GESETZ UND ZUM ZEUGNIS. - Licht und Recht
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Abschnitt I. – Das Gesetz. 9<br />
streitender Ansichten doch immerhin mit sich, vielleicht sogar für den einen oder andren unsrer<br />
Gegner.<br />
War das Gesetz vom Himmel oder von Menschen? – Wir wissen es nicht, so lautet die Antwort<br />
bei den Meisten; bei Einigen dagegen heißt es deutlich: von Menschen!<br />
Nehmen, wir als Beispiel der Letzteren einfach den Holländer Kuenen, der jüngst über den Kanal<br />
gegangen <strong>und</strong> den Engländern in fünf Vorlesungen seine Einsicht in diese Dinge mitgeteilt hat. 1<br />
Nachdem Kuenen in der zweiten Vorlesung die Einführung des Jahvismus aus der Fremde energisch<br />
geleugnet, so charakterisiert er S. 52 den Jahvismus als den Volksgottesdienst Israels, den dieses<br />
Volk von den frühsten Zeiten an bis zum babylonischen Exil besessen. 2<br />
Nachdem wir bis dahin vielerlei andre Formen (Brahmanismus, Buddhismus etc.) besessen, sind<br />
wir nun glücklich um eine reicher geworden, welche Jahvismus heißt. Das Ding hört sich gelehrt<br />
genug an; – was ist aber dieser Jahvismus streng genommen? Und ist wirklich der Jahvismus im<br />
Stande, ein Gesetz zu schaffen, bei dem es ernstlich in Frage kommen kann, ob dieses Gesetz vom<br />
Himmel oder von Menschen stammt?<br />
Wir wissen von diesem Jahvismus nichts, als durch die Schriften des Alten Testaments; <strong>und</strong><br />
durch die Brille Kuenens gelesen, enthalten diese Schriften sonderliche Dinge über den Nationalgott<br />
Israels. Derselbe hat ganz willkürlich einmal, an irgend einem Punkte der Weltgeschichte, im<br />
Kopfe Einzelner <strong>und</strong> weiter eines Volkes zu existieren begonnen <strong>und</strong> dann alle jene Verehrung genossen,<br />
die Menschen der Gottheit auch sonst darzubringen pflegen. Die ungefähr 190 Personennamen,<br />
die im Alten Testament durch Zusammensetzung mit dem Namen Jahve gebildet sind, zeugen<br />
für die Verehrung, die dieser nationale Gott genossen. Er wohnte als guter Nachbar Haus an Haus<br />
mit den Göttern der heidnischen Umgebung Israels, er genoss eine ähnliche Verehrung wie jene;<br />
aber er war darum doch nicht ganz ihres Gleichen (Kuenen S. 76). Er steht immerhin insofern über<br />
jenen Göttern, als in seinem Namen durch den M<strong>und</strong> der Priester <strong>Recht</strong> gesprochen wird <strong>und</strong> er<br />
überall dort nicht gekannt wird, wo Treu <strong>und</strong> Glauben gebrochen werden. Kurz: durch den ethischen<br />
Charakter unterscheidet sich Jahve von den Göttern der Nachbarvölker. Und diesen ethischen<br />
Charakter haben die Propheten mehr <strong>und</strong> mehr herausgearbeitet <strong>und</strong> ins rechte <strong>Licht</strong> gestellt, obschon<br />
sie im Übrigen an demselben Nationalgott, wie das Volk, festhielten. Die Propheten ließen<br />
Jahve als den Heiligen erkennen, <strong>und</strong> damit geschah der Bruch mit den Volksgöttern ringsumher;<br />
daraus ist der Monotheismus allmählich hervorgewachsen. Kurz: der Jahve Israels zog die Kinderschuhe<br />
aus <strong>und</strong> ging als ein Gott durch die Welt, von dem dann auch eine ethische Weltregierung zu<br />
prädizieren ist. Endlich brach auch der Universalismus durch die Nebel des Partikularismus siegreich<br />
hindurch, besonders beim zweiten Jesaja, dem geistlichen Sohne Jeremias (Kuenen S. 123).<br />
Solche Stellung also nimmt der Gottesbegriff in dem geistlichen Budget dieser Gelehrten ein.<br />
Denn was Kuenen hier den Engländern vorträgt, ist so ziemlich auch die Ansicht seiner Geistesgenossen<br />
in Großbritannien <strong>und</strong> auf dem Kontinent. Wir fragen nochmals: ist ein solcher Gottesbegriff<br />
im Stande, ein Gesetz wie das mosaische zu erklären; ist überhaupt ein Gott bei diesen Raisonnements<br />
herausgekommen, den man ernst nehmen kann?<br />
Denken wir uns in einem Familienzimmer einen Lehnstuhl, <strong>und</strong> darauf die höchst ehrwürdige<br />
Büste des Vaters des Hauses, umkränzt mit Efeu <strong>und</strong> voll hohen Ernstes Jeden anblickend – der ihn<br />
anblickt. Im Hause selbst ist jedoch das Unterste zu oberst gekehrt; die zuchtlosen Sprösslinge jenes<br />
Mannes, den das Bild vorstellt, genießen ihre Freiheit ganz nach eigenem Ermessen, <strong>und</strong> scheu gehen<br />
die Knechte <strong>und</strong> Mägde ihnen aus dem Wege. Nur zuweilen, wenn der Lärm zu groß wird im<br />
1 Sie erschienen in Leiden 1882 unter dem Titel: Volksgodsdienst en Wereldgodsdienst.<br />
2 Vergleiche auch Kuenen, De Godsdienst van Israel I, S. 291.