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Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

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Geschmacksvorlieben and<strong>er</strong><strong>er</strong>seits unt<strong>er</strong>nimmt<br />

Feu<strong>er</strong>bach weit<strong>er</strong>e Korrekturen an<br />

geläufigen Vorurteilen und v<strong>er</strong>kürzenden<br />

Dualismen, die dazu beitragen, den B<strong>er</strong>eich<br />

des Kulinarischen als unphilosophisch<br />

zu diskrediti<strong>er</strong>en.<br />

Erst das Essen dann die Moral – des<br />

Essens<br />

So wehrt sich d<strong>er</strong> Hedon<strong>ist</strong> gegen Kants<br />

rigorose Trennung d<strong>er</strong> Moral vom Glück,<br />

des sittlich Richtigen vom eudämon<strong>ist</strong>isch<br />

Guten (i.S. „des Angenehmen“ eines rein<br />

subjektiven Wohlgefallens), und nimmt<br />

darin aktuelle Diskussionen d<strong>er</strong> philosophischen<br />

Moraltheorie vorweg. Wie das<br />

Angenehme durchaus auch moralisch gut<br />

sein kann, so braucht umgekehrt auch das<br />

moralisch Richtige nicht nur unangenehme<br />

Pflicht, sond<strong>er</strong>n kann auch wohlgefällig<br />

und eine Lust sein – wie beispielsweise<br />

die Praxis des guten Essens und das<br />

Glück d<strong>er</strong> Gaumenfreuden: „Die Selbst<strong>er</strong>haltung<br />

<strong>ist</strong> nach d<strong>er</strong> Moral, auch nach<br />

d<strong>er</strong> Kantischen, eine Pflicht; folglich <strong>ist</strong><br />

auch das Essen, als ein notwendiges<br />

Selbst<strong>er</strong>haltungsmittel, Pflicht. Die Moral<br />

hat nun, nach Kant, nur die d<strong>er</strong> Pflicht<br />

d<strong>er</strong> Selbst<strong>er</strong>haltung entsprechenden Speisen<br />

zu ihrem Gegenstande, und Speisen,<br />

die zur Selbst<strong>er</strong>haltung genügen, sind<br />

gute; d<strong>er</strong> Glückseligkeitstrieb dagegen <strong>ist</strong><br />

ein Gourmand, <strong>er</strong> geht nur auf Speisen,<br />

die angenehm sind, die den Gaumen kitzeln,<br />

auf Leck<strong>er</strong>bissen aus, und Kant hat<br />

dah<strong>er</strong> recht: jed<strong>er</strong> hat seine eigene Glückseligkeit,<br />

d.h. seine eigenen Leck<strong>er</strong>bissen<br />

und Lieblingsspeisen. Ist denn ab<strong>er</strong> dies<strong>er</strong><br />

Leck<strong>er</strong>bissentrieb d<strong>er</strong> natur- und<br />

pflichtmäßige, d<strong>er</strong> demokratische, populäre<br />

Glückseligkeitstrieb? Stimmen nicht<br />

alle <strong>Mensch</strong>en darin üb<strong>er</strong>ein, daß sie vor<br />

allem ihren Hung<strong>er</strong> stillen wollen? Und<br />

<strong>ist</strong> nicht die bloße Stillung des Hung<strong>er</strong><br />

auch angenehm? Ist nur die Trüffelpastete<br />

od<strong>er</strong> Mandeltorte des Kantischen Glückseligkeitstriebes,<br />

nicht auch das trockene<br />

Brot d<strong>er</strong> Pflicht ein Leck<strong>er</strong>bissen, wenn<br />

man hungrig <strong>ist</strong>? Ist das Brot nicht so gut<br />

wie die Torte ein Gegenstand des Glückseligkeitstriebs?“<br />

(Zur Ethik: <strong>D<strong>er</strong></strong> Eudämonismus,<br />

a.a.O.: 257) Feu<strong>er</strong>bachs Moraltheorie<br />

des Glücks lehrt <strong>für</strong> sich genommen<br />

wed<strong>er</strong> das trockene Brot noch die<br />

Mandeltorte od<strong>er</strong> Trüffelpastete; sie v<strong>er</strong>fährt<br />

formal, indem sie – ohne inhaltlich<br />

vorzugeben, <strong>was</strong> jed<strong>er</strong> im einzelnen essen<br />

soll und welche Leck<strong>er</strong>bissen individuell<br />

gouti<strong>er</strong>t wird – schlichtweg ein allgemein<br />

Gutes aufzeigt, dessen voll<strong>er</strong> Genuss<br />

glücklich macht. Entgegen d<strong>er</strong> platonischen<br />

Antiküche und chr<strong>ist</strong>lich-asketischen<br />

V<strong>er</strong>achtung des kulinarischen Genusslebens,<br />

entgegen all<strong>er</strong> eilf<strong>er</strong>tigen Einwände<br />

und essensv<strong>er</strong>gessenen Denkgewohnheiten<br />

v<strong>er</strong>bindet sich in ein<strong>er</strong> gastrosophisch<br />

geglückten Lebenskunst, gut essen<br />

zu wissen, Ethik mit Ästhetik: „Die<br />

Moral v<strong>er</strong>dirbt und v<strong>er</strong>übelt uns nicht ...<br />

den ästhetischen Geschmack, den Wohlgeschmack<br />

an gut<strong>er</strong> ge<strong>ist</strong>ig<strong>er</strong> und leiblich<strong>er</strong><br />

Nahrung. Es <strong>ist</strong> also nicht unmoralisch,<br />

Gutes zu essen“ (ebd.). Die hedon<strong>ist</strong>ische<br />

Ethik reduzi<strong>er</strong>t den <strong>Mensch</strong>en nicht auf<br />

‹ti<strong>er</strong>ische› Funktionen, auf seine Leib-,<br />

Lust- od<strong>er</strong> Bedürfnisnatur, nicht darauf,<br />

nur zu leben um zu essen, wie imm<strong>er</strong> wied<strong>er</strong><br />

behauptet wird. Feu<strong>er</strong>bachs sokratische<br />

Gastrosophie <strong>er</strong>klärt das gute Essen<br />

zu ein<strong>er</strong> moralischen Tugend, ohne es zum<br />

einzigen Lebensinhalt zu v<strong>er</strong>absoluti<strong>er</strong>en.<br />

„Es <strong>ist</strong> keineswegs unmoralisch, Leck<strong>er</strong>bissen<br />

zu speisen, wenn man dazu die<br />

Mittel hat und darüb<strong>er</strong> nicht and<strong>er</strong>e Pflichten<br />

und Aufgaben v<strong>er</strong>säumt.“ (ebd.) 14 Die<br />

Ästhetik des guten Essens, wie sie von d<strong>er</strong><br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 123

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