Apotheken zum Verkauf derselben zu nötigen, zeigt die folgende Stellungnahme von<br />
<strong>Mag</strong>. Keitsch zur ‚Arisierung‘ seiner Herbst-Apotheke:<br />
Ich wurde im Jahre 1938 in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Dort wurde<br />
ich eines Tages gezwungen, 2 Urkunden zu unterfertigen, in denen ich einerseits<br />
auf die Konzession, andererseits auf die Apotheke samt Einrichtung und Warenlager<br />
verzichtete. Ich erhielt für den Verzicht keinerlei Gegenleistung. Zum Beweis<br />
1125 IKG Wien, Friedhofsdatenbank, http://www.ikg-wien.at (März 2008).<br />
1126 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (März 2008).<br />
1127 Krug, Wiener Apotheken; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 82, Vergleich vom 16.05.1950.<br />
1128 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1129 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 82, Vergleich vom 16.05.1950.<br />
1130 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 20, Notar Dr. Josef. Mitter an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den 16.<br />
Bezirk vom 24.05.1949.<br />
1131 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1132 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939. In<br />
diesem Bericht fehlen allerdings die exakten Zahlen zum oben angeführten Schuldenstand der Herbst-Apotheke. Da<br />
diese auch anderweitig nicht eruiert werden konnten, wurden sie aus dem festgesetzten Kaufpreis abzüglich der<br />
‚Arisierungsauflage‘ errechnet.<br />
181
dafür beziehe ich mich auf ein in meiner Hand befindliches Schreiben des<br />
Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten, Volksgesundheitsamt vom<br />
10. Oktober 1938, an die Reichsfluchtsteuerstelle in Wien, worin mitgeteilt wird,<br />
dass meine Apotheke arisiert wurde und ich aus der Apotheke nichts bekommen<br />
habe, sodass ersucht wird, mir ein Unbedenklichkeitszeugnis auszustellen. 1133<br />
Am 9. Juli 1938 wurde der spätere ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Josef Kohberger als verantwortlicher<br />
Leiter für die Herbst-Apotheke bestellt 1134 und erhielt die Apotheke am 1. Oktober 1938 von<br />
der Vermögensverkehrsstelle übertragen. 1135 Diese setzte einen Kaufpreis von<br />
RM 24.493,79 fest, wovon RM 13.546,73 als ‚Arisierungsauflage‘ an die Vermögensverkehrsstelle<br />
abzuführen waren, der Rest des Kaufpreises sollte zur Abdeckung der<br />
Betriebsverbindlichkeiten verwendet werden. <strong>Mag</strong>. Simon Keitsch erhielt nicht aus dem<br />
Zwangsverkauf seiner Apotheke. 1136 Die Konzession für die Herbst-Apotheke erhielt<br />
<strong>Mag</strong>. Josef Kohberger mit Bescheid der <strong>Mag</strong>istratsabteilung 8 in Wien vom 29. November<br />
1938. 1137<br />
Am 27. Dezember 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Simon Keitsch aus dem Konzentrationslager entlassen<br />
und konnte sich am 28. Jänner 1939 nach Shanghai in Sicherheit bringen, wo er<br />
das Ende der NS-Herrschaft überlebte. 1138<br />
Am 10. April 1945 schied <strong>Mag</strong>. Josef Kohberger durch Selbstmord aus dem Leben 1139 und<br />
die Herbst-Apotheke wurde am 19. Juni 1945 unter öffentliche Verwaltung gestellt. 1140 Bis<br />
zur Rückstellung an <strong>Mag</strong>. Keitsch und Übernahme der Leitung durch ihn wurde die<br />
Apotheke von <strong>Mag</strong>. Otto Pfanzagl geleitet. 1141 1947 beantragte <strong>Mag</strong>. Keitsch – er war<br />
inzwischen nach Melbourne in Australien emigriert – die Rückstellung der Herbst-<br />
Apotheke. Mit einem Vergleich, geschlossen vor der Rückstellungskommission Wien I am<br />
6. Mai 1949, wurde ihm die Apotheke samt allen Aktiva und dem Anrecht auf die<br />
Konzession zurückgestellt. 1142 <strong>Mag</strong>. Simon Keitsch kehrte daraufhin am 30. Oktober 1949<br />
1133 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 119, RA Dr. Viktor Lefford für <strong>Mag</strong>. Simon Keitsch an das <strong>Mag</strong>istratische<br />
Bezirksamt für den 16. Bezirk vom 15.11.1946.<br />
1134 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1135 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 20, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Otto Pfanzagl vom 02.11.1946.<br />
1136 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1137 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 50 (1938), 257.<br />
1138 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
1139 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 20, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Otto Pfanzagl vom 02.11.1946.<br />
1140 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1141 Ebd.<br />
1142 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 16, 20 u. 119, Vergleich vom 06.05.1949.<br />
182
nach Wien zurück und unterzog sich einem halbjährigen Praktikum in seiner Apotheke, um<br />
am 4. Mai 1950 auch wieder die Konzession für die Herbst-Apotheke zu erlangen. 1143 Am<br />
1. März 1951 gab er die Konzession für die Apotheke weiter 1144 und kehrte nach Australien<br />
zurück. 1145<br />
5.1.16. Wien, Hernals<br />
Apotheke Mr. Ph. Franz Wessely, Wien 17., Parhamerplatz 6 1146<br />
Alleininhaber und Konzessionär der Apotheke am Parhamerplatz in Wien-Hernals war<br />
1938 <strong>Mag</strong>. Ignaz Großberg. 1147 Der Umsatz der Apotheke betrug im Jahr 1937<br />
RM 43.540,–. Der Betrieb war mit Außenständen – im Wesentlichen ein Darlehen des<br />
Vorbesitzers <strong>Mag</strong>. Franz Wessely 1148 – in der Höhe von RM 49.000,– belastet. 1149 Im Juli<br />
1938 wurde <strong>Mag</strong>. Ernst Clemens von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner zum verantwortlichen Leiter der<br />
Apotheke bestellt 1150 und unter Ausschluss von <strong>Mag</strong>. Großberg am 27. Juli 1938 in der<br />
Vermögensverkehrsstelle ein Kaufvertrag errichtet, 1151 der die Apotheke gegen die<br />
Übernahme der Außenstände an <strong>Mag</strong>. Clemens übertrug. 1152 Mit Bescheid des Wiener<br />
<strong>Mag</strong>istrats vom 26. September 1938 erhielt <strong>Mag</strong>. Ernst Clemens auch die Konzession für<br />
die Apotheke und wurde im Jänner 1939 als neuer Inhaber in das Handelsregister<br />
eingetragen. 1153<br />
<strong>Mag</strong>. Ignaz Großberg wartete die weitere Entwicklung nicht ab und flüchtete noch 1938<br />
nach Palästina, wo er in Tel Aviv als Besitzer wieder eine Apotheke betrieb. 1154<br />
1143 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
1144 Ebd.<br />
1145 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 149.<br />
1146 Heute: Apotheke <strong>Mag</strong>. pharm. Roland Clemens<br />
1147 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 40 (1938), 117; Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 5<br />
(1939), 17.<br />
1148 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 224, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Ernst Clemens vom 25.10.1946.<br />
1149 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1150 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 33 (1938), 24.<br />
1151 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 224, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Ernst Clemens vom 25.10.1946; WStLA,<br />
M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 110, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Ignaz Großberg vom 21.01.1947.<br />
1152 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1153 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 40 (1938), 117; Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 5<br />
(1939), 17.<br />
1154 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 220; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 110, Anmeldung durch<br />
<strong>Mag</strong>. Ignaz Großberg vom 21.01.1947.<br />
183
Nach 1945 wurde <strong>Mag</strong>. Franz Pfefferkorn mit Bescheid des Wiener <strong>Mag</strong>istrats vom 15.<br />
April 1946 zum verantwortlichen Leiter der Apotheke bestellt, da <strong>Mag</strong>. Clemens durch<br />
seine Mitgliedschaft in der NSDAP mit Berufsverbot belegt war. Am 12. Februar 1948<br />
wurde <strong>Mag</strong>. Ernst Clemens wieder zur Berufsausübung zugelassen und ihm mit<br />
Aufhebung der Leiterbestellung am 10. Juli 1948 auch die Übernahme der Geschäfte<br />
ermöglicht.<br />
Am 21. Jänner 1947 meldete <strong>Mag</strong>. Ignaz Großberg seinen Anspruch auf die ihm 1938<br />
entzogene Apotheke an 1155 und schloss am 5. Jänner 1950 vor der Rückstellungskommission<br />
Wien I mit <strong>Mag</strong>. Ernst Clemens einen Vergleich, in dem <strong>Mag</strong>. Großberg gegen<br />
die Zahlung von ÖS 60.000,– auf die Rückstellung der Apotheke am Parhamerplatz<br />
verzichtete. 1156<br />
Apotheke „Zum heiligen Bartholomäus“, Wien 17., Hernalser Hauptstraße 56 1157<br />
Alleininhaberin und Konzessionärin der Apotheke „Zum heiligen Bartholomäus“ war 1938<br />
Olga Zavaros. Sie betrieb – mit <strong>Mag</strong>. Karl Tautermann als verantwortlichem Leiter – die<br />
Apotheke seit 12. Dezember 1923 als Witwenfortbetrieb. 1158 Die Apotheke erwirtschaftete<br />
1937 einen Umsatz von RM 64.232,25, 1159 die Außenstände beliefen sich auf<br />
RM 4.791,–. 1160 Am 2. Dezember 1937 wurde zwischen Olga Zavaros und ihrem<br />
Angestellten <strong>Mag</strong>. Robert Mühlbacher ein Leibrentenvertrag abgeschlossen, der die Hälfte<br />
der Apotheke für ÖS 37.500,– an <strong>Mag</strong>. Robert Mühlbacher übertrug. 1161 Weiters wurde am<br />
selben Tag ein Schenkungsvertrag errichtet, in dem festgelegt wurde, dass bei Ableben<br />
von Olga Zavaros die zweite Hälfte der Apotheke in das Eigentum von <strong>Mag</strong>. Robert<br />
Mühlbacher übergehen sollte. 1162 Letzterer führt in einem Beiblatt zur „Anmeldung<br />
entzogener Vermögen“ dazu aus:<br />
In der zweiten Hälfte des Jahres 1937 bot sich für meine Schwiegereltern die<br />
Gelegenheit, ihren Kaffeehausbetrieb gegen eine Teilhaberschaft an einer Apotheke<br />
1155 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 110, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Ignaz Großberg vom 21.01.1947.<br />
1156 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 224 u. 225, Vergleich vom 05.01.1950.<br />
1157 Heute: Bartholomäus-Apotheke, Wien 17., Elterleinplatz 12.<br />
1158 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 110, Veräußerungsvertrag vom 02.12.1937.<br />
1159 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1160 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 110, Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle vom 21.11.1937.<br />
1161 Ebd., Veräußerungsvertrag vom 02.12.1937.<br />
1162 Ebd., Schenkungsvertrag vom 02.12.1937.<br />
184
zu vertauschen, wobei ich als Apotheken-Mitteilhaber in Betracht gekommen wäre.<br />
Wir erzählten hievon auch Frau Zavaros, die mir spontan sofort den Antrag stellte,<br />
ich solle ihre Apotheke übernehmen. Aus den darauf gepflogenen Verhandlungen<br />
entstanden die [...] angeschlossenen Verträge, nach welchen Frau Olga Zavaros<br />
unter Vorbehalt ihres lebenslänglichen Fruchtgenussrechtes mir eine Hälfte des<br />
Apothekenunternehmens gegen dem, dass ich die Apotheke bis zum Lebensende<br />
der Frau Olga Zavaros leite und führe, entgeltlich übertrug, während sie mir die<br />
andere Hälfte auf ihren Todesfall schenkte. 1163<br />
Am 19. Jänner 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Robert Mühlbacher zum verantwortlichen Leiter der<br />
Apotheke „Zum heiligen Bartholomäus“ bestellt. 1164 Mit dem ‚Anschluß‘ im März 1938 und<br />
der bald darauf initiierten ‚Arisierungswelle‘ innerhalb der österreichischen Apothekerschaft<br />
wurden die zwischen Olga Zavaros und <strong>Mag</strong>. Robert Mühlbacher getroffenen<br />
Vereinbarungen von der Vermögensverkehrsstelle in Frage gestellt.<br />
Nach dem Umbruch im Jahre 1938 gab mir Frau Zavaros bekannt, dass sie Jüdin<br />
sei. Es musste deshalb bei der amtlichen Erhebung über die Eigentumsverhältnisse<br />
an Apotheken angegeben werden, dass diese Apotheke zur Hälfte in arischen und<br />
zur anderen Hälfte in jüdischem Eigentum stehe. Damit wurde diese Apotheke der<br />
„Arisierung“ unterzogen. Man wollte mit der Erklärung, dass Verträge mit Juden<br />
ungültig geworden seien, mir die ganze Apotheke entziehen! Mein Rechtsanwalt<br />
setzte dann durch, dass wenigstens die mit Veräusserungsvertrag von mir<br />
erworbene Hälfte mir verbleiben solle. Da aber der Umsatz der Apotheke für zwei<br />
Unternehmer keine Existenzmöglichkeit bietet, wäre mir durch eine solche Lösung<br />
ebenfalls die Existenz entzogen worden. Ich musste schliesslich, um nicht meine<br />
eigene Apotheke zu verlieren, zustimmen, dass ich die ganze Apotheke im Wege<br />
der Arisierung erwerbe. 1165<br />
Am 29. September 1938 legte Olga Zavaros bei gleichzeitiger Erteilung an <strong>Mag</strong>. Robert<br />
Mühlbacher ihre Konzession für die Apotheke „Zum heiligen Bartholomäus“ zurück. 1166 Die<br />
Übertragung der Olga Zavaros gehörenden Hälfte der Apotheke an <strong>Mag</strong>. Robert<br />
Mühlbacher wurde schließlich am 21. November 1938 von der Vermögensverkehrsstelle<br />
genehmigt. Als Übernahmewert wurde dabei ein Betrag von RM 44.962,58 festgelegt.<br />
1163 Ebd., Beiblatt zur Erklärung über entzogene Vermögenschaften vom 13.11.1946.<br />
1164 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1165 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 110, Beiblatt zur Erklärung über entzogene Vermögenschaften vom<br />
13.11.1946.<br />
1166 Krug, Wiener Apotheken.<br />
185
Davon wurden Olga Zavaros RM 17.985,03, nach Aufrechnung der Aktiva und Passiva der<br />
Apotheke weitere RM 10.977,55 zuerkannt, sodass ihr aus dem Zwangsverkauf ihrer<br />
Apothekenhälfte RM 28.962,58 zukamen. Dieser Betrag musste von <strong>Mag</strong>. Mühlbacher auf<br />
ein Sperrkonto bei der Pharmakred erlegt werden. 1167 Olga Zavaros bekam von der<br />
Vermögensverkehrsstelle daraus eine monatliche Rente von RM 400,– zugesprochen. 1168<br />
Weiters wurde eine ‚Arisierungsauflage‘ von 60 Prozent des Übernahmewertes, somit<br />
RM 26.977,55, bestimmt, die ebenfalls von <strong>Mag</strong>. Mühlbacher an die Pharmakred zu<br />
Gunsten der Vermögensverkehrsstelle zu überweisen war. 1169 Im Dezember 1938 wurde<br />
Olga Zavaros aus dem Handelsregister gelöscht und <strong>Mag</strong>. Robert Mühlbacher als Inhaber<br />
der Apotheke „Zum heiligen Bartholomäus“ eingetragen. 1170<br />
Olga Zavaros wurde am 29. Dezember 1941 in eine Sammelwohnung in der<br />
Weihburggasse 22 zwangsübersiedelt. Am 17. Juli 1942 wurde sie von Wien nach<br />
Auschwitz deportiert und dort ermordet. 1171<br />
Am 1. März 1945 wurde <strong>Mag</strong>. Karl Tautermann von der Abteilung II des Wiener <strong>Mag</strong>istrats<br />
als verantwortlicher Leiter für die Apotheke „Zum heiligen Bartholomäus“ eingesetzt. 1172<br />
Ein 1946 gegen <strong>Mag</strong>. Robert Mühlbacher eröffnetes Volksgerichtsverfahren wegen<br />
missbräuchlicher Bereicherung und Hochverrats wurde im Februar 1947 wieder eingestellt<br />
1173 und die öffentliche Verwaltung der Apotheke 1948 aufgehoben. 1174 Ein von<br />
Frances Wiedmann, der Nichte von Olga Zavaros, angestrengtes Rückstellungsverfahren<br />
endete am 21. Juli 1951 mit einem Vergleich, in dem Frances Wiedmann gegen die<br />
Zahlung von ÖS 5.000,– sowie die Übernahme der Verfahrenskosten in Höhe von<br />
ÖS 10.000,– durch <strong>Mag</strong>. Robert Mühlbacher auf die Rückstellung der Apotheke „Zum<br />
heiligen Bartholomäus“ verzichteten. 1175<br />
1167 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 110, Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle vom 21.11.1937.<br />
1168 Ebd., Beiblatt zur Erklärung über entzogene Vermögenschaften vom 13.11.1946.<br />
1169 Ebd., Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle vom 21.11.1937.<br />
1170 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 52 (1938), 283.<br />
1171 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 110, Beiblatt zur Erklärung über entzogene Vermögenschaften vom<br />
13.11.1946; DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
1172 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt.3, IV-161.524-15/45, Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung<br />
II an das StAfsV vom 14.09.1945.<br />
1173 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1947, Kt. 28, V-27112-18/47, Staatsanwaltschaft Wien an<br />
das BMfsV vom 06.03.1947.<br />
1174 WStLA, M.Abt. 13, Kartei K 1/3, Apotheken.<br />
1175 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 17, 110, Vergleich vom 12.07.1951.<br />
186
5.1.17. Wien, Währing<br />
Adler-Apotheke, Wien 18., Währingerstraße 149<br />
Besitzer und Konzessionär der Adler-Apotheke war seit 1919 <strong>Mag</strong>. Eugen Schwarz. 1176 Die<br />
Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 99.893,34 auf 1177 und war mit<br />
RM 40.892,95 bei den Lieferanten Herba AG Wien und Chemosan-Union AG Wien verschuldet.<br />
1178 Am 15. Juni 1938 wurde die Apotheke von Dr. Karl Englisch ‚arisiert‘. 1179<br />
Dieser wurde am 23. Juli 1938 zum verantwortlichen Leiter bestellt. 1180 Die Konzession für<br />
die Adler-Apotheke erhielt Dr. Englisch am 17. Oktober 1938. 1181 Mit Bescheid der<br />
Vermögensverkehrsstelle vom 18. November 1938 wurde diese ‚Arisierung‘ genehmigt 1182<br />
und ein Kaufpreis von RM 69.925,31 für die Apotheke festgesetzt. 1183 Von diesem Kaufpreis<br />
wurden zuerst die Betriebsverbindlichkeiten abgedeckt, der Rest von RM 29.032,36<br />
wurde als ‚Arisierungsauflage‘ zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle abgeführt.<br />
<strong>Mag</strong>. Eugen Schwarz erhielt nichts aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke. 1184<br />
<strong>Mag</strong>. Eugen Schwarz konnte 1939 mit seiner Familie vor den NationalsozialistInnen nach<br />
Jugoslawien fliehen. 1185 Er war dort in verschiedenen Apotheken als Leiter oder Pächter<br />
bis August 1943 tätig, 1186 bevor er sich mit seinem Sohn Kurt Schwarz den Partisanen<br />
anschloss. 1187 <strong>Mag</strong>. Eugen Schwarz kehrte im August 1945 mit seiner Familie nach Wien<br />
zurück. 1188<br />
Auf Antrag von Kurt Schwarz wurde am 30. Juli 1945 <strong>Mag</strong>. Wilhelm Löw vom Staatsamt<br />
für soziale Verwaltung als öffentlicher Verwalter der Adler-Apotheke eingesetzt. 1189 Die<br />
Bemühungen von <strong>Mag</strong>. Eugen Schwarz, seine ihm 1938 entzogene Apotheke zurück-<br />
1176 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1177 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1178 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, 29 u. 604, Bescheid der FLD vom 15.01.1949.<br />
1179 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, o.Z., Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Eugen Schwarz vom 01.02.1947.<br />
1180 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1181 Ebd..<br />
1182 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, 29 u. 604, Bescheid der FLD vom 15.01.1949.<br />
1183 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1184 Ebd.<br />
1185 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
1186 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1187 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-11.480-18/46, <strong>Mag</strong>. Bronislaw Herz u.a. an<br />
Bundeskanzler Leopold Figl vom 08.03.1946.<br />
1188 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1189 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-11.480-18/46, Aktennotiz vom 10.04.1946;<br />
Krug, Wiener Apotheken.<br />
187
zuerhalten, scheiterten im August 1945 vorerst an den Bestimmungen des Apothekengesetzes<br />
sowie an der nicht vorhandenen Rückstellungsgesetzgebung. In einem Brief des<br />
Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 10. April 1946 an <strong>Mag</strong>. Schwarz liest sich<br />
die Argumentation des Ministeriums wie folgt:<br />
Über ihr an den Herrn Bundeskanzler gerichtetes, von ihm mir zur Prüfung<br />
übersandtes Gesuch, muss ich ihnen leider mitteilen, dass ich Ihnen zur Zeit nur die<br />
Mitarbeit in der Ihnen seinerzeit entzogenen Apotheke bewilligen kann. Eine<br />
Übertragung der Leitung der Apotheke kann zur Zeit im Hinblick auf die zwingende<br />
Bestimmung des §3, letzter Absatz, des geltenden österreichischen<br />
Apothekengesetzes, RGBl. Nr. 5 ex 1907, zu meinem Bedauern nicht erfolgen;<br />
durch Ihre Tätigkeit in der Apotheke als Mitarbeiter wird Ihnen aber Gelegenheit<br />
geboten diesen Mangel zu beheben. Bezüglich Rückgabe der Ihnen seinerzeit<br />
entzogenen Apotheke wird die gesetzliche Regelung der gesamten<br />
Wiedergutmachungsfrage abgewartet werden müssen. 1190<br />
<strong>Mag</strong>. Eugen Schwarz arbeitete daher, um die zur Leitung einer Apotheke nötige Praxis zu<br />
erwerben, von September 1945 bis zum 22. Juli 1946 in seiner Apotheke als Angestellter<br />
unter der Leitung von <strong>Mag</strong>. Wilhelm Löw und wurde am 23. Juli 1946 zum öffentlichen<br />
Verwalter der Adler-Apotheke ernannt. 1191 Die endgültige Rückstellung der Adler-Apotheke<br />
an <strong>Mag</strong>. Eugen Schwarz erfolgte am 12. Jänner 1948, und am 24. April desselben Jahres<br />
wurde ihm auch die Konzession zum Betrieb der Apotheke erteilt. <strong>Mag</strong>. Eugen Schwarz<br />
verstarb am 14. Dezember 1949 im Alter von 62 Jahren in Wien. 1192<br />
Apotheke „Zum heiligen Leopold“, Wien 18., Gersthoferstraße 61 1193<br />
Die Apotheke „Zum heiligen Leopold“ gehörte 1938 Dr. Arthur Freudenfeld, er war auch<br />
der Inhaber der zugehörigen Konzession. 1194 Der Jahresumsatz dieser Apotheke belief<br />
sich im Jahre 1937 auf RM 93.384,86, der Betrieb war schuldenfrei. 1195 Im Juni 1938<br />
wurde die Apotheke von <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich ‚arisiert‘, der in seiner „Anmeldung<br />
1190 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-11.480-18/46, BMfsV an <strong>Mag</strong>. Eugen<br />
Schwarz vom 10.04.1946.<br />
1191 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1192 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1193 Heute: Gersthofer-Apotheke.<br />
1194 Vgl. Wiener Apotheker-Hauptgremium, Apothekerwesen in Wien, 246; Krug, Wiener Apotheken.<br />
1195 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
188
entzogener Vermögen“ dazu angibt:<br />
Die Apotheke wurde mir im Mai 1938 von dem mir befreundeten Apotheker<br />
Dr. Arthur Freudenfeld zum Kauf angeboten und der Kaufpreis von ihm mit dem<br />
einfachen Umsatz 1937, rund M 92.000 festgesetzt. Der Kauf wurde durch Vertrag<br />
bei seinem Rechtsanwalt Dr. Manfred Hummer, Wien I./1, Schotteng. 7 vollzogen.<br />
Durch die Errichtung der Vermögensverkehrsstelle musste der Vertrag nachträglich<br />
zur Genehmigung vorgelegt werden und wurde von ihr der Verkaufpreis auf<br />
RM 65.369 herabgesetzt. Auch hier wurde am 22.VI.1938 ein Kaufvertrag in der<br />
Kanzlei des von Dr. Freudenfeld vorgeschlagenen Dr. Robert Hentschel, Wien<br />
VII./62, Karl Schweighoferg. 7 abgeschlossen. Die Genehmigung dieses<br />
Kaufvertrages wurde durch die Vermögensverkehrsstelle im Oktober 1938 erteilt.<br />
Dr. Freudenfeld erhielt von mir die Differenz beider Kaufsummen von rund<br />
RM 28.000 gegen die damaligen gesetzlichen Bestimmungen ausgezahlt. 1196<br />
Ganz anders dazu die Darstellung von Dr. Arthur Freudenfeld aus dem USamerikanischen<br />
Exil:<br />
Die Apotheke mußte ich im Juni 1938 an Herrn Franz Dittrich übergeben. Für die<br />
Apotheke habe ich keinen Gegenwert erhalten, und wurde die<br />
Apothekenconcession auf Herrn Franz Dittrich umgeschrieben. 1197<br />
Sozusagen „im Paket“ wechselte 1938 nicht nur die Apotheke „Zum heiligen Leopold“ den<br />
Besitzer, sondern auch das Haus Gersthoferstraße 61, in dem die Apotheke untergebracht<br />
war. <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich dazu:<br />
Erst im September 1938 bot mir Dr. Freudenfeld (Field) auch das Haus zum Kauf an<br />
und wurde der Kaufvertrag nach Schätzung des durch Dr. Freudenfeld (Field)<br />
beigestellten Schätzmeisters Ing. Stadtbaumeister Arch. Alfred M. Roth, Wien XVIII.,<br />
Schulg. 14 in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Dr. Friedrich Barth, derzeit Wien IX.,<br />
Wasag. 2 am 8.9.1938 vollzogen. Der Verkauf erfolgte ohne Zwang über Vorschlag<br />
Dr. Field (Freudenfeld) und ohne Vermögensverkehrsstelle. 1198<br />
1196 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, 276, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich vom 12.11.1946.<br />
1197 Ebd., 175, Anmeldung durch Dr. Arthur Frank Field-Freudenfeld vom 05.05.1947.<br />
1198 Ebd., 276, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich vom 12.11.1946.<br />
189
Auch diese zweite Transaktion wird von Dr. Freudenfeld wesentlich anders dargestellt:<br />
Das Haus mußte ich im Juni 1938 an Herrn Franz Dittrich laut beiliegendem<br />
Kaufvertrag für 19.000 Mark verkaufen. Den Kaufvertrag mußte ich während meiner<br />
Haft im Polizeigefängnis Wien IX unterschreiben. Ich habe von Herrn Dittrich ca<br />
30.000 Mark erhalten, doch weiß ich im Augenblick nicht die genaue Summe, da mir<br />
damals der Verkaufpreis, den ich sowieso nicht zu bestimmen hatte, ziemlich egal<br />
war. Dittrich zahlte für eine Hypothek ca. 10.000 Mark, ferner weitere 10.000 Mark<br />
für eine Steuervorschreibung und 5000 Mark für die Reichsfluchtsteuer. Endlich gab<br />
er mir ca 10. [bis] 12.000 M zur Begleichung der Geschäftsschulden, die sich<br />
während der Verwaltung des eingesetzten Kommissars Rosenkrantz ergeben<br />
hatten. 1199<br />
Der Grund für die sehr unterschiedliche Darstellung dieser ‚Arisierung‘ liegt zum einem<br />
darin, dass die Ereignisse des Jahres 1938 durch <strong>Mag</strong>. Dittrich geschönt wiedergegeben<br />
wurden, zum anderen waren neben dem ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich die Vermögensverkehrsstelle<br />
und in Folge der NS-Staat die Hauptnutznießerinnen des Apothekenverkaufs.<br />
Aus den Unterlagen der Vermögensverkehrsstelle geht hervor, dass von dem<br />
vorgeschriebenen und von <strong>Mag</strong>. Dittrich bezahlten Kaufpreis für die Apotheke – der<br />
ungefähr ein Viertel der Summe betrug, die noch Ende 1937 zu bezahlen gewesen wäre –<br />
als ‚Arisierungsauflage’ RM 36.182,03 von der Vermögensverkehrsstelle einbehalten<br />
wurden. 1200 Die übrigen RM 26.147,60 wurden, wie es bei den ‚Arisierungen‘ üblich war,<br />
auf ein Sperrkonto verbucht, von dem in Folge die ‚Judenvermögensabgabe‘ und die<br />
‚Reichsfluchtsteuer‘ für Dr. Freudenfeld beglichen wurden.<br />
Dr. Arthur Freudenfeld konnte sich in die USA in Sicherheit bringen und kehrte Ende<br />
1947/Anfang 1948 nach Wien zurück. Ein vor der Rückstellungskommission Wien I<br />
geführtes Verfahren endete am 19. Juni 1948 mit einem Vergleich, in dem Dr. Freudenfeld<br />
die Hälfte des Hauses in der Gersthoferstraße 61 und das Wohnrecht sowie eine 50-<br />
prozentige Beteiligung an der Apotheke zurückgestellt erhielt. 1201<br />
1199 Ebd., 175, Anmeldung durch Dr. Arthur Frank Field-Freudenfeld vom 05.05.1947.<br />
1200 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1201 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, 276 u. 175, Vergleich vom 19.06.1948.<br />
190
Apotheke „Zum Schutzengel“, Wien 18., Gentzgasse 26<br />
Eigentümer und Konzessionär der Apotheke „Zum Schutzengel“ war seit Juni 1931<br />
Dr. Lazar Wittner. 1202 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 75.577,56 und war schuldenfrei. 1203 Am 6. Mai 1938 wurde – möglicherweise um der<br />
drohenden ‚Arisierung‘ der Apotheke zu begegnen – der langjährige Angestellte der<br />
Apotheke, <strong>Mag</strong>. Günther Haala, 1204 zum verantwortlichen Leiter bestellt. 1205 Am 29. Juni<br />
1938 wurde er aber von dem Nationalsozialisten 1206 und späteren ‚Ariseur‘ der Apotheke,<br />
<strong>Mag</strong>. Eduard Bibl, in dieser Funktion ersetzt. 1207 Mit Hilfe der Vermögensverkehrsstelle<br />
wurde diesem am 15. Juli 1938 die Apotheke übertragen. 1208 Der dabei von der<br />
Vermögensverkehrsstelle festgesetzte Kaufpreis betrug RM 52.904,25. Davon waren<br />
RM 31.742,55 als ‚Arisierungsauflage‘ zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle abzuführen,<br />
RM 21.161,70 sollte Dr. Wittner erhalten. 1209 Laut Angabe der späteren<br />
öffentlichen Verwalterin der Apotheke „Zum Schutzengel“, <strong>Mag</strong>.ª Helene Bäuml, erhielt<br />
Dr. Wittner RM 7334,– bar ausbezahlt, RM 13.827,71 wurden auf ein Sperrkonto beim<br />
Bankinstitut Krentschker & Co deponiert. 1210 Die Konzession für die Apotheke „Zum<br />
Schutzengel“ erhielt <strong>Mag</strong>. Eduard Bibl mit Bescheid des Wiener <strong>Mag</strong>istrats vom 26.<br />
September 1938. 1211<br />
Dr. Lazar Wittner konnte sich und seine Familie noch 1938 vor den NationalsozialistInnen<br />
in Sicherheit bringen und emigrierte nach Argentinien, wo er später als Produktionsleiter<br />
bei der argentinischen Niederlassung der Budapester Arzneimittelfirma Gideon Richter<br />
tätig wurde. 1212<br />
Am 16. Juni 1947 wurde die Apotheke „Zum Schutzengel“ unter öffentliche Verwaltung<br />
gestellt und von <strong>Mag</strong>.ª Helene Bäuml – sie war schon seit 15. April 1946 verantwortliche<br />
Leiterin – geführt. 1213 Ebenfalls 1947 beantragte Dr. Lazar Wittner aus dem Exil die<br />
1202 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1203 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1204 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
1205 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1206 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1207 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1208 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, 194, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Helene Bäuml vom 02.11.1946.<br />
1209 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1210 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, 194, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Helene Bäuml vom 02.11.1946.<br />
1211 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 40 (1938), 117.<br />
1212 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 111 u. 225.<br />
1213 Krug, Wiener Apotheken.<br />
191
Rückstellung der Apotheke. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren wurde von der<br />
Rückstellungskommission Wien I mit Teilerkenntnis vom 21. November 1947 entschieden<br />
und die Apotheke „Zum Schutzengel“ an Dr. Lazar Wittner zurückgestellt. 1214 1950 verkaufte<br />
Dr. Wittner die Apotheke an die am 20. Februar 1950 gegründete offene Handelsgesellschaft<br />
„Apotheke zum Schutzengel Dr. Budischowsky & Co“. 1215 Die Konzession für<br />
die Apotheke erhielt Dr. Hans Budischowsky am 20. März 1950. 1216<br />
Marien-Apotheke, Wien 18., Martinstraße 93<br />
Besitzer und Konzessionär der Marien-Apotheke war seit 1919 <strong>Mag</strong>. Bronislav Herz. 1217<br />
<strong>Mag</strong>. Herz war vor dem ‚Anschluß’ auch in der Standesvertretung aktiv. Er war<br />
stellvertretender Obmann des Bundes österreichischer Apotheker und bis 1936 für die<br />
DienstgeberInnen im Vorstand der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich tätig. 1218<br />
Die Marien-Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 101.600,– auf und war<br />
schuldenfrei. 1219 Am 3. Mai 1938 übernahm die seit 1925 in der Marien-Apotheke<br />
angestellte <strong>Mag</strong>.ª Elfriede Kienast – sie hatte noch kurz zuvor am 1. Mai 1938 einen<br />
Antrag auf Aufnahme in die NSDAP gestellt – die Leitung der Apotheke, wurde allerdings<br />
am 28. Juni 1938 durch <strong>Mag</strong>. Otto Türk in dieser Funktion ersetzt. 1220 Doch auch <strong>Mag</strong>. Otto<br />
Türk kam bei der ‚Arisierung‘ der Marien-Apotheke nicht zum Zuge, sondern musste sich<br />
im Herbst 1938 mit der ‚Arisierung‘ der wesentlich umsatzschwächeren St. Markus-<br />
Apotheke in Wien-Erdberg begnügen. 1221 Zum ‚Ariseur‘ der Marien-Apotheke wurde<br />
letztlich von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner am 15. Juli 1938 der ‚illegale‘ Nationalsozialist <strong>Mag</strong>. Ernst<br />
Reich bestimmt, 1222 der am 16. September 1938 auch die Leitung der Apotheke übernahm.<br />
1223 Die ‚Arisierung‘ der Apotheke wurde im Herbst 1938 von der Vermögensverkehrsstelle<br />
genehmigt, als Kaufpreis für die Marien-Apotheke bestimmte sie den Betrag<br />
von RM 71.120,–. Davon sollten RM 42.670,– als ‚Arisierungsauflage‘ an die Vermögensverkehrsstelle<br />
abgeführt werden, der Rest von RM 28.450,– sollte auf ein Sperrkonto zu<br />
1214 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, 154 u. 194, Vergleich vom 04.02.1950 sowie RA Dr. Ernst Jahoda an das<br />
<strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den 18. Bezirk vom 21.02.1950.<br />
1215 Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, HRA 14042.<br />
1216 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1217 Ebd.<br />
1218 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 148; AdPhGK, Protokolle der Vorstandssitzungen der PhGK 1935–<br />
1938.<br />
1219 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1220 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1221 Siehe Kapitel 5.2.3., St. Markus-Apotheke.<br />
1222 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, 23, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Bronislav Herz vom 05.11.1946.<br />
1223 Krug, Wiener Apotheken.<br />
192
Gunsten von <strong>Mag</strong>. Bronislav Herz eingezahlt werden. 1224 Da <strong>Mag</strong>. Reich diesen<br />
Verpflichtungen aber nur sehr zögerlich nachkam, haftete nach Kriegsende noch ein<br />
beträchtlicher Teil des Kaufpreises aus. Die Wiener Gebietskrankenkasse stellte dazu in<br />
einem Schreiben an das Staatsamt für soziale Verwaltung vom 24. Juli 1945 fest:<br />
Auf die Arisierungsschuld von RM 28.000,– wurden innerhalb von 7 Jahren lediglich<br />
RM 2.000,– bezahlt, sodass noch ein Schuldbetrag von RM 26.000,– besteht.<br />
Wegen Steuerrückständen im Betrage von rund RM 30.000,– hat das Finanzamt<br />
