22 Beiträge „Jenseits des Tales standen ihre Pferde“, sangen wir in der Jugendgruppe. Wir saßen tatsächlich in einem Tal, ein Lagerfeuer loderte, und Peter begleitete uns auf der Klampfe, wie damals die Gitarre hieß. Aber Pferde hatten wir keine, und in dem Lied waren wir auch nicht gemeint, sondern Zigeuner, über die wir einige romantische Lieder kannten. Wer sich ein bisschen gebildet gab, besuchte die Operette „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauss, und wem der Weg zur Oper zu fremd war, der aß auf alle Fälle im Wirtshaus „Zum kupfernen Kessel“ das „Zigeunerschnitzel“ oder „Fritten mit Zigeunersoße“. Jahre später wurde ein Hit von Alexandra zum Ohrwurm, der noch heute in unseren Gehörgängen nachwirkt: „Zigeunerjunge, Zigeunerjunge sie kamen in uns‘re Stadt. Die Wagen so bunt, die Pferdchen so zottig, sie zogen die Wagen so schwer, - Tam ta ta ta ta tam tam ta tam tam ta tam - und ich lief hinterher, immer nur hinterher. Zigeuner in unsere Stadt. - Tam ta ta ta ta tam tam ta tam tam ta tam - kamen in uns‘re Stadt.“ Angekommen. Sie sind in unserer Stadt. Allerdings heißen sie als Volksgruppe nicht Zigeuner. Als solche werden sie seit Jahrhunderten einerseits romantisiert, “Zigeunerjunge...“, andererseits gehasst und verfolgt. Im deutschen „Dritten Reich“ gehörten sie zu den Menschen, die in die Vernichtungslager von Auschwitz und Treblinka geschickt wurden. Noch in jüngster Zeit wurde mir in Exjugoslawien in Kreisen gebildeter Akademiker unterbreitet, Hitler sei schlimm gewesen, aber die Vernichtung der Gipsies müsse die Welt ihm danken. Ihr Volk heißt nicht Zigeuner. Sie nennen sich Roma oder Sinti, wie wir uns Deutsche nennen. Modern und reich erscheinen sie uns in Wohnwagen-Kolonnen, die für kurze Zeit auf größeren Parkplätzen unserer Städte, auf Rastplätzen der Autobahn oder in Feriendomizilen auftauchen. 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Januar 2014 der Arbeitsmarkt der EU-Länder offen und alle Rechte wie Pflichten der EU-Bürger. So einen Status hat es für diese Menschen noch nie gegeben. Diesen Status haben sie sich nicht erworben. Er wurde ihnen von den Politikern geschenkt, die die europäische Gemeinschaft erdachten. Ob die damaligen Politiker sich dessen bewusst waren, sei dahin gestellt. Lauscht man unserem Innenminister und anderen Politikern, scheint man diese Großzügigkeit zu bedauern. Viele würden gerne den europäischen Gedanken opfern, die Grenzen zu Rumänien und Bulgarien schließen, um das Angstgespenst der Armut dieser Länder vor unseren europäischen Bürgschaften zu schützen. Es mangelt nicht an Vorarbeit der Medien, Politik und sogar der Kirche, diese Angst zu schüren. So untermauert der Kardinal Meißner das zweifelhafte Volksempfinden, diese Menschen kämen nur, um hier das Kindergeld zu kassieren. Fest steht, dass Bulgarien und Rumänien die Armenhäuser unserer Staatengemeinschaft sind. Der Durchschnittsverdienst beträgt 300 Euro. Unter dieser Armutsgrenze werden die Menschen der Roma und Sinti-Gemeinschaft außen vor gehalten. Ihre Kinder besuchen in der Regel keine Schule, für Frauen gibt es als Verdienstmöglichkeit nur die Prostitution, und der Arbeitsmarkt für Männer liegt oft außerhalb der Legalität. Kranken-, Sozial- oder Arbeitslosenversicherung sind Fremdbegriffe, und ein Leben mit Hartz 4 hätte den Glanz des Paradieses. Statt jetzt zu warnen und zu maulen, hätten die europäischen Politiker und Verbände, wissend um das Datum des 1. Januar 2014, dahin insistieren müssen, dass die zwei Beitrittsländer, trotz Armut, ihre demokratischen Hausaufgaben machen müssen. Es kann doch nicht angehen, dass es in einem europäischen Land keine verbindliche Schulpflicht gibt. Und die Behauptung, die Kinder der Roma und Sinti seien nicht „beschulbar“, wird hier in Köln schon seit Jahren widerlegt. Und einmal mehr kommt der Verdacht auf, dass der europäische Gedanke zu einem Euro-Gedanken schrumpft, und die Visionen von kulturellem und sozialem Reichtum dem kalten Kalkül wirtschaftlicher Effizienz geopfert werden. Es wird sich zeigen, wie sich das mangelnde Interesse der Verantwortlichen auswirken wird, und wie zum Beispiel der Rechtsradikalismus, durch unaufgearbeitete Vorurteile, immer mehr in unserem Staat an Land gewinnt. Aber eines sollten wir als Chance sehen: Deutschland schrumpft. Alarmierende Zahlen des statistischen Bundesamtes. Wer wird demnächst die Renten einer Generation bezahlen, die sich auf maximal zwei Kinder beschränkt hat und deren Anteil an Singlehaushalten wächst. Statt an Kindergeld zu geizen, sollten soziale Netze ausgelegt werden, wenn ein fahrendes Volk aus materieller Armut in dieses kinderarme, aber materiell reiche Land kommt. Ihre hungernden Kinder wären möglicherweise die zukünftigen Handwerker, Pfleger oder Ingenieure unseres reich-verarmten Landes. Brigitte Milhan
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