Ausgabe 03/07 - Siemens Mobility

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Dilip Kumar aus Dankhar ist Bote, Vorleser und Übersetzer Post für den Adlerhorst Hoch über dem Zusammenfluss von Spiti und Pin thront das Dorf Dankhar an der Grenze zu Tibet Der Service der Post hat viele Gesichter: Während etwa in industrialisierten Ländern ein Paketautomat im Stadtteil den Endkunden in die Lage versetzt, sein Paket auch mitten in der Nacht abzuholen, hat der Postdienst in ländlichen Teilen der Welt eine ganz andere Ausprägung. Im Hinterland von Indien ist der Postbote Kommunikations- und Logistik-Dienstleister in einer Person. Heirate nicht in Dankhar. Besser noch, werde nicht in Dankhar geboren. Das Leben dort oben ist zu hart. Sprichwort aus Spiti Mit der Posttasche auf dem Rücken steigt Dilip Kumar einen Hang hinauf, so steil, dass man sich daran anlehnen möchte. Tief unter ihm zieht der Spiti-Fluss silberne Bänder durch bleiches, baumloses Land, in dem verstreut grüne Teppiche liegen: Erbsen- und Gerstenfelder, durch ein raffiniertes Bewässerungssystem urbar gemacht. Über der ungeheuerlichen Weite des Tals thront auf einem Grat in fast 4000 Meter Höhe Dankhar, das heute zu Indien zählt, einst Königsitz von Spiti, einem steinernen Reich an der Grenze zu Tibet. Der Dorfname bedeutet: „Ort, der für Fremde unerreichbar ist.“ Ein „Postmeister“ hütet das Amt Lieber würde Dilip Kumar unten im Tal leben, wo die Poststation und seine Felder liegen und wo die Leute am helllichten Tag stundenlang nichts tun. Aber er wurde vor 45 Jahren ganz oben auf dem Berg geboren, hat dort geheiratet und sieben Kinder bekommen. Geldtransport im handversiegelten Lederbeutel Newsletter SILOG News
Schwer erreichbar ist Dankhar noch immer. Für die Bauern, die ihre Ernte quälend langsam auf dem Rücken hinauf zu ihren Höfen balancieren. Für die Alten, die auf den steilen Pfaden weder Stufen noch Geländer finden. Für den Briefträger, der die Post jeden Tag aus dem Tal holen muss. Der Bote berät, liest vor und schreibt mit Das Postamt – vier Quadratmeter, kein Strom, kein Telefon – liegt verkehrsgünstig an der einzigen Straße, die Spiti mit der Außenwelt verbindet. Ein „Postmeister“ hütet das Amt und kümmert sich um die Postsäcke, die der Linienbus vor der Tür abwirft. An diesem Morgen hat er Kumar zwei Briefe überreicht, und eine Geldsendung: ein Ledersäckchen mit ein paar Scheinen darin, sorgsam mit Siegel und Vorhängeschloss gesichert, das Gewicht von 750 Gramm auf einem Begleitschein vermerkt. Vorschriften, die aus einer anderen Zeit und aus einem anderen Teil Indiens stammen müssen: Im buddhistischen Spiti kann sich niemand an einen Diebstahl erinnern. Dilip Kumar läuft den Weg zurück nach Dankhar in einer guten Stunde, dreimal schneller als Ungeübte. Um Zeit zu gewinnen, hat er sich kürzlich ein Motorrad gekauft – doch die schmale Straße, die sich über zehn Kilometer den Berg empor windet, ist derzeit wieder einmal durch Steinlawinen verschüttet. Und sie endet weit vor dem Dorf mit seinen krummen Gassen und Ziegenpfaden, für die es keine Namen gibt. Doch der Briefträger weiß, wo er jeden der 300 Einwohner findet. „Großonkel Sonam, dein Sohn hat dir Geld geschickt“, ruft er in einen dunklen Hausflur, streift die Schuhe ab und betritt die Wohnküche. Vor dem Ofen in der Zimmermitte sitzt der Dorfälteste im Schneidersitz und spricht leise ein Mantra vor sich hin. Kumar zählt Scheine in die Hand des 82-Jährigen: „Davon sollst du zu essen kaufen und für dich sorgen.“ Dann nimmt er den Ofendeckel ab, schwärzt den rechten Daumen des Alten mit Ruß und drückt ihn auf eine Empfangsbestätigung. „Ich möchte mich noch bei meinem Sohn bedanken“, sagt der alte Mann und beginnt zu diktieren. Kumar schreibt mit, liest noch einmal vor und verspricht, den Brief mit dem nächsten Bus abzuschicken. Dilip Kumar beherrscht beide Sprachen Der nächste Adressat ist nicht zu Hause. Nie würde Kumar einen Brief einfach unter der Tür durchschieben, lieber kommt er wieder: „Was, wenn Kinder die Post für Müll halten und wegwerfen? Oder wenn der Empfänger den Brief nicht allein lesen kann?“ Nicht nur alten Menschen muss er oft beim Lesen und Schreiben helfen. Amtliche Post ist in Hindi geschrieben – in Spiti wird jedoch ein tibetischer Dialekt gesprochen, denn die Region hat lange zu Tibet gehört. Dilip Kumar beherrscht beide Sprachen, versteht sogar ein bisschen Englisch. Um schneller zu sein, hat sich Dilip Kumar ein Motorrad gekauft. Doch oft ist die Straße von Steinlawinen verschüttet Deshalb wurde er einst vom Bürgermeister als Briefträger vorgeschlagen. Ein begehrter Posten, der mit 60 Euro im Monat nicht gut bezahlt ist, aber die Chancen von Kumars Kindern erhöht, eines Tages selbst in den Staatsdienst zu treten. Auf dem Weg nach Hause hält ihn ein Nachbar an. „Dilip, warte bitte. Kannst du ein Einschreiben für mich aufgeben? Es eilt.“ Er gibt ihm Brief und Geld und lädt ihn zum Tee ein. Kumar winkt dankend ab: Er muss für die Kinder kochen, denn seine Frau übernachtet heute in einer Hütte bei den Feldern, um den weiten Weg zu sparen. Am nächsten Morgen wird Dilip Kumar wieder ins Tal laufen, für seinen Nachbarn einen Umschlag beschriften, mit einem Pinsel die Briefmarken aufkleben und abstempeln. Dann wird er eine Quittung schreiben und sie zurückbringen. „Niemand hier muss selbst ins Postamt kommen“, sagt Dilip Kumar. „Dafür haben die Leute in Dankhar keine Zeit.“ Der Briefträger (rechts) bringt auch Geld vorbei – und setzt postwendend Antwortschreiben auf Ines Possemeyer, Redakteurin der Zeitschrift GEO in Hamburg Newsletter SILOG News
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