WagnerHelmuth.pdf - Goethe-Universität
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Besuchergruppen sowie über Reisen ihrer Parteimitglieder in die westlichen Staaten stets<br />
ausführlich berichtete, lenkte sie die Aufmerksamkeit der DDR-Bürger gerade auf diese so<br />
fern erscheinenden Länder und demontierte auf diese Weise zum einen ihre eigene<br />
Feindbildpropaganda, steigerte zum anderen deren Attraktivität und beflügelte Hoffnungen<br />
auf eine Liberalisierung des Reiseverkehrs. Infolge ihrer geographischen Lage und der<br />
kapitalistischen Insel, West-Berlin, inmitten des Territoriums, fiel es der SED zudem<br />
besonders schwer, die DDR gegen konkurrierende Außeneinflüsse abzuschirmen.<br />
Dem steigenden Druck versuchte die SED durch großzügigere Reiseregelungen zu begegnen,<br />
weichte jedoch dadurch ihr eigenes System weiter auf.<br />
Der Einfluss des Westens nahm zu, die Anzahl der Reisen zwischen beiden Ländern schwoll<br />
an und immer mehr Bürger der DDR nahmen die von Honecker unterzeichnete Schlußakte<br />
von Helsinki beim Wort, in der sich die DDR Führung zur Respektierung der Grundrechte<br />
verpflichtet hatte, zu denen auch das Recht der Freizügigkeit zählte. Die Zahl der<br />
Ausreiseanträge stieg von 32000 Bürgern im Jahre 1984 auf 110000 im Jahre 1988. 14<br />
Es war die in der Weltgeschichte seltene Lage entstanden, dass aus einem Land viele Leute<br />
ausreisen wollten und das Nachbarland unbeschränkt die Ausreisenden aufnahm. Neben dem<br />
Ausreisedruck bestand also ein Einwanderungssog. Während einerseits in der DDR die<br />
Meinung herrschte, dass man „rausschmeißen sollte aus der DDR, was rauszuschmeißen geht,<br />
bevor sich noch mehr dieser Banditen überlegen, dass sie ihren Antrag auf Übersiedlung<br />
zurückziehen," 15 fürchtete man auf der anderen Seite sowohl den Verlust von Arbeitskräften<br />
wie auch den Nachahmungseffekt.<br />
Es ist zu erkennen, dass die SED mit ihrer Politik gegenüber dem Westen im eigenen Land<br />
Geister wachgerufen hatte, die sie langfristig nicht mehr bändigen konnte.<br />
2.2 Die Versorgungslage in der DDR<br />
Kein anderes Ostblockland hatte einen solch hohen Lebensstandard wie die DDR. Jeder dritte<br />
Haushalt verfügte 1984 über einen PKW, 90 % der Haushalte hatten eine Fernsehapparat, fast<br />
100 % einen Kühlschrank. Das ehrgeizige Wohnungsbauprogramm zeigte erste Resultate. Die<br />
Mieten, Strom- und Wasserpreise waren ebenso hoch subventioniert wie die<br />
Grundnahrungsmittel. Der Staat investierte große Summen in das Gesundheitswesen und das<br />
Bildungssystem. Staatliche und betriebliche Kinderkrippen und –horte erleichterten den<br />
Alltag junger Familien.<br />
14 a.a.O. Seite 132<br />
15 Protokoll der Dienstversammlung der BV-Leiter am 17.10.1989, Ast Chemnitz, AKG 435, Bl. 30, zitiert nach:<br />
Holger Horsch, Hat wenigstens die Stasi die Stimmung im Lande gekannt?, Berlin 1998, Seite 26<br />
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