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Wagner- geburtstagskonzert II - Staatskapelle Dresden

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mit der neunten Symphonie für Chor und Orchester eine Auseinandersetzung<br />

mit den dunklen Seiten der deutschen Geschichte, deren Text Hans-Ulrich<br />

Treichel nach dem Roman »Das siebte Kreuz« von Anna Seghers verfasste,<br />

die von den Nationalsozialisten in die Emigration gezwungen wurde.<br />

Ein zweites wesentliches Schaffensmerkmal des Komponisten Hans<br />

Werner Henze ist die künstlerische Auseinandersetzung mit der Tradition,<br />

ja mit den Musiksprachen der Vergangenheit selbst, und das sowohl durch<br />

Bearbeitungen als auch in seinen eigenen Werken. Dieses Einbringen »alter«<br />

Traditionen, Muster oder gar Vorlagen hat Henze bereits 1963 in einem<br />

Aufsehen erregenden Vortrag begründet und verteidigt: »Alte Formen erscheinen<br />

mir, so könnte ich sagen, wie klassische Schönheitsideale, nicht<br />

mehr erreichbar, aber doch in großer Form sichtbar, Erinnerung belebend<br />

wie Träume, aber der Weg zu ihnen ist von größtem Dunkel des Zeitalters<br />

erfüllt, der Weg zu ihnen ist das Schwerste und das Unmöglichste. Mir erscheint<br />

er als die einzige Narretei, für die es sich lohnt zu leben.«<br />

Und so trat Henze immer wieder mit Bearbeitungen »alter« Komponisten<br />

hervor, zunächst 1951 mit einem Ballett nach Tschaikowsky, 1967 mit<br />

einem Orchesterwerk nach Telemann, dann 1976 mit Richard <strong>Wagner</strong>s »Wesendonck-Liedern«,<br />

Carissimis »Jephte« sowie »Don Chisciotte della Mancia«<br />

nach Lorenzi und Paisiello, gefolgt 1977 von einer konzertanten Komposition<br />

nach Tomaso Antonio Vitali, ehe er 1981 Monteverdis »Il ritorno d’Ulisse<br />

in patria« als »freie Rekonstruktion« vorlegte. 1982 arrangierte er Carl Philipp<br />

Emanuel Bach, 1988 und 1995 Karl Amadeus Hartmann, 1991 Mozart,<br />

1992 Paisiello, 1998/1999 »Richard <strong>Wagner</strong>sche Klavierlieder« und 2003<br />

Vivaldis Oper »Montezuma«. Richard <strong>Wagner</strong> hatte er aber auch schon in<br />

Eigenkompositionen seine Reverenz erwiesen: 1973 in dem als »Préludes für<br />

Klavier, Tonbänder und Orchester« bezeichneten Klavierkonzert »Tristan«,<br />

dem 2003 die Präludien zu »Tristan« für Klavier nachfolgten. Das aus Anlass<br />

der Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag von Richard <strong>Wagner</strong> für 2013 geplante,<br />

dann aber nicht mehr fertiggestellte Orchesterwerk »Isoldes Tod«, das<br />

Henze für die Sächsische <strong>Staatskapelle</strong> und ihren Chefdirigenten Christian<br />

Thielemann schreiben wollte, hätte an diese Thematik direkt angeschlossen.<br />

Henze hat seinen tiefen inneren Bezug zu Richard <strong>Wagner</strong> einmal<br />

genauestens umrissen, als er sich im Zuge der Ausarbeitung seiner »Bassariden«<br />

nach Euripides’ »Bacchantinnen« auf Wunsch des Textdichters<br />

W.H. Auden intensiv mit <strong>Wagner</strong>s Opernschaffen beschäftigte: »Ich hatte<br />

das Werk <strong>Wagner</strong>s aus einer gewissen Scheu immer gemieden. Diese Scheu<br />

aber fand Auden geradezu lächerlich. Mir ist natürlich klar, was <strong>Wagner</strong><br />

