Berliner Zustände - Mbr
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Der Westen ist<br />
unter Belichtet<br />
Zahl im Westen<br />
erstmals höher als<br />
im Osten<br />
Von ReachOut<br />
ReachOut, die <strong>Berliner</strong> Beratungsstelle<br />
für Opfer rechter, rassistischer<br />
und antisemitischer Gewalt,<br />
verzeich nete für das Jahr 2011 insgesamt<br />
158 Angriffe in Berlin. Dabei<br />
wurden 229 Menschen verletzt,<br />
gejagt und/oder massiv bedroht.<br />
Mindestens 50 der betroffenen<br />
Per sonen sind Frauen. Im Jahr<br />
2010 wurden 109 Angriffe registriert.<br />
Somit ist für das Jahr 2011<br />
ein massiver Anstieg von Gewalttaten<br />
zu verzeichnen, so dass die<br />
höchsten Zahlen seit 2006 erreicht<br />
wurden.<br />
Mit 70 Angriffen ist Rassismus das mit Abstand häufigste<br />
Tatmotiv (2010: 57). Jeweils 32 Angriffe richteten<br />
sich gegen Linke (2010: 20) beziehungsweise Homosexuelle<br />
(2010: 10). Neun Angriffe richteten sich<br />
gegen nicht-rechte, alternative Jugendliche und Erwachsene<br />
(2010: 10), fünf Angriffen lag Antisemitismus<br />
als Motiv zugrunde (2010: 8).<br />
Während rassistisch motivierte Angriffe häufig von<br />
Täter_innen ausgeübt werden, die äußerst brutal ihrem<br />
Alltagsrassismus Ausdruck verleihen und nicht<br />
der Nazi-Szene angehören, sind die Angriffe gegen<br />
Linke in den meisten Fällen der organisierten Neonaziszene<br />
zuzurechnen.<br />
Der Großteil der Angriffe fand im öffentlichen Raum<br />
(2011: 80, 2010: 58) und in öffentlichen Verkehrsmitteln<br />
und Bahnhöfen (2011: 40, 2010: 27) statt. Verhältnismäßig<br />
stark gestiegen ist die Zahl der Angriffe<br />
am Arbeitsplatz (2011: 9, 2010: 1); während im<br />
unmittelbaren Wohnumfeld 13 Gewalttaten verübt<br />
wurden (2010: 14). Dennoch fordern die Angriffe im<br />
unmittelbaren Wohnumfeld besondere Aufmerksamkeit,<br />
da diese für die Betroffenen schwerwiegende<br />
Auswirkungen haben können, weil ihnen<br />
dadurch jede Rückzugsmöglichkeit genommen wird<br />
(vgl. »<strong>Berliner</strong> <strong>Zustände</strong> 2010«).<br />
Die regionale Verteilung in Berlin<br />
80 der 158 Angriffe fanden in Westberlin statt. Damit<br />
ist die Zahl der registrierten Gewalttaten in den<br />
Westbezirken erstmals seit Gründung der Opferberatungsstelle<br />
ReachOut vor mehr als zehn Jahren höher<br />
als in den Ostberliner Bezirken, wobei davon ausgegangen<br />
werden muss, dass die Dunkelziffer wesentlich<br />
höher liegt.<br />
Angriffsschwerpunkte in den Westberliner Bezirken<br />
liegen in Kreuzberg (17), Neukölln (15) und im Wedding<br />
(13). Während in Neukölln und im Wedding<br />
die meisten Angriffe rassistisch motiviert waren<br />
(Neukölln: 8, Wedding: 11), wurden in Kreuzberg die<br />
meisten Gewalttaten aus homophoben Gründen (7)<br />
verübt. Weitere Angriffe erfolgten in Kreuzberg vor<br />
allem aus rassistischen Motiven (4) oder zielten auf<br />
politische Gegner_innen (3). In den Ostbezirken registrierten<br />
wir die meisten Angriffe in Lichtenberg<br />
62<br />
(16), Friedrichshain (15), Mitte (12) und Prenzlauer<br />
Berg (10). In Lichtenberg richteten sich die meisten<br />
Gewalttaten gegen politische Gegner_innen oder<br />
hatten rassistische Gründe (jeweils 7).<br />
Betont werden muss noch einmal, dass erstmalig<br />
mehr Angriffe aus dem Westen der Stadt bekannt<br />
wurden. Dieser Fakt ist besonders brisant, da es hier<br />
weniger Kooperationspartner_innen gibt, die rechte,<br />
rassistische, antisemitische, homo- und transphobe<br />
Aktivitäten kontinuierlich recherchieren und dokumentieren.<br />
Deswegen muss davon ausgegangen<br />
werden, dass lediglich ein Bruchteil der tatsächlichen<br />
Gewalttaten bekannt wird und die Dunkelziffer<br />
in den Westbezirken erheblich höher liegt. Wir<br />
vermuten auch, dass die bestehenden Angebote im<br />
Westen noch immer weniger bekannt sind als im<br />
Ostteil der Stadt.<br />
Generell fehlt es den Ermittlungsbehörden, insbesondere<br />
der Polizei, noch immer an Einsicht und<br />
Willen, die zugrunde liegenden ideologischen Beweggründe<br />
der Täter_innen im Zusammenhang mit<br />
Straftaten zur Kenntnis und ernst zu nehmen.<br />
Deswegen ist eine beständige, kritische und wenn<br />
nötig skandalisierende Öffentlichkeitsarbeit nötig.<br />
Die Einrichtung von Registerstellen nach dem Vorbild<br />
der Ostbezirke ist dringend geboten. Gut ausgestattete<br />
Registerstellen haben durch die lokale Verankerung<br />
präzisere Kenntnisse über problematische<br />
Entwicklungen in den Stadtteilen. Sie dokumentieren<br />
auch Propagandadelikte, verfügen über ein Netz<br />
von Anlaufstellen und kooperieren mit lokalen Projekten.<br />
In Zusammenarbeit mit den überregionalen<br />
Beratungsprojekten ist es so möglich Tendenzen<br />
frühzeitig aufzuzeigen und öffentlich zu diskutieren.<br />
2008 148<br />
2009<br />
2010<br />
2011<br />
Tatmotivation 2008 - 2011<br />
Rassismus<br />
70 05 32 00 04 32 09 06<br />
Antisemitismus<br />
Homophobie<br />
Gegen Menschen mit Behinderung<br />
Gegen sozial Benachteiligte<br />
Gegen politische Gegner_innen<br />
Gegen nicht Rechte, Alternative<br />
Sonstige/Unklar<br />
102<br />
109<br />
158<br />
gesamt<br />
© ReachOut 2012