Berliner Zustände - Mbr
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Es brennt!<br />
Von Bianca Klose & Sebastian Wehrhahn (MBR)<br />
Die rechtsextreme Szene Berlins<br />
schreckt auch vor Brandanschlägen<br />
nicht zurück. Ziele sind die<br />
Verunsicherung von Engagier ten<br />
und der Ausbau der eigenen Wirkungs<br />
räume.<br />
Im Schattenbericht 2010 beschrieben die Autor/innen<br />
an dieser Stelle, dass die <strong>Berliner</strong> rechtsextreme<br />
Szene verstärkt zu gezielten Angriffen gegen engagierte<br />
Personen und alternative Projekte übergeht.<br />
Die Formel »Objektive Schwäche – Subjektive Gefahr«<br />
sollte damals die Gleichzeitigkeit von politischer<br />
Irrelevanz und zunehmender Bedrohung beschreiben.<br />
Diese Gleichzeitigkeit trifft auch auf die Entwicklung<br />
der rechtsextremen Szene in Berlin 2011 zu:<br />
Während weder NPD noch die »Autonomen Nationalisten«<br />
dazu in der Lage waren, jenseits von punktuellen<br />
Inszenierungen durch provokant gewählte<br />
Daten und/oder Orte breite mediale Aufmerksamkeit<br />
zu erreichen, hat sich die beschriebene Tendenz<br />
einer professionalisierten Anti-Antifa-Arbeit fortgesetzt.<br />
Trotz der im April 2011 erfolgten Indizierung der Seite<br />
NW-Berlin.net, die bis heute eine zentrale Funktion<br />
innerhalb der gewalttätigen rechtsextremen<br />
Szene einnimmt, gelang es den Rechtsextremen,<br />
durch die Auslagerung der fortlaufend aktualisierten<br />
»Feindesliste« auf eine andere Adresse die Bedrohung<br />
und Verleumdung von derzeit über 200 Menschen<br />
auch virtuell zu etablieren.<br />
Bedrohung von Engagierten<br />
Für die Betroffenen hat diese Bedrohung zwei Dimensionen:<br />
Zum einen sind die Verleumdungen<br />
als »Linkskriminelle«, »Alkoholiker«, »Gewalttäter«<br />
etc., die auf den Seiten des »Nationalen Widerstands<br />
Berlin« verbreitet werden, rufschädigend. In Zeiten,<br />
in denen die routinemäßige Abfrage von Suchergebnissen<br />
jedem Bewerbungsgespräch vorangeht, stellen<br />
derlei Einträge ein gewichtiges Problem dar.<br />
Die andere Dimension ist die der physischen Bedrohung.<br />
Nicht nur im virtuellen Raum, also in sozialen<br />
Netzwerken oder durch die Veröffentlichung von<br />
Email-Adressen, fühlen sich Betroffene oft schutzlos.<br />
Auch im »realen Leben« führt die Veröffentlichung<br />
von Name, Anschrift, Bild, Arbeitgeber etc.<br />
zu einer Gefährdung der Personen und zu einer massiven<br />
Verunsicherung im Alltag.<br />
2011 setzten sich die systematischen Aktionen fort,<br />
im Zuge derer erneut Scheiben eingeworfen und<br />
Schlösser zerstört, Morddrohungen und rechtsextreme<br />
Parolen an Hauswänden oder im Hausflur<br />
hinterlassen wurden. Im Vergleich zum Vorjahr<br />
lässt sich zudem eine qualitative Veränderung feststellen:<br />
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin<br />
(MBR) geht von mindestens neun erfolgten bzw.<br />
versuchten Brandstiftungen gegen politische Gegner/innen<br />
aus. Der Senat von Berlin zählt laut der<br />
Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten<br />
Peter Trapp immerhin sieben.<br />
Das Kinder- und Jugendzentrum Anton-Schmaus-<br />
Haus wurde beispielsweise gleich zweimal Ziel von<br />
Brandanschlägen. Auch diese<br />
Einrichtung findet sich auf<br />
der Liste des Nationalen Widerstands.<br />
Wenige Tage vor<br />
dem ersten Anschlag wurde in<br />