bedeutet, worin seine Größe besteht, und der ›Tristan‹, den ich … genau<br />

studiert habe, ist inzwischen eine Art Evangelium für mich geworden.«<br />

Kurze Zeit später bearbeitete Henze <strong>Wagner</strong>s »Wesendonck-Lieder« für Alt<br />

und Kammerorchester.<br />

Henzes »Fraternité«: eine »Millenniums-Botschaft«<br />

Anstelle der geplanten Komposition »Fraternité«,<br />

»Isoldes Tod« gelangt im heutigen Air pour l’orchestre<br />

Programm das Orchesterwerk »Fraternité«<br />

zur Aufführung, das Henze<br />

entstanden<br />

Frühjahr 1999<br />

1999 im Auftrag der New York Phil -<br />

Uraufführung<br />

harmonic Society für deren Orchester<br />

und den damaligen Chefdiri-<br />

11. November 1999 in New York<br />

(New York Philharmonic,<br />

genten Kurt Masur schrieb; die<br />

Dirigent: Kurt Masur)<br />

Uraufführung fand am 11. November<br />

1999 in der New Yorker Avery<br />

Besetzung<br />

Fisher Hall statt. Henze fasste Entstehung<br />

und Intention des Werkes<br />

3 Flöten (3. auch Altflöte),<br />

2 Oboen, Englischhorn,<br />

2 Klarinetten, Bassklarinette,<br />

seinerzeit in einem kurzen Text<br />

3 Fagotte (3. auch Kontrafagott),<br />

zusammen: »Im Oktober 1997 erhielt<br />

6 Hörner, 3 Trompeten, 5 Posaunen,<br />

ich eine Einladung von Kurt Masur,<br />

Tuba, Pauken, Schlagzeug, Harfe,<br />

dem Musikdirektor des ›New York Celesta, Klavier, Streicher<br />

Philharmonic‹, eine musikalische<br />

Botschaft für das kommende Millennium beizusteuern. Maestro Masurs Brief<br />

lautete: ›Mein Traum wäre, daß Sie uns ein 10 bis 15 Minuten dauerndes Werk<br />

zur Verfügung stellen, das sowohl für sich allein stehen als auch mit musikalischen<br />

Botschaften anderer Komponisten kombiniert werden kann, die wir<br />

zu einem vollen Konzertabend zusammenstellen würden.‹ Ich begrüßte die<br />

Gelegenheit, eine von sechs einzigartigen Perspektiven zu dieser kollektiven<br />

Erforschung des neuen Millenniums beisteuern zu können ... Meine Millenniums-Botschaft<br />

›Fraternité‹, Air for Orchestra, kann am besten als ruhiges<br />

und sanftes Werk beschrieben werden, in dem alle Instrumente des Orchesters<br />

wie eines sind ... und zum Lobe von Harmonie und Frieden singen.«<br />

Der Titel des Werkes, »Fraternité« (»Brüderlichkeit«), unterstreicht<br />

das Anliegen Henzes, das neue Millennium möge ein Zeitalter von »Harmonie<br />

und Frieden« sein, mit jenem französischen Wort, das 200 Jahre zuvor sowohl<br />

der Deklaration der Menschenrechte als auch der französischen Revolution<br />

als ein Leitspruch diente. Auch der im Partiturdruck französische Untertitel<br />

»Air pour l’orchestre« deutet auf die »französische Wurzel« der Haltung des<br />

Komponisten, die zugleich Absage an Ungerechtigkeit, Diktatur und Rassismus<br />

ist. Ein vielstimmiges Orchester, dessen Klanglichkeit durch eine große<br />

Blechbläserbesetzung, durch Harfe, Celesta und Klavier sowie durch Pauken<br />

und Schlagzeug überaus reiche und unterschiedliche Facetten bzw. Farben<br />

einbringt, trägt dieses Anliegen bald mit kammermusikalischer Transparenz,<br />

bald mit polyphoner Dichte, bald mit blockartiger Wucht vor, wobei<br />

die weiten, gleichsam unaufhörlich aussingenden Bögen der Violinen dem<br />

34 35 <strong>Wagner</strong>-Geburtstagskonzert <strong>II</strong>

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