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Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

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Die revolutionären Kräfte d<strong>er</strong> Leguminosen<br />

Entgegen Marx’ legendär<strong>er</strong> 11. Feu<strong>er</strong>bach-These<br />

spielt Feu<strong>er</strong>bach durchaus auf<br />

den revolutionären Gedanken an, dass eine<br />

V<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>ung d<strong>er</strong> gesellschaftlichen Lebensv<strong>er</strong>hältnisse<br />

und die V<strong>er</strong>wirklichung<br />

ein<strong>er</strong> bess<strong>er</strong>en Welt möglich <strong>ist</strong> – freilich<br />

ganz and<strong>er</strong>s, als d<strong>er</strong> Chefideologe d<strong>er</strong> proletarische<br />

Klasse Marx denkt: nämlich<br />

durch eine revolutionäre Ernährungspraxis.<br />

Ähnlich, wie b<strong>er</strong>eits d<strong>er</strong> sozial<strong>ist</strong>ische<br />

Utop<strong>ist</strong> Charles Fouri<strong>er</strong> 18 , realisi<strong>er</strong>t Feu<strong>er</strong>bach<br />

in sein<strong>er</strong> Auseinand<strong>er</strong>setzung mit<br />

Moleschotts naturwissenschaftlich<strong>er</strong> Ernährungslehre<br />

die „wichtige ethische und<br />

politische Bedeutung d<strong>er</strong> Lehre von den<br />

Nahrungsmitteln“. (Zur Ethik: <strong>D<strong>er</strong></strong> Eudämonismus,<br />

a.a.O.: 229) Das revolutionäre<br />

Potential d<strong>er</strong> Esspraxis soll in das politische<br />

Programm ein<strong>er</strong> v<strong>er</strong>bess<strong>er</strong>ten Ernährungspolitik<br />

münden, die den ex<strong>ist</strong>enziellen<br />

Zusammenhang zwischen Leben<br />

und Essen im Sein des ethischen Guten<br />

realisi<strong>er</strong>t. In diesem Kontext findet sich<br />

jene Stelle, wo Feu<strong>er</strong>bach seinen b<strong>er</strong>ühmt<br />

gewordenen Satz <strong>er</strong>stmals noti<strong>er</strong>t: „Wollt<br />

ihr das Volk bess<strong>er</strong>n, so gebt ihm statt<br />

Deklamationen gegen die Sünde bess<strong>er</strong>e<br />

Speisen. <strong>D<strong>er</strong></strong> <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong>, <strong>was</strong> <strong>er</strong> ißt.“<br />

(ebd.)<br />

<strong>D<strong>er</strong></strong> gastrosophische Revolutionär Feu<strong>er</strong>bach<br />

attacki<strong>er</strong>t als den größten Gegenspiel<strong>er</strong><br />

und die wirkungsstärkste Macht reaktionär<strong>er</strong><br />

Gesinnung – die Kartoffel. In dem<br />

populären Knollgewächs <strong>er</strong>kennt <strong>er</strong> aus <strong>er</strong>nährungsphysiologischen<br />

Gründen 19 ein<br />

„unmenschliches und naturwidriges Nahrungsmittel“,<br />

sof<strong>er</strong>n die Kartoffel das einzige<br />

od<strong>er</strong> doch hauptsächliche Nahrungsmittel<br />

<strong>ist</strong>. In d<strong>er</strong> programmatischen V<strong>er</strong>achtung<br />

d<strong>er</strong> Kartoffel-Stärke weiß sich<br />

Feu<strong>er</strong>bach mit Leibniz und Goethe in best<strong>er</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong>. 20 Im gleichen Ge<strong>ist</strong>e,<br />

wie 50 Jahre spät<strong>er</strong> die italienische Künstl<strong>er</strong>gruppe<br />

d<strong>er</strong> Futur<strong>ist</strong>en gegen die Nudelkultur<br />

als wahre Ursache <strong>für</strong> den sittlichge<strong>ist</strong>igen<br />

Z<strong>er</strong>fall ihres Landes kämpft,<br />

sieht d<strong>er</strong> von d<strong>er</strong> neuen positiv<strong>ist</strong>ischen<br />

Naturwissenschaft naiv bege<strong>ist</strong><strong>er</strong>te Philosoph<br />

in d<strong>er</strong> Kartoffel nicht die hochgepriesene<br />

Quelle d<strong>er</strong> (preußischen) Stärke, sond<strong>er</strong>n<br />

im Gegenteil den eigentlich tragischen<br />

Grund <strong>für</strong> die unpolitische Schwäche,<br />

allgemeine Trägheit und ge<strong>ist</strong>lose Unt<strong>er</strong>tänigkeit<br />

d<strong>er</strong> Deutschen, welche – deshalb<br />

– die h<strong>ist</strong>orische Chance d<strong>er</strong> 1848<strong>er</strong><br />

Revolution v<strong>er</strong>passten. Seine eigenwillige<br />

Analyse d<strong>er</strong> h<strong>ist</strong>orische Ereignisse lautet:<br />

„Dah<strong>er</strong> auch bei uns d<strong>er</strong> Sieg d<strong>er</strong> Reaktion,<br />

d<strong>er</strong> schmähliche V<strong>er</strong>lauf und Ausgang<br />

uns<strong>er</strong><strong>er</strong> sogenannten Märzrevolution;<br />

denn auch bei uns besteht d<strong>er</strong> größte<br />

Teil des Volks nur durch und aus Kartoffelstopf<strong>er</strong>n.“<br />

(Die Naturwissenschaft und die<br />

Revolution, a.a.O.: 229) Gegen dieses<br />

Elend <strong>ist</strong> ab<strong>er</strong> ein Kraut gewachsen: Rettung<br />

und ein echtes Potential an revolutionären<br />

Kräften sieht d<strong>er</strong> utop<strong>ist</strong>ische Trophologe<br />

greifbar nahe. Den konzeptuellen<br />

Formalismus sein<strong>er</strong> mat<strong>er</strong>ialen Moraltheorie<br />

des Guten ignori<strong>er</strong>end propagi<strong>er</strong>t <strong>er</strong> das<br />

primitiv-mat<strong>er</strong>ial<strong>ist</strong>ische Schlaraffenland<br />

d<strong>er</strong> grenzenlosen Leguminosen: „Ja, es<br />

gibt einen Stoff, d<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Bürge ein<strong>er</strong> bess<strong>er</strong>n<br />

Zukunft <strong>ist</strong>, den Keim zu ein<strong>er</strong> neuen,<br />

wenn auch langsamen und allmählichen,<br />

ab<strong>er</strong> um so solid<strong>er</strong>n Revolution enthält:<br />

Es <strong>ist</strong> d<strong>er</strong> Erbsenstoff. Er zeichnet<br />

sich durch seinen Reichtum an Phosphor<br />

aus, das Gehirn ab<strong>er</strong> kann ohne phosphorhaltiges<br />

Fett nicht bestehen, <strong>er</strong> <strong>ist</strong> üb<strong>er</strong>dem<br />

ein eiweißartig<strong>er</strong> Körp<strong>er</strong>, und zwar ein<br />

solch<strong>er</strong>, d<strong>er</strong> nicht nur den Kleb<strong>er</strong>gehalt des<br />

Brotes, sond<strong>er</strong>n auch den im Fleisch enthaltenen<br />

Fas<strong>er</strong>stoff bedeutend üb<strong>er</strong>trifft.“<br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 125

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