Materialien zur Dacheindeckung - Restaurator im Handwerk eV
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Interview<br />
30 Jahren Architekturpublizistik<br />
Interview mit Felix Zwoch, Berlin, ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift „Bauwelt“<br />
RIH: Herr Zwoch, Sie haben 30 Jahre als<br />
Redakteur und Chefredakteur der Bauwelt<br />
das Baugeschehen und die Architekturentwicklung<br />
verfolgt. Wie kamen Sie dazu?<br />
Zwoch: Wie alles anfing. Das war der Titel<br />
des Buches, was der ehemalige Terrorist<br />
Bommi Baumann nach seinem Ausstieg aus<br />
der RAF geschrieben hat, so ausführlich<br />
will ich es nicht machen. Ich bin von Hause<br />
aus Architekt, habe in Aachen seit 1971 Architektur<br />
studiert in einer Zeit, als es noch<br />
keinen Unterschied gab zwischen den Studienrichtungen<br />
Architektur und Stadtplanung<br />
und als man sich noch eigene Schwerpunkte<br />
aus den Bereichen Stadtplanung, Stadtkultur<br />
und Kultur- und Architekturpolitik setzen<br />
konnte. In der Politik kam kurz vor dem<br />
Ende des Kalten Krieges die Losung von der<br />
friedlichen Koexistenz auf, und die galt auch<br />
für Architektur und Städtebau, Entwerfen<br />
und Detaillieren, Gesellschaft planen und<br />
Gesellschaft verändern. Das alle vermisse<br />
ich in der Architektenausbildung von heute.<br />
Auf Grund dieser fachlichen und fachpolitischen<br />
Sozialisation war es vielleicht folgerichtig,<br />
dass ich später Redakteur geworden<br />
bin, obwohl ich eigentlich Architekt werden<br />
wollte, nämlich nicht Stadtplaner, das Berufsfeld<br />
schien mir damals schon zu sehr <strong>im</strong><br />
Allgemeinen, wenn nicht gar Unverbindlichen<br />
verankert. 1981 kam ich <strong>zur</strong> Bauwelt. In<br />
den frühen 1980er Jahren begannen sich die<br />
Veränderungen <strong>im</strong> Berufsverständnis und <strong>im</strong><br />
Berufsbild des Architekten auch in den Veröffentlichungen<br />
der Bauwelt abzuzeichnen.<br />
RIH: Spielten Denkmalpflege und Denkmalschutz<br />
damals eine Rolle in der Architekturdebatte?<br />
Zwoch: Für uns als Studenten war das<br />
Denkmalschutzjahr 1975 ein Wendepunkt.<br />
Zum ersten Mal nahm sich die Politik der<br />
Architektur an, auch wenn es „nur“ um<br />
Denkmalpflege ging. In vielen Wohngemeinschaften<br />
hingen damals die naiven Panoramazeichnungen<br />
einer sechsteiligen Serie<br />
mit dem Titel „Stück für Stück stirbt dein<br />
Zuhause“, das waren Prospekte einer Kleinstadt<br />
in der süddeutschen Provinz von 1945<br />
bis 1975. Zuerst wandeln sich die Nutzungen<br />
in den Erdgeschossen und die Fassaden<br />
werden abgestuckt, dann verschwinden die<br />
alten Häuser ganz, dann wird <strong>im</strong> Geist des<br />
Bauwirtschaftsfunktionalismus Neues gebaut.<br />
In diesen populistischen Bildern drückt<br />
sich mehr noch als die Klage die Sehnsucht<br />
aus nach dem, was eine Gesellschaft verliert,<br />
wenn sie sich der Geschichtsvergessenheit<br />
hingibt und ihre Städte durch radikalen Umbau<br />
unkenntlich macht. Das galt bis dahin<br />
für Architekten als der Inbegriff der Sehnsuchtserfüllung.<br />
Wir Studenten und Jungarchitekten Mitte<br />
der 70er und Anfang der 80er Jahre waren<br />
wohl die erste Generation, die sich mit dem<br />
gebauten Erbe und der Rolle der Architekten<br />
über die Zeitläufte kritisch auseinandergesetzt<br />
hat. Auch bei der Bauwelt wurde das<br />
Selbstverständnis der Architekten thematisiert:<br />
von der Moderne über die Nazi-Zeit bis<br />
zum Wiederaufbau und der politischen Restauration<br />
in der Adenauer-Ära, was dann <strong>zur</strong><br />
Revolte von 1968 führte. Was dann folgte,<br />
war die Auseinandersetzung mit den brutalen<br />
Folgen der rücksichtslosen wirtschaftlichen<br />
Verwertung der Stadt.<br />
1981, das Jahr als ich nach Berlin zog, war<br />
die erste große Zeit der Hausbesetzungen und<br />
Straßenschlachten. Ohne die Hausbesetzungen<br />
und auch ohne die damit einhergehende<br />
Gewalt und Gegengewalt hätte es keine Debatte<br />
über sozialverträgliche Stadterneuerung<br />
und sozial gerechte Wohnungsbaupolitik und<br />
Stadtbaukultur – und <strong>im</strong> gewissen Sinne auch<br />
