WagnerHelmuth.pdf - Goethe-Universität
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„großen Koalition“ in der BRD zeichnete sich ein Wandel im Verhältnis beider deutscher<br />
Staaten ab. Die SED reagierte zunächst mit einer schroffen Kehrtwende. Es wurde das<br />
Trennende beider Deutscher Staaten betont, wohl weil man die Gefahr der Annäherung<br />
erkannte. Eine Vereinigung zwischen dem sozialistischen Vaterland und der vom<br />
Monopolkapitalismus beherrschten Bundesrepublik wurde für unmöglich erklärt. DDR-<br />
Außenminister Winzer behauptete sogar, dass der von Willy Brandt vorangetriebene<br />
Entspannungskurs „eine Aggression auf Filzlatschen“ 13 sei.<br />
Im Zuge dieser Abgrenzung wurden aus zahlreichen Organisations- und Institutsnamen die<br />
Begriffe deutsch oder Deutschland entfernt. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften<br />
nannte sich fortan Akademie der Wissenschaften der DDR, der Deutschlandsender hieß nun<br />
Stimme der DDR. Eine Verfassungsänderung im Jahre 1974 wandelte den Artikel 1, Satz 1<br />
der Verfassung von 1968 “Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat<br />
deutscher Nation“ in „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der<br />
Arbeiter und Bauern“ ab. Eine solche Abgrenzung schien dringend geboten. Es musste um<br />
jeden Preis vermieden werden, dass die zu Beginn der siebziger Jahre einsetzenden deutschdeutschen<br />
Vertragsverhandlungen in Moskau als Vorspiel für eine Annäherung an den<br />
ungleichen Nachbarn im Westen mißverstanden werden könnte. Am Anfang stand das im<br />
Dezember 1971 unterzeichnete Transitabkommen mit der BRD. Im Frühjahr 1972 folgte der<br />
Verkehrsvertrag und im Sommer begannen die Verhandlungen über den Grundlagenvertrag.<br />
Ziel der DDR war es, international Anerkennung als eigenständiger Staat zu gewinnen, wozu<br />
die völkerrechtliche Anerkennung durch die BRD notwendig war. Der Grundlagenvertrag<br />
beendete auch die westdeutsche „Hallstein-Doktrin“. Sie hatte den Staaten, die die DDR<br />
diplomatisch anerkannten, den Abbruch diplomatischer Beziehungen angedroht. Im<br />
September 1974 wurden beide deutsche Staaten in die UNO aufgenommen und saßen<br />
gleichberechtigt am Verhandlungstisch der KSZE-Konferenz in Helsinki.<br />
Für alle diese Erfolge zahlte die DDR einen hohen Preis. Der Einfluss des Westens nahm zu.<br />
Anders als von der SED vorausgesehen, ließen sich die Widersprüche langfristig nicht<br />
verdecken, so dass Spannungslinien in ihrem Verhältnis zu einem Großteil der Bevölkerung<br />
entstanden. Durch ihren ideologisch begründeten Anspruch, als Repräsentant der<br />
herrschenden Ordnung die Interessen des Volkes zu vertreten und die Avantgarde der mit<br />
einer historischen Mission versehenen Arbeiterklasse darzustellen, musste sie die aus ihrem<br />
Lavieren zwischen Westabgrenzung und Westorientierung entstehenden Widersprüche lösen.<br />
Indem die ostdeutsche Staatspartei über den Besuch westlicher Politiker und<br />
13 Ulrich Mählert, Kleine Geschichte der DDR, Seite 124<br />
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