Berliner Zustände - Mbr
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Rassistische<br />
Diskriminierung<br />
hat viele<br />
Gesichter<br />
Ein Bericht aus der<br />
Beratungs praxis<br />
Von Nuran YIĞ IT und Moritz Schelkes (ADNB)<br />
Diskriminierung im Bildungsbereich,<br />
beim Zugang zu Clubs und<br />
Diskotheken sowie im Gesundheitsbereich<br />
sind Themen, die die<br />
Beratungsarbeit des ADNB im letzten<br />
Jahr geprägt haben. Dabei sind<br />
es nicht nur die einzelnen Fälle,<br />
die betrachtet und verändert werden<br />
müssen, sondern die Ebene der<br />
Strukturen und Diskurse, die mit<br />
den konkreten Diskriminierungen<br />
korrespondieren. Aus ihr können<br />
wir ableiten, welche Handlungsmöglichkeiten<br />
es in den verschiedenen<br />
Kontexten gibt bzw. wo diese<br />
zu kurz greifen oder beschnitten<br />
werden.<br />
Der Entwicklung der Vorjahre folgend nahm auch<br />
2011 die Zahl der Ratsuchenden beim ADNB des TBB<br />
noch einmal zu. Die steigenden Fallzahlen sprechen<br />
dafür, dass Beratung gegen Diskriminierung und<br />
für Empowerment in Berlin nicht nur absolut nötig,<br />
sondern auch weiter auszubauen ist, wie etwa mit<br />
der erfolgreichen Einrichtung des Netzwerks gegen<br />
Diskriminierung von Muslimen geschehen.<br />
Diskriminierung im Bildungsbereich<br />
Die Qualität der Neutralität des Staates und seiner<br />
Institutionen ist seit Jahren und Jahrzehnten Gegenstand<br />
juristischer Aushandlungen, in denen es<br />
um die Einhaltung des Grundgesetzes und anderer<br />
Gesetze geht, die die Diskriminierung von »Minderheiten«<br />
verhindern oder ahnden soll. Doch der Staat<br />
und seine Institutionen verfügen auch über eine<br />
konkrete Praxis – gerade in den staatlichen Bildungseinrichtungen<br />
–, wo von den Beteiligten Grenzen<br />
ausgelotet und strukturelle Rahmenbedingungen<br />
umgesetzt werden. Nicht selten wird hier die institutionelle<br />
durch interpersonelle Diskriminierung<br />
komplementiert.<br />
So wurden uns im letzten Jahr mehrere Fälle bekannt,<br />
in denen Schüler_innen of Color 1 von Lehrer_innen<br />
regelrecht rassistisch gemobbt und beleidigt<br />
wurden, oder zu hören bekamen, dass sie<br />
ohnehin keine Chance hätten. Daneben gab es in<br />
der Beratung einzelne Fälle, in denen Schüler_innen<br />
oder Eltern, die ihr Recht auf negative Religionsfreiheit<br />
einforderten und bspw. an bestimmten religiös<br />
geprägten außerunterrichtlichen Feiern nicht teilnahmen,<br />
hierfür gemaßregelt wurden. Die beteiligten<br />
Lehrer_innen positionierten sich hier häufig<br />
als nicht-religiös, forderten von den Schüler_innen<br />
jedoch zugleich das Einhalten 'kultureller' Traditionen,<br />
ohne deren Ursprung in christlichen Bräuchen<br />
zu reflektieren.<br />
Von besonderer Bedeutung im Schulkontext ist,<br />
dass betroffene Schüler_innen und Eltern hier aus<br />
Angst vor negativen Konsequenzen häufig vor einer<br />
Beschwerde und der Einforderung ihrer Rechte<br />
zurückschrecken. Daher fordern wir ein klares<br />
Beschwerdemanagement und ein ähnlich dem<br />
Viktimisierungsverbot für den Arbeitsbereich im<br />
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§16 AGG)<br />
gelagerten Schutz vor Maßregelung, der verhindert,<br />
dass Lehrer_innen oder andere Schulverantwortliche<br />
aus ihrer Machtposition heraus Beschwerden<br />
mit schlechten Noten oder sonstigen Diskriminierungen<br />
bestrafen. Im Bildungsbereich gibt es jedoch<br />
bisher nur zögerliche Veränderungen (wenn überhaupt),<br />
fehlt doch im Allgemeinen das Problembewusstsein.<br />
Zugangsverweigerungen zu Clubs<br />
