Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie
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zug. Mit dies<strong>er</strong> Erfahrung wurde plötzlich<br />
deutlich, daß d<strong>er</strong> <strong>Mensch</strong> nicht allein<br />
od<strong>er</strong> primär ein V<strong>er</strong>nunftwesen <strong>ist</strong>, sond<strong>er</strong>n<br />
daß <strong>er</strong> ein leibliches Wesen <strong>ist</strong>. Das<br />
Umweltproblem <strong>ist</strong> deshalb primär eine<br />
Frage d<strong>er</strong> Beziehung des <strong>Mensch</strong>en zu<br />
sich selbst. Es stellt die Aufgabe, die Natur,<br />
die wir selbst sind, d.h. den menschlichen<br />
Leib in uns<strong>er</strong> Selbstbewußtsein zu<br />
integri<strong>er</strong>en.“ (ebd.) 38<br />
Im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes<br />
muss auf die Erört<strong>er</strong>ung v<strong>er</strong>zichtet w<strong>er</strong>den,<br />
wie Feu<strong>er</strong>bachs naturphilosophisch<br />
begründete und gastrosophisch ausg<strong>er</strong>ichtete<br />
Anthropologie d<strong>er</strong> menschlichen Umweltleiblichkeit<br />
ihre Analyse des ess<strong>ist</strong>enziellen<br />
Naturv<strong>er</strong>hältnisses weit<strong>er</strong> v<strong>er</strong>tieft.<br />
Dazu wären jene ideologischen, nämlich<br />
mythologischen und theologischen Implikationen<br />
desselben kritisch einzubeziehen,<br />
welche Feu<strong>er</strong>bach zufolge mit d<strong>er</strong> ex<strong>ist</strong>enziellen<br />
Grund<strong>er</strong>fahrung des <strong>Mensch</strong>seins,<br />
als umweltliches, sich <strong>er</strong>nährendes Wesen<br />
von d<strong>er</strong> Natur wohl od<strong>er</strong> übel abhängig<br />
zu sein, im unmittelbaren Zusammenhang<br />
stehen. Diese tiefengastrosophische Analyse<br />
nimmt sich Feu<strong>er</strong>bach in seinen umfangreichen<br />
religions<strong>kritische</strong>n Studien<br />
vor. Sie w<strong>er</strong>den uns im folgenden nur soweit<br />
beschäftigen können, wie sie zu einem<br />
„gastrotheologischen“ V<strong>er</strong>ständnis<br />
des Wesens d<strong>er</strong> Religion sowie des – vor<br />
allem in d<strong>er</strong> antiken und chr<strong>ist</strong>lichen Religiosität<br />
präsenten – Mythos vom Gott-<br />
Essen beitragen und d<strong>er</strong> Aufklärung d<strong>er</strong><br />
göttlichen Kunst, gut und menschenwürdig<br />
zu essen, dienen.<br />
Opf<strong>er</strong>mahl und Gött<strong>er</strong>speise<br />
In dem Unt<strong>er</strong>titel, den Feu<strong>er</strong>bach sein<strong>er</strong><br />
Abhandlung üb<strong>er</strong> «Das Geheimnis des<br />
Opf<strong>er</strong>s» gibt, taucht <strong>er</strong>neut die Formel auf:<br />
«<strong>D<strong>er</strong></strong> <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong>, <strong>was</strong> <strong>er</strong> <strong>isst</strong>». Diese V<strong>er</strong>bindung<br />
lenkt den Ursprung dies<strong>er</strong> Formel<br />
also auf die Frage, <strong>was</strong> d<strong>er</strong> wahre Sinn<br />
des Speiseopf<strong>er</strong>s sei, die sich Feu<strong>er</strong>bach<br />
in diesem Text nachgeht. Zu Beginn wird<br />
<strong>er</strong>wähnt, dass die religions<strong>kritische</strong> Rekonstruktion<br />
des Speiseopf<strong>er</strong>s es <strong>er</strong>mögliche,<br />
„sogleich einen Gegenstand d<strong>er</strong><br />
Gastrologie (Lehre vom Magen, vom Gaumen)<br />
zu einem Gegenstand d<strong>er</strong> Theologie,<br />
freilich damit auch einen Gegenstand<br />
d<strong>er</strong> Theologie zu einem Gegenstand d<strong>er</strong><br />
Gastrologie“ zu machen. 39 Damit wird die<br />
Analyse ein<strong>er</strong> „Gastrotheologie“ (ebd.: 49)<br />
in Angriff genommen, die am Beispiel d<strong>er</strong><br />
kultischen Praxis des antiken Opf<strong>er</strong>mahls<br />
eine religions<strong>kritische</strong> Fallstudie <strong>für</strong> die<br />
gastrosophische Erkenntnis, dass „d<strong>er</strong><br />
<strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong>, <strong>was</strong> <strong>er</strong> <strong>isst</strong>“ durchführt. Darüb<strong>er</strong><br />
hinaus wendet Feu<strong>er</strong>bach seine (oben<br />
b<strong>er</strong>eits angesprochenen) naturphilosophischen<br />
Einsichten religionsphilosophisch<br />
an. Vorzugsweise an d<strong>er</strong> griechischen Mythologie<br />
40 v<strong>er</strong>deutlicht Feu<strong>er</strong>bach anhand<br />
d<strong>er</strong> religiösen Opf<strong>er</strong>praxis die eminente<br />
Bedeutung des Essens. Kurz und knapp<br />
wird das Geheimnis des Opf<strong>er</strong>s gelüftet<br />
und d<strong>er</strong> Sinnzusammenhang zwischen<br />
Kult und Kost benannt: „Opf<strong>er</strong>n heißt, die<br />
Gött<strong>er</strong> speisen.“ (ebd.: 35) Als mat<strong>er</strong>ial<strong>ist</strong>ischen<br />
Hint<strong>er</strong>grund des heidnischen<br />
Opf<strong>er</strong>mahls macht d<strong>er</strong> Religionsphilosoph<br />
im wesentlichen zwei Sachv<strong>er</strong>halte aus:<br />
Die Dankbarkeit gegenüb<strong>er</strong> dem Opf<strong>er</strong><br />
und die L<strong>ist</strong> d<strong>er</strong> Selbstv<strong>er</strong>gött<strong>er</strong>ung.<br />
Bevor auf diese beiden ‹Geheimnisse› des<br />
klassischen Opf<strong>er</strong>mahls näh<strong>er</strong> eingegangen<br />
w<strong>er</strong>den kann, scheint es angebracht,<br />
einen von Feu<strong>er</strong>bach selb<strong>er</strong> kaum b<strong>er</strong>ücksichtigten<br />
Gedankengang voranzuschikken,<br />
welch<strong>er</strong> den sachlichen Konnex zwischen<br />
Gastrotheologie und Naturphilosophie<br />
h<strong>er</strong>stellt. Mit Bezug auf Hom<strong>er</strong> <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>t<br />
d<strong>er</strong> Religionsforsch<strong>er</strong> daran, dass die<br />
Aufklärung und Kritik 1/2004 131