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Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

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Freiheitsbegriff. Während die moralphilosophische<br />

Tradition die menschliche<br />

Freiheit (des Willens) in dem strikten und<br />

kategorischen Gegensatz zur natürlichen<br />

Notwendigkeit des Essens und d<strong>er</strong> damit<br />

v<strong>er</strong>bundenen leiblichen Bedürfnisse denkt,<br />

wid<strong>er</strong>spricht eine gastrosophische Ethik<br />

diesem unbegründeten Dogmatismus: „Ich<br />

kann z.B. von dies<strong>er</strong> od<strong>er</strong> jen<strong>er</strong> Speise<br />

»abstrahi<strong>er</strong>en«, ab<strong>er</strong> nicht von jed<strong>er</strong> Speise,<br />

nicht von d<strong>er</strong> Speise üb<strong>er</strong>haupt; ich<br />

muß essen, wenn ich nicht zugrunde gehen<br />

will. Ab<strong>er</strong> diese Notwendigkeit empfinde<br />

ich, solange ich wenigstens noch bei<br />

V<strong>er</strong>stand und Natur bin, nicht im Wid<strong>er</strong>spruch<br />

mit meinem Wesen und Willen;<br />

denn ich bin nun einmal ein d<strong>er</strong> Nahrung<br />

bedürftiges Wesen. Ich kann mich nicht<br />

ohne dieses Bedürfnis denken, und es fällt<br />

mir dah<strong>er</strong> auch gar nicht ein, meine Freiheit<br />

in die Abwesenheit od<strong>er</strong> V<strong>er</strong>neinung<br />

desselben zu setzen.“ (Üb<strong>er</strong> Spiritualismus<br />

und Mat<strong>er</strong>ialismus: 232)<br />

Es gibt eine Freiheit im Essen, nicht vom<br />

Essen: Erst wenn man sich klarmacht, dass<br />

d<strong>er</strong> Umstand, aus physisch<strong>er</strong> Notwendigkeit<br />

essen zu müssen, den <strong>Mensch</strong>en<br />

durchaus nicht die praktische Freiheit<br />

raubt, selbst zu bestimmen und selbst zu<br />

gestalten, <strong>was</strong> sie essen wollen, gewinnt<br />

man einen allgemeinen ethischen Begriff<br />

d<strong>er</strong> Esskultur als ein<strong>er</strong> humanen Praxis d<strong>er</strong><br />

Freiheit. Insof<strong>er</strong>n besteht die kulinarische<br />

Selbst<strong>er</strong>füllung unt<strong>er</strong> and<strong>er</strong>em darin, „daß<br />

ich diese od<strong>er</strong> jene Speise nicht essen<br />

kann, wenn ich sie nicht essen will; daß<br />

ich nicht abhängig von gewissen Speisen,<br />

nicht unglücklich, nicht auß<strong>er</strong> mir vor Ärg<strong>er</strong><br />

bin, wenn ich sie entbehre; daß ich<br />

essen kann, <strong>was</strong> nur imm<strong>er</strong> in die Sphäre,<br />

in die Gattung eines menschlichen Nahrungsmittels<br />

fällt.“ (ebd.) Wegen dieses<br />

Freiheitsv<strong>er</strong>mögens <strong>ist</strong> die menschliche<br />

Ess<strong>ist</strong>enz g<strong>er</strong>ade nicht gleichzusetzen mit<br />

d<strong>er</strong> ti<strong>er</strong>ischen Bedürfnisbefriedigung,<br />

denn „d<strong>er</strong> Magen des <strong>Mensch</strong>en, so v<strong>er</strong>ächtlich<br />

wir auf ihn h<strong>er</strong>abblicken, <strong>ist</strong> kein<br />

ti<strong>er</strong>isches, sond<strong>er</strong>n menschliches, weil<br />

univ<strong>er</strong>sales, nicht auf bestimmte Arten<br />

von Nahrungsmitteln eingeschränktes<br />

Wesen. Eben darum <strong>ist</strong> d<strong>er</strong> <strong>Mensch</strong> frei<br />

von d<strong>er</strong> Wut d<strong>er</strong> Freßbegi<strong>er</strong>de, mit welch<strong>er</strong><br />

das Ti<strong>er</strong> üb<strong>er</strong> seine Beute h<strong>er</strong>fällt.“<br />

(Grundsätze d<strong>er</strong> <strong>Philosophie</strong> d<strong>er</strong> Zukunft,<br />

a.a.O.: §53) <strong>D<strong>er</strong></strong> traditionellen Polarisi<strong>er</strong>ung<br />

zwischen d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>nunft moralisch<strong>er</strong><br />

Selbstbestimmung und dem Essen als animalischem<br />

Trieb hält Feu<strong>er</strong>bach einen<br />

gastrosophischen Freiheitsbegriff entgegen,<br />

d<strong>er</strong> all<strong>er</strong><strong>er</strong>st die Sittlichkeit und V<strong>er</strong>nunft<br />

d<strong>er</strong> menschlichen Ess<strong>ist</strong>enz würdigt.<br />

Mit unausgesprochen<strong>er</strong> Anspielung auf<br />

Platons Rede vom Hung<strong>er</strong>bauch als wildem<br />

Ti<strong>er</strong> heißt es in den Grundsätzen d<strong>er</strong><br />

<strong>Philosophie</strong> d<strong>er</strong> Zukunft: „Das sittliche<br />

und v<strong>er</strong>nünftige V<strong>er</strong>hältnis des <strong>Mensch</strong>en<br />

zum Magen besteht dah<strong>er</strong> auch nur darin,<br />

denselben nicht als ein viehisches, sond<strong>er</strong>n<br />

menschliches Wesen zu behandeln. W<strong>er</strong><br />

mit dem Magen die <strong>Mensch</strong>heit abschließt,<br />

den Magen in die Klasse d<strong>er</strong> Ti<strong>er</strong>e<br />

v<strong>er</strong>setzt, d<strong>er</strong> reduzi<strong>er</strong>t den <strong>Mensch</strong>en im<br />

Essen zur Bestialität.“ (§53) So wenig, wie<br />

Feu<strong>er</strong>bach d<strong>er</strong> konstrui<strong>er</strong>ten Antinomie<br />

von Freiheit des Willens v<strong>er</strong>sus Notwendigkeit<br />

d<strong>er</strong> Ernährung, menschlich<strong>er</strong> V<strong>er</strong>nunft<br />

v<strong>er</strong>sus animalisch<strong>er</strong> Bedürfnisnatur<br />

folgt, so sehr argumenti<strong>er</strong>t <strong>er</strong> da<strong>für</strong>, die<br />

Freiheit des <strong>Mensch</strong>en nicht durch die<br />

Gegenüb<strong>er</strong>stellung von Sinnlichkeit und<br />

Ge<strong>ist</strong>igkeit zu begründen. Stattdessen geht<br />

es um die anthropologische Einsicht, dass<br />

sich die menschliche Freiheit üb<strong>er</strong> „sein<br />

ganzes Wesen“ (ebd.) <strong>er</strong>streckt. Aufgrund<br />

dies<strong>er</strong> Ganzheitlichkeit od<strong>er</strong> Univ<strong>er</strong>salität<br />

ihres Wesens eignet den <strong>Mensch</strong>en auch<br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 120

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