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Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

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(ebd.) 21 Auch wenn sich diese kommun<strong>ist</strong>ische<br />

Utopie d<strong>er</strong> fleischlos-satten Bäuche,<br />

zugegeben<strong>er</strong>maßen und zurückhaltend<br />

gesagt, grotesk ausnimmt und weit<br />

phantastisch<strong>er</strong> klingt, als die alt<strong>er</strong>native<br />

V<strong>er</strong>sion – Marxens Hoffnung auf den Aufstand<br />

d<strong>er</strong> arbeitenden Massen in ihrem<br />

V<strong>er</strong>langen nach bess<strong>er</strong>en Lebens- (und Ernährungs-)bedingungen<br />

–, so belässt es<br />

Feu<strong>er</strong>bach imm<strong>er</strong>hin nicht dabei, die revolutionäre<br />

Praxis nur von den and<strong>er</strong>en,<br />

„den armen Schluck<strong>er</strong>n“, den proletarischen<br />

Kartoffelstopf<strong>er</strong>n und Kartoffelopf<strong>er</strong>n,<br />

22 zu <strong>er</strong>warten. Sein Manifest d<strong>er</strong><br />

planetarischen Diät – im übrigen ein Tagtraum,<br />

dem heute noch nachgehangen<br />

wird 23 – richtet sich ausnahmslos an alle<br />

und jeden, mithin an sich selbst und seinesgleichen.<br />

„Auch wir, die wir unv<strong>er</strong>dient<strong>er</strong>weise<br />

so glücklich sind, nicht allein<br />

von Kartoffeln zu leben, müssen die<br />

Lehre d<strong>er</strong> Nahrungsmittel zu uns<strong>er</strong><strong>er</strong><br />

Richtschnur nehmen, wenn wir einen guten<br />

Grund zu ein<strong>er</strong> neuen Revolution legen<br />

wollen. Die Diät <strong>ist</strong> die Basis d<strong>er</strong><br />

Weisheit und Tugend, d<strong>er</strong> männlichen,<br />

muskelkräftigen, n<strong>er</strong>venstarken Tugend;<br />

ab<strong>er</strong> ohne Weisheit und Tugend gedeiht<br />

keine Revolution.“ (Die Naturwissenschaft<br />

und die Revolution, a.a.O.: 230)<br />

Bem<strong>er</strong>kensw<strong>er</strong>t<strong>er</strong>weise gibt die <strong>Philosophie</strong>geschichte<br />

kein<strong>er</strong>lei aufschlussreiche<br />

Auskünfte üb<strong>er</strong> Feu<strong>er</strong>bachs eigene Küche<br />

und den Bauch dieses Philosophen zu b<strong>er</strong>ichten.<br />

(Ein Sachv<strong>er</strong>halt, d<strong>er</strong> ausnahmsweise<br />

Feu<strong>er</strong>bach mit Hegel und Marx eint,<br />

ganz im Unt<strong>er</strong>schied zu den Selbstv<strong>er</strong>sorg<strong>er</strong>n<br />

Kant und Nietzsche: womit b<strong>er</strong>eits<br />

ein v<strong>er</strong>steckt<strong>er</strong> Hinweis auf die nahe liegenden<br />

Gründe gefallen <strong>ist</strong>.) V<strong>er</strong>mutlich<br />

ab<strong>er</strong> würde sich, wüsste man mehr darüb<strong>er</strong>,<br />

nur d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>dacht bestätigen, dass hi<strong>er</strong><br />

kein kulinarisch<strong>er</strong> Praktik<strong>er</strong> spricht, und<br />

dass die v<strong>er</strong>tretene politische Ethik und<br />

Lebenskunst des guten Essens nicht mehr<br />

<strong>ist</strong>, als ein gut gemeintes Schreibtischprodukt<br />

männlich<strong>er</strong> Weisheit und Tugend.<br />

Doch wenden wir uns einem and<strong>er</strong>en, <strong>er</strong>giebig<strong>er</strong>en<br />

und d<strong>er</strong> Entdeckung auch würdigen<br />

Aspekt von Feu<strong>er</strong>bachs <strong>Philosophie</strong><br />

zu: seinem gastrosophischen Naturv<strong>er</strong>ständnis.<br />

<strong>Mensch</strong>w<strong>er</strong>dung d<strong>er</strong> Natur<br />

Für Feu<strong>er</strong>bach implizi<strong>er</strong>t die anthropologische<br />

Einsicht, dass d<strong>er</strong> <strong>Mensch</strong> essen<br />

muss und Sein Essen heißt, eine naturphilosophische<br />

Dimension. Denn in dem ess<strong>ist</strong>enziellen<br />

Wesen des <strong>Mensch</strong>en zeigt<br />

sich, dass <strong>er</strong> ein Teil d<strong>er</strong> Natur <strong>ist</strong> und ein<br />

natürliches Wesen inkarni<strong>er</strong>t. Daraus folgt:<br />

Wie <strong>für</strong> das Subjekt die Nahrung d<strong>er</strong> reale<br />

(mat<strong>er</strong>iale) „Anfang d<strong>er</strong> Weisheit“ <strong>ist</strong>,<br />

„so <strong>ist</strong> notwendig auch d<strong>er</strong> objektiv begründete<br />

Anfang, die wahre Basis d<strong>er</strong><br />

<strong>Philosophie</strong>, die Natur.“ 24 Während d<strong>er</strong><br />

h<strong>ist</strong>orische Mat<strong>er</strong>ialismus von Marx die<br />

menschliche Arbeit in d<strong>er</strong> anthropologischen<br />

Beschreibung des <strong>Mensch</strong>-Natur-<br />

Metabolismus ins Zentrum rückt, setzt d<strong>er</strong><br />

‹natural<strong>ist</strong>ische Anthropologe›, wie sich<br />

Feu<strong>er</strong>bach in diesem Kontext selbst bezeichnet,<br />

bei d<strong>er</strong> Ernährungspraxis an. <strong>D<strong>er</strong></strong><br />

naturphilosophischen Fundi<strong>er</strong>ung sein<strong>er</strong><br />

Anthropologie geht es folglich nicht darum,<br />

sich in die bodenlosen Spekulationen<br />

ein<strong>er</strong> theoretischen Naturbetrachtung zu<br />

v<strong>er</strong>wickeln. An Sokrates’ und Hippokrates’<br />

Kritik des spekulativen Naturbegriffs<br />

d<strong>er</strong> traditionellen Metaphysik anknüpfend,<br />

begreift Feu<strong>er</strong>bach seine gastrosophische<br />

Anthropologie als praktische Naturphilosophie:<br />

Eine philosophische Wissenschaft,<br />

die ihren <strong>er</strong>kenntn<strong>ist</strong>heoretischen Ausgangspunkt<br />

aus d<strong>er</strong> Lebenspraxis (des<br />

Essens als Naturpraxis) h<strong>er</strong>leitet. Dieses<br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 126

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