einem rechtsextremen Forum<br />
zudem eine Mail aus einem<br />
internen Verteiler des Nationalen<br />
Widerstands Berlin veröffentlicht,<br />
in der dazu aufgerufen<br />
wurde: »Brecht den Terror der Roten. Linke<br />
Lokalitäten sind auf der <strong>Berliner</strong> Widerstandsseite<br />
zu finden. Bewegt Eure Ärsche«.<br />
Wer hilft?<br />
Noch Monate nach den Anschlägen berichten Betreuer/innen<br />
der Einrichtung, dass das Gefühl der<br />
Verängstigung und Schutzlosigkeit bei Kindern, Jugendlichen,<br />
Angestellten und Eltern geblieben sei.<br />
Dieses Gefühl wird verstärkt durch die anhaltende<br />
Erfolglosigkeit von Polizei und Staatsanwaltschaft,<br />
die Täter/innen oder die Verantwortlichen für die<br />
Seite nw-berlin.net ausfindig zu machen. Wenn<br />
dann wenige Wochen nach dem Anschlag der (damals<br />
noch stellvertretende) Landesvorsitzende der<br />
NPD, Sebastian Schmidtke, auf einer Kundgebung<br />
im selben Bezirk unter frenetischem Beifall verkündet,<br />
dass »Zeckenhäuser« gebrannt haben, hinterlässt<br />
das bei den Betroffenen den Eindruck von Desinteresse<br />
seitens der Ermittlungsbehörden.<br />
»Nicht nur im<br />
virtuellen Raum<br />
fühlen sich<br />
Betroffene oft<br />
schutzlos.«<br />
Und tatsächlich nahm das <strong>Berliner</strong> LKA erst im<br />
Januar 2012 Kontakt zu den Personen auf, die auf den<br />
Seiten gelistet werden. Viele derer, die diese Briefe<br />
erhielten, waren längst u.a. von der MBR informiert<br />
worden. Vom LKA fühlten sie sich in ihrer Verunsicherung<br />
nicht ernst genommen: weder wurde in<br />
diesem ersten Schreiben ein persönliches Gespräch<br />
angeboten, noch wurde den Betroffenen empfohlen,<br />
ihre privaten Meldedaten behördlich für Abfragen<br />
sperren zu lassen. Die abschließende Einschätzung,<br />
es liege keine »konkrete Gefährdung« vor, verärgerte<br />
viele der Betroffenen zusätzlich.<br />
Auf der Ebene der politischen Propaganda fällt<br />
noch eine weitere Gleichzeitigkeit auf: Es ist kein<br />
Zufall, dass die rechtsextreme<br />
Szene ihre Hetze gegen ihre<br />
Gegner/innen mit »Recherche<br />
und Aktivitäten von Linkskriminellen<br />
in Berlin« betitelt.<br />
Sie nutzen damit eine<br />
gesellschaftliche Tendenz der<br />
Kriminalisierung von linkem<br />
und antifaschistischem Engagement.<br />
Zur Verdeutlichung:<br />
Nicht nur die Polizei verzeichnete 2011 einen drastischen<br />
Anstieg rechtsextremer Gewalt. Die Opferberatungsstelle<br />
ReachOut registrierte sogar 158 gewalttätige<br />
Angriffe und damit 98 mehr als die Polizei. Die<br />
politische Debatte 2011 war in Berlin jedoch deutlich<br />
stärker von der Angst vor »Linksextremismus« geprägt.<br />
Insbesondere die Diskussion um die zahlreichen<br />
Autobrandstiftungen, die nur zu einem sehr<br />
geringen Teil politisch motiviert waren, verstärkte<br />
diese Tendenz.<br />
Dass dieser Deutung selbst von der kommissarischen<br />
Polizeipräsidentin widersprochen wurde,<br />
hat ge nauso wenig zu einer Korrektur der öffentlichen<br />
Feind bestimmung geführt wie das Bekanntwerden<br />
der Morde des »Nationalsozialistischen<br />
Untergrunds «.<br />
Nicht wenige Engagierte und von rechtsextremer<br />
Gewalt Betroffene nehmen diese öffentliche Stimmung<br />
gegen eine angebliche »linksextreme Gefahr«<br />
als eine Kriminalisierung der eigenen Aktivität und<br />
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