über eine adäquate Architektur - gegeben.<br />
RIH: Baupolitik, Architektur, Selbstverständnis<br />
der Architekten – was hat sich in<br />
den letzten 30 Jahren verändert?<br />
Zwoch: Wir alle sind internationaler geworden.<br />
80% der Projekte, die wir Anfang<br />
der 80er Jahre in der Bauwelt veröffentlicht<br />
haben, wurden <strong>im</strong> deutschsprachigen Raum<br />
gebaut und alle Beiträge, die architekturtheoretisch<br />
oder bauhistorisch angehaucht waren,<br />
kamen aus Deutschland selbst. Allein Georg<br />
Mörsch in der Schweiz definierte dabei die<br />
Reichweite des internationalen Horizonts der<br />
Bauwelt. Das ist heute völlig anders. Zweidrittel<br />
aller bei uns veröffentlichten Bauten<br />
werden in nicht-deutschsprachigen Regionen<br />
realisiert. Diese Spielart der Globalisierung<br />
haben wir selbst betrieben und gefördert, weil<br />
wir denken, dass wir und unsere Leser davon<br />
profitieren können, sich aus dem deutschen<br />
Mustopf zu befreien.<br />
RIH: Es ist sicherlich wichtig, über den<br />
Tellerrand zu schauen, aber birgt das nicht<br />
auch die Gefahr, dass überall die gleiche<br />
Kommerzarchitektur gebaut wird und die<br />
Kontextlosigkeit weltweit salonfähig wird?<br />
Zwoch: Nein. Ein Beispiel: Das letzte Heft,<br />
das ich bei der Bauwelt betreut habe, trug<br />
den Titel „Einfach China“. Ich bezeichne<br />
die Architekten, die sich heute dem einfachen<br />
Bauen in China verschreiben, als die<br />
Avantgarde einer ästhetischen Oppositionsbewegung.<br />
Sie eint kein konservatives Architekturverständnis,<br />
sondern ein Rückgriff auf<br />
<strong>Handwerk</strong>straditionen und Sympathie für<br />
alternative politische Organisationsformen,<br />
die sich dem zentralistischen Oktroy von<br />
Staat und Partei verweigern, weil das Volk<br />
die Dinge auch selbst in die Hand nehmen<br />
soll. Diese Architekten haben nicht nur eine<br />
direkte Demokratie <strong>im</strong> Blick oder zumindest<br />
den Wunsch danach, sondern wollen als Architekten<br />
Einfluss nehmen auf Materialwahl,<br />
Bautechnologie und Organisation des Bauprozesses.<br />
Dezentralisierung und Delegation<br />
von Verantwortung und Entscheidungskompetenz<br />
an den Souverän abzugeben, funktioniert<br />
nur in überschaubaren D<strong>im</strong>ensionen,<br />
also, statt Großtafelbauweise regionalspezifische<br />
Ziegelarchitektur <strong>im</strong> kleinen Maßstab<br />
mit <strong>im</strong>mer wieder anderen Eigenarten. Das<br />
hat nichts mit Traditionalismus zu tun, ist<br />
vielmehr ein ästhetischer und politischer Gegenentwurf<br />
<strong>zur</strong> chinesischen Postmoderne<br />
und ihren verkitschten Kuppelkrönchen, Pagodendächern<br />
und Drachendekor à la mode.<br />
RIH: Sehen Sie hier für Deutschland eine<br />
ähnliche Entwicklung zum architektonischen<br />
Regionalismus und zu einer politischen<br />
Architektur?<br />
Zwoch: Nein. In der Provinz findet von<br />
wenigen rühmlichen Beispielen abgesehen<br />
Architektur überhaupt nicht mehr statt, egal,<br />
ob regional gebunden oder unbeirrbar modern.<br />
Das banale Geschmacksdiktat der Baumarktketten<br />
herrscht. Fast nirgendwo in Europa<br />
ist die Entpolitisierung der Architektur<br />
so weit fortgeschritten wie in Deutschland.<br />
Niemals war eine Nachwuchsarchitektengeneration<br />
so willfährig wie heute. Politische<br />
Verantwortung zu übernehmen, nicht <strong>im</strong><br />
Sinne von Parteipolitik, sondern <strong>im</strong> Sinne<br />
eines erweiterten Architektur- und Berufsverständnisses,<br />
ist vom Teufel. Niemand hinterfragt,<br />
was er tut oder was er für wen tut.<br />
So hört man aus dem Mund jüngerer Architekten<br />
<strong>im</strong>mer öfter: „ Wenn der Bauherr das<br />
will oder wenn uns das gefällt, dann machen<br />
wir das.“ Das wäre nie akzeptabel für mich<br />
und die meisten meiner Generation gewesen.<br />
Heute heißt es, auffallen um jeden Preis, aber<br />
auf keinen Fall durch Widerworte. Früher<br />
wären bei ambivalenten Großprojekten wie<br />
Stuttgart 21 Architekten und Stadtplaner<br />
54 <strong>Restaurator</strong> <strong>im</strong> <strong>Handwerk</strong> – Ausgabe 1/2011