Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie
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eudämon<strong>ist</strong>ischen Ethik Feu<strong>er</strong>bachs entworfen<br />
wird, beinhaltet entsprechend ihres<br />
Moralitätsprinzips einen Standpunkt<br />
d<strong>er</strong> sozialen G<strong>er</strong>echtigkeit, welch<strong>er</strong> ford<strong>er</strong>t,<br />
die v<strong>er</strong>fügbaren Nahrungsmittel mit<br />
and<strong>er</strong>en zu teilen. Auch in diesem g<strong>er</strong>echtigkeitstheoretischen<br />
Sinne <strong>ist</strong> es moralisch<br />
gut, gut zu essen; „ab<strong>er</strong> unmoralisch<br />
<strong>ist</strong> es, das Gute, das man sich gönnt, and<strong>er</strong>en<br />
zu entziehen od<strong>er</strong> nicht zu gönnen,<br />
nur den eigenen, nicht auch den Glückseligkeitstrieb<br />
d<strong>er</strong> and<strong>er</strong>en als eine b<strong>er</strong>echtigte<br />
Macht theoretisch und praktisch anzu<strong>er</strong>kennen,<br />
nicht das Unglück and<strong>er</strong><strong>er</strong><br />
wie eine V<strong>er</strong>letzung des eigenen Glückseligkeitstriebes<br />
sich zu H<strong>er</strong>zen zu nehmen.<br />
Tätige Teilnahme an and<strong>er</strong><strong>er</strong> Glück und<br />
Unglück ..., um womöglich, ... dem Übel<br />
abzuhelfen – das allein <strong>ist</strong> Moral.“ (Zur<br />
Ethik: <strong>D<strong>er</strong></strong> Eudämonismus, a.a.O.: 257) 15<br />
Von diesem g<strong>er</strong>echtigkeitstheoretischen<br />
Standpunkt aus <strong>ist</strong> es mit Feu<strong>er</strong>bach<br />
schließlich möglich, üb<strong>er</strong> eine sozialphilosophische<br />
Fassung des <strong>Mensch</strong>enrechts<br />
auf Nahrung hinaus zu gehen und den<br />
Rechtsbegriff ein<strong>er</strong> staatlichen V<strong>er</strong>sorgung<br />
mit (bloß quantitativ) ausreichendem Essen<br />
durch den ethischen Begriff des (qualitativ)<br />
guten, dem kulinarischen Wohl gemäßen<br />
Essen zu flanki<strong>er</strong>en. <strong>D<strong>er</strong></strong> gastrosophische<br />
Moralbegriff des Wohlessens <strong>er</strong>gänzt<br />
so das Grundrecht auf Sättigung (als<br />
Freiheit von Hung<strong>er</strong>) durch den Glücksaspekt<br />
des kulinarischen Genusses. Von<br />
diesem moralischen Standpunkt aus fällt<br />
es Feu<strong>er</strong>bach nicht schw<strong>er</strong>, sich konzeptuell<br />
stärk<strong>er</strong> auf Marx’ Kritik d<strong>er</strong> politischen<br />
Ökonomie als Ursache gesellschaftlichen<br />
Übels und Hung<strong>er</strong>elends bzw. von<br />
Fehl<strong>er</strong>nährung zu beziehen und auf den<br />
von Marx und Engels vorgetragenen Einwand<br />
zu reagi<strong>er</strong>en, sein anthropologisch<strong>er</strong><br />
Mat<strong>er</strong>ialismus würde die sozio-h<strong>ist</strong>orischen<br />
und politisch-ökonomischen Bedingungen<br />
<strong>für</strong> die praktische Freiheit ein<strong>er</strong><br />
alltäglichen Erfüllung des kulinarischen<br />
Glücks (unt<strong>er</strong> and<strong>er</strong>em) auß<strong>er</strong> Acht lassen.<br />
So macht sich Feu<strong>er</strong>bach klar, dass<br />
eine „Majorität des <strong>Mensch</strong>engeschlechts“<br />
nur von täglichem Brot leben muss und<br />
stellt unt<strong>er</strong> dem Eindruck sein<strong>er</strong> Lektüre<br />
des wirkungsmächtigen W<strong>er</strong>kes seines<br />
jüng<strong>er</strong>en Kollegen kapitalismuskritisch<br />
fest: „Die Tugend bedarf ebenso gut wie<br />
d<strong>er</strong> Körp<strong>er</strong> Nahrung, Kleidung, Licht,<br />
Luft, Raum. Wo die <strong>Mensch</strong>en so aufeinand<strong>er</strong><br />
gepreßt sind, wie z.B. in den englischen<br />
Fabriken und Arbeitswohnungen,<br />
wenn man and<strong>er</strong>s Schweineställe Wohnungen<br />
nennen kann, wo ihnen selbst<br />
nicht d<strong>er</strong> Sau<strong>er</strong>stoff d<strong>er</strong> Luft in zureichend<strong>er</strong><br />
Menge zugeteilt wird – man v<strong>er</strong>gleiche<br />
hi<strong>er</strong>üb<strong>er</strong> die wenigstens an unbestreitbaren<br />
Tatsachen int<strong>er</strong>essant<strong>er</strong>, ab<strong>er</strong> auch<br />
schau<strong>er</strong>lichst<strong>er</strong> Art reiche Schrift von K.<br />
Marx: Das Kapital – da <strong>ist</strong> auch d<strong>er</strong> Moral<br />
all<strong>er</strong> Spielraum genommen, da <strong>ist</strong> die<br />
Tugend höchstens nur ein Monopol d<strong>er</strong><br />
H<strong>er</strong>ren Fabrikbesitz<strong>er</strong>, d<strong>er</strong> Kapital<strong>ist</strong>en.“ 16<br />
Als Konsequenz aus dies<strong>er</strong> Einsicht macht<br />
sich d<strong>er</strong> Marx<strong>ist</strong> Feu<strong>er</strong>bach 17 den <strong>kritische</strong>n<br />
Standpunkt ein<strong>er</strong> mat<strong>er</strong>ial<strong>ist</strong>ischen<br />
<strong>Gesellschaft</strong>stheorie zu eigen. „Wo das<br />
zum Leben Notwendige fehlt, da fehlt<br />
auch die sittliche Notwendigkeit. Die<br />
Grundlage des Lebens <strong>ist</strong> auch die Grundlage<br />
d<strong>er</strong> Moral. Wo du vor Hung<strong>er</strong>, vor<br />
Elend keinen Stoff im Leibe hast, da hast<br />
du auch in deinem Kopfe, deinem Sinne<br />
und H<strong>er</strong>zen, keinen Grund und Stoff zur<br />
Moral.“ (Zur Ethik: <strong>D<strong>er</strong></strong> Eudämonismus,<br />
a.a.O.: 249) Deshalb steht <strong>für</strong> eine gesellschafts<strong>kritische</strong>,<br />
mat<strong>er</strong>ial<strong>ist</strong>ische Moralphilosophie<br />
auß<strong>er</strong> Zweifel, „daß die notwendigen<br />
Lebensmittel auch die notwendigen<br />
Tugendmittel sind.“ (ebd.: 250)<br />
Aufklärung und Kritik 1/2004 124