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Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

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ab<strong>er</strong> nur v<strong>er</strong>steckt, „nur begrifflich, nur<br />

unbewußt und wid<strong>er</strong>willig, nur weil sie<br />

musste“. Im Wid<strong>er</strong>spruch zu dies<strong>er</strong> rational<strong>ist</strong>ischen<br />

V<strong>er</strong>fälschung d<strong>er</strong> menschlichen<br />

Sinnlichkeit an<strong>er</strong>kennt seine, die<br />

neue <strong>Philosophie</strong> „die Wahrheit d<strong>er</strong> Sinnlichkeit<br />

mit Freuden, mit Bewußtsein: sie<br />

<strong>ist</strong> die offenh<strong>er</strong>zig sinnliche <strong>Philosophie</strong>.“<br />

(ebd.) Entscheidend <strong>für</strong> die vorliegende<br />

Betrachtung <strong>ist</strong> nun die Tatsache, dass<br />

Feu<strong>er</strong>bach diese neue <strong>Philosophie</strong> anhand<br />

d<strong>er</strong> Sinnlichkeit des Essens konkretisi<strong>er</strong>t:<br />

„Sinnlich <strong>ist</strong> d<strong>er</strong> b<strong>er</strong>auschende Wein, ab<strong>er</strong><br />

sinnlich <strong>ist</strong> auch das <strong>er</strong>nücht<strong>er</strong>nde Wass<strong>er</strong>,<br />

sinnlich <strong>ist</strong> die Üppigkeit und Schwelg<strong>er</strong>ei<br />

eines Alkibiades, ab<strong>er</strong> sinnlich <strong>ist</strong><br />

auch die Armut und Barfüßigkeit eines<br />

Phokion; sinnlich <strong>ist</strong> die Gänseleb<strong>er</strong>pastete,<br />

an d<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Mat<strong>er</strong>ial<strong>ist</strong> La Mettrie starb,<br />

ab<strong>er</strong> sinnlich sind auch die G<strong>er</strong>stenklöße<br />

und die schwarze Suppe spartanisch<strong>er</strong><br />

Enthaltsamkeit.“ 7 So basi<strong>er</strong>t – wie wir im<br />

weit<strong>er</strong>en sehen w<strong>er</strong>den – d<strong>er</strong> Satz, ‹d<strong>er</strong><br />

<strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong>, <strong>was</strong> <strong>er</strong> <strong>isst</strong>›, auf d<strong>er</strong> bislang<br />

nicht rezipi<strong>er</strong>ten Feu<strong>er</strong>bach-These: Die<br />

Philosophen haben das Essen nur v<strong>er</strong>schieden<br />

negi<strong>er</strong>t; es kommt ab<strong>er</strong> darauf<br />

an, es zu v<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>n.<br />

In sein<strong>er</strong> euphorischen Besprechung des<br />

zu dies<strong>er</strong> Zeit g<strong>er</strong>ade <strong>er</strong>schienenen Buches<br />

»Lehre d<strong>er</strong> Nahrungsmittel« von Jakob<br />

Moleschott, d<strong>er</strong> in ein<strong>er</strong> populärwissenschaftlichen<br />

Sprache die Resultate d<strong>er</strong> mod<strong>er</strong>nen<br />

(Stoffwechsel-)Chemie und Ernährungsphysiologie<br />

präsenti<strong>er</strong>t, führt Feu<strong>er</strong>bach<br />

aus: „Ich beginne meine Denunziation<br />

mit d<strong>er</strong> <strong>Philosophie</strong> und behaupte, daß<br />

diese Schrift, obgleich sie nur von Essen<br />

und Trinken handelt, den in den Augen<br />

uns<strong>er</strong><strong>er</strong> supranatural<strong>ist</strong>ischen Scheinkultur<br />

niedrigsten Akten, doch von d<strong>er</strong> höchsten<br />

philosophischen Bedeutung und Wichtigkeit<br />

<strong>ist</strong>. Ja, ich gehe weit<strong>er</strong> und behaupte,<br />

daß nur sie die wahren ‹Grundsätze d<strong>er</strong><br />

<strong>Philosophie</strong> d<strong>er</strong> Zukunft› und Gegenwart<br />

enthält, daß wir in ihr die schwi<strong>er</strong>igsten<br />

Probleme d<strong>er</strong> <strong>Philosophie</strong> gelöst finden.“ 8<br />

Entsprechend dies<strong>er</strong> programmatischen<br />

Umw<strong>er</strong>tung d<strong>er</strong> W<strong>er</strong>te und Neubestimmung<br />

d<strong>er</strong> philosophischen Grundbegriffe<br />

reformuli<strong>er</strong>t Feu<strong>er</strong>bach die gastrosophischen<br />

Grundsätze eines anthropologischen<br />

Mat<strong>er</strong>ialismus: „Was haben sich nicht<br />

sonst die Philosophen den Kopf z<strong>er</strong>brochen<br />

mit d<strong>er</strong> Frage von dem Bande zwischen<br />

dem Leibe und d<strong>er</strong> Seele! ... Was<br />

haben sich nicht die Philosophen mit d<strong>er</strong><br />

Frage gequält: Was <strong>ist</strong> d<strong>er</strong> Anfang d<strong>er</strong><br />

<strong>Philosophie</strong>? Ich od<strong>er</strong> Nicht-Ich, Bewußtsein<br />

od<strong>er</strong> Sein? Oh, ihr Toren, die ihr vor<br />

laut<strong>er</strong> V<strong>er</strong>wund<strong>er</strong>ung üb<strong>er</strong> das Rätsel des<br />

Anfangs den Mund aufsp<strong>er</strong>rt und doch<br />

nicht seht, daß d<strong>er</strong> offene Mund d<strong>er</strong> Eingang<br />

ins Inn<strong>er</strong>e d<strong>er</strong> Natur <strong>ist</strong>, daß die Zähne<br />

schon längst die Nüsse geknackt haben,<br />

worüb<strong>er</strong> ihr noch heute euch v<strong>er</strong>geblich<br />

den Kopf z<strong>er</strong>brecht!“ Aus dies<strong>er</strong><br />

ontologischen Kehre im Seinsprinzip leitet<br />

sich eine radikale Ford<strong>er</strong>ung auch <strong>für</strong><br />

das Erkenntnisprinzip ab: „Damit muß<br />

man anfangen zu denken, womit man anfängt<br />

zu ex<strong>ist</strong>i<strong>er</strong>en. Das principium essendi<br />

<strong>ist</strong> auch das principium cognoscendi.<br />

<strong>D<strong>er</strong></strong> Anfang d<strong>er</strong> Ex<strong>ist</strong>enz <strong>ist</strong> ab<strong>er</strong> die Ernährung,<br />

die Nahrung also d<strong>er</strong> Anfang d<strong>er</strong><br />

Weisheit. Die <strong>er</strong>ste Bedingung, daß du<br />

et<strong>was</strong> in dein H<strong>er</strong>z und deinen Kopf<br />

bringst, <strong>ist</strong>, daß du et<strong>was</strong> in deinen Magen<br />

bringst. »A Jove principium« [von<br />

Jupit<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Anfang], hieß es sonst, ab<strong>er</strong><br />

jetzt heißt es: »A ventre principium« [vom<br />

Bauch d<strong>er</strong> Anfang].“ (Die Naturwissenschaft<br />

und die Revolution, a.a.O.: 222)<br />

Die Nähe von Feu<strong>er</strong>bachs gastrosophisch<strong>er</strong><br />

Archäologie zu Epikurs Hedonis-<br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 118

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