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Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

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Dr. Harald Lemke (Hamburg)<br />

Feu<strong>er</strong>bachs Stammtischthese od<strong>er</strong> zum Ursprung des Satzes:<br />

„<strong>D<strong>er</strong></strong> <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong>, <strong>was</strong> <strong>er</strong> <strong>isst</strong>“<br />

Mit Ludwig Feu<strong>er</strong>bach wenden wir uns<br />

dem Denk<strong>er</strong> und Autor des wohl me<strong>ist</strong>ziti<strong>er</strong>ten<br />

gastrosophischen Satzes zu; d<strong>er</strong><br />

These: „<strong>D<strong>er</strong></strong> <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong>, <strong>was</strong> <strong>er</strong> <strong>isst</strong>.“ Dabei<br />

bleibt es ganz ung<strong>er</strong>eimt, wieso eine<br />

inhaltliche Beschäftigung mit sein<strong>er</strong> <strong>kritische</strong>n<br />

Theorie d<strong>er</strong> menschlichen „Ess<strong>ist</strong>enz“<br />

bis heute ausgeblieben <strong>ist</strong>. Kaum ein<strong>er</strong><br />

kennt die philosophischen Hint<strong>er</strong>gründe<br />

dieses v<strong>er</strong>breiteten Diktums. 1 Von dem<br />

gesamten W<strong>er</strong>k Feu<strong>er</strong>bachs hat sich die<br />

Rezeption fast ausschließlich sein<strong>er</strong> Religionskritik<br />

gewidmet. 2 Und selbst noch<br />

die v<strong>er</strong>einzelten V<strong>er</strong>suche, die sich mit<br />

sein<strong>er</strong> <strong>Philosophie</strong> d<strong>er</strong> Leiblichkeit auseinand<strong>er</strong>setzen,<br />

lassen Feu<strong>er</strong>bachs wegweisende<br />

Gedanken zu ein<strong>er</strong> gastrosophischen<br />

Anthropologie un<strong>er</strong>wähnt. 3<br />

Grundsätze ein<strong>er</strong> <strong>Philosophie</strong> d<strong>er</strong> Zukunft:<br />

a ventre principium<br />

<strong>D<strong>er</strong></strong> <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong>, <strong>was</strong> <strong>er</strong> <strong>isst</strong> – in dies<strong>er</strong><br />

sprichwörtlich gewordenen Formel komprimi<strong>er</strong>t<br />

Feu<strong>er</strong>bach eine bahnbrechende<br />

und (im ursprünglichen Wortsinn) radikale<br />

Kritik an den anthropologischen<br />

Grundprämissen des philosophischen<br />

Denkens von Platon üb<strong>er</strong> Descartes bis<br />

Hegel, dessen Vorlesungen d<strong>er</strong> junge<br />

Qu<strong>er</strong>denk<strong>er</strong> besucht. Unt<strong>er</strong> dem Bann<strong>er</strong><br />

eines ‹Mat<strong>er</strong>ialismus› gräbt Feu<strong>er</strong>bach den<br />

tragenden Säulen d<strong>er</strong> traditionellen <strong>Philosophie</strong><br />

das klassische Fundament ab: Jenem<br />

alten, „supranatural<strong>ist</strong>ischen“ Idealismus,<br />

welch<strong>er</strong> <strong>für</strong> die Trennung und Üb<strong>er</strong>höhung<br />

d<strong>er</strong> Seele gegenüb<strong>er</strong> dem Leib, des<br />

Ge<strong>ist</strong>es gegenüb<strong>er</strong> dem Körp<strong>er</strong>, d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>nunft<br />

gegenüb<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Natur, des Bewusstseins<br />

gegenüb<strong>er</strong> dem Sein sorgt. In d<strong>er</strong><br />

1846 <strong>er</strong>schienenen Streitschrift «Wid<strong>er</strong><br />

den Dualismus von Leib und Seele,<br />

Fleisch und Ge<strong>ist</strong>» wett<strong>er</strong>t d<strong>er</strong> stürmische<br />

Neu<strong>er</strong><strong>er</strong>, dessen Schriften seine Zeitgenossen<br />

Karl Marx und Friedrich Engels – trotz<br />

all<strong>er</strong> Unt<strong>er</strong>schiede – als „eine wirkliche<br />

theoretische Revolution“ <strong>er</strong>leben 4 , gegen<br />

die ideal<strong>ist</strong>ische Vorstellung, wonach sich<br />

die menschliche Wirklichkeit allein im<br />

Ge<strong>ist</strong>e abspielt: „<strong>D<strong>er</strong></strong> Leib <strong>ist</strong> die Ex<strong>ist</strong>enz<br />

des <strong>Mensch</strong>en; den Leib nehmen, heißt die<br />

Ex<strong>ist</strong>enz nehmen; w<strong>er</strong> nicht mehr sinnlich<br />

<strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> nicht mehr.“ 5 Die »Grundsätze<br />

d<strong>er</strong> <strong>Philosophie</strong> d<strong>er</strong> Zukunft« formuli<strong>er</strong>en<br />

das Programm ein<strong>er</strong> systematischen<br />

Aufw<strong>er</strong>tung d<strong>er</strong> bislang v<strong>er</strong>achteten und<br />

entwürdigten menschlichen Sinnlichkeit<br />

bzw. Leiblichkeit: „Wenn die alte <strong>Philosophie</strong><br />

zu ihrem Ausgangspunkt den Satz<br />

hatte: Ich bin ein abstraktes, ein nur denkendes<br />

Wesen, d<strong>er</strong> Leib gehört nicht zu<br />

meinem Wesen; so beginnt dagegen die<br />

neue <strong>Philosophie</strong> mit dem Satze: Ich bin<br />

ein wirkliches, ein sinnliches Wesen; ja<br />

d<strong>er</strong> Leib in sein<strong>er</strong> Totalität <strong>ist</strong> mein Ich,<br />

mein Wesen selb<strong>er</strong>. <strong>D<strong>er</strong></strong> alte Philosoph<br />

dachte dah<strong>er</strong> in einem fortwährenden Wid<strong>er</strong>spruch<br />

und Had<strong>er</strong> mit den Sinnen, um<br />

die sinnlichen Vorstellungen abzuwehren,<br />

die abstrakten Begriffe nicht zu v<strong>er</strong>unreinigen;<br />

d<strong>er</strong> neue Philosoph dagegen denkt<br />

im Einklang und Frieden mit den Sinnen.“<br />

6 Zu seinem Programm ein<strong>er</strong> emanzipatorischen<br />

Sinnlichkeit <strong>er</strong>läut<strong>er</strong>t d<strong>er</strong><br />

mat<strong>er</strong>ial<strong>ist</strong>ische Dialektik<strong>er</strong> Feu<strong>er</strong>bach<br />

weit<strong>er</strong>, die alte <strong>Philosophie</strong> gestünde die<br />

Wahrheit d<strong>er</strong> Sinnlichkeit durchaus ein,<br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 117

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