WELT UND GEISTLICHE BERUFUNG - Miteinander
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10-11/2012<br />
L I E D - G E D A N K E N<br />
16<br />
Beim Herrn ist Barmherzig<br />
und reiche Erlösung …<br />
Strenger Richter aller Sünden?<br />
Wer ein „lateinisches Hochamt“ besucht und<br />
der Musik lauscht, der wird die Worte im<br />
Cre do der Messe „iudicare vivos et mortuos“<br />
(zu richten die Lebenden und die Toten) nicht<br />
überhören können. In manchen Kompositionen<br />
werden sie uns tatsächlich mit Pauken<br />
und Trompeten sehr eindrücklich „ausgemalt“.<br />
Und wer (von den Älteren unter uns) kennt<br />
nicht noch die Zeile des Liedes, wo die Gemeinde<br />
singend bekennt „Strenger Richter<br />
aller Sünden …“? Und auf der anderen Seite<br />
tönt der oft gesungene Kehrvers: „Beim Herrn<br />
ist Barmherzigkeit und reiche Erlösung.“<br />
Barmherzigkeit und Gericht<br />
Inzwischen bin ich mitten drinnen im Denken<br />
und Theologisieren: Gott, der Barmherzi -<br />
ge? Gott, der Richter? Gehen bei Gott Barmherzigkeit<br />
und Gericht zusammen? Ist das<br />
eine Ausdrucksweise des anderen? Verliert<br />
oder gewinnt das eine zugunsten des anderen?<br />
Da bin ich manchmal hin- und hergerissen mit<br />
meinem Glauben und Hoffen – als ein Mensch,<br />
der sich vor dem Gericht fürchtet und der auf<br />
Gottes Barmherzigkeit hofft. Schreckensbilder<br />
steigen mitunter auf, fantastische Szenarien,<br />
die uns hinlänglich in Worten der Verkündigung<br />
(„Höllenpredigt“), in Bildern der<br />
Kunst, im Schauspiel und in der Musik vorgestellt<br />
wurden und werden – ebenso wie<br />
deren Gegenbilder, Gegenworte, Gegentöne.<br />
Wieder taucht die Frage auf: Gibt es noch wo<br />
klare Gerechtigkeit, deutliche scharfe Unterscheidung<br />
– die wir uns oft so sehr wünschen<br />
– oder ist ohnehin alles eins und einerlei?<br />
Gott als „Handwerker“<br />
Ein Theologe bin ich nicht. Ich bin einer, der<br />
ganz gerne die Sprache, die Umgangssprache,<br />
abklopft und schaut und staunt, was<br />
dabei zutage kommt. In diesem Fragenkreis<br />
von Richter, Gericht und Richten sag ich mir<br />
einfach: Ja, Gott ist mein „Richter“, der mich<br />
richten kann. „Richten“ – so wie wir es im<br />
Alltag auch verstehen: im Sinne von wiedergutmachen,<br />
herrichten, wieder in Ordnung<br />
bringen, wieder zusammensetzen. Wenn irgendwo<br />
etwas kaputt ist, dann lassen wir es<br />
„richten“. Dann „richte“ ich es wieder her.<br />
Wenn der Nagel locker geworden ist, klopf<br />
ihn wieder fest. Hat der Schuh ein Loch, lass<br />
ich ihn herrichten. Und wenn der Rasenmä -<br />
her spuckt, dann lasse ich ihn reparieren.<br />
Als einen solchen „Handwerker“ stelle ich<br />
mir Gott vor, der alle und alles „richten“ kann,<br />
der alles wieder gut macht, es in Ordnung<br />
bringt, es heil, ja ganz macht. Für mich ist<br />
Gott als Richter nicht nur der, der Sünde und<br />
Schuld feststellt, Urteil sowie Strafausmaß<br />
Ich liebe den Herrn;<br />
denn er hat mein lautes Flehen gehört<br />
und sein Ohr mir zugeneigt<br />
an dem Tag, als ich zu ihm rief.<br />
Mich umfingen die Fesseln des Todes,<br />
mich befielen die Ängste der Unterwelt,<br />
mich trafen Bedrängnis und Kummer.<br />
Da rief ich den Namen des Herrn an:<br />
„Ach Herr, rette mein Leben!“<br />
Der Herr ist gnädig und gerecht,<br />
unser Gott ist barmherzig.<br />
Psalm 116,1–5<br />
zur Antiphon GL 746<br />
festsetzt, sondern der, der meine Schuld und<br />
Sünde wieder gutmacht, mich (her)richtet<br />
zum Heil, zum Ursprünglich-Sein in der ungetrübten<br />
Gemeinschaft mit ihm.<br />
Größer als unser Herz<br />
Dieses Gericht findet schon jetzt statt. Es ist<br />
immer Gegenwart, wie es uns auch der Verfasser<br />
des Johannesevangeliums mit seiner<br />
präsentischen Eschatologie verdeutlicht. Sie<br />
bedeutet vielleicht, dass diese Dinge, von denen<br />
ich gerne annehme, dass sie am Ende<br />
des eigenen Lebens, der Geschichte, der Welt<br />
auf mich zukommen werden, schon heute<br />
passieren: Gott, „der größer ist als unser eigenes<br />
Herz“, das uns oft genug anklagt, liebt<br />
mich. Darauf vertraue ich. Dann werden Himmel<br />
und Heil schon jetzt Gegenwart, unsere<br />
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