Währing das Privateigentum Reichs sowie die Apothekeneinrichtung samt<br />
Warenlager gepfändet. Diese Schulden verhinderten Mr. Reich nicht,<br />
Privatguthaben bei verschiedenen Kreditinstituten von, wie bis jetzt festgestellt<br />
werden konnte, rund RM 26.000,– einzulegen. 1225<br />
Die Konzession für die Marien-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Ernst Reich mit Bescheid der Wiener<br />
<strong>Mag</strong>istratsabteilung 8 vom 29. November 1938. 1226<br />
<strong>Mag</strong>. Bronislav Herz konnte noch im August 1938 mit seiner Familie nach Agram in<br />
Jugoslawien fliehen. Von 1939 bis zum Ende des Krieges war er in Bosnien als Apotheker<br />
tätig und kehrte am 26. Februar 1946 nach Wien zurück. 1227<br />
Nach seiner Rückkehr sah sich <strong>Mag</strong>. Bronislav Herz mit der Tatsache konfrontiert, dass<br />
der sofortigen Rückgabe seiner Apotheke an ihn diverse Hindernisse entgegenstanden.<br />
Da zu Beginn des Jahres 1946 noch keine Rückstellungsgesetzgebung verabschiedet<br />
worden war und das Bundesministerium für soziale Verwaltung die Meinung vertrat, dass<br />
diese ausstehende gesetzliche Regelung abgewartet werden müsste, war die<br />
Rückstellung seines 1938 entzogenen Unternehmens vorerst nicht möglich. Auch die<br />
Ernennung zum öffentlichen Verwalter oder Leiter für seine Apotheke wurde vom<br />
Bundesministerium mit dem Argument, dass seine Dienstzeit in einer bosnischen<br />
Apotheke einer Praxis in einer österreichischen Apotheke nicht entspreche, abgelehnt. 1228<br />
Erst eine Intervention bei Bundeskanzler Figl im März 1946 ermöglichte es <strong>Mag</strong>. Herz, als<br />
Angestellter in seiner Apotheke zu arbeiten, um die für eine Leitungsposition geforderte<br />
1224 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1225 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt. 2, IV-160.868-15/45, Wiener Gebietskrankenkasse<br />
an das StAfsV vom 24.07.1945<br />
1226 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 52 (1938), 257.<br />
1227 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1228 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, IV-8202-18/46, Aktennotiz vom April 1946.<br />
193
Praxis zu erwerben. 1229 Am 9. April 1947 wurde <strong>Mag</strong>. Bronislav Herz schließlich zum<br />
öffentlichen Verwalter seiner Apotheke bestellt. 1230 Ein von ihm 1947 initiiertes<br />
Rückstellungsverfahren endete am 29. Dezember 1947 mit einem Vergleich, in dem ihm<br />
die Marien-Apotheke zurückgestellt wurde. 1231 Die Konzession für die Apotheke erhielt<br />
<strong>Mag</strong>. Herz am 2. März 1948. <strong>Mag</strong>. Bronislav Herz verstarb am 1. Oktober 1948 im Alter<br />
von 72 Jahren in Wien. 1232<br />
5.1.18. Wien, Döbling<br />
Beethoven-Apotheke, Wien 19., Heiligenstädterstraße 82<br />
BesitzerInnen der Beethoven-Apotheke waren seit 1934 zu gleichen Teilen Dr. Franz<br />
Riesenfeld und Dr. Charlotte Riesenfeld, letztere besaß die Konzession zum Betrieb der<br />
Apotheke ebenfalls seit 1934. 1233 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz<br />
von RM 40.930,– und hatte keine Betriebsschulden. 1234 Die Konzession der Apotheke war<br />
allerdings seit 1935 zur Deckung einer Forderung von S 175.000,– verpfändet. 1235 Aus<br />
gesundheitlichen Gründen 1236 verpachtete Dr. Charlotte Riesenfeld die Apotheke am<br />
22. Februar 1938 an <strong>Mag</strong>. Julian Alesky. 1237 Am 5. August 1938 wurde mittels eines<br />
Kaufvertrages in Form eines Gedächtnisprotokolls die Beethoven-Apotheke von der<br />
Vermögensverkehrsstelle an <strong>Mag</strong>. Hans Pribitzer übertragen. 1238 <strong>Mag</strong>. Pribitzer wurde<br />
sodann am 20. August 1938 als verantwortlicher Leiter für die Apotheke eingesetzt 1239 und<br />
der Kaufvertrag von der Vermögensverkehrsstelle am 24. August 1938 offiziell<br />
genehmigt. 1240 Als Kaufpreis für die Beethoven-Apotheke setzte die Vermögensverkehrsstelle<br />
einen Betrag von RM 28.651,– fest und schrieb davon eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ von RM 17.190,60 vor. 1241 Dr. Charlotte Riesenfeld und Dr. Franz<br />
1229 Ebd., Kt. 7, V-11.480-18/46, BMfsV an <strong>Mag</strong>. Bronislaw Herz vom 10.04.1946.<br />
1230 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1231 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 18, 526, Vergleich vom 24.11.1949.<br />
1232 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1233 Krug, Wiener Apotheken; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 455, Teilerkenntis vom 09.12.1949.<br />
1234 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1235 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 455, Dr. Franz Riesenfeld an das Bundeministerium für Eigentumskontrolle<br />
und Wirtschaftsplanung vom 12.04.1947.<br />
1236 Vgl. Fritsch, Pharmazie,106.<br />
1237 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1238 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 455, Teilerkenntis vom 09.12.1949.<br />
1239 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1240 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 455, Teilerkenntis vom 09.12.1949.<br />
1241 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
194
Riesenfeld erhielten RM 11.460,40 aus dem Zwangsverkauf ihrer Apotheke. 1242 Die<br />
Konzession für die Beethoven-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Pribitzer am 24. März 1938. 1243<br />
Dr. Charlotte Riesenfeld und Dr. Franz Riesenfeld konnten noch im Jahr 1938 Österreich<br />
verlassen und flüchteten nach Großbritannien. Dort konnte Dr. Franz Riesenfeld später als<br />
Produktionsleiter in der chemischen Industrie Beschäftigung finden, Dr. Charlotte<br />
Riesenfeld wurde als Spitalsapothekerin tätig. Nach Kriegsende emigrierten beide nach<br />
Australien. 1244 Der ehemalige Pächter der Apotheke, <strong>Mag</strong>. Julian Alesky, konnte der<br />
nationalsozialistischen Verfolgung hingegen nicht entkommen und wurde am<br />
25. Dezember 1943 in Auschwitz ermordet. 1245<br />
Da <strong>Mag</strong>. Hans Pribitzer am 24. März 1940 verstarb, 1246 wurde <strong>Mag</strong>. Heinz Metko am<br />
1. Juni 1940 als verantwortlicher Leiter eingesetzt. Er pachtete die Apotheke am 1. Juli<br />
1941 von Hildegard Pribitzer, der Witwe nach <strong>Mag</strong>. Hans Pribitzer. 1247 1947 beantragten<br />
Dr. Charlotte Riesenfeld und Dr. Franz Riesenfeld die Rückstellung ihrer Apotheke. 1248 Im<br />
daraufhin 1948 eröffneten Rückstellungsverfahren wurde ihnen mit Teilerkenntnis der<br />
Rückstellungskommission Wien I vom 9. Dezember 1949 die Beethoven-Apotheke samt<br />
dem Anrecht auf die Konzession zurückgestellt. 1249<br />
Apotheke „Zum Erzengel Michael“, Wien 19., Heiligenstädterstraße 138 1250<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zum Erzengel Michael“ war seit 1900 <strong>Mag</strong>. Saul<br />
Hermann Selzer. 1251 1935 wurde zum Betrieb der Apotheke eine offene Handelsgesellschaft<br />
„Apotheke zum Erzengel Michael, Hermann Selzer & Co“ gegründet, der als<br />
Gesellschafter zu gleichen Teilen <strong>Mag</strong>. Hermann Selzer und sein Sohn <strong>Mag</strong>. Hans Selzer<br />
angehörten. 1252 Letzterer führte die Apotheke als verantwortlicher Leiter seit 14. Juni<br />
1242 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 455, Anmeldung durch Hilde Eckhardt vom 12.11.1946.<br />
1243 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1244 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
1245 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (März 2008), dort allerdings unter Aleksy Joel verzeichnet.<br />
1246 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1247 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
1248 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 455, Dr. Franz Riesenfeld an das Bundeministerium für Eigentumskontrolle<br />
und Wirtschaftsplanung vom 12.04.1947.<br />
1249 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 455, Teilerkenntis vom 09.12.1949.<br />
1250 Heute: Apotheke Hackenberg, Wien 19., Heiligenstädter Straße 140<br />
1251 Vgl. Wiener Apotheker-Hauptgremium, Apothekerwesen in Wien, 253<br />
1252 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 191, RA Dr. Kurt Schreiber an das <strong>Mag</strong>istratische Bezirksamt für den 19.<br />
Bezirk vom 09.03.1950; Krug, Wiener Apotheken.<br />
195
1937. 1253 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 37.545,– auf und war mit<br />
etwa RM 12.000,– verschuldet. 1254 Im Juli 1938 wurde, wahrscheinlich um die Besitzer<br />
unter Druck zu setzen, <strong>Mag</strong>. Hans Selzer verhaftet und im Konzentrationslager Dachau<br />
interniert. 1255 Am 24. August 1938 wurde sodann <strong>Mag</strong>. Karl Hiess – er war schon vor 1938<br />
Mitglied der NSDAP und somit ein so genannter ‚Illegaler‘ 1256 – als verantwortlicher Leiter<br />
für die Apotheke „Zum Erzengel Michael“ eingesetzt 1257 und ‚arisierte‘ diese mit Hilfe der<br />
Vermögensverkehrsstelle am 18. September 1938. 1258 Die Vermögensverkehrsstelle setzte<br />
dabei einen Kaufpreis von RM 26.281,50 sowie in Anbetracht der Betriebsverbindlichkeiten<br />
eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 10.626,36 fest. 1259 <strong>Mag</strong>. Hermann<br />
Selzer und <strong>Mag</strong>. Hans Selzer erhielten zusammen RM 5.000,– aus dem Zwangsverkauf<br />
ihrer Apotheke. 1260 Die Konzession für die Apotheke „Zum Erzengel Michael“ erhielt<br />
<strong>Mag</strong>. Karl Hiess am 10. August 1939. 1261<br />
<strong>Mag</strong>. Hans Selzer wurde nach der ‚Arisierung‘ seiner Apotheke wieder aus der KZ-Haft<br />
entlassen und konnte sich 1939 in Sicherheit bringen. 1262 Er emigrierte in die USA, wo er<br />
sich in New York niederließ. 1263 Sein Vater, <strong>Mag</strong>. Hermann Selzer, blieb in Wien und wurde<br />
Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Er wurde am 21. Juni 1942 von Wien nach<br />
Theresienstadt deportiert, von dort am 19. September 1942 in das Vernichtungslager<br />
Treblinca gebracht und ermordet. 1264<br />
Am 16. April 1946 wurde die Apotheke „Zum Erzengel Michael“ unter öffentliche<br />
Verwaltung gestellt und in Folge von <strong>Mag</strong>.ª Stefanie Hackenberg geleitet. 1265 1948<br />
beantragte <strong>Mag</strong>. Hans Selzer von New York aus die Rückstellung seiner ihm 1938<br />
entzogenen Apotheke. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am 24.<br />
Februar 1950 mit einem Vergleich, in dem <strong>Mag</strong>. Selzer gegen eine Ausgleichszahlung von<br />
1253 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1254 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939;<br />
WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 191, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Stefanie Hackenberg vom 08.11.1946.<br />
1255 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
1256 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-31.599-18/46, Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium an das BMfsV vom 25.04.1946.<br />
1257 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1258 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 191, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Stefanie Hackenberg vom 08.11.1946.<br />
1259 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1260 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 191, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Stefanie Hackenberg vom 08.11.1946.<br />
1261 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1262 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
1263 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 191, Vergleich vom 24.02.1950.<br />
1264 Yad Vashem, http://www.yadvashem.org (März 2008).<br />
1265 Krug, Wiener Apotheken.<br />
196
ÖS 35.000,– an den ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Karl Hiess die Apotheke samt Mietrechten und<br />
Konzession zurückgestellt wurde. 1266<br />
5.1.19. Wien, Brigittenau<br />
Herminen-Apotheke, Wien 20., Webergasse 1<br />
<strong>Mag</strong>. Hermann Kahane und seine Frau Cippe Kahane kauften am 11. März 1937 die<br />
Herminen-Apotheke samt Mietrecht, Kundenkreis, Einrichtung und Warenlager von<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Pelian um ÖS 100.000,–. Von dem Kaufpreis wurden ÖS 60.000,– sofort<br />
bezahlt, die restlichen ÖS 40.000,– wurden in Form eines Darlehens für die Dauer von<br />
fünf Jahren gestundet. 1267 Die Konzession zum Betrieb der Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Kahane<br />
am 21. Juli 1937. 1268 Am 13. August 1938 ließ sich der Vorbesitzer <strong>Mag</strong>. Pelian von<br />
<strong>Mag</strong>. Edwin Renner zum verantwortlichen Leiter der Herminen-Apotheke einsetzen. Kurz<br />
darauf, am 17. August 1938, kaufte <strong>Mag</strong>. Pelian, gegen Übernahme der Passiven (im<br />
Wesentlichen der Kaufpreisrest aus 1937 in der Höhe von ÖS 40.000,–) die Apotheke<br />
zurück. Die von <strong>Mag</strong>. Hermann Kahane und Cippe Kahane 1937 bezahlten ÖS 60.000,–<br />
wurden dabei nicht refundiert. Der Erwerb der Herminen-Apotheke durch <strong>Mag</strong>. Pelian<br />
wurde am 18. November 1938 von der Vermögensverkehrsstelle genehmigt und eine<br />
‚Entjudungsauflage‘ von RM 8.862,56 vorgeschrieben. 1269 Am 24. März 1939 wurde die<br />
Konzession für die Apotheke auf <strong>Mag</strong>. Pelian übertragen. 1270<br />
<strong>Mag</strong>. Hermann Kahane und seine Frau Cippe Kahane wurden am 19. Februar 1941 von<br />
Wien über den Aspangbahnhof nach Kielce deportiert. Sie haben die Shoa nicht<br />
überlebt. 1271<br />
Die Apotheke wurde von <strong>Mag</strong>. Franz Pelian am 26. August 1942 an <strong>Mag</strong>. Ferdinand<br />
Wilhelm verpachtet 1272 und am 14. Juni 1946 unter öffentliche Verwaltung gestellt. 1273<br />
1266 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 19, 191, Vergleich vom 24.02.1950.<br />
1267 WStLA, LGZ, A 29, Rk 241/61, Sammelstelle A vs. <strong>Mag</strong>.ª Hermine Maculan.<br />
1268 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1269 WStLA, LGZ, A 29, Rk 241/61, Rückstellungsantrag vom 17.04.1961.<br />
1270 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1271 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
1272 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1273 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 20, 479, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Franz Pelian vom 14.11.1946.<br />
197
<strong>Mag</strong>. Franz Pelian verstarb am 19. Juni 1949, die Apotheke wurde zunächst als<br />
Verlassenschaftsfortbetrieb weitergeführt und ging schließlich auf dem Erbwege an<br />
<strong>Mag</strong>.ª Hermine Maculan, die Tochter von <strong>Mag</strong>. Franz Pelian, über. Diese erhielt die<br />
Konzession für die Herminen-Apotheke am 15. November 1950. 1274<br />
Da <strong>Mag</strong>. Hermann Kahane und Cippe Kahane keine ErbInnen hinterließen, die ihre<br />
Rückstellungsansprüche wahrnehmen hätten können, wurde am 17. April 1961 von der<br />
Sammelstelle A ein Rückstellungsantrag gegen <strong>Mag</strong>.ª Maculan eingebracht. Das<br />
Rückstellungsverfahren endete mit einem Vergleich, in dem die Sammelstelle A gegen<br />
Zahlung von ÖS 700.000,– auf die Rückstellung der Apotheke verzichtete. 1275<br />
5.2.20. Wien, Floridsdorf<br />
Apotheke Adelstein, Wien 21., Floridsdorfer Hauptstraße 20 1276<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke war seit ihrer Gründung 1936 <strong>Mag</strong>. Richard<br />
Adelstein. 1277 Die Apotheke Adelstein erwirtschaftete 1937 einen Umsatz von RM 15.000,–<br />
und war mit RM 40.000,– verschuldet. 1278 Am 26. September 1938 wurde <strong>Mag</strong>.ª Martha<br />
Bauer als verantwortliche Leiterin der Apotheke eingesetzt, 1279 ‚arisierte‘ die Apotheke mit<br />
Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle vom 1. Dezember 1938 1280 und änderte den<br />
Namen in Apotheke „Zur blauen Donau“. Auf Grund des Umsatzes der Apotheke im Jahr<br />
1937 setzte die Vermögensverkehrsstelle in ihrer Genehmigung den Kaufpreis mit<br />
RM 10.500,– fest, verzichtete aber in Anbetracht der Betriebsschulden auf die<br />
Vorschreibung einer ‚Arisierungsauflage‘ und übertrug die Apotheke gegen Übernahme<br />
der aushaftenden Verbindlichkeiten an <strong>Mag</strong>.ª Martha Bauer. Der ehemalige Besitzer<br />
<strong>Mag</strong>. Richard Adelstein erhielt nichts aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke. Die<br />
Konzession für die Apotheke „Zur blauen Donau“ erhielt <strong>Mag</strong>.ª Martha Bauer am<br />
16. Oktober 1939.<br />
1274 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1275 WStLA, LGZ, A 29, Rk 241/61, Vergleich vom 25.04.1961.<br />
1276 Heute: Apotheke „Zur blauen Donau“.<br />
1277 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1278 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1279 AdPhGK, Betriebsakt 21016, Anmeldung bei der PhGK vom 10.10.1938.<br />
1280 Ebd., <strong>Mag</strong>.ª Martha Bauer an <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich vom 08.01.1938.<br />
198
<strong>Mag</strong>. Richard Adelstein konnte 1939 vor den NationalsozialistInnen fliehen und emigrierte<br />
nach Shanghai. 1281 Er überlebte im Exil und kehrte nach dem Krieg nach Wien zurück. 1282<br />
Nach 1945 blieb die Apotheke „Zur blauen Donau“ im Besitz von <strong>Mag</strong>.ª Martha Bauer,<br />
<strong>Mag</strong>. Richard Adelstein stellte auch keinen Antrag auf Rückstellung der Apotheke. Der<br />
Grund dafür dürfte der Umstand sein, dass durch die Übernahme der hohen<br />
Betriebsschulden durch <strong>Mag</strong>.ª Bauer 1938 der BesitzerInnenwechsel im Zuge der NS-<br />
Machtübernahme nicht als unredlicher Erwerb betrachtet wurde. In einer Liste des Wiener<br />
Apotheker-Hauptgremiums vom Juli 1946 findet sich zu dieser Apotheke der Vermerk,<br />
dass die Apotheke „Zur blauen Donau“ durch die Übernahme der Schulden zum vollen<br />
Verkehrswert bezahlt worden und somit weiters nichts zu veranlassen wäre. 1283<br />
Danubia-Apotheke, Wien 21., Russbergerstraße 64<br />
Besitzerin und Konzessionärin der Danubia-Apotheke war seit Juli 1937 <strong>Mag</strong>.ª Helene<br />
Friedmann. 1284 Die Apotheke wies 1937 einen Umsatz von etwa RM 14.000,– auf und war<br />
mit Schulden in der Höhe von RM 17.858,28 – vor allem Lieferverbindlichkeiten gegenüber<br />
der Herba – belastet. 1285 Die Apotheke wurde 1938 von Dr.ª Cornelia Majneri ‚arisiert‘, die<br />
in einem Schreiben an das Wiener Apotheker-Hauptgremium vom Juni 1946 die<br />
Ereignisse rund um die ‚Arisierung‘ der Danubia-Apotheke wie folgt darstellte:<br />
Im April 1938 hatte nun Frau Mra. Helene Friedmann in den Mitteilungen der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse die Danubia Apotheke zum Verkauf ausgeboten<br />
und den Interessenten einen Verkaufspreis von 22.000,– Schillingen genannt. Auf<br />
dieser Grundlage habe ich mit Frau Mra. Friedmann den Kaufpreis vereinbart.<br />
Dieser Verkauf musste jedoch der damals neu errichteten Vermögensverkehrsstelle<br />
zur Genehmigung vorgelegt werden. Bei der Überprüfung ergab sich nun, dass der<br />
Schuldenstand der Apotheke den geforderten Kaufpreis überstieg, und wurde der<br />
Übernahmepreis daher mit dem Betrag der vorhandenen Schulden festgestellt. 1286<br />
1281 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 218.<br />
1282 DÖW, Shanghai Liste.<br />
1283 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, Apotheken, V-34.288-18/46, Wiener<br />
Apotheker-Hauptgremium an das BMfsV vom 06.07.1946.<br />
1284 AdPhGK, Betriebsakt 21083, Aktenvermerk vom 10.07.1937.<br />
1285 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-162.718-15/45, <strong>Mag</strong>.ª Majneri an das<br />
Apotheker Hauptgremium, undatiert, wahrscheinlich Ende Juni 1946.<br />
1286 Ebd.<br />
199
Die Apotheke wurde somit um die Übernahme der Betriebsverbindlichkeiten an<br />
Dr.ª Cornelia Majneri verkauft, <strong>Mag</strong>.ª Helene Friedmann erhielt nichts aus dem Zwangsverkauf<br />
ihrer Apotheke. Am 22. August 1938 übernahm Dr.ª Majneri die Leitung der<br />
Danubia-Apotheke. 1287 Sie erhielt die Konzession für die Apotheke am 26. September<br />
1938. 1288<br />
<strong>Mag</strong>.ª Helene Friedmann meldete sich 1939 mit unbekanntem Ziel aus Wien ab, 1289 ihr<br />
weiteres Schicksal ist unbekannt.<br />
Die Danubia-Apotheke blieb nach 1945 im Besitz von Dr.ª Cornelia Majneri, weder von<br />
<strong>Mag</strong>.ª Helene Friedmann oder von nach ihr Anspruchsberechtigten noch von den<br />
Sammelstellen wurde ein Rückstellungsantrag gestellt. 1290 Grund dafür könnte sein, dass<br />
der 1938 von Dr.ª Majneri entrichtete Kaufpreis – er bestand in diesem Fall in der Übernahme<br />
der Betriebsschulden – in etwa dem entsprach, wie er vor 1938 bei Übernahme der<br />
Apotheke angemessen gewesen wäre. Ob eventuell einer der Rückstellungsberechtigten<br />
mit Dr.ª Majneri einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen hatte, konnte nicht<br />
festgestellt werden, die Apotheke wurde jedenfalls nicht zurückgestellt.<br />
Rosen-Apotheke, Wien 21., Brünnerstraße 37<br />
BesitzerInnen der Rosen-Apotheke waren Anfang 1938 <strong>Mag</strong>. Philipp Rosen und seine<br />
Tochter <strong>Mag</strong>.ª Wanda Rosen. 1291 Letztere besaß die Konzession zum Betrieb der Apotheke<br />
seit November 1933. 1292 Die Apotheke erzielte 1937 einen Umsatz von RM 60.000,– und<br />
war schuldenfrei. 1293 Am 5. Juli 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Anton Gruber als verantwortlicher Leiter<br />
eingesetzt, der daraufhin mit Hilfe der Vermögensverkehrsstelle die Rosen-Apotheke<br />
‚arisierte‘. 1294 Als Kaufpreis für die Apotheke wurde von der Vermögensverkehrsstelle<br />
RM 42.000,– bestimmt und davon eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 25.200,– festgesetzt.<br />
RM 16.800,– sollten <strong>Mag</strong>. Philipp Rosen und <strong>Mag</strong>.ª Wanda Rosen erhalten. 1295 Ob den<br />
1287 AdPhGK, Betriebsakt 21083, Anmeldung bei der PhGK vom 24.08.1938.<br />
1288 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1289 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 219.<br />
1290 WStLA, B 13/1-3, Namensverzeichnisse der Rückstellungskommission 1955–1959 sowie B 14/1<br />
Namensverzeichnisse der Rückstellungskommission 1960–1966.<br />
1291 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1292 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1293 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1294 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1295 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
200
ehemaligen BesitzerInnen von diesem Geld etwas zu Gute kam, konnte nicht eruiert<br />
werden. Sehr wahrscheinlich wurde der ihnen zugesprochene Anteil am Kaufpreis, wie in<br />
anderen Fällen auch, auf einem Sperrkonto deponiert. Die Konzession für die Rosen-<br />
Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Anton Gruber am 12. Oktober 1938. 1296<br />
<strong>Mag</strong>. Philipp Rosen verstarb am 16. August 1938 in Wien. 1297 Seine Tochter <strong>Mag</strong>.ª Wanda<br />
Rosen wurde am 14. September 1942 von Wien nach Maly Trostinec deportiert und dort<br />
am 18. September 1942 ermordet. 1298<br />
Am 23. August 1945 wurde die Rosen-Apotheke unter öffentliche Verwaltung gestellt und<br />
von wechselnden Pharmazeuten bis zur Rückstellung der Apotheke geleitet. 1299 1948<br />
beantragte Dr.ª Cyprienne Rosen, die Erbin nach <strong>Mag</strong>. Philipp Rosen und <strong>Mag</strong>.ª Wanda<br />
Rosen, die Rückstellung der 1938 entzogenen Apotheke. In einem daraufhin geführten<br />
Rückstellungsverfahren wurde ihr mit Vergleich vom 30. Dezember 1952 gegen eine<br />
Zahlung von ÖS 27.000,– an den ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Anton Gruber die Rosen-Apotheke samt<br />
Anrecht auf die Konzession zum Betrieb derselben zurückgestellt. 1300<br />
St. Anna-Apotheke, Wien 21., Leopoldauerplatz 79 1301<br />
BesitzerInnen der St. Anna-Apotheke waren Anfang 1938 zu gleichen Teilen <strong>Mag</strong>. Martin<br />
Spörr und seine Frau Cornelia Spörr, 1302 Konzessionär der Apotheke war seit 1921<br />
<strong>Mag</strong>. Martin Spörr. 1303 Der Betrieb erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 24.310,23 und war schuldenfrei. Am 14. Juli 1938 wurde der spätere ‚Ariseur‘<br />
<strong>Mag</strong>. Friedrich Seeger zum verantwortlichen Leiter der Apotheke bestellt. 1304 Er ‚arisierte‘<br />
die St. Anna-Apotheke im Laufe des Sommers 1938. Als Kaufpreis für die Apotheke wurde<br />
von der Vermögensverkehrsstelle der Betrag von RM 17.017,16 bestimmt und davon eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ von RM 10.210,30 vorgeschrieben. <strong>Mag</strong>. Martin Spörr und Cornelia<br />
Spörr erhielten RM 6.806,86 aus dem Zwangsverkauf ihrer Apotheke auf ein Sperrkonto<br />
1296 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1297 Ebd.<br />
1298 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
1299 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1300 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 21, 234, Vergleich vom 30.12.1952.<br />
1301 Heute: St. Anna Apotheke, Wien 21., Großfeldzentrum, Kürschnergasse.<br />
1302 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1303 AdPhGK, Betriebsakt 21113, Bescheid der M.Abt. 8 vom 11.11.1938.<br />
1304 Ebd., Meldung bei der PhGK vom 20.07.1938.<br />
201
gutgeschrieben. 1305 Die Konzession für die St. Anna-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Friedrich<br />
Seeger am 11. November 1938. 1306<br />
<strong>Mag</strong>. Martin Spörr und seine Frau Cornelia Spörr flüchteten 1939 und emigrierten nach<br />
Australien. Sie kehrten 1949 nach Wien zurück. 1307<br />
Am 20. Oktober 1945 wurde die St. Anna-Apotheke unter öffentliche Verwaltung gestellt<br />
und bis zur Rückstellung von <strong>Mag</strong>. Dioniz Kuzmowitsch geleitet. 1308 1948 beantragte<br />
<strong>Mag</strong>. Martin Spörr die Rückstellung der ihm 1938 entzogenen Apotheke. 1309 Das daraufhin<br />
geführte Rückstellungsverfahren endete am 15. Oktober 1949 mit einem Erkenntnis der<br />
Rückstellungskommission Wien V, in dem <strong>Mag</strong>. Martin Spörr gegen die Zahlung von<br />
ÖS 6.800,– an den ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Friedrich Seeger die St. Anna-Apotheke samt<br />
Konzession zurückgestellt wurde. 1310 Da <strong>Mag</strong>. Martin Spörr noch vor Verleihung der<br />
Konzessionsurkunde verstarb, 1311 gründeten seine ErbInnen – Cornelia Spörr, Walter F.<br />
Spörr und Thomas Martin Richards – am 20. September 1950 mit <strong>Mag</strong>. Helmut Binder die<br />
offene Handelsgesellschaft „St. Anna Apotheke, Mr. Helmut Binder & Co.“ zum Betrieb der<br />
Apotheke. 1312 Die Konzession für die St. Anna-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Helmut Binder am<br />
24. November 1950. 1313<br />
5.1.21. Wien, Donaustadt<br />
St. Georg-Apotheke, Wien 22., Wagramerstraße 135<br />
Eigentümer und Konzessionär der St. Georg-Apotheke war seit 1912 <strong>Mag</strong>. Josef Kelhoffer.<br />
Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Umsatz von RM 46.757,60 und war<br />
schuldenfrei. 1314 Am 30. Juli 1938 musste <strong>Mag</strong>. Josef Kelhoffer die Apotheke an seinen<br />
Pächter <strong>Mag</strong>. Friedrich Rabik verkaufen, inklusive aller Warenbestände, der gesamten<br />
1305 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1306 AdPhGK, Betriebsakt 21113, Bescheid der M.Abt. 8 vom 11.11.1938.<br />
1307 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 224.<br />
1308 AdPhGK, Betriebsakt 21113, Bescheid des StAfsV vom 20.10.1945 sowie Bescheid des BmfVuW vom<br />
03.01.1950.<br />
1309 Ebd., Bescheid des BmfVuW vom 03.01.1950.<br />
1310 AdPhGK, Betriebsakt 21113, Bescheid des BmfVuW vom 03.01.1950.<br />
1311 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 224.<br />
1312 AdPhGK, Betriebsakt 21113, Übereinkommen vom 20.09.1950.<br />
1313 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1314 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
202
Einrichtung und des Inventars, der Apothekenkonzession und der Großhandelskonzession.<br />
Der Kaufpreis wurde von der Vermögensverkehrsstelle mit RM 32.730,32<br />
festgelegt. Davon waren RM 19.738,19 als ‚Arisierungsauflage‘ an die Vermögensverkehrsstelle<br />
abzuführen, <strong>Mag</strong>. Kelhoffer erhielt den Rest von RM 12.992,13. 1315 Die<br />
Konzession für die Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Friedrich Rabik am 17. Jänner 1939. 1316<br />
<strong>Mag</strong>. Josef Kelhoffer wurde am 24. Juni 1941 aus seinem Haus in Wien 19.,<br />
Pfarrwiesengasse 19, in eine Sammelwohnung in Wien 2., Franz Hochedlinger-Gasse<br />
23/1/6, zwangsübersiedelt und von dort am 6. Mai 1942 nach Maly Trostinec deportiert, 1317<br />
wo er am 11. Mai 1942 von der SS ermordet wurde. 1318<br />
Im April 1945 floh <strong>Mag</strong>. Rabik vor der auf Wien vorrückenden Roten Armee nach<br />
Pettenbach in Oberösterreich, wo er später von den amerikanischen Besatzungsbehörden<br />
festgenommen und im Lager Glasenbach inhaftiert wurde. 1319 Da die 1938 ‚arisierte‘<br />
Apotheke somit ohne Leitung war, wurde vom Staatsamt für soziale Verwaltung am<br />
19. September 1945 <strong>Mag</strong>. Robert Klotz als öffentlicher Verwalter eingesetzt. <strong>Mag</strong>. Klotz<br />
leitete die Apotheke in dieser Funktion, bis die öffentliche Verwaltung am 16. April 1949<br />
aufgehoben und die Apotheke wieder an <strong>Mag</strong>. Friedrich Rabik übergeben wurde. 1320<br />
Im Oktober 1960 wurde von der Sammelstelle B – <strong>Mag</strong>. Kelhoffer hinterließ keine<br />
ErbInnen, die seine Rückstellungsansprüche wahrnehmen hätten können – ein<br />
Rückstellungsantrag gegen <strong>Mag</strong>. Friedrich Rabik eingebracht. Das Rückstellungsverfahren<br />
endete mit einem Vergleich, in dem die Sammelstelle gegen Zahlung von<br />
ÖS 935.000,– auf die Rückstellung der Apotheke verzichtete. 1321<br />
1315 WStLA, LGZ, A 29, Rk 202/60, Rückstellungsantrag vom 31.10.1960.<br />
1316 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1317 ÖStA, AdR, E- u. Reang., FLD 23806, Auskunft des Zentralmeldungsamtes vom 15.07.1947.<br />
1318 Vgl. Freund u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 27ff.<br />
1319 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 22, 39, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Robert Klotz vom 08.11.1946.<br />
1320 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1321 WStLA, LGZ, A 29, Rk 202/60, Vergleich vom 13.12.1960.<br />
203
St. Hubertus-Apotheke, Wien 22., Schüttaustraße 54<br />
Besitzer der St. Hubertus-Apotheke war seit 1. August 1918 <strong>Mag</strong>. Max Danzer, 1322 die<br />
Konzession für die Apothke erhielt er am 8. Juli 1920. 1323 Die Apotheke erwirtschaftete<br />
1937 einen Jahresumsatz von RM 47.851,– und war schuldenfrei. 1324 Nach dem ‚Anschluß‘<br />
im März 1938 deutete <strong>Mag</strong>. Danzer die Zeichen der Zeit richtig und unternahm erste<br />
Schritte, um mit seiner Familie zu emigrieren. Dazu sollte die St. Hubertus-Apotheke an<br />
<strong>Mag</strong>. Werner Kutschera verpachtet werden, was am 13. April 1938 durch die Errichtung<br />
eines Pachtvertrages auch geschah. 1325 Dieses Übereinkommen wurde allerdings von der<br />
Vermögensverkehrsstelle nicht akzeptiert und beide Vertragspartner genötigt, anstelle des<br />
Pachtvertrages einen Kaufvertrag zu errichten. Im Frühsommer 1945 stellte <strong>Mag</strong>. Werner<br />
Kutschera die Ereignisse des Jahres 1938 in einem Schreiben an das Staatsamt für<br />
soziale Verwaltung wie folgt dar:<br />
Nach dem Umsturz im Jahre 1938 wurde ich von der Herba-A.G. auf Herrn Mr. Max<br />
Danzer aufmerksam gemacht, mit dem ich mich in Verbindung setzte und der mir<br />
erklärte, dass er beabsichtige, die ihm gehörige St. Hubertus-Apotheke in Wien XXI.<br />
Kaisermühlen, zu verpachten, da er mit seiner Familie nach Palästina auswandern<br />
wolle. Der hierauf bezügliche Pachtvertrag kam in der Kanzlei des Dr. Fränkel in<br />
Wien I. am 13. April 1938 zustande und hat mich Herr Mr. Danzer gleichzeitig als<br />
Leiter der Apotheke bei den Behörden angemeldet. Ich wurde auch als solcher<br />
bestätigt, konnte jedoch die Leitung nicht sofort übernehmen, da ich meine damalige<br />
Dienststelle erst verlassen konnte, bis ein Ersatz gefunden war. Während dieser Zeit<br />
trat ich der NSDAP bei, um die Mitgliedschaft nachweisen zu können, was als<br />
unerlässlich für die Genehmigung des Vertrages verlangt wurde, und wurde mir<br />
nahegelegt, einen gewissen Betrag nachzuzahlen, um die Rückdatierung meines<br />
Beitrittes zu ermöglichen. Ich habe diesem Wunsche entsprochen. Inzwischen traf<br />
eine Weisung ein, welche die Genehmigung von Pachtverträgen bezüglich zu<br />
arisierender Apotheken untersagte, worauf am 21. Juli 1938 ein Kaufvertrag<br />
errichtet wurde, laut welchem ich die Apotheke des Herrn Danzer käuflich als mein<br />
Eigentum erwarb. 1326<br />
1322 Vgl. Wiener Apotheker-Hauptgremium, Apothekerwesen in Wien, 82.<br />
1323 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1324 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1325 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 22, 51, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Werner Kutschera vom 04.11.1946.<br />
1326 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-34.288-18/46, <strong>Mag</strong>. Werner Kutschera an das<br />
StAfsV, undatiert, wahrscheinlich Juni 1945.<br />
204
Besagter Kaufvertrag sah RM 33.496,– als Kaufpreis und davon eine ‚Arisierungsauflage‘<br />
von RM 20.098,– vor. Für den ehemaligen Besitzer <strong>Mag</strong>. Max Danzer wurden<br />
RM 13.398,– auf ein Sperrkonto überwiesen. 1327 Die Konzession für die St. Hubertus-<br />
Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Werner Kutschera schließlich am 27. September 1938. 1328<br />
<strong>Mag</strong>. Max Danzer konnte noch im Sommer 1938 nach Palästina emigrieren und führte<br />
