WELT UND GEISTLICHE BERUFUNG - Miteinander
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10-11/2012<br />
G A S T K O M M E N T A R<br />
8<br />
Univ-Doz. Mag. Dr. theol. Andreas Schnider<br />
Wer sich Schätze sammeln möchte, die nicht<br />
von Motten und Würmern zerfressen werden<br />
– um es biblisch anzulegen –, der sollte in<br />
(seine) Schulbildung investieren. Dabei geht<br />
es in gleicher Weise um Allgemein- wie um<br />
Berufsbildung. Ich denke, hier liegt ein wesentlicher<br />
Schlüssel, um das Leben und unsere<br />
gesamte gesellschaftliche Entwicklung<br />
zukunftsorientiert neu zu denken und somit<br />
anders zu betrachten. Immerhin geht es um<br />
eine Bildung, die den Menschen ein Leben<br />
lang begleitet. Da haben wir politisch in Österreich<br />
noch einiges zu bedenken, was wohl<br />
über diverse Gelddebatten hinausgehen muss.<br />
So drängt sich in der aktuellen bildungspolitischen<br />
Debatte das Thema „Neue Mittelschule“<br />
(erneuerte Sekundarstufe I) auf. Vor<br />
allem meine ich, dass durch diese Schuldebatte<br />
manches diskutiert wurde bzw. wird,<br />
was für eine zukunftsweisende (Schul)Bildung<br />
wichtig ist. Und ich denke, dass diese<br />
Impulse auch ganz im Sinn christlichen Denkens<br />
zu werten sind.<br />
Eine systemische Schule<br />
In Bezug auf ein zu erneuerndes Schulsystems<br />
drängen sich mir folgende Fragen auf:<br />
Wie sieht ein Schulsystem aus, das dem Charakter<br />
lebenslangen Bildens und Lernens tatsächlich<br />
entspricht? Wie gestaltet man Schule,<br />
die in erster Linie die Potenziale der jungen<br />
Menschen in den Mittelpunkt stellt und<br />
nicht unentwegt an ihren Defiziten ansetzt?<br />
Wie sieht ein ganzheitliches Schulsystem aus,<br />
das junge Menschen nicht bereits mit zehn<br />
Jahren nach ihren Schwächen in unterschiedliche<br />
Schultypen bzw. -arten hineinselektiert?<br />
Wie ein System entwickeln, das wirklich systemischen<br />
Charakter aufweist: eines, das erkennt,<br />
was ExpertInnen seit Jahrzehnten fordern,<br />
nämlich dass junge Menschen nur in einem<br />
inklusiven Verbund von den jeweiligen<br />
Stärken anderer profitieren bzw. diese miteinander<br />
ausbauen können? Wie sieht daher<br />
ein Schulsystem aus, das dem Lernen und<br />
nicht dem Lehren die erste Stelle einräumt?<br />
Und schließlich geht es um ein Schulsystem,<br />
das Chancengleichheit bieten muss. Denn in<br />
aller Deutlichkeit muss gesagt werden, dass<br />
Österreich laut unzähliger Bildungsberichte<br />
nach wie vor zu jenen Ländern gehört, die<br />
auf weiten Strecken keine Chancengleichheit<br />
im Schulsystem aufweisen: Der konkrete Bildungsweg<br />
vieler junger Menschen hängt leider<br />
immer noch von dem ihrer Eltern ab.<br />
Deshalb begrüße ich es, dass wir politisch<br />
im vergangenen Jahr einen ganz wichtigen<br />
Schritt mit der flächendeckenden Einführung<br />
der „Neuen Mittelschule“ gesetzt und gewagt<br />
haben. Diese wird die Hauptschule ab dem<br />
Schuljahr 2016/2017 gänzlich ersetzen. Doch<br />
auch hier wird es darauf ankommen, ob dieser<br />
neue Schultyp pädagogisch und gesellschaftspolitisch<br />
eine echte Chance innerhalb<br />
der österreichischen Gesellschaft erhält. Denn<br />
wir werden uns fragen müssen, ob an diesen<br />
Schulen tatsächlich der Paradigmenwechsel,<br />
den gerade die EntwicklerInnen und BetreiberInnen<br />
dieses Typus einer „Neuen Mittelschule“<br />
erreichen woll(t)en, stattfindet.<br />
Eine lernende Schule<br />
Denn hinsichtlich solcher Mittelschulen und<br />
ihrer Grundsätze drängen sich bestimmte Fragen<br />
auf, die letztlich grundlegend sind für sie<br />
als ein erstes Stück eines erneuerten Schulsystems:<br />
Die „Neue Mittelschule“ soll ab dem Schuljahr<br />
2016/2017 die Hauptschule ersetzen. Die<br />
Erfahrungen werden zeigen, ob sie den Erwar -<br />
tungen ihrer EntwicklerInnen gerecht wird.<br />
Wird in der Schule das Lernen vor das Lehren<br />
gestellt? Wird es diesbezüglich zu einer<br />
unbedingt notwendigen Korrektur kommen,<br />
wie sie Hartmut von Hentig seit langem fordert:<br />
nämlich sich endlich zu verabschieden<br />
von dem gedankenlos verabsolutierten Prin -<br />
zip der Didaktik, dass Lernen oft durch Be -<br />
lehrung geschehe? Wird es folglich zu einer<br />
neuen Haltung zwischen SchülerInnen, Leh -<br />
rerInnen und Eltern kommen, was gemein -<br />
sames Lernen in Gruppen und Teams anbelangt?<br />
Wie gehen wir in so einem neuen<br />
Schultyp mit Diversität und Differenz um?<br />
Sehen wir diesbezüglich unsere Gesellschaft<br />
immer noch als ein Bündel unterschiedlicher<br />
und verschiedener Gruppen an, die es gilt, alle<br />
irgendwie zu integrieren? Oder haben wir<br />
ein prinzipiell inklusives Gesellschaftsbild vor<br />
Augen, wo wir die Unterschiedlichkeiten als<br />
besondere Stärken in einem guten <strong>Miteinander</strong><br />
sehen? Gerade so ein inklusiver Blick einer<br />
Gesellschaft wird nämlich zu einem Potenzial<br />
einer „Neuen Mittelschule“, das vieles<br />
eröffnen und ermöglichen kann. Dieses inklusive<br />
Gesellschaftsbild, das von Beginn an<br />
ein- und nicht selektiv ausschließt, entspricht<br />
in meinen Augen einem urchristlichen Menschen-<br />
und Weltbild.<br />
Wie wird daraus die Wahrnehmung der LehrerInnen<br />
untereinander als Team(s) aussehen?<br />
Oder wie sieht das Lernen als eine sich erst<br />
bildende Erfahrung in solchen Schulen aus?<br />
Denn Lernen ist ein zutiefst persönlicher, aktiver<br />
Aneignungsprozess – auf eigenen Wegen,<br />
mit vielfältigen Ergebnissen. Oder was<br />
heißt es, wenn es sinnvoll erscheint, Einzelgegenstände<br />
aufzugeben, um einen erweiternden<br />
und vertiefenden Blick in ihre jeweiligen<br />
Fachbereiche und darüber hinaus zu benachbarten<br />
Gebieten zu erhalten?