Materialien zur Dacheindeckung - Restaurator im Handwerk eV
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Schwerpunktthema<br />
Jonas Kuckuk, Annemarie Rothe<br />
Ein Reetdach braucht Luft und Liebe<br />
Reet als historischer Baustoff<br />
Reet, Reith, Rieth, Schilf oder Rohr. Gemeint ist<br />
dies wunderbare langhalmige gelbe Material, was jeder<br />
anders nennt, anders nutzt und anders verarbeitet.<br />
Die Produktpalette des Schilfhalms ist lang. Reetmatten<br />
in allen Stärken und Größen sind wieder als<br />
Putzgrundlage für den Lehmputz <strong>im</strong> Kommen. Mittlerweile<br />
werden auch Fertigbauelemente als Wandbaustein<br />
oder als Isoliermaterial angeboten. Stroh hingegen<br />
wird nur noch in einer kleinen norddeutschen Firma als<br />
Dachstroh verarbeitet. Die besonders geraden Halme<br />
werden für Strohhalme, Weihnachtssterne oder als Polstermaterial<br />
genutzt.<br />
Das macht einen allgemeingültigen Beitrag über den<br />
rohrhalmigen Baustoff sehr schwierig. Aber eins hat sich<br />
in den letzten 10.000 Jahren nicht geändert: Es ist ein<br />
zuverlässiger, nachwachsender Rohstoff und bei richtiger<br />
Verarbeitung und Pflege ein langlebiges Dachdeckungsmaterial.<br />
Da es sich um einen natürlichen Baustoff handelt,<br />
sind die Qualitäten des Materials in Abhängigkeit<br />
von vielen Faktoren sehr unterschiedlich. Die Qualität<br />
eines fertigen Reetdaches ist gleichfalls von vielen Bedingungen<br />
abhängig.<br />
Unter <strong>Handwerk</strong>ern gibt es eine interne Konkurrenz,<br />
nicht nur, wer der Beste, Traditionellste sie, sondern<br />
auch wessen <strong>Handwerk</strong> das erste war. Die Antwort ist<br />
natürlich: der Reetdachdecker.<br />
Mit den ersten Siedlungen der seßhaft gewordenen<br />
Menschen, die sich an den Flüssen und Seen befanden,<br />
wo das Material zum Greifen nahe war, entstanden<br />
Schutzräume aus zu Hocken zusammengestellten Reethalmen.<br />
Später wurden diese Hocken mit Ästen und<br />
Knüppel zu regelrechten Nur-Dachhäusern erweitert.<br />
Bis ins 18. Jahrhundert gab es Reetdächer nicht nur in<br />
Norddeutschland und den anderen Küstenländern, sondern<br />
auch weit in den süddeutschen Raum hinein auf<br />
dem Lande und in der Stadt. Durch die erhöhte Feuergefahr<br />
in den dichtbebauten Städten wurde hier das Reet<br />
als Dachdeckung schon früh verboten. Im ländlichen<br />
Bereich behielt es jedoch seine Bedeutung.<br />
Was braucht es nun für ein gutes Reetdach? Wie kann<br />
ein Reetdach überhaupt dicht sein?<br />
Wie bei jedem Dach, hängt die Qualität vom Material<br />
und der Verlegung, also der handwerklichen Herstellung,<br />
aber auch von äußeren Faktoren wie Lage des Gebäudes,<br />
H<strong>im</strong>melsrichtung, Nutzung, Pflege usw. ab.<br />
Das Material Schilfrohr ist eine Sumpfpflanze, die<br />
in der Röhrichtzone stehender und langsam fließender<br />
Gewässer bis zu einem Meter Wassertiefe wächst. Die<br />
Normalform wird max<strong>im</strong>al vier Meter hoch. Die Qualität<br />
von Schilf wird durch zahlreiche Einflüsse best<strong>im</strong>mt.<br />
Schilf ist ein reines Naturprodukt, d.h. ähnlich dem<br />
Weinanbau variiert seine Qualität je nach Ernte, Wetter<br />
und Qualität des Untergrundes und des Wassers. Es gibt<br />
keine objektive Methode, um die Qualität und damit die<br />
potentielle Lebensdauer einer Reetsorte zu best<strong>im</strong>men.<br />
Der Reetdecker ist bei der Beurteilung seines Grundstoffes<br />
abhängig von seinen Erfahrungen.<br />
Die Auswahl des Reets passend<br />
zum Dach erfordert die Abst<strong>im</strong>mung<br />
aller Beteiligten. Meistens wird sich die<br />
Dauerhaftigkeit des Reets jedoch erst<br />
viel später <strong>im</strong> verarbeiteten Zustand auf<br />
dem Reetdach zeigen. Ein guter Reetdecker<br />
kann die Qualität des Materials<br />
am Klang und am Geruch beurteilen.<br />
Gutes Reet riecht nicht moderig und<br />
klingt „hart“, ähnlich wie Bambus.<br />
An das Material werden vielfältige<br />
Anforderungen gestellt: :<br />
die für Reet verwendeten Halme<br />
sollten bei der Ernte abgestorben sein<br />
und zwischen dem ersten und dritten<br />
Wachstumswirbel geschnitten werden. Reethalme lassen<br />
sich in kurzes, mittellanges und langes Reet einteilen.<br />
Sie sollten einen Durchmesser zwischen 6 mm und<br />
12 mm haben.<br />
Im Allgemeinen sollte Dachreet guter Qualität frei<br />
von Gras, Alt- und Krummrohr sowie sonstiger Be<strong>im</strong>engungen<br />
sein. Es sollte zudem hart und leicht biegsam<br />
sein. Ein Reetbund guter Qualität läuft konisch zu. Die<br />
Bunde müssen trocken aufbereitet, gepackt, gelagert und<br />
verarbeitet werden. Die Einbaufeuchte eines Reetbundes<br />
ist mit der Einbaufeuchte von Bauholz vergleichbar<br />
und sollte bei max<strong>im</strong>al 20% liegen. Witterungsbedingt<br />
können die äußeren Reetbunde eines Paketes kurzfristig<br />
eine höhere Feuchtigkeit aufweisen, die <strong>im</strong> Normalfall<br />
jedoch schnell abtrocknet. Die Reetbunde <strong>im</strong> Inneren<br />
eines Pakets müssen jedoch trocken sein.<br />
Verschiedene Einflussfaktoren best<strong>im</strong>men die Qualität<br />
des Materials<br />
Die Herkunft des Dachreets<br />
Je nach Herkunftsregion weist Schilf unterschiedliche<br />
chemische und physische Eigenschaften auf. Bei den seit<br />
Jahren auf dem Markt befindlichen Reetsorten gibt es<br />
keine Sorte, die von sich aus zu einer starken vorzeitigen<br />
Alterung des Reetdaches führt. Die frühe Alterung<br />
Reetbunde bei<br />
der Anlieferung<br />
(Foto: Fa. Hiss)<br />
<strong>Restaurator</strong> <strong>im</strong> <strong>Handwerk</strong> – Ausgabe 1/2011 31