später mit einem Teilhaber die Alijah-Pharmacy in Tel Aviv. 1329 Die Schwierigkeiten eines<br />
Neubeginns in der Emigration beschrieb er in einem Brief an <strong>Mag</strong>. Kutschera vom<br />
3. August 1938 wie folgt:<br />
Ich war bis jetzt mit verschiedenen Besorgungen und Wegen sehr beschäftigt. Die<br />
Verhältnisse hier sind natürlich infolge der ständigen Unruhen sehr schlecht, so<br />
dass ich mir noch kein richtiges Urteil bilden kann und abwarten muss, bis wieder<br />
normale Verhältnisse kommen. 1330<br />
1947 beantragte <strong>Mag</strong>. Max Danzer die Rückstellung der St. Hubertus-Apotheke. Das<br />
daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am 12. September 1947 mit einem<br />
Vergleich, in dem zum einen <strong>Mag</strong>. Max Danzer die Apotheke zurückgestellt, zum anderen<br />
ein neuer Pachtvertrag mit <strong>Mag</strong>. Werner Kutschera errichtet wurde. 1331 <strong>Mag</strong>. Max Danzer<br />
verstarb 1956 in Tel Aviv. 1332<br />
5.1.22. Wien, Liesing<br />
Apotheke „Zum guten Hirten“, Wien 23., Siebenhirten, Hauptstraße 7 1333<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zum guten Hirten“ war seit 1919 <strong>Mag</strong>. Leiser<br />
Steiner. 1334 Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 30.467,12 und<br />
1327 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 22, 51, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Werner Kutschera vom 04.11.1946; ÖStA, AdR<br />
04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1328 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1329 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 219.<br />
1330 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-34.288-18/46, <strong>Mag</strong>. Max Danzer an<br />
<strong>Mag</strong>. Werner Kutschera vom 03.08.1938.<br />
1331 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 22, 51, Vergleich vom 12.09.1947.<br />
1332 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 219.<br />
1333 Heute: Wien 23., Ketzergasse 41.<br />
1334 Krug, Wiener Apotheken.<br />
205
war schuldenfrei. 1335 Am 1. August 1938 wurde <strong>Mag</strong>.ª Gabriele Pribil – schon vor 1938<br />
Mitglied der NSDAP und somit ‚Illegale‘ 1336 – als verantwortliche Leiterin eingesetzt und die<br />
Apotheke in Folge von ihr ‚arisiert‘. 1337 Der von der Vermögensverkehrsstelle dabei<br />
vorgeschriebene Kaufpreis betrug RM 21.327,–, wovon eine ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 12.797,– abzuführen war. <strong>Mag</strong>. Leiser Steiner wurden RM 8.530,– aus dem<br />
Zwangsverkauf seiner Apotheke zuerkannt. 1338 Die Konzession für die Apotheke „Zum<br />
guten Hirten“ erhielt <strong>Mag</strong>.ª Gabriele Pribil am 17. Jänner 1939. 1339<br />
<strong>Mag</strong>. Leiser Steiner und seine Frau Rosa Rachel Steiner flüchteten 1939 nach Belgien. 1340<br />
Sie wurden allerdings später von den NationalsozialistInnen gefasst und im Herbst 1942<br />
vom französichen Lager Drancy nach Auschwitz deportiert. Sie haben die Shoa nicht<br />
überlebt. 1341<br />
Am 25. Juni 1945 wurde <strong>Mag</strong>.ª Anna Kampitsch von der Abteilung II des Wiener<br />
<strong>Mag</strong>istrats zur verantwortlichen Leiterin der Apotheke „Zum guten Hirten“ ernannt 1342 und<br />
am 23. August 1938 mit der öffentlichen Verwaltung der Apotheke betraut. 1343 1948<br />
beantragten die Erben nach <strong>Mag</strong>. Steiner, Julius und Jakob Steiner, die Rückstellung der<br />
1938 entzogenen Apotheke. Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren endete am<br />
12. Mai 1951 mit einem Vergleich, in dem ihnen gegen die Zahlung von ÖS 10.000,– die<br />
Apotheke samt Konzession zurückgestellt wurde. 1344<br />
Apotheke „Zur Mariahilf“, Wien 23., Perchtoldsdorferstraße 5<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zur Mariahilf“ war seit 1930 <strong>Mag</strong>. Walter<br />
Czuczka. 1345 Der Jahresumsatz dieser Apotheke belief sich im Jahre 1937 auf<br />
1335 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1336 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 7, V-31.599-18/46, Wiener Apotheker-<br />
Hauptgremium an das BMfsV vom 25.04.1946.<br />
1337 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1338 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1339 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1340 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 224; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 129, Anmeldung durch Emil<br />
Bauer vom 15.11.1946.<br />
1341 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001; Yad Vashem,<br />
http://www.yadvashem.org (März 2008).<br />
1342 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1945, Kt.3, IV-161.524-15/45, Wiener <strong>Mag</strong>istratsabteilung<br />
II an das StAfsV vom 14.09.1945.<br />
1343 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1344 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 129, Vergleich vom 12.05.1951.<br />
1345 Krug, Wiener Apotheken.<br />
206
RM 46.700,–, der Betrieb war mit RM 33.042,66 belastet. 1346 Mit Kaufvertrag vom 5. Mai<br />
1938 und dessen Genehmigung durch die Vermögensverkehrsstelle vom 8. November<br />
1938 wurde die Apotheke von <strong>Mag</strong>. Friedrich Grötschel ‚arisiert‘. Der im Mai 1938<br />
vereinbarte Kaufpreis von RM 46.700,– wurde von der Vermögensverkehrsstelle bestätigt.<br />
Des Weiteren wurde dem ‚Ariseur‘ aufgetragen, die aushaftenden Außenstände zu<br />
begleichen und die Differenz zum Kaufpreis von RM 13.657,34 als ‚Entjudungsauflage‘ an<br />
die Vermögensverkehrsstelle zu überweisen. <strong>Mag</strong>. Czuczka erhielt aus dem<br />
Zwangsverkauf seiner Apotheke nichts. 1347 Am 12. November 1938 erhielt <strong>Mag</strong>. Götschel<br />
auch die Konzession für die Apotheke „Zur Mariahilf“. 1348 Eineinhalb Jahre später, am 27.<br />
April 1940, verkaufte <strong>Mag</strong>. Grötschel für RM 40.000,– die Hälfte der Apotheke an<br />
<strong>Mag</strong>. Alfred Rether, 1349 der am 26. Juni 1940 die Konzession für die Apotheke erhielt, 1350<br />
1942 in die NSDAP aufgenommen wurde und bis zum 15. Oktober 1947 als<br />
verantwortlicher Leiter der Apotheke fungierte. 1351<br />
<strong>Mag</strong>. Walter Czuczka emigrierte im August 1938 nach Australien, 1352 von wo er im<br />
November 1946 seine Rückstellungsansprüche anmeldete. 1353 Am 2. Dezember 1948<br />
wurde schließlich vor der Rückstellungskommission Wien V ein Vergleich geschlossen, in<br />
dem <strong>Mag</strong>. Czuczka gegen Zahlung von ÖS 33.042,66 an die ‚Ariseure‘ – tituliert als<br />
„Rückzahlung des Kaufpreises“ – seine Apotheke zurückgestellt wurde. 1354 Er kehrte im<br />
September 1949 nach Wien zurück und übernahm am 4. April 1950 die Leitung seiner<br />
Apotheke. Die zugehörige Konzession wurde ihm am 5. Mai 1950 verliehen. <strong>Mag</strong> Walter<br />
Czuczka verstarb am 28. Juli 1975 in Wien. 1355<br />
Paracelsus-Apotheke, Wien 23., Mauer, Hauptplatz 1 1356<br />
Besitzer und Konzessionär der Paracelsus-Apotheke war seit 1918 <strong>Mag</strong>. Chaim Wilhelm<br />
König. 1357 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 42.825,19 auf und war<br />
1346 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 59, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. Alfred Rether vom 28.10.1946.<br />
1347 Ebd., Bescheid der Vermögensverkehrsstelle vom 08.11.1938.<br />
1348 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1349 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 59, Kaufvertrag vom 27.04.1940.<br />
1350 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1351 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/4, verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr 1900.<br />
1352 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1353 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 40, Anmeldung durch Hilde Drabek für Walter Czuczka vom 28.10.1946<br />
1354 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 59, Vergleich vom 02.12.1948.<br />
1355 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1356 Seit 1961: Wien 23., Speisinger Straße 260.<br />
1357 Krug, Wiener Apotheken.<br />
207
schuldenfrei. 1358 Schon am 2. April 1938 1359 wurde zwischen <strong>Mag</strong>. König und dem ‚Ariseur‘<br />
<strong>Mag</strong>. August Dorn ein Kaufvertrag in Form eines Gedächtnisprotokolls errichtet, der die<br />
Übergabe der Paracelsus-Apotheke an <strong>Mag</strong>. Dorn um den Preis von S 96.000,–<br />
vorsah. 1360 Wie aus dem Bericht des Kommissarischen Verwalters der jüdischen<br />
Apotheken in der Ostmark, SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner, an den Gauleiter<br />
Josef Bürckel vom 31. Jänner 1939 hervorgeht, dürfte dieser Kaufvertrag später von der<br />
Vermögensverkehrsstelle revidiert worden sein. Laut diesem Bericht setzte die<br />
Vermögensverkehrsstelle einen weit geringeren Kaufpreis von RM 29.977,63 fest, wovon<br />
zu ihren Gunsten eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 17.986,58 zu bezahlen war. Weniger<br />
als ein Fünftel des ursprünglichen vereinbarten Kaufpreises, RM 11.991,05, sollte<br />
<strong>Mag</strong>. Chaim Wilhelm König aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke erhalten. 1361 Die<br />
Konzession für die Paracelsus-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. August Dorn am 6. Oktober 1938. 1362<br />
<strong>Mag</strong>. Chaim Wilhelm König konnte sich am 6. Mai 1940 nach Shanghai in Sicherheit<br />
bringen. Am 26. Dezember 1946 emigrierte er von dort nach Australien und blieb bis<br />
Dezember 1949 in Sydney. 1363<br />
1948 beantragte <strong>Mag</strong>. Chaim Wilhelm König die Rückstellung seiner Apotheke. Im<br />
daraufhin geführten Rückstellungsverfahren wurde ihm am 4. November 1948 mit einem<br />
Teilvergleich die Paracelsus-Apotheke samt Mietrechten und dem Anrecht auf die<br />
Konzession zurückgestellt. 1364 <strong>Mag</strong>. Chaim Wilhelm König kehrte am 28. Dezember 1949<br />
nach Wien zurück und stellte ein Ansuchen um Herabsetzung der nötigen Praxis, die für<br />
die Berechtigung zum selbständigen Betrieb einer öffentlichen Apotheke vorgeschrieben<br />
war. Das nächste halbe Jahr war er als Angestellter in seiner eigenen Apotheke tätig und<br />
übernahm am 27. Juli 1950 deren Leitung. Die Konzession für die Paracelsus-Apotheke<br />
erhielt er am 31. August 1950. <strong>Mag</strong>. Chaim Wilhelm König verstarb am 19. November<br />
1955 in Wien. 1365<br />
1358 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1359 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 227, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>. August Dorn vom 12.11.1946.<br />
1360 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 152, Anmeldung durch <strong>Mag</strong>.ª Elfriede Graf vom 16.11.1946.<br />
1361 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1362 Krug, Wiener Apotheken.<br />
1363 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z; WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 152 u. 227,<br />
Teilvergleich vom 04.11.1948.<br />
1364 WStLA, M.Abt. 119, VEAV Bez. 25, 152 u. 227, Teilvergleich vom 04.11.1948.<br />
1365 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
208
5.2. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken in Niederösterreich<br />
Landschaftsapotheke, Baden bei Wien, Hauptplatz 13<br />
Besitzer dieser Realapotheke waren Anfang 1938 Kurt und Heinz Haberfeld,<br />
verantwortlicher Leiter der Apotheke war <strong>Mag</strong>. Adolf Ehler. 1366 Der Betrieb erwirtschaftete<br />
1937 einen Jahresumsatz von RM 100.758,34 und war schuldenfrei. 1367 Am 17. Juli wurde<br />
von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner der spätere ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Alois Brinke – ehemaliger Pächter der<br />
Linden-Apotheke in Seitenstetten 1368 – zum verantwortlichen Leiter der Landschaftsapotheke<br />
bestellt. Mit Dr.ª Rita Lanzdorf gründete <strong>Mag</strong>. Brinke eine offene Handelsgesellschaft,<br />
die in Folge die Apotheke mit Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle<br />
‚arisierte‘. 1369 Als Kaufpreis für die Landschaftsapotheke setzte die Vermögensverkehrsstelle<br />
den Betrag von RM 70.530,84 fest und schrieb eine ‚Arisierungsauflage‘ von<br />
RM 42.318,50 vor. 40 Prozent des Kaufpreises und somit RM 28.212,34 sollten den<br />
Brüdern Haberfeld auf Sperrkonten gutgeschrieben werden. 1370 Die Konzession für die<br />
Landschaftsapotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Brinke mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft<br />
Baden bei Wien vom 9. November 1938. 1371<br />
Kurt und Heinz Haberfeld flüchteten noch 1938 vor der nationalsozialistischen Verfolgung<br />
und emigrierten nach Buenos Aires. Heinz Haberfeld kehrte 1961 aus dem Exil zurück<br />
nach Österreich, Kurt Haberfeld verstarb 1966 in Buenos Aires. 1372<br />
Am 10. April 1940 wurde vom Landrat des Kreises Baden <strong>Mag</strong>. Alois Brinke die<br />
Leitungsbefugnis für die Landschaftsapotheke entzogen und auf Dr.ª Rita Lanzdorf<br />
übertragen. <strong>Mag</strong>. Brinke trat daraufhin im Juli 1940 aus der Betreibergesellschaft aus.<br />
Dkfm. Adolf Lanzdorf trat im November 1940 als neuer Gesellschafter in die offene<br />
Handelgesellschaft ein, der Firmenname wurde geändert in „Landschafts-Apotheke Dr. et<br />
<strong>Mag</strong>. Rita Lanzdorf u. Comp.“. 1373<br />
1366 Kurt Ryslavy, Materialien zur Geschichte der Apotheken und Apotheker Niederösterreichs, Wien 1991, 36.<br />
1367 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1368 Ryslavy, Niederösterreich, 435.<br />
1369 Ebd., 37f.<br />
1370 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1371 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 50 (1938), 257.<br />
1372 Ryslavy, Niederösterreich, 36.<br />
1373 Ebd., 38.<br />
209
Am 7. Juli 1948 wurde die Landschaftsapotheke an Kurt und Heinz Haberfeld zurückgestellt,<br />
sie verpachteten die Apotheke mit 1. Jänner 1949 an <strong>Mag</strong>. Adolf Ehler. 1374<br />
Engel-Apotheke, Deutsch-Wagram, Gänserndorferstraße 2 1375<br />
Besitzer und Konzessionär der Engel-Apotheke war seit 1923 <strong>Mag</strong>. Salomon Bartel. 1376<br />
Die Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 23.333,– und war<br />
schuldenfrei. 1377 Am 29. Oktober 1937 schloss <strong>Mag</strong>. Bartel mit <strong>Mag</strong>.ª Luise Vieböck einen<br />
Pachtvertrag für die Apotheke und einen Mietvertrag für das Wohnhaus, in dem sich die<br />
Apotheke befand, ab; das Pacht- und Mietverhältnis sollte am 1. April 1938 beginnen. 1378<br />
<strong>Mag</strong>.ª Luise Vieböck übernahm daher vereinbarungsgemäß an diesem Tag als Pächterin<br />
die Leitung der Engel-Apotheke. 1379 Später ‚arisierte‘ sie mit Bescheid der Vermögensverkehrsstelle<br />
vom 24. November 1938 die Apotheke, 1380 das Wohnhaus blieb im Besitz<br />
von <strong>Mag</strong>. Salomon Bartel. 1381 Als Kaufpreis für die Apotheke wurde von der Vermögensverkehrsstelle<br />
der Betrag von RM 17.733,– festgesetzt und davon eine ‚Arisierungsauflage‘<br />
von RM 10.640,– zu Gunsten der Vermögensverkehrsstelle verfügt. RM 7.093,–<br />
erhielt <strong>Mag</strong>. Salomon Bartel auf ein Sperrkonto gutgeschrieben. 1382 Die Konzession für die<br />
Engel-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>.ª Luise Vieböck im April 1939. 1383<br />
<strong>Mag</strong>. Salomon Bartel verstarb am 18. Juli 1940 im Alter von 65 Jahren in Wien und wurde<br />
am Wiener Zentralfriedhof beerdigt. 1384 Seine Frau Stefanie Bartel wurde am 15. Oktober<br />
1941 von Wien nach Litzmannstadt deportiert und verstarb im Getto Litzmannstadt am<br />
28. April 1942. 1385<br />
Da das Vermögen Stefanie Bartels – im Wesentlichen das Haus in Deutsch-Wagram, das<br />
sie nach dem Tod ihres Mannes erbte und in dem sich die Engel-Apotheke befand – am<br />
1374 Ebd.<br />
1375 Heute: Engel-Apotheke, Deutsch-Wagram, Hauptstraße 21.<br />
1376 AdPhGK, Betriebsakt 30120, Konzessionsurkunde für <strong>Mag</strong>. Salomon Bartel vom 01.03.1923.<br />
1377 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1378 AdPhGK, Betriebsakt 30120, Gedenkprotokoll vom 29.10.1937.<br />
1379 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 13718, <strong>Mag</strong>.ª Luise Vieböck an den Oberfinanzpräsidenten Wien –<br />
Niederdonau vom 27.02.1943.<br />
1380 Ebd., <strong>Mag</strong>.ª Luise Vieböck an das FA Gänserndorf vom 30.10.1943.<br />
1381 Ebd., Ex offo-Grundbuchsauszug des Bezirksgerichts Wolkersdorf vom 13.06.1949.<br />
1382 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1383 Ryslavy, Niederösterreich, 58.<br />
1384 IKG Wien, Friedhofsdatenbank, http://www.ikg-wien.at (Mai 2008).<br />
1385 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
210
25. Juli 1942 von der Geheimen Staatspolizei zu Gunsten des Deutschen Reiches<br />
beschlagnahmt wurde, 1386 befand es sich nach dem Krieg in der Verwaltung der<br />
Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland. Bei dieser<br />
beantragten die Erbinnen nach Stefanie Bartel, ihre Nichten Anna Munk und Katuse<br />
Muzak, am 10. Dezember 1948 die Rückstellung der Liegenschaft. 1387 Mit Bescheid der<br />
Finanzlandesdirektion vom 1. Oktober 1949 wurde ihnen das Haus in Deutsch-Wagram<br />
sowie ÖS 3890,26 an Erträgnissen zurückgestellt. 1388 Für die Apotheke selbst wurde –<br />
auch von den Sammelstellen – kein Rückstellungsantrag eingebracht, 1389 <strong>Mag</strong>.ª Luise<br />
Vieböck behielt die Konzession für die Engel-Apotheke bis 10. April 1971. 1390<br />
St. Anna-Apotheke, Ebreichsdorf, Hauptplatz 20<br />
Besitzer und Konzessionär der St. Anna-Apotheke war seit 1911 <strong>Mag</strong>. Ludwig Roniger. 1391<br />
Nach dem ‚Anschluß‘ im März 1938 übertrug <strong>Mag</strong>. Roniger, um einer drohenden<br />
‚Arisierung‘ seiner Apotheke zuvorzukommen, am 4. April 1938 die Apotheke an seinen<br />
Sohn, <strong>Mag</strong>. Ludwig Roniger jun., der nach nationalsozialistischer Diktion ‚Mischling<br />
1. Grades‘ war. Der Betrieb sollte somit nicht mehr als jüdisches Unternehmen gelten. Die<br />
bürokratische Abwicklung dieser Besitzübertragung verzögerte sich allerdings bis nach<br />
dem 27. April 1938, als per Gesetz 1392 die Übertragung von jüdischen Gewerbebetrieben<br />
genehmigungspflichtig wurde. Der Kommissarische Verwalter der jüdischen Apotheken in<br />
der Ostmark, SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner, aber auch die Deutsche<br />
Apothekerschaft und die Vermögensverkehrsstelle drängten nun darauf, die Apotheke<br />
einem ‚Arisierungsverfahren‘ zu unterziehen. Die Familie Roniger wurde noch 1938 vom<br />
Ortsgruppenleiter der NSDAP aus Ebreichsdorf vertrieben, durch Beschwerde beim<br />
Reichswirtschaftsministerium konnte aber die ‚Arisierung‘ ihrer Apotheke vorerst gestoppt<br />
werden. 1393 Am 21. Februar 1940 entschied schließlich der Reichsminister des Inneren,<br />
dass gegen die Übernahme der Apotheke durch <strong>Mag</strong>. Ludwig Roniger jun. nichts<br />
einzuwenden wäre, und ihm die Apotheke und die Konzession aus der bestehenden<br />
1386 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 13718, Oberfinanzpräsident Wien-Niederdonau an das FA Gänserndorf vom<br />
27.04.1943.<br />
1387 Ebd., RA Dr. Stefan Schmid an die FLD vom 10.12.1948.<br />
1388 Ebd., Rückstellungsbescheid vom 01.10.1949.<br />
1389 WStLA, B 13/1-3 Namensverzeichnisse der Rückstellungskommission 1955–1959 sowie B 14/1<br />
Namensverzeichnisse der Rückstellungskommission 1960–1966.<br />
1390 Ryslavy, Niederösterreich, 58.<br />
1391 Ebd., 63.<br />
1392 GBlÖ 103/1938.<br />
1393 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, Walter Raffelsberger an Josef Bürckel vom 01.03.1939.<br />
211
Treuhandverwaltung zu übergeben wären. 1394 Da aber die Familie Roniger nun schon seit<br />
fast zwei Jahren nicht mehr in Ebreichsdorf wohnte, entschied sie sich, die Apotheke an<br />
<strong>Mag</strong>. Richard Zitka zu verkaufen. Dieser erhielt die Konzession für die Apotheke im<br />
November 1941. 1395<br />
<strong>Mag</strong>. Ludwig Roniger sen. überlebte die nationalsozialistische Verfolgung und verstarb<br />
1952 in Ebreichsdorf. 1396 <strong>Mag</strong>. Ludwig Roniger jun. arbeitete bis August 1949 als<br />
angestellter Apotheker – ab Juni 1945 hatte er auch die Leitung inne – in der Apotheke<br />
„Zum heiligen Georg“ in Wien-Margarten. 1397<br />
Die St. Anna-Apotheke wurde 1949 zurückgestellt, die Konzession für die Apotheke erhielt<br />
<strong>Mag</strong>. Ludwig Roniger jun. im Juli 1949. 1398<br />
Apotheke „Zur heiligen Gertrud“, Gars am Kamp, Hauptplatz 5<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zur heiligen Gertrud“ war seit 1935 Dr. Hans<br />
Niedermayer. 1399 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 33.916,– auf und<br />
war mit RM 43.798,73 verschuldet. 1400 Am 20. Juni 1938 wurde von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner<br />
der spätere ‚Ariseur‘ der Apotheke, <strong>Mag</strong>. Paul Stopfkuchen, zum verantwortlichen Leiter<br />
der Apotheke bestellt. 1401 <strong>Mag</strong>. Stopfkuchen ‚arisierte‘ die Apotheke „Zur heiligen Gertrud“<br />
mit Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle, die auf Grund des Jahresumsatzes von<br />
1937 einen Kaufpreis von RM 23.741,20 für die Apotheke festsetzte. In Anbetracht der<br />
Betriebsschulden verzichtete die Vermögensverkehrsstelle auf die Vorschreibung einer<br />
‚Arisierungsauflage‘ und übertrug die Apotheke gegen Übernahme der aushaftenden<br />
Betriebsverbindlichkeiten an <strong>Mag</strong>. Paul Stopfkuchen. Der ehemalige Besitzer Dr. Hans<br />
Niedermayer erhielt nichts aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke. 1402 Die Konzession<br />
für die Apotheke „Zur heiligen Gertrud“ erhielt <strong>Mag</strong>. Paul Stopfkuchen am 31. März<br />
1939. 1403<br />
1394 Ebd., Reichsminister des Inneren an den Landeshauptmann von Niederdonau vom 21.02.1940.<br />
1395 Ryslavy, Niederösterreich, 63.<br />
1396 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
1397 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
1398 Ryslavy, Niederösterreich, 63.<br />
1399 AdPhGK, Betriebsakt 30228, Konzessionsurkunde vom 22.02.1935.<br />
1400 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1401 AdPhGK, Betriebsakt 30228, Anmeldung bei der PhGK vom 21.06.1938.<br />
1402 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1403 AdPhGK, Betriebsakt 30228, Konzessionsurkunde vom 31.03.1939.<br />
212
Dr. Hans Niedermayer übersiedelte nach der ‚Arisierung‘ seiner Apotheke nach Wien, wo<br />
er 1939 im Alter von 62 Jahren verstarb. 1404<br />
Die Apotheke „Zur heiligen Gertrud“ blieb nach 1945 im Besitz von <strong>Mag</strong>. Paul<br />
Stopfkuchen, weder von den Sammelstellen noch von etwaigen ErbInnen nach Dr. Hans<br />
Niedermayer wurde ein Rückstellungsantrag gestellt. 1405 Grund dafür könnte sein, dass der<br />
1938 von <strong>Mag</strong>. Paul Stopfkuchen entrichtete Kaufpreis – er bestand in diesem Fall in der<br />
Übernahme relativ hoher Betriebsschulden – in etwa dem entsprach, wie er vor 1938 bei<br />
Übernahme der Apotheke angemessen gewesen wäre, und der Besitzerwechsel im Zuge<br />
der NS-Machtübernahme somit nicht als unredlicher Erwerb betrachtet wurde. Die<br />
Apotheke „Zur heiligen Gertrud“ wurde jedenfalls nicht zurückgestellt, <strong>Mag</strong>. Paul<br />
Stopfkuchen blieb bis zu seinem Ableben am 7. März 1961 Konzessionär der<br />
Apotheke. 1406<br />
Apotheke „Zur Mariahilf“, Vorderbruck bei Gutenstein 1407<br />
Besitzerin und Konzessionärin der Apotheke „Zur Mariahilf“ war nach dem Ableben des<br />
Vorbesitzers <strong>Mag</strong>. Franz Holub 1936 seine Witwe <strong>Mag</strong>.ª Paula Holub. 1408 Die Apotheke<br />
wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 19.988,70 auf und war mit RM 15.542,66<br />
verschuldet. 1409 Die Verbindlichkeiten stammten aus einem von der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse für Österreich dem Betrieb 1937 gewährten Sanierungsdarlehen in Höhe<br />
von S 22.000,– sowie Warenschulden bei der Herba. 1410 Auch für diese Apotheke wurde im<br />
Mai 1938 der SA-Sturmbannführer <strong>Mag</strong>. Edwin Renner als Kommissarischer Verwalter<br />
eingesetzt. Dieser bestellte aber mangels BewerberInnen keinen verantwortlichen Leiter<br />
und keine verantwortliche Leiterin für die zu ‚arisierende‘ Apotheke. 1411 Erst am<br />
1. November 1938 bewarb sich <strong>Mag</strong>.ª Irmgard Schaller-Held um die ‚Arisierung‘ der<br />
Apotheke „Zur Mariahilf“ 1412 und erwarb noch am selben Tag die Apotheke mittels mündlich<br />
1404 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 222.<br />
1405 WStLA, B 13/1-3 Namensverzeichnisse der Rückstellungskommission 1955–1959 sowie B 14/1<br />
Namensverzeichnisse der Rückstellungskommission 1960–1966.<br />
1406 Ryslavy, Niederösterreich, 93; AdPhGK, Betriebsakt 30228, Pate vom 07.03.1961.<br />
1407 Heute: Raimund-Apotheke, Pernitz, Hauptstraße 87. Die Apotheke wurde von <strong>Mag</strong>.ª Irmgard Held 1939 an ihren<br />
heutigen Standort verlegt und der Name geändert.<br />
1408 WStLA, LGZ, A 29, Rk 74/60, Rückstellungsantrag vom 20.06.1960.<br />
1409 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1410 WStLA, LGZ, A 29, Rk 74/60, Beschwerde vom 19.10.1960.<br />
1411 Ebd., Gegenäußerung vom 27.07.1960.<br />
1412 Ebd., Gegenäußerung vom 27.07.1960.<br />
213
abgeschlossen Kaufvertrages, über den später ein Gedächtnisprotokoll verfertigt<br />
wurde. 1413 Am 15. Dezember 1938 wurde die ‚Arisierung‘ der Apotheke „Zur Mariahilf“ von<br />
der Vermögensverkehrsstelle genehmigt, und ein Kaufpreis von RM 13.992,09<br />
festgesetzt. 1414 Da die Verbindlichkeiten des Betriebs den von der Vermögensverkehrsstelle<br />
bestimmten Kaufpreis überstiegen, wurde von der Vorschreibung einer<br />
‚Arisierungsauflage‘ abgesehen und die Apotheke mit der Verpflichtung zur Übernahme<br />
der Betriebsschulden an <strong>Mag</strong>.ª Irmgard Schaller-Held übertragen. <strong>Mag</strong>.ª Paula Holub<br />
erhielt nichts aus dem Zwangsverkauf ihrer Apotheke. 1415 Die Konzession für die Apotheke<br />
„Zur Mariahilf“ erhielt <strong>Mag</strong>.ª Schaller-Held am 4. April 1939. 1416 Am 6. März 1939 suchte<br />
<strong>Mag</strong>.ª Irmgard Schaller-Held um die Genehmigung an, die Apotheke von Vorderbruck bei<br />
Gutenstein nach Pernitz verlegen zu dürfen. 1417 Dem Ansuchen wurde stattgegeben und<br />
die Apotheke nach Pernitz verlegt. Im Zuge der Standortverlegung wurde auch der Name<br />
auf „Raimund-Apotheke“ geändert. 1418<br />
<strong>Mag</strong>.ª Paula Holub übersiedelte nach der ‚Arisierung‘ ihrer Apotheke nach Wien 1,<br />
Gölsdorfgasse 4/2, von wo sie am 14. Juni 1942 nach Sobibor deportiert wurde.<br />
<strong>Mag</strong>.ª Paula Holub hat die Shoa nicht überlebt. 1419<br />
Im April 1945 wurde die Raimund-Apotheke während der Kampfhandlungen geplündert 1420<br />
1421<br />
und <strong>Mag</strong>.ª Schaller-Held flüchtete aus Pernitz. Bis zu ihrer Rückkehr im November<br />
1945 wurde die Apotheke von <strong>Mag</strong>. Friedrich Herschel geleitet, 1949 wurde <strong>Mag</strong>. Paul<br />
Viktor als verantwortlicher Leiter bestellt. Im Mai 1955 wurde die Raimund-Apotheke von<br />
<strong>Mag</strong>.ª Irmgard Schaller-Held an ihn verpachtet. 1422<br />
Da <strong>Mag</strong>.ª Paula Holub keine ErbInnen hinterließ, die Rückstellungsansprüche stellen<br />
hätten können, wurde am 20. Juni 1960 von der Sammelstelle A die Rückstellung der<br />
1938 entzogenen Apotheke beantragt. 1423 Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren<br />
1413 Ebd., Beschluss der Rückstellungsoberkommission vom 29.11.1960.<br />
1414 Ebd.<br />
1415 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1416 Ryslavy, Niederösterreich, 368.<br />
1417 WStLA, LGZ, A 29, Rk 74/60, Teilerkenntnis vom 05.10.1960<br />
1418 Ebd., Beschwerde vom 19.10.1960.<br />
1419 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
1420 Ebd.<br />
1421 Ryslavy, Niederösterreich, 368.<br />
1422 Ebd.<br />
1423 WStLA, LGZ, A 29, Rk 74/60, Rückstellungsantrag vom 20.06.1960.<br />
214
wurde mit Teilerkenntnis der Rückstellungskommission Wien V am 5. Oktober 1960<br />
vorerst dahingehend entschieden, dass der Sammelstelle A gegen die Zahlung von<br />
ÖS 14.492,– die Raimund-Apotheke samt Mietrechten und Konzession zurückgestellt<br />
wurde. 1424 Eine von <strong>Mag</strong>.ª Schaller-Held am 19. Oktober desselben Jahres bei der<br />
Rückstellungsoberkommission eingebrachte Beschwerde gegen das ergangene Teilerkenntnis<br />
wurde von der Rückstellungsoberkommission am 29. November 1960<br />
abgewiesen und die Rückstellungsverpflichtung bestätigt. 1425 Die Sammelstelle A verkaufte<br />
daraufhin die Raimund-Apotheke an den bisherigen Pächter <strong>Mag</strong>. Paul Viktor, der im<br />
September 1961 auch die Konzession für die Apotheke erhielt. 1426<br />
Apotheke „Zum heiligen Georg“, Himberg, Hauptplatz 9 1427<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zum heiligen Georg“ war seit 1911 <strong>Mag</strong>. Ludwig<br />
Dub. 1428 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 28.319,78 auf und war<br />
schuldenfrei. 1429 Am 8. Juni 1938 wurde <strong>Mag</strong>. Karl Meixner – ‚ilegales‘ Mitglied der NSDAP<br />
seit 1932 und nach dem ‚Anschluß‘ Ortsgruppenpropagandaleiter von Donnerskirchen 1430<br />
– von <strong>Mag</strong>. Edwin Renner zum verantwortlichen Leiter der Apotheke bestellt. Die<br />
‚Arisierung‘ der Apotheke „Zum heiligen Georg“ durch <strong>Mag</strong>. Karl Meixner erfolgte sodann<br />
am 15. Juli 1938 mit vorläufiger Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle. Die<br />
endgültige Genehmigung für die ‚Arisierung‘ erhielt <strong>Mag</strong>. Meixner am 11. November 1938,<br />
der Kaufpreis für die Apotheke wurde mit RM 19.823,85 festgesetzt und eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ von RM 11.894,31 bestimmt. 1431 RM 7.929,54 sollten nach Abzug<br />
eventueller Verbindlichkeiten auf ein Sperrkonto zu Gunsten von <strong>Mag</strong>. Ludwig Dub erlegt<br />
werden. 1432 Welcher Methoden sich die ‚Ariseure‘ bedienten, um ihre jüdischen Opfer<br />
einzuschüchtern, illustriert eine Begebenheit, wie sie sich bei der ‚Arisierung‘ des Hauses<br />
von <strong>Mag</strong>. Dub, in dem die Apotheke „Zum heiligen Georg“ untergebracht war, zugetragen<br />
haben soll:<br />
1424 Ebd., Teilerkenntnis vom 05.10.1960<br />
1425 Ebd., Beschluss der Rückstellungsoberkommission vom 29.11.1960.<br />
1426 Ryslavy, Niederösterreich, 368.<br />
1427 Heute: St. Georgs-Apotheke.<br />
1428 WStLA, LGZ, A 29, Rk 245/60, Rückstellungsantrag vom 18.11.1960.<br />
1429 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1430 WStLA, LGZ, A 29, Rk 245/60, Sammelstelle A an die Rückstellungskommission Wien V vom 10.03.1961.<br />
1431 Ebd., Rückstellungsantrag vom 18.11.1960.<br />
1432 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
215
Herr Meixner hat von Herrn Dub nicht nur die Apotheke sondern auch das Haus<br />
„Langhof“ erworben. Dieses Haus wollte Herr Dub ursprünglich nach dem 13.3.1938<br />
um S. 85.000,– verkaufen. Er reduzierte dann den Kaufpreis auf S. 65.000,– unter<br />
der Bedingung, dass ein Teil des Kaufpreises bar bezahlt würde. Einer der<br />
Interessenten war Herr Jakob Kögel. Als er Herrn Dub besuchte, um wegen des<br />
Verkaufs zu verhandeln, kam er gerade dazu, als 2 SA-Männer Herrn Dub<br />
ohrfeigten, während Herr Meixner und die erste Gattin des Antragsgegners<br />
höhnisch lachend dabeistanden. Später erklärte Herr Dub, er habe den „Langhof“<br />
um S. 45.000,– an Herrn Meixner verkaufen müssen, da er mit Schlägen dazu<br />
gezwungen wurde. 1433<br />
Nach erfolgter ‚Arisierung‘ von Wohnaus und Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Karl Meixner die<br />
Konzession für die Apotheke „Zum heiligen Georg“ am 29. November 1938 und im Juni<br />
1940 wurde der neue Besitzer im Wiener Handelsregister protokolliert. 1434<br />
<strong>Mag</strong>. Ludwig Dub und seine Frau Irma Dub übersiedelten nach dem Zwangsverkauf der<br />
Apotheke und ihres Hauses in Himberg nach Wien 9., Liechtensteinstraße 72. Von dort<br />
wurden beide am 11. Jänner 1942 in das Getto Riga deportiert. Sie haben die Shoa nicht<br />
überlebt. 1435<br />
Die Apotheke „Zum heiligen Georg“ wurde im November 1944 bei einem Bombenangriff<br />
vollständig zerstört und der Apothekenbetrieb daher in das Nachbarhaus, Hauptplatz 8,<br />
verlegt. 1436 Da <strong>Mag</strong>. Karl Meixner zu Kriegsende aus Himberg geflüchtet war, wurde am<br />
26. Juni 1945 <strong>Mag</strong>. Franz Czurda als Leiter für die verwaiste Apotheke – sie kam später<br />
unter öffentliche Verwaltung – bestellt. Am 5. Oktober 1948 wurde die öffentliche<br />
Verwaltung der Apotheke „Zum heiligen Georg“ aufgehoben und am 4. November 1948<br />
die Geschäfte wieder an <strong>Mag</strong>. Karl Meixner übergeben. 1437 <strong>Mag</strong>. Meixner verstarb am<br />
26. Februar 1953 und die Apotheke wurde in Folge von seinen ErbInnen – Theresia<br />
Meixner, Liselotte und Ernst Meixner – als Witwen- beziehungsweise Deszendentenfortbetrieb<br />
weitergeführt. Da <strong>Mag</strong>. Ludwig Dub und Irma Dub ohne ErbInnen verstorben<br />
waren, wurde am 18. November 1960 von der Sammelstelle A die Rückstellung der 1938<br />
1433 WStLA, LGZ, A 29, Rk 245/60, Sammelstelle A an die Rückstellungskommission Wien V vom 10.03.1961.<br />
1434 Ebd., Rückstellungsantrag vom 18.11.1960.<br />
1435 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
1436 WStLA, LGZ, A 29, Rk 245/60, Rückstellungsantrag vom 18.11.1960.<br />
1437 WStLA, M.Abt. 212, Kartei K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z.<br />
216
entzogenen Apotheke beantragt. 1438 Das daraufhin geführte Rückstellungsverfahren<br />
endete am 11. März 1963 mit einem Vergleich, in dem die Sammelstelle A gegen die<br />
Zahlung von ÖS 600.000,– und den Ersatz der Prozesskosten in Höhe von ÖS 2.800,– auf<br />
