WELT UND GEISTLICHE BERUFUNG - Miteinander
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10-11/2012<br />
Ä G Y P T E N T E I L 2<br />
4<br />
Aufbruch im Umbruch<br />
Mitten durch die Wüste führt eine Straße,<br />
die die beiden größten Städte Ägyptens, die<br />
Hauptstadt Kairo und das am Mittelmeer gelegene<br />
Alexandria, verbindet. Ein schmaler, grün<br />
bewachsener Streifen mit Häusern schlängelt<br />
sich ihr entlang durch die trockene Landschaft.<br />
Seit Jahrhunderten haben christliche Mönche<br />
in der Einsamkeit dieser kargen Gegend<br />
die Nähe Gottes gesucht: Zahlreiche Klosteranlagen<br />
geben bis heute Zeugnis von dieser<br />
Art christlichen Lebens.<br />
Empor<br />
In dieser ungastlichen Wüste überrascht –<br />
hinter hohen Steinmauern verborgen – eine<br />
1999 eröffnete Anlage. „Anaphora“ ist nicht<br />
nur der Name dieses spirituellen Zentrums,<br />
das sowohl Begegnung als auch Rückzug und<br />
Einkehr ermöglicht, „Anaphora“ ist auch dessen<br />
Programm. Der Begriff steht für Opfer(gabe)<br />
wie auch für Aufbruch, Emporheben und<br />
Hinauftragen. „Anaphora“ bezeichnet in den<br />
orientalischen Kirchen aber auch das Hochgebet<br />
in der Liturgie. Mit dem Namen kommt<br />
für den Gründer des Einkehrzentrums, den<br />
koptischen Bischof Thomas, auch die zugrunde<br />
liegende Vision zum Ausdruck, von<br />
der er mit Begeisterung berichtet: „Ich möchte<br />
hier den Menschen begegnen.“ Liturgie<br />
Die politische Lage in Ägypten<br />
bleibt weiterhin ungewiss.<br />
Die Stimmung innerhalb der<br />
christlichen Minderheit schwankt<br />
zwischen der Angst vor Islamisierung<br />
und der Hoffnung auf eine friedliche<br />
Zukunft und ein gutes <strong>Miteinander</strong><br />
mit den Muslimen im Land.<br />
Obwohl die koptische Kirche<br />
Schätzungen zufolge nur rund ein<br />
Zehntel der Bevölkerung stellt,<br />
gibt sie starke Lebenszeichen von sich<br />
und beteiligt sich tatkräftig am<br />
Aufbau der Gesellschaft.<br />
mit dem alltäglichen Leben zu verbinden, die<br />
Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, sie<br />
„über ihre natürlichen Grenzen und Beschränkungen<br />
emporzuheben“ – danach strebt man<br />
in der Gemeinschaft von „Anaphora“.<br />
Charismatisch<br />
Anfangs hatte Bischof Thomas, Oberhaupt ei -<br />
ner Diözese in Oberägypten, noch mit Skepsis<br />
in der koptischen Kirche zu kämpfen. Heute<br />
kann er sich darüber freuen, dass seine Idee<br />
von den Bischofskollegen nicht nur anerkannt,<br />
sondern auch geschätzt und kopiert<br />
wird. Der Erfolg des Projekts hängt stark mit<br />
der charismatischen Art von Bischof Thomas<br />
zusammen. Seit 1985 ist er Mönch. Bereits ein<br />
Jahr nach seiner Priesterweihe 1987 wurde er<br />
zum Bischof bestellt und engagiert sich seit<br />
über 13 Jahren in „Anaphora“.<br />
Überraschend<br />
Die Bauweise der Häuser in der Anlage erfolgt<br />
im traditionellen arabischen Stil, ihre<br />
Anordnung ist aber umso moderner – in Form<br />
eines Fragezeichens. Einen Ort, um nach Antworten<br />
auf die Fragen des Lebens zu suchen,<br />
bietet ein Meditationsraum, der den Punkt des<br />
Fragezeichens bildet. Aber auch die Kirche<br />
überrascht – besonders von innen: Statt goldener<br />
Ikonen zieht ein Fenster in Form eines<br />
Auges die Blicke der Besucher auf sich; anstelle<br />
von Kirchenbänken laden Hocker am<br />
mit Teppichen ausgelegten Boden zum Gebet<br />
ein.<br />
Kraft tanken<br />
In „Anaphora“ erinnert jedoch nicht nur die<br />
Einrichtung ein wenig an Taizé. Inspiriert von<br />
der monastischen Spiritualität wird von den<br />
hier lebenden Mönchen, Schwestern, Studenten<br />
und Gästen Arbeit, Gebet und Studium<br />
verbunden. Bischof Thomas wünscht sich für<br />
sein Zentrum in der ägyptischen Wüste, dass<br />
es „eine Brücke zwischen den Kulturen und<br />
den sozialen Schichten“ bilde. Wichtig sind<br />
ihm die Begegnungen, die hier im gemeinsamen<br />
Alltag geschehen. „Das beste ökumenische<br />
Treffen ist ein informelles wie hier“, ist<br />
er überzeugt. In „Anaphora“ hat man es sich<br />
auch zur Aufgabe gemacht, einen Beitrag für