GESETZ UND ZUM ZEUGNIS. - Licht und Recht
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Abschnitt I.<br />
Das Gesetz.<br />
Der Prozess der Pentateuchkritik ist durch Wellhausen zu einem Abschluss gelangt, den man<br />
nach populärer Ausdrucksweise mit dem sich Festrennen in einer Sackgasse vergleichen könnte.<br />
Der Skeptizismus, der anfangs sich begnügte, den Leuchter des göttlichen Gesetzes um ein Weniges<br />
von seiner Stelle zu rücken <strong>und</strong> in die nächsten Jahrh<strong>und</strong>erte nach Mose zu versetzen, ist nun dazu<br />
übergegangen, jenes Gesetz so weit herabzudrücken, dass es allgemach höchst unbequem wird.<br />
Man fühlt sich diesem Produkt einer nachexilischen Priestergilde gegenüber förmlich in Verlegenheit<br />
<strong>und</strong> weiß nicht, wie man bei einem solchen von absichtlichen Archaismen erfüllten Priestercodex,<br />
der nach dem Exil allmählich zu Stande kam, <strong>und</strong> der von Natur <strong>und</strong> Wahrheit gleich weit sich<br />
entfernt, noch eine ges<strong>und</strong>e Entwicklung des Volkes Israel sich vergegenwärtigen soll. Ein Talmud<br />
zur Zeit Esras, vor dem Talmud im dritten christlichen Jahrh<strong>und</strong>ert, das ist es, worauf die alttestamentliche<br />
Pentateuchkritik neuerdings hinausgekommen ist. Die längste Zeit <strong>und</strong> dazu die beste<br />
lebt Israel ohne Gesetz, oder es ist nach Wellhausens Ausdruck sich selbst ein Gesetz. Man jagt einem<br />
Schatten nach, bald fällt hier, bald dort ein Gesetz im Verlauf der Jahrh<strong>und</strong>erte ab, es konsolidiert<br />
sich im Lauf der Zeit bald diese, bald jene gesetzliche Sitte – <strong>und</strong> wenn man endlich den<br />
Schatten zum Stehen bringt, <strong>und</strong> einen Kern, ein Ganzes nach dem Exil erfasst zu haben meint – so<br />
ist es eine Karikatur, die man in der Hand hält. Dazu also nahm Israel ein Jahrtausend <strong>und</strong> darüber<br />
in der Geschichte des Altertums einen stellenweise so hohen Flug, damit am Ende aller Dinge ein<br />
Gesetz herauskäme, an dessen Inhalt sodann der leidige Talmud seine Künste versuchen <strong>und</strong> dessen<br />
Buchstaben das Gehirn der Rabbiner in Tätigkeit versetzen sollte. Alle großen Anläufe <strong>und</strong> Geistesanstrengungen<br />
eines für alle Zeiten merkwürdigen Volkes haben als Piedestal für die talmudische<br />
Schriftgelehrsamkeit dienen müssen, <strong>und</strong> chinesische Versteinerung ist auch das Ende von Gesetz<br />
<strong>und</strong> Propheten. Israel, einst das größeste unter den Völkern, nach der Weisesten Schätzung, ist nunmehr<br />
den heidnischen Völkern gleich geworden. Das Fazit der Gesamtentwicklung Israels blieb<br />
weit hinter den Erwartungen zurück, auf welche wir uns nach so verheißungsvollen Anfängen Rechnung<br />
machen konnten. Denn als es nach dem Exil die Summe seiner geistigen Entwicklung im Priestercodex<br />
zog, da triumphierte eine Richtung, die priesterliche, <strong>und</strong> legte allen andren tiefes<br />
Schweigen auf.<br />
Doch unleugbar liegt eine Konsequenz auch in der dialektischen Bewegung dieses Prozesses.<br />
Der erste Schritt war auch in diesem Fall der entscheidende. Als man das Gesetz oder den Pentateuch<br />
dem Mose absprach, da war der erste Schritt, der zu solchem Ende führen musste, bereits geschehen.<br />
Das Gesetz aber <strong>und</strong> die heilige Geschichte überhaupt ist etwas sui generis; es empfiehlt<br />
sich nicht Allen <strong>und</strong> Jeden, sondern nur denen, die es unter gewissen Voraussetzungen akzeptieren.<br />
Die Weisheit seines Urhebers garantiert uns die Weisheit dieses Gesetzes. Vor allen Dingen muss<br />
die Stellung des Gesetzes im Ganzen der heiligen Schrift richtig bestimmt werden; das Gesetz hat<br />
eine nach rückwärts <strong>und</strong> vorn abgegrenzte Stellung, die sich deutlich erkennen lässt. Wir dürfen<br />
nicht mit der Vorliebe der Rationalisten zu Anfang dieses Jahrh<strong>und</strong>erts das Gesetz als den Kern der<br />
Geschichte Israels bevorzugen <strong>und</strong> annehmen, Israel habe den Beruf gehabt, im Laufe der Jahrh<strong>und</strong>erte<br />
endlich eine solche Lebensordnung aus sich herauszusetzen wie sie unter dem Ausdruck „Gesetz“<br />
begriffen wird. Neben dem νόμοσ nennt Paulus die ἐπαγγελὶα, ja er statuiert Gal 3,15 ff. einen<br />
Gegensatz zwischen den beiden. Christus ist des Gesetzes Ende, sagt der Apostel Röm. 10,4 – was<br />
aber ein Ende nimmt, das hat auch einen Anfang gehabt. Wenn nun dieser Anfang nicht willkürlich<br />
bestimmt werden soll so muss er eben an den Sinai versetzt werden. Vorher haben wir aber eine lange<br />
Zeit, in der die Vorväter Israels ohne Gesetz Moses lebten. Dies war aber die eigentlich klassi-