und Diskotheken<br />
Zugangsverweigerungen zu Clubs und Diskotheken<br />
sind ein Paradebeispiel für intersektionale Diskriminierungen<br />
und stellen zugleich eine Alltagsrealität<br />
für viele junge Männer of Color in Berlin dar (siehe<br />
Artikel von Gladt e.V.). Dabei sind es überwiegend<br />
Anfang bis Mitte zwanzig Jahre alte, durch Rassifizierungsprozesse<br />
als »südländisch«<br />
oder »orientalisch« aussehend<br />
konstruierte Männer<br />
of Color, denen an Club- oder<br />
Discotüren der Eintritt verweigert<br />
wird. Dies passiert meist<br />
auf eine vermeintlich neutrale<br />
Art, also mit vorgeschobenen<br />
Argumenten oder ganz ohne Begründung. Den Türsteher_innen<br />
ist also häufig durchaus bewusst, dass<br />
sie gegen geltende Diskriminierungsverbote verstoßen.<br />
Zugleich haben die Betroffenen ein ausgesprochen<br />
ausgefeiltes Sensorium für die Prozesse, die<br />
an der Tür ablaufen und erkennen oft schon in der<br />
Warteschlange, ob eine diskriminierende Türpolitik<br />
verfolgt wird. Dabei reichen häufig statistische Beobachtungen<br />
(wer kommt rein und wer nicht) um<br />
zu erkennen, was für eine Art von »ausgewogener<br />
Mischung« die jeweiligen Clubbetreiber_innen herzustellen<br />
suchen.<br />
Da die Beweise für eine Diskriminierung vor dem<br />
Hintergrund der oben geschilderten Ausgangslage<br />
häufig nicht als gerichtsfest betrachtet werden,<br />
stellt ein bedeutender Teil der Beratungs- und In-<br />
»Taktiken im Umgang<br />
mit einer<br />
diskriminierenden<br />
Tür.«<br />
terventionspraxis das gemeinsame Sammeln von<br />
Indizien dar. Dies können Gespräche mit anderen<br />
Betroffenen, aber auch sogenannte Testings (Yiğ it/<br />
Andrades Vazquez/Yazar, 2010, verwendete Quellen<br />
siehe »Weiterführende Literatur«) sein, bei denen<br />
Test- und Kontrollgruppen versuchen, einen Club<br />
zu betreten. Zugleich geht es in der Beratung immer<br />
wieder um Taktiken im Umgang mit einer diskriminierenden<br />
Tür; bspw. wie auf die häufig bewusst gesetzten<br />
Provokationen reagiert werden kann, ohne<br />
die Zuschreibung aggressiv zu sein, zu bedienen. Ziel<br />
ist es dabei nicht, Wut und Ärger, die ja durchaus<br />
begründet sind, zu unterdrücken, sondern vielmehr<br />
einen Weg zu finden, handlungsfähig zu bleiben.<br />
Eine Handlungsmöglichkeit besteht dabei darin,<br />
die Polizei zu rufen. Laut des ehemaligen Polizeipräsidenten<br />
Herrn Glietsch sind Polizeibeamt_innen in<br />
solchen Fällen verpflichtet, die Situation beweisfest<br />
zu sichern und evtl. Strafanzeige aufzunehmen.<br />
Leider endet die Intervention<br />
der Polizei jedoch häufig in<br />
einem Achselzucken und dem<br />
Verweis auf das vermeintlich<br />
uneingeschränkte Hausrecht<br />
der_des Veranstaltenden,<br />
wenn nicht sogar in einer Kriminalisierung<br />
der betroffenen<br />
Person(en). Trotzdem sollten diese auf ihr Recht bestehen,<br />
dass mindestens die Namen der Türsteher_<br />
innen protokolliert werden. Falls sich die Polizeibeamt_innen<br />
weigern, sollten die Betroffenen sich<br />
deren Dienstnummer geben lassen, um später eine<br />
Beschwerde einzulegen. Positive Erfahrungen haben<br />
wir 2011 mit Gewerbeämtern gemacht, die auf<br />
unseren Hinweis zu diskriminierende Türpolitiken<br />
hin selbst aktiv geworden sind und die betreffenden<br />
Clubs angeschrieben haben. Grundlage hierfür<br />
ist das Gewerberecht, das bei einem groben Verstoß<br />
gegen die Auflagen der Gewerbeerlaubnis das Gewerbeamt<br />
dazu ermächtigt, diese – als ultima ratio<br />
– entziehen zu können (Klose, 2010).<br />
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