GEMEINDEzeitung der Martin-Luther-Gemeinde, April/Mai 2013 Teil 1
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THEMA<br />
Ich hatte früher nie Heimweh<br />
Eine Neuköllnerin in Uganda<br />
Ich sage oft, man kann sich an vielen<br />
Orten dieser Welt heimisch fühlen, aber<br />
man hat nur ein Zuhause.<br />
Meines ist in einem roten Haus. In einer<br />
roten Kirche. Bei all ihren Bewohnern und<br />
Mitstreitern. Und das fehlt mir hier sehr<br />
häufig.<br />
Es mag wie ein Witz klingen, aber ich<br />
vermisse zum Beispiel sogar Brot. Unsere<br />
wun<strong>der</strong>bare deutsche Vielfalt an Brot,<br />
inklusive <strong>der</strong>, man mag es Tradition nennen,<br />
abends zusammen am Küchentisch zu sitzen<br />
mit einer Stulle auf dem Brettchen. Hier in<br />
Kampala in meinem neuen Zuhause wird<br />
zweimal am Tag warm gegessen und zwar<br />
ein gefühlter Mount Everest an Reis o<strong>der</strong><br />
Kartoffeln o<strong>der</strong> „Matooke“ (Kochbananen).<br />
Dann werden bei Tisch die Gespräche auch<br />
noch auf Luganda, <strong>der</strong> lokalen Sprache des<br />
Königreichs Buganda, in dem sich die Hauptstadt<br />
Kampala befindet, geführt, so dass<br />
ich mir oft wünsche für ein paar Stunden<br />
auf meinen alten Trip-Trap-Stuhl in unserer<br />
Küche in <strong>der</strong> Innstrasse apparieren und mich<br />
mit Mama und Papa und Maya und Maren<br />
über neueste Gegegebenheiten auf Deutsch<br />
in vertrauter, wohliger Stimmung austauschen<br />
zu können.<br />
Ich hatte früher nie Heimweh. Ich habe<br />
mich immer gefreut, wenn ich woan<strong>der</strong>s<br />
übernachten konnte und ich gehörte nie<br />
zu den Kin<strong>der</strong>n, die auf Klassenfahrt schon<br />
am ersten Abend vor Heimweh kaum noch<br />
ein o<strong>der</strong> aus wussten. Ich konnte außerdem<br />
bis vor Kurzem nicht verstehen, was an<strong>der</strong>e<br />
Freiwilligenkollegen damit meinten, wenn<br />
sie mir erzählten, ihr Heimweh würde durch<br />
Skype-Gespräche mit <strong>der</strong> Familie noch<br />
gesteigert werden. Mittlerweile geht es mir<br />
zum ersten mal in meinem Leben auch so.<br />
Wenn ich für eine Nacht bei einer Freundin<br />
geschlafen hatte o<strong>der</strong> für ein, zwei Wochen<br />
verreist war, konnte ich das sehr genießen,<br />
weil ich eben wusste, ich könnte relativ<br />
Meine Straße in Uganda<br />
schnell und spontan zurück gehen, wenn ich<br />
es wollte. Zurück nach Neukölln, durch die<br />
vertrauten Strassen, zurück in das rote Haus,<br />
zurück in mein Zimmer mit all meinen Sachen,<br />
meinen Büchern, zurück zu Mama und<br />
unseren Fernsehabenden, zurück auf meinen<br />
Kin<strong>der</strong>-Trip-Trap-Stuhl beim Essen, unserem<br />
Süßes-Fach im Schrank mit <strong>der</strong> einen immer<br />
verratenden knarzenden Tür, zurück zu<br />
Hannelore und ihrer kleinen, urigen Küche<br />
und all den an<strong>der</strong>en vielen Dingen. Aber das<br />
kann ich jetzt für ein Jahr nicht.<br />
Gestern zum Beispiel rief ich Papa an, da ich<br />
wissen wollte, wie Michael Kanias Trauerfeier<br />
von Statten gegangen war. Im Hintergrund<br />
vernahm ich ein mir sehr vertrautes und<br />
wenig geliebtes Geräusch – die Einparkhilfe<br />
unseres Audi, diesen überaus nervigen<br />
Piepton. Das war reichlich merkwürdig, so<br />
nahe wirkend dieses Geräusch zu hören und<br />
gleichzeitig zu wissen, dass <strong>der</strong> dazugehörige<br />
Ort sehr weit von mir entfernt liegt. Ich kann<br />
mir einerseits nicht vorstellen, Uganda zu<br />
verlassen und mich wie<strong>der</strong> in diesem Auto<br />
zu befinden, in die Innstrasse einzubiegen<br />
und mir die Ohren zuzuhalten, weil mich<br />
dieser Piepton nervt, auszusteigen und den<br />
schönen Mief Neuköllns in meiner Nase zu<br />
spüren, aber an<strong>der</strong>erseits erwarte ich diesen<br />
Moment sehnsüchtig.<br />
Foto: <strong>Mai</strong>ke Loerzer<br />
Mein neues Leben in Uganda zieht ganz<br />
an<strong>der</strong>e Bahnen, als das meiner Lieben<br />
zuhause in Deutschland. Das ist auch etwas.<br />
Natürlich erreichten mich die Nachrichten<br />
von Iris Bethkes und Michael Kanias Tod. Es<br />
bestürzte mich, aber ich vergaß es auch immer<br />
wie<strong>der</strong>. Ich versuche es mir immer wie<strong>der</strong><br />
in Erinnerung zu rufen, denn ich weiß,<br />
dass ihre Verwandten und Freunde gerade<br />
eine sehr schwere Zeit durchmachen und<br />
wäre ich zuhause hätte ich natürlich Anteil<br />
genommen, wäre eben letzten Freitag mit<br />
all den 400 an<strong>der</strong>en Menschen in unserer<br />
Kirche gewesen, um Abschied von diesem<br />
einzigartigen Mann zu nehmen, <strong>der</strong> so<br />
vielen Menschen eine Menge gegeben hat.<br />
Aber ich bin hier, auf einem an<strong>der</strong>en Kontinent,<br />
und es ist mir alles so fern. Ich werde<br />
im September zurück nach Berlin kommen,<br />
und wenn ich <strong>Martin</strong> <strong>Luther</strong>, mein zweites<br />
Zuhause seit Kin<strong>der</strong>gartentagen, betreten<br />
werde, werden diese zwei Menschen nicht<br />
mehr da sein, obwohl sie das doch immer<br />
waren, und das ist sehr schwer für mich zu<br />
begreifen. Man nimmt meistens selbstverständlich<br />
an, dass das eigene Zuhause sich<br />
nie verän<strong>der</strong>t, jedenfalls nicht gravierend.<br />
Und dann kann innerhalb eines Jahres doch<br />
einiges passieren ...<br />
<strong>Mai</strong>ke Loerzer<br />
4 <strong>Gemeinde</strong>zeitung <strong>April</strong>|<strong>Mai</strong> <strong>2013</strong>