die Rückstellung der Apotheke „Zum heiligen Georg“ verzichtete. 1439<br />
Apotheke „Zum heiligen Leopold“, Klosterneuburg, Stadtplatz 8<br />
BesitzerInnen der Apotheke waren seit 1909 <strong>Mag</strong>. Nathan Zallik und seine Frau Auguste<br />
Zallik. 1440 Auguste Zallik verstarb am 23. April 1922, 1441 womit <strong>Mag</strong>. Nathan Zallik Anfang<br />
1938 Alleininhaber und Konzessionär der Apotheke „Zum heiligen Leopold“ war. Die<br />
Apotheke war schuldenfrei und erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von<br />
RM 59.896,53. Sie wurde 1938 von <strong>Mag</strong>. Willibald Biemann – ehemaliger Pächter der<br />
Apotheke „Zum Erzengel Michael“ in Marchegg 1442 – ‚arisiert‘. Als Übernahmepreis setzte<br />
die Vermögensverkehrsstelle den Betrag von RM 41.927,50 fest und schrieb eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ von RM 25.156,50 vor. Der Anteil für <strong>Mag</strong>. Nathan Zallik wurde von<br />
der Vermögensverkehrsstelle mit RM 16.771,– bestimmt. 1443<br />
<strong>Mag</strong>. Nathan Zallik flüchtete am 25. September 1941 aus Klosterneuburg und emigrierte<br />
nach Kuba. 1444 Sein weiteres Schicksal ist unbekannt, sehr wahrscheinlich verstarb<br />
<strong>Mag</strong>. Nathan Zallik im Exil.<br />
Die Apotheke „Zum heiligen Leopold“ wurde 1948 an die Erben nach <strong>Mag</strong>. Nathan Zallik,<br />
Willibald und Karl Zallik, zurückgestellt. 1445 Da sich beide in den USA aufhielten – sie<br />
waren noch 1938 vor den NationalsozialistInnen geflüchtet und über Paris in die USA<br />
emigriert 1446 – wurde die Apotheke „Zum heiligen Leopold“ nach erfolgter Rückstellung an<br />
<strong>Mag</strong>. Julian Kostiuk verpachtet und später an ihn verkauft. 1447 Die Konzession für die<br />
Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Kostiuk 1965. 1448<br />
1438 WStLA, LGZ, A 29, Rk 245/60, Rückstellungsantrag vom 18.11.1960.<br />
1439 Ebd., Vergleich vom 11.03.1963.<br />
1440 Ryslavy, Niederösterreich, 228.<br />
1441 IKG Wien, Friedhofsdatenbank, http://www.ikg-wien.at (Mai 2008).<br />
1442 Ryslavy, Niederösterreich, 324.<br />
1443 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renners an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1444 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 12987, FLD an das BMfF vom 19.08.1960.<br />
1445 WStLA, M.Abt. 13, Kartei K 1/3, Apotheken; AdPhGK, Liste arisierter Apotheken, undatiert wahrscheinlich<br />
Ende 1948.<br />
1446 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 225.<br />
1447 Ryslavy, Niederösterreich, 228.<br />
1448 Ebd.<br />
217
5.3. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken in Oberösterreich<br />
Apotheke „Zum Schutzengel“, Ebensee, Kirchengasse 1<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke „Zum Schutzengel“ war seit 1920 Dr. Sigmund<br />
Berger. 1449 Die Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 65.284,66 auf und war<br />
schuldenfrei. 1450 Schon kurz nach dem ‚Anschluß‘ wurde Apotheker Dr. Berger Opfer eines<br />
brutalen Angriffs der NationalsozialistInnen:<br />
In der Nacht vom 16. auf den 17. März 1938 wurde mein Mann während der<br />
Ausübung seines Berufes in der Apotheke von zwei uniformierten Männern<br />
überfallen, eine Stunde lang auf das Schwerste misshandelt, mit Füssen getreten,<br />
mit Sesseln und Briefbeschwerern so traktiert, dass ihm drei Zähne eingeschlagen<br />
wurden. Außerdem wurde von ihm die Bezahlung eines Betrages von S 2.000,–<br />
gefordert. Ebenso wurden Waren ohne Bezahlung mitgenommen. Erst nach dem<br />
Erscheinen des im Hause wohnenden Parteigenossen Miro Dufek entfernten sich<br />
die Täter. [...] Am nächsten Morgen musste mein Mann über Aufforderung des<br />
Bürgermeisters von Ebensee zu Gunsten der Ortsarmen eine Spende von S 2.000,–<br />
erlegen. [...] Die Ereignisse dieser Nacht übten auf den Gemütszustand meines<br />
Mannes einen solchen Eindruck, dass er in den Vormittagsstunden einen<br />
Selbstmordversuch unternahm und in schwer bewusstlosem Zustande in das Spital<br />
in Bad Ischl eingeliefert wurde, wo er nur durch besondere Aufopferung der Ärzte<br />
wieder zum Leben erweckt wurde. 1451<br />
Auf Intervention des Gauleiters für Oberdonau, August Eigruber, beim Ministerium für<br />
Innere und Kulturelle Angelegenheiten im August 1938 wurde die Apotheke „Zum<br />
Schutzengel“ von der Vermögensverkehrsstelle dem ‚illegalen‘ Nationalsozialisten und SS-<br />
Untersturmführer 1452 <strong>Mag</strong>. Josef Degenberger zur ‚Arisierung‘ zugewiesen. 1453 Die<br />
Vermögensverkehrsstelle setzte für die Apotheke einen Kaufpreis von RM 45.699,26 fest<br />
und verfügte davon eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 30.419,56. Dr. Sigmund Berger<br />
1449 Kurt Ryslavy, Geschichte der Apotheken Oberösterreichs, Wien 1990, 78.<br />
1450 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1451 LAOÖ, Arisierungen, 2/12 Berger Sigmund, Rosa Berger an Josef Bürckel vom 27.07.1938, zit. n.: Daniela<br />
Ellmauer u. Regina Thumser (Historikerkommission, Hg.), „Arisierungen“, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen<br />
und Entschädigungen in Oberösterreich, Wien 2002, 109f.<br />
1452 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-162.557-15/45, StAfsV an die Allierte<br />
Kommission für Österreich vom Dezember 1945.<br />
1453 Vgl. Ellmauer u. Thumser, Oberösterreich, 50.<br />
218
erhielt RM 18.279,70 aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke auf ein Sperrkonto<br />
gutgeschrieben. 1454 Die Konzession für die Apotheke „Zum Schutzengel“ erhielt <strong>Mag</strong>. Josef<br />
Degenberger noch im Dezember 1938. 1455<br />
Dr. Sigmund Berger konnte sich 1939 nach Großbritannien in Sicherheit bringen und<br />
emigrierte 1940 nach Australien. 1456 Zu seinem weiteren Schicksal hat Frank Leimkugel<br />
folgendes recherchiert:<br />
Eine frühzeitige Rückkehr aus Australien nach Europa wurde Sigmund Berger (geb.<br />
1885 Wien), Besitzer der „Schutzengel-Apotheke“ in Ebensee zum Verhängnis.<br />
Berger hatte sich vor seiner Auswanderung über England in den fünften Kontinent<br />
formal von seiner „arischen“ Ehefrau scheiden lassen, um ihr und seinen Kindern<br />
Sicherheit zu verschaffen. 1943 bemühte sich Berger erfolgreich um eine Rückkehr<br />
nach England zu einer seiner Töchter. Nach einem Torpedotreffer während der<br />
Seereise nach Europa wurde er Opfer einer Schiffskatastrophe. 1457<br />
Am 1. August 1945 wurde von der amerikanischen Militärregierung Dr. Fritz Strauch zum<br />
Kommissarischen Leiter der Apotheke bestellt. 1458 Da das Gesetz über öffentliche<br />
Verwalter vom 10. Mai 1945 in Oberösterreich von der dortigen Zweigstelle der<br />
amerikanischen Militärregierung nur auf Weisung des Hauptquartiers in Wien umgesetzt<br />
wurde, bedurfte es längerer Verhandlungen zwischen dem Staatsamt für soziale<br />
Verwaltung und der amerikanischen Militärregierung, bis 1946 <strong>Mag</strong>.ª Eleonore Wieser, die<br />
Tochter von Dr. Sigmund Berger, als Leiterin der Apotheke „Zum Schutzengel“ eingesetzt<br />
wurde. 1459 Die Apotheke wurde 1947 an die Erbinnen nach Dr. Sigmund Berger<br />
zurückgestellt. Die Konzession für die Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>.ª Eleonore Sedlacek, geb.<br />
Berger, am 1. September 1947. 1460<br />
1454 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1455 Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, Nr. 51 (1938), 267.<br />
1456 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 218.<br />
1457 Vgl. ebd., 149.<br />
1458 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, V-162.557-15/45, StAfsV an die Allierte<br />
Kommission für Österreich vom Dezember 1945.<br />
1459 Ebd. sowie V-36.363-18/46, Aktennotiz vom Juli 1946.<br />
1460 Ryslavy, Oberösterreich, 78.<br />
219
Alte Stadt-Apotheke, Steyr, Stadtplatz 7<br />
BesitzerInnen dieser Real-Apotheke waren Anfang 1938 Dr. Ernst Bernhauer zu 50<br />
Prozent sowie <strong>Mag</strong>. Adolf Landesberg und seine Frau Margarethe zu je 25 Prozent. Die<br />
Apotheke wurde von Dr. Bernhauer und <strong>Mag</strong>. Landesberg gemeinsam betrieben, sie wies<br />
1937 einen Jahresumsatz von ungefähr RM 68.000,– auf und war schuldenfrei. 1461 Im<br />
August 1938 ‚arisierte‘ Dr. Bernhauer die Geschäftsanteile seiner jüdischen<br />
MitbesitzerInnen 1462 um den von der Vermögensverkehrsstelle festgesetzten Kaufpreis von<br />
RM 23.844,80. 1463 Von diesem Kaufpreis wurden RM 14.306,88 als ‚Arisierungsauflage‘<br />
von der Vermögensverkehrsstelle einbehalten, RM 9.537,92 bekamen <strong>Mag</strong>. Adolf<br />
Landesberg und Margarethe Landesberg auf ein Sperrkonto gutgeschrieben. 1464<br />
Die Familie Landesberg konnte 1938 fliehen und emigrierte nach Australien. 1465<br />
Nach 1945 bekamen <strong>Mag</strong>. Adolf Landesberg und seine Frau Margarethe die 1938<br />
entzogene Häfte der Apotheke und der Liegenschaft sowie einen Anteil an den<br />
Erträgnissen zurückgestellt und im Jänner 1949 verpachteten sie die Hälfte ihrer Apotheke<br />
an Dr. Bernhauer und erteilten ihm das Vorkaufsrecht an ihrer Hälfte der Liegenschaft. 1466<br />
5.4. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken im Burgenland<br />
Apotheke „Zur Mariahilf“, Bruckneudorf 1467<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke in Bruckneudorf war Anfang 1938<br />
<strong>Mag</strong>. Leonhard Hildebrand, seit 21. November 1937 wurde die Apotheke auf Rechnung<br />
des Besitzers von Dr. Rosa Fink geleitet. 1468 Der Betrieb wies 1937 einen Jahresumsatz<br />
von RM 18.000,– auf und war schuldenfrei. 1469 Am 21 Juni 1938 wurde vom<br />
1461 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1462 Vgl. Ellmauer u. Thumser, Oberösterreich, 303.<br />
1463 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1464 Ebd.<br />
1465 Vgl. Ellmauer u. Thumser, Oberösterreich, 303.<br />
1466 Vgl. ebd., 303f.<br />
1467 Heute: Bahnhof-Apotheke, Bahnhofplatz 5.<br />
1468 AdPhGK, Betriebsakt 00027, Anmeldung bei der PhGK vom 28.03.1938.<br />
1469 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
220
Kommissarischen Verwalter der jüdischen Apotheken in der Ostmark, SA-Sturmbannführer<br />
<strong>Mag</strong>. Edwin Renner, der spätere ‚Ariseur‘ <strong>Mag</strong>. Oskar von Pürkher – er war bis zu<br />
diesem Zeitpunkt verantwortlicher Leiter der Dreifaltigkeits-Apotheke in Neulengbach,<br />
Niederösterreich 1470 – als verantwortlichen Leiter der Apotheke eingesetzt. 1471 Er ‚arisierte‘<br />
die Apotheke mit Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle, die einen Kaufpreis von<br />
RM 12.600,– bestimmte und eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 7.560,– vorschrieb.<br />
RM 5.040,– sollten <strong>Mag</strong>. Hildebrand aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke auf ein<br />
Sperrkonto gutgeschrieben werden. 1472 <strong>Mag</strong>. Oskar von Pürkher änderte den Namen der<br />
Apotheke in „Kyffhäuser-Apotheke“ 1473 und erhielt die Konzession für die Apotheke in<br />
Bruckneudorf am 10. September 1939. 1474<br />
<strong>Mag</strong>. Leonhard Hildebrand konnte noch 1938 aus Österreich fliehen und emigrierte in die<br />
USA. Später betrieb er in New York einen Großhandel mit Pharmazeutika. 1475<br />
1948 beantragte <strong>Mag</strong>. Hildebrand von New York aus die Rückstellung seiner ihm 1938<br />
entzogenen Apotheke, am 21. Juli 1950 wurde <strong>Mag</strong>.ª Martha Rapp mit Bescheid der<br />
Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See von Amts wegen als Leiterin der Apotheke<br />
eingesetzt. 1476 Das 1948 initiierte Rückstellungsverfahren endete im September 1953<br />
damit, dass <strong>Mag</strong>. Hildebrand die Apotheke in Bruckneudorf samt Konzession zurückgestellt<br />
wurde. Nach erfolgter Rückstellung verkaufte er seine Apotheke an <strong>Mag</strong>. Aladar<br />
Kaiser, der am 23. Februar 1954 auch die Konzession für die Apotheke in Bruckneudorf<br />
erhielt. 1477<br />
Salvator-Apotheke, Frauenkirchen, Hauptstraße 17<br />
Besitzer und Konzessionär der Salvator-Apotheke war seit 1920 <strong>Mag</strong>. Julius Sugar. 1478 Die<br />
Apotheke wies 1937 einen Jahresumsatz von RM 15.744,13 und hatte bei der Herba<br />
Warenschulden in der Höhe RM 518,–. 1479 Mittels Kaufvertrages vom 22. Juli 1938 wurde<br />
1470 Ryslavy, Niederösterreich, 353.<br />
1471 AdPhGK, Betriebsakt 00027, Anmeldung bei der PhGK vom 21.06.1938.<br />
1472 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1473 AdPhGK, Betriebsakt 00027, <strong>Mag</strong>. Oskar von Pürkher an die PhGK vom 02.12.1941.<br />
1474 Kurt Ryslavy, Materialien zur Geschichte der Apotheken und Apotheker im Burgenland, Eisenstadt 1979, 48.<br />
1475 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 221.<br />
1476 AdPhGK, Betriebsakt 00027, Bescheid der BH Neusiedl am See vom 21.07.1950.<br />
1477 Ebd., Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 23.02.1954.<br />
1478 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 10369, <strong>Mag</strong>. Zoltan Schuhmacher an das BMfF vom 30.11.1951.<br />
1479 Ebd., Betriebsprüfungsbericht von Carlo Wirsam vom 28.09.1938.<br />
221
die Salvator-Apotheke von <strong>Mag</strong>. Peter Götzendorfer ‚arisiert‘. 1480 <strong>Mag</strong>. Götzendorfer war<br />
seit 1930 Mitglied der NSDAP und trat 1931 der SA bei. Nach dem Verbot der NSDAP<br />
1933 verließ er im September desselben Jahres Österreich und trat der Österreichischen<br />
Legion in Bayern bei, wo er in Folge als Legions-Apotheker beschäftigt war. Nach seiner<br />
Rückkehr im März 1938 bewarb er sich mehrmals vergeblich um die ‚Arisierung‘ einer<br />
jüdischen Apotheke; schließlich wurde ihm die Salvator-Apotheke in Frauenkirchen –<br />
<strong>Mag</strong>. Götzendorfer verfügte über keine finanziellen Mittel und im Unterschied zu anderen<br />
jüdischen Apotheken gab es für die Salvator-Apotheke keine anderen BewerberInnen –<br />
zur ‚Arisierung‘ zugewiesen. 1481 Am 17. November 1938 wurde diese ‚Arisierung‘ von der<br />
Vermögensverkehrsstelle genehmigt und ein Kaufpreis von RM 10.000,– sowie eine<br />
‚Arisierungsauflage‘ von RM 6.000,– festgesetzt. RM 4.000,– zahlte <strong>Mag</strong>. Götzendorfer am<br />
19. Dezember 1938 auf ein Sperrkonto zu Gunsten <strong>Mag</strong>. Julius Sugars bei der<br />
Pharmakred ein. 1482 Die Konzession für die Salvator-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Peter<br />
Götzendorfer mit Bescheid der Reichsstatthalterei Niederdonau vom 15. November<br />
1940. 1483<br />
<strong>Mag</strong>. Julius Sugar und seine Frau Margarete verließen noch 1938 Österreich und<br />
flüchteten nach Ungarn, wo <strong>Mag</strong>. Julius Sugar in Györ wieder als Apotheker tätig<br />
wurde. 1484 Am 14. Juni 1944 wurden beide von Györ nach Auschwitz deportiert und<br />
ermordet. 1485<br />
Am 29. März 1945 flüchtete <strong>Mag</strong>. Peter Götzendorfer vor der Roten Armee aus<br />
Frauenkirchen nach Westösterreich. 1486 Um die Versorgung der Bevölkerung mit<br />
Medikamenten zumindest rudimentär sicherzustellen, übernahm der Gemeindearzt von<br />
Frauenkirchen, Dr. Kroiss, am 16. April 1945 die Apotheke und ihre verbliebenen<br />
Warenbestände. 1487 Wie die Versorgung der Bevölkerung mit Heilmitteln in den ersten<br />
Nachkriegswochen aussah, beschrieb Dr. Kroiss 1951 wie folgt:<br />
1480 Ebd., <strong>Mag</strong>. Zoltan Schuhmacher an das BMfF vom 30.11.1951.<br />
1481 Ebd., Urteil des Volksgerichtes Wien vom 20.06.1947.<br />
1482 Ebd., Bescheid der FLD vom 28.05.1951.<br />
1483 Ebd., <strong>Mag</strong>. Zoltan Schuhmacher an das BMfF vom 30.11.1951.<br />
1484 Ebd., <strong>Mag</strong>. Peter Götzendorfer an RA Dr. Fritz Piesslinger vom 30.06.1939.<br />
1485 DÖW, Die österreichischen Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
1486 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 10369, Betriebsprüfungsbericht von Dr. Josef Bauer vom 23.05.1951.<br />
1487 Ebd., Niederschrift der Aussage von Dr. Kroiss am 11.05.1951.<br />
222
Vor meiner Übernahme wurde die Apotheke zweimal geplündert u.zw. in der Weise,<br />
dass sämtliche Spezialitäten d.h. fertig gepackte Medikamente abhanden kamen,<br />
nur die Urstoffe waren vorhanden und aus diesen wurden Medikamente nach<br />
Bedarf hergestellt (so z.B. Salben wurden in der Form hergestellt, dass der Kranke<br />
für 100g Salbe 100g Schweinefett brachte und das entsprechende Medikament<br />
dazugegeben wurde). 1488<br />
Nach telefonischer Weisung durch die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha<br />
übernahm am 15. Juli 1945 wieder ein Pharmazeut, <strong>Mag</strong>. Zoltan Schuhmacher, die<br />
Apotheke, 1489 und am 26. Dezember 1945 wurde er als öffentlicher Verwalter für die<br />
Salvator-Apotheke eingesetzt. 1490<br />
<strong>Mag</strong>. Peter Götzendorfer wurde am 26. Juni 1946 in Altenhofen, Oberösterreich, verhaftet<br />
und am 20. Juni 1947 vom Volksgericht Wien wegen Hochverrats und missbräuchlicher<br />
Bereicherung im Zuge der ‚Arisierung‘ der Salvator-Apotheke zu 18 Monaten schweren,<br />
verschärften Kerkers, Ersatz der Verfahrenskosten und Verfall seines Vermögens zu<br />
Gunsten der Republik Österreich verurteilt. 1491 Die Salvator-Apotheke ging somit in das<br />
Eigentum der Republik über, womit nach §2 Abs. 1 des Zweiten Rückstellungsgesetzes<br />
die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland für die Rückstellung<br />
zuständig wurde. Bei dieser beantragte Stefan Sugar, der Sohn von <strong>Mag</strong>. Julius Sugar,<br />
durch den Rechtsananwalt Dr. Oskar Stöger am 11. Mai 1949 die Rückstellung der seinem<br />
Vater 1938 entzogenen Apotheke. 1492 Mit Bescheid der Finanzlandesdirektion vom 28. Mai<br />
1951 wurde ihm gegen die Zahlung von ÖS 4.000,– für den 1938 an seinen Vater<br />
bezahlten Anteil des Kaufpreises die Salvator-Apotheke zurückgestellt. 1493 Stefan Sugar<br />
verkaufte die Apotheke an <strong>Mag</strong>. Zoltan Schuhmacher, der die Konzession für die Salvator-<br />
Apotheke mit Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 10. Oktober 1951<br />
erhielt. 1494<br />
1488 Ebd.<br />
1489 ÖStA, AdR 06, E- u. Reang., FLD 10369, <strong>Mag</strong>. Zoltan Schuhmacher an das BMfF vom 30.11.1951<br />
1490 Ebd., Betriebsprüfungsbericht von Dr. Josef Bauer vom 23.05.1951.<br />
1491 Ebd., Urteil des Volksgerichtes Wien vom 20.06.1947.<br />
1492 Ebd., RA Dr. Oskar Stöger an die FLD vom 11.05.1949.<br />
1493 Ebd., Bescheid der FLD vom 28.05.1951.<br />
1494 Ebd., <strong>Mag</strong>. Zoltan Schuhmacher an das BMfF vom 30.11.1951<br />
223
5.5. ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken in der Steiermark<br />
Apotheke Roda, Bad Gleichenberg Nr. 4 1495<br />
Besitzer und Konzessionär der Apotheke war seit 1919 <strong>Mag</strong>. Julius Roda. 1496 Die<br />
Apotheke erwirtschaftete 1937 einen Jahresumsatz von RM 62.051,08 und war<br />
schuldenfrei. Die Apotheke Roda wurde 1938 vom ‚illegalen‘ Nationalsozialisten<br />
<strong>Mag</strong>. Friedrich Prosser 1497 ‚arisiert‘, wobei von der Vermögensverkehrsstelle ein Kaufpreis<br />
von RM 43.435,76 festgelegt und eine ‚Arisierungsauflage‘ von RM 26.061,46 bestimmt<br />
wurde. RM 17.374,30 sollte <strong>Mag</strong>. Julius Roda aus dem Zwangsverkauf seiner Apotheke<br />
erhalten. 1498 Die Konzession für die Johannes-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>. Friedrich Prosser mit<br />
Bescheid der Landeshauptmannschaft Steiermark vom 28. September 1939. 1499 Die<br />
Besitzübertragung wurde schließlich am 10. Dezember 1940 beim Handelsgericht Graz<br />
protokolliert und die Apotheke in „Kur-Apotheke“ umbenannt. 1500<br />
<strong>Mag</strong>. Julius Roda wurde mit seiner Tochter <strong>Mag</strong>.ª Olga Roda am 10. November 1938 von<br />
den NS-Behörden nach Ungarn abgeschoben, 1501 wo er noch vor Kriegsende verstarb. 1502<br />
Am 21. Mai 1946 wurde von der Landeshauptmannschaft für Steiermark <strong>Mag</strong>. Adelrich<br />
Eberlin zum verantwortlichen Leiter der Kur-Apotheke bestellt 1503 und am 16. September<br />
1946 von <strong>Mag</strong>. Hubert Satz in dieser Funktion abgelöst. 1504 <strong>Mag</strong>. Friedrich Prosser wurde<br />
am 18. Juni 1946 verhaftet 1505 und am 22. Jänner 1947 vom Volksgericht Graz wegen<br />
Hochverrats und missbräuchlicher Bereicherung zu zwei Jahren Haft verurteilt. 1506<br />
<strong>Mag</strong>.ª Olga Roda kehrte 1946 nach Bad Gleichenberg zurück 1507 und beantragte die<br />
1495 Heute: Johannes-Apotheke.<br />
1496 Kurt Ryslavy, Geschichte der Apotheken der Steiermark und der Untersteiermark bis nach dem Ersten Weltkrieg,<br />
Wien 1992, 16.<br />
1497 AdPhGK, Betriebsakt 50040, BMfsV an die PhGK vom 02.06.1947.<br />
1498 ÖStA, AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner an Josef Bürckel vom 31.01.1939.<br />
1499 AdPhGK, Betriebsakt 50040, LH Steiermark an die PhGK vom 24.10.1939.<br />
1500 Ebd., Handelsregisterauszug vom 10.12.1940.<br />
1501 Ebd., <strong>Mag</strong>. A. Jungschaffer an die PhGK vom 11.11.1938.<br />
1502 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
1503 AdPhGK, Betriebsakt 50040, Bescheid der Landeshauptmannschaft für Steiermark vom 21.05.1946<br />
1504 Ebd., <strong>Mag</strong>. Helmut Satz an die PhGK vom 16.09.1946.<br />
1505 Ebd., <strong>Mag</strong>.ª Olga Roda an die PhGK vom 04.02.1947.<br />
1506 Ebd., BMfsV an die PhGK vom 02.06.1947.<br />
1507 Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 223.<br />
224
Rückstellung der ihrem Vater 1938 entzogenen Apotheke. Im November 1946 übernahm<br />
sie die Leitung der väterlichen Apotheke 1508 und erhielt diese samt Anrecht auf die<br />
Konzession mit Teilerkenntnis der Rückstellungskommission Graz vom 11. Jänner 1949<br />
zurückgestellt. 1509 Die Konzession für die Kur-Apotheke erhielt <strong>Mag</strong>.ª Olga Roda am 26.<br />
April 1949. 1510<br />
1508 Ryslavy, Steiermark, 17.<br />
1509 AdPhGK, Betriebsakt 50040, <strong>Mag</strong>.ª Olga Roda an die PhGK vom 19.01.1949.<br />
1510 Ebd., Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 26.04.1949.<br />
225
6. Nach der Enteignung<br />
6.1. Emigration und Exil<br />
Neben den bürokratischen Schikanen der NS-Verwaltung und den oft unbezahlbaren<br />
Steuerforderungen des Regimes waren die zur Emigration gezwungenen österreichischen<br />
Juden und Jüdinnen mit einer weiteren Schwierigkeit konfrontiert: einem generellen<br />
Mangel an Auswanderungsmöglichkeiten. 1511 So erschwerten wegen der noch immer<br />
anhaltenden Weltwirtschaftskrise die klassischen Einwanderungsländer Kanada und<br />
Australien, aber auch die südamerikanischen Länder, die Immigration. Einwanderungsgenehmigungen<br />
erteilten diese Staaten nur bei Bezahlung eines Landungsgeldes oder für<br />
landwirtschaftliche AnsiedlerInnen. Auch Einreisen in die USA waren schwierig, da sie von<br />
einer Unterhaltsgarantieerklärung eines US-Bürgers oder einer US-Bürgerin und der<br />
Einwanderungsquote abhängig waren. Selbst Palästina ließ ab 1937 jährlich nur mehr<br />
eine bestimmte Anzahl von Juden und Jüdinnen einwandern; so erfolgte die Flucht nach<br />
Palästina zumeist in Form illegaler Transporte. 1512 Eine der wenigen verbliebenen<br />
Möglichkeiten, der Verfolgung in Österreich zu entgehen, war daher die Auswanderung<br />
nach Shanghai, das damals den Status einer international verwalteten Stadt hatte und<br />
eine Immigration ohne besondere Beschränkungen ermöglichte. 1513<br />
Rund zwei Drittel aller jüdischen ApothekerInnen in Österreich konnte sich vor der<br />
nationalsozialistischen Verfolgung durch Emigration in Sicherheit bringen. 1514<br />
Bevorzugtes Zielland der österreichischen PharmazeutInnen waren die USA und hier vor<br />
allem die Metropole New York. Weitere US-amerikanische Destinationen österreichischer<br />
EmigrantInnen waren Chicago und Los Angeles. Fast die Hälfte der zur Emigration<br />
genötigten österreichischen PharmazeutInnen wählten die USA als ihr Zielland. Zuflucht<br />
fanden jüdische PharmazeutInnen aus Österreich auch in Großbritannien, insbesondere<br />
im Großraum London. Ungefähr ein Fünftel der EmigrantInnen wanderte in<br />
1511 Vgl. Hans Safrian, Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1995, 44f.<br />
1512 Vgl. Jonny Moser, Die Judenverfolgung in Österreich 1938–1945, Wien 1966, 336.<br />
1513 Vgl. Longerich, Politik der Vernichtung, 223.<br />
1514 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 197.<br />
226
südamerikanische Staaten aus. Die meisten von ihnen gingen nach Argentinien und<br />
Brasilien, einige auch nach Venezuela, Bolivien oder Chile. Ungefähr zehn Prozent der zur<br />
Emigration aus Österreich genötigten jüdischen PharmazeutInnen gingen nach Palästina,<br />
vor allem nach Tel Aviv. Der Rest der EmigrantInnen verteilte sich auf europäische Länder<br />
– in Italien und Jugoslawien konnten einige von ihnen die nationalsozialistische Verfolgung<br />
überleben – sowie auf Shanghai und Australien. 1515<br />
Rückblickend betrachtet war die Möglichkeit, das Land sicher verlassen zu können, zeitlich<br />
stark beschränkt. Schon im September 1939 – mit dem Überfall auf Polen und dem<br />
Beginn des Zweiten Weltkrieges – verstärkte sich die nationalsozialistische Repression<br />
gegen die jüdichen MitbürgerInnen weiter. Auch gingen legale Emigrationsmöglichkeiten<br />
verloren, da viele potentielle Einwanderungsstaaten nun Staatsangehörige von ‚Feindstaaten‘<br />
nicht mehr einreisen lassen wollten. Auch einige österreichische PharmazeutInnen<br />
konnten dieses kurze Zeitfenster von Dezember 1938 bis September 1939 nicht<br />
rechtzeitig nützen, für sie gab es kaum mehr einen Weg, der Ermordung zu entgehen.<br />
6.2. Deportation und Shoa<br />
Anfang des Jahres 1941 – noch vor dem Beginn eines allgemeinen, das gesamte<br />
‚Großdeutsche Reich‘ umfassenden Deportationsprogramms – wurden erste Deportationen<br />
österreichischer Juden und Jüdinnen von Wien aus in das ‚Generalgouvernement‘<br />
Polen durchgeführt. Die Initiative für diese Deportationen ging vom neuen Reichsstatthalter<br />
in der ‚Ostmark‘, Baldur von Schirach, aus. 1516 Ungefähr 16 Prozent der jüdischen<br />
ApothekerInnen Österreichs wurden im Lauf der nächsten Jahre von den NationalsozialistInnen<br />
in diverse Lager verschleppt, die meisten der Deportierten überlebten die<br />
Shoa nicht. 1517<br />
1515 Vgl. Kapitel 5.<br />
1516 Vgl. Freund u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 17.<br />
1517 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 197.<br />
227
6.2.1 Lublin<br />
Zielorte der Deportationen in das ‚Generalgouvernement‘ waren kleine Städte im Distrikt<br />
Lublin, in denen die ÖsterreicherInnen ‚angesiedelt‘ werden sollten. Von einem<br />
Sammellager in Wien 2, Castellezgasse 35, wurden in fünf Transporten zwischen dem<br />
15. Februar 1941 bis zum Abbruch der Aktion am 11. März 1941 über den Aspangbahnhof<br />
etwa 5.000 Juden und Jüdinnen nach Opole, Kielce, Modliborzyce, Lagow und Opatow<br />
verschickt. 1518 Wie bei ähnlichen vorangegangenen Aktionen waren keinerlei<br />
Vorbereitungen für die Aufnahme und Versorgung der im Winter Deportierten getroffen<br />
worden. 1519 Nicht winterfeste Unterkünfte und eine unzureichende Versorgung mit<br />
Lebensmittel führten zu einer hohen Sterblichkeitsrate unter den Verschleppten. 1520<br />
Im zweiten Transport dieser Deportationswelle, der von Wien am 19. Februar 1941<br />
Richtung Kielce abging, befanden sich <strong>Mag</strong>. Hermann Kahane und seine Frau Cippe<br />
Kahane. Im vierten Transport, der am 5. März 1941 Wien mit dem Zielort Modliborzyce<br />
verließ, befand sich <strong>Mag</strong>. Josef Rieber. Auf Grund von Transportproblemen,<br />
wahrscheinlich in Zusammenhang mit der Invasion Griechenlands und dem Angriff auf<br />
Jugoslawien, 1521 wurden diese Transporte im März 1941 wieder abgebrochen. Einigen<br />
wenigen der Deportierten gelang später die illegale Rückkehr nach Wien, der Großteil der<br />
Verschleppten wurde im Frühjahr und Sommer 1942 in Belzec, Sobibor und Treblinka<br />
ermordet. 1522<br />
6.2.2. Litzmannstadt (Lodz)<br />
Im Oktober 1941 ordnete das Reichssicherheitshauptamt die Deportation von 20.000<br />
Juden und Jüdinnen aus dem ‚Altreich‘, aus Österreich, aus dem ‚Protektorat Böhmen und<br />
Mähren‘ und aus Luxenburg sowie von 5.000 Roma und Sinti aus dem Burgenland in das<br />
Getto Litzmannstadt an. 1523 Der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien wurde daher am<br />
30. September 1941 mitgeteilt, dass zwischen dem 15. Oktober 1941 und dem<br />
1518 Vgl. Moser, Die Judenverfolgung, 287.<br />
1519 Vgl. Longerich, Politik der Vernichtung, 287.<br />
1520 Vgl. Freund u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 21.<br />
1521 Vgl. Moser, Die Judenverfolgung, 24.<br />
1522 Vgl. Freund u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 19ff.<br />
1523 Vgl. ebd., 21; Longerich, Politik der Vernichtung, 448f.<br />
228
3. November 1941 fünf Transporte mit je etwa 1.000 Personen von Wien abgehen<br />
sollten. 1524<br />
In den Monaten vor den Oktober-Deportationen war die Konzentration der Juden<br />
innerhalb der Stadt forciert worden, bis annähernd 90 Prozent der jüdischen<br />
Bevölkerung in drei „jüdischen Wohnbezirken“ zusammengefaßt waren, den<br />
Bezirken II, IX und XX. Mit der Einführung der Sternverordnung verschärfte sich ihre<br />
exponierte und ungeschützte Lage weiter. [...] Die Wiener Kultusgemeinde unterhielt<br />
eine Kartei ihrer Mitglieder, doch die Deportationslisten wurden von der Gestapo<br />
aufgestellt. Die Kultusgemeinde konnte in begründeten Fällen die eine oder andere<br />
Einzelperson „reklamieren“, mußte aber für Ersatz sorgen, damit das erforderliche<br />
Kontingent von jeweils 1000 Personen erfüllt wurde. [...] Die Häuser, die als<br />
Sammelstelle dienten, waren relativ klein und, um den vorhandenen Raum optimal<br />
zu nutzen, unmöbliert. Das Warten in einem solchen Haus konnte Wochen dauern,<br />
bevor die Insassen – bei Tage, in offenen Lastwagen stehend, oftmals unter dem<br />
Gespött der Straße – zum nächstgelegenen Bahnhof gebracht wurden. 1525<br />
Auch in diesen Transporten befanden sich österreichische PharmazeutInnen. Im ersten<br />
Zug dieser Deportationswelle befanden sich <strong>Mag</strong>. Josef Epstein, der am 10. Mai 1945 im<br />
Getto Litzmannstadt ermordet wurde, und Stefanie Bartel, die Frau des ehemaligen<br />
Apothekers Salomon Bartel aus Deutsch-Wagram. Stefanie Bartel wurde am 28. April<br />
1942 ebenfalls im Getto Litzmannstadt ermordet. <strong>Mag</strong>. Heinrich Grünberg und seine Frau<br />
Paula Grünberg sowie <strong>Mag</strong>. Josef Kramer befanden sich im zweiten Zug, der Wien am<br />
19. Oktober 1941 in Richtung Litzmannstadt verließ. Sie haben die Shoa nicht überlebt, ihr<br />
Todesort ist unbekannt. Am 28. Oktober 1941 verließ der vierte Zug dieser Deportationswelle<br />
Wien Richtung Litzmannstadt. In diesem befanden sich Hedwig Friedjung, die später<br />
an einem unbekannten Ort ermordet wurde, und Dr. Karl Blaskopf. Er wurde am 7. April<br />
1942 im Getto Litzmannstadt ermordet.<br />
Viele der mit diesen Transporten Verschleppten galten auf Grund der furchtbaren<br />
Lebensbedingungen im Getto bald als arbeitsunfähig und wurden ab Jänner 1942 nach<br />
Kulmhof (Chelmno) weitertransportiert, 1526 wo sie zwischen dem 4. und dem 15. Mai 1942<br />
in Gaswägen ermordet wurden. 1527<br />
1524 Vgl. Moser, Die Judenverfolgung , 28.<br />
1525 Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd 2., Frankfurt/Main 1999, 479f.<br />
1526 Vgl. Freund u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 22.<br />
1527 Vgl. Longerich, Politik der Vernichtung, 488.<br />
229
6.2.3. Riga<br />
Nachdem Anfang Dezember 1941 die SS in Riga über 20.000 lettische Juden und<br />
Jüdinnen ermordet hatte, wurden die ab diesem Zeitpunkt aus dem ‚Großdeutschen Reich’<br />
in das Baltikum deportierten Menschen in das leergemordete Getto Riga sowie in<br />
umliegende Lager eingewiesen. Auch in diesem Getto war die Sterblichkeit unter den<br />
dorthin Verschleppten besonders infolge des harten Winters sehr hoch. Anfang Februar<br />
1942 wurden im Getto ‚Selektionen‘ durchgeführt und neben anderen Opfern ungefähr 400<br />
vorwiegend ältere Personen aus Wien im Rumbula-Wald erschossen. Nach weiteren<br />
‚Selektionen’ im März 1942, bei denen die SS ungefähr 4.000 Menschen ermordete,<br />
befanden sich ab dem Frühjahr 1942 ungefähr 10.000 Menschen im Getto Riga und in den<br />
umliegenden Lagern. Das Getto Riga wurde im Herbst 1943 aufgelöst, die arbeitsfähigen<br />
Gefangenen in das Konzentrationslager Kaiserwald überstellt. Die als nicht arbeitsfähig<br />
eingestuften BewohnerInnen des Gettos wurden ermordet. 1528<br />
Im zweiten der Deportationszüge in das Baltikum, der am 11. Jänner 1941 von Wien<br />
abging, befanden sich <strong>Mag</strong>. Ludwig Dub und seine Frau Irma Dub. Sie wurden in das<br />
Getto Riga deportiert und dort ermordet. Der Zeitpunkt ihres Todes ist nicht bekannt,<br />
wahrscheinlich wurden sie im Februar 1942 ermordet.<br />
6.2.4. Izbica und Sobibor<br />
Zwischen Mitte März und Mitte Juni 1942 fand eine weitere Welle an Deportationen aus<br />
dem ‚Altreich‘, aus Wien sowie aus dem Lager Theresienstadt, das auch als Sammellager<br />
fungierte, statt. Ziele dieser Transporte waren wie schon im Februar/März 1941 Gettos im<br />
Distrikt Lublin, wie zum Beispiel das Getto in Izbica, deren urprüngliche BewohnerInnen<br />
kurz vor der Ankunft der verschleppten Juden und Jüdinnen in das Vernichtungslager<br />
Belzec gebracht worden waren. Diese Deportationszüge hielten meist in Lublin, wo die<br />
arbeitsfähigen Männer aus den Waggons geholt und in das Lager Majdanek gebracht<br />
wurden. 1529 Aus Wien gingen im Zuge dieser Deportationen vom 9. April 1942 bis zum<br />
14. Juni 1942 insgesamt sechs Transporte mit je etwa 1.000 Personen ab, die meisten<br />
1528 Vgl. Freund u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 24f.<br />
1529 Vgl. Longerich, Politik der Vernichtung, 484.<br />
230
nach Izbica. 1530 Die Menschen dieser Transporte wurden im Sommer und Herbst 1942 in<br />
Belzec und Sobibor vergast oder im Konzentrationslager Majdanek durch Sklavenarbeit,<br />
Misshandlungen oder Unterernährung zu Tode gebracht. 1531<br />
Helene Beres, die Witwe des 1939 verstorbenen Apothekers <strong>Mag</strong>. Ephraim David Beres<br />
aus Wien-Ottakring, und ihr Sohn Kurt Beres wurden am 12. Mai 1942 mit dem dritten<br />
Zug, der aus Wien abging, nach Izbica deportiert und an einem unbekannten Ort<br />
ermordet. Auch der sechste Zug, der am 14. Juni 1942 Wien verließ und in dem sich<br />
<strong>Mag</strong>.ª Paula Holub befand, hatte die Destination Izbica. Dieser Zug wurde allerdings direkt<br />
in das Vernichtungslager Sobibor umgeleitet, 1532 wo <strong>Mag</strong>ª. Paula Holub in den<br />
Gaskammern ermordet wurde. Der Tag ihres Todes ist unbekannt.<br />
Das Muster dieser Deportationen entsprach mit der Ausnahme des Zuges vom 14. Juni<br />
1942 dem früherer Transporte. Die Lebensbedingungen in den Gettos führten zum<br />
elenden Tod der meisten Deportierten innerhalb weniger Monate. Wer nicht in den Gettos<br />
starb oder in <strong>Arbeit</strong>slagern zu Tode gebracht wurde, wurde in der Regel später in die<br />
Vernichtungslager deportiert und dort ermordet.<br />
6.2.5. Minsk, Maly Trostinec<br />
Eine weitere Deportationswelle aus dem Reichsgebiet setzte im Mai 1942 ein. Die<br />
Destinationen der Transporte war Minsk und das SS-Landgut Maly Trostinec. Minsk war<br />
schon im Herbst 1941 Ziel von Deportationen aus dem Reichsgebiet gewesen, die<br />
Transporte wurden allerdings am 30. November 1941 von Reichsführer SS und Reichsinnenminister<br />
Heinrich Himmler gestoppt. 1533 Mit der Wiederaufnahme der Transporte nach<br />
Minsk, die bis Oktober 1942 liefen, 1534 änderte sich der Modus operandi der Vernichtung:<br />
Die Deportierten wurden nun nicht mehr in Gettos gesperrt, von wo sie später – falls sie<br />
die mörderischen Lebenbedingungen überlebten – in Vernichtungslager verbracht wurden,<br />
sondern die Züge wurden in die Nähe des SS-Gutes Maly Trostinec weitergeleitet. Dort<br />
wurden die Verschleppten – bis auf einige wenige zur Zwangsarbeit auf dem Gut<br />
1530 Vgl. ebd., 486.<br />
1531 Vgl. Florian u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 33.<br />
1532 Vgl. Safrian, Eichmann,179.<br />
1533 Vgl. Longerich, Politik der Vernichtung, 464.<br />
1534 Vgl. Freund u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 24.<br />
231
ausgewählte Personen – auf der Stelle erschossen beziehungsweise in Gaswägen<br />
ermordet. 1535<br />
Im ersten dieser Züge, die von Wien nach Maly Trostinec abgingen, befanden sich<br />
Dr. Norbert Silber und seine Frau Hilde Silber, <strong>Mag</strong>. Josef Kelhoffer und Luise Axelrad. Sie<br />
wurden alle bei ihrer Ankunft in Maly Trostinec am 11. Mai 1942 von der SS ermordet. Im<br />
zweiten Zug, der Wien am 20. Mai 1942 in Richtung Minsk verließ, befanden sich<br />
<strong>Mag</strong>. Isidor Senz und seine Frau Maria Felicia Senz. Auch sie wurden nach ihrer Ankunft<br />
am 26. Mai 1942 in Maly Trostinec sofort ermordet. Im vorletzten Zug dieser<br />
Deportationswelle am 14. September 1942 von Wien nach Minsk befanden sich<br />
<strong>Mag</strong>. Wanda Rosen und ihre Schwester Erika Rosen sowie Max Eisner und seine Frau<br />
Irma Eisner. Sie alle wurden nach ihrer Ankunft in Maly Trostinec am 18. September 1942<br />
von der SS ermordet.<br />
6.2.6 Theresienstadt (Terezin)<br />
Im Juni 1942 begannen die Deportationen der Personen, die von den ‚Osttransporten‘ aus<br />
verschiedenen Gründen ausgenommen waren. Sie führten in das sogenannte ‚Altersgetto‘<br />
Theresienstadt, das von der SS als eine Art ‚Vorzeigelager‘ eingerichtet worden war, um<br />
das angeblich menschliche Vorgehen der SS gegenüber Juden und Jüdinnen zu<br />
demonstrieren. Neben seiner Funktion als ‚Altersgetto‘ diente Theresienstadt bereits seit<br />
November 1941 vor allem als Durchgangslager für die aus dem ‚Protektorat Böhmen und<br />
Mähren‘ deportierten etwa 74.000 Juden und Jüdinnen. 1536 Auch für viele der<br />
ÖsterreicherInnen, die in insgesamt dreizehn Großtransporten im Sommer und Herbst<br />
1942 von Wien nach Theresienstadt deportiert wurden, war das Lager nur eine<br />
Zwischenstation zu den Vernichtungslagern im Osten. 1537<br />
So wurde <strong>Mag</strong>. Hermann Selzer am 21. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert. Er<br />
wurde am 19. September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka gebracht und dort<br />
ermordet. <strong>Mag</strong>. Martin Sobel wurde am 29. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ort<br />
und Zeitpunkt seines Todes sind unbekannt, er wurde 1945 für tot erklärt. Am 15. Juli 1942<br />
1535 Vgl. Longerich, Politik der Vernichtung, 487f.; Freund u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 26.<br />
1536 Vgl. Longerich, Politik der Vernichtung, 488.<br />
1537 Vgl. Freund u. Safrian, Vertreibung und Ermordung, 36.<br />
232
wurde <strong>Mag</strong>. Isaak Schatz von Wien nach Theresienstadt und am 21. September 1942 von<br />
dort weiter nach Treblinka verbracht und ermordet. <strong>Mag</strong>. Adalbert Glaser wurde am 29.<br />
Juli nach Theresienstadt deportiert, wo er am 27. September 1942 an den Folgen der<br />
Lebensumstände im Getto verstarb. Am 24. September 1942 wurde Hilde Axelrad von<br />
Wien nach Theresienstadt verschleppt. Auch sie überlebte nicht und verstarb am 7.<br />
Dezember 1942 im Getto Theresienstadt.<br />
6.2.7. Auschwitz-Birkenau<br />
Nur ein Transport aus Wien mit 1.000 Opfern wurde im Juli 1942 direkt in das 1941<br />
gebaute Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gelenkt. Dieser Transport, der Wien am<br />
17. Juli 1942 verließ, hatte als ursprüngliche Destination Theresienstadt, wurde aber<br />
umgeleitet. 1538 Mit diesem Transport wurde Olga Zavaros aus Wien deportiert und bei ihrer<br />
Ankunft in Auschwitz-Birkenau am 19. Juli 1942 ermordet. Zwischen März 1943 und<br />
Oktober 1944 wurden von der Geheimen Staatspolizei in mehreren Kleintransporten<br />
ungefähr 350 ÖsterreicherInnen von Wien nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Einer von<br />
ihnen war <strong>Mag</strong>. Julian Alesky. Er wurde am 25. Dezember 1943 in Auschwitz ermordet.<br />
6.2.8. Andere Deportationen<br />
Viele der österreichischen Juden und Jüdinnen, die schon früher in die Fänge von<br />
Gestapo und NSDAP geraten und in eines der Konzentrationslager eingewiesen worden<br />
waren, wurden später ebenfalls in die Vernichtungslager im Osten deportiert und dort<br />
ermordet. So wurde <strong>Mag</strong>. Heinrich Semis schon im Sommer 1938 von den NationalsozialistInnen<br />
verhaftet und im Konzentrationslager Dachau interniert. Im Herbst 1938<br />
wurde er in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt und später in ein Lager in<br />
Polen deportiert. Er hat die Shoa nicht überlebt.<br />
Viele österreichische Juden und Jüdinnen wurden nach ihrer geglückten Flucht aus<br />
Österreich in anderen europäischen Ländern festgenommen und anschließend in die<br />
nationalsozialistischen Vernichtungslager deportiert. So konnten sich <strong>Mag</strong>. Eugen Löwy<br />
sowie <strong>Mag</strong>. Leiser Steiner und seine Frau Rosa Steiner nach der nationalsozialistischen<br />
1538 Vgl. ebd., 35f.<br />
233
Machtübernahme in Österreich vorerst nach Frankreich in Sicherheit bringen. Sie alle<br />
wurden später in Frankreich festgenommen. <strong>Mag</strong>. Eugen Löwy wurde im Lager Pithiviers<br />
inhaftiert. Von dort wurde er am 17. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert. Der Tag seines<br />
Todes ist unbekannt, er wurde 1945 für tot erklärt. <strong>Mag</strong>. Leiser Steiner und seine Frau<br />
Rosa Steiner wurden in das Lager Drancy gebracht. <strong>Mag</strong>. Leiser Steiner wurde von dort<br />
am 9. September 1942 und seine Frau Rosa Steiner am 6. November 1942 nach<br />
Auschwitz deportiert. Beide haben die Shoa nicht überlebt. Nach Italien konnte sich 1938<br />
<strong>Mag</strong>. Otto Luka in Sicherheit bringen. Von dort wurde er aber später – Ort und Zeit seiner<br />
Deportation sind nicht bekannt – in ein Lager gebracht und ermordet. Ungarn als<br />
Destination ihrer Flucht wählten 1938 <strong>Mag</strong>. Julius Sugar und seine Frau Margit Sugar.<br />
Beide wurden am 16. Juni 1944 von Györ nach Auschwitz deportiert und ermordet. Auch<br />
<strong>Mag</strong>. Eugen Hacker floh 1938 aus Österreich nach Ungarn. Er wurde später – Ort und Zeit<br />
seiner Deportation sind nicht bekannt – in ein Lager in Polen deportiert. Er hat die Shoa<br />
nicht überlebt. Jugoslawien als Fluchtziel wählte <strong>Mag</strong>. Sigmund Becker, er flüchtete nach<br />
dem ‚Anschluß‘ mit seiner Familie aus Österreich nach Belgrad. Er wurde allerdings später<br />
in das von der kroatischen Ustascha geführte Konzentrationslager Jasenovac deportiert<br />
und dort im Frühjahr 1942 ermordet.<br />
6.3. Exkurs: Die Nachkriegsjustiz als Werkzeug der Entnazifizierung<br />
6.3.1. Volksgerichte als Sondergerichte<br />
Bereits in der ersten Regierungserklärung der österreichischen Bundesregierung vom<br />
27. April 1945 fand sich die Ankündigung, dass all jene, die das nationalsozialistische<br />
Regime unterstützt hatten, mit keiner Milde zu rechnen haben und unter ein<br />
Ausnahmerecht gestellt werden. 1539 Die Unterstellung unter dieses Ausnahmerecht hatte<br />
zur Folge, dass die nationalsozialistischen Verbrechen nicht nach gängigen<br />
österreichischen Gesetzen, sondern nach Sondergesetzen und Sondergerichten<br />
abgeurteilt wurden. Diese Sondergerichte wurden als „Volksgerichte“ bezeichnet.<br />
An allen Standorten, an denen ein Oberlandesgericht bestand (Wien, Linz, Graz und<br />
1539 Regierungserklärung der provisorischen Staatsregierung vom 27.04.1945, zit.n.: Dieter Stiefel, Entnazifizierung in<br />
Österreich, Wien, München u. Zürich, 1981, 247.<br />
234
Innsbruck), kam es zur Errichtung von Volksgerichten. Diese Volksgerichte waren in<br />
Senaten organisiert, bestehend aus zwei Berufsrichtern und drei SchöffInnen<br />
(LaienrichterInnen). Vom Staatsamt für Justiz (ab 1946 Justizministerium) wurden Listen<br />
von SchöffInnen zusammengestellt, namentliche Vorschläge dafür kamen von SPÖ, ÖVP<br />
und KPÖ. 1540 Den Vorsitz der Volksgerichte hatte ein Berufsrichter. Die SchöffInnen<br />
konnten nicht nur über Schuld oder Unschuld, sondern auch über das Strafausmaß<br />
mitbestimmen. Die Strafprozessordnung wurde auf die Volksgerichte nur teilweise<br />
angewandt. Das Besondere an diesen Gerichten war, dass die Urteile endgültig und somit<br />
in erster und letzter Instanz unter dem Ausschluss von ordentlichen Rechtsmitteln – wie<br />
zum Beispiel Einspruch gegen die Anklageschrift, Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde<br />
oder Beschwerde gegen die Beschlüsse des Gerichts 1541 – entschieden wurden. Einzig<br />
und allein der Oberste Gerichtshof konnte ein Urteil aufheben, wenn dieser es als nicht<br />
korrekt befand und erhebliche Bedenken hatte. Die Urteilspraxis der Volksgerichte verhielt<br />
sich zu jenen anderer österreichischer Gerichte in den Jahren 1945 bis 1948 nicht sehr<br />
different. 1542 Das heißt, dass sich die Qualität und die Quantität in der Urteilssprechung<br />
und im Verfahrensverlauf zwischen den Volksgerichten und denen anderer<br />
österreichischer Gerichte nicht unterschieden.<br />
Vor allem zwei Gesetze dienten als rechtliche Grundlage für die Volksgerichte: Das<br />
Verbotsgesetz, verlautbart am 8. Mai 1945, und das Kriegsverbrechergesetz vom 26. Juni<br />
1945.<br />
Das Verbotsgesetz (VG) beinhaltete strafrechtliche Bestimmungen gegen nationalsozialistische<br />
FördererInnen, FunktionärInnen und ‚Illegale‘. Ursprünglich betrafen diese<br />
Bestimmungen NS-FunktionärInnen ab dem Rang eines Gauleiters. Mit der Novellierung<br />
dieses Gesetzes 1947 wurden diese Bestimmungen ausgeweitet und NS-FunktionärInnen<br />
beginnend mit dem Rang eines Kreisleiters abgeurteilt. Daneben sollte das Verbotsgesetz<br />
aber auch all jene treffen, die aus ihrer NS-Gesinnung heraus besonders verwerfliche<br />
Handlungen gegen die Menschheit begangen hatten.<br />
Am 26. Juli 1945 trat das Kriegsverbrechergesetz (KVG) in Kraft, welches folgende<br />
1540 Vgl. Claudia Kuretsidis-Haider u. Winfried R. Garscha, Das Linzer Volksgericht. Die Ahndung von NS-Verbrechen<br />
in Oberösterreich nach 1945, in: Fritz Mayerhofer u. Walter Schuster, Hg., Nationalsozialismus in Linz, Linz 2001, 1470.<br />
1541 Vgl. Kuretsidis-Haider u. Garscha, Volksgericht Linz, 1470.<br />
1542 Vgl. ebd.<br />
235
Handlungen unter Strafe stellte: Kriegsverbrechen im engeren Sinn (§1), Kriegshetze (§2),<br />
Quälereien und Misshandlungen (§3), Verletzung der Menschlichkeit und der Menschenwürde<br />
(§4), Vertreibung aus der Heimat (§5a), missbräuchliche Bereicherung (§6),<br />
Denunziation (§7) und Hochverrat am österreichischen Volk (§8). 1543 Prinzipiell sah dieses<br />
Gesetz Todesstrafe und Vermögensverfall (§9) als Strafe vor. Die Todesstrafe konnte<br />
jedoch in besonderen und berücksichtigungswürdigen Fällen in lebenslänglichen<br />
schweren Kerker oder in zumindest zehn Jahre schweren Kerker umgewandelt werden.<br />
Theoretisch wären die Straftatbestände auch mit österreichischen Gesetzen aburteilbar<br />
gewesen. Die Einzigartigkeit und die Grausamkeit der nationalsozialistischen Verbrechen<br />
legten es jedoch nahe, besondere Gesetze und Gerichte einzuführen, da die<br />
herkömmlichen Gesetze zwar den „bösen Vorsatz“ kannten, jedoch nicht die Bestialität<br />
des NS-Regimes.<br />
Das Kriegsverbrechergesetz verfolgte in der Vergangenheit liegende Verbrechen und hatte<br />
demnach rückwirkende Kraft. Dem Charakter nach war es also kein Gesetz, das strafbare<br />
Handlungen verhüten sollte, sondern ein „Sühnegesetz“, dass bereits mehrere Jahre<br />
zurückliegende Verbrechen rückwirkend aburteilen sollte.<br />
Zwei Bestimmungen des Kriegsverbrechergesetzes waren jedoch eher auf die<br />
Entnazifizierung als auf die Verfolgung von Kriegsverbrechen ausgerichtet. Die erste<br />
Bestimmung betraf alle „Hoheitsträger“ der NSDAP einerseits vom Kreisleiter aufwärts und<br />
anderseits in der SS beginnend mit Standartenführer, beziehungsweise fielen auch alle<br />
Quälereien und Misshandlungen durch das Personal der Konzentrationslager, der<br />
Geheimen Staatspolizei, des Sicherheitsdienstes und die Mitglieder der nationalsozialistischen<br />
Volksgerichtshöfe darunter. Die zweite Bestimmung des Kriegsverbrechergesetzes<br />
in Bezug auf die Entnazifizierung ist der §8 KVG. 1544 Dieser Paragraph richtete<br />
sich vor allem gegen die so genannten ‚Illegalen‘, also jene NationalsozialistInnen, die in<br />
der ‚Verbotszeit‘ ab 1934 für die NSDAP tätig waren, und auch gegen Mitglieder der<br />
Seyss-Inquart-Regierung, die Vorbereitungen für den ‚Anschluß‘ Österreichs 1938 an das<br />
1543 Vgl. Stiefel, Entnazifizierung. 248.<br />
1544 §8 KVG: Hochverrat am österreichischen Volk: „Wer für sich allein oder in Verbindung mit anderen in führender<br />
oder doch einflußreicher Stellung etwas unternommen hat, das die gewaltsame Änderung der Regierungsform in<br />
Österreich zugunsten der NSDAP oder die Machtergreifung durch diese vorbereitete oder förderte, es sei solches durch<br />
Anraten, Aneiferung und Anleitung anderer oder durch persönliches tätiges Eingreifen, durch Mittel der Propaganda<br />
oder durch was sonst immer für eine dahin abzielende Handlung geschehen, hat das Verbrechen des Hochverrates am<br />
österreichischen Volke begangen und ist hiefür mit dem Tode zu bestrafen.“<br />
http://www.nachkriegsjustiz.at/service/gesetze (01.04.2008).<br />
236
Deutsche Reich getroffen hatten. Zwar erregten die Hochverratsprozesse ein großes<br />
öffentliches Interesse, machten aber nur einen marginalen Teil der gesamten Volksgerichtsprozesse<br />
aus. Die österreichischen Volksgerichte beschäftigten sich vor allem mit<br />
leitenden NS-FunktionärInnen und mit KriegsverbrecherInnen. Hochrangige NS-<br />
FunktionärInnen wurden jedoch oft aus drei Gründen nicht abgeurteilt: Erstens flüchteten<br />
viele NationalsozialistInnen, zweitens behielten es sich die Alliierten vor, die hohen<br />
FunktionärInnen zu verfolgen, und drittens mussten die gefassten TäterInnen an jene<br />
Länder ausgeliefert werden, wo sie die Verbrechen begangen hatten. Das betreffende<br />
Auslieferungsverfahren fand aber vor österreichischen Gerichten statt. 1545<br />
Bis zum Jahr 1947 verzögerten sich die Urteile der Volksgerichte, da zu wenig<br />
Justizbeamte und Richter zur Verfügung standen. Der Grund hierfür liegt in der hohen<br />
Nachkriegskriminalität. Das Personal konnte nur bedingt für die Sondergerichte<br />
abgezogen werden, ohne die <strong>Arbeit</strong> der ordentlichen Strafgerichte zu gefährden.<br />
Außerdem dauerte die Beweisfindung und -überprüfung in vielen Fällen sehr lange.<br />
Schwerwiegender war jedoch, dass viele Richter in der NS-Zeit tätig und somit belastet<br />
waren. Für die Volksgerichte konnten nur Richter eingesetzt werden, die keine<br />
nationalsozialistische Vergangenheit hatten. Daher wurde auf Richter zurückgegriffen,<br />
welche 1938 zwangsweise pensioniert worden waren. Aufgrund des personellen Mangels<br />
und der Vorbelastung der Richter konnten die Volksgerichte die große Zahl der Fälle nicht<br />
vollkommen bewältigen.<br />
Ein weiterer Grund für die Verzögerung der Prozesse liegt in der alliierten<br />
Besatzungspolitik. Briefsendungen wurden teilweise bis zu zwei Wochen von den Alliierten<br />
kontrolliert und erst verspätet weitergeleitet. Außerdem traten die österreichischen<br />
Gesetze außerhalb der sowjetischen Zone erst 1946 in Kraft, da die westlichen Alliierten<br />
die Rechtssprechung nicht gleich in die Hände der österreichischen Regierung geben<br />
wollten. Das Volksgericht Wien konnte bereits im August 1945 seine Tätigkeit aufnehmen,<br />
während die Volksgerichte in den westlichen Zonen erst mit Februar 1946 eingesetzt<br />
wurden und ab Sommer ihre Tätigkeit aufnahmen. Diese „Krise der Volksgerichte“ 1546<br />
konnte erst Anfang 1948 überwunden werden. Ab diesem Zeitpunkt führten die<br />
Volksgerichte ihre Tätigkeit im vorgesehenen Umfang aus. Es muss jedoch erwähnt<br />
1545 Vgl. Kuretsidis-Haider u. Garscha, Volksgericht Linz, 1471.<br />
1546 Stiefel, Entnazifizierung, 254.<br />
237
werden, dass ab 1948 viele Amnestien proklamiert wurden, so z.B. 1948 die Jugend- und<br />
Minderbelastetenamnestie. Diese betraf rund neunzig Prozent aller registrierten<br />
NationalsozialistInnen. 1547 1949 kam es zur Aufhebung der Sühnefolgen für Minderbelastete<br />
und 1952 wurde ein umfangreiches Belastetenamnestiegesetz beschlossen. 1548<br />
Bis zum Jahr 1955 urteilten die Volksgerichte insgesamt 136.829 Fälle ab, 23.477 (17<br />
Prozent) davon mit Urteil. 1549 58 Prozent der Volksgerichtsprozesse lauteten auf schuldig<br />
und 42 Prozent auf nicht schuldig. Von insgesamt 43 Todesurteilen kam es bei 30 zur<br />
Vollstreckung, zwei Verurteilte begingen Suizid. Ein Verfahren wurde wieder aufgenommen<br />
und endete mit einem Freispruch, und in zehn Fällen kam es zur Umwandlung<br />
der Todesstrafen in zeitlich begrenzte Freiheitsstrafen. Sechs der insgesamt 34 lebenslangen<br />
Strafen wandelten die Volksgerichte zu geringeren Freiheitsstrafen um. 61 Prozent<br />
der Freiheitsstrafen hatte ein Ausmaß von ein bis sechs Jahren.<br />
In der Spruchpraxis der Volksgerichte können zwei verschiedene Perioden ausgemacht<br />
werden, die sich sowohl in der Quantität der Prozesse als auch in der Höhe der<br />
verhängten Strafen unterscheiden. In den Jahren 1945 bis 1947 wurden 75 Prozent aller<br />
Anzeigen behandelt und auch die meisten Todesstrafen verhängt. Ab 1948 war die Zahl<br />
der Freisprüche um ein Vielfaches höher als die Urteile, die Höhe der Strafen nahm mit<br />
zunehmender zeitlicher Entfernung vn Krieg und der NS-Zeit ab. 1550<br />
Die Minderbelasteten-Amnestie 1948 war der erste große Schritt hin zur Beendigung der<br />
Entnazifizierung. 1551 Gleichzeitig gab es seitens der österreichischen Regierung<br />
Bemühungen, die Volksgerichte abzuschaffen und in Zukunft die Prozesse mit<br />
Geschworenengerichten zu verhandeln. SPÖ und ÖVP vertraten die Meinung, dass die<br />
Volksgerichte ihre ursprüngliche Aufgabe, nämlich die Verfolgung von Kriegsverbrechen<br />
und die Entnazifizierung, nun erfüllt hätten, und es bei der Einsetzung der Volksgerichte<br />
versäumt worden war, eine zeitliche Begrenzung für diese festzulegen. Daher reichte die<br />
Regierung einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung der Volksgerichte ein, der jedoch vom<br />
den Alliierten am 15. Dezember 1950 abgelehnt wurde. Am 20. Dezember 1955 kam es<br />
schließlich zur Abschaffung der Volksgerichte durch ein Verfassungsgesetz. 1552 Alle<br />
1547 Vgl. Albert Sternfeld, Betrifft Österreich. Von Österreich betroffen, Wien, Köln u. Weimar 2001, 88.<br />
1548 Vgl. ebd., 89.<br />
1549 Eine genaue Auflistung der Volksgerichtstätigkeit und des Ausmaßes der verhängten Strafen findet sich bei Stiefel,<br />
Entnazifizierung, 255f.<br />
1550 Vgl. ebd., 257.<br />
1551 Vgl. ebd., 258.<br />
1552 Vgl. Kuretsidis-Haider u. Garscha, Volksgericht Linz, 1472.<br />
238
ausbleibenden Fälle wurden nun vor Geschworenengerichten verhandelt. Zu diesem<br />
Zeitpunkt waren noch 4.742 Fälle anhängig, wovon 4.671 bereits im Stadium der Anklage<br />
waren und 71 noch im Stadium der Vorerhebung. Mit der NS-Amnestie 1957 wurden<br />
Strafverfahren aufgrund der Entnazifizierungsgesetze nicht mehr eingeleitet und das<br />
Kriegsverbrechergesetz wurde aufgehoben. Diese NS-Amnestie bewirkte einerseits die<br />
Einstellung von vielen Verfahren, andererseits wurden dadurch NS-Verbrechen, wie schon<br />
in den Jahren zuvor, weiter bagatellisiert. 1553 Ab 1957 verfolgten die Gerichte nur mehr<br />
Handlungen, die auch unter das österreichische Strafrecht fielen. Bis 1972 kam es noch in<br />
46 Fällen zur Anklage wegen nationalsozialistischer Delikte. Von diesen 46 Fällen endeten<br />
18 mit Schuldsprüchen, drei davon mit lebenslänglicher Haft. Vielfach fällten die<br />
Geschworenengerichte nach 1955 offenkundige Fehlurteile, weshalb es in einigen Fällen<br />
zur Aufhebung dieser durch den Obersten Gerichtshof kam. 1554<br />
6.3.2. Das Verfahren gegen <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich vor dem Volksgericht Wien 1555<br />
Am 03. April 1946 wurde <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich von der Polizeidirektion Wien einvernommen.<br />
Hier gab er an, dass er ab dem 1. April 1938 Mitglied der NSDAP gewesen war,<br />
Mitgliedsbeiträge bezahlt und eine ordentliche Mitgliedskarte erhalten hatte. Zwar hätte er<br />
schon mit 1. Mai 1933 um Aufnahme in die Partei angesucht, jedoch keine Beiträge<br />
gezahlt und auch keine Mitgliedskarte bekommen weswegen er annahm, dass er erst mit<br />
1. April 1938 ordentliches Mitglied der NSDAP geworden wäre. Während der ‚Verbotszeit‘<br />
zwischen 1933 und 1938 war er, laut eigenen Aussagen, nicht für die NSDAP aktiv<br />
gewesen. <strong>Mag</strong>. Dittrich gab in seiner Vernehmung weiters an, dass er immer wieder von<br />
Parteigenossen aufgrund seiner „Systemfeindlichkeit“ und „Judenfreundlichkeit“<br />
angefeindet worden war und es sogar ein Verfahren gegen ihn gegeben hatte mit dem<br />
Ziel, ihn aus der Partei auszuschließen. Bei einer weiteren Vernehmung am 24. Juni 1946<br />
äußerte sich <strong>Mag</strong>. Dittrich zum Vorwurf der ‚Arisierung‘. Er habe zwar die Apotheke in der<br />
Gersthoferstrasse 61, Wien 18., gekauft, dieser Kauf sei jedoch immer rechtens gewesen.<br />
Er sei immer mit dem Verkäufer Dr. Artur Freudenfeld in einem freundschaftlichen<br />
Verhältnis gestanden und tue das noch.<br />
1553 Vgl. ebd.<br />
1554 Vgl. ebd.<br />
1555 WStLA, Vg 11 Vr 2046/46, Volksgerichtsverfahren gegen <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich. Die folgenden Ausführungen<br />
beziehen sich, so nicht anders angegeben, auf diesen Volksgerichtsakt.<br />
239
Dem Volksgerichtsakt ist ein Bericht der Polizeidirektion Wien beigelegt, aus dem klar<br />
hervorgeht, dass sich <strong>Mag</strong>. Dittrich in der so genannten ‚Verbotszeit‘ für die NSDAP<br />
betätigt und versucht hatte, die österreichische Apothekerschaft nationalsozialistisch zu<br />
durchsetzen. Außerdem war <strong>Mag</strong>. Dittrich Mitglied der Flodarunde gewesen. Diese<br />
Flodarunde war eine Zusammenkunft von Apothekern, der neben <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich<br />
unter anderem auch folgende Personen angehörten: Dr. Franz Schaffer, Dr. Eduard<br />
Schäffer. <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister, <strong>Mag</strong>. Oskar Bittner, Dr. Hans Portisch und <strong>Mag</strong>. Franz<br />
Schweder.<br />
Am 27. April 1946 wurde <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich festgenommen und im Landesgericht für<br />
Strafsachen Wien inhaftiert. Ihm wurde vorgeworfen, er hätte gegen die<br />
Registrierungspflicht verstoßen (§8 Verbotsgesetz 1556 ), wäre während des Verbots der<br />
NSDAP in Österreich Mitglied der Partei gewesen (§10 VG) und hätte sich auch nach Mai<br />
1945 in ihrem Sinne betätigt (§3 VG). Weiters soll er sich der missbräuchlichen<br />
Bereicherung (§6 Kriegsverbrechergesetz 1557 ) schuldig gemacht haben und aktiv an der<br />
Machtübernahme in Österreich durch die NSDAP mitgewirkt haben (§8 KVG).<br />
Bei der Zeugeneinvernahme im Zuge der Voruntersuchung sagten allerdings alle Zeugen<br />
aus, dass die Flodarunde lediglich eine Zusammenkunft zum Essen und Trinken gewesen<br />
war, ohne einen politischen Hintergrund gehabt zu haben. Dr. Franz Schaffer, der auch der<br />
Obmann dieser Runde gewesen war, sagte aus, dass es diese Runde bereits in den<br />
1920er-Jahren gegeben habe. Desweiteren bezeugten viele der Einvernommenen die<br />
angebliche „Judenfreundlichkeit“ <strong>Mag</strong>. Dittrichs und sagt aus, dass er nie ‚Illegaler‘<br />
gewesen war. Eine ehemalige Sekretärin <strong>Mag</strong>. Dittrichs erwähnte auch noch, dass<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Dittrich mehrmals abgesetzt werden sollte, es dazu jedoch dank der Hilfe<br />
durch <strong>Mag</strong>. Rentmeister nie kam. Am 3. August 1946 stellt <strong>Mag</strong>. Dittrich einen Antrag auf<br />
Haftentlassung, da die Voruntersuchungen zu Ende seien und seine Unschuld durch diese<br />
bestätigt worden sei. Außerdem hätte er noch seine Apotheke zu betreiben und sein<br />
Gesundheitszustand habe durch die Haft sehr gelitten. Dem Antrag wurde am 29. August<br />
1946 stattgegeben und <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich auf freien Fuß gesetzt.<br />
1556 BGBl. Nr. 13/1945, Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz).<br />
1557 BGBl. Nr. 32/1945, Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische<br />
Untaten (Kriegsverbrechergesetz).<br />
240
6.3.3. Das Verfahren gegen Dr. Hans Portisch vor dem Volksgericht Wien 1558<br />
Dr. Hans Portisch wurde am 25. September 1948 wegen des Verdachts, er hätte gegen<br />
die Registrierungspflicht verstoßen (§8 VG) und sich somit nicht als ‚Illegaler‘ bekannt,<br />
angezeigt. Laut seinen Angaben zu diesen Vorwurf war Dr. Hans Portisch nie ‚illegaler‘<br />
Nationalsozialist gewesen und wisse auch nicht mehr, wie er Schulungsleiter der NSDAP<br />
geworden war, er sei erst mit dem 1. Mai 1938 der NSDAP beigetreten. Zwei ZeugInnen<br />
sagten jedoch unabhängig von einander aus, dass es in Kaiserebersdorf allgemein<br />
bekannt gewesen war, dass Dr. Portisch vor 1933 immer für den ‚Anschluß‘-Gedanken<br />
eingetreten wäre und in der ‚Verbotszeit‘ eine Turnhalle des Deutschen Turnbundes<br />
unterhalten habe, die damals Sammelpunkt für ‚illegale‘ NationalsozialistInnen gewesen<br />
wäre. Sofort nach dem ‚Anschluß‘ Österreichs an das Deutsche Reich soll Dr. Portisch für<br />
die NSDAP aktiv geworden sein und mit Uniform oder einem Parteiabzeichen<br />
herumstolziert sein.<br />
Am 28. September 1948 leitete die Staatsanwaltschaft Wien Erhebungen gegen<br />
Dr. Portisch ein und erstattete Anzeige gegen ihn. Vorgeworfen wurde ihm die ‚illegale‘<br />
Zugehörigkeit zur NSDAP als einer ihrer Funktionsträger (§10 und §11 VG). Die<br />
Zeugenaussagen zu diesen Anschuldigungen waren sehr different. Viele von ihnen<br />
belasteten ihn wegen seiner ‚illegalen‘ Parteizugehörigkeit, andere wiederrum sagten aus,<br />
dass er „nur“ für den ‚Anschluß‘ gewesen war. Am 25. Oktober 1948 stellte Helga Portisch,<br />
die Frau von Dr. Hans Portisch, ein Ansuchen auf Haftentlassung ihres Mannes, da er<br />
bettlägrig sei und nicht einvernommen werden könne. Außerdem sei er nie ‚illegal‘ für die<br />
NSDAP tätig gewesen und hätte auch nie Schulungen für diese durchgeführt. Merkwürdig<br />
bei dem Volksgerichtsakt von Dr. Portisch ist, dass es keinen Bescheid auf Haftentlassung<br />
in dem betreffenden Akt gibt. Das letzte Dokument ist jenes Ansuchen von Frau Portisch.<br />
Was anschließend geschah, konnte anhand des Aktes nicht eruiert werden.<br />
1558 WStLA, Vg 8c Vr 6369/48, Volksgerichtsverfahren gegen Dr. Hans Portisch. Die folgenden Ausführungen beziehen<br />
sich auf diesen Volksgerichtsakt.<br />
241
6.3.4. Das Volksgerichtsverfahren gegen <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister 1559<br />
<strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister wurde am 29. April 1947 zum ersten Mal von der Polizeidirektion<br />
einvernommen. Rentmeister gab dabei an, seit 1925 Mitglied der NSDAP und seit 1932<br />
Mitglied der SA gewesen zu sein und einen SA-Sturm geleitet zu haben. Außerdem sei er<br />
von 1925 bis 1927 Gauleiter von Wien gewesen. 1932 wurde er Niederösterreichischer<br />
Landtagsabgeordneter und war selbst nach dem Verbot der NSDAP noch für diese tätig.<br />
Er flüchtete nach Deutschland und wurde sofort nach dem ‚Anschluß‘ zum Kreisleiter und<br />
zum Mitglied des Reichstages ernannt. Seit 1939 übte er die Funktion eines Gauredners<br />
aus und 1940 wurde <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister Stadtrat von Wien und Leiter des<br />
Wohnamtes. Hier war er zuständig für die „Wiedergewinnung zweckentfremdeter<br />
Wohnungen“. Zuletzt war er SA-Oberführer und wurde mit dem goldenen Ehrenzeichen<br />
der NSDAP dekoriert.<br />
Seine Frau gab zum Vorwurf, <strong>Mag</strong>. Rentmeister hätte sich missbräuchlich bereichert, an,<br />
dass eine Liegenschaft im 19. Wiener Gemeindebezirk mit einer im 9. Wiener<br />
Gemeindebezirk getauscht worden war und somit von einer ‚Arisierung‘ nicht gesprochen<br />
werden könne. Auch die Apotheke in der Gudrunstraße 150 im 10. Wiener Gemeindebezirk<br />
hätte <strong>Mag</strong>. Rentmeister rechtens erworben und auch bezahlt.<br />
Im Zuge der Voruntersuchung wurde <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister von zahlreichen ZeugInnen<br />
vor allem wegen seiner Tätigkeit im Wohnungsamt stark belastet. Er hatte in seiner<br />
Funktion als Stadtrat Menschen, die mit Juden oder Jüdinnen verheiratet waren, gezwungen<br />
zu anderen, in so genannten ‚Mischehen‘ lebenden Menschen zu ziehen. Binnen<br />
acht Tagen nach Erhalt des Bescheides mussten die Opfer umziehen.<br />
Die Polizeidirektion Wien vernahm <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister mehrmals und stellte in ihren<br />
Recherchen fest, dass <strong>Mag</strong>. Rentmeister bereits 1919 der NSDAP angehört hatte,<br />
Ortsgruppenleiter in Klagenfurt und von 1921 bis 1923 erster nationalsozialistischer<br />
Gemeinderat in Klagenfurt gewesen war. Am 7. Juni 1947 wurde <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister<br />
im Landesgericht für Strafsachen Wien inhaftiert. Er wurde von Juni 1947 bis Jänner 1948<br />
mehrmals angehört, blieb jedoch bei seinen ursprünglichen Aussagen. Schwer belastet<br />
1559 WStLA, Vg 12b Vr 3268/47, Volksgerichtsverfahren gegen <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister. Die folgenden Ausführungen<br />
beziehen sich auf diesen Volksgerichtsakt.<br />
242
wurde er in der weiteren Untersuchung von einer Zeugin, die den Vorgang der<br />
Wohnungszusammenlegung von in ‚Mischehen‘ lebenden Menschen als menschenunwürdig<br />
beschrieb.<br />
Um den Vorwurf der missbräuchlichen Bereicherung zu klären, wurden vom Volksgericht<br />
zwei Gutachter bestellt. Einer sollte die ‚Arisierung‘ der Villa von <strong>Mag</strong>. Rentmeister in<br />
Hinterbrühl überprüfen, ein anderer die ‚Arisierung‘ der Apotheke in der Gudrunstraße.<br />
Jener Gutachter, der die Vorgänge um den Ankauf der Villa in Hinterbrühl untersuchte,<br />
schrieb in seinem Gutachten, dass der Kauf nicht als missbräuchliche Bereicherung<br />
gewertet könne. Hingegen stellte der zweite Gutachter in Bezug auf die Apotheke im 10.<br />
Wiener Gemeindebezirk fest, dass diese unrechtmäßig erworben worden war und der<br />
Tatbestand der missbräuchlichen Bereicherung somit gegeben wäre. Im Zuge der<br />
Voruntersuchung sagte ein weiterer Zeuge aus, dass der ehemalige Besitzer der Apotheke<br />
diese nur unter sehr großen Druck verkauft hatte. Am 26. März 1948 brachte der<br />
Staatsanwalt Anklage gegen <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister ein. Er warf ihm vor, sich während<br />
der ‚Verbotszeit‘ als Kreisleiter für die NSDAP betätigt (§10 und §11VG) und sich unter<br />
Ausnützung seiner Verwaltungsposition missbräuchlich bereichert zu haben (§6 KVG).<br />
Weiters habe er in Ausübung seines Amtes als Wohnungsamtsleiter Menschen gequält<br />
und ihre Menschenwürde verletzt (§3 und §4 KVG).<br />
Am 14. September 1948 wurde das Volksgerichtsverfahren gegen <strong>Mag</strong>. Walter<br />
Rentmeister eröffnet. Zunächst wurde <strong>Mag</strong>. Rentmeister neuerlich einvernommen, er blieb<br />
bei seinen Aussagen, die er schon in der Voruntersuchung getätigt hatte. Es folgten<br />
weitere Zeugenaussagen, die <strong>Mag</strong>. Rentmeister wegen seiner Tätigkeit als Wohnungsamtsleiter<br />
sehr stark belasteten. In Vertretung des Obmannes <strong>Mag</strong>. Heinrich Bartl trat<br />
<strong>Mag</strong>. Franz Dittrich von Seiten der Apothekerkammer als Sachverständiger und Zeuge<br />
auf. Zwar stellte er die Vorgehensweise bei der ‚Arisierung‘ von Apotheken dar, zur Causa<br />
Walter Rentmeister sagte er jedoch nichts.<br />
Am 16. September 1948 wurde <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister des Hochverrats (§10 und §11<br />
VG), der Quälerei und Misshandlung (§3 KVG) und der Verletzung der Menschenwürde<br />
(§4 KVG) für schuldig befunden. Die Verbrechen der missbräuchlichen Bereicherung (§6<br />
KVG) und der Tätigkeit als Kreisleiter (§1 KVG) konnten ihm nicht nachgewiesen werden<br />
und er wurde davon freigesprochen.<br />
243
Er wurde zu sechs Jahren schweren Kerkers verschärft durch ein hartes Lager<br />
vierteljährlich verurteilt. Am 22. Dezember 1948 suchte die Frau von <strong>Mag</strong>. Rentmeister um<br />
Haftentlassung für ihren Gatten an. Sie gab als Gründe an, dass sie ein schwer krankes<br />
Kind hätten und ihr Mann ohnehin schon zwei Drittel der Haftstrafe verbüßt hätte. Diesem<br />
Ansuchen wurde stattgegeben. Am 15. Oktober 1949 wurde <strong>Mag</strong>. Walter Rentmeister<br />
schließlich entlassen, nachdem er noch mehrere Monate in sowjetischer Verwahrungshaft<br />
verbracht hatte.<br />
244
7. Die österreichische Apothekerschaft nach 1945<br />
7.1. Remigration und Rückstellung nach 1945<br />
Von den geflüchteten jüdischen PharmazeutInnen kam nach Ende der NS-Herrschaft<br />
ungefähr ein Drittel wieder zurück nach Österreich, 1560 die meisten von ihnen zwischen<br />
1947 und 1949. 1561 Nach 1945 erfolgte entweder eine Rückstellung der 1938 enteigneten<br />
Apotheken oder der entzogenen Gesellschaftsanteile an die ehemaligen BesitzerInnen<br />
beziehungsweise deren ErbInnen oder es wurden Vergleiche mit den ‚AriseurInnen‘<br />
geschlossen, in denen die RückstellungswerberInnen gegen eine Ausgleichzahlung auf<br />
ihre Rechte verzichteten. Die meisten dieser Rückstellungsverfahren wurden bald nach In-<br />
Kraft-Treten des Dritten Rückstellungsgesetzes vom 6. Februar 1947 geführt, da selbst bei<br />
bombengeschädigten oder auch völlig zerstörten Betrieben die Konzession für die<br />
Führung einer Apotheke einen Wert an sich darstellte.<br />
In Summe wurden in Österreich 64 der 1938 ‚arisierten‘ Apotheken oder ‚arisierter‘<br />
Anteilsrechte an ihre ehemaligen BesitzerInnen oder deren RechtsnachfolgerInnen<br />
zurückgestellt. In einem Fall wurde nach 1945 kein Rückstellungsbegehren eingebracht,<br />
da die Apotheke und die zugehörige Konzession im November 1938 an den ‚arischen‘<br />
Adoptivsohn übertragen worden waren. 1562 Ein Rückstellungsbegehren wurde von der<br />
Rückstellungskommission mit der Begründung abgewiesen, dass zwischen der vollständigen<br />
Zerstörung der Apotheke 1945 und ihrer Wiedereröffnung Ende 1952 fast acht<br />
Jahre vergangen wären und somit kein Zusammenhang zwischen dem ‚arisierten‘ Unternehmen<br />
und der neu errichteten Apotheke bestehe. 1563<br />
In elf Rückstellungsverfahren betreffend österreichische Apotheken wurden vor den<br />
Rückstellungskommissionen Vergleiche geschlossen, in denen die emigrierten ehemaligen<br />
BesitzerInnen oder deren ErbInnen anstelle der Rückstellung von Konzession und Betrieb<br />
eine Ausgleichszahlung der ‚AriseurInnen‘ akzeptierten. In acht Fällen wurden Anfang der<br />
1960er-Jahre von den Sammelstellen Rückstellungsanträge wider die ‚AriseurInnen‘<br />
1560 Vgl. Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker, 197.<br />
1561 Vgl. ebd., 195.<br />
1562 Vgl. Kapitel 5.1.1. Wien, Innere Stadt, Apotheke „Zum heiligen Leopold“<br />
1563 Vgl. Kapitel 5.1.1. Wien, Innere Stadt, Schwedenapotheke.<br />
245
eingebracht. Die Sammelstellen A und B wurden von der Republik Österreich am 13. März<br />
1957 geschaffen, 1564 um die Rückstellung von während der NS-Zeit entzogenen<br />
Vermögens zu beantragen, wenn die ursprünglichen EigentümerInnen dieses Vermögens<br />
ohne ErbInnen geblieben waren oder das Vermögen sechs Monate nach In-Kraft-Treten<br />
des Staatsvertrages nicht beansprucht worden war. Das rückgestellte Vermögen musste<br />
zur Unterstützung von Opfern des Nationalsozialismus verwendet werden. Die von den<br />
Sammelstellen initiierten Rückstellungsverfahren Verfahren endeten – mit einer<br />
Ausnahme, in der die Apotheke direkt an die Sammelstelle A zurückgestellt wurde – in der<br />
Regel mit Ausgleichszahlungen der ‚AriseurInnen‘ an die Sammelstellen. Mitte der 1960er-<br />
Jahre war die Rückstellung der ‚arisierten‘ Apotheken in Österreich im Wesentlichen<br />
abgeschlossen.<br />
Fünf Apotheken, drei davon in Wien und zwei in Niederösterreich, wurden nicht<br />
zurückgestellt oder mit Anspruchsberechtigten verglichen. Auch die Sammelstellen stellten<br />
in diesen Fällen keine Rückstellungsansprüche. Der Grund für die nicht erfolgte Restitution<br />
dieser Apotheken dürfte darin gelegen sein, dass sie zum Zeitpunkt ihrer ‚Arisierung‘<br />
sämtlich relativ hoch verschuldet waren und nach 1945 von Seiten der Behörden die<br />
Übernahme der Betriebsverbindlichkeiten durch die ‚AriseurInnen‘ als ein dem Betrieb<br />
angemessener Kaufpreis erachtet wurde. Da somit eine missbräuchliche Bereicherung im<br />
Sinne des §6 Kriegsverbrechergesetz nicht vorlag, wurden auch keine weiteren Schritte<br />
gegen die ‚AriseurInnen‘ unternommen.<br />
Die zurückgekehrten jüdischen ApothekerInnen sahen sich allerdings trotz erfolgter<br />
Rückstellung ihrer Betriebe mit dem Problem konfrontiert, dass es ihnen in der Mehrzahl<br />
während ihres Exils nicht möglich gewesen war, ihren Beruf auszuüben, beziehungsweise<br />
dass eine allfällige Berufspraxis in einer ausländischen Apotheke in Österreich nicht<br />
anerkannt wurde. Dies hatte nach der Rückkehr zur Folge, dass sie mangels inländischer<br />
Berufspraxis – das Apothekengesetz von 1906 schrieb für die Wiedererlangung der<br />
Berechtigung zum selbständigen Betrieb einer Apotheke eine fachliche Tätigkeit von<br />
einem Jahr vor 1565 – nun nicht mehr berechtigt waren, ihre Apotheken auch zu leiten.<br />
Stellvertretend auch für andere österreichische PharmazeutInnen, die nach dem Krieg die<br />
Rückgabe ihrer entzogenen Betriebe begehrten, soll hier zur Illustration ein Aktenvermerk<br />
1564 BGBl. Nr. 152/1955, Auffangorganisationengesetz.<br />
1565 DRGBl. Nr. 5/1907.<br />
246
des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom April 1946 betreffend die<br />
Rückstellung der Marien-Apotheke des <strong>Mag</strong>. Bronislaw Herz dienen.<br />
Der ehemalige Besitzer der Marienapotheke Wien, XVIII., Martinstraße 93, Mr.<br />
Bronislaw Herz, erschien mit seinem Sohn im h.o. Bundesministerium und bat um<br />
die Rückgabe seiner Apotheke, die von dem Illegalen Mr. Reich szt. arisiert wurde.<br />
Mr. Herz wurde mitgeteilt, dass für die Apotheke ein öffentl. Verwalter bestellt<br />
worden ist, jedoch eine Rückgabe mangels einer gesetzlichen Grundlage derzeit<br />
nicht möglich sei. Es müsse die gesetzliche Regelung der ganzen<br />
Wiedergutmachungsfrage abgewartet werden. Hierauf beantragte Herz, ihn zum<br />
öffentl. Verwalter der Apotheke zu bestellen. Es wurde darauf hingewiesen, das im<br />
Hinblick auf die Aufhebung des Gesetzes über die Bestellung öffentl. Verwalter zur<br />
Zeit nur verantwortliche Leiter auf Grund des §17 des Apothekengesetzes bestellt<br />
würden. Aber auch für einen solchen Posten käme er nicht in Betracht, weil er<br />
während der letzten drei Jahre in keiner österreichischen Apotheke tätig war und<br />
daher vor Zurücklegung eines weiteren Jahres als angestellter Apotheker nicht als<br />
Leiter einer öffentl. Apotheke bestellt werden könnte. Die von ihm angeblich in<br />
Serbien zurückgelegte Dienstzeit sei im Auslande verbracht und nicht einer<br />
inländischen gleichwertig. Daraufhin begehrte er, ihm das <strong>Arbeit</strong>en als angestellter<br />
Apotheker in der o.a. Apotheke zu bewilligen. Hiezu wurde vom Gefertigten darauf<br />
aufmerksam gemacht, dass leider die Feststellung gemacht wurde, dass die in ihrer<br />
ehemaligen Apotheke als angestellte Apotheker praktizierenden Personen – die<br />
menschlich vollkommen zu begreifende – Tendenz zeigten, die Leitung der<br />
Apotheke in die Hand zu nehmen und dem die Verantwortung tragenden öffentl.<br />
Verwalter bezw. verantwortlichen Leiter die Geschäftsführung unmöglich zu<br />
machen. Es könne daher eine Mitarbeit der Vorbesitzer vorläufig nicht bewilligt<br />
werden. Hingegen sei das Ministerium bereit, das Gremium anzuweisen, ihn bei der<br />
Erlangung eines entsprechenden Angestelltenposten in einer Wiener Apotheke in<br />
jeder Weise zu fördern, damit er ehestens wieder die Befähigung zur Leitung einer<br />
öffentl. Apotheke erlangt. 1566<br />
Ein am 12. Dezember 1946 beschlossenes und bis Ende 1949 befristetes Gesetz trug<br />
diesen Problemen Rechnung und verkürzte die notwendige nachzuweisende Berufspraxis<br />
für remigrierte ApothekerInnen in Österreich auf ein halbes Jahr, die sie in der eigenen<br />
oder einer fremden Apotheke als angestellte PharmazeutInnen zu absolvieren hatten. 1567<br />
1566 ÖStA, AdR 03, BMfsV, Sektion V (Volksgesundheit) 1946, Kt. 6, IV-8202-18/46, Aktennotiz vom April 1946.<br />
1567 BGBl. Nr. 15/1947.<br />
247
7.2. Die Wiedererrichtung der Standesvertretungen nach 1945<br />
Der Zustand der österreichischen Apotheken in den letzten Kriegswochen war<br />
katastrophal. Zahlreiche Apotheken vor allem in größeren Städten waren durch<br />
Bombentreffer, Plünderungen oder Kampfhandlungen zerstört worden. Die Versorgung der<br />
österreichischen Bevölkerung mit Medikamenten wurde vor allem im Osten Österreichs<br />
immer schwieriger und konnte nur mühsam aufrechterhalten werden. So wurden zum<br />
Beispiel alleine in Wien 66 Apotheken zerstört, aber auch im Burgenland, durch welches<br />
die 4. russische Armee auf ihrem Weg von Ungarn nach Wien zog, wurden zwölf<br />
Apotheken komplett vernichtet. Laut einem Bericht des Provisorischen Ausschusses<br />
Österreichischer Apotheker wurden in ganz Österreich 120 Apotheken zerstört, das<br />
entsprach 18 Prozent der damals in Österreich bestehenden Apotheken. 1568 Während im<br />
Burgenland und in Wien die Kämpfe bereits Mitte April 1945 beendet waren und die<br />
russische Armee einmarschiert war, dauerten die Kampfhandlungen im Westen<br />
Österreichs noch an. Am 27. April 1945 wurde eine provisorische österreichische<br />
Staatsregierung unter Leitung Dr. Karl Renners von Russland anerkannt. Für das<br />
Gesundheitswesen und somit auch für die Apotheken wurde das Staatsamt für soziale<br />
Verwaltung unter der Leitung von Staatssekretär Johann Böhm (SPÖ) eingerichtet. Als<br />
dessen Unterstaatssekretäre fungierten Dr. Franz Dawid (KPÖ) und Alois Weinberger<br />
(ÖVP).<br />
Dr. Dawid, der im Staatsamt für das Gesundheitswesen zuständig war, setzte Ende April<br />
1945 einen Provisorischen Ausschuß Österreichischer Apotheker mit dem Ziel ein, das<br />
österreichische Apothekenwesen wieder neu aufzubauen und für eine ausreichende<br />
Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten und Heilmitteln zu sorgen. Zum<br />
Vorsitzenden des Provisorischen Ausschusses wurde <strong>Mag</strong>. Rudolf Kraus ernannt, welcher<br />
bis 1938 eine leitende Position in der Österreichischen Heilmittelstelle innehatte.<br />
<strong>Mag</strong>. Kraus wurde von Dr. Dawid außerdem mit der raschen Liquidierung der von den<br />
NationalsozialistInnen in Österreich eingerichteten deutschen pharmazeutischen Standesorganisationen<br />
beauftragt. 1569 Nach der Kapitulation des deutschen Heeres am 8. Mai<br />
1945 und dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa sollte der Provisorische<br />
Ausschuß für das ganze Bundesgebiet zuständig sein. Der Regierung und den<br />
1568 Mitteilungen des Provisorischen Ausschusses Österreicher Apotheker, Nr. 10 (1946), 6.<br />
1569 Vgl. Rudolf Kraus, Offener Brief an <strong>Mag</strong>. pharm. Franz Dittrich, in: ÖAZ Nr. 2 (1948), 94.<br />
248
Besatzungsmächten war es auch besonders wichtig, dass keine nationalsozialistischen<br />
ApothekerInnen im Ausschuss vertreten waren. Ausschussmitglieder durften daher weder<br />
Mitglieder der NSDAP, der SS oder der SA gewesen sein noch ein jüdisches Unternehmen<br />
‚arisiert‘ haben. Anfang Mai 1945 einigten sich das Staatsamt für soziale Verwaltung und<br />
<strong>Mag</strong>. Kraus nach längeren Beratungen über die Zusammensetzung des Ausschusses auf<br />
folgende Mitglieder: <strong>Mag</strong>. Heinrich Bartl, <strong>Mag</strong>. Silvio Dalbosco und <strong>Mag</strong>. Erich Sigl auf<br />
Seiten der ApothekenbesitzerInnen und <strong>Mag</strong>. Josef Holzinger, <strong>Mag</strong>. Robert Klotz,<br />
<strong>Mag</strong>.ª Margarete Schack und <strong>Mag</strong>. Ludwig Tisch auf Seite der <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen. Damit<br />
waren die Voraussetzungen geschaffen, das österreichische Apothekenwesen neu zu<br />
organisieren. 1570 Das Apothekerhaus in der Spitalgasse 31 im 9. Wiener Gemeindebezirk<br />
und das Haus in der Laimgrubengasse 27 im 6. Wiener Gemeindebezirk, in welchem die<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse untergebracht war, hatten den Krieg ohne größere<br />
Schäden überstanden. Durch diesen glücklichen Umstand konnte der Provisorische<br />
Ausschuß diese Häuser nutzen und mit seiner Tätigkeit beginnen. Die dringlichsten<br />
Probleme, die es zu lösen gab, waren: die Versorgung von Apotheken und Spitälern mit<br />
Medikamenten und Verbandsstoffen, die Inbetriebnahme der beschädigten und<br />
geplünderten Apotheken, die Wiedererrichtung der zerstörten Apotheken, der Kontakt mit<br />
den Apothekergremien der Bundesländer, die Wahl der Standesführung, die Organisation<br />
einer Apothekerkammer für ganz Österreich und die Verhandlungen mit den<br />
Krankenkassen bezüglich der Bezahlung der Rezepte, welche schon seit Jänner 1945<br />
ausständig war. 1571 Auch nach der Kapitulation des deutschen Heeres und der Besetzung<br />
Österreichs durch die vier alliierten Mächte Russland, USA, Frankreich und<br />
Großbritannien war die Versorgung der österreichischen Bevölkerung mit Medikamenten,<br />
vor allem in Ostösterreich – in der russischen Besatzungszone – kaum aufrechtzuerhalten.<br />
Aber nicht nur die Zerstörung vieler Apotheken hatte zu diesem Notstand beigetragen,<br />
sondern auch die Tatsache, dass viele Pharmafirmen und ApothekerInnen ihre<br />
Medikamentenlager, um diese vor Beschlagnahmung und Plünderung zu schützen, nach<br />
Westösterreich gebracht hatten und diese nun durch die Besatzungsgrenzen nicht mehr<br />
frei zugänglich waren. Außerdem waren in den letzten Kriegstagen Medikamentendepots<br />
von flüchtenden NationalsozialistInnen beziehungsweise von der Wehrmacht oder der<br />
Waffen-SS geplündert oder vernichtet worden. Zusätzlich verschärft wurde die Situation<br />
1570 Vgl. Inge Steibl, Der Pharmazeutische Reichsverband von 1945 bis heute, in: Pharmazeutischer Reichsverband,<br />
Hg., 100 Jahre. Organisation der angestellten Apotheker. Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich, Wien 1991,<br />
41.<br />
1571 Vgl. Otto Nowotny, „Der Phönix aus der Asche“, in: ÖAZ Nr. 9 (1995), 369f.<br />
249
auch dadurch, dass der Austausch von Medikamenten zwischen den westlichen und der<br />
östlichen Besatzungszone über die streng kontrollierten Demarkationslinien kaum möglich<br />
war. 1572<br />
Durch die große Anzahl an nationalsozialistisch belasteten ApothekerInnen (in ganz<br />
Österreich waren dies etwa 65 Prozent), 1573 welche der Registrierungspflicht unterlagen,<br />
und somit die Berechtigung verloren, eine Apotheke zu leiten, waren vor allem in Wien<br />
viele Apotheken ohne Leitung. Auch in der russischen Besatzungszone herrschte ein<br />
Mangel an ApothekerInnen, die über die gesetzlich bestimmte fünfjährige Praxis verfügten,<br />
die zur Leitung einer Apotheke berechtigten. Das Staatsamt für soziale Verwaltung<br />
verminderte daher als Gegenmaßnahme vorübergehend die vorgeschriebene Praxiszeit<br />
auf zweieinhalb Jahre. 1574 Auch der in Ostösterreich herrschende Engpass an<br />
Medikamenten wurde im Frühsommer 1945 immer dramatischer und die Versorgung der<br />
Bevölkerung mit Medikamenten drohte vollständig zusammenzubrechen. Besonders<br />
benötigt wurden Insulin, Sulfonamide, Narkosemittel und Verbandsmaterialien. Zwar<br />
starteten ab Sommer 1945 die westlichen Alliierten und neutrale Länder wie die Schweiz<br />
und Schweden mit Hilfslieferungen an Medikamenten, doch waren diese meist für Spitäler<br />
reserviert. Die kleinen Depots der noch bestehenden Wiener Apotheken waren schnell<br />
aufgebraucht. Um die größte Not zu lindern, beschloss das Staatsamt für soziale<br />
Verwaltung mit Zustimmung des Provisorischen Ausschusses der Österreichischen<br />
Apotheker eine staatliche Arzneimittelstelle, die Heivest, zu gründen. Diese sollte unter<br />
anderem für die gerechte Verteilung der noch vorhandenen Arzneimittel und<br />
Verbandsmaterialien in Österreich sorgen. 1575 Die Heivest, die bereits am 1. August 1945<br />
ihre Tätigkeit aufnahm, versuchte die noch vorhandenen Arzneimittelvorräte in einem<br />
festgelegten Verhältnis an Spitäler und Drogengroßhandlungen zu verteilen. Die<br />
Großhandlungen belieferten sodann nach einem sich nach dem Umsatz der Apotheken<br />
richtenden Punktesystem die Apotheken. Um die gerechte Verteilung zu gewährleisten,<br />
wurde der Provisorische Ausschuß von der Heivest angewiesen, die Wiener Apotheken<br />
nach eventuellen Medikamentenlagern, welche von einigen ApothekerInnen ab 1944 auch<br />
tatsächlich angelegt worden waren, zu durchsuchen. Bei einem bestehenden<br />
Medikamentenübervorrat musste dieser gegen eine entsprechende Vergütung der Heivest<br />
1572 Vgl. Hugo Portisch u. Sepp Riff, Österreich II. Die Wiedergeburt unseres Staates, Wien 1993, 23ff; Nowotny,<br />
„Der Phönix aus der Asche“, 366ff.; Otto Nowotny, „Aus dem Dunkel“, in: ÖAZ, Jubiläumsausgabe (1996), 11ff.<br />
1573 Mitteilungen des Provisorischen Ausschusses Österreichischer Apotheker, Nr. 4 (1946), 3.<br />
1574 Ebd., Nr. 10 (1946), 1.<br />
1575 Ebd., Nr. 1 (1946), 3.<br />
250
zur Verfügung gestellt werden. 1576 Während sich die Not an Medikamenten in<br />
Ostösterreich, vor allem in Wien, trotz aller Bemühungen gegen Ende 1945 immer mehr<br />
zuspitzte, war die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten in Westösterreich viel<br />
besser. Bei manchen in Wien dringend benötigten Medikamenten herrschte dort sogar ein<br />
Überschuss. Trotz sämtlicher Bemühungen der österreichischen Regierung und des<br />
Staatsamtes für soziale Verwaltung verboten allerdings die westlichen Besatzungsmächte<br />
1945 Arzneimittellieferungen in die russische Besatzungszone. 1577 Auch der Zukauf von<br />
Medikamenten aus dem Ausland war nicht nur aufgrund der großen Transportprobleme,<br />
sondern auch wegen des noch nicht festgesetzten Wechselkurses des Schillings zu<br />
anderen Währungen fast unmöglich. 1578 Die schlechte Versorgung der Apotheken mit<br />
Strom und Gas sowie der große Mangel an Heizmaterialien im Winter 1945/1946 führten<br />
dazu, dass nur mit großen Problemen die Aufrechterhaltung der Apothekenbetriebe<br />
gewährleistet werden konnte. Teilweise waren die Apotheken nur stundenweise geöffnet,<br />
erst ab April 1946 konnten wieder geregelte Öffnungszeiten – welche zum Beispiel in Wien<br />
mit 8–12 Uhr und 14–18 Uhr festgesetzt wurden – gewährleistet werden. 1579 Trotz<br />
zahlreicher Gegenmaßnahmen blieb die Medikamentenversorgung in Ostösterreich bis<br />
Sommer 1946 kritisch. Erst durch die ab Juli 1946 beginnenden Medikamentenlieferungen<br />
der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), einer 1943 von den<br />
Alliierten gegründeten und 1945 von der UNO übernommenen Organisation, entspannte<br />
sich die Situation auch in Ostösterreich, sodass die grundlegende Versorgung der<br />
österreichischen Bevölkerung mit Arzneien und Heilmitteln abgesichert werden konnte. 1580<br />
1946, als sich die wirtschaftliche und soziale Situation in Österreich langsam zu<br />
normalisieren begann, arbeitete der Provisorische Ausschuß verstärkt am Wiederaufbau<br />
der Standeseinrichtungen. Schon im Februar 1946 stellten die jeweiligen VertreterInnen<br />
der <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen und <strong>Arbeit</strong>geberInnen im Provisorischen Ausschuß Anträge an das<br />
Bundesministerium für Inneres zur Wiedererrichtung der Standesvertretungsverbände.<br />
Dem Antrag der <strong>Arbeit</strong>geberInnen wurde rasch stattgegeben, und so konnte der<br />
Österreichische Apothekerverein mit Erlass des Bundesministeriums für Inneres vom<br />
10. April 1946, Z. 73.584-4/46, reaktiviert werden. Zum provisorischen Vorstand wurden<br />
1576 Vgl. Nowotny, „Der Phönix aus der Asche“, 366ff.<br />
1577 Mitteilungen des Provisorischen Ausschusses Österreichischer Apotheker, Nr. 2 (1946), 3f.<br />
1578 Ebd., Nr. 1 (1946), 4.<br />
1579 Ebd., Nr. 3 (1946), 4.<br />
1580 Vgl. Otto Nowotny, Die österreichische Pharmazie im Jahre 1945, in: ÖAZ, Nr. 43 (1985), 836.<br />
251
<strong>Mag</strong>. Heinrich Bartl, Dr. Silvio Dalbosco und <strong>Mag</strong>. Erich Sigl bestellt. 1581 Die<br />
AntragstellerInnen der <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen mussten, obwohl sie allesamt unbelastet waren,<br />
noch bis Oktober 1947 warten. Erst mit Erlass vom 5. Oktober 1947, Z. 140.906-4/46,<br />
genehmigte das Bundesministerium für Inneres die Neugründung des Pharmazeutischen<br />
Reichsverbandes für Österreich. Als Mitglieder des provisorischen Vorstandes wurden<br />
<strong>Mag</strong>. Robert Klotz, <strong>Mag</strong>.ª Margarete Schack und <strong>Mag</strong>. Ludwig Tisch bestellt. 1582 Aus zwei<br />
Gründen wurden provisorische Vorstände bestellt und diese nicht durch demokratische<br />
Wahlen ermittelt: Erstens erschienen demokratische Wahlen zu diesem Zeitpunkt als nicht<br />
durchführbar, da aufgrund des hohen Prozentsatzes an belasteten PharmazeutInnen nur<br />
30 bis 40 Prozent von ihnen wahlberechtigt gewesen wären, und zweitens erschien die<br />
Gefahr zu groß, dass hohe nationalsozialistische Standespolitiker durch Wahlen ihre<br />
Führungspositionen zurückerlangen hätten können.<br />
Während die Pharmazeutische Gehaltskasse nach dem Krieg relativ problemlos ihrer<br />
Tätigkeit nachgehen konnte, versuchten die Mitglieder des Provisorischen Ausschusses<br />
Österreichischer Apotheker, das Bundesministerium für soziale Verwaltung, welches seit<br />
20. Dezember 1945 unter Bundesminister Karl Maisel die Tätigkeiten des Staatsamtes<br />
übernommen hatte, von der Notwendigkeit der Reaktivierung der pharmazeutischen<br />
Versicherungsanstalt zu überzeugen. So wurde am 7. Mai 1947 an Bundesminister Karl<br />
Maisel eine Resolution der österreichischen Apothekertagung vom 20. April 1947 – sie<br />
fand in Anwesenheit von VertreterInnen aller Bundesländergremien statt – übergeben.<br />
Diese Resolution enthielt die Bitte, die ehemalige Versicherungsanstalt für Pharmazeuten<br />
per Gesetz in die Träger der Sozialversicherungen aufzunehmen, um diese als eine auf<br />
die Wünsche des Standes zugeschnittene Versicherungsanstalt wieder errichten zu<br />
können. Doch trotz aller Versuche und Verhandlungen gelang es nicht, die Forderungen<br />
gegenüber der Bundesregierung durchzusetzen, sodass die Versicherung der<br />
Pharmazeuten nicht wieder reaktiviert werden konnte. 1583<br />
Einer der größten Erfolge des Provisorischen Ausschusses Österreichischer Apotheker<br />
waren die positiven Verhandlungen mit dem Bundesministerium für Soziale Verwaltung<br />
bezüglich der Schaffung einer Apothekerkammer. Bereits im Apothekengesetz vom<br />
1581 Provisorischer Vorstand des Österreichischen Apothekervereins, Verlautbarung, in: ÖAZ, Nr. 1/2 (1947), 14.<br />
1582 Ebd.<br />
1583 Redaktion (ÖAZ), Die Wiedererrichtung der „Versicherungsanstalt für Pharmazeuten“, in: ÖAZ, Nr. 17/18<br />
(1947), 74.<br />
252
18. Dezember 1906 war die Schaffung einer Apothekerkammer durch ein in diesem Sinne<br />
neu zu schaffendes Gesetz vorgesehen gewesen, dieses Vorhaben wurde aber nie<br />
verwirklicht. Weder in der österreichisch-ungarischen Monarchie noch in der Ersten<br />
Republik und auch nicht im Ständestaat schafften es die Standespolitiker, die jeweiligen<br />
Regierungen dazu zu bringen, ein Apothekerkammergesetz zu erlassen. Durch geschickte<br />
Argumentation und unter Hinweis auf die unsichere Zukunft Österreichs gelang es den<br />
Mitgliedern des Ausschusses, die zuständigen Stellen von der Notwendigkeit einer<br />
Apothekerkammer zu überzeugen. Die Hauptargumente für die Schaffung einer<br />
Apothekerkammer waren die Abschaffung des recht mühsamen und veralteten<br />
Gremialsystems und die durch eine Apothekerkammer erhoffte Stärkung des<br />
Gemeinschaftsgefühls aller ApothekerInnen Österreichs. Durch den Zusammenschluss<br />
aller ApothekerInnen Österreichs in einer Kammer sollte eine befürchtete gesetzliche oder<br />
politische Abspaltung eines Teils der ApothekerInnen in einer der vier Besatzungszonen<br />
vermieden werden. Schon am 18. Juni 1947 wurde das Gesetz betreffend der Errichtung<br />
einer Apothekerkammer (Apothekerkammergesetz) vom Nationalrat beschlossen und trat<br />
per 21. August 1947 in Kraft. 1584 Der Bundesrat stellte das Gesetz zwar aufgrund unklar<br />
formulierter Paragraphen vorerst an den Nationalrat zurück, diese Unklarheiten wurden<br />
aber mit einer Novellierung noch 1947 beseitigt. 1585 Die gesetzlichen Bestimmungen<br />
setzten die Apothekerkammer als eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft<br />
fest. Alle ApothekenbesitzerInnen und alle <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen waren in der<br />
jeweils zuständigen Abteilung Mitglieder der Kammer. Schließlich erklärte <strong>Mag</strong>. Rudolf<br />
Kraus nach der erfolgten Konstituierung des provisorischen Vorstandes der<br />
Österreichischen Apothekerkammer am 7. Oktober 1947 seine Aufgaben und Tätigkeiten<br />
als Vorsitzender des Provisorischen Ausschusses Österreichischer Apotheker für beendet<br />
und löste diesen auf. Zum ersten provisorischen Kammerpräsidenten wurde <strong>Mag</strong>. Heinrich<br />
Bartl bestimmt, er wurde auch bei den ersten demokratischen Wahlen im Juli 1948 in<br />
dieser Funktion bestätigt und blieb bis Ende 1951 im Amt. 1586 Wie sich 1952 herausstellen<br />
sollte, waren die Sorgen von 1946, dass ehemals hohe nationalsozialistische<br />
Standespolitiker wieder Standesfunktionen durch Wahlen übernehmen könnten, nicht<br />
unberechtigt. <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich wurde im Juni 1952 – trotz seiner Rolle im National-<br />
1584 BGBl, Nr. 152/1947; vgl. Richard Kurtics u. Walter Thor, Gesetze und Vorschriften für den österreichischen<br />
Apotheker, Wien 1955, A1.<br />
1585 Vgl. Heinrich Bartl, Referat: Die zweite Apothekertagung im freien Österreich, in: ÖAZ, Nr. 17/18 (1947), 74.<br />
1586 BGBl, Nr. 152/1947; vgl. Kurtics u. Thor, Gesetze und Vorschriften, A1; Otto Nowotny, Ein Jahrhundert<br />
österreichische Pharmazie I. Ereignisse & Systemfragen, in: ÖAZ, Nr. 18 (1999), 843.<br />
253
sozialismus – zum Präsidenten der Österreichischen Apothekerkammer gewählt und blieb<br />
in dieser Funktion bis November 1964. 1587<br />
7.3. Die Pharmazeutische Gehaltskasse nach 1945<br />
Während der Provisorische Ausschuß Österreichischer Apotheker daran ging, die von den<br />
NationalsozialistInnen aufgelösten Standesinstitute wieder aufzubauen, konnte die<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse ihre Tätigkeit weiterführen. <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich, der die<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse von 1938 bis 1945 geleitet hatte, wurde nicht nur aufgrund<br />
seiner Tätigkeit als SA-Obertruppführer, sondern auch aufgrund seiner Rolle als ‚Ariseur‘<br />
einer jüdischen Apotheke 1588 politisch untragbar. Das Staatsamt für soziale Verwaltung<br />
bestimmte daher Anfang Mai 1945 <strong>Mag</strong>. Josef Wotypka zum provisorischen Leiter der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse. 1589 Die Voraussetzung für die Weiterarbeit der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse war, dass deren Vermögen in Österreich geblieben war und<br />
<strong>Mag</strong>. Wotypka im Mai 1945 vier bis fünf Millionen Schilling übergeben werden konnten.<br />
Weitere Gründe für die recht problemlose Fortführung der Gehaltskasse waren, dass die<br />
Büroräume der Pharmazeutischen Gehaltskasse in der Laimgrubengasse 27 in Wien-<br />
Margareten durch Kriegshandlungen kaum beschädigt worden waren und auch das<br />
Gehaltskassengesetz von 1919 in der Wiederverlautbarung von 1928 immer noch in Kraft<br />
war. 1590 Zunächst versuchte die Gehaltskasse, ihre aufgrund des Krieges eingeschränkte<br />
Tätigkeit wieder in gewohntem Umfang zu entfalten und die Schwierigkeiten der<br />
unmittelbaren Nachkriegszeit zu überwinden. Aufgrund des allgemeinen Notzustandes in<br />
Österreich konnten die Gehälter nicht per Post oder über Bankinstitute überwiesen<br />
werden. Sie mussten vorerst persönlich bei der Gehaltskasse abgeholt werden. Dies war<br />
vor allem für die nicht in Wien wohnenden PharmazeutInnen ein schwerwiegendes<br />
Problem. Erst im Oktober 1945 konnten die Gehälter wieder fristgerecht an die<br />
<strong>Arbeit</strong>nehmerInnen übermittelt beziehungsweise überwiesen werden. Außerdem wurden<br />
die Gehälter bis November 1945 immer noch in Reichsmark ausbezahlt, erst nach der im<br />
Dezember 1945 erfolgten Währungsreform wurde die Umstellung auf den Österreichischen<br />
Schilling vollzogen. Das Erholungsheim der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
1587 Vgl. Otto Nowotny, Ein Jahrhundert, 843.<br />
1588 Vgl. Kapitel 5.1.17. Wien, Währing, Apotheke „Zum heiligen Leopold“.<br />
1589 Mitteilungen des Provisorischen Ausschusses der Apotheker Österreichs, Nr. 5 (1946), 2.<br />
1590 Vgl. Robert Klotz, Referat: Die zweite Apothekertagung im freien Österreich, in: ÖAZ, Nr. 17/18 (1947), 77;<br />
Redaktion (ÖAZ), Die Wiedererrichtung, 74.<br />
254
in Baden, welches sich ebenfalls noch in ihrem Besitz befand, wurde von der russischen<br />
Armee requiriert. Trotzdem wurde damit begonnen, Kriegsschäden an diesem<br />
Erholungsheim durch Inanspruchnahme der Mittel des Reservefonds zu beheben. 1591<br />
<strong>Mag</strong>. Wotypka gelang es bereits 1946, die normale Tätigkeit der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse sicherzustellen, sodass es ihm möglich war, die Pflichtmitgliedschaft bei der<br />
Taxabteilung einzuführen. In dieser bisher auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden<br />
Abteilung wurde für die ApothekenbesitzerInnen der Verrechnungsverkehr mit den<br />
einzelnen Krankenkassen übernommen, überprüft und bereits nach maximal sieben Tagen<br />
ausbezahlt. 1592 <strong>Mag</strong>. Josef Wotypka blieb bis 1952 provisorischer Leiter der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse. Während seiner Amtszeit gab es zahlreiche soziale Erneuerungen<br />
beziehungsweise Ausgestaltungen. So erfolgte 1947 die verpflichtende<br />
Teilnahme an der Krankheitsvergütung für ApothekenbesitzerInnen, womit die bisher<br />
zusätzliche Beitragspflicht in diesem Bereich wegfiel. Ebenfalls 1947 wurde der<br />
Apothekenwiederaufbaufonds geschaffen. Dieser wurde gegründet, um durch Auszahlung<br />
von Zuschüssen die Renovierung und Wiedererrichtung kriegszerstörter Apotheken zu<br />
erleichtern. Die Mittel für diesen Fonds wurden mittels Beitragszahlungen im Umlageverfahren<br />
aufgebracht. Erst 1949 konnten das in den Kriegsjahren abgeschaffte<br />
dreizehnte Monatsgehalt und das Quartiergeld für die Angestellten wieder eingeführt<br />
werden. Schließlich wurde 1950 – noch vor der Einführung der staatlichen Geburtskostenbeihilfe<br />
– mit der Auszahlung von Geburtskostenzuschüssen begonnen. 1593<br />
1952 kam es schließlich wieder zu einer demokratischen Wahl der Obmänner und des<br />
1594<br />
Vorstandes der Pharmazeutischen Gehaltskasse. Wie auch vor dem Krieg wurden die<br />
Obmänner, der Vorstand und sämtliche andere Gremien der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
paritätisch besetzt, sodass in jedem Gremium eine gleichgroße Anzahl an VertreterInnen<br />
der <strong>Arbeit</strong>nehmerInnen und der <strong>Arbeit</strong>geberInnen vertreten war. Dieses paritätische<br />
Grundprinzip ist bis heute gültig. 1595 Um die finanziellen Schwierigkeiten zu lindern, wurde<br />
der Badener Hof noch 1952 vom neuen Vorstand an die Casino Gesellschaft vermietet<br />
und im März 1978 schließlich verkauft. 1596 Bis Mitte der 1950er-Jahre wurde von den<br />
1591 Vgl. Rauch, 50 Jahre, 627.<br />
1592 Vgl. ebd., 628.<br />
1593 Vgl. Rauch, 50 Jahre, 628.<br />
1594 Dittrich, Entwicklung und Aufgaben, 22f.<br />
1595 BGBl I Nr. 154/2001, Gehaltskassengesetz 2002.<br />
1596 Ebd.; vgl. Nowotny, Res Socialis, 1239.<br />
255
gewählten FunktionärInnen weiter am sozialen Ausbau der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
gearbeitet. So wurde 1952 gemeinsam mit der Österreichischen Apothekerkammer<br />
ein Altersvorsorgefonds geschaffen. Mit Hilfe dieses Fonds wurden Zuschüsse zu<br />
Mindestrenten beziehungsweise Witwenrenten ausbezahlt. Weiters übernahm die<br />
Gehaltskasse die Abfertigungsansprüche der angestellten PharmazeutInnen beim<br />
Wechsel in die Pension. 1952 wurde auch eine neue Regelung geschaffen, die die<br />
Anrechnung von Zeiten des Kriegsdienstes, der Kriegsgefangenschaft und rassischer<br />
Verfolgung festlegte. Um den BezieherInnen von Notstands- und Mindestrenten zu helfen,<br />
wurde 1955 die Auszahlung eines 13. Notstandsrenten- beziehungsweise Monatsrentenzuschusses<br />
beschlossen. 1597<br />
Ein wichtiger Schritt für die Pharmazeutische Gehaltskasse war das neue Gehaltskassengesetz<br />
vom 18. November 1959, welches Anfang 1960 in Kraft trat. Dieses Gesetz<br />
legte die Pharmazeutische Gehaltskasse als Wirtschafts- und Sozialinstitut des<br />
Apothekerstandes fest und die Pharmazeutische Gehaltskasse wurde zu einer öffentlichrechtlichen<br />
Körperschaft. Alle bestehenden Fonds wurden in den Unterstützungsfonds der<br />
Gehaltskasse zusammengefasst. Dieser Fonds wurde und wird durch Mitgliedsbeiträge<br />
beider Standesgruppen finanziert. Der größte Teil der finanziellen Leistungen dieses<br />
Fonds entfällt bis heute auf Zuschüsse zu gesetzlichen Pensionen. 1980 und 2002 wurde<br />
ein neues Gehaltskassengesetz erlassen. Beide brachten zwar teilweise wichtige<br />
Erneuerungen, die Grundstruktur und der gesetzliche Status als Körperschaft öffentlichen<br />
Rechts sind jedoch seit 1960 gleich geblieben. Laut dem neuesten Bundesgesetz über die<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich aus dem Jahr 2002 hat die Pharmazeutische<br />
Gehaltskasse folgende fünf Hauptaufgaben: Erstens die Bemessung und Auszahlung<br />
der Bezüge aller in öffentlichen Apotheken oder in Anstaltsapotheken auf Grund<br />
eines Dienstvertrages angestellten ApothekerInnen und AspirantInnen, zweitens die Errichtung<br />
eines Reservefonds zur Sicherstellung der Besoldung, drittens die Verrechnung<br />
ärztlicher Verschreibungen und Rezepte der Krankenkassen und Fürsorgeeinrichtungen,<br />
die in Apotheken abgegeben werden, viertens die unentgeltliche, gemeinnützige Stellenvermittlung<br />
für Mitglieder und BerufsanwärterInnen und fünftens die Gewährung von<br />
Zuwendungen an Mitglieder, ehemalige Mitglieder, deren Angehörige oder Hinterbliebene<br />
und an Studierende der Pharmazie aus dem Wohlfahrts- und Unterstützungsfonds. 1598<br />
1597 Rauch, 50 Jahre, 628.<br />
1598 Karl Rauch, Die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich, in: Pharmazeutischer Reichsverband, Hg., 100<br />
Jahre. Organisation der angestellten Apotheker. Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich, Wien 1991, 94ff.;<br />
BGBl I Nr. 154/2001, Gehaltskassengesetz 2002.<br />
256
Quellen und Methodik<br />
Auf den folgenden Seiten werden in geraffter Form die von uns zum Forschungsprojekt<br />
„100 Jahre Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich“ benutzten Quellen vorgestellt<br />
und aufgetretene Schwierigkeiten und Lösungen bei deren Auswertung beschrieben.<br />
Damit soll ein Einblick in unsere <strong>Arbeit</strong>sweise gegeben werden.<br />
Analyse der Pharmazeutischen Standes- und Fachzeitschriften<br />
– Österreichische Apothekerzeitung (ÖAZ), ausgewählte Beiträge von 1948 bis 2006<br />
Als Einstieg in die Thematik und erste fachliche Orientierung wurden die Beiträge<br />
historischen Inhalts von Dr. Otto Nowotny in der Österreichischen Apothekerzeitung (ÖAZ)<br />
in der Zeit von 1948 bis 2006 bearbeitet.<br />
– Zeitschrift des Österreichischen Apothekervereins und Pharmazeutische Presse, 1905<br />
bis 1909<br />
Im Hinblick auf die Gründungsgeschichte der Pharmazeutischen Gehaltskasse wurden die<br />
Zeitschrift des Österreichischen Apothekervereins und die Pharmazeutische Presse der<br />
Jahrgänge 1905 bis 1909 analysiert.<br />
– Zeitschrift des Österreichischen Apothekervereins und Pharmazeutische Presse, 1928<br />
bis 1937<br />
Die Auswertung dieser pharmazeutischen Zeitschriften der Jahrgänge 1928 bis 1937<br />
wurde in Zusammenhang mit den Ergebnissen aus den Archivrecherchen für diesen<br />
Zeitraum vorgenommen. Wichtige Daten, Ereignisse und in den Akten gefundene<br />
Hinweise auf Vorkommnisse wurden anhand der Fachzeitschriften überprüft.<br />
– Pharmazeutische Presse 1938 und Wiener Pharmazeutische Wochenschrift 1938 und<br />
1939<br />
Zur nationalsozialistischen Machtergreifung in Österreich sowie zu Vermögensentzug und<br />
Berufsschädigung von österreichischen PharmazeutInnen im Dritten Reich wurden<br />
entsprechende Beiträge aus der Pharmazeutischen Presse des Jahres 1938 sowie der<br />
257
Wiener Pharmazeutischen Wochenschrift der Jahre 1938 und 1939 gesammelt und einer<br />
Analyse unterzogen. Die dort in Bezug auf die Bestellungen von verantwortlichen<br />
LeiterInnen, Besitzveränderungen und Konzessionsübertragungen veröffentlichten Daten<br />
wurden in einer Datenbank gesammelt und für die fallbezogene Recherche in dafür<br />
erstellte Rechercheblätter eingetragen.<br />
– Wiener Pharmazeutische Wochenschrift, 1940 bis 1943<br />
Diese Jahrgänge der Wiener Pharmazeutischen Wochenschrift wurden auf weitere<br />
Hinweise in Bezug auf ‚Arisierungen‘ österreichischer Apotheken, Berufsschädigungen<br />
österreichscher PharmazeutInnen sowie auf die Geschichte der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse für Österreich während der NS-Herrschaft durchgesehen. Da die ermittelten<br />
Ergebnisse aber eher dürftig waren, wurde von einer elaborierten Analyse dieser Quelle<br />
Abstand genommen.<br />
Recherche in der Fachliteratur<br />
Begleitend zu den Recherchearbeiten in den Fachzeitschriften wurden aus der<br />
vorhandenen Fachliteratur relevante Werke bearbeitet. Dies sind dies zum einen Werke,<br />
die – meist in Listenform – Daten zur Verfügung stellten, die durch entsprechende<br />
Verknüpfung mit anderen Quellen für unsere Recherche überaus hilfreich waren. Zum<br />
anderen handelt es sich um <strong>Arbeit</strong>en, die zur Beantwortung von Detailfragen geeignet<br />
erschienen. Ein vollständiges Verzeichnis der verwendeten Literatur findet sich am Ende<br />
dieses Berichts.<br />
– Berichte der österreichischen Historikerkommission, 2003 und 2004<br />
Die Berichte der österreichischen Historikerkommission wurden auf Beiträge zu unserer<br />
Fragestellung durchgesehen und, soweit von Relevanz, mit anderen Quellen in<br />
Verbindung gebracht und analysiert.<br />
– Wiener Apotheker-Hauptgremium, Hg., Geschichte der Apotheken und des<br />
Apothekerwesens in Wien von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Bd 2: Geschichte<br />
der Wiener Apotheken, bearb. von Leopold Hochberger und Josef Noggler, Wien 1919.<br />
Das Werk enthält Daten zu Gründungsjahren, Adressen um 1919, Besitzverhältnissen und<br />
258
KonzessionärInnen zu allen Wiener Apotheken, die bis 1919 gegründet wurden. Es wurde<br />
verwendet, um Adressen und Besitzverhältnisse der gelisteten Wiener Apotheken bis<br />
1919 zu recherchieren. Trotz des eingeschränkten Zeitraums – Apothekengründungen<br />
und Besitzwechsel nach 1918 bleiben unberücksichtigt – stellte die Recherche in diesem<br />
Werk einen ersten Ansatz dar, um Daten aus vorhandenen anderen Listen von Wiener<br />
Apotheken abzugleichen und zu ergänzen.<br />
– Ernestine Krug, Die Wiener Apotheken im 20. Jahrhundert. Erarbeitet nach den Akten<br />
der Gehaltskasse der Österr. Apothekerkammer, Wien 1977.<br />
Das Werk enthält in Listenform die – leider nicht lückenlose – Darstellung von<br />
Besitzverhältnissen aller Wiener Apotheken von ca. 1900 beziehungsweise ab deren<br />
Gründung bis in die 1950er-Jahre. Die darin enthaltenen Daten wurden für fallbezogene<br />
Recherchen zu den ‚Arisierungen‘ in jenen Fällen verwendet, bei denen sich nach der<br />
Auswertung der Anmeldungen entzogenen Vermögens noch Unklarheiten in Bezug auf<br />
Entziehung und Rückstellung ergeben hatten.<br />
– Frank Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker: Emanzipation, Emigration, Restitution; die<br />
Geschichte deutscher und österreichisch-ungarischer Pharmazeuten, Frankfurt/Main<br />
1999,<br />
Neben einer allgemeinen Darstellung zum Schicksal jüdischer PharmazeutInnen in der<br />
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts enthält diese Werk auch ein Liste österreichischer<br />
jüdischer PharmazeutInnen und in Stichworten ihr weiters Schicksal nach dem März 1938.<br />
Vor allem im Hinblick auf EmigrantInnen waren die Angaben in dieser Liste von<br />
entscheidender Bedeutung für die kurze Darstellung der einzelnen Schicksale in den<br />
Fallbeschreibungen. Weiters konnten mit den Angaben in dieser Liste die Daten aus der<br />
Datenbank des DÖW und des Yad Vashem abgeklärt werden.<br />
– Alois Kernbauer, Geschichte der pharmazeutischen Ausbildung in Österreich. Der<br />
österreichische Apotheker- und Pharmazeutenstand in der Krise. Von der Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts bis in das Jahr 1922, Graz 1989.<br />
Da die Einführung der neuen Studienordnung 1922 den Ausbildungsweg der<br />
PharmazeutInnen von Grund auf veränderte und auch Auswirkungen auf die<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse hatte, wurde dieses Werk als Referenz für unsere eigene<br />
Recherche zur pharmazeutischen Ausbildung herangezogen.<br />
259
– Elisabeth Fritsch, Wie die Pharmazie ein Frauenberuf wurde. Materialien zu den in Wien<br />
ausgebildeten Pharmazeutinnen mit Schwerpunkt 1905 bis 1945.<br />
Für einzelnen Fälle – insbesondere jene, in denen Pharmazeutinnen und Witwen von<br />
Apothekern involviert waren – lieferte dieses Werk im Hinblick auf die Vorkommnisse des<br />
Jahres 1938 sowie das weitere Schicksal der Betroffenen wichtige Informationen.<br />
Archivforschung – Österreichisches Staatsarchiv<br />
– Akten des k.k. Ministeriums für Inneres von 1906 bis 1916, Apothekerbelange und<br />
Vereine<br />
Diese Aktenbestände wurden zur Gründungsgeschichte der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
für Österreich durchgearbeitet. In diesen Akten befanden sich zahlreiche Anfragen,<br />
Erkenntnisse und Eingaben zu Konzessionsgesuchen aus allen Gebieten der<br />
österreichischen Kronländer, aber vor allem aus Österreich und Wien. Einige Akten<br />
konnten auch zur Vorgeschichte der Pharmazeutischen Gehaltskasse gefunden werden,<br />
wie der Vertrag zwischen dem Wiener Apotheker-Hauptgremium und den Wiener<br />
AssistentInnen zur Regelung der <strong>Arbeit</strong>szeit aus 1902. Die wichtigsten und mit der<br />
Geschichte der Gehaltskasse in Verbindung stehenden Akten wurden bearbeitet und<br />
analysiert.<br />
– Akten des Bundesministeriums beziehungsweise Staatsamtes für soziale Verwaltung<br />
1917 bis 1927, Apothekerbelange.<br />
Diese Aktenbestände sind teilweise sehr umfangreich und beziehen sich auf<br />
verschiedenste Themenbereiche, wie Rekursverfahren zur Errichtung von neuen<br />
Apotheken, Eingaben von den Standesvertretungen der ApothekerInnen, Richtlinien und<br />
Ansuchen der Pharmazeutischen Gehaltskasse, Beschwerden und Denunziationen über<br />
Apotheken und ApothekerInnen aus der Bevölkerung. Neben den Akten, die sich direkt mit<br />
der Pharmazeutischen Gehaltskasse auseinandersetzen, leisteten auch die anderen<br />
Akten einen wertvollen Beitrag, um die Geschichte der Gehaltskasse in die Geschichte der<br />
Pharmazie in Österreich im 20. Jahrhundert einzuordnen. Der Bestand wurde nach<br />
Jahrgängen geordnet durchgesehen und die Akten mit Karton- und Faszikelnummern<br />
sowie der Aktenzahl in einer Liste verzeichnet. Wichtige Dokumente wurden kopiert,<br />
verzeichnet und einer Analyse unterzogen.<br />
260
– Akten des Bundesministeriums für soziale Verwaltung, 1928 bis 1937,<br />
Apothekerbelange<br />
Die Aktenbestände für diesen Zeitraum zeigten sich – nicht zuletzt durch die ab 1927 neu<br />
eingerichtete Verwaltungsgemeinschaft der Pharmazeutischen Gehaltskasse mit der<br />
Versicherungsanstalt für Pharmazeuten – noch umfangreicher als für den vorhergehenden<br />
Zeitraum (1917 bis 1927). In den Akten fanden sich neben Sitzungsprotokollen auch<br />
Diskussionsbeiträge und Verhandlungsprotokolle von neu gegründeten sozialen<br />
Einrichtungen der Gehaltskasse – zum Beispiel des <strong>Arbeit</strong>slosenunterstützungsfonds –<br />
sowie zahlreiche organisatorische und arbeitstechnische Eingaben der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse an das Ministerium. Weiters fanden sich Ansuchen von ApothekerInnen aus<br />
den ehemaligen Kronländern auf Einbürgerung und Statistiken über den Abschluss der<br />
praktischen Apothekerprüfungen in den einzelnen Bundesländern sowie Dokumente, die<br />
die Sonderstellung des Burgenlandes im Hinblick auf die spät erfolgte Eingliederung und<br />
Rechtsangleichung der burgenländischen ApothekerInnen zum Inhalt haben. Die<br />
Aufarbeitung des Bestandes erbrachte unter anderem erste Ergebnisse für die Geschichte<br />
der Pharmazeutischen Gehaltskasse sowie anderen pharmazeutischen Standesinstitutionen<br />
in den 1930er-Jahren, ein Zeitraum, der in der österreichischen Pharmaziegeschichte<br />
noch kaum behandelt wurde. Für den Zeitraum des Austrofaschismus ab 1934<br />
haben sich interessante Eingaben, Briefe und Dokumente gefunden. Diese wurden<br />
bearbeitet, analysiert und ausgewertet. Weiters wurde auch die Auswertung der Protokolle<br />
der Hauptversammlungen und Vorstandssitzungen der Pharmazeutischen Gehaltskasse in<br />
der Zwischenkriegszeit, die ebenfalls in diesem Bestand enthalten sind, vorgenommen.<br />
Auch diese Akten wurden nach Jahrgängen geordnet durchgesehen und mit Akten-,<br />
Karton- und Faszikelnummern sowie der Aktenzahl in einer Liste verzeichnet. Wichtige<br />
Dokumente wurden kopiert, verzeichnet und einer Analyse unterzogen.<br />
– Akten des Bundesministeriums für soziale Verwaltung 1938 sowie Akten des<br />
Ministeriums für Innere und Kulturelle Angelegenheiten 1938 und 1939<br />
Die einschlägigen Akten des Bundesministeriums für soziale Verwaltung des Jahres 1938<br />
sowie die Akten des Ministeriums für Innere und Kulturelle Angelegenheiten der Jahre<br />
1938 und 1939 wurden nach Unterlagen zur Geschichte der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse sowie nach Informationen zu Vermögensentzug und Berufsschädigungen in<br />
der österreichischen Apothekerschaft durchgesehen. Das Ergebnis dieser Bemühungen<br />
war allerdings in Anbetracht des Umfanges der Materie eher enttäuschend. Die in diesem<br />
261
Bestand abgelegten Verwaltungsvorgänge waren entweder sehr genereller Natur<br />
(Gutachten zu geplanten Gesetzesentwürfen und diesbezüglichen Verordnungen), oder<br />
aber es handelte sich um Einzelfälle, die für unsere Fragestellungen kaum relevant waren.<br />
Von einer durchgehenden Analyse dieser Bestände wurde daher Abstand genommen.<br />
– Akt des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen<br />
Reich, Arisierung von Apotheken in der Ostmark 1938 und 1939.<br />
Nach anfänglichen Schwierigkeiten, diese Unterlagen im Österreichischen Staatsarchiv zu<br />
erhalten (sie waren erst nach mehrfacher Intervention auffindbar), konnten sie eingesehen<br />
und ausgewertet werden. Der Akt enthielt im Wesentlichen Berichte des Kommissarischen<br />
Verwalters aller jüdischen Apotheken in der Ostmark, <strong>Mag</strong>. Edwin Renner, inklusive einer<br />
Liste mit allen bis zum 31. Jänner 1939 einem ‚Arisierungsverfahren‘ unterzogenen<br />
österreichischen Apotheken. Die Daten dieser Liste wurden in die Datenbank und die<br />
Rechercheblätter übertragen. Darüber hinaus enthält der Akt Eingaben und Stellungnahmen<br />
sowie Aktennotizen aus dem Büro des Reichskommissars für die Wiedervereinigung<br />
Österreichs mit dem Deutschen Reich und des Reichsinnenministeriums zu<br />
österreichischen ‚Arisierungsfällen‘. Leider stimmt die aufgefundene Liste von <strong>Mag</strong>. Edwin<br />
Renner nicht mit der von der Historikerkommission veröffentlichten Auflistung von<br />
‚arisierten‘ österreichischen Apotheken überein. Durch eine Überprüfung der<br />
entsprechenden Einzelfälle konnte festgestellt werden, dass die Historikerkommission<br />
auch Besitzübertragungen und Pächterwechsel in der Zeit von 1938 bis 1945 in ihre Liste<br />
aufgenommen hatte, die allerdings bei genauerer Betrachtung keine ‚Arisierungen‘<br />
darstellen.<br />
– Akten des Reichsstaathalters für Wien, staatliche Verwaltung, 1940 bis 1945,<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich<br />
Entgegen früherer Vermutung konnte nach entsprechender Recherche festgestellt werden,<br />
dass nicht das Reichsministerium des Inneren von 1940 bis 1945 Aufsichtsbehörde der<br />
Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich war, sondern diese Kompetenz mit einer<br />
Durchführungsverordnung zum Ostmarkgesetz aus 1939 dem Reichsstatthalter in Wien<br />
übertragen wurde. Dadurch erübrigte sich eine geplante Forschungsreise zum<br />
Bundesarchiv der Republik Deutschland, da die Akten der Reichsstatthalterei Wien im<br />
Österreichischen Staatsarchiv vorhanden waren. Bei der Bearbeitung dieses Bestandes<br />
ergaben sich nur insofern Schwierigkeiten, als die abgelegten Verwaltungsvorgänge der<br />
262
Jahre 1940 bis 1945 nach 1945 von diversen österreichischen Ministerien weiterverwendet<br />
wurden. Der vormals geschlossene Bestand ist daher nur mehr in Teilen<br />
vorhanden und zentrale Aktenstücke finden sich auch in später gebildeten Beständen. Die<br />
Analyse dieses Bestandes erbrachte daher – anders als ursprünglich erhofft – kaum neue<br />
Erkenntnisse.<br />
– Akten des Staatsamtes für soziale Verwaltung, 1945, Apothekerbelange<br />
Dieser Bestand enthält unter anderem einige der schon oben erwähnten Aktenstücke aus<br />
der Periode der NS-Verwaltung. Darüber hinaus finden sich kaum Schriftstücke betreffend<br />
die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich, allerdings etliche Akten aus der<br />
unmittelbaren Nachkriegszeit (Sommer 1945), die in eindrucksvoller Art die damaligen<br />
Schwierigkeiten darstellten, vor die sich die neu zu organisierende Gesundheitsverwaltung<br />
gestellt sah. In Abgleich mit anderen Quellen, vor allem den Mitteilungen des<br />
Provisorischen Ausschusses Österreichischer Apotheker aus den ersten beiden<br />
Nachkriegsjahren, wurde die Analyse dieser Bestände vorgenommen.<br />
– Akten des Bundesministeriums für soziale Verwaltung, Sektion Volksgesundheit, 1946<br />
bis 1947, Apothekerbelange<br />
Die Akten des Bundesministeriums für soziale Verwaltung der ersten Nachkriegsjahre<br />
enthalten unter anderem Informationen zum Wiederaufbau der pharmazeutischen<br />
Standesorganisationen, zur Bestellung öffentlicher VerwalterInnen, zur Rückstellung von<br />
‚arisierten‘ österreichischen Apotheken, zu Nachkriegsjustiz und Entnazifizierung im<br />
Gesundheitswesen sowie Unterlagen zur Gründung der Apothekerkammer 1947. Der<br />
Bestand wurde vollständig gesichtet und für unsere Fragestellungen relevante Akten<br />
kopiert. Die Recherche in diesem Bestand erbrachte vor allem im Hinblick auf die<br />
Fallbearbeitung der ‚arisierten‘ Apotheken wertvolle Details.<br />
– Akten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Dieser<br />
Bestand wurde nach Identifizierung der in Frage kommenden Aktenstücke selektiv für die<br />
fallbezogene Recherche betreffend ‚arisierte‘ Apotheken verwendet. Dies sind<br />
Rückstellungsakten betreffend Apotheken, die nach 1945 durch ein Volksgerichtsurteil<br />
gegen den ‚Ariseur‘ oder die ‚Ariseurin‘ in das Eigentum und die Verwaltung der Republik<br />
Österreich gelangten. Mit Hilfe dieser Akten konnten einige der vorher als unlösbar<br />
erscheinenden ‚Arisierungsfälle‘ schlüssig geklärt werden.<br />
263
Archivforschung – Wiener Stadt- und Landesarchiv<br />
– Wiener Adreßbuch, Lehmanns Wohnungsanzeiger, Jg. 79 (1938), Bd. 1, Teil II,<br />
protokollierte Firmen und Bd. 1., Teil III, Branchenverzeichnis.<br />
Die Recherche im Wiener Adressbuch des Jahres 1938 diente dazu, die historischen<br />
Adressen ‚arisierter‘ Apotheken zu überprüfen und erste Hinweise auf BesitzerInnen und<br />
KonzessionärInnen zu erhalten. Die gewonnenen Daten wurden in die Datenbank und die<br />
Rechercheblätter eingefügt und mit schon vorhandenen Angaben aus anderen Quellen<br />
abgeglichen.<br />
– Akten zur Vermögensentziehungsanmeldungsverordnung (VEAV)<br />
Die aussagekräftigsten Quellen zur Frage von ‚Arisierung‘ und Rückstellung – die Akten<br />
der Rückstellungskommissionen – sind nur fragmentarisch erhalten. So finden sich im<br />
Wiener Stadt- und Landesarchiv für den Zeitraum 1947 bis 1955 nur 20<br />
Rückstellungsakten, alle ohne Relevanz für unsere Fragestellung. Für den Jahrgang 1954<br />
sind überhaupt keine Akten erhalten, sie wurden in den 1960er-Jahren vernichtet. Für die<br />
Recherche betreffs ‚Arisierung‘ und Rückstellung von Apotheken musste daher nach<br />
einem Umweg gesucht werden. Dieser fand sich in den zwischen Oktober 1946 und dem<br />
Jahr 1952 bei den Wiener <strong>Mag</strong>istratischen Bezirksämtern erfolgten Anmeldungen von<br />
Vermögensentziehungen während der NS-Zeit. Der Bestand ist namensbezogen und nach<br />
Bezirken geordnet archiviert. Diese Akten enthalten oft – allerdings nicht immer –<br />
Erkenntnisse der Rückstellungskommissionen und/oder Rückstellungsvergleiche. Eine<br />
Schwierigkeit bei der Benützung dieser Akten liegt in ihrer Identifizierung, da diese<br />
Vermögensentzugsanmeldungen auch unter den Namen der ErbInnen – sowohl<br />
hinsichtlich der Geschädigten als auch in Bezug auf die ‚AriseurInnen‘ – verzeichnet sind.<br />
Zu seiner Nutzung bedarf es daher fallbezogener Vorarbeiten. Im Wesentlichen mussten<br />
die exakten Aktenzahlen recherchiert werden, um die für unsere Fragestellung relevanten<br />
Archivstücke identifizieren und nutzen zu können. Die entsprechenden Akten wurden<br />
daraufhin ausgehoben, kopiert und einer ersten Auswertung zugeführt, indem die<br />
wesentlichen Daten in die Datenbank und die Rechercheblätter übertragen wurden. Dies<br />
betraf die handelnden Personen (Geschädigte und ‚AriseurInnen‘), das Datum der<br />
Vermögensentziehung, allfällige Rückstellungsverfahren und deren Aktenzahl,<br />
Erkenntnisse der Rückstellungskommissionen, Bescheide der Finanzlandesdirektion,<br />
Vergleiche und diverse beiliegende Korrespondenz. Insgesamt wurden 118 VEAVs<br />
264
ausgehoben, wovon 77 auch tatsächlich den gesuchten Fall betrafen und Dokumente<br />
enthielten, die über den Verbleib von Besitz und Konzession Wiener Apotheken<br />
Aufschluss gaben. 18 der ausgehobenen Akten betrafen gänzlich andere historische<br />
Personen und 23 Akten betrafen zwar historisch relevante Personen, enthielten aber keine<br />
Dokumente zu den arisierten Apothekenbetrieben.<br />
– Rückstellungsakten der Sammelstellen A und B<br />
Einer der erhalten gebliebenen Bestände zur Frage von Rückstellungen von in der NS-Zeit<br />
entzogenem Vermögen stellen die Rückstellungsakten der Sammelstellen A und B dar. Es<br />
sind dies Rückstellungsfälle, in denen die 1938 geschädigten jüdischen BesitzerInnen<br />
nach ihrem Ableben – entweder wurden sie in der Shoa ermordet oder starben noch vor<br />
Ende des Krieges – keine ErbInnen und somit Rückstellungsberechtigte hinterließen. In<br />
diesen Fällen stellten die in den späten 1950er-Jahren gegründeten Sammelstellen<br />
Rückstellungsanträge wider die ‚AriseurInnen‘. In den vorhandenen Suchbehelfen konnten<br />
acht Rückstellungsverfahren identifiziert werden, die die Rückstellung von<br />
österreichischen Apotheken zum Gegenstand hatten und für das Forschungsprojekt<br />
ausgewertet wurden.<br />
– Handelsregister A: offene Handelsgesellschaften 1906–1938<br />
Um in einigen der bearbeiteten Fälle Klarheit über Besitzverhältnisse von<br />
Apothekenbetrieben vor 1938 zu erlangen, wurde – so der entsprechende Betrieb auch<br />
protokolliert war – das Handelsregister eingesehen und die dortigen Einträge digital<br />
fotografiert. Die Daten wurden bei der weiteren Recherche berücksichtigt.<br />
– HRA-Registerakten der aufgelassenen Firmen 1939–1993<br />
Da einige der Betreibergesellschaften von später ‚arisierten‘ Apothekenbetrieben nach<br />
1938 im Handelsregister gelöscht wurden, befinden sich deren Handelsgerichtsakten<br />
nunmehr im Archiv und konnten für unsere Recherchen benützt werden. Die Recherche in<br />
diesem Bestand wurde fallspezifisch durchgeführt und erbrachte in einigen Fällen weitere<br />
Details zum Vermögensentzug von 1938, dessen bürokratischer Umsetzung und<br />
vereinzelt auch Hinweise zu Schicksal der geschädigten ehemaligen BesitzerInnen.<br />
265
– Kartei des Gaugesundheitsamtes, Index: allgemein A–Z, 1942 bis 1950<br />
Diese Kartei des Gaugesundheitsamtes enthält unter anderem nach Gemeindebezirken<br />
Wiens geordnete Karteikarten zu den Wiener Apotheken mit Vermerken zu<br />
Verwaltungsvorgängen wie Betriebsprüfungen, Einstellung von PraktikantInnen,<br />
Leiterbestellungen, Besitzerwechsel (teils auch Vermerke von erfolgten Rückstellungen),<br />
Konzessionsübertragungen sowie Einsetzung von öffentlichen VerwalterInnen. Da<br />
besagte Einträge nur stichwortartig erfolgten, konnte diese Kartei nur zur Überprüfung<br />
schon vorliegender Erkenntnisse verwendet werden, ohne neue relevante Fakten zu<br />
erschließen. Die Karteikarten wurden selektiv – Auswahlkriterium war ein Bezug zu<br />
‚Arisierungsfällen‘ beziehungsweise ein Verdacht darauf – digital fotografiert, abgelegt und<br />
für die weitere Recherche benützt.<br />
– Kartei des Gaugesundheitsamtes, Index: 1c Med, 1941 bis 1945, Buchstabe A<br />
Diese alphabetisch geordnete Kartei des Gaugesundheitsamtes enthält neben Einträgen<br />
zu diversen Gesundheitsbelangen auch berufsbezogene Daten zu ApothekerInnen,<br />
AspirantInnen und PraktikantInnen, die zwischen 1941 und 1945 in Wien tätig waren. Da<br />
besagte Einträge sehr kryptisch gehalten sind und zur weiteren Verwertung nicht<br />
verwendbar erschienen, wurde die Recherche in dieser Kartei nach der Durchsicht der<br />
ersten Karteibox (Buchstabe A) abgebrochen.<br />
– Kartei der <strong>Mag</strong>istratsabteilung 212, Apotheker, Ärzte: diverse<br />
In dieser alphabetisch geordneten Kartei, benannt „verstorbene <strong>Mag</strong>ister bis Geburtsjahr<br />
1900“, befindet sich eine ältere Kartei ausgeschiedener ApothekerInnen, die ungefähr<br />
Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurden und bis in die 1960er-Jahre aus dem Beruf<br />
ausgeschieden waren. Da diese Personalkartei einen sehr hohen Bezug zu den<br />
untersuchten ‚Arisierungsfällen‘ aufweist, wurden die entsprechenden Karteikarten in<br />
Abgleich mit der vorhandenen Datenbank digital fotografiert, ausgewertet und für die<br />
weitere Recherche benützt.<br />
– Kartei der <strong>Mag</strong>istratsabteilung 212, K 2/3, verstorbene Apotheker A–Z<br />
Da auch diese Kartei einen hohen Bezug zu den untersuchten ‚Arisierungsfällen‘ aufweist<br />
und ergänzende Informationen zur Datenbank enthält, wurden auch hier die<br />
entsprechenden Karteikarten in Abgleich mit der vorhandenen Datenbank digital<br />
fotografiert, ausgewertet und für weitere Recherchen benützt.<br />
266
– Verlassenschaftsabhandlungen aus den Jahren 1945 bis 1948<br />
In einigen Fällen wurden, um Informationen zu Besitzstand vor 1938 sowie dem weitere<br />
Schicksal von historischen Personen zu erhalten, auch deren Verlassenschaftsabhandlungen<br />
eingesehen, ausgewertet und in die Fallbeschreibungen integriert.<br />
Archivforschung – Archiv der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
– Protokolle der Vorstandssitzungen, der Generalversammlungen und des Aufsichtsrates<br />
der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich<br />
Zur Gründungsgeschichte der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich wurden<br />
Protokolle der Vorstandssitzungen der Pharmazeutischen Gehaltskasse, der Generalversammlungen<br />
der Gehaltskasse und des Aufsichtsrates der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
der Jahre 1908 bis 1918 ausgewertet. Zur Geschichte der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse in den 1920er-Jahren wurden die Protokolle der Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen<br />
bis 1927 bearbeitet. Für die 1930er-Jahre wurden die Protokolle des<br />
Vorstandes der Versicherungsanstalt für Pharmazeuten und der Gehaltskasse bis 1937<br />
punktuell durchgearbeitet, wenn diese in den Akten des Staatsarchivs gefehlt hatten.<br />
– Betriebsakten der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich<br />
Die Betriebsakten der Pharmazeutischen Gehaltskasse wurden, da mit dem Werk von<br />
Ernestine Krug schon eine umfangreiche Auswertung dieses Bestandes vorlag, nur mehr<br />
fallspezifisch eingesehen. Relevante Dokumente der entsprechenden Akten wurden digital<br />
fotografiert und in die Recherchen eingebunden.<br />
– Diverse Unterlagen<br />
Franz Dittrich, Die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich 1908-1928, Wien 1929<br />
und Franz Dittrich, Entwicklung und Aufgaben der Pharmazeutischen Gehaltskasse für<br />
Österreich, Festrede anlässlich des 50jährigen Bestandes der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse für Österreich, ÖAZ-Sonderdruck, Wien 1958.<br />
Diese Werke von <strong>Mag</strong>. Franz Dittrich wurden als Quellen verwendet, durchgearbeitet und<br />
mit den Forschungsergebnissen aus den Archiven abgeglichen.<br />
267
Archivforschung – Handelsgericht Wien<br />
– Handelsgericht Wien, protokollierte Firmen, Register HRA, Personengesellschaften<br />
Im Handelsgericht Wien wurden für alle ab 1940 protokollierten Betreibergesellschaften<br />
von Apothekenbetrieben die entsprechenden Einträge im Handelsregister eingesehen und<br />
die Einträge digital fotografiert. Die so ermittelten Daten konnten oft Aufschluss über<br />
erfolgte Rückstellungen sowie danach erfolgte Verkäufe von österreichischen Apotheken<br />
geben. Die Ergebnisse dieser Recherche wurden in die Fallbeschreibungen integriert.<br />
Datenbankrecherche<br />
– Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Die österreichischen Opfer<br />
des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
Die Recherche in dieser Datenbank ermöglichte es, das weitere Schicksal von Opfern des<br />
NS-Regimes, die sich nicht durch Flucht in Sicherheit bringen konnten, nachzuvollziehen.<br />
Die ermittelten Daten wurden in die Datenbank und die Rechercheblätter eingetragen und<br />
bildeten die Grundlage für die in den Fallbeschreibungen dargestellten Schicksale.<br />
– Yad Vashem – The Holocaust Martyrs’ and Heroes’ Remembrance Authority, The<br />
Central Database of Shoah Victims’ Names, http://www.yadvashem.org<br />
Diese Datenbank des Dokumentationszentrums Yad Vashem in Jerusalem – sie ist online<br />
abrufbar – wurde verwendet, um die aus der Datenbank des Dokumentationsarchivs des<br />
Österreichischen Widerstandes eruierten Daten zu verifizieren und eventuell weitere<br />
vorhandene Detailinformationen zu gewinnen. Auch diese Daten wurden in die Datenbank<br />
und die Rechercheblätter eingetragen und in die Fallbeschreibungen integriert.<br />
– IKG Wien, Friedhofsdatenbank, http://www.ikg-wien.at<br />
Diese ebenfalls online verfügbare Datenbank der Israelitischen Kultusgemeinde Wien stellt<br />
Daten aller jüdischen ÖsterreicherInnen zur Verfügung, die vor 1945 in Österreich<br />
verstarben und auf einem der jüdischen Friedhöfe in Österreich beigesetzt wurden. Die<br />
hier ermittelten Daten dienten vor allem dazu um anderweitig aufgefundene Angaben zu<br />
historischen Personen zu überprüfen oder zu ergänzen.<br />
268
Datenerfassung<br />
Zur Geschichte österreichischer Apotheken liegt eine mehrbändige Datenensammlung in<br />
gedruckter Form vor. Diese von Kurt Ryslavy Anfang der 1990er-Jahre erstellte<br />
Dokumentation ist allerdings in der vorliegenden Form nur als Nachschlagewerk<br />
verwendbar. Um diese <strong>Arbeit</strong> für unsere Fragestellungen nutzen zu können, wurden die<br />
vorhandenen Daten in eine Excel-basierte Datenbank übertragen. Diese Datenbank wurde<br />
vor allem zur Recherche von ‚Arisierungsfällen‘ in den Bundesländern verwendet. Die<br />
gesamte Datenbank liegt dem Forschungsbericht in Form einer CD-Rom bei.<br />
Interview<br />
Mit einem Interview mit Dr. Otto Nowotny konnte die Möglichkeit genutzt werden, mit<br />
einem noch lebenden Zeitzeugen zu sprechen. Das Gespräch wurde in der Bibliothek der<br />
Apothekerkammer am 16. Februar 2007 geführt und aufgezeichnet. Das Transkript dieses<br />
Interviews findet sich im Anhang zu diesem Forschungsbericht.<br />
269
Literaturverzeichnis<br />
Monografien<br />
Gerhard Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und<br />
Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses (1938–1940), Linz u. Wien 1972.<br />
John Bunzl, Der lange Arm der Erinnerung. Jüdisches Bewußtsein heute, Wien u.a. 1987.<br />
Franz Dittrich, Die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich 1908–1928, Wien 1929.<br />
Angelika Shoshana Duizend Jensen (Historikerkommission, Hg.), Jüdische Gemeinden,<br />
Vereine, Stiftungen und Fonds. „Arisierung“ und Restitution, Wien 2002.<br />
Daniela Ellmauer u. Regina Thumser (Historikerkommission, Hg.), „Arisierungen“,<br />
beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Oberösterreich,<br />
Wien 2002.<br />
August Ernst, Geschichte des Burgenlands, Wien 1987.<br />
Florian Freund u. Heinz Safrian, Vertreibung und Ermordung. Zum Schicksal der<br />
österreichischen Juden 1938–1945. Das Projekt „Namentliche Erfassung der<br />
österreichischen Holocaustopfer“, Wien 1993.<br />
Elisabeth Fritsch, Wie die Pharmazie ein Frauenberuf wurde. Materialien zu den in Wien<br />
ausgebildeten und berufstätigen Pharmazeutinnen mit Schwerpunkt 1905 bis 1945, Wien<br />
2007.<br />
Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler, Berkeley 1948.<br />
Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Frankfurt/Main 1999.<br />
270
Leopold Hochberger, Die Geschichte des Wiener Apotheker-Hauptgremiums. Geschichte<br />
der Apotheken und des Apothekerwesens in Wien von den ältesten Zeiten bis zur<br />
Gegenwart, Bd. 3, Teil II, Wien 1930.<br />
Leopold Hochberger und Josef Noggler, Geschichte der Wiener Apotheken. Geschichte<br />
der Apotheken und des Apothekerwesens in Wien von den ältesten Zeiten bis zur<br />
Gegenwart, Bd. 2, Wien 1919.<br />
Alois Kernbauer, Zwischen Zunft und Wissenschaft. Der österreichische Apotheker- und<br />
Pharmazeutenstand in der Krise. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1922, Graz 1989.<br />
Ernestine Krug, Die Wiener Apotheken im 20. Jahrhundert. Erarbeitet nach den Akten der<br />
Gehaltskasse der Österr. Apothekerkammer, Wien 1977.<br />
Richard Kurtics u. Walter Thor, Gesetze u. Vorschriften für den österreichischen<br />
Apotheker, Wien 1955.<br />
Frank Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker: Emanzipation, Emigration, Restitution. Die<br />
Geschichte deutscher und österreichisch-ungarischer Pharmazeuten, Frankfurt/Main<br />
1999.<br />
Peter Longerich, Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der<br />
nationalsozialistischen Judenverfolgung, München u. Zürich 1998.<br />
Jonny Moser, Die Judenverfolgung in Österreich 1938–1945, Wien 1966.<br />
Verena Pawlowsky, Edith Leisch-Prost u. Christian Klösch (Historikerkommission, Hg.),<br />
Vereine im Nationalsozialismus. Vermögensentzug durch den Stillhaltekommissar für<br />
Vereine, Organisationen und Verbände und Aspekte der Restitution in Österreich nach<br />
1945, Wien 2002.<br />
Helfried Pfeifer, Hg., Die Ostmark: Eingliederung und Neugestaltung; historischsystematische<br />
Gesetzessammlung nach dem Stande vom 16. April 1941, mit Einführungen,<br />
Erläuterungen, Verweisungen und Schrifttumsangaben, Wien 1941.<br />
271
Hugo Portisch u. Sepp Riff, Österreich I. Die unterschätzte Monarchie, Wien 1989.<br />
Hugo Portisch u. Sepp Riff, Österreich II. Die Wiedergeburt unseres Staates, Wien 1993.<br />
Kurt Ryslavy, Materialien zur Geschichte der Apotheken und Apotheker Niederösterreichs,<br />
Wien 1991.<br />
Kurt Ryslavy, Materialien zur Geschichte der Apotheken und Apotheker im Burgenland,<br />
Eisenstadt 1979.<br />
Kurt Ryslavy, Geschichte der Apotheken der Steiermark und der Untersteiermark bis nach<br />
dem Ersten Weltkrieg, Wien 1992.<br />
Kurt Ryslavy, Geschichte der Apotheken Oberösterreichs, Wien 1990.<br />
Karl Sablik, Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer, Wien 1983.<br />
Hans Safrian, Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1995.<br />
Albert Sternfeld, Betrifft Österreich. Von Österreich betroffen, Wien, Köln u. Weimar 2001.<br />
Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, Wien 1981.<br />
Julius Tandler, Das Volksgesundheitsamt in der Zeit von Mitte 1919 bis Mitte Mai 1920,<br />
Wien 1920.<br />
Joseph Walk, Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der<br />
gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Heidelberg u. Karlsruhe<br />
1981.<br />
Ulrike Weber-Felber, Wege aus der Krise: Freie Gewerkschaften und Wirtschaftspolitik in<br />
der Ersten Republik, Wien u. Zürich 1990.<br />
272
Artikel und Beiträge in Zeitschriften und Sammelbänden<br />
Heinrich Bartl, Referat: Die zweite Apothekertagung im freien Österreich, in: ÖAZ, Nr.<br />
17/18 (1947), 74–76.<br />
Borislava Dimitrijevic, Der Einzug des Weibes zur Pharmacie!, in: Pharmazie sozial Nr. 3<br />
(2006), 24–26.<br />
Franz Dittrich, Änderungen im Stellenlosenfonds, in: Pharmazeutische Post Nr. 52 (1929),<br />
645–646.<br />
Franz Dittrich, Rede in der 37. Delegiertenhauptversammlung des Pharmazeutischen<br />
Reichsverbandes für Österreich am 15.11.1947 (Mitschrift), in: ÖAZ, Nr. 43/44 (1947),<br />
186–188.<br />
Franz Dittrich, Entwicklung und Aufgaben der Pharmazeutischen Gehaltskasse für<br />
Österreich. Festrede anlässlich des 50 jährigen Bestandes der Pharmazeutischen<br />
Gehaltskasse für Österreich, ÖAZ-Sonderdruck, Wien 1958.<br />
Franz Dittrich, Bericht zur Hauptversammlung des Pharmazeutischen Reichsverbandes für<br />
Österreich, in: Pharmazeutische Presse, Nr. 21/22 (1937), o.S.<br />
Rudolf Kraus, Offener Brief an <strong>Mag</strong>. pharm. Franz Dittrich, in: ÖAZ Nr. 2 (1948), 94.<br />
Alois Kernbauer, Die Pharmazeutische Ausbildung seit dem Jahre 1891, in:<br />
Pharmazeutischer Reichsverband, Hg., 100 Jahre. Organisation der angestellten<br />
Apotheker. Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich. Wien 1991, 143–151.<br />
Claudia Kuretsidis-Haider u. Winfried R. Garscha, Das Linzer Volksgericht. Die Ahndung<br />
von NS-Verbrechen in Oberösterreich nach 1945, in: Fritz Mayerhofer u. Walter Schuster,<br />
Hg., Nationalsozialismus in Linz, Linz 2001, 1467–1561.<br />
273
Otto Nowotny, Die Geschichte des Pharmazeutischen Reichsverbandes für Österreich.<br />
Von seiner Gründung bis zum Jahre 1938, in: Pharmazeutischer Reichsverband, Hg., 100<br />
Jahre. Organisation der angestellten Apotheker. Pharmazeutischer Reichsverband für<br />
Österreich, Wien 1991, 21–38.<br />
Otto Nowotny, Zur Geschichte der pharmazeutischen Schule in Wien, in: ÖAZ Nr. 31/32<br />
(1976), 634–636.<br />
Otto Nowotny , Die österreichischen pharmazeutischen Zeitschriften in Vergangenheit und<br />
Gegenwart, in: ÖAZ Nr. 51/52 (1981), 1004–1012.<br />
Otto Nowotny, Der Weg zur Gründung der Gehaltskasse, in: ÖAZ Nr. 46 (1983), 909–913.<br />
Otto Nowotny, Die österreichische Pharmazie im Jahre 1945, in: ÖAZ, Nr. 43 (1985), 836–<br />
838.<br />
Otto Nowotny, Der Phönix aus der Asche, in: ÖAZ Nr. 9 (1995), 366–372.<br />
Otto Nowotny, Das österreichische Apothekerwesen zwischen 1918 und 1938. Von der<br />
Monarchie zur Republik, in: ÖAZ, Nr. 14 (Teil 1) u. Nr. 16 (Teil 2) (1995), 622–625 u. 708–<br />
714.<br />
Otto Nowotny, Aus dem Dunkel, in: ÖAZ Jubiläumsausgabe (1996), 11–16.<br />
Otto Nowotny, 50 Jahre Österreichische Apothekerkammer, in: ÖAZ, Nr. 19 (1997), 885–<br />
892.<br />
Otto Nowotny, Ein Jahrhundert österreichische Pharmazie I. Ereignisse & Systemfragen,<br />
in: ÖAZ Nr. 18 (1999), 840–843.<br />
Otto Nowotny, Von Maturität, Emanzipation und einem neuen Berufsbild, in: ÖAZ Nr. 23<br />
(1999), 1083–1089.<br />
Otto Nowotny, Res Socialis, in: ÖAZ, Nr. 25 (2000), 1238–1240.<br />
274
Karl Rauch, 50 Jahre Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich, in: ÖAZ Nr. 47<br />
(1958), 625–629.<br />
Redaktion (ÖAZ), Bewertung der öffentlichen Apotheken im Jahre 1938, in: ÖAZ, Nr.<br />
13/14 (1947), 49–50.<br />
Redaktion (ÖAZ), Die Wiedererrichtung der „Versicherungsanstalt für Pharmazeuten“, in:<br />
ÖAZ, Nr. 17/18 (1947), 73–74.<br />
Edwin Renner, Arisierung der Apotheken in der Ostmark, in: Wiener Pharmazeutische<br />
Wochenschrift, Nr. 22 (1939), 326–328.<br />
Inge Steibl, Der Pharmazeutische Reichsverband von 1945 bis heute, in:<br />
Pharmazeutischer Reichsverband, Hg., 100 Jahre. Organisation der angestellten<br />
Apotheker. Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich, Wien 1991, 41–50.<br />
Harald Steindl, Berufsständische Sozialpolitik, in: Pharmazeutischer Reichsverband, Hg.,<br />
100 Jahre. Organisation der angestellten Apotheker. Pharmazeutischer Reichsverband für<br />
Österreich, Wien 1991, 101–110.<br />
Albert Ullmer, Von der Wurzel zur Blüte. Die soziale und wirtschaftliche Lage in den ersten<br />
40 Jahren, in: Pharmazeutischer Reichsverband, Hg., 100 Jahre. Organisation der<br />
angestellten Apotheker. Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich, Wien 1991, 69–<br />
88.<br />
Gerhard Ungersböck, Vom „Freien“ <strong>Arbeit</strong>svertrag zum Kollektivvertrag, in: Gerald Stourzh<br />
u. Margarete Grandner, Hg., Historische Wurzeln der Sozialpartnerschaft, Wien 1986.<br />
123–152.<br />
275
Verwendete Zeitungen und Zeitschriften<br />
Zeitschrift des Allgemeinen Österreichischen Apothekervereines, 1906–1909.<br />
Pharmazeutische Post, 1920.<br />
Mitteilungen des provisorischen Ausschusses der österreichischen Apotheker, 1946.<br />
Österreichische Apotheker-Zeitung, 1947–1950.<br />
Pharmazeutische Presse, 1906–1909, 1920, 1937, 1938.<br />
Wiener Pharmazeutische Wochenschrift 1938, 1939.<br />
Datenbanken<br />
Yad Vashem – The Holocaust Martyrs’ and Heroes’ Remembrance Authority, The Central<br />
Database of Shoah Victims’ Names, http://www.yadvashem.org<br />
IKG Wien, Friedhofsdatenbank, http://www.ikg-wien.at<br />
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), Die österreichischen<br />
Opfer des Holocaust, CD-Rom Datenbank, Wien 2001.<br />
World Wide Web<br />
Österreichische Nationalbibliothek, ALEX – Historische Rechts- und Gesetzestexte Online,<br />
http://alex.onb.ac.at<br />
Bundeskanzleramt Österreich, Rechtsinformationssystem, http://www.ris2.bka.gv.at/Bund/<br />
www.henrykolm.com (Biografie von Henry Kolm)<br />
http://www.nachkriegsjustiz.at/service/gesetze/<br />
http://www.parlinkom.gv.at<br />
http://www.parlament.gv.at<br />
276
Anhang<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
BMfI<br />
StAfsV<br />
BMfsV<br />
BMfVuW<br />
BMfF<br />
M.Abt.<br />
FLD<br />
FA<br />
PhGK<br />
ÖStA<br />
AVA<br />
WStLA<br />
AdPhGK<br />
DÖW<br />
AdR<br />
LAOÖ<br />
AdAKW<br />
GBlÖ<br />
RGBl<br />
DRGBl<br />
StGBl<br />
BGBl<br />
VEAV<br />
ÖAZ<br />
Bundesministerium für Inneres<br />
Staatsamt für soziale Verwaltung<br />
Bundesministerium für soziale Verwaltung<br />
Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung<br />
Bundesministerium für Finanzen<br />
<strong>Mag</strong>istratsabteilung<br />
Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland<br />
Finanzamt<br />
Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich<br />
Österreichisches Staatsarchiv<br />
Allgemeines Verwaltungsarchiv<br />
Wiener Stadt- und Landesarchiv<br />
Archiv der Pharmazeutischen Gehaltskasse<br />
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes<br />
Archiv der Republik<br />
Oberösterreichisches Landesarchiv<br />
Archiv der <strong>Arbeit</strong>erkammer Wien<br />
Gesetzblatt für das Land Österreich<br />
Reichsgesetzblatt für die im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder<br />
Deutsches Reichsgesetzblatt<br />
Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich<br />
Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich<br />
Vermögens-Entziehungs-Anmelde-Verordnung<br />
Österreichische Apotheker-Zeitung<br />
S Schilling (vor März 1938)<br />
ÖS Österreichischer Schilling (ab Dez. 1945)<br />
RM Reichsmark<br />
277
Interview mit Dr. Otto Nowotny<br />
geführt von <strong>Mag</strong>. Alfred <strong>Fehringer</strong> und <strong>Mag</strong>. Leopold Kögler am 16. Februar 2007 in der<br />
Bibliothek der <strong>Arbeit</strong>erkammer<br />
Anmerkung zur Transkription: … = kurze Redepause<br />
Herr Doktor, wir haben einige Fragen zusammengestellt, die uns am Anfang unseres<br />
Projektes besonders interessieren. Sie sind ja ein sehr wichtiger Zeitzeuge für uns.<br />
Unsere erste Frage wäre, ob Sie das Gerücht bestätigen können, dass viele Studenten<br />
schon vor 1938 an der Uni mit den Nationalsozialisten sympathisiert haben.<br />
Ja, daran kann ich mich erinnern. Es gab Krawalle, es wurden Institute gesperrt,<br />
zumindest für einige Tage, bis sich alles wieder beruhigt hat, und es hat teilweise Angriffe<br />
der Nationalisten gegeben. Ich kann mich erinnern, dass das Anatomische Institut für eine<br />
Woche gesperrt wurde, bis sich die Gemüter wieder beruhigt hatten. Ich kann mich<br />
erinnern, wie 1934 der Nazi-Putsch war, und der Dollfuß ermordet wurde. Ich hab’<br />
Auseinandersetzungen der Nazigruppen und der Heimwehr gesehen, ich habe das selber<br />
erlebt. Ich war damals mit meinen Eltern auf Sommeraufenthalt in St. Gallen und habe als<br />
Augenzeuge erlebt, wie eine Nazihorde zum Gendarmerieposten gegangen ist und<br />
verlangt hat, dass die Waffen ausgeliefert werden. Der Gendarm hat gesagt: „Nur über<br />
meine Leiche“. Darauf hin haben sie ihn erschossen. Es gab dann Gerichtsverhandlungen,<br />
und es wurden auch, glaube ich, zwei Todesurteile verhängt. Ob sie durchgeführt wurden,<br />
weiß ich nicht, ich nehme an.<br />
Wie waren diese Situationen für Sie?<br />
Ich hab’ mich da raus gehalten. Für mich war das Studium sehr wichtig. Also gedanklich,<br />
wenn man so sagen kann, war ich auf Seiten der Heimwehr, der Schwarzen. Ich habe die<br />
Auseinandersetzungen erlebt, die Aufmärsche, die gestört wurden. Gegenseitig haben sie<br />
sich ja, ich möchte nicht gerade sagen umgebracht, aber es waren heftige<br />
Auseinandersetzungen.<br />
278
Wie haben Sie persönlich den ‚Anschluß‘ 1938 erlebt?<br />
Das war furchtbar. Also als der Schuschnigg seine Abschiedsrede gehalten hat, haben<br />
meine Eltern, ich und mein Bruder zu weinen angefangen. Wir waren nicht auf dem<br />
Heldenplatz, wo dann die große Feier war, das wäre für uns gar nicht in Frage gekommen.<br />
Ich habe dann erlebt, wie die Juden und Jüdinnen das Laboratorium am<br />
Pharmazeutischen Institut räumen mussten, wie jüdische Kolleginnen zu weinen<br />
angefangen haben. Ich hab versucht zu trösten, aber natürlich ohne Erfolg. Im November<br />
1938 – ich hatte fertig studiert und war <strong>Mag</strong>ister – wurde ich, weil ich einer katholischen<br />
Studentenverbindung angehörte, am ersten Termin, der möglich war, zum Militär<br />
eingezogen.<br />
Wann war das?<br />
Das war genau am 1. April 1939. Und so hat mir der Krieg, und später die<br />
Gefangenschaft, neuneinhalb Jahre meinen Beruf gestohlen. Aber das eine muss ich<br />
sagen, man war beim Heer, ich wurde der Luftwaffe zugeteilt, und zwar als Funker, als<br />
Oberfunker, da war man von politischen Angriffen geschützt, daheim nicht. Da hat es die<br />
Hausvertrauensleute gegeben. Die sind gekommen und haben gefragt: „Warum sind Sie<br />
nicht bei der Partei?“. Seid froh, dass ihr das nicht erlebt habt.<br />
Das sind wir. Wie war das unter den Pharmazeuten, die einsetzenden ‚Arisierungen‘, gab<br />
es da Diskussionen im Stand der Pharmazeuten? Sah man das als Chance, relativ schnell<br />
einen guten Job zu bekommen oder eine Apotheke übernehmen zu können? Es sind ja<br />
doch 92 in Wien arisiert worden.<br />
Es war nicht so leicht, für die Kollegen, für die nichtjüdischen Kollegen, nicht wahr, einen<br />
<strong>Arbeit</strong>splatz zu finden. Es herrschte unter den Pharmazeuten eine große <strong>Arbeit</strong>slosigkeit<br />
und, obwohl die jüdischen Pharmazeuten wegfielen, war es nicht möglich, dass alle sofort<br />
untergebracht werden konnten. Erst als der Krieg ausbrach oder in Vorbereitung war und<br />
außer den Pharmazeuten auch Apotheker eingezogen wurden, wurden wieder Stellen frei,<br />
und die wurden dann notgedrungen durch Kolleginnen ersetzt. Aber genaues kann ich<br />
darüber nicht sagen, weil ich ja schon beim Militär war und mit dem nichts zu tun hatte.<br />
279
Haben Sie so eine Arisierung einer Apotheke miterlebt?<br />
Nein. Habe ich nicht miterlebt, Gott sei Dank.<br />
Sie haben uns schon fast ein bisschen in die nächste Frage hineingebracht, wir wollten<br />
nämlich fragen, wie der <strong>Arbeit</strong>smarkt für Pharmazeuten 1938, 1939 aussah.<br />
Schlecht. Es hat <strong>Arbeit</strong>slosigkeit unter den Pharmazeuten gegeben, also schon vor 1938.<br />
Obwohl die jüdischen Kollegen wegfielen, konnte die <strong>Arbeit</strong>slosigkeit nicht aufgefangen<br />
werden. Die wurde dann erst durch den Krieg aufgefangen. Aber wie gesagt, ich habe nur<br />
erlebt, wie die jüdischen Kolleginnen im Laboratorium, im pharmazeutischen Laboratorium,<br />
in der Reichsstraße Nummer 10, wie sie gehen mussten. Ihre <strong>Arbeit</strong>splätze verlassen…<br />
Da hat es Tränen gegeben.<br />
Haben Sie nach dem Abschluss des Studiums zwischen November und April gearbeitet?<br />
Als Pharmazeut nicht. Die <strong>Arbeit</strong>svermittlung, die pharmazeutische, hat abgelehnt, mich<br />
zu vermitteln, weil sie schon wussten, dass ich zum Militär kommen werde. Und in dieser<br />
Zeit, in dieser Leerzeit, habe ich jeden Tag viel Maschinschreiben gelernt. Das konnte ich<br />
dann auch später verwenden. Ich hab gelesen und musiziert vor allem. Ja, das war so.<br />
Nach dem Krieg und der Kriegsgefangenschaft, wie war da für Sie der Wiedereinstieg in<br />
das Berufsleben? War das schwierig?<br />
Nein, das hat mir überhaupt keine Schwierigkeiten gemacht. Ich bekam einen Posten, der<br />
war merkwürdigerweise auch am 1. April zu besetzen. Die Lehrzeit, das waren drei<br />
Monate, habe ich benutzt, um mein Wissen – ich habe ja nichts gewusst von der neuen<br />
Entwicklung der Chemie etc. –, um das nachzuholen, damit ich wieder mitreden, mitarbeiten<br />
kann. Und in der Apotheke war ja an und für sich nicht so viel zu tun, weil vorerst<br />
einmal ein Mangel an Arzneimitteln bestand. Ich war mit Begeisterung dabei. Da waren<br />
also noch ein Kollege und eine Kollegin, die mir dann das Praktische beigebracht haben,<br />
also wie man Pillen macht und andere pharmazeutische Sachen. Nein, also das war<br />
absolut keine Schwierigkeit, ich war froh und dankbar, erlöst sozusagen.<br />
280
Waren Sie da eher ein Einzelfall, oder war das generell eher leicht für heimkehrende<br />
Pharmazeuten, in den Beruf wieder einzusteigen?<br />
An und für sich, war es so, dass sehr viele Pharmazeuten, die für die Militärapotheken<br />
eingezogen worden waren, zurückkamen und dadurch die leeren Stellen genutzt wurden.<br />
Außerdem haben viele das unterbrochene Pharmaziestudium wieder aufgenommen und<br />
zu Ende geführt. Das muss man sagen: Es war verschieden in den vier Besatzungszonen.<br />
Also Niederösterreich und Teile von Oberösterreich waren ja russisch. Also wie es da war,<br />
das weiß ich nicht, ich hatte ja mit der Standespolitik noch nichts zu tun. Ich kam erst<br />
später dazu.<br />
Haben Sie im Laufe der Zeit jüdische Kollegen und Kolleginnen kennen gelernt, die nach<br />
1945 nach Österreich zurückgekommen sind?<br />
Nein. Ich war mit einer jüdischen Familie, die in einem Haus gegenüber von uns gewohnt<br />
haben und die vier Kinder hatten, zwei sind mit uns in die Schule gegangen, befreundet,<br />
und die waren plötzlich über Nacht verschwunden. Und als ich beim Militär war, bekam ich<br />
einen Brief mit Zensur-Stempel von ihnen, in dem sie ganz genau ihre Flucht über die<br />
Schweiz, Frankreich nach Argentinien geschildert haben. Mich hat dass gewundert, dass<br />
ich diesen Brief bekommen habe, es wurde ja zensuriert. Auf dem Brief war der Zensur-<br />
Stempel, aber es wurde nichts darin durchgestrichen. … Also ich stand dann auch,<br />
nachdem ich aus dem Krieg zurückgekommen bin, wieder mit ihnen in Verbindung. … Sie<br />
kamen aber nicht zurück. Sie haben es sehr schwer gehabt. Der eine von ihnen war, als er<br />
noch in Wien lebte, er hatte Hotelfach studiert, im berühmten Hotel Meisel und Schaden<br />
beschäftigt. Er bekam dann in Argentinien, weil er viele Sprachen konnte, eine Anstellung<br />
als Portier und konnte sich durch Fleiß und <strong>Arbeit</strong> später selbstständig machen. Wenn Sie<br />
die Briefe interessieren, ich kann sie einmal mitbringen.<br />
Wir haben noch nichts darüber gefunden, aber was uns auch interessieren würde ist, ob<br />
sie auch jemanden kannten, der nach 1945 aus dem Sudetenland vertrieben worden ist<br />
und in Österreich dann als Pharmazeut arbeiten wollte?<br />
Die haben ja keinen Platz bekommen. … Also ich weiß es, weil ich mit Flüchtlingen in<br />
Verbindung war. Nicht mit Flüchtlingen aus dem Sudetenland, sondern die waren aus<br />
281
Serbien. Diese Apothekerfamilie lernte ich im Jahr 1944 schon kennen, als ich wegen<br />
einer leichten Verwundung vorübergehend in Dresden oder in der Nähe von Dresden zur<br />
Ausbildung von Rekruten eingesetzt wurde. Nachdem der dortige Apotheker beim Militär<br />
war, bekam also der aus Serbien geflüchtete Apotheker, der in Graz studiert hatte, dort<br />
eine Stellung. Durch Zufall kam ich mit ihm und seiner Familie dann 1949 oder 1950, da<br />
war er in Wien eingesetzt, wieder in Kontakt. Er hatte in Wien eine Stellung als<br />
Apothekenleiter bekommen. Und ich war dann mit ihnen befreundet. Ihre Tochter, sie war<br />
mit meiner Frau befreundet, die haben wir dann auch kennengelernt. Mit ihr bin ich jetzt<br />
noch in Verbindung. Aber sonst … Ich weiß nur, dass die Kollegen Angst hatten, dass die<br />
Russen vielleicht doch Österreich einkassieren könnten, und sie haben sich erkundigt, ob<br />
man nicht nach England fliehen könnte, ob man dort eine Stelle bekommen könnte. Die<br />
haben zur Antwort bekommen, sie könnten zwar nach England kommen, aber eine<br />
Stellung als Apotheker bekommen sie nur, wenn sie die Prüfungen nachholen. Na, da<br />
weiß ich nicht … Ich habe also sehr viel gearbeitet und geschaut, dass ich up-to-date bin<br />
mit neuen Sachen. Dass ich auch mit der Homöopathie und mit anderen Randgebieten<br />
der Pharmazie vertraut bin. Denn in der Apotheke, wo ich war, haben wir Ärzte gehabt, die<br />
sehr gerne Veleda-Präparate verschrieben haben. Wenn ich nicht einverstanden war mit<br />
irgendeinem Schreiben dieser Veleda-Firmen, habe ich ihnen geschrieben. Die haben<br />
dann zurück geschrieben meistens, „nein, das haben Sie falsch aufgefasst, dass ist so<br />
und so, aber wir schicken Ihnen, dass sie sich genauer informieren können, als Geschenk<br />
zehn Bücher über den Einfluss gewisser Planeten oder Sterne auf Heilmittel“.<br />
Wie würden Sie die Situation der Pharmazeutinnen zwischen 1945 und 1949<br />
beschreiben?<br />
Da kann ich Ihnen etwas erzählen, ja. Also meine Frau war ja auch Pharmazeutin. Sie war<br />
also mit dem Studium noch nicht fertig, da musste sie – wie alle Studenten und<br />
Studentinnen, die fertig werden wollten – Hilfsdienste leisten. Das heißt, sie mussten ein<br />
halbes Jahr in einer Landapotheke ihrer Dienstpflicht nachkommen. Also da gab es keine<br />
Ausnahmen.<br />
282
Gab es Probleme, weil viele Pharmazeuten Berufsverbot bekommen haben nach 1945?<br />
Weil sie nationalsozialistisch tätig waren?<br />
Apotheker, die ‚arisiert‘ hatten, bekamen zunächst Berufsverbot. Das weiß ich von einigen.<br />
Im Jahre 1945 wurde im Parlament das Nationalsozialistengesetz beschlossen und da gab<br />
es dann verschiedene Stufungen für die Strafmaßnahmen, von Sühnezahlungen bis zum<br />
Berufsverbot. Die Sühnezahlungen wurden dann, glaube ich, bald eingestellt. Ich musste<br />
nichts zahlen, nicht wahr, meine Frau auch nicht. Ich weiß aber, dass mein damaliger<br />
Chef, der auch im 19. Bezirk wohnte, Berufsverbot hatte. Merkwürdig ist nur, dass die<br />
Obernazi in der Nazizeit, zum Beispiel Dittrich, oder, jetzt fällt mir der Name nicht ein, also<br />
der, sozusagen der Gauapotheker…<br />
Schweder<br />
Ja, der Schweder. Die hatten also kein Berufsverbot und waren dann erstaunlicherweise<br />
schon nach fünf Jahren standespolitisch wieder tätig und nach spätestens sieben Jahren<br />
wieder Präsident oder Vorsitzender, sei es vom Apothekerverein, sei es vom Verband oder<br />
in der Apothekerkammer. Es waren leider sehr viele Apotheker Parteimitglieder. Dazu<br />
muss ich aber bemerken, dass sie schon wie der Kardinal Innitze aus dem Sudetengebiet<br />
stammten und geglaubt haben, man muss sich dankbar erweisen, dass die Gebiete der<br />
Sudetendeutschen durch Hitler befreit wurden. Aber für mich war das kein Problem.<br />
Sie haben den Franz Dittrich angesprochen. Wie beurteilen Sie ihn persönlich, seine<br />
Rolle, oder wie können Sie sich das erklären? Er hat ab den 1920-Jahren bis in die<br />
1960er-Jahre eine erstaunliche Kontinuität bewiesen.<br />
Na, also in den 20er-Jahren gab es ein Überangebot an Pharmazeuten und<br />
Pharmazeutinnen, teilweise waren das Flüchtlinge, darunter auch viele Flüchtlinge, die<br />
aus Russland, aus der Ukraine, also aus den östlichen Ländern nach Wien gekommen<br />
sind. Sie bekamen – da sie sehr zusammenhalten – in jüdischen Apotheken leicht<br />
Aufnahme. Ansonsten wurde festgelegt, wie viele Aspiranten im Jahr von einer Apotheke<br />
aufgenommen werden dürfen und wie viele Apotheker, angestellte Pharmazeuten. Das<br />
war also genau festgelegt. Davon hatten aber viele nichts, denn in diesem Kontingent<br />
waren auch die Söhne oder Töchter von Apothekenbesitzern enthalten und die kamen<br />
283
zuerst. Wenn dann noch Platz frei war … Also das war damals sicher schwierig eine<br />
Stellung zu bekommen. Mein Vater wusste das, ich wusste das. Aber ich habe gesagt,<br />
dass ist mir ganz egal, ich möchte Apotheker werden. Ich möchte Pharmazie studieren.<br />
Und mein Vater hat gesagt: „Studier’, was du glaubst, was dein Lebensberuf werden kann,<br />
ich hätte vielleicht lieber gehabt, dass du Jus studierst.“ Weil mein Vater Jurist war, nicht<br />
wahr, „aber wenn du glaubst, dass das deine Lebenserwartung ist, dann studier’ das“.<br />
Sie haben vorher die Rolle von Franz Dittrich nach 1945 angesprochen. Gab es da unter<br />
Apothekenbesitzern und Assistenten Diskussionen darüber? Wurde das thematisiert?<br />
Teilweise. Ich kann mich erinnern, ich war schon standespolitisch tätig, da war ich bei<br />
einer Sitzung, bei der waren sowohl Angestelltenvertreter als auch Besitzer anwesend. Da<br />
war auch der Obernazi, der erwähnte, der war auch bei der Sitzung. Er sagte: „Ich glaube,<br />
wir brauchen nicht länger diskutieren, wir haben alle dieselbe Meinung, es kann als<br />
angenommen gelten.“ Ein Kollege, und zwar war das ein Kollege aus Baden, dreht sich<br />
plötzlich um, schaut ihn an und sagt zu ihm: „Das ist ein Nazischwein, setzten Sie sich mal<br />
nieder, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, wir leben nicht in einer Diktatur, wir leben in<br />
einer demokratischen Gesellschaft, in der wird abgestimmt, setzen Sie sich nieder und<br />
halten Sie ihre Goschn.“ Dittrich hat kein Wort darauf gesagt und hat sich niedergesetzt.<br />
Also es wurde nicht totgeschwiegen, es wurde schon darüber gesprochen?<br />
Wenn es notwendig war, ja. … Mit Dittrich hab ich einmal eine Auseinandersetzung<br />
gehabt, und zwar wegen der Bibliothek. In der Bibliothek stehen da zwei Betten, schön<br />
überzogen. Ich sage: „Was ist denn da los?“ Und da kam die Antwort: „Ja, Herr<br />
Kammerpräsident, da sind zwei Flüchtlinge aus Ostdeutschland, und ob die da bitte wohl<br />
schlafen können.“ Und da habe ich gesagt: „Na hört’s, ihr habt’s genug Räume da drüben,<br />
tut’s in euren Sitzungszimmern die Betten aufstellen, aber das ist kein Hotel hier.“ Am<br />
nächsten Tag waren die Betten verschwunden.<br />
Sie haben gesagt, sie sind später dann in der Standespolitik tätig geworden, ab wann war<br />
das ungefähr?<br />
Das hat folgendermaßen begonnen: Ich war noch Aspirant, und bei Lohnverhandlungen<br />
sind alle Löhne für die Angestellten erhöht worden, nur die Löhne für die Aspiranten nicht.<br />
284
Da bin ich hineingegangen zum Angestelltenverband, habe mich also dort gemeldet, und<br />
habe gesagt: „Ihr seid’s doch letztlich für alle angestellten Pharmazeuten da, das is net<br />
wahr, das ist eine Lüge.“ Ich habe das dargelegt. Die haben gesagt: „Sie haben recht, auf<br />
euch hamma vergessen, wir werden das jetzt nachholen. Aha, Sie sind ja anscheinend<br />
sehr interessiert an der Standespolitik. Bei den nächsten Wahlen sind Sie bei uns dabei.“<br />
So hat das angefangen. Mich hat dann die Standespolitik, ganz egal von welcher Seite sie<br />
kam, angewidert, denn ich habe gesehen, wenn man in der Kammer, in einem Verein oder<br />
auch bei der Gehaltskasse eine Stellung bekommen will, wo man auch Entscheidungen<br />
fällen kann, dann muss man schauen, dass man hineingewählt wird. Dann muss man die<br />
anderen als Trotteln hinstellen und sich selber als den einzigen Gescheiten, dass man der<br />
Einzige ist, der alles in Ordnung bringen kann. Das habe ich für blöd empfunden. Ich hab<br />
gesagt: „Gut da habt ihr’s, wenn das so ist, macht’s es, meine Meinung ist es nicht, aber<br />
ich lege alle Posten nieder, nur den in der Bibliothek behalte ich mir, aber unter der<br />
Bedingung ‚unbezahlt‘.“ Das gilt noch immer. Aber das hat mir nicht geschadet, weder<br />
beim Pharmazeutischen Reichsverband noch beim Apothekerverein, ich war überall<br />
angesehen. Ich habe meinem Standpunkt und meine Meinung nie geheim gehalten.<br />
Sie galten ja in den 1970er-Jahren als der Apotheker von Bruno Kreisky? Gabs da von<br />
den Standesvertretern Versuche Sie, irgendwie einzunehmen, um Einfluss auf den<br />
Bundeskanzler auszuüben, in standespolitischen Angelegenheiten?<br />
Ja, einmal. Aber das war nicht mit Kreisky, sondern das war eine Sitzung mit dem<br />
damaligen Sozialminister und der Krankenkassa und ein paar anderen Vereinen. Ich war<br />
wahrscheinlich nicht dabei, und da scheint es sehr wüst zugegangen zu sein, und der<br />
Minister hat dann mit der Faust auf den Tisch gehaut und gesagt: „Ihr Apotheker seid’s ja<br />
alle…, euch interessiert nur das Geld, ich kenn einen einzigen Apotheker, der eine<br />
saubere Hand hat, das ist der Apotheker im 19. Bezirk.“ Also das war was. Später ruft<br />
mich jemand aus der Apothekerkammer an, schildert mir das und sagt: „Wenn der Minister<br />
zu Ihnen kommt, beeinflussen Sie ihn.“ Ich hab das abgelehnt. Der erwähnte Minister war<br />
ein gstandener Roter, nicht wahr, aber menschlich war er großartig. Ich weiß noch, wie er<br />
nicht mehr Minister war, ist er mit seiner Frau einkaufen gegangen, hat die Einkaufstasche<br />
getragen. Er kam einmal zu meiner Frau und hat zu ihr gesagt: „Ja, jetzt waren wir in dem<br />
Zuckerlgeschäft, wo auch Sie immer einkaufen, zwei Häuser von der Apotheke entfernt.<br />
Wissen’s, wir müssen die kleinen Betriebe unterstützen, die werden ja durch die großen<br />
285
Ketten umgebracht.“<br />
Ein anderes Mal, es war schon nach Dienstschluss, bin ich, nach dem ich alles zugesperrt<br />
habe, zur Straßenbahnhaltestelle gegangen, genau gegenüber der Apotheke. Da war<br />
auch der ehemalige Minister und sagt: „Na grüß Sie Gott, grüß Sie Gott, Herr Apotheker,<br />
die Straßenbahn ist uns gerade vor der Nase weggefahren, da kömma uns a bissl<br />
unterhalten, netwoa.“ Sind wir so ins Reden gekommen. „Naja, sie werden als Minister ja<br />
auch über die Apotheker oft a schlechte Meinung bekommen.“ Sagt er: „Was, wo gibt’s a<br />
schlechte Meinung, natürlich hat man Meinungen, man muss es aber neutral beobachten,<br />
nicht wahr, und schauen Sie, wenn man ehrlich ist, man hat ja als Minister auch seine<br />
Vorteile gehabt<br />
Also mit den Kreiskys, mit der Familie Kreisky, habe ich sehr viel beruflichen Kontakt<br />
gehabt. Nicht so mit dem Jonas. Der ist mit dem Präsidentenauto nur, wenn er etwas<br />
gebraucht hat, vor der Apotheke stehen geblieben. Dann ist der Kriminalbeamte oder der<br />
Chauffeur herein gekommen. Einmal habe ich gefragt: „Wieso ist das so ein Rezept von<br />
der Gemeinde Wien, der Bundespräsident ist doch bei der Bundeskrankenkassa<br />
versichert?“ „Ja,“ hat der Chauffeur gemeint, „das ist er ja auch, das muss er ja sein, aber<br />
er war ja auch einmal Bürgermeister der Stadt, und da hat er so gute und schöne<br />
Erinnerungen. Jetzt will er die Stadt Wien in Ehren halten.“ Na ja, das sind rein<br />
menschliche Züge.<br />
Hat sich generell das Berufsbild des Apothekers beziehungsweise des Assistenten<br />
zwischen 1945 und 2006 geändert?<br />
Mindestens nach außen hin. Die Kundenberatung, Gespräche mit Kunden, haben gute<br />
Apotheken schon immer so gehalten. Aber man bemüht sich schon in der letzten Zeit viel<br />
mehr mit Kunden, also mit Patienten, näheren Kontakt zu haben, ihnen behilflich zu sein,<br />
also von Seiten der Standesführung. Leider gibt es halt wie überall auch schwarze Schafe.<br />
Das ist genauso mit der Pflicht des Apothekers, dass er die Materialien, die er einkauft,<br />
zum Beispiel verschiedene Teesorten, prüfen muss. Das wird leider in vielen Apotheken<br />
nicht gemacht. Also mein alter Chef, der hat das auch nicht gemacht. Aber ich habe das<br />
dann so weit gebracht, dass wir die modernen Laborgeräte angeschafft haben, die<br />
Apotheke beheizbar war und auch die Elektroinstallationen in Ordnung waren. Das hat<br />
dann zur Folge gehabt, dass wir bei Visitationen nicht beanstandet wurden. Zu den<br />
286
Visitationen ist immer ein Hofrat von der Hauptprüfungsstelle gekommen, ein gefürchteter<br />
Mann. Er ist also gekommen und hat gesagt: „Also richtet’s ma alles her zum Nehmen von<br />
Proben für die Untersuchung, zehn Sachen, ich sag es Ihnen an. Also das ist zunächst<br />
alles, was bei Ihnen aufgefallen ist.“ Sag ich: „Ja, verzeihen Sie, aber bei mir ist nichts<br />
aufgefallen.“ „So? Des gibt’s a? Aber heit find i wos.“ Nach zwanzig Minuten kommt der<br />
Apotheker und sagt: „Ich hab was gefunden.“ Dazu sagt der Hofrat: „Da steht keine<br />
Ablaufzeit drauf.“ Sag ich: „Ja, das stimmt, da steht keine drauf. Aber warum sollt eine<br />
draufstehen?“ „Weil’s vorgeschrieben ist.“ Sag ich: „Nein, Herr Hofrat, vorgeschrieben ist<br />
ein Erzeugungsdatum und das ist drauf.“ Es folgte dann, dass sie die Überprüfungszeit<br />
zuerst auf zwei, dann auf drei, dann auf vier Jahre verlängert haben.<br />
Das hat mir Spaß gemacht. Dabei ist diese Untersuchung von dem Material einmal was<br />
anderes, als nur vorn bei der Budl zu stehen, nicht. Ich hab es gern gemacht. Schon als<br />
Student hab ich gerne diese Sachen gemacht. Ich hab also als Student,<br />
Pharmaziestudent, wenn mir das zu wenig war, was man bei den Pharmazeuten gehört<br />
hat, habe ich am Hygieneinstitut bei zwei Dozenten, beide waren Juden, Vorlesungen<br />
gehört über Bakteriologie und solche Sachen. Ich habe dort erstaunliches erlebt. Einmal<br />
habe ich Cholerabakterien in der Hand gehabt, ein anderes Mal hat man uns sogar<br />
Pestbakterien gezeigt. Wir haben so viel gelernt bei diesen beiden Juden. Die wurden<br />
dann natürlich auch verfolgt, hoffentlich sind sie durchgekommen oder rechtzeitig weg. Die<br />
haben eine Freude gehabt, wenn sie einen finden, der eine Freude hat an dem, was sie<br />
arbeiten. Da möchte ich gleich in meinem alten Studentenausweis nachschauen, da ist ja<br />
ein Vorlesungsverzeichnis drinnen. Aber ich habe sehr viel schwarz gehört, also nicht<br />
ordnungsgemäß.<br />
Herr Doktor Nowotny, vielen Dank für das Gespräch